Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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16. Ein Ball in Papeete

Es läßt sich denken, in welche Aufregung die kleine Kolonie durch diese Ereignisse gebracht wurde, noch dazu, da die Mehrzahl der dort angesiedelten Fremden aus Franzosen bestand. Aber jetzt mußten sie der Gewalt weichen und hofften auf Du Petit Thouars, der sich noch in diesen Gewässern aufhielt und jeden Augenblick wieder in den Hafen einlaufen konnte.

Es versteht sich, daß der Vertrag mit den Feranis für abgeschüttelt galt. Die römischen Priester, die ihre Kapelle auf einem kleinen, reizenden Hügel in Mativaibai errichtet hatten, konnten sich in dieser Zeit nur auf einen sehr kleinen Kreis von Insulanern verlassen. Allgemein wurde der Platz von vielen sogar gefürchtet, denn diese Zeremonien hatten für sie etwas Geheimnisvolles an sich. Viele von ihnen scheuten sich sogar davor, im Dunkeln hier vorbeizugehen. Sie hätten ihn zerstört und die Priester wieder vertrieben, wenn nicht Mr. Nelson zusammen mit den Brüdern Smith, Brower und McKean alles versucht hätte, um sie von einem so unüberlegten Schritt abzuhalten. Der Feuereifer des frommen Dennis und der unersättliche Ehrgeiz Rowes hätten sie unaufhaltsam weitergetrieben.

René war durch die Verteidigung der Flagge in ein ungünstiges Licht geraten. Dazu kam, daß er auf Tahiti mehr bei seinen Landsleuten war als bei den Eingeborenen. Aber lange Zeit konnten die Insulaner ihm nicht böse sein, und seine freundliche Art allen gegenüber beseitigte auch leicht auftretende Schwierigkeiten.

Trotz der politischen Verhältnisse pflegten die Franzosen aber ihr gesellschaftliches Leben weiter. Die gemeinsame Gefahr verband die Leute fester.

Besonders viel trug dazu die Familie Belard bei, die sich um einen freundschaftlichen Ton untereinander bemühte. Die Europäer hatten meistens alle ihre alten Gewohnheiten und Vorurteile mitgebracht. Sie konnten nur durch die unermüdliche Ausdauer von einigen, die sich weitgehend angepaßt hatten, dazu gebracht werden, sich zu amüsieren – mehr wollte man gar nicht von ihnen.

Ein Hindernis für größere Veranstaltungen war der Mangel an europäischen bzw. weißen Damen, von denen sich nur wenige auf der Insel befanden. Man konnte mit den eingeborenen Frauen, die meistens mit den Europäern nur sehr »oberflächlich verheiratet« waren, nicht so gut verkehren. Sie waren hübsch und lebendig, gutmütig und liebenswürdig, paßten aber nicht in die Gesellschaft gebildeter Frauen. Ein Kontakt mit den Familien der protestantischen Bevölkerung verblieb völlig, da das fast ausschließlich die Familien der Missionare waren. Abgesehen von der feindlichen Haltung im Moment wäre eine gemeinsame Veranstaltung völlig unmöglich gewesen. Die strengen Geistlichen lehnten jede Art von Spiel und Tanz als Sünde des Fleisches gegen den Geist ab.

Andererseits lag aber den Franzosen daran, den Eingeborenen und besonders natürlich den Missionaren zu beweisen, daß sie durch die Engländer in keiner Weise eingeschüchtert waren. So waren kaum vierzehn Tage nach den geschilderten Ereignissen vergangen, als Madame Belard darauf bestand, einen Ball zu geben. Allerdings blieb ihr dabei nichts anderes übrig, als auch eingeborene Frauen einzuladen. Bis zuletzt hatte sie sich dagegen gesträubt. Man konnte ja die geachtetsten heraussuchen, aber der Ball bekam dadurch einen etwas wilden Charakter. Auch dabei wirkten die Missionare störend, denn sie übten auf den weiblichen Teil der Bevölkerung Tahitis einen starken Einfluß aus. Den Töchtern der Häuptlinge wurde der Tanz als etwas Sündiges geschildert und von ihren strengen Lehrern bei Strafe verboten. Selbst Sadie fürchtete den Unwillen der Geistlichen. Erst als sie sah, daß René fest darauf bestand, fügte sie sich in seinen Wunsch. Aber das Herz schlug ihr dabei wild, als sie ihre Einwilligung gab. Sie hatte das Gefühl, daß sie eine unrechte Handlung beging.

Trotz aller Hindernisse konnten die Belards jede Schwierigkeit überwinden. Die Franzosen wollten tanzen, und da mußten es schon stärkere Dinge sein als die Predigt eines Missionars, um sie daran zu hindern. Mr. Belard gab einen Ball, und alle Franzosen Papeetes sowie die Offiziere der noch im Hafen liegenden »Jeanne d'Arc« wurden eingeladen.

Sadie fürchtete sich aus einem ihr unbekannten Grund vor dem Abend. Sogar Mr. Nelson hatte seine Einwilligung gegeben, daß sie an der Gesellschaft teilnehmen durfte. Außerdem war auch Lefevre mit Aumama eingeladen. Monsieur Belard brauchte Damen zum Tanz, und da konnte sie sich nicht ausschließen, konnte René nicht kränken. Viele Vorbereitungen brauchte sie nicht. Ihre Tracht nach europäischem Schnitt war einfach, frische Blumen im Haar schmückten sie schöner als Diamanten oder Perlen.

Monsieur Belard wohnte in einem reizenden kleinen Gartenhaus in der Broomroad, der nächsten Querstraße vom Strand, tief versteckt zwischen breitblättrigen Brotfruchtbäumen und Papayas. Das Haus war leicht und luftig gebaut, hatte aber doch schon Glasfenster und grüne Jalousien und eine breite, hohe Veranda. Dazu gehörte auch ein großer, hoher und bequemer Saal, der heute mit Blumen und Palmenzweigen hübsch dekoriert war. Merkwürdig stachen dagegen die Sachen ab, die sich in die Südsee verirrt hatten. Die Möbel wirkten zusammengewürfelt, zum Teil europäischen Ursprungs, zum Teil aus heimischem Holz gefertigt. So stand auf einer gelb gebeizten Kommode zwischen Manila-Perlmuttmuscheln und den blank polierten Zähnen der Spermacetifische eine Alabasteruhr. Ein kleiner Mahagoni-Eckschrank wurde durch ein paar hübsche französische Porzellanvasen mit duftenden Orangenblüten geschmückt. An der einen Wand standen zwei hervorragend gepolsterte und mit Damast überzogene Sofas. Ein schmaler Tisch aus Tannenholz füllte eine Ecke und war mit den Früchten des Landes reich gedeckt.

René und Sadie wurden von Madame Belard in ihrer lebendigen, aber doch herzlichen Weise empfangen. Auch die Offiziere der »Jeanne d'Arc« waren eben eingetroffen. Das Vorstellen ging rasch und ungezwungen vorüber. René hatte schon einige früher kennengelernt und wurde überall freundlich begrüßt. Madame Brouard war noch nicht erschienen, und da Madame Belard anderweitig in Anspruch genommen wurde, stand Sadie etwas verlegen allein. René mußte viel mit den Offizieren besprechen, und so suchte Sadie vergeblich einen Bekannten. Da wollten gerade Mr. und Mrs. Noughton an ihr vorübergehen. Mrs. Noughton drehte den Kopf zur anderen Seite und sah Sadie nicht. Die arme kleine Frau stand einen Augenblick schüchtern und unschlüssig da, ob sie die stets etwas kalte Fremde ansprechen sollte. René ging mit zwei Offizieren den Saal hinunter und ließ sie völlig allein.

»Madame Noughton«, sagte sie leise und berührte mit ihrer Fingerspitze den Arm der dicht an ihr vorübergehenden Frau.

Mrs. Noughton drehte langsam den Kopf und sah sie an.

»Ich freue mich, Sie auch hier zu treffen«, sagte Sadie.

Mrs. Noughton neigte höflich ihren Kopf zu ihr. Mr. Noughton machte eine etwas steife Verbeugung. Dann gingen die beiden, ohne ein Wort mit ihr gewechselt zu haben, zum anderen Ende des Saales. Sadie stand wie festgewurzelt, und das Herz schlug ihr ängstlich.

»Sie werden mich in den fremden Kleidern nicht erkannt haben«, sagte sie leise zu sich selbst und lächelte unwillkürlich. »Sie haben geglaubt, es wäre eine Fremde, oder...« In diesem Augenblick stieg ihr das Blut in den Kopf, und sie hätte viel dafür gegeben, wenn sie jetzt in ihrem Haus bei ihrer kleinen Sadie gewesen wäre und nicht in dieser fremden, kalten Gesellschaft. Aber das ging nicht. Als sie sich wieder etwas gefaßt hatte und sich umsah, bemerkte sie, wie Mr. und Mrs. Noughton allein und steif auf Stühlen saßen und starr vor sich hinsahen. Da begann plötzlich das im Nebenzimmer aufgestellte Musikkorps der »Jeanne d'Arc« zu spielen. Zahlreiche Gäste traten gleichzeitig in den Saal, unter ihnen mehrere bekannte Gesichter. Eine Hand legte sich plötzlich auf ihre Schulter. Es war Aumama, die ihr lachend ins Gesicht sah. Mit dem freundlichen Blick verschwanden aber auch die trüben Schatten sofort wieder.

»Warum sitzen die beiden da drüben so allein und steif?« flüsterte Aumama, die bemerkt hatte, daß Sadie zu ihnen hinübersah. »Sie sind so still und ehrbar, als ob sie in der Kirche sitzen. Mr. Aue könnte nicht steifer sitzen!«

Sadie lächelte und drehte den Kopf ab. Ihr kam es so vor, als ob sich die beiden Leute nur so steif und abgeschlossen hingesetzt hatten, um nicht mit ihr zu sprechen. Was hatte sie ihnen getan? Endlich sprach sie zu ihrer Freundin.

»So, Aumama, du bist also auch zu den Fremden gekommen. Ich dachte, du fühlst dich nicht wohl zwischen ihnen?«

»Nein, das tue ich auch nicht!« antwortete flüsternd die junge Frau. »Ich habe zu Hause geweint und gezankt, ich wollte lieber dort bleiben. Aber Lefevre...« Sie drehte den Kopf zur Seite und sagte nach einer Pause: »Es ging nicht anders.«

»Ich wäre auch lieber zu Hause geblieben.«

»Mir ist meine Tracht eigentlich noch nie aufgefallen. Ich habe das lange, weite Oberkleid eigentlich immer für überflüssig gehalten. Aber heute komme ich mir so fremd und unbedeutend vor, als ob ich nicht zwischen diese herausgeputzten Leute gehöre!« sagte Aumama und blickte sich verlegen um. »Sie sind mit allem behangen, was die fremden Kaufleute in ihren Läden haben, und ich bin barfuß und kann noch nicht einmal ihre Sprache sprechen. Ob ihnen wohl auch so zumute war, als sie zum erstenmal unser Land betreten haben? Bei dir ist es wohl ganz anders, du hast dich schon ganz ihrer Tracht angepaßt.«

»Wohl ist mir hier auch nicht. Aber ich fühle, daß es nicht anders geht, vielleicht fügst du dich auch hinein«, sagte Sadie kopfschüttelnd.

»Nein, nie im Leben. Je mehr ich mit den Fremden in Berührung komme, um so mehr fühle ich, daß wir nicht füreinander gemacht sind. Sie sind stolz, aber worauf? Sie tragen Schuhe, weil sie mit ihren dünnen Fußsohlen nicht unsere Korallen betreten können. Ich habe neulich gesehen, wie die Frauen badeten und keinen Schritt auf dem scharfen Boden gehen konnten. Deshalb stecken sie ihre Füße in diese Hüllen, und ich soll mich schämen, weil ich sie nicht trage, weil ich da gehen kann, wo sie es nicht können?«

»Aber du tust es doch?« sagte Sadie lächelnd.

»Weil wir dumm sind und das Fremde höher achten als unsere eigenen Sitten. Sieh mal, was für goldblitzende Kleider die Feranis von dem Schiff draußen tragen«, unterbrach sie sich jetzt selber, als ihr die blitzenden Uniformen der Offiziere auffielen. »Das sind doch nun auch Christen, Sadie, und vielleicht gute Menschen. Dabei tragen sie bunten Staat, und uns verbieten die Mitonares jeden Schmuck.«

»Wir wissen auch nicht, ob es sündhaft ist, so viel Gold und Putz zu tragen, wenn wir zu Gottes Altar gehen. Aber die Männer dort beten vielleicht nie, da können sie tragen, was sie wollen. Aber sie drehen wieder hierher um, und da kommt auch Madame Belard. Sie ist die freundlichste von allen fremden Frauen.«

Das Gespräch der beiden Frauen wurde hier unterbrochen. Rasch hintereinander betraten mehrere Gäste den Saal. Einige von ihnen hatten ebenfalls eingeborene Frauen und begrüßten die beiden Freundinnen herzlich. Das war eine bunte Gesellschaft! Die Offiziere der Korvette erschienen natürlich in ihrer Uniform. Mr. Noughton, Mr. Belard und Brouard sowie René und einige andere waren im schwarzen Frack. Das kam besonders den einheimischen Frauen und Mädchen merkwürdig vor. Sobald es heimlich geschehen konnte, kicherten und flüsterten sie untereinander.

Ein großer Teil der anderen Gäste war jedoch leicht und bequem gekleidet wie es das Klima auch eigentlich erfordert. Sie trugen helle Sommerstoffe, die weit und luftig verarbeitet waren. Strenge europäische Etikette konnte man hier auch nicht pflegen, denn mehr als zwei Drittel der Frauen gehörten der eingeborenen Rasse an. Sie hatten nur teilweise Schuhe und Strümpfe an, sonst aber nur über dem Pareu das weite, lose Obergewand und dazu nackte Füße.

Aumama war der Typus dieser schönen Schar. Sie trug einen Pareu aus einem halbseidenen, mattgrünen Stoff, der mit tiefroten Fäden durchzogen und gemustert war. Es war nur ein Stück Stoff, das um die Lenden geschlagen und an der linken Seite eingesteckt wurde. Darüber trug sie das durch die Europäer und wahrscheinlich durch die Missionare eingeführte Obergewand, das man offen trug. Die langen Ärmel wurden an den Handgelenken geknöpft, das Teil selbst fiel bis über die Knie herab. Es bestand aus feinem französischem Stoff, durch einen rotseidenen, dünnen chinesischen Schal im Gürtel zusammengehalten. Dadurch wurden die Formen des Körpers mehr verraten als verhüllt. Das schwarze, lockige und seidenweiche Haar wurde mit wohlriechendem Kokosnußöl getränkt und mit einem Gewebe aus einem Schlinggewächs und Orangenblüten geschmückt. Ihre goldenen Ohrringe wurden fast von den darüber hängenden Knospen des Cape Jasmin überdeckt. Aumama, die »Behende«, wie sie in der bilderreichen Sprache ihres Landes hieß, war eine der schönsten Frauen der Insel. Wie bei den meisten Frauen wirkte ihre dunkle Haut sehr vorteilhaft. Die großen, lichtklaren und diamantgleichen schwarzen Augen glühten über den von einem zarten Rot angehauchten, lichtbronzenen Wangen.

Mehrere andere eingeborene Frauen waren ähnlich wie Aumama gekleidet. Ihre Gewänder hatten einen ähnlichen Schnitt. Die Stoffe wurden von Walfängern oft aus Frankreich, Deutschland oder England mitgebracht. Zwei der Frauen hatten sich so weit zivilisiert, daß sie Strümpfe und Schuhe trugen, aber das war ihnen nicht sehr bequem. Ständig scharrten sie beim Gehen mit den Füßen, sie waren noch nicht gewohnt, sie hoch genug zu heben. Auch die Strumpfbänder schienen sie zu drücken, denn wenn sie unbeobachtet waren, zerrten sie ständig an ihren Röcken.

Sadie schien als einzige von den eingeborenen Frauen sich in die fremde Kleidung gut eingepaßt zu haben. Sie bewegte sich darin mit solcher Leichtigkeit, als hätte sie nie etwas anderes getragen. Trotzdem war sie fast genauso einfach gekleidet wie die anderen. Ihr schlichtes Oberkleid bestand aus ungebleichter Seide, die rote Schärpe war geknüpft wie bei Aumama, nur der Schnitt des bis auf die Knöchel reichenden Kleides anders. Die niedlichen, in weißen Strümpfen steckenden Füße mit den dünnen Lederschuhen waren gerade noch sichtbar. In den Haaren trug sie einen zierlichen Kranz aus Mandelblüten, um den Hals eine einfache Schnur mit roten Korallen.

Von der »Jeanne d'Arc« war bis jetzt nur der Kapitän mit dem Ersten Leutnant und einigen Seekadetten anwesend. Der Zweite Leutnant hatte noch an Bord zu tun und wurde mit einigen anderen Offizieren später erwartet. René war mit dem Kapitän der Korvette schon seit einiger Zeit gut bekannt. Jetzt ging er mit ihm im Saal auf und ab. In diesem Augenblick erschien der Zweite Leutnant, Monsieur Bertrand, und ging sofort zu seinem Kapitän, um ihm eine Meldung zu überbringen. René trat ein paar Schritte zur Seite, um nicht störend zu wirken. Unwillkürlich haftete sein Blick aber auf dem jungen Mann, der ihm bekannt vorkam. Aber er konnte sich nicht erinnern, wo er ihn schon einmal gesehen hatte.

Eben drehten sich die Offiziere zu ihm um, und der Kapitän wollte die beiden Männer einander vorstellen. Da riefen beide gleichzeitig ihre Namen aus und lagen sich in den Armen.

Sie waren seit frühester Jugendzeit Schulkameraden, und da läßt es sich denken, mit welchem Jubel sie sich begrüßten.

Wir können uns wohl losgerissen haben von allem, was uns einmal lieb und teuer war, und hören gleichgültig zu, wenn die alten, vertrauten Orte und Namen von Fremden genannt werden. Im Herzen zittert und zuckt es vielleicht nur ein wenig, lang verklungene Saiten wurden berührt. Unsere Nerven mögen aus Eisen sein und alles ertragen. Aber wenn ein Bild aus der Vergangenheit lebendig vor uns auftaucht, dann ist es vorbei mit der Beherrschung. Die erstarrte Träne schmilzt, und das Heimweh rüttelt vielleicht zum erstenmal in unserem Herzen.

Die beiden jungen Männer schienen auch in dem Augenblick der Wiedersehensfreude alles um sich zu vergessen. Aber die Stimme des Kapitäns brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Ich glaube, die Vorstellung kann ich mir sparen! Sie scheinen sich besser zu kennen, als ich vermuten konnte!«

»Ja, das stimmt wirklich. Ich konnte nicht annehmen, hier einen so alten, lieben Jugendfreund zu finden, und deshalb ist auch die Überraschung so groß ausgefallen!«

»Gut, Bertrand, dann unterhalten Sie auch Ihren Freund etwas. Aber vergessen Sie nicht, um elf Uhr. Sie bekommen vorher Nachricht, wenn er bis dahin noch nicht eingefangen ist.«

»Ich erwarte den Führer der Patrouille hier.«

»Um so besser. Aber da drüben sehe ich ein paar Damen eintreten, denen ich guten Abend sagen muß. Ich werde Sie nachher bitten, mir mehr über Ihr Zusammentreffen zu berichten.« Mit einer freundlichen Verbeugung verließ der Kapitän die beiden Männer. René und Bertrand traten an eines der Fenster.

»So habe ich dich also wie einen Flüchtling wieder eingefangen, René! Niemand konnte dich damals mit deinen wilden Ideen aufhalten. Wo hast du dich so lange herumgetrieben? Du bist ja braun wie ein Indianer!«

»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich hatte es schon aufgegeben, noch einmal einen Freund aus der alten Welt wiederzutreffen. Die Zeit die ich hier schon lebe, kommt mir jetzt wie eine Ewigkeit vor, und doch ist sie so schnell verflogen. Oh, Bertrand, du mußt mir viel von daheim erzählen, wie ihr dort lebt – oder nein, lieber nicht. Die Heimat liegt hinter mir, und es ist vielleicht besser, wenn ich nicht die Schlösser löse, die mir das alte Bilderbuch meiner Jugend so freundlich und fest verschlossen halten. Ich bin fertig mit Frankreich, aber von dir möchte ich hören, wie es dir geht, was du treibst und was du hoffst. Denn nach der Hoffnung eines Menschen beurteilt sich der Mensch selbst am besten.«

»Warum bist du mit Frankreich fertig? Unsere Schiffe haben sich jetzt Bahn zu diesem fernen Punkt gebrochen. Nur wenige Monate, und wir landen wieder in der Schallweite unserer alten Kirchenglocken! Es mag ein Paradies, sein, was dich hier umgibt, aber kann es dir den Reiz der Heimat ersetzen? Du bist ein so unruhiger Geist, ein Flüchtling auf fremdem Boden. Ich bin Seemann, René, und das Meer sollte meine Heimat sein. Die Zeit, die ich auf dem Festland verbringe, ist meiner Pflicht meistens abgestohlen. Und doch hänge ich mit jeder Faser an meiner Heimat. Wenn der Bug des Schiffes heimwärts gedreht wird, gibt es mir ein ganz eigenartiges Gefühl, wie eine Krankheit, die erst behoben ist, wenn ich an Land springe.«

René hatte mit einem leisen, fast wehmütigen Lächeln seinem Freund zugehört.

»Solange du frei in der Welt umherstreifst, zeigt der Kompaß in dir immer in Richtung Heimat, ganz gleich, was du dort erlebt hast. Aber es gibt trotzdem einen Fall, wo ein Mensch selbst die Heimat vergessen kann und trotzdem glücklich ist.«

»Niemals!« sagte Bertrand rasch.

»Ich bin verheiratet!« sagte René leise.

»Du? Verheiratet? Mit wem? Wo? Wann?«

»Zuerst zeige ich dir meine kleine Frau«, lächelte René. »Ich brauche vielleicht nur den einen Beweis, um dich zu überzeugen, daß du unrecht hast. Dann erzähle ich dir meinen – na, Lebenslauf kann ich wohl kaum sagen, eher meine Abenteuer. Das Schicksal hat mich im wilden Spiel einem entzogen, um mich in das nächste zu stürzen. Dann fand mein schwankender Kahn einen Hafen, der ihm Glück und Ruhe brachte, und den verlasse ich nicht wieder. Ich kenne die Stürme, die draußen wehen, und bin es müde geworden, ihnen immer wieder die Stirn zu bieten.«.

»Und deine Frau? Warum will sie nicht mit dir zurück?«

Die Trompeten schmetterten in diesem Augenblick den Beginn des Tanzes, und René sah sich nach Sadie um. Schon wirbelten die Paare vorüber, und die junge Frau stand an der anderen Seite des Saales neben Aumama. An ihrer Seite stand aber jetzt Monsieur Brouard und legte seinen Arm um ihre Taille. Sadie versuchte, sich zu befreien und widerstand den Aufforderungen zum Tanz.

Wie ein Stich zuckte es durch Renés Herz. Er wußte selbst nicht, weshalb, aber das Blut schoß ihm in die Stirn. Bertrand war seinem Blick gefolgt und sah jetzt wieder zu ihm.

»Deine Frau?«

»Siehst du sie nicht da drüben, wie sie sich ziert?« lachte René und legte die Hand auf die Achsel des Freundes.

»Die Insulanerin?« rief der Offizier fast erschrocken und so laut, daß sich die nächsten Tänzer umdrehten und selbst Sadie ängstlich zu René hinübersah.

»Die Missionare stecken ihr noch etwas in den Füßen«, fuhr René wie entschuldigend fort. »Aber – gefällt sie dir nicht?«

»Sie ist ein schönes Mädchen, so schön wie der sonnige Himmel über ihrem Heimatland«, sagte der junge Mann plötzlich ganz still und ernst.

»Und warum seufzt du deshalb so schwer?« erkundigte sich René lachend.

»Warum befreist du sie nicht von dem alten Kerl, der sie da quält und peinigt?« sagte Bertrand rasch. »Sie hat ihm schon zweimal den Tanz abgeschlagen, und er läßt sie noch immer nicht in Ruhe. Bei einer weißen Dame würde er das nicht versuchen!«

»Du hast recht!« sagte René und trat einen Schritt vor. Dann setzte er lächelnd hinzu: »Es ist einer meiner Freunde und kennt Sadie und den puritanischen Geist, der sie manchmal noch vor unseren Gewohnheiten zurückschrecken läßt. Doch komm, wir dürfen uns der Gesellschaft nicht so lange entziehen. Madame Belard da drüben – halt! Wer ist die junge Dame, die dort mit deinem Kapitän tanzt! Ich habe sie noch nie auf Tahiti gesehen.«

»Sie kommt von der Südseite der Insel«, erwiderte Bertrand. »Sie lebt dort in der Familie eines angesehenen Franzosen. Aber deine Frau winkt dir da drüben!«

»Monsieur Brouard wird zudringlich, wie mir scheint«, entgegnete René.

Er biß sich mit einem halb spöttischen Lächeln in die Unterlippe. »Komm mit mir, Bertrand, und ich stelle dich meiner Frau vor.« Er griff den Arm des Freundes und zog ihn zur anderen Seite des Saales hinüber. Sadie konnte sich von dem alten Herrn befreien und kam ihm rasch entgegen.

»Ihre kleine Frau ist entsetzlich spröde! Sie will unter keiner Bedingung mit mir den ersten Walzer tanzen!« rief ihm Monsieur Brouard mit einem verlegenen Lächeln entgegen.

Sadie sah ihren Mann bittend an. René zog lächelnd ihren Arm in seinen und antwortete dann mit einer kalten Verbeugung zu Herrn Brouard:

»Ich habe Sie bis jetzt für unwiderstehlich gehalten, Monsieur, verzeihen Sie dem noch rohen Geschmack der Insulanerin, die sich selbst Ihren unausgesetzten Bemühungen widersetzt hat. Ich hatte schon den ersten Tanz ihr versprochen.«

»Ah, dann bitte ich tausendmal um Vergebung«, sagte der Kaufmann verlegen. Er zog sich zurück, pikiert über die kurze Abfertigung. René kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern stellte sie mit herzlichen Worten seinem Jugendfreund vor.

»Euch beiden erzähle ich nachher voneinander. Jetzt, Sadie, darfst du es mit mir nicht machen wie mit Brouard – nicht wahr, ich bekomme keinen Korb, wenn ich dich jetzt um den Walzer bitte?«

»Aber René, was werden Mr. Nelson und Mr. Dennis sagen, wenn sie erfahren, daß ich hier getanzt habe!« sagte Sadie leise und wurde dabei rot. »Es ist wohl doch nicht richtig von mir, und ich möchte dir aber auch nicht mit meiner Weigerung weh tun.«

»Unsinn, Sadie, wir haben doch die Tänze meines Vaterlandes vor Mr. Osborne getanzt, damals auf Atiu.«

»Auf Atiu«, wiederholte Sadie leise, und das Wort rief liebe Erinnerungen in ihr wach. »Auf Atiu!«

»Der alte Mann hatte seine Freude daran, wenn wir fröhlich waren!«

»Aber, Mr. Dennis... !« sagte Sadie schüchtern.

René zog die Augenbrauen zusammen und sah einen Augenblick finster vor sich nieder. Aber Sadie legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihm mit ihrem bittenden, herrlichen Blick ins Auge. Er sah zu ihr auf, sah das halbe Lächeln in ihren Zügen, und rasch den Arm um sie schlingend, flog er mit ihr den früher oft und gern geübten Tanz dahin in den Reigen der fröhlichen, schwingenden Paare.

Sadie tanzte mit unendlicher Grazie und Leichtigkeit, aber ihr Herz war nicht bei dem Fest. In ihrer Brust wogte und stach es mit vorwurfsvoller Stimme und quälte ihr Herz mit ängstlichen Bildern. Sie hielt sich vor, daß sie jetzt sündigte, und die Stimme des ehrwürdigen Bruders Dennis klang ihr im Ohr. Taumelnd lehnte sie sich an Renés Schulter und bat ihn, sie zu einem Stuhl zu führen.

»Du kannst das rasche Drehen noch nicht vertragen«, sagte der junge Mann lachend. »Nach ein paar Tänzen und einigen schnellen Kreisen legt sich das Schwindelgefühl allein. Es ist eine Art Seekrankheit, die die meisten Menschen überstehen müssen.«

»Ah, Monsieur Delavigne, kommen Sie doch einen Moment hierher!« rief in diesem Augenblick die fröhliche Stimme der Madame Belard. Sie winkte ihm freundlich zu, herüberzukommen. Sadie übergab er deshalb seinem Freund und folgte dem Ruf.


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