Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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4. Der Mi-to-na-re

Es war ein ziemlich langer Marsch durch eine wilde Gegend und oft durch Dickichte, durch die der Flüchtling allein nie einen Weg gefunden hätte. An den Sternen sah er, wie viele Umwege sie machten. Das geschah entweder, um undurchdringliche Stellen zu umgehen, oder auch, um etwaige Verfolger irrezuführen. Endlich erreichten sie wieder eingezäunte Gärten mit Bananen, Brotfrucht, Orangen, Wassermelonen und süßen Kartoffeln. Als die Sonne eben über dem vor ihnen liegenden Wasserspiegel aufstieg, betraten sie eine freundliche Ansiedlung mit Bambushütten, zwischen denen sich sogar einige weißgetünchte Häuser befanden. Sie waren dicht in den Schatten hoher Kokospalmen und breitästiger Brotfruchtbäume geschmiegt und von einer hohen, festen Umzäunung eingeschlossen.

René zögerte, den Ort zu betreten. Er blieb stehen und betrachtete den freundlichen Platz, der wie ein in sich abgeschlossenes Paradies stillen Friedens vor ihm lag. Sadie schaute sich nach ihm um und erkundigte sich, ob er sich fürchte, näher zu kommen.

»Fürchten? Wenn ich mich vor irgend etwas fürchten würde, hätte ich denn diese Insel betreten?«

»Fürchtest du wirklich nichts? Auch nicht Gott?« sagte das Mädchen erstaunt.

Der junge Mann erkannte, daß er ein Feld berührte, das er vermeiden mußte. Sowenig er sich aus irgendeinem Religionsbekenntnis machte, besaß er doch genügend Sinn, die Religion anderer zu achten. Außerdem mochte er dem Mädchen auch nicht mit einer rauhen Antwort weh tun und antwortete deshalb ausweichend: »Ich sprach nicht von Gott, Sadie. Ich meinte die Menschen. Hier wohnt also der weiße Missionar?«

»Hier wohnt er, wenn er auf der Insel ist«, erwiderte das Mädchen. »Gerade jetzt besucht er aber mehrere andere Inseln in Missionsgeschäften. Doch wir erwarten ihn schon seit drei Tagen zurück, und er kann jede Stunde hier wieder eintreffen.«

»Dann wohnt also im Moment kein Missionar auf dieser Insel?« erkundigte sich René fast erfreut.

»Jedenfalls kein weißer Missionar«, antwortete Sadie. »Aber du scheinst dich darüber zu freuen. Ich hatte geglaubt, es würde dich beruhigen, wenn du einen Landsmann in der Nähe weißt.«

»Ihr habt also auch eingeborene Missionare hier?« umging er die Frage durch eine andere. »Sind sie auch auf den anderen Inseln?«

»Nicht auf allen, aber auf vielen. Hier aber wirst du Schutz finden, bis dein Schiff zurückkehrt. Von den Bewohnern der Insel wird es keiner wagen, Hand an dich zu legen, solange du dich in den Mauern dieses Wohnortes befindest. Was deine eigenen Landsleute tun, wenn sie wiederkommen, weiß ich nicht. Ich fürchte aber, sie werden kaum die Heiligkeit dieses Ortes anerkennen, obwohl sie doch dem Namen nach auch Christen sind. Mein Pflegevater hat mir erzählt, daß es auf den Schiffen viele böse, gottlose Menschen gibt und wir Insulaner manchmal viel bessere Christen sind. Aber du gehörst doch nicht zu denen?«

»Oh, dein Pflegevater mag da schon recht haben, denn viel Christentum darf man auf einem Walfänger nicht erwarten. Es sind aber auch viele gute, brave Menschen dazwischen. Ich bin vielleicht leichtsinnig, aber schlecht wohl doch nicht. Das mußt du mir allerdings auf mein Gesicht hin glauben, denn andere Bürgen für mich habe ich nicht.«

Das Mädchen lächelte zufriedengestellt. Jetzt ergriff sie zum erstenmal seine Hand und führte ihn durch eine kleine Gartenpforte. Ein breiter Gang führte sie durch eine dichte Allee regelmäßig gepflanzter Bananen zum Haus. Unter dem vorstehenden Schutzdach konnte René die kleine, etwas wohlbeleibte Gestalt eines Insulaners erkennen. Als er die Gestalt mit einem flüchtigen, forschenden Blick musterte, konnte er ein leichtes Lächeln kaum verbergen. Unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß der Mann, wenn der Geist und die Zivilisation zu ihm von oben gekommen seien, mit den Beinen noch im Heidentum stecke.

Der kleine, gelbbraune Missionar sah auch in seiner halb frommen, halb wilden Tracht eigentümlich genug aus. Er war ohne Hut, seine Haare im Gegensatz zu den Insulanern kurz abgeschnitten. Dann trug er ein weißes, baumwollenes Hemd und eine weite Halsbinde aus Leinen sowie eine hellgelbe Weste mit blanken Knöpfen. Darüber, und keineswegs passend zum Klima, einen schwarzen Frack. So weit war also der Geist gekommen, darunter aber fing wieder der Heide an. Der Mann konnte sich zwar an die fremde Religion, aber nicht an Hosen gewöhnen. So hatte er um seine Lenden ein Stück rot und gelb gefärbten Kattun gewickelt, der freundlich gegen den schwarzen Rock abstach. Die Beine trug er vollkommen nackt. Unter dem Kattun sah man noch die alten, heidnischen Tätowierungen früherer Zeiten. Sie wirkten auf René wie scheu, von dem christlichen Kleidungsstück bedroht.

Der kleine Mann schien über den Besuch erstaunt und auch nicht besonders erfreut. Sadie erzählte ihm in seiner Sprache mit kurzen Worten die Ereignisse und bat ihn dann um seinen Schutz für den Verfolgten. René kam es vor, als hätte er zunächst einige Einwände, und dabei kam das Wort »Mitonare« sehr häufig vor. Sadie oder Pu-de-ni-a, wie sie der kleine Missionar in seinem merkwürdigen Kauderwelsch nannte, konnte allen Ausflüchten begegnen. Da er selbst gutmütig und auch gastfrei war, schien er sich endlich zu fügen. Er streckte dem jungen Mann mit einem halb freundlichen, halb salbungsvollen Blick die dicke, fette Hand entgegen. Dabei entdeckte René auch dort noch Tätowierungen. In einer Sprache, die wohl Englisch sein sollte, aber meistens in Tahitisch auslief, sprach er René an.

»Gu day bodder – gu day – a heare mai – gu fend here – ehoa ino – very gu fend –« Dann folgte noch eine längere Auseinandersetzung, jetzt auf einmal in reinem Tahitisch, als ob er annahm, daß der Fremde durch die einleitenden Worte in seiner eigenen Sprache nun gut vorbereitet war in der einheimischen.

Sadie, die ihr Lächeln kaum verbergen konnte, sah, wie der Fremde verlegen vor ihm stand und nicht richtig wußte, wie er sich verhalten sollte, übersetzte schnell und bat ihn, in das Haus zu treten, um sich mit Speise und Trank zu stärken und von den überstandenen Strapazen auszuruhen.

»Wie kann ich erfahren, was aus dem Schiff geworden ist, das vielleicht gerade jetzt von der anderer Seite wieder auf die Insel zusegelt?«

»Kümmere dich nicht darum. Ich habe eben einen Jungen zu der nächsten Bergspitze ausgesandt, von wo aus er das Meer überblicken kann. Er bringt uns Nachricht, ob das fremde Segel noch in der Nähe ist. Jetzt ins Haus. Wie ich schon gesagt habe, bist du hier sicher, bis das Schiff zurückkehrt. Selbst dann finden wir vielleicht noch Mittel, um dich zu verbergen.«

Der kleine Mann hatte sich René gegenüber als »Mi mitonare – mi mitonare!« vorgestellt. Er eilte ihnen jetzt geschäftig voran. Obwohl heute wirklich ihr Sonntag war,Außer auf Tahiti und Imeo (Eimeo) wird der Sonnabend anstelle des Sonntags gefeiert, denn die ersten hier eingetroffenen Missionare waren um das Kap der guten Hoffnung gekommen und hatten dadurch die Datumsgrenze überschritten, ohne es zunächst zu bemerken. Sie behielten ihre eigene Zeitrechnung bei, nur auf Tahiti und Imeo änderten sie die Franzosen später ab. brachte er eigenhändig Teller und Bestecke. Sie ruhten wenig benutzt in einer tiefen Schrankecke. Dann folgten kaltes Fleisch, Früchte und Kokosmilch. Nochmals lud er den jungen Mann freundlich eine sich niederzusetzen und nach Herzenslust zuzulangen.

René sah erst Sadie an und dann das Essen. Er schämte sich, sie neben sich zu bitten, und hätte es trotzdem gern getan. Das schöne Mädchen erriet, was er wollte, schüttelte lachend den Kopf und war im nächsten Augenblick durch die offene Tür verschwunden.

Der kleine Missionar begann eine Unterhaltung, die René zu jeder anderen Zeit amüsiert hätte. Jetzt aber hatte er wirklich großen Hunger, und die ständigen Fragen des Kleinen und das Kauderwelsch forderten seine ganze Aufmerksamkeit, die er viel lieber ungestört dem kalten Schweinebraten und den saftigen Früchten gewidmet hätte. Der Missionar ließ aber nicht nach und erkundigte sich nach allen Dingen, die den Fremden betrafen. Zunächst wollte er natürlich seinen Namen erfahren, der kurz und einfach genug für ihn war. Dann wollte er den Namen des Schiffes wissen, wohin es gesegelt sei und was sie gesehen hätten. Durch den weißen Missionar hatte er etwas Geographie gelernt und kannte die Hafenstädte der englischen und amerikanischen Küste. Er schien sich ungemein zu freuen, als René einen ihm bekannten Namen, Boston, erwähnte. Er nannte den Hafen hartnäckig bo-son.

Wichtigstes Anliegen des kleinen, unermüdlichen Mannes war aber herauszubekommen, welches Land sein Heimatland und was für eine Religion der Flüchtling hatte. Aber René tat sich keinen Gefallen, als er sich kurz und knapp als Franzose bezeichnete.

»Ein Wi-wi?« sagte der kleine Mann etwas erstaunt, zog die Augenbrauen in die Höhe und spitzte den Mund. »Wi-wi? Hmmh!«Spottname dieser Inseln für die Franzosen nach ihrem häufig gehörten »oui, oui – ja, ja!«

»Wi-wi?« entgegnete René, der diesen Ausdruck nicht erkannte. »Was wi-wi? Frenchman, Français, ferani!« Er überlegte, was der Missionar wohl mit der merkwürdigen Bezeichnung meinte. Vielleicht ein Eigenname der Franzosen?

»Viele Wi-wis in Tahiti! Keine Christen, wi-wis!« sagte der Missionar.

»Keine Christen? Na, ich weiß ja nicht! Einige sind wohl schon darunter, die sich so nennen!« antwortete René und lachte.

»Es, Christen, aber keine guten, aita maitai!« nickte der unverwüstliche Kleine. –

Jetzt erst begriff René, worauf der protestantische Missionar hinauswollte. Er mußte natürlich glauben, was ihm die protestantischen Geistlichen über die Religion der anderen Weißen, die sich ebenfalls Christen nannten, erzählt hatten. Er hütete sich aber, auf irgendeinen religiösen Streit einzugehen, und beschränkte sich darauf, ihm zu erklären, daß er nicht wisse, was es für Christen auf Tahiti gäbe. Er sei noch nie dort gewesen, in seinem Vaterland gäbe es aber sehr gute, fromme Christen. Zum Ergötzen des kleinen Mannes nannte er dabei Frankreich jetzt selbst »Wi-wi«.

René hätte vielleicht noch zahlreiche andere Fragen beantworten müssen, wenn nicht gerade jetzt vor der Tür eine kleine Glocke geläutet hätte. Gleichzeitig erschien Sadie wieder, und René sprang mit einem Freudenruf auf.

Das junge Mädchen bot in seiner Sonntagskleidung einen besonders hübschen Anblick. Sie bestand aus einem langen, faltigen Gewand, das ihr von den Schultern bis auf die Knöchel niederfiel. Von einer rotseidenen Schärpe wurde es zusammengehalten. Die Haare hatte sie wieder frisch mit wohlriechendem Öl getränkt und die langen, vollen Locken gekämmt, so daß sie ihr bis auf die Schultern herabfielen. Keine Blume schmückte sie jetzt, sondern nur eine dünne Schnur, aus den Erhöhungen einer reifen Ananas geschnitten, zog sich um ihr Haar und die Stirn, um die wilden Locken etwas zu bändigen. In der Hand hielt sie ein kleines Buch mit goldenem Schnitt, ein englisches Neues Testament. Sie sah jetzt so mädchenhaft fromm und schüchtern aus, daß René sie kaum wiedererkannt hätte. Und doch war sie jetzt noch schöner als in dem Augenblick, als sie mit ausgestrecktem Arm ihre Landsleute beschimpft hatte.

»Wie schön du bist, Sadie!« rief René fast unwillkürlich aus und streckte ihr seine Hand entgegen.

»Nicht Sadie jetzt«, sagte das junge Mädchen und schüttelte den Kopf. »Prudentia heiße ich, denn ich gehe jetzt zu meinem Gott, durch dessen heiliges Wasser ich den Namen bekommen habe. Aber hier, mein Freund, nimm das hier und lese darin, während wir in der Kirche für dich und dein Wohl beten wollen. Es ist ein gutes Buch und wird dich trösten.«

Es lag etwas Rührendes in ihrem Ton, und René nahm das Buch an. »Ich danke dir, Sadie, du mußt mir schon erlauben, dich so zu nennen. Das andere Wort will mir nicht über die Lippen. Du bleibst doch nicht zu lange?«

»Vielleicht nur zu kurze Zeit für so schwere Sünder, wie wir es sind!« antwortete das Mädchen ernst und traurig. »Aber keine Sorge. Von der anderen Seite der Insel sind eben Männer zur Kirche gekommen. Sie haben berichtet, daß dein Schiff nirgends zu sehen ist. Es ist weit nach Westen gegangen und braucht lange Zeit, wenn es gegen den Wind wieder hierher will. Bleibe aber im Haus und zeige dich nicht den Leuten draußen. Wir sprechen später darüber, jetzt darf ich nicht an weltliche Dinge denken. Ich dachte aber nur deinetwegen daran«, setzte sie hinzu und errötete dabei wieder.

Auf den kleinen Mitonare hatte der Glockenton ebenfalls eine fast zauberhafte Wirkung. Noch lachte er über den Fremden, als der erste Glockenton erklang. Wie ein Schüler, den der strenge Blick seines Lehrers traf, zog sich, nein, zuckte sein Gesicht förmlich in ehrbare Falten, die ihm fast noch komischer standen als vorher das Lachen. Er erhob sich hastig, ergriff seine Bücher – alle in die tahitische Sprache durch die Missionare übersetzt – und sagte zu Sadie einige Worte. Dann verließ er mit langsamen Schritten das Haus.

René blieb allein zurück. Sadie hatte ihn heute absichtlich nicht aufgefordert, sie in die Kirche zu begleiten. Sie hätte sonst nicht darauf verzichtet, aber heute waren zu viele Insulaner anwesend, die bei seiner Verfolgung dabei waren. Sadie wollte nicht schon heute beide Parteien wieder in Berührung bringen. Der Aufenthalt des Fremden konnte allerdings kaum lange Zeit geheim bleiben, wie sie recht gut wußte. Es war sogar fraglich, ob er es jetzt noch war. Den Frieden des Missionsgebäudes störten aber selbst die Verhärtetsten ihres Stammes nicht so leicht, und sie glaubte den von allen verlassenen Fremden wenigstens hier sicher.

René warf sich auf eine der überall in dem hohen, luftigen Gebäude ausgebreiteten Matten und lag lange in tiefem Brüten über die letzten, für ihn so verhängnisvoll verlaufenen Stunden. Er war einer unmittelbaren Gefahr entgangen. Aber kam das Schiff zurück – und er zweifelte kaum daran, daß der Kapitän wenigstens noch einen Versuch machen würde, um ihn wieder zu bekommen –, wie sollte er sich dann retten? Er konnte auch kaum hoffen, von einem englischen und protestantischen Missionar beschützt zu werden. Wahrscheinlich war es das beste, wenn er weder Schiff noch Missionar abwartete und so rasch wie möglich die Insel wieder verließ. Und Sadie? Ob sie ihn begleiten würde? Er erschrak vor dem Gedanken, sie zurückzulassen. Dabei mochte er sich kaum eingestehen, wie sehr dieses schöne Mädchen schon sein Herz gefesselt hatte.

»Das ist Unsinn, ja Wahnsinn, jetzt an Liebe zu denken, wo du noch nicht einmal eine Heimat hast. Sei vernünftig, René! Hier an die Inseln geworfen, hat das erste hübsche Gesicht, das dir in den Weg kam, dein leicht entzündbares Herz in lichterlohe Flammen versetzt! Das ist ein Strohfeuer und brennt in der ersten Woche ab.«

Er stützte den Kopf auf und schlug das Buch auf, das noch immer vor ihm lag. Aber die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen. Zwischen jeder Zeile sah er wieder ihr Gesicht vor sich, und weder Lukas noch die Korinther konnten den Zauber lösen, der seine Seele mit der wilden Glut plötzlicher, gewaltig erwachter Liebe entzündet hatte.

Der Tag verging ihm langsam. Sadie kehrte mit dem kleinen Missionar gegen Mittag zurück. Aber es war Sonntag. Kein Lächeln stahl sich über ihre Züge. Selten oder kaum einmal begegnete ihr Blick seinem, und die Stunden flossen für ihn träge unter Gebeten und Hymnen dahin.

Schon vor Tagesanbruch war er am nächsten Morgen auf, badete in dem kristallklaren Wasser der Korallenbänke, und wartete dann sehnsüchtig auf die Rückkehr Sadies, die aber heute sehr lange fortblieb. Vergeblich erkundigte er sich bei dem Mitonare.

»Pu-de-ni-a?« sagte der kopfschüttelnd und in seinem rätselhaften Englisch. »Der Herr weiß, wo man das Mädchen suchen soll, wenn man sie haben will. Pu-de-ni-a ataetai, wie kleine Eidechse, hier im Laub und da im Laub, kann sie nicht fassen, ist weg unter den Augen.«

Der Kleine schien heute besonders zu einer Unterhaltung aufgelegt. Er lehnte sich auf seine Matte zurück, faltete die kurzen, dicken Finger auf dem runden Magen und begann wieder in herablassender Weise Fragen an den jungen Mann zu stellen. Dabei blieb René oft kaum Zeit, den Sinn zu verstehen, da kam schon die nächste, ohne die Antwort erst abzuwarten. Er trug aber heute weder den schwarzen Rock noch die hellgelbe Weste mit den blanken Knöpfen. Selbst das weiße Halstuch lag auf einem kleinen Bücherbrett, sorgfältig in ein Stück gelbes englisches Packpapier gewickelt. Seine Bewegungen wirkten dadurch freier, und er schien mit dem Frack auch den ganzen »Mitonare« ausgezogen zu haben.

Er erzählte jetzt René, daß er noch vor zehn Jahren ein entsetzlicher Heide war, der glaubte, daß das höchste Wesen Taaroa und nicht Gott hieß, seinen Götzen Früchte und Schweinefleisch zum Opfer brachte und Gefallen an den sündhaften Tänzen der eingeborenen Mädchen fand. Mitonare O-no-so-no hatte ihn aber gerettet. Sein Vater und sein Großvater waren alle in der Hölle, konnten aber nichts dafür, denn sie waren aus Versehen dorthin gekommen. Er hatte sich sogar tätowieren lassen. Als er sah, daß René bei der Erzählung unbewußt ein erstauntes Gesicht machte, lüftete er mit einer kurzen Bewegung den Kattun. Gleich darauf fiel er aber erschrocken in seine alte Stellung zurück, denn René war bei dieser plötzlichen Enthüllung in schallendes Gelächter ausgebrochen.

Der Missionar wollte böse werden, und René hatte Mühe, ihn wieder zu beruhigen. Von da an begnügte er sich damit, ihm seine Lebensgeschichte ohne Illustrationen zu erzählen.

Ein »Mitonare« hatte es nach seiner Meinung schwer. Nicht der Predigten wegen, sondern mehr wegen des Fracks. Dazu der viele Ärger mit den Mädchen, die junges, leichtsinniges Volk waren. Sie würden immer denken, daß sie in den Himmel kommen, auch wenn sie lustig sind. Aber sie wissen es eben nicht besser. Da in dem Buch stehe alles drin. Ein sehr gutes Buch sei es, ein bißchen dick, aber sehr gutes Buch, und viele schwere Worte darin. Jetzt kam aber bald eine böse Zeit. Weiße Mitonares, vier, fünf, sechs, kamen hier herüber. Sahen zu, ob Mitonare roter Mann viel weiß und kleine Kanakas iti-iti gut unterrichtet hat. Viele schwere Worte auswendig lernen und viel Ärger mit iti-iti. Pu-de-ni-a gutes Kind. So schloß der Mitonare seine Rede und setzte hinzu, sie sei ein wenig wild, ein »bißchen sehr wild für waihini. Mitonare O-no-so-no Tochter. Aber nicht Tochter. Nur so Tochter.« Dabei bemühte er sich in langer Rede und mit großer Anstrengung, René verständlich zu machen, daß sie seine Pflegetochter sei.

Das war etwa der Inhalt seiner Unterhaltung, bei der er fast allein das Wort führte und René nur notdürftig den Sinn verstand, denn der Alte benutzte mehr tahitische Worte als englische, und die waren noch verstümmelt. So wurde für René die Unterhaltung zu einer Folter, und er nutzte die erste passende Gelegenheit, um in den Garten zu gehen. Aber Sadie war nirgends, weder zu hören noch zu sehen. Die Sonne stieg schon ziemlich hoch, und er warf sich ermüdet in den Schatten eines Zitronen- und Orangendickichts. Von dem erhöhten Platz aus konnte er das ruhige Binnenwasser, das die Insel umgab, und die weit draußen von der Brandung hoch umschäumten Riffe übersehen. Dicht hinter dem kleinen Orangenhain lief die Einfassung des Gartens entlang. Gleich von dort stiegen ziemlich steil die nächsten, mit Guiaven- und Zitronenbüschen bedeckten Hügel auf.

Etwa eine halbe Stunde hatte er so gelegen und wilde Luftschlösser gebaut. In reizenden Bildern malte er sich seine künftige Heimat unter wehenden Palmen und duftigen Orangenblüten aus. Sein Kanu schaukelte still und friedlich auf der klaren Flut. Wenn er abends vom Fischfang heimkehrte, winkte ihm ein hübsches Mädchen freundlich von der Bambushütte her ein »Joranna« zu. Doch halt! Das waren Schritte hinter den Orangenbäumen vom Hügel herunter! Ein leichter Sprung über den Zaun, und er fuhr empor. Direkt an ihm vorbei lief die Wirklichkeit seiner schönsten Träume.

»Sadie!« rief er leise.

Mit einem kleinen Schreckensruf warf das Mädchen den Kopf herum, und ihre wilden Locken flatterten. Als sie aber ihren Schützling entdeckte, überzog wieder dunkles Rot ihr hübsches Gesicht. Schnell trat sie zu ihm und reichte ihm die Hand. Er ließ sie nicht los und sah ihr dabei tief in die Augen.

Heute war sie wieder ganz das wilde Mädchen, wie er es zum erstenmal erlebt hatte, als sie wie ein zürnender Geist zwischen Verfolger und Verfolgten getreten war. Das lange Gewand von gestern hatte sie abgeworfen, und das Schultertuch verriet mehr von den üppigen Formen des schönen Mädchens, als es verdeckte. Auch durch die Locken wand sich wieder ein dichter Kranz duftender Blumen, mit einem gefärbten Farn durchflochten. Zwei große weiße Sternblumen staken über ihren Ohren und hoben die Bronzefarbe der Haut noch mehr hervor.

»Wo bist du nur so lange geblieben, Sadie?« erkundigte sich René mit leisem, fast zärtlichem Vorwurf.

»Lange geblieben? Hab ich denn überhaupt kommen wollen? Komischer Mann, woher willst du wissen, wo ich heute schon überall war, und nur deinetwegen?« Zuerst hatte sie bei ihrer Antwort gelacht, aber bei dem letzten Satz errötete sie wieder. Als sie merkte, daß er etwas darauf erwidern wollte, fuhr sie rasch fort: »Komm, ich habe gute Nachrichten für dich, und wir wollen dabei zu meinem Lieblingsplatz auf dem Hügel gehen.«

»Aber ich habe meine Waffen im Haus gelassen«, sagte der junge Mann.

»Du brauchst sie nicht mehr, jedenfalls jetzt nicht. Unser Häuptling hat mir selbst sein Wort gegeben, daß du unbelästigt auf der Insel bleiben sollst, bis das Schiff wiederkommt und dich zurückfordert. Aber selbst dann will er nicht streng gegen dich sein, wenn sie ihn nicht dazu treiben. Er ist ein guter Mann. Erst, seit ihr Weißen uns so viele Sachen herübergebracht habt, ist seine Habgier geweckt und er tut vieles, was er sonst nicht getan hätte. Jeder glaubt, daß er ohne eure Dinge nicht mehr leben könnte.«

»Du bist meinetwegen schon heute morgen auf der anderen Seite der Insel gewesen? Da mußt du ja um Mitternacht aufgebrochen und die ganze Zeit gewandert sein, und das durch diese Wildnis!«

»Ach was!« lachte das Mädchen und warf sich mit rascher Kopfbewegung die Locken um die Schläfe, so daß die losgeschüttelten Blüten auf ihre Schultern fielen. »Ist das der Rede wert? Schon als kleines Mädchen von vier Jahren habe ich den Weg allein gemacht, und jetzt bin ich fünfzehn. Aber gestern durfte ich nicht gehen, da war Sabbath, und ich wollte doch auch nicht, daß du wie ein Gefangener im Haus sitzen mußt. Aber wir wollen hier nicht stehenbleiben. Ich bin müde und will mich dort ausruhen, komm!« Dabei zog sie ihn zur Gartenpforte und links davon einen kleinen Hügel empor. Sie erreichten einen kleinen, ausgebauten Pfad.

Es ließ sich kaum ein lieblicheres Plätzchen denken als das, wohin das schöne Mädchen jetzt den jungen Mann führte. Drei niedrige Palmen mit fast gleich großen Kronen überhingen die kleine Stelle so, daß die schattigen Blätter, weit nach vorn überneigend, die Sonne auffingen. Der Boden war mit einem feinen, wohlriechenden Farn bedeckt. Der duftende Anei und reich mit Blumen geschmückte Büsche bildeten die Rückwand. Mehrere mit Blüten übersäte und zugleich von goldenen Früchten fast niedergedrückte Orangenbüsche bildeten die Seiten, während ein breiter, niedriger Sitz aus feingeflochtenen Matten die freie Aussicht auf das blaue Meer und die schäumende Brandung der Riffe gewährte. Die Matten lagen mehrfach weich übereinander und hatten eine aus Bambus gebogene Rückenlehne.

René stand lange schweigend vor der reizenden Szene. Sadie betrachtete ihn lächelnd von der Seite.

»Ist das nicht ein schöner Platz hier auf der kleinen freundlichen Insel?« fragte sie leise, als ob sie fürchte, seine Gefühle zu stören.

»Herrlich, einfach wunderschön!« rief René begeistert aus. Er griff ihre Hand und fuhr fort: »Ein Paradies, dem selbst die Engel nicht fehlen!«

»Pfui, Fremder!«,antwortete das Mädchen ernst und fast traurig. »Du darfst nicht lästern, wenn der liebe Gott das Licht seiner Sonne zu dir schickt und die Wunder seiner Welt um dich ausgebreitet hat. Du tust mir weh damit, denn ich habe dir doch nichts getan!«

»Sadie!« bat der junge Mann, tief ergriffen von der einfachen, rührenden Natürlichkeit des jungen Mädchens.

»Laß nur, und setze dich hier hin, nein, nicht so nahe zu mir – da in die Ecke, so, und nun sollst du mir eine Frage beantworten.« Ihre Stimme war schon wieder freundlicher geworden. Sie sah ihm mit treuherzigem Blick in die Augen. Ihre Hand hielt René erneut in seiner.

»Was willst du mich fragen, du Schöne?«

»Ich heiße Prudentia, oder höchstens noch Sadie, aber nicht anders. Wie heißt du eigentlich?«

»René!«

»René! Das ist ein hübscher, kurzer Name und klingt nicht so schwerfällig wie die anderen englischen Namen und Worte. René – das könnte auch der Mitonare im Haus behalten«, setzte sie dann hinzu. Ein schelmisches Lächeln blitzte ihr durch die Augen und war im nächsten Moment wieder verschwunden.

»Was wolltest du mich fragen, Sadie?«

In diesem Augenblick wurde das junge Mädchen still und ernst. Forschend sah sie ihm in die Augen, als ob sie dort lesen wollte, wie es in seinem Herzen aussah. Dann schüttelte sie den Kopf. Hatte sie nicht gefunden, was sie suchte, oder war sie über sich selbst böse? Noch immer keinen Blick von ihm abwendend, erkundigte sie sich: »Ist es wahr, René, daß du ein Ferani bist?«

»Wenn du damit einen Franzosen meinst, ja!« erwiderte René erstaunt über den tiefen Ernst bei einer so belanglosen Frage.

»Bist du ein Christ?« frug das Mädchen ängstlich.

René konnte ein Lächeln kaum verbergen. Er erinnerte sich zugleich an die Fragen des kleinen Mitonare und sagte kopfschüttelnd:

»Wer hat euch bloß diese tollen Grillen in den Kopf gesetzt, daß die Franzosen keine Christen wären? Gewiß sind wir Christen, wenn dich das beruhigen kann.«

»Aber habt ihr nicht heidnische Gebräuche bei eurer Religion?« erkundigte sich das Mädchen noch eindringlicher.

»Sadie, jetzt sag mir nur...«

»Bitte, beantworte meine Frage treu und wahr!« unterbrach ihn in fast ängstlicher Hast das Mädchen. »Ich will dann auch gern jede deiner Fragen beantworten.«

»Also gut, um dich zu beruhigen, will ich dir alles erzählen. Du weißt wohl von deinem Pflegevater, daß es viele Weiße in anderen Weltteilen gibt. Die glauben wohl alle an einen Gott, aber sie haben verschiedene Namen für ihn. Und sie haben verschiedene Formen, ihn anzubeten.«

»Alle beten wirklich zu dem einen Gott?« sagte Sadie staunend. »Es sind keine anderen Götter, die ihr verehrt?«

»Sie haben sich große Mühe gegeben, dir den Glauben der vielen anderen von der schlimmsten Seite zu schildern. Schon das ist nicht christlich.«

»Aber eure Sünden werden euch für Geld vergeben«, antwortete Sadie und sah ängstlich René an.

»Nicht für Geld, und wo das doch geschieht ist es ein Mißbrauch der Geistlichen, die manches in den Formen unserer Gottesverehrung zu verantworten haben. Sollen wir aber glauben, daß Gott dem schwachen Menschen, der einmal gesündigt hat, für immer zürnt? Ist es nicht wahrscheinlicher, daß er in seiner unendlichen, väterlichen Geduld uns, wenn wir wirklich Reue fühlen, verzeiht? Sollen wir uns denn Gott, den Allbarmherzigen, als einen ewig zürnenden Richter denken, der sogar ungerecht bis ins dritte, vierte, ja zehnte Glied straft und richtet? Nein, Sadie, dieser Glaube mag durch böswillige oder eigennützige Geistliche so verbreitet sein, ich will das nicht leugnen. Aber es ist immer noch kein Götzendienst. Wer dir das gesagt hat, hat es vielleicht gut gemeint, aber er übertrieb dabei. War es dein Pflegevater, Sadie?«

Das Mädchen schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Nein. Mein Pflegevater ist nicht so streng und ernst. Er hat mir oft gesagt, daß unter den Franzosen auch viele gute Menschen sind, vielleicht sogar so viele wie unter den Engländern, nur daß ihre Religion nicht die richtige ist und daß sie noch viele Mißbräuche duldeten.«

»Wer hat dir denn so böse Dinge von uns erzählt? Deinem eigenen Köpfchen sind sie doch auch nicht entsprungen!«

»Nein«, antwortete das Mädchen treuherzig, »aber auf Tahiti wohnt ein frommer, ernster und strenger Mann. Der kommt ein- oder zweimal im Jahr auf unsere Insel herüber und predigt hier. Wir fürchten uns aber alle vor ihm, denn wir dürfen dann keine Blumen in den Haaren tragen und nicht lachen und nicht fröhlich sein. Er macht uns dabei das Herz so schwer, daß wir noch Wochen später an die entsetzlichen Strafen denken müssen, die uns auch für leichte Vergehen in der Ewigkeit erwarten. Oh, er ist so finster, aber auch sehr fromm. Er hat uns besonders vor deiner Religion gewarnt und uns mit ewiger Verdammnis bedroht, wenn einer von uns der falschen Lehre zuhören würde. Und du bist auch Katholik, René?«

»Ich gehöre zu diesen Entsetzlichen!«, sagte René scherzend. Als er aber den traurigen Zug um den Mund Sadies bemerkte, setzte er rasch hinzu: »Aber fürchte nicht für mich, ich selber hänge nicht an diesen Gebräuchen, obwohl sie unsere Kirche verlangt. Ich halte sie aber auch nicht für so gefährlich, wie deine Priester dir beigebracht haben.«

»Ach, das beruhigt mich, René«, sagte das Mädchen. »Vater Osborne sagte ja auch, daß Gott so gut, so unendlich gut, sei und die Menschen alle wie seine Kinder liebe. Könnte er dann so hart und grausam bestrafen? Ich würde doch noch nicht einmal ein fremdes Kind für etwas Mutwilliges so hart strafen, schon gar nicht mein eigenes!«

»Glaubst du, Sadie, daß euch Gott ein Paradies zum Aufenthalt gegeben hätte, weit weg von habgierigen Menschen, wo ihr jahrhundertelang in euren einfachen Sitten leben konntet, wenn er euch zürnen würde und euch für einen falschen Glauben bestrafen wolle? Nein, mein Herz, solche traurigen Gedanken sind nicht angebracht. Fort damit, laß uns lieber von uns reden, Sadie, von dir, von mir und unserem künftigen Leben. Mir ist es, als ob ich mit meinem tollkühnen Schritt ein neues, herrliches Dasein erschlossen hätte. Es ist aber nicht dieser sonnige Himmel, diese blaue See, diese wehenden Palmen, die mir dieses selige Gefühl vermitteln. Es ist deine Nähe, Sadie, die mich so glücklich macht. Rastlos trieb es mich jahrelang in der weiten Welt umher. Die afrikanischen Wüsten und kanadischen Wälder konnten meine Sehnsucht nicht befriedigen, die mich weiter und weiter drängte. Als Soldat zog ich in die Raubstaaten der Algerier, als Jäger in die Felsengebirge Amerikas, selbst die See, von den Eismeeren bis hierher, vermochte nicht, meine Unruhe zu mäßigen. Das rohe, widerliche Benehmen meiner letzten Umgebung zwang mich zu dem verzweifelten Schritt. Ich wollte frei sein oder sterben. Da fand ich dich, Sadie, und ich fühle, daß nur du das Ziel meiner Träume gewesen bist. Werde meine Frau, laß uns auf dieser freundlichen Insel, frei von den Sorgen und dem gefühllosen Treiben der Welt, unsere Heimat gründen. Tief im Laub dieser Palmen versteckt, von diesem lachenden Himmel über uns, von diesen blauen Wogen umspült, an deiner Seite, Sadie, und die Welt, die mir bis jetzt nur eine kalte, freudlose Straße war, würde mir zum Himmel.«

Bei diesen Worten hatte er ihre Hand mit beiden Händen gefaßt und schaute sie mit leuchtenden Blicken an.

Sadie saß mit klopfendem Herzen neben ihm. Sie war ernst, ja fast wieder traurig geworden und sah lange sinnend vor sich. Dann blickte sie ihn wieder an, sah ihn mit den treuen, tränengefüllten Augen an und sagte mit leiser, kaum hörbarer Stimme: »Und wenn du wieder weggehst?«

»Nie, Sadie, niemals!« rief René leidenschaftlich. Er zog Sadie an sich und küßte sie. Sie wehrte sich nicht, erwiderte den Kuß aber auch nicht. Langsam entzog sie sich wieder seinem Arm.

»Willst du mir noch etwas versprechen, René?«

»Alles, was ich kann, Sadie!« rief René.

»Dann versprich mir, daß du davon nicht wieder reden wirst, bis mein Vater, der Missionar, zurückgekehrt ist. Und...« Ihre Stimme stockte und war kaum hörbar geworden. »Und daß du mich auch bis dahin nicht wieder küssen willst.«

»Sadie!«

»Versprich mir das, ja, sag es mir fest zu!« Sie sah ihn dabei so lieb an, daß es ihn tief durchfuhr.

»Wie könnte ich dir deine erste Bitte abschlagen, Sadie!« sagte er tief aufgewühlt.

Da verschwand der traurige Ernst aus ihrem Gesicht. Wie die Sonne aus trüben Wolken plötzlich über grüne, wogende Saatfelder bricht, so überflog ein frohes Lächeln die schönen Züge.

»Das ist gut von dir«, sagte sie herzlich. »Das ist sehr gut. Nun können wir ja zusammen durch unsere Berge gehen und abends auf dem stillen, blauen Wasser fahren. Du wirst die tausend kleinen bunten Fische sehen, die zwischen den Korallen spielen. Sonst hätte ich mich ja vor dir verstecken müssen!« setzte sie hinzu. »Jetzt komm, mein Freund, Mitonare steht schon da unten vor seiner Tür und schaut sich überall nach uns um. Er hat dein Essen bereitet, das du nicht versäumen darfst. Gegen Abend komme ich und hole dich ab.«

»Jetzt willst du mich verlassen, Sadie?«

»Du mußt dich jetzt schon etwas mit Mitonare unterhalten«, neckte ihn das Mädchen. »Ich kann dir nicht helfen. Wir sind dann aber den ganzen Abend zusammen.« Als fürchte sie einen zärtlichen Abschied, sprang sie rasch in die Büsche und war im nächsten Moment im Dickicht verschwunden.

Mit übervollem Herz saß René noch eine Weile an diesem Platz. Er hatte vergessen, daß der kleine Missionar mit dem Essen auf ihn wartete. Doch der schickte schließlich die ganze Schule nach dem fremden »Wi-wi« aus, und René wurde bald darauf von einigen der nackten Burschen aufgetrieben. Lachend und schreiend plauderten sie ihm eine Menge vor, aber er verstand keine Silbe. Nur durch das immer wiederkehrende Wort »Mitonare« wurde er an seinen Wirt erinnert und folgte der munteren Schar, die ihm jubelnd vorauseilte. Dem kleinen Mitonare schien ein Stein vom Herzen zu fallen, als er seinen so heiß ersehnten Gast erblickte. Er versicherte ihm, daß er eine volle Stunde voller Ungeduld auf ihn gewartet habe. Das Essen wäre wahrscheinlich jetzt kalt und verdorben. Mitonare war aber viel zu gutmütig, um böse zu werden. Als René jetzt kräftig zulangte, und dabei mit ihm scherzte und lachte, war er restlos begeistert. Er nannte René den besten Wi-wi, den er je gesehen habe, Das habe viel zu bedeuten, denn er sei schon einmal auf Tahiti gewesen, wo sie wild umherlaufen. Dann erzählte er ihm die tollsten Geschichten aus der alten, fröhlichen Heidenzeit. Damals waren sie, das vergaß er nie hinzuzusetzen, noch fürchterliche Heiden und entsetzliche Sünder. Auch auf religiöse Dinge kam er ein paarmal zu sprechen, aber René versuchte, so gut es ging, auszuweichen. Am meisten schmerzte den Missionar, daß sein Vater in der Hölle sein mußte. Der war nämlich, trotz der eifrigen Bemühungen der Missionare, bis zuletzt ein hartnäckiger Heide geblieben. Aus seinem Großvater schien er sich wenig zu machen.

René gewann bald sein ganzes Vertrauen. Er zeigte ihm seine Schreibbücher und Rechenbeispiele, dann sogar sein Allerheiligstes, das wichtigste Diplom seines Lebens, das ihm von der Missionsgesellschaft in O-no (wahrscheinlich London) ausgestellt worden war. Es erkannte ihn als wirklichen »Prediger in der Wüste« an.

Dicht neben dem Diplom lag in der kleinen Schublade, zu der er René geführt hatte, auch ein schmales, zierliches Kästchen aus Sandelholz. Als René es entdeckte, schob er es rasch zur Seite und legte Papiere darauf. Dadurch wurde aber die Neugierde des jungen Franzosen erst recht entfacht. Er bedrängte nun den Missionar, ihm doch zu zeigen, was er da so geheimnisvoll verstecke.

Mitonare wollte erst nicht mit der Sprache heraus, dann aber nahm er das Kästchen doch heraus und hielt es lange Zeit in der Hand. Dabei betrachtete er es mit einem Ausdruck von Anhänglichkeit und begann endlich zu erzählen. Als Mitonare noch im blinden, entsetzlichen Heidentum lebte, war er ein hervorragender Tätowierer, der beste auf der Insel, gewesen. Dieses Kästchen enthielt seine damaligen Werkzeuge, die er jetzt allerdings nicht mehr gebrauchte. »Bodder Au-e« von Tahiti hatte ihm die Augen geöffnet und ihm gesagt, zu was diese heidnischen Gebräuche führten. Aber er bewahrte sie doch noch als eine Art Reliquie auf.

Obwohl sich der kleine Mann bemühte, seinem Gast die Zeit zu vertreiben, vergingen die Stunden nur langsam. René sehnte sich nach anderer Gesellschaft, aber Sadie ließ ihn auch nicht lange warten. Die Sonne stand noch hoch, als sie eintrat. Aber es war nicht die Sadie vom heutigen Morgen mit dem luftigen Schultertuch um den nackten Oberkörper. Sie hatte wieder das lange, fast europäische Sonntagskleid angezogen. Wenn sie auch René wie immer anlächelte, wirkte sie doch jetzt ernster und reifer.

Fast schüchtern reichte sie dem jungen Mann die Hand. Als sie das Haus verließen, gingen sie eine ganze Zeit schweigend nebeneinander her. Doch Renés leichte Art überspielte das bald. Als Sadie bemerkte, daß er sich an sein Versprechen hielt, verlor sie ebenfalls ihre Scheu und war bald darauf wieder das fröhliche Mädchen. Sie scherzte und lachte, erzählte René tausend drollige Geschichten, beschrieb ihm ihre früheren Tänze und Gebräuche. Sie erzählte auch von dem schönen Tahiti, wo ihre Eltern gelebt hatten und jetzt fremde Menschen Haß und Feindschaften in Gottes Namen verbreiteten. Sie führte ihn dabei einen schmalen Pfad entlang, der unter überhängenden Kokospalmen durch fruchtbedeckte Guiaven-, Orangen- und Brotfruchthaine führte. Sie erreichten ein anderes Grundstück, das zu einem Gemüsegarten eingerichtet war. Aber auch eine Menge Fruchtbäume und Kaffee sowie Zuckerrohr wuchsen hier.

Mit nur wenig Arbeit gab die Erde hier reichliche Ernte. René glaubte, in seinem Leben kein schöneres, herrlicheres Land gesehen zu haben als diese kleine Insel. Wie gern hätte er sich mit dem Mädchen über ihre künftige Heimat unterhalten. Aber als ob sie fühlte, daß solche Gedanken in ihm aufkamen, lenkte sie ihn rasch und geschickt wieder davon ab, zeigte und pflückte ihm die verschiedenen Früchte. Dann führte sie ihn an den Strand hinunter, wo in einer natürlichen, kleinen Bai ein schmales, langes Kanu lag. Das bestiegen sie und fuhren in das spiegelglatte, kristallklare Binnenwasser, das durch die Riffe vor jeder eindringenden See geschützt wird.

Noch nie hatte René früher die Bildung dieser Korallenbäume tief unter dem klaren Wasser gesehen. Er traute jetzt seinen Augen kaum, als sich an mehreren Stellen in Farbenspiel und Form völlig neue Welten für ihn öffneten. Er konnte sich nicht satt sehen an den zauberschnell wechselnden Gruppen und Bildern, und Sadie freute sich kindisch über ihn.

»Wenn dir das so gefällt, will ich dich zu meinem Korallengarten bringen und dir meine kleinen Gold- und Silberfische zeigen. Die darfst du aber nicht mit der Hand oder dem Ruder scheu machen, denn sie sind furchtbar ängstlich.« Noch während sie sprach, lenkte sie das Kanu weiter zu den Riffen und daran entlang. Das Wasser war hier so tief, daß selbst größere Boote um die ganze Insel fahren konnten. Dann gelangten sie wieder in flacheres Wasser, wo dunkelbraune und rötlich-graue Korallenbäume an vielen Stellen bis zur Wasseroberfläche ragten. Dazwischen waren wieder, von dünnen, feinen Zweigen durchwachsen, größere, tiefe Stellen.

Überall wimmelte es hier von kleinen blauen, gelben, weißen, roten, gestreiften und gefleckten Fischen. Sie schwammen in Scharen oder einzeln herum, schossen auseinander, wenn sie eine Gefahr vermuteten, und versammelten sich gleich darauf wieder, um ihr Spiel erneut fortzusetzen.

René wollte hier mit dem Kanu kurze Zeit still liegen, um die Tiere zu beobachten. »Nur noch ein kleines Stück, dann kannst du dich satt sehen an den Herrlichkeiten der Tiefe«, sagte Sadie und setzte das Ruder stärker ein. Das leichte Fahrzeug trieb rasch auf eine Stelle zu, wo ein starker Korallenzweig gerade über die Oberfläche des Wassers ragte. Hier hielt sie plötzlich an, und während sie sich am Zweig festhielt, sagte sie René, daß er einen Stein aus dem Bug auf die Koralle werfen sollte. Gleich darauf war durch das verbundene Bastseil das Kanu verankert. Zunächst konnte René noch nichts erkennen, weil das Wasser zu unruhig war. Einige Minuten sahen sie schweigend hinunter.

Die Korallenbäume schienen hier einen vollkommen dichten Kranz zu bilden. Er stieg von unten auf, neigte sich nach außen etwas und hob sich dann bis zur Wasseroberfläche gerade empor. Der innere Raum mochte zwanzig Fuß im Durchmesser haben. Das glich fast einer aufgebrochenen Riesenblume, die aus ihrem Kelch bunte, zackige Fasern emporschickte.

Aber die Blume lebte. Hier und da, tief unten aus dem Kelch heraus, kamen ein paar kleine Fischchen aufgeschossen, als ob sie sehen wollten, ob die Gefahr vorüber sei. Das dunkle Kanu, das mit seinem Schatten auf dem Wasser lag, machte sie vielleicht noch mißtrauisch, aber nicht sehr lange. Sie verschwanden wieder, und gleich darauf quoll es aus allen Winkeln und Spalten in Massen. Alle Farben wild und bunt durcheinander, auf und nieder, herüber und hinüber schießend.

»Eita, eita!«, rief Sadie. »Iti, iti, iti!« Dabei warf sie kleine Krümel Brotfrucht auf die Wasseroberfläche. Im Nu schossen sie von allen Seiten herauf, fünf, sechs schnappten gleichzeitig ein größeres Stück und tauchten damit. Andere stießen an einem zu großen Stück und konnten es nicht bewältigen. Wieder andere begnügten sich mit kleinen Stücken. Mit der wiederkehrenden Ruhe waren aber auch nach den kleinen Bewohnern dieses Bassins ihre Feinde zurückgekehrt. Zwei große, dunkelbraune Fische mit breiten Mäulern und tückisch blitzenden Augen kamen an den äußeren Rand der Blume, deren Spalten zu schmal waren, um sie durchzulassen. Die kleinen Dinger schienen auch zu wissen, daß ihnen der Feind hier nichts anhaben konnte, es sei denn, er käme von oben herein. Dann waren sie auch wie der Blitz in ihren Schlupfwinkeln.

Manchmal wagte sich aber auch ein leichtsinniges Fischchen hinaus ins Freie, als ob es die Ungeheuer verhöhnen wollte. Ehe die sich umdrehen konnten, war es schon wieder zwischen die zackigen Palisaden geschlüpft und erzählte wahrscheinlich den anderen von seinen Heldentaten.

So trieben sie hier in dieser für René neuen, zauberhaften Welt, bis die Sonne groß und glänzend in das Meer tauchte und Stern nach Stern am Himmel auffunkelte. Sadie erzählte dabei René von dem stillen Frieden dieses Landes und dem glücklichen Leben, das sie alle führen könnten, wenn nicht oft böse Menschen da wären, die sie störten und kränkten und Leidenschaften in ihnen weckten, die ihnen früher unbekannt waren.

René hätte die Nacht hindurch ihrer Stimme lauschen mögen, aber das junge Mädchen lenkte endlich, trotz seiner Bitten, das Kanu zum Land zurück. Sie fuhren jetzt direkt zum Ufer der Wohnung des Missionars, der sie schon etwas ungeduldig am Ufer erwartete. Er richtete mehrere Fragen in ihrer Sprache an Sadie. Sie wurde rot, antwortete ihm aber lächelnd und verschwand dann wieder mit einem freundlichen Kopfnicken zu René.

Dem kleinen Mitonare schienen heute abend eine Menge Fragen im Kopf herumzugehen. Beim Abendbrot das aus etwas Brotfrucht, Kokosmilch und einigen Bananen bestand, war er einsilbig und sah René immer dann von der Seite an, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Nach dem Essen faßte er den jungen Mann am Arm und führte ihn hinaus an den Strand zu einem kräftigen Tuituinußbaum. Dort begann er aufgeregt auf ihn einzureden und mischte dabei das Englisch noch stärker als sonst mit seiner Sprache. René hatte Schwierigkeiten, den Zusammenhang der Worte überhaupt zu verstehen. Der Name »Pu-de-ni-a«, der mehrfach vorkam, ließ ihn dann ahnen, was der kleine Mann eigentlich meinte. René hatte nichts zu verbergen und hätte ihm gern Aufschluß über seine Gefühle für Sadie gegeben, wenn er nur zu Wort gekommen wäre. Sowie er aber nur den Mund öffnete, rief der Missionar ein rasches »aita, aita!« dazwischen und redete dann nur noch lauter und heftiger weiter. René mußte ihn also gewähren lassen, bis er von selbst müde wurde.

»Weißer Mann kommt her und findet Brotfrucht und Fleisch und Bananen und Kokosnüsse, Yam und Kartoffeln, und Mitonare ist freundlich mit ihm«, sagte der kleine Mann in seiner kaum verständlichen Mischung. »Zeige ihm Diplom und andere Sachen und tue gar nicht, als ob Fremder Ferani wäre und an keinen Gott glaube. Weißer Mann hat Schutz hier vor den anderen weißen Männern. Tane tane Atiu sind freundlicher gegen ihn als Leute seiner eigenen Farbe, und was tut Ferani? Geht hin und macht kleines Mädchen von Mitonare unglücklich. Redet ihr allerlei unsinnige Sachen vor! Aber Pu-de-ni-a ist nicht wie viele andere Mädchen auf der Insel und auf Tahiti. Ferani kann Mädchen genug bekommen, sehr viele, aber nicht Pu-de-ni-a. Ferani geht nachher weg, und Pu-de-ni-a sitzt und weint und ist nicht mehr glücklich, und alte Mann Mitonare O-no-so-no weint, weil er Pu-de-ni-a weinen sieht. Ferani sollte sich schämen, und wenn Ferani auch kein Christ ist, kann er doch tun, was recht ist. Wir waren früher auch keine Christen, nein, schreckliche Heiden, haben uns tätowiert und nach der Trommel und dem Rauschen der Brandung getanzt. Wir haben einen kleinen, winzig kleinen Gott angebetet. Aber wir wußten, was richtig war, und wir taten es auch, auch wenn mein Vater dafür in der Hölle sitzen muß.«

So ging die Rede des kleinen Mitonare sinngemäß wohl über eine Stunde. Wenn René auch zu Beginn manchmal gern über die oft komisch genug klingenden Worte gelacht hätte, sah er doch daraus, wie lieb der Mann das Mädchen haben mußte und wieviel er von ihr hielt. Die Sorge um sie hatte ihn ängstlich und eifrig gemacht. Er faßte seine Hand, die ihm der Mitonare zunächst aber nicht überlassen wollte, und sagte ihm dann alles, was ihm auf dem Herzen lag.

Er liebe Sadie und wolle sie heiraten, hier auf der Insel bei ihnen bleiben und Yams und Kartoffeln anbauen und Kokospalmen pflanzen. Er wolle nie wieder fort von ihnen gehen und weder ihn noch Prudentia verlassen. Er erzählte ihm dann aber auch, wie er das heute morgen Sadie selber gesagt hatte und welches Versprechen sie ihm abgenommen hatte. Er könne sich fest darauf verlassen, daß René es einhielte. Er würde Sadie, bis der alte Missionar zurückkäme, als seine Schwester ansehen, der kein Leid geschehen solle, wenn er es verhindern könne.

Der kleine alte Mann war freundlicher und freundlicher geworden, je mehr er begriff, was der Fremde mit seinen Worten meinte und was er beabsichtigte. Als er aber verstand, welches Versprechen er dem Mädchen gegeben hatte und daß er es fest einhalten wollte, da übermannte ihn die Freude. Er fiel dem jungen Mann um den Hals und rieb sogar seine Nase mit ihm. Darüber war René sehr erstaunt, denn er wußte nicht was er mit dieser Zeremonie anfangen sollte. Das Nasereiben war die größte und innigste Freundschaftsversicherung, die man einander geben konnte.

Der kleine Bursche war jetzt völlig ausgelassen. Er erklärte René, dessen Namen er gut behalten hatte und sogar richtig aussprach, für den besten Wi-wi, der je einen Götzen angebetet habe. Außerdem meinte er, daß, wenn er bei ihnen auf der Insel bliebe, sie nicht einmal sehen wollten, ob sie nicht aus diesem Wi-wi mit Pu-de-ni-as und des Missionars Hilfe einen Christen machen könnten. Das würde wahrscheinlich schwieriger werden, als ihn zu verheiraten. Viel fehlte nicht, und der Missionar hätte angefangen, vor lauter Freude und Glück zu tanzen. Ein paarmal hatte er auch schon damit angefangen, allerdings im letzten Augenblick immer noch bemerkt und wieder abgebrochen. Das hätte sich doch für einen Mitonare nicht geschickt.

So verlebte René die nächsten drei Wochen in einem Glücksgefühl, wie er es selbst nie für möglich gehalten hatte. Nicht nur Sadie und der Mitonare gewannen ihn in dieser Zeit immer lieber, sondern auch die Eingeborenen der Insel. Das fröhliche Temperament des Franzosen und seine leichte Art lag den Insulanern. Sie sahen ihn gern. Der alte König, der von seinem hohen Titel abgesehen eine ganz unschuldige Persönlichkeit war, dabei aber doch viel Einfluß auf die anderen ausübte, wurde sein bester Freund. René hatte ihm allerdings mehrfach Geldgeschenke gemacht und damit das Herz des Mannes weit geöffnet. Als er dann aber von seiner Liebe zu Sadie erfuhr und hörte, daß René seine Insel nicht mehr verlassen wollte, versicherte er ihm fest, daß er ihn nie an sein Schiff ausliefern werde, sollte es wirklich einmal zurückkehren. Bei den Gesprächen dolmetschte oft Raiteo und sagte dabei, daß er weiße Mann Kapitän sehen werde, wie man ihm eine lange Nase zeigen würde. Der König dachte nämlich nicht daran, die bereits erhaltenen Gegenstände wieder herauszugeben.

Besonders komisch benahm sich Raiteo. Er hatte sich die größte Mühe gegeben, den Flüchtling zu fangen. Auch Verrat scheute er dabei nicht, um seinen Zweck zu erreichen und die Belohnung zu verdienen. Jetzt aber tat er so, als wäre er von Anfang an der beste Freund und Beschützer des jungen Mannes gewesen. Er erklärte ihn für seinen innigsten »taja« und wies René immer wieder darauf hin, wie uneigennützig er damals für ihn gedolmetscht hatte und daß dafür wenige Geldstücke doch ein guter Lohn wären. René war klug genug, auch Raiteo zum Freund zu gewinnen. Mit einigen Talern war das getan, und wenn den Versicherungen zu glauben war, war er wirklich der treueste Freund.

René schrieb in der Zwischenzeit auch nach Frankreich. Einmal wollte er sich von dort sein Geld kommen lassen, dann aber auch Empfehlungsbriefe für Papeete an den französischen Konsul in Tahiti erhalten. Zwar benötigte er die jetzt nicht, aber er wußte ja nicht, was die Zukunft bringen würde. Er wollte zumindest nichts versäumt haben. Den Brief mußte er natürlich liegenlassen, bis sich eine Gelegenheit fand, nach Papeete, der Hauptstadt Tahitis, zu gelangen.

Das Herz des kleinen Mitonare gewann er auf ganz besondere Weise durch den regelmäßigen Besuch seiner Kirche. Er verstand zwar nichts von der Predigt, aber er summte die Melodien der Lieder mit. Er festigte dabei den Mitonare in dessen Ansicht, doch noch eines Tages einen Christ aus ihm zu machen. Der gute Mann war viel zu unschuldig, um auf den Gedanken zu kommen, daß René einzig und allein wegen Sadie das Gotteshaus besuchte.


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