Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Berliner Fuhrleute

(1834; 1843)

Diese zerfallen, ihrer geschäftlichen Bestimmung nach, in drei verschiedene Klassen, in Charlottenburger, Fiaker und Sandbuben. Wie dieselben sich auch in ihrem Charakter und in ihrer Ausdrucksweise unterscheiden, wird der geneigte Leser bald erkennen, wenn er die nachfolgenden flüchtigen Skizzen an seinem Auge vorübergehen läßt.

 
Charlottenburger

Unter diesem Namen sind diejenigen Fuhrleute bekannt, welche mit ihren Wagen vor dem stolzen Brandenburger Thore halten und das Publikum nach Charlottenburg fahren. Dieser freundliche Ort liegt zu Ende des Thiergartens und wird von den Residenz-Bewohnern zu allen Jahreszeiten lebhaft besucht. Er hat eine schöne breite Straße mit zahllosen Gasthäusern und öffentlichen Gärten, ein Schloßtheater, einen Polizei-Commissarius und mehrere Gensd'armen. Man genießt hier, so zu sagen, die freie Luft, darf nicht rauchen, mustert gegenseitig die Kleidung, amüsirt sich auf solche Berlinische Weise bis die Sonne untergeht, und fährt dann wieder nach der Stadt zurück, deren Siegesgöttin alle Heimkehrende mit dem Rücken willkommen heißt.

Die Charlottenburger sind, ohne dem Straßenpöbel zu nahe treten zu wollen, unstreitig die roheste Klasse aller Berliner Plebejer. Bei ihnen schimmert nicht einmal, wie bei den Eckenstehern, durch ihren physischen und geistigen Schmutz die Gemüthlichkeit durch, sondern sie sind das vollständigste personificirte Register aller Gemeinheit. Saufen, Spielen und Gedankenstrich –, so heißen ihre Tugenden, in denen sie sich täglich zu vervollkommnen suchen, und ihre blassen Gesichter und todten Augen sind das sprechendste Bild innerer Nichtswürdigkeit.

Ihr Umgang untereinander ist ganz charakteristisch. Maulschellen sind bei ihnen Versicherungen der Freundschaft, sich Fußtritte geben heißt bei ihnen höchstens: unangenehm werden, und wenn sie sich Augen aus- und Arme und Beine entzweischlagen, so grollen sie miteinander. Von dem vielen Anschreien haben sie eine widerlich heisere Stimme bekommen, und es ist, wenn auch komisch, eben nicht angenehm, ihre verschiedenen Exclamationen zu hören, von denen ich hier einige mittheilen will.

»Lude! heßt De schonst heute zu ne Prise Toback verdient? Bei det schlechte Wetter kommt keen Mensch und keen Ochse, ick sitze hier janz alleene!«

»Na suchen Se doch nich so lange um det bisken Jeld. Joseph! leichte mal hier her mit de Luterne, der Baron hat een Sechser verloren!«

»Kilian! mach' de Sitze reene, Schaafskopf! wollen wir spielen.«

»Wisch mal hier den Dreck wech, Pamuffel! Aber nimm Dir in Acht, det De Dir nich drunter vermengelirst!«

»Talbot! nimm mal den Proppen ab, laß mir Eenen runterwürgen!«

»Loof mal da unter die Heerde Rindvieh, Jottschalk! Aber mach Dir een Zeechen, damit wir Dir wieder raus finden!«

»Crischtjan! hier woll'n se Keilerei haben! ick habe aberscht Anhang; die janze Choßee steht mir bei!«

»Hat Keener keenen Schwamm nich?« – »Ne haben dhuen hab' ick keenen, aber kriegen kann et sind, det ick welchen dhue!«

»Madamken! mit den Keerel fahren Se nich, den sein Wagen stuckert Ihn zusammen wie Karmnade! Fahren Se mit mir, bei mir wer'n Se jut ufgehoben.«

»Lude, Dein Pferd –! Setz' Dir drunter un seh' nach 'n Himmel!«

»Heda, Herr Jraf! Sein Se doch keen Theekessel und setzen Se sich in den seine Nußschaale. Komm'n Se bei mir, hier könn'n Se vor 3 Silberjroschen eine Kalesche genießen!«

»Mein Wagen is schon janz voll! Jehen Se da hinten hin nach den Schimmel, det is mein Vater!«

Und so weiter, und so weiter. Lassen sich ein paar Personen in ihrer Nähe sehen, so umzingeln sie dieselben und offeriren ungestüm ihre schlechten Wagen; ist dies aber nicht der Fall, so trinken sie zusammen oder setzen sich in einen ihrer Rippenbrecher und spielen Karten. Dabei fallen natürlicherweise Streitigkeiten vor, die aber bald durch Faustschläge und andere Real-Injurien wieder beseitigt werden.

Mit ihren Pferden, im Militairdienst grau geworden und bei den Auktionen auf dem Opernplatze für ein Billiges erstanden, gehen sie mehr als unmenschlich um. Man sieht nicht selten einen Wagen, in welchem 12 Personen sitzen, von solch einem unglücklichen Thiere gezogen, dem die Rippen über eine halbe Elle hervorstehen. Damit jagen sie nun hinaus und zurück, futtern ihre Pferde homöopathisch und trinken dafür allopathisch Branntwein. Abends, nach vollbrachtem Tagewerke, gehen sie in gemeine Häuser und bringen ihren Verdienst durch.

Ihr Lieblingslied ist:

Branntwein drinken, Schaafkopp spielen,
Det is mein Plaisir
Uf de Wagens hier.
Hexel fressen, Wasser soofen
Muß mein Pferd, un düchtig loofen:
Denn bringt's Jroschens mir;
Det is mein Plaisir!

Knuffen, buffen, Toback roochen,
Det is mein Plaisir
Uf de Wagens hier.
Eene lumpijte Perschon
Fehlt hier blos noch, Herr Baron,
Fahren Sie mit mir!
Det is mein Plaisir!

Eenen Dag wie alle Dage,
Det is mein Plaisir
Uf de Wagens hier.
Un jehts endlich mal zum Himmel,
Reicht mir Petrus einen Kümmel:
Bruder, biste hier?
Det is mein Plaisir!

 
Fiaker

Die zunehmende Bevölkerung und Cultur Berlins und der gesteigerte Verkehr von Fremden, welche die Eisenbahnen und die jetzige geistige und politische Bedeutsamkeit der preußischen Residenz herbeilocken, haben die sechszig engen, unbequemen und erschrecklich langsamen Einspänner, Droschken genannt, verdrängt und an ihrer Statt gegen tausend Fiaker in Bewegung gesetzt. Ist diese nun auch nicht so schnell wie die Wienerische, wo alle Bewegung in den Fiakern zusammengedrängt ist, so erfüllen sie doch billige Ansprüche für einen außerordentlich billigen Preis, und haben den großen Vorzug vor ihren süddeutschen Collegen, daß Derjenige, welcher statt der eigenen zwei, vier oder acht fremde Füße benutzen will, nicht erst zu feilschen braucht. Die treffliche Berliner Polizei hat den Fiakern eine Taxe gesetzt, welche sie nie überschreiten dürfen, ihnen mithin jede Willkühr abschneidet, und den Fremden der oft so unangenehmen Begegnungen mit solchen ungebildeten Leuten überhebt.

Eben durch diesen geringen Verkehr mit dem Publikum, und theils durch ihre Jugend als specieller Stand, entbehren die Berliner Fiaker aller Eigenthümlichkeit. Sie sind nicht fröhlich, nicht traurig, nicht besonders höflich, nicht besonders grob, nicht roh und nicht polirt, nicht so dumm, daß sie sich foppen ließen – das thut kein einzelner Berliner! – und nicht so gewitzt, daß sie Andere foppen könnten. Sie haben ihren bestimmten Lohn, ihre bestimmte Zeit, ihre bestimmte Frau oder Liebste, und rechnen so bestimmt auf einen monatlichen Ueberschuß durch Trinkgelder und durch ihr schlechtes Gedächtniß, welches sie zuweilen die Marke an den Passagier zu geben versäumen läßt, daß sie kaum eine heitere Miene zeigen, geschweige sich lebhaft bedanken, wenn man ihnen statt der gesetzlichen fünf Silbergroschen noch einen liberalen sechsten in die große Hand legt. Eben so wenig aber merkt man einem Fiaker Verdruß ab, wenn ihn ein Passagier von süßer Unterhaltung mit einem braunwangigen und rotharmigen Dienstmädchen abruft, oder wenn er sein Glas Weißbier nicht austrinken darf, das er so eben vor einem Victualienkeller, deren es in Berlin Tausende gibt, an den Mund setzt; oder wenn er seinen Kameraden eben eine höchst wichtige Mittheilung machen wollte, die nun, auf wer weiß wie lange, unterbrochen wird, oder endlich, wenn er seinem in freundschaftlicher Hochachtung zugetanen Pferde den Futtersack wieder abnehmen muß, den er ihm so eben vorgebunden hatte. Es ist einmal seine Pflicht, zu fahren, sein Schicksal, gestört zu werden. Wann, wie, wo und was? diese Fragen existiren für ihn fast gar nicht. Er kann Hunger und Durst, Wind und Wetter ertragen; die Liebe macht ihm auch wenig Qual; er fährt »die Menschen« zu Reisen und zu Vergnügungen aller Art, ohne zu murren, und dämmert ja ein Mal ein Gedanke an seine Sklaverei in der Seele auf, so zieht er die Augenbrauen zusammen, klopft seinem Pferde den Hals und sagt zu ihm: »Dir jeht et noch schlechter als mir, Hans, nich wahr?« Das Pferd nickt mit dem Kopfe, der Berliner Fiaker ist beruhigt, setzt sich wieder auf den Bock und schaut theilnahmlosen Blickes in die bunte Welt hinein.

 
Sandbuben

Die reizenden Umgebungen Berlins bieten den erwachsenen Straßenjungen einen Nahrungszweig, der, obgleich nicht sehr viel Früchte tragend, doch zu Kümmel und Brod genügend abwirft. Früh Morgens setzen sich je Zwei und Zwei dieser ohne Gewerbeschein handelnden Jünglinge in ihren kleinen Bretterwagen, legen Spaten und Molle neben sich, und fahren hinaus vor das Thor, um von dem für sie so sehr besorgten Boden ihre Waare zu entnehmen und aufzuladen. Die Sandfuhrpferde sind der Superlativ der Charlottenburger, d. h. ihre Rippen stehen noch weiter hervor, sie ächzen und stöhnen, ziehen aber geduldig den belasteten Wagen, auf den sich noch ihre Herrscher setzen, nach der Stadt zurück. In der Stadt selbst halten die Sandkutscher vor jedem Hause still, der Eine bleibt auf dem Sande sitzen, der Andere aber nimmt die gefüllte Molle auf die Schulter und bietet schreiend den Inhalt feil. »Kooft Sand, Sand! Madamken, heute keenen Sand?« – »Nein!« – »Na denn man immer jüh!« Mit diesen Stereotypen wandeln sie von einem Hause zum andern, bis der Waaren-Vorrath sein Ende erreicht hat, und das eingenommene Geld in den Taschen klimpert.

Sie sind nicht gar so roh, wie die Charlottenburger, aber auch nicht zart, und wer sich ein ziemlich vollständiges Register aller Schimpfnamen und gemeinen Redensarten anlegen will, dürfte einen Tag mit ihnen herumfahren und lauschen. Da geschehen Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt! Auf ihr Inneres halten sie nichts und auf ihr Aeußeres gar nichts; sie sind innen und außen Lumpen.

Sie singen:

Hier, Fritze, is de Molle!
Doch mach' se nich zu volle;
Streich' ab noch mit de Hand –
»Kooft Keener keenen Sand?«

Schon bei den frühsten Schimmer
Fahr' ick zum Kreuzberch immer,
Da ist de Waare schön,
Der Vorrath ooch nich kleen.

Hab' ick den Sand in'n Wagen,
So dhu ick sachte fahren
Mit Hansen nach de Stadt,
Wo man de Jroschens hat.

Un hab' ick Kies bekommen,
Wird Eener mal jenommen;
Rasch in de Tabajie:
»Na denn man immer jüh!«


Scene aus dem Leben der Fuhrleute

Die Charlottenburger

Hiob. Dunnerwetter! heute is höllisch heeß!

Lude. Zieh' Dir'n Pelz an.

Caro. Denn wer ick Dir uffen Pelz kommen!

Hiob. Du, Schaafskopp, willst mir uffen Pelz kommen? Sonne Motte wie Du bist, die zerdrück' ick, wenn ick mir umdrehe.

Caro. Fang' nich an zu schimpfen, Du weeßt, darin bin ick Meeter; ick bin der Jemeenste von Euch, det wird mir Keener streitich machen.

Moritz. An mir denkste woll nich, Caro?

Caro. O ja! Du bist noch der Eenzige, der sich mit mir messen kann.

Lude. Hat Keener keene Pulle nich, woraus man sich wat entnehmen kennte?

Tobias. Haste all wieder Durscht? Lude, Du wirscht noch mal en Säufer werden.

Lude. Halt's Maul, Tobias, sonst bin ick 'ne Schwalbe un setz mir über Deine Oogen!

Caro. Der Witz is jut! Ich versteh' mir uf jute Witze!

Hiob. Dein Vater muß det aber woll nich verstanden haben, sonst wärscht Du nich. Det Jemeene muß Dir Jeder lassen, aber uf Witze nimm Dir keenen Jewerbschein, sonst jehste zu Jrunde.

Lude. Ick fraje nu noch mal: hat Keener keene Pulle nich? Mir durschtert!

Hiob. Wenn Ihr Jeder en Sechser spuckt, so kann Jeder en orndtlichen Hieb aus meine Pulle nehmen, aber zuerscht muß ick mir benetzen.

Die Andern. Ne, denn laß man! Det woll'n wir noch beschlafen!

Hiob. Na denn – und bleibt meine Freinde!

Tobias. Hör mal, Caro, Du leest ja de Zeitungen, kannste uns nich erzählen, wie't in de Fremde aussieht?

Caro. O ja, in Schpanjen is et jetzt sehr eeklich.

Lude. Det is nischt Neies. Wer hatten sich da erzürnt?

Hiob. Frajt doch den Dämel nich! Wat versteht denn der Rumdreiber von Politikerei! Ick wer't Euch Alles haarkleene auseinandersetzen: setzt Euch aber mal erscht zusammen, un zwarscht hier uf meinen Zweespänner. So! Sitzt Ihr Alle?

Die Andern (setzen sich auf einen Wagen). Ja!

Hiob (springt herunter). Na denn bleibt ruhig sitzen. (Er läuft fort.)

Die Andern (laufen ihm nach, fassen ihn und prügeln ihn jämmerlich durch).

Hiob (wischt sich das Blut ab). Na nu hört uf mit den Spaß. Nu mach ick Ernst; kommt Alle uffen Wagen!

Moritz. Vexirste uns noch eenmal, denn biste jewesen!

Alle (setzen sich).

Hiob. Seht mal, in Schpanjen is der Könich jetzt dodt. Nämlich eenen Dach kricht er det Nasebluten un de Auszehrung, un wie er an andern Dach ufwacht, is er dodt. So wie er nu dodt is, so stehen sämmtliche Tobacksfabrikanten uf un machen Refolution, weil se keene Cijaren mehr los werden; – un uf den Thron sitzt keene Seele.

Moritz. Na un nu?

Hiob. Wie so denn?

Moritz. Na, wer nu kommt?

Hiob. Ja, nu is doch noch ein Infam da, der war sehr viel jeloofen, und war müde jeworden, un wollte sich't uf den Thron bequem machen. Die Wittwe aber, Madam Ferdenanten, wollte det Jeschäft alleene fortsetzen, und sacht zu ihm: Karlos, verzieh' Dir! Darauf verschwinde er, sucht sich seine Anhenger...

Lude. Wurde er jehangen?

Tobias. Ne, se warten noch –, damit de Strippe nich deier wird.

Hiob. Halt de Schnauzen un laaßt mir ausreden!

Tobias. Ja.

Hiob (wüthend). Ruhich!

Lude. Ne! (Alle steigen wieder vom Wagen herunter.)

(Allgemeine Prügelei.)

Ein Gensd'arme (faßt den Tobias beim Kragen). Auseinander!

Tobias. Ja, Herr Jensdarmerie, ick alleene kann doch nich auseinander jehen! Die Andern halten mir ja feste.

Gensd'arme. Ihr müßt hier Alle auseinander! Zaruck da! Keine Keilerei darf hier nicht Statt finden! (Die Prügelei läßt nach.)

Lude. Ick denke, vor Berlin derff man sich keilen?

Gensd'arme. Nirgends! Nicht drinn und nicht draußen!

Lude. Det is doch ooch komisch! Nich mal vor't Dhor jönnen se einen Keile.

Gensd'arme. Nicht räsonnirt, oder ich laß ihm arritiren!

 


 


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