Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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28. Die Schlacht von Mahaena

René ging langsam zur Stadt zurück und betrat das Haus des Franzosen Victor. Hier wollte er seinen Kummer mit einer Flasche Wein wegschwemmen. Er setzte sich in die entfernteste Ecke und stürzte einige Gläser Claret hinunter. So hatte er eine Stunde gesessen, die Flasche stand leer vor ihm. Da klopfte ihm eine Hand derb auf die Schulter, eine fröhliche Stimme rief seinen Namen.

Er sah langsam auf, sprang aber im nächsten Augenblick von seinem Sitz auf.

»Adolphe! Mein lieber Freund, wo kommst du denn her? Zehntausendmal willkommen auf Tahiti?«

»Und wie geht es dir? Gefällt es dir hier, und bereust du dein Weglaufen nicht?«

»Bereuen?« René lächelte. »Ich habe alles hier, was das Menschenherz nur verlangen könnte, und sollte bereuen? Aber du spielst Maskerade, oder ist es Sitte geworden, die französische Uniform zu tragen? Was tut ein Walfänger in der Offiziersuniform?«

»Pest!« lachte Adolphe. »Ich hatte das Leben ebenfalls satt, und da uns hier gute Kräfte fehlen, hielt ich den Zeitpunkt für geeignet, meine alte Karriere wieder aufzunehmen. Hol der Teufel die Freiheit an Bord eines Walfängers! Durch Du Petit Thouars selbst, den ich von früher kenne, wurde ich eingestellt.«

»Seit wann bist du hier?«

»Seit drei Tagen, aber wie mir gesagt wurde, bist du nach Atiu zurückgegangen. Desto besser, daß ich dich hier noch getroffen habe. Ich wäre sonst aber noch hinübergefahren, um dich zu treffen. Mensch, ist es möglich, du bist verheiratet und sogar Familienvater?«

»Ich fühle mich dabei glücklich!« sagte René.

»Und was willst du jetzt auf Atiu?«

»Dort bleiben.«

»Du willst dich mit achtundzwanzig Jahren in einem Kokospalmenwald vergraben und fertig mit der Welt sein? Mensch, bist du denn wahnsinnig, oder hast du die Lektionen an Bord des ›Delaware‹ noch nicht vergessen? Ein eingeborenes Mädchen? René, ich fürchte fast, du hast dir selber einen bösen Streich gespielt, und ich habe dir vielleicht nicht einmal einen guten Dienst geleistet, als ich dir bei deiner Flucht half.«

»Du kennst Sadie nicht«, sagte René und lächelte. »Sie ist nur von Geburt eine Eingeborene, sonst aber ganz in europäischen Sitten und Gebräuchen aufgezogen.«

»Desto schlimmer für sie. Ich habe darüber auch schon manches munkeln gehört. Aber warum zum Teufel bleibst du nicht wenigstens in Papeete? Hier hast du doch einen Wirkungskreis und eine Tätigkeit, auf Atiu versauerst du. Zehn Jahre dort machen dich untüchtig für irgendeinen menschlichen Beruf!«

»Lieber Adolphe, die Verhältnisse bestimmen den Menschen. Sadie fühlte sich hier nicht glücklich zwischen den Europäerinnen und...«

»Ich denke, sie hat eine europäische Erziehung bekommen, wie paßt das zusammen?«

»Ich... ich selber fühlte, daß wir dort drüben viel freier und ungehinderter leben würden«, entgegnete René ausweichend.

»Ungehinderter? Das glaubt der Teufel«, lachte Adolphe. »Wer sollte euch stören? Wenn da nicht zufällig einmal ein Walfänger anlegt... aber, apropos, René, weißt du denn, daß Kapitän Lewis' Tochter auf Tahiti und sogar in Papeete ist?«

René fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Er drehte sich rasch ab, um nach einer neuen Flasche Wein zu rufen.

»Ich weiß es«, sagte er gleichgültig. »Ich habe sie hier auf einem Ball kennengelernt. Sie wohnt jetzt bei Belards, aber, Adolphe...« Er zog den Freund zu sich herunter. »Nicht wahr, du bleibst jetzt hier auf den Inseln?«

»Zumindest einige Zeit, solange es etwas zu tun gibt.«

»Wenn du erst einmal einige Zeit hier bist, wird es dir noch besser gefallen«, sagte René und lächelte. »Vielleicht machst du es dann mir nach, und wir werden Nachbarn. Adolphe, diese Inseln sind ein wirkliches Paradies.«

Adolphe schüttelte mit dem Kopf.

»Auf Dauer möchte ich es doch nicht mit dir teilen«, sagte er ernster. »Nach einem langen und langweiligen Kreuzzug durch die Meere, nach Eis und Schneegestöber da oben in den unwirtlichen Regionen, nach Entbehrungen und Strapazen tut es sicherlich gut, wenn man kurze Zeit unter Palmen ausspannt. Aber hier bleiben, wohnen, heiraten? Eine Existenz hier gründen? Nein, ich glaube, das hielte ich nicht aus.«

»Was könnte das Herz denn mehr verlangen, als es hier vorfindet?«

»Mir würden Entbehrungen, Tätigkeit, mit einem Wort, Leben fehlen! Ich würde vergehen, wenn ich nichts zu tun hätte. Nein, René, auch wenn du es dir vorlügen willst, daß du glücklich bist, ich kann es nicht glauben und dir auch nicht wünschen. Du hast die Welt gesehen und warst in Paris der Schwarm der Gesellschaft. Du willst jetzt deine Heimat in einer Bambushütte gefunden haben? Unsinn, René. Geh wieder hinüber nach Atiu. Dort lebst du noch ein Jahr und springst dann wieder an Bord eines Walfängers, wenn du auf keine andere Weise wegkommst, oder du bist elend und unglücklich.«

»Nein, Adolphe, du hast unrecht!« rief René. Er war aufgesprungen und lief im Zimmer auf und ab. »Du hast unrecht, und ich werde es dir beweisen. Ich habe dir schon früher gezeigt, was ich durchsetzen kann, und auch damals hast du es für unmöglich gehalten.«

»Armer René, mit diesen Worten gestehst du mir schon, daß du dich irrst. Ich weiß, daß du im Augenblick einer Gefahr alles einsetzen kannst und deinen Mann stehst. Ich glaube nicht, daß dich irgendeine Schwierigkeit oder Gefahr von einem gefaßten Vorsatz abhalten kann. Hier aber, wo es darauf ankommt, durch zähes, geduldiges Ausharren ein Ziel zu erreichen, gäbe es keinen unpassenderen Gesellen dazu als dich. Zwingst du dich, so gehst du daran zugrunde, denk an mich!«

Wilder Lärm unterbrach sie von draußen. Die Leute sprangen durcheinander, und einzelne Rufe wurden laut. Die beiden Männer waren zur Tür geeilt, um zu sehen, was es gab. Da tönten die scharfen Schläge einer Trommel.

»Es scheint ernst zu werden, die Trommel ruft uns auf die Sammelplätze. Wo sehen wir uns wieder, René?«

»Heute abend hier!«

»Gut, ade solange!« Damit trennten sich die Freunde wieder. Während Adolphe davoneilte, sah René ihm nach, bis er hinter einer Wegbiegung verschwand. Aufseufzend wandte er sich ab, als er seinen Namen rufen hörte. Er erkannte Lefevre, der auf ihn zukam.

Der früher so muntere Nachbar sah aber sehr verändert und angegriffen aus. Er trug den einen Arm in der Binde und war bleich und abgemagert. Auch sein Blick hatte etwas Feindliches.

»Hallo, Lefevre, wie sehen Sie denn aus? Sind unsere Truppen schon mit den Eingeborenen zusammengetroffen, daß Sie verwundet sind?«

»Hier noch nicht!« sagte Lefevre. »Aber jetzt geht es los. Ich will nur meinen Säbel und die Pistolen holen, um als Freiwilliger den Spaß mitzumachen.«

»Mit dem Arm in der Binde? Sie sollten froh sein, daß Sie eine Entschuldigung haben, um nicht gegen die Eingeborenen kämpfen zu müssen. Gehören wir beide nicht zu ihnen?«

»Zu den Halunken?« rief Lefevre mit einem wilden Fluch. »Der Teufel soll sie alle holen! Es gibt nicht eher Frieden, bis wir die eine Hälfte totgeschlagen und die andere in ihre Bergschluchten gejagt haben! Die Pest über alle, aber jetzt machen die Burschen Ernst!«

»Doch nicht hier in Papeete?« sagte René.

»Nicht gerade in der Stadt, aber in Mahaena haben sie sich verbarrikadiert und einen Trupp Soldaten, der sie vertreiben sollte, mit blutigen Köpfen nach Hause geschickt. Eben kam die Nachricht, und jetzt soll ein Bataillon aufbrechen, um ihnen zu zeigen, mit wem sie es zu tun haben. Kommen Sie mit, René, wir machen einen kleinen Spaziergang hinunter und helfen, die Burschen in die Berge zu jagen.«

René schüttelte den Kopf.

»Ich habe in dem Kampf nichts zu tun, meine Landsleute mögen das unter sich ausmachen.«

»Sie werden doch nicht zusehen wollen, wie wir uns schlagen?«

»Warum nicht? Solange ich kein Interesse dabei habe!«

»Und wenn sie uns hier in der Stadt angreifen?«

»Sie haben doch eben noch geglaubt, daß sie noch nicht einmal einem Bataillon standhalten können!«

»Der Teufel traue den Schuften! Manchmal sind sie zäh und werfen sich mit ihren nackten Körpern gegen die Bajonette!«

»Sie verteidigen ihr Vaterland, das ist die beste Sache, die man verteidigen kann«, sagte René ernst.

»Meinetwegen, aber ich habe nun einmal einen besonderen Haß auf sie!« Er schnallte rasch seinen Säbel um, den er sich aus einer Ecke geholt hatte, und verließ das Haus mit schnellen Schritten, um sich dem Trupp anzuschließen.

 

Seit der Zeit der Religionskriege schien die Sonne Tahitis zum erstenmal wieder auf ein kriegerisches Bild. Zwischen den leicht gebauten Bambushütten von Mahaena, kaum zwölf englische Meilen von Papeete entfernt, hatten sich die Häuptlinge mit ihren Kriegern versammelt. Unter Anleitung irischer und englischer Matrosen wurden auf den Hängen Befestigungen aufgeworfen. Viele der hier angesiedelten Europäer unterstützten die Eingeborenen gegen die Franzosen. Unter ihnen befanden sich auch Jack und Jim O'Flannagan. Ihnen war der Aufenthalt in Papeete nach dem Zusammentreffen mit dem Leutnant der »Jeanne d'Arc« zu heiß geworden. Gemeinsam hatte man Mahaena ziemlich befestigt und dafür sogar einen Erdwall aufgeworfen. Darauf standen starke Palisaden, aus den zackigen Ästen der Guiaven aufgeschichtet. Damit war das kleine Fort gegen einen Bajonettangriff gut gesichert. Gleichzeitig sollte der Ort als Sammelpunkt für alle Aufständischen gelten, um von hier aus nach Papeete zu marschieren. Aber die Franzosen wollten den Eingeborenen nicht soviel Zeit lassen. Zwei Schiffe wurden in die Nähe beordert und brachten Truppen an Land, die aber noch nicht angriffen. Man wartete die Ankunft der Truppen aus der Stadt erst ab.

Bunt gemischt saßen die Europäer mit den Einheimischen im Fort zusammen und aßen. Unter ihnen war auch der riesige Neger Pompey, der vor einigen Tagen einige Franzosen übel zugerichtet hatte.

Auf einem entfernten Teil der Verschanzung hatte der ehrwürdige Bruder Dennis seine Gemeinde um sich versammelt und hielt ihnen eine besondere Predigt. Überall waren Äxte, Schwerter, Keulen, Wurfspeere, Infanterie- und Kavalleriesäbel aufgestellt, dazu Musketen zu Pyramiden. Das gab dem Bild ein kriegerisches Aussehen, wenn auch alles ungeordnet lag und niemand den Oberbefehl zu haben schien.

Da ertönte plötzlich eine Trommel, und eine jauchzende Mädchenstimme rief laut: »Horch!« Es war Maire, die noch nicht wieder ihre volle Haarlänge hatte. Aber sie schien alles nachholen zu wollen, was sie früher verpaßt hatte. Trotz der Gegenwart des Missionars stand sie auf und begann laut zu singen:

»Horch! Horch wie der Trommel Schlag
wirbelt der Brandung nach, horch!
Lauert der Feind auch schon,
Herzchen, ich komme schon. Horch!«

Damit begann sie in wilden Bewegungen den Nationaltanz, obwohl sie mehrere davon abhalten wollten.

Aonui rief ihr zu: »Denk an deinen Gott, Mädchen, wer weiß, ob du nicht schon bald vor seinem Richterstuhl stehst!«

»Ich?« schrie das Mädchen und jubelte erneut auf. Dann riß sie sich das Oberkleid von den Schultern und begann erneut:

»Bah! Heut ist ein Jubeltag,
hörst du der Trommel Schlag? Da?
Hei, wie der Wirbel rollt!
Betet so viel ihr wollt, da!«

Jubelnd fiel der ganze Chor ein, Männer und Frauen. Die einzelne Trommel, die irgendwann einmal von einem Schiff eingetauscht wurde, schlug rasselnd den Takt. Auch das zürnende Gebet des Missionars konnte es nicht übertönen. Der fromme Aonui begann, gemeinsam mit einigen um ihn herum, Kirchenlieder zu singen. Lauter und stärker wurde sein Chor und dröhnte in den wilden Gesang. Die Tänzer standen still und lauschten den Tönen, und selbst der Trommler hörte auf zu schlagen. Alle lauschten dem frommen Lied, als plötzlich ein gellender Schrei alles übertönte: »Der Feind – der Feind!«

Die Sänger ließen sich noch nicht davon stören, während einzelne den Ruf aufgriffen. Dringender, gellender setzte sich der Ruf durch die Reihen fort, von unten herauf tönten die scharfen, schmetternden Töne der Trompete, und dumpfer Trommelschlag wirbelte dazwischen. Wachen kamen von den Verschanzungen und meldeten, daß der Feind in zwei starken Kolonnen anrückte und sich zum Sturm auf das Fort rüstete. Alles drängte durcheinander und lief zu den Waffen. Da kam schon der erste Gruß von den Schiffen herüber. Die »Uranie« und der Dampfer schossen ihre Kugeln in voller Flankensalve herüber. Sie gruben sich teilweise in den Wall oder schlugen hinter ihnen krachend in die Guiavenbäume.

Einen Augenblick stand die Schar erstarrt. Es war bei fast allen das erstemal, daß sie die furchtbare Wirkung einer Kugel beobachten konnten. Jim O'Flannagan hatte seine Zeit genutzt und ein kleines Mittagsschläfchen gehalten. Jetzt sprang er auf und rief ein donnerndes Hurra den feindlichen Kugeln entgegen. Die erfolglose Salve und der herausfordernde Ton des Iren fanden Anklang bei den mutigen Kriegern. Der Schlachtenschrei brach laut heraus, gut eintausend Krieger ließen das Tal mit ihrer Stimme erzittern. Nur die Hälfte von ihnen war mit einem Gewehr bewaffnet, die anderen führten noch die alten hölzernen Speere, Schleudern und Wurfspeere. Dafür gab ihnen ihre feste Stellung Vorteile, und mit ungeduldigem Mut erwarteten sie den noch immer hinausgezögerten Angriff.

Schmetternder Trompetenschall tönte herauf, von den Schiffen blitzte es wieder in langer, zuckender Reihe. Prasselnd hagelte erneut ein eiserner Kugelgruß gegen die kleine Festung, wo er mit trotzigem Jubelruf empfangen wurde.

»Da kommen sie!« rief Pompey, der große Neger. »Hurra, und haltet das Feuer zurück, bis sie aus den Büschen herauskommen und im Freien sind. Keinen Schuß oder Speerwurf, wenn ihr nicht den Mann schon fast mit der Spitze erreichen könnt!«

»Für die Bibel! Für die Bibel!« schrie Aonui auf der anderen Seite. Er hatte wirklich seine Bibel im linken Arm und drückte sie fest an die Brust. Mit der Rechten schwenkte er seine Muskete. »Für die Bibel, ihr Streiter Gottes, der Herr ist mit uns und wird die Feinde zerstreuen wie Spreu vor dem Winde!«

Jim stand nicht weit von ihm entfernt und brummte etwas in den Bart. Der ehrwürdige Mr. Dennis hatte die meisten Frauen um sich versammelt und betete inbrünstig auf den Knien.

Näher und näher wirbelten die Trommeln, schmetterten die Hörner der Angreifer. Nicht weit vom Fort wurden mehrere Feldkanonen aufgestellt und begannen ein lebhaftes Feuer auf den Wall. Sie richteten aber keinen großen Schaden an, sondern rissen nur einige der Guiaven-Palisaden ein und verwundeten einige der Umstehenden leicht. Jetzt rückte eine Kompanie Marineinfanterie zusammen mit den Soldaten des »Phaeton« und der »Uranie« geschlossen heran. Wo sich ein Kopf auf der Palisade zeigte, wurde geschossen. Man wollte die Eingeborenen zurückhalten, bis der Wall erreicht war.

Pompey hatte sein dunkles Gesicht hinter einem dichten Guiavenbusch versteckt und beobachtete die Angreifer. Er hatte etwa fünfzig mit Musketen bewaffnete Männer unter seinem Befehl. Er hatte ihnen den ganzen Morgen das Laden beigebracht. Außerdem zeigte er ihnen die Vorteile von bequemen Patronentaschen. Als die erste Kolonne im Sturmschritt den steilen Hügel hinauflief, warf er mit gellendem Schrei seinen Arm empor. Eine wirkungsvolle Salve schlug den Angreifern entgegen, sie prallten zurück. Aber nur einen Augenblick zögerten sie, dann liefen sie mit wildem, zornigem Hurra weiter, feuerten rasch ihre Gewehre ab und warfen sich auf die Schanzen, um den Wall im Sturm zu nehmen.

Einen gleichen Anprall mußte auch Aonui abhalten. Bei ihm waren aber die meisten Europäer und empfingen den Feind ebenfalls mit wohlgezielten Schüssen. Auch hier gingen die Franzosen nach kaum gezielten Schüssen zum Bajonettangriff über und warfen sich tollkühn gegen die Schanzen. Jetzt zeigte sich aber der Vorteil der Guiaven, aus denen die Palisaden hergestellt waren. Die knorrigen, aber schwachen Äste boten keinen Halt. Wer sich daran festklammerte, mußte feststellen, daß die Zweige nachgaben, ohne zu brechen. Wie in einer Falle steckten die ersten Soldaten zwischen dem zähen Holz, und die Speere der dahinterstehenden Männer fanden leicht ihre Opfer. Einzelnes Musketenfeuer prasselte dazwischen. Hier und da hatte sich ein Trupp tollkühner Franzosen eine Bahn zwischen die Feinde erzwungen und auf dem Erddamm Posten gefaßt. Dort aber gingen sie einem gewissen Heldentod entgegen, weil sie den Eingeborenen leichte Ziele boten. Die Feldgeschütze feuerten weiter auf die Stellen, wo sich keine französischen Soldaten befanden. Aber sie standen tiefer als das Fort und konnten nicht viel ausrichten. Die Eingeborenen achteten nicht weiter auf die Kugeln, die draußen harmlos in die Erdwälle einschlugen.

Wilder und tödlicher wurde das Handgemenge, besonders da, wo Aonui an Jim O'Flannagans Seite mit wahrem Heldenmut focht. Der alte Mann hatte aber doch die Bibel in der Hitze des Gefechts fallenlassen, ohne es selbst zu bemerken. Eben lud er sein zweimal erfolgreich abgefeuertes Gewehr wieder. Jim kämpfte neben ihm zwar nicht mit so großer Todesverachtung, dafür aber mit mehr Erfolg. Er war nicht gewillt, sein Leben einer unnötigen Gefahr auszusetzen, und hielt sich immer etwas im Rückhalt. Dafür verteidigte er den Platz aber auch sehr entschlossen und gewandt. Er wußte genau, für was er kämpfte, und hatte nicht geglaubt, daß die Franzosen einen derartig ernsten Angriff auf das Fort unternehmen würden. Jetzt konnte er den Kampfplatz nicht mehr verlassen, ohne bei den Eingeborenen als feige zu gelten. Also bemühte er sich, sein Gesicht sowenig wie möglich auf dem Wall zu zeigen, um nur hin und wieder einen Blick auf den Feind zu werfen, ob er nicht seinen gefährlichsten Gegner darunter entdecken konnte.

Die Matrosen der »Jeanne d'Arc« waren am Sturm beteiligt, das hatte Jim festgestellt. Von seinem Schuß getroffen, lag ein Matrose tot im inneren Wall. Der Strohhut war ihm vom Kopf gefallen, und das breite schwarze Band trug den Namen des Schiffes. Vergeblich suchte er aber nach dem Offizier. Die Leute der »Jeanne d'Arc« schienen von einem ihm Unbekannten befehligt zu werden. Zwei von ihnen hatte er schon erschossen. Auch Pompey vollbrachte mit seinen Leuten wahre Wunder an Tapferkeit. Die nackten Krieger stürzten sich immer wieder mit kaltblütiger Todesverachtung gegen die Bajonette, um im dichten Kugelhagel ihr Opfer zu suchen.

Teraitane hatte den Oberbefehl, aber man hörte seine Stimme in dem Gewirr von Tönen, dem Schießen und Schreien, Trompeten und Trommeln nicht. Als sich der Wind gegen Mittag wieder legte, stand der Pulverrauch wie ein dichter Schleier auf dem Hügel. Damit wurde das Feuern von den Schiffen aus unmöglich, Freund und Feind waren nicht mehr zu unterscheiden. Auch für den Einzelkampf war der Pulverqualm für die Eingeborenen günstig. Die Franzosen konnten von der Schußwaffe erst auf kurze Entfernung Gebrauch machen, wo selbst die leichten Wurfspeere tödlich wirkten und die sicher geschleuderten Steine manches Opfer fanden. Durch den unerwarteten Widerstand verbittert, griffen die Matrosen und Soldaten aber immer wieder an. Bertrand führte wirklich die Seeleute der »Jeanne d'Arc« an, auch wenn Jim O'Flannagan ihn noch nicht gesehen hatte. Adolphe focht mit einer schon sehr zusammengeschmolzenen Gruppe Marineinfanterie an seiner Seite. Dabei waren ihnen die Trompeten und Trommeln eher hinderlich. Sie sollten die Kämpfer anfeuern, verrieten aber dem Feind immer wieder, wo der nächste Angriff stattfinden würde. Deshalb sandte Bertrand auf Adolphes Rat jetzt seine Trommler und Trompeter im Schutz des Nebels den Hang hinunter. Dann sollten sie das Fort etwas umgehen, um dann an einer anderen Stelle einen Scheinangriff zu blasen. Zu gleicher Zeit wollten sie auf der anderen Seite das Fort stürmen. Als die Signale erschallten, sammelten sich auch die meisten Verteidiger auf der Seite, um dem Angriff zu begegnen.

Teraitanes scharfes Ohr hatte aber gleich vom ersten Augenblick mißtrauisch den etwas zu lauten und herausfordernden Tönen gelauscht. Während auf der Seite noch immer kein Schuß fiel, entdeckte er die Blöße auf der einen Seite der Verschanzung und rief Aonui mit seinen Leuten zu, auf ihrem Posten zu bleiben und ihre Seite des Walles zu verteidigen. Er brauchte ihnen seine Gründe nicht mitzuteilen, denn im selben Augenblick hörten sie den raschen, regelmäßigen Schritt einer stürmenden Schar, die drohend heranrückte.

»Wehrt euch!« rief Teraitane. »Feuer, sobald ihr sie sehen könnt!«

Unter den Musketenschüssen warf sich die von Bertrand und Adolphe geführte Gruppe der schwachen Wallbesatzung entgegen. Sie erzwangen den Damm und warfen die Guiavenbüsche hinter sich hinab, um freie Bahn zu bekommen. Die Pistolen der Matrosen zeigten hier schlimme Wirkung. Obwohl sie Aonui mit seinen Leuten in völliger Todesverachtung angriff und sie sich den Kugeln aussetzen, faßten die Franzosen schon mehr und mehr festen Fuß, bis in die Verschanzung hinein. Wären sie dabei von außen noch unterstützt worden, hätten sie sich behaupten können. Der Nebel, der ihr Eindringen begünstigte, verhinderte aber auch, daß die anderen den Vorteil sahen und hinzueilen konnten. Während der gellende Schlachtschrei Teraitanes Hilfe herbeirief, blieb sie für die Franzosen aus. Auch Pompey hatte sich von den Trommeln und Trompeten täuschen lassen und hörte jetzt den Schlachtenlärm. Rasch sprang er mit seinen Leuten hinüber.

Bertrand kämpfte hier in den vordersten Reihen und parierte alle Stöße mit scharfer Klinge. Da fiel sein Blick plötzlich auf eine bekannte Gestalt. Er sah die Mündung eines Gewehres fast vor sich auf seinen Kopf gerichtet und behielt eben noch Zeit, mit dem Säbel unter das auf ihn zeigende Bajonett zu schlagen, als auch die Kugel dicht über seinen Kopf pfiff und einen Teil der Haut mitnahm.

»Hund!« schrie er und warf sich auf den erkannten Verbrecher. Der stieß das Gewehr nach ihm, aber er parierte mit dem Säbel und holte dann zu einem Schlag aus. Der Ire konnte seinen Kopf abwenden, aber der Hieb nahm den oberen Teil des linken Ohres mit und prallte am Schlüsselbein ab. Gleichzeitig sprang Bertrand hinzu und wollte den Iren mit zu seinen Leuten reißen, als Pompey mit der Verstärkung eintraf. Er prallte mit solcher Wucht gegen den Franzosen, daß der seinen Gefangenen loslassen mußte und seine ganze Gewandtheit benötigte, um sich gegen den neuen, riesigen Feind zu verteidigen.

Die Soldaten und Matrosen wurden jetzt so von allen Seiten bedrängt, daß an ein Vordringen nicht mehr gedacht werden konnte. Bertrand wäre fast sogar der Rückzug abgeschnitten, wenn sich nicht Adolphe dazwischengeworfen hätte. Von der anderen Seite führte der Erste Leutnant der »Jeanne d'Arc« einen Scheinangriff durch, um die Belagerten etwas abzulenken.

»Hierher, und hinein mit euch, Jungens!« rief er und sprang über einen niedergeschossenen Guiavenbaum. Da tauchte dicht vor ihm eine pulvergeschwärzte Gestalt auf, die er mit seinen vom Blut entstellten Zügen kaum erkannte. »Hallo, mein Herzchen, bist du gekommen, um uns zu besuchen?« rief der Mann und richtete auf kaum zwei Schritt Entfernung eine großkalibrige Pistole auf den Offizier.

»Schuft, dich treffe ich zur richtigen Zeit!« rief er, als er seinen entsprungenen Matrosen erkannte. Er holte zum Hieb aus, als Jack kaltblütig die Pistole so dicht vor seinen Augen abfeuerte, daß der Pulverblitz seine Augenwimpern versengte und den Rehposten dem Unglücklichen durch das Hirn jagte.

»Rache!« jubelte der Matrose und stieß einen gellenden Freudenschrei aus, der von der anderen Seite des Forts beantwortet wurde. Von dort kam neue Hilfe herbeigelaufen. Die Seeleute waren dem neuen Anprall nicht gewachsen. Sie nahmen den toten Offizier auf und zogen sich mit vorgehaltenen Bajonetten zurück. Überall bliesen jetzt die Hörner zum Rückzug.

Es wäre unmöglich gewesen, den Jubel zu beschreiben, der bei dem Rückzug der Feinde ausbrach. Im ersten Augenblick konnten sie ihren Sieg noch nicht gleich übersehen. Der Nebel lag zu dicht auf der ganzen Kuppe. Als aber ein Windstoß von der See den Schleier auseinanderriß, war der Feind nirgends mehr zu sehen. Er hatte sogar seine Toten und Verwundeten zurückgelassen. Da tönte ein einstimmiger, trotziger Jubelschrei aus den Kehlen der Sieger. Ohne auf eigene Wunden zu achten, sprangen und rannten sie waffenschwingend wild umher.

Ein Teil versammelte sich gleich um den Missionar, um mit einer Hymne dem Herrn der Heerscharen zu danken. Andere traten zum ausgelassenen Tanz an. Besonders Maire sprang auf dem blutgetränkten Wall umher und tanzte.

»Kommt!« schrie sie, und die Adern ihrer Schläfe waren zum Zerspringen angespannt.

»Kommt, ihr Feranis, her
habt ihr den Mut nicht mehr? Kommt!
Hei! Wie ihr laufen könnt,
hei, wie ihr...«

Ein wilder, nicht auf diese Erde gehörender Schrei beendete das freche Lied. Die Arme emporwerfend, flog der von einer Kartätsche zerrissene Körper der jungen Tänzerin über den inneren Wall in die Verschanzung. Gleichzeitig hörten die überraschten Eingeborenen den Donner der Geschütze ganz in ihrer Nähe.

Einzelne Kugeln schlugen noch da und dort ein, und zum erstenmal erkannten die Belagerten, daß die Feinde während des Nebels eine bessere Stellung für die Geschütze gefunden hatten.

Die Franzosen hatten den Platz durch Verrat gewonnen. Es wurde behauptet, durch Kapitän Henry, den Sohn eines englischen Missionars, der sie hierher geführt hätte. Die erste gefährliche Salve war der Hinweis auf die Wirksamkeit der Geschütze.

»Damn it!« schrie Pompey. »Wir stürmen das Nest da oben und werfen ihnen ihre Kugeln auf die Schiffe zurück. Wer geht mit?«

Ein wildes, jubelndes Geschrei antwortete ihm. Die trotzigen, halbnackten Gestalten griffen ihre Waffen fester und machten sich schon bereit. Aber Teraitane kannte das Gelände gut und sah die Unmöglichkeit des Unternehmens ein. Sie mußten jetzt unter dem Schutz der Kanonen einen erneuten Sturm erwarten.

Der Erste Leutnant der »Uranie«, der den Oberbefehl über die Sturmtruppe führte, konnte von einer kleinen Anhöhe den neuen und vorteilhaften Stand ihrer Geschütze erkennen. Die Hörner riefen seine Leute, um die Überraschung des ersten Augenblicks zu nutzen. Aber beim Fort trafen sie erneut auf heftigen Widerstand. Eine halbe Stunde mochte der erbitterte Kampf von beiden Seiten gedauert haben, und die Kanonen hatten den Eingeborenen erhebliche Verluste gebracht. Nach kurzem Kriegsrat mit Teraitane und Aonui beschloß Pompey einen Rückzug in die Berge. Sie wollten dort teilweise von einer anderen Bergspitze aus die Franzosen angreifen, teilweise aber auch die stationierte Artillerie im Rücken fassen.

Man schickte die Frauen voraus, dann folgten die Krieger in kleinen Gruppen und überließen die Verschanzung dem Feind. Während die Franzosen jubelnd das Fort nahmen, erkannte man auf den Schiffen die hell gekleideten Gestalten an den Berghängen. Die Geschütze wurden darauf gerichtet, und die Eingeborenen befanden sich in schwerem Kugelhagel. Einzelne Bäume zersplitterten und wurden umgeworfen. Die Franzosen dachten aber nicht daran, den Feind weiter zu verfolgen, denn ihre Reihen waren selbst furchtbar gelichtet. Sie trugen rasch ihre Verwundeten zusammen und warfen über die Toten etwas Sand und Erde. Dann zogen sie sich auf die Schiffe zurück.

Die Artillerie schlug inzwischen den kühnen Angriff der Eingeborenen auf ihre fast uneinnehmbare Stellung zurück. Als das Fort wieder geräumt wurde, zog sie sich ebenfalls zurück. Dabei mußten sie noch manchen Angriff der Insulaner abwehren, die im Wald verstreut ihnen folgten. Wenige Stunden später lichteten die beiden Kriegsschiffe die Anker und segelten nach Papeete zurück.


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