Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Der Verrat, und wie sich beide Teile dabei irrten

Inzwischen war am nördlichen Ufer der Insel alles in Aufregung. An die Rückkehr des Schiffes hatte niemand mehr gedacht. Der König war beunruhigt wegen der Geschenke, die er bereits erhalten hatte. Aber wer konnte denn auch ahnen, daß das Schiff nach so langer Zeit noch zurückkehren würde! Als der erste Harpunier wieder an Land kam und sich nach dem Mann erkundigte, erwiderte ihm der rasch herbeigeholte Raiteo, daß man damals den Flüchtling eingefangen hätte. Drei volle Wochen wäre er eingesperrt und gefüttert worden. Nachdem das Schiff aber nicht zurückkehrte, mußte man ihn wieder freilassen. Seit dieser Zeit wäre er verschwunden. Man nahm an, daß er mit einem kleinen Schoner, der neulich die Insel anlief, nach Tahiti weitergefahren wäre.

Das klang wahrscheinlich genug. Aber der alte Seemann kannte die Insulaner zu genau, um ihnen gleich zu trauen. Sie hatten ihren Fanglohn bereits sicher, und der König beanspruchte ihn jetzt für die lange Unterhaltung des Gefangenen. Während der Verhandlung merkte der Harpunier bald, daß der Matrose noch auf der Insel sein mußte. Um der Sache ein Ende zu machen, denn die Sonne neigte sich schon zum Untergang, bot er dem König fünfzig spanische Taler. Das war für seine Verhältnisse ein wirklicher Reichtum. Dazu kamen noch andere Dinge, die die Matrosen im Boot mitgebracht hatten.

Raiteo ließ sich die Summe zweimal wiederholen. Um ganz sicher zu sein, ließ er sie sich außerdem an den Fingern vorzählen, denn er traute seinen Ohren kaum. Trotzdem schüttelte aber der König mit dem Kopf. Er wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben und keinen Ärger mit seinem alten Freund, dem Missionar. Er sagte Raiteo, daß die Fremden den Mann doch selbst suchen sollten, wenn sie glaubten, daß er noch auf der Insel wäre.

Der Harpunier erkannte seine Chance und bot Raiteo die Summe allein, wenn er ihm den Flüchtling noch in dieser Nacht ausliefern würde. Raiteo erklärte darauf ganz offen, daß er sich noch auf der Insel befinden würde, daß man ihn so schnell jedoch nicht fassen könne. Er habe auf der anderen Seite der Insel auf der Mission gelebt und sich dort bestimmt im Wald versteckt. Es würde wohl einen Tag dauern, um ihn aufzuspüren. Selbst dann sei es noch sehr schwierig, weil der König nichts damit zu tun haben wolle. Er verdiene sich gern den Preis, wenn sich weißer Mann Kapitän nur entschließen könne, zwei oder drei Tage auf der Insel zu bleiben.

Das ging aber nicht, das Schiff hatte sich schon für die Jahreszeit verspätet, und der Kapitän wollte zuerst auch nicht die Insel wieder anlaufen. Als äußersten Termin hatte er den nächsten Tagesanbruch gesetzt. Wenn es bis dahin nicht möglich war, den Mann wieder einzufangen, mußten sie es aufgeben. Der alte Seebär wollte sich eben mit einem zwischen den Zähnen durchgebrummten Fluch fügen und an Bord zurückkehren, als der Missionskutter in Sicht kam.

Der Harpunier zögerte. Er konnte die Schwarzröcke zwar nicht vertragen, aber der Mann kam zumindest von dort, wo sich der Flüchtling aufgehalten hatte.

Bruder Rowe fühlte auch keine besondere Sympathie für den Mann, grüßte ihn aber freundlich. Auf seine Fragen antwortete er nur ausweichend. Raiteo stand mit offenem Mund daneben. Es kam ihm so vor, als wolle Bruder Rowe nichts damit zu tun haben.

»Sehen Sie, Mr. – Wie war Ihr Name?«

»Rowe.«

»Ah, Mr. Rowe. Es ist nicht wegen des Matrosen, sondern wegen des Beispiels. Wenn die Burschen merken, daß sie uns ungestraft fortlaufen können, dann läuft uns nachher auf den Sandwichinseln der ganze Schwarm davon. Kriegen wir aber so einen Burschen wieder, und sehen die anderen, daß es ihnen doch nicht so leicht gemacht wird, dann überlegen sie es sich zweimal. Auf den Preis kommt es uns dabei nicht an, denn wenn wir ihn kriegen, muß er es sowieso wieder abarbeiten.«

»Haben Sie hier jemand unter den Insulanern, dem Sie vertrauen können?« erkundigte sich der Missionar und drehte sich um, um zu sehen, ob ihnen jemand folgte. »Können Sie einen der Leute dazu bringen, Sie zu führen?«

»Führen? Ja, sicher, wenn ich nur wüßte, wohin!« brummte der Harpunier.

»Ich kann mich aufgrund meiner Stellung nicht mit einer solchen Sache befassen. Sie werden aber als vernünftiger Mann einsehen, daß es mir nicht gleichgültig sein kann, meist gewissenlose Menschen zwischen die kaum etwas zivilisierten Insulanern geworfen zu sehen!«

»Nein, sicher nicht, kann ich mir denken, ganz klar!« brummte der Harpunier zwischen den Zähnen hindurch. Er sah den Missionar forschend an.

»Mir liegt also ebensoviel daran, den entsprungenen Matrosen wieder zu entfernen, wie Ihnen, ihn wieder zu bekommen.«

»Ja, sagen Sie mir doch nur, wie!« platzte der Harpunier heraus.

»Unter der Bedingung, daß Sie meinen Namen nicht nennen und sich gegenüber den Eingeborenen eine Ausrede einfallen lassen, gebe ich Ihnen den Platz genau an, wo er sich versteckt. Er liegt so günstig, daß Sie ihn umstellen können, ohne daß er Sie bemerkt.«

»Was soll ich Raiteo, dem alten Fuchs, erzählen? Er hat doch gesehen, wie wir miteinander sprechen!«

»Gehen Sie nachher zu einem meiner Bootsleute und erkundigen Sie sich über irgend etwas. Sie können Raiteo dann sagen, daß Sie es von ihm erfahren haben. Ich bin überzeugt, daß Raiteo nicht nachfragen wird.«

»Und wo ist der Platz?«

»Erkundigen Sie sich bei Raiteo«, sagte der Geistliche leise, »ob er ein Haus namens Ihiamoea kennt. Ihiamoea – können Sie den Namen behalten?«

»Er ist verdammt lang. I-hi-ma-nu.«

»Ihiamoea!« wiederholte der Missionar.

Der Harpunier wiederholte das Wort ein paarmal leise und sagte dann: »Ich denke, so wird es gehen. Da steckt er also. Aber kennt Raiteo den Ort?«

»Genug genug. Sie werden ihm aber einen guten Lohn versprechen müssen, denn die Insulaner haben große Angst vor der Gegend.«

»Er soll fünfzig Dollar haben, wenn er uns heute abend hinführt!« rief der Seemann rasch. »Gott strafe mich, auch alle Sachen im Boot dazu, wenn wir den Kerl nur kriegen! Ich habe noch dazu eine besondere Wut auf ihn!«

»Gut, dann verlieren Sie keine Zeit mehr. Können Sie sich denn auf Ihre anderen Leute verlassen, damit Sie nicht das Übel vergrößern?«

»Wir sind schlauer geworden und haben keine Matrosen, sondern nur Offiziere zum Rudern mitgenommen. Die Leute sind entweder Harpuniere oder Bootssteuerer. Die laufen schon seltener weg, weil sie mehr Anteil bekommen und Karriere machen können. Es sind nur die verdammten Matrosen, die durchbrennen, weil sie es sich auf einem Walfänger etwas gemütlicher gedacht haben.«

Sie waren jetzt wieder zum Haus des Königs gekommen, das der Missionar betrat, um das aufziehende Unwetter abzuwarten. Der Harpunier wechselte mit seinen Leuten einige Worte, dann ging er zu den beiden Insulanern, die mit dem Kutter gekommen waren. Sie saßen auf Korallen und drehten sich eine kleine Zigarre aus ihrem inländischen Tabak und Bananenblättern. Einige Zeit blieb der Harpunier bei ihnen stehen und ging dann, als er Raiteo am Rande des Gehölzes sah, auf ihn zu.

»Raiteo, willst du in dieser Nacht dein Glück machen und ein reicher Mann werden? Du kannst fünfzig Dollar und den ganzen Plunder verdienen, der im Boot liegt.«

»In dieser Nacht?« erwiderte Raiteo kopfschüttelnd. »Habe weißen Mann Kapitän schon gesagt, das es so schnell nicht geht. Ist noch immer ein bös Stück Arbeit. Kann nicht.«

»Doch, doch, du kannst! Kennst du ein kleines Haus auf der Insel, das sie I-hi, Moment, verdammt, I-hi, mano-«

»Ihiamoea?« sagte Raiteo rasch und leise. Er sah den Fremden erstaunt an. »Ist der weiße Mann im Ihiamoea?«

»Du kennst den Platz«, lachte der Walfänger, »kannst du uns noch heute dorthin führen?«

»Wer hat den Platz genannt?« erkundigte sich der Insulaner, und seine Augen suchten unwillkürlich die Stelle, wo der Missionar noch vor dem Haus des Königs stand.

»Einer der Burschen dort im Boot«, erwiderte der Seemann. »Sie wollen es nicht gern wissen lassen, daß die Nachricht von ihnen kommt. Ich habe ihnen fünf Dollar dafür gegeben.«

»Hmm«, brummte Raiteo und sah nach den Bootsleuten, die ruhig und abwechselnd die kleine, tütenförmige Zigarre rauchten, dann wieder zum Missionar hinüber. Schließlich warf er den Kopf zurück, gab dem Harpunier ein Zeichen. Beide gingen etwas weiter in den Wald hinein und hatten bald darauf alles besprochen. Das Ihiamoea hatte nur ein Zimmer mit zwei Ausgängen und lag auf einem Hügel im dichten Wald. Allerdings war der Platz um das Haus völlig frei und konnte mit Leichtigkeit umzingelt werden. In etwa anderthalb Stunden war es von hier zu erreichen, und das schlechte Wetter würde das Unternehmen noch begünstigen. Raiteo war zwar gierig auf das Geld, wollte aber ebensowenig wie der Missionar genannt werden. Er zeigte deshalb dem Harpunier den Weg, auf dem sie sich befanden und der durch eine dichte Pandanusniederung führte. Diesem sollte er mit seinen Leuten bei Dunkelheit folgen. Nach dreihundert Schritten würde er sie erwarten und dann zu dem Haus führen. Aber in das Haus würde er nicht mitkommen, denn jeder Eingeborene nähme dort tödliche Gefahren auf sich.

Auch über die Bezahlung wurden sie sich einig. Raiteo erhielt fünf Dollar voraus, der Rest sollte ausbezahlt werden, wenn sie den Entsprungenen gebunden in ihrer Gewalt hätten.

Der Abend brach herein. Einzelne Windstöße kamen, und der Regen fiel vom Himmel, wie er nur herunterwollte. Der Walfänger war jetzt dicht herangekommen. Durch das hohe Land war er gegen Böen ziemlich geschützt. Es bestand keine Gefahr, daß er auf die Klippen getrieben wurde. Mit kurzen Manövern konnte er sich auf der Stelle halten.

Der Missionar hatte die Insel ebenfalls nicht verlassen, obwohl er der von ihm verschuldeten Katastrophe lieber ausgewichen wäre. Aber er befürchtete, daß das Wetter auf See noch schlimmer werden könnte, und wollte sich da nicht in seiner Nußschale den Wogen anvertrauen.

Der Kapitän des »Delaware« hatte für die Rückkehr der Mannschaft zwei Kanonenschüsse vereinbart. –

René war inzwischen durch seine Führerin glücklich an den Ort seiner Bestimmung gebracht. Schon der Weg dorthin überzeugte ihn davon, daß kein Europäer den Platz in wenigen Tagen auffinden könnte. Von den Insulanern konnte niemand annehmen, daß er selbst den Platz kannte. Dazu hoffte er, daß das aufkommende schlechte Wetter den Walfänger zwingen würde, die Insel vorzeitig zu verlassen. Damit aber auch Sadie nicht von dem Wetter überrascht wurde, drang er auf ihre rasche Rückkehr. Das schöne Mädchen flog mehr als sie ging den Pfad zurück. Sie wußte ja, je eher sie wieder am Haus war, desto sicherer verschwand jeder Verdacht daß René einen so entfernten Zufluchtsort wie das Ihiamoea ausgesucht hatte. An den Missionar dachte niemand.

Für den Augenblick war der Platz wohnlich genug. Gegen Wind und Regen schützten ein gutes Dach und die dicken, fast fußstarken Steinmauern. Eine kleine, aus Schilfgras geflochtene Matte lag in der Mitte der Hütte – ein Beweis mehr, daß der alte Missionar recht hatte, wenn er vermutete, daß der König der Insel noch sehr an dem alten Heidentum hinge.

Zunächst sah René nach seinen Waffen, steckte sein Messer in den Gürtel und untersuchte die Terzerole. Der alte Mann hatte in der Eile das Pulverhorn vergessen. Wenn auch das Pulver noch ziemlich trocken aussah, so war ihm doch nicht viel zuzutrauen,

»Na, ich werde sie hoffentlich nicht gebrauchen«, murmelte er vor sich hin. »Besser wäre es aber doch, wenn sie funktionieren würden. Es gibt einem mehr Vertrauen, eine gute Waffe in er Hand zu haben.« Bei den Waffen lagen auch eine Menge Lebensmittel, die ihm der gute alte Mann mit ein paar Flaschen Wein und Kokosmilch eingepackt hatte. Da er jetzt nichts weiter zu tun hatte, bereitete sich René davon ein tüchtiges Essen.

So verflossen die Stunden rasch. Ein paarmal trat er vor die Tür, aber der Wald umgab das kleine Heiligtum einer früheren Zeit hier zu hoch und dicht, um weit sehen zu können. Schließlich legte er sich auf die Matte und schaute träumend auf die kahlen Steinwände, die in früherer Zeit wohl Zeuge so mancher wildromantischen Szene, vielleicht auch manch furchtbaren Opfers gewesen waren.

»Und wo seid ihr jetzt ihr stolzen Herrscher dieser Haine? Oro, du kriegerischer Gott, Hiro, du schlauer Beschützer der Diebe, Teroro, du Sturmerwecker, Tane, du Herrlicher, und ihr alle, die ihr früher in dem Rauschen der Palmen, in dem Donnern der ewigen Brandung zu euren Kindern gesprochen habt? Sie haben sich losgesagt von euch, eure Altäre umgeworfen, eure Namen sind im Wind verweht. Das Kreuz, von einzelnen Fremden aufgepflanzt, hat mit einem Schlag eure lange Herrschaft zerstört. Aber wenn ihr auch eure Haine noch nicht verlassen habt und jetzt vielleicht sogar hier seid, seht ihr mit finsterem Groll auf die Tempel des neuen Gottes, vor dem eure abtrünnigen Kinder jetzt ihre Knie beugen? Umschwebst du selbst, Oro, noch jetzt diese geweihte Stätte und siehst wütend auf den Fremden herunter, der sich hier eingedrängt hat? Zürne mir nicht, hätte nur ich von all den weißen Fremden diese Ufer betreten, du würdest noch heute herrschen. Ich hätte deinem Volk seine Götter gelassen und seinen Frieden. Wer weiß, ob sie dabei nicht glücklicher gewesen wären!«

Lange lag er noch nachdenkend und träumend auf der Matte, bis die einbrechende Nacht ihre Schatten niederschickte. Laut und schallend schlug jetzt der Regen auf das Schilfdach der Hütte. Eine andere Plage stellte sich ein. Unmengen von Moskitos umschwärmten ihre unerwartete Beute. Zuerst wehrte er sich gegen sie, dann aber gab er auf, legte sich hin und deckte sich das Gesicht mit einem Taschentuch zu. Er fühlte sich vollkommen sicher. Der Walfänger würde in dieser Nacht nichts unternehmen können, wenn er überhaupt noch da war. Fast ärgerte er sich, daß er die bisherige Wohnung und Sadies Nähe verlassen hatte.

Eine Stunde hatte er etwa so gelegen, ohne einschlafen zu können. Die Moskitos plagten ihn zu sehr. Da fuhr René plötzlich in die Höhe und horchte, schüttelte dann aber lächelnd den Kopf und murmelte:

»Das war wie in alter Zeit, als ich noch mit Adolphe in Kanadas Wäldern jagte. Das klang genau wie sein Jagdruf, der schrille Ton einer kleinen, an der französischen Küste heimischen Möwe. Donnerwetter!« stieß er dann hervor und sprang auf. »Wenn das nun doch Adolphe war... aber das ist ja nicht möglich, wie sollte er diesen Ort finden?«

Trotzdem tastete er nach seinen Waffen, die neben ihm auf der Matte lagen, und steckte sie zu sich. Der Regen hatte jetzt für kurze Zeit nachgelassen, und nur die schweren Tropfen fielen draußen noch von den Zweigen nieder. Schlafen konnte er doch nicht, also stand er auf und ging an die Tür. Halb angelehnt, gestattete sie ihm einen Blick auf den kleinen, mondbeschienenen Platz. Da! Dort drüben bewegte sich tatsächlich eine Gestalt, denn Wild gab es hier nicht. Eine dunkle Wolke schob sich vor den Mond und hüllte alles in tiefe Nacht ein. Als René mit der gespannten Waffe in der Hand sich vorbeugte, erkannte er deutlich zwei dunkle Gestalten, die über die freie Fläche gerade auf ihn zuglitten.

»Verrat!« murmelte er leise zwischen den Zähnen hindurch und sprang blitzschnell in das Haus zurück. Im selben Moment fühlte er sich von drei eisernen Armen gleichzeitig gepackt. Zum Glück für die Fänger versagte die Pistole, die gerade gegen das Ohr des Harpuniers gepreßt war.

»Teufel!« schrie René, warf sie von sich und wollte sein Messer ziehen. Aber die Übermacht war zu groß. Wenige Minuten später lag er, an Händen und Füßen gebunden, in der Gewalt seiner Feinde am Boden.

»Damn it, mein Freund«, lachte der alte Harpunier glücklich über seinen Fang. »Ich hätte heute abend, als ich auf den Regen fluchte, nicht geglaubt, daß er mir mit deinem Pulver gleichzeitig einen so guten Dienst erweisen würde. Das war jedenfalls gut gemeint, und ich nehme es dir nicht übel, an deiner Stelle hätte ich genauso gehandelt. Jetzt sei aber auch vernünftig und wehre dich nicht unnütz. Wir sind sieben gegen einen, und du wirst einsehen, daß Widerstand sinnlos ist.«

»Tötet mich!« schrie René und bäumte sich gegen die Fesseln auf. »Ermordet mich, aber bei Gott, ihr sollt mich nicht lebendig von dieser Insel mitnehmen!«

»Das käme auf einen Versuch an«, antwortete der Harpunier kaltblütig. »Willst du keine Räson annehmen, so haben wir uns schon genug Mühe deinetwegen gemacht. Da können wir dich auch noch das kleine Stückchen tragen. Nehmt ihn auf, Leute, auch wenn er noch so strampelt. Hier ist genug Leine, um zwanzig solche Bürschchen einzuwickeln. So, jetzt noch einen um die Füße, dann hoch mit ihm und fort! Da kommt schon ein neuer Regenschauer! Daß die Pest dieses Land hole!«

»Wohin müssen wir jetzt gehen?« fragte einer der Leute. »Ich weiß den Weg nicht.«

Der alte Harpunier sah sich einen Augenblick selbst verdutzt in der Dunkelheit um.

»Damn it, jetzt hin ich auch konfus geworden. Welchen Kurs haben wir denn eigentlich heraufgesteuert? Wo ist die verdammte Bestie von Insulaner? He, Raiteo, Kanaille, verwünschte, wo steckt der Satan?«

»Verraten und verkauft!« knirschte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. Er sank erschöpft zurück und ließ sich willenlos davontragen. Nicht weit entfernt antwortete ein leiser Pfiff. Es war der Insulaner, der dort auf die Seeleute außerhalb des Bereiches des Ihiamoea wartete. Schweigend führte er den Zug den steilen, schlüpfrigen Pfad hinunter zum Landungsplatz.

Der Regen goß in Strömen hernieder. Der Wind hatte etwas nachgelassen. Als sie aber die Pandanusniederung erreichten und über den scharfen Korallensand gingen, dröhnten laut und mahnend die beiden Kanonenschüsse von Bord des »Delaware« zu ihnen herüber. Fast unwillkürlich hielten die Leute einen Moment. Der Harpunier rief aber:

»Vorwärts, meine Jungen, vorwärts, wir kommen gerade rechtzeitig. Wetter noch einmal, das war abgepaßt! Eine Stunde später und wir hätten die ganze Geschichte aufgeben müssen!«

»Was mögen sie an Bord nur haben?« erkundigte sich einer der anderen Harpuniere.

»Wahrscheinlich wird dem Alten der Wind zu bunt«, lachte der Harpunier. »Jetzt ist gerade eine ruhige Zwischenzeit, um an Bord zurückzukehren. Rasch, Leute, da vorn sehe ich schon die Feuer.«

Ein neuer Hoffnungsfunke durchzuckte René. Wenn ihn auch einer der Insulaner verraten hatte, waren ihm die anderen doch noch gewogen. Wer weiß, ob sie zusahen, wie er fortgeschleppt wurde, wenn er um Hilfe rief. So viel hatte er während seines Aufenthaltes auf der Insel schon von ihrer Sprache gelernt. Als die ersten Häuser erreicht waren, schrie er plötzlich mit lauter, donnernder Stimme um Hilfe.

»Knebel her!« sagte der Harpunier ruhig. »Wer hat ihn, du, John?«

»Ja, hier«, antwortete der Mann und reichte dem Harpunier den Knebel.

»Der Kerl schreit uns noch die Insulaner auf den Hals. Wer weiß, wen er hier zum Freund gewonnen hat, besser ist besser.«

Fest gebunden und mit dem Knebel im Mund konnte sich der Gefangene nicht mehr rühren, und gleich darauf erreichten sie den Strand.

Raiteo forderte jetzt den ausgehandelten Lohn, denn er wollte sich nicht mit den Weißen zusammen sehen lassen. Ehe sie abstießen, wollte er dann mit seinem Bruder zu dem Boot gehen und die Sachen in Empfang nehmen.

»Lauft mit dem Burschen voraus und legt ihn ins Boot, bis ich den Schuft hier abgefertigt habe«, sagte der Harpunier zu seinen Leuten. »Wort müssen wir halten, seht zu, daß ihr inzwischen das Boot flottbekommt.«

Während die Leute dem Strand zueilten, blieb er neben dem Insulaner stehen und zahlte ihm das Blutgeld aus. Als er sich von ihm abwandte, glitt Raiteo in die Büsche.

»Hölle und Teufel!« fluchte der alte Harpunier, als er zum Strand kam und sah, wie die Mannschaft mit dem Boot beschäftigt war. Es lag hoch und trocken auf der Korallenbank und wohl fünfzig Schritt vom Wasser entfernt. »Habe ich den verdammten Schuften nicht gesagt, daß sie das Boot flotthalten sollen? Dabei haben sie es noch weiter aufs Trockene gezogen! Daß der Böse ihre Seelen verdamme! Hinein damit, Jungens! Greift unter und tragt es zum Wasser! Werft den Plunder heraus, der drin liegt, der Eigentümer kann es sich holen! Wo ist René?«

»Hier am Haus liegt er. Bill und Adolphe stehen Wache bei ihm!«

»Ach was, Wache! Der läuft jetzt nicht fort! Hier, Bill, Adolphe, anfassen und das Boot zu Wasser tragen! Hallo, meine Jungen, alle zusammen, there she comes, a-hoi! Was, zum Teufel, macht es so schwer?«

»Wir haben vorher Früchte eingeladen!« antwortete Bill.

»Früchte? Hinaus damit, jetzt ist keine Zeit für Früchte! Hallo hier, einmal ein paar von den Insulanern hierher, damit wir freikommen!«

Aber von denen ließ sich keiner blicken. Der Hilferuf des Unglücklichen hatte ihnen sein Schicksal verraten. Wenn sie ihn auch nicht befreien wollten, so wollten sie auch mit der Sache selbst nichts zu tun haben oder gar den Fremden helfen.

Vielleicht zehn Schritte von dem Boot stand dicht am Strand eine kleine Bambushütte. Dort übernachteten die Missionare, wenn sie sich auf dieser Seite der Insel befanden. Als das Unwetter aufzog, war auch Bruder Rowe hierhergekommen. Er ließ sich natürlich nicht blicken, als die Männer mit dem Gefangenen zurückkamen. Durch die überall dünnen Stäbe der Wände konnte er aber deutlich erkennen, was draußen vorging. Kaum zwei Schritte von seiner Tür entfernt wurde der gefesselte René abgelegt. Bruder Rowe stand dicht hinter der Tür und beobachtete schweigend den am Boden Liegenden.

Außer ihm befand sich aber noch eine andere Gestalt in der Nähe. Es war das indirekte Werkzeug des ehrwürdigen Herrn – Raiteo, der vorsichtig um das Haus herumglitt und die Bewegungen der Männer beim Boot beobachtete. Er hatte seinen Bruder schon abgeschickt, um die Waren zu holen.

»So, Schuft, ja?« murmelte er vor sich hin. »Erst ist man gut genug, weißer Mann Kapitän da hinauf zu führen, nachher ist man Schuft. Gut, gut, Raiteo ist nicht so dumm. Raiteo hat Geld sicher unter Baum versteckt. Jetzt kann Raiteo machen, was er will!«

Die Walfänger hatten alles, was das Boot schwerer machen konnte, hinausgeworfen. Der Regen floß wieder in Strömen nieder, als die sieben kräftigen Gestalten das Boot langsam, aber stetig zum Wasser schoben. Dort wurden sie wieder durch eine Korallenschicht aufgehalten, über die sie es dann auch endlich hinweghoben.

»Die verdammten Insulaner lassen sich nicht blicken!« sagte der alte Harpunier keuchend vor Anstrengung. »Aber hole sie der Henker, wir brauchen sie nicht! Munter, meine Jungen, weiter, da hinten kommt es wieder schwarz wie die Nacht herauf. Wir müssen machen, daß wir das Schiff erreichen, wenn uns der Alte nicht hier zurücklassen soll. Nachher hätte er eine schöne Mannschaft an Bord, ohne alle Offiziere!«

Der »Delaware« hatte eine Laterne ausgehängt und schien noch etwas näher zu kommen.

Als sich die Seeleute mit dem Boot von dem Haus entfernten, glitt Raiteo dahinter vor und wie eine Schlange an den festgebundenen Körper des Gefangenen heran. Dort begann er ohne einen Laut die Seile zu durchschneiden. So leise und geschickt war sein Manöver, daß der dicht davorstehende Missionar nicht erkennen konnte, was da vor seinen Augen geschah. René, der schon in dumpfer Verzweiflung den Gedanken an Rettung aufgegeben hatte, fühlte kaum den scharfen Schnitt des Messers, als ihn auch schon wieder wilde Hoffnung durchzuckte. Er begriff, daß er völlig ruhig liegen mußte, um die Aufmerksamkeit der Seeleute nicht auf sich zu ziehen.

Raiteo hatte Verstand genug, die Füße zuerst zu befreien. Selbst mit gebundenen Händen war in dieser Dunkelheit eine Flucht möglich. René drängte es, einen Arm freizubekommen, um sein Messer zu erreichen, das er noch immer an der Seite trug. Der Knebel hinderte ihn, einen Laut von sich zu geben, und Raiteo wollte ihn nicht entfernen, bis er mit allem fertig war. Er glaubte bei den Füßen alle Stricke durchtrennt zu haben und übersah dabei einen. René hob die Knie, um ihm die Stelle zu zeigen.

»Geh doch einer von euch mal hinauf und sehe nach dem Gefangenen!« sagte in diesem Augenblick der Harpunier. Schritte wurden laut, und Raiteo glitt rasch um das Haus.

Dadurch wurde dem Missionar, der schon durch die Bewegung des Gefangenen aufmerksam gemacht war, klar, daß hier jemand an der Befreiung arbeitete. Es lag keineswegs in seinem Plan, den Mann auf der Insel zu behalten, wo es schon einmal so weit gediehen war.

René schloß die Augen und sank in stummer Verzweiflung zurück, als sich der Matrose über ihn beugte, um zu sehen, ob die Stricke noch in Ordnung waren. Zu gleicher Zeit aber fühlte René, wie sich ein scharfes Messer erneut durch die Stricke schnitt, die seine Arme umspannten.

»Mut!« flüsterte eine Stimme, die ihm wie himmlische Musik vorkam. »Mut, René, und jetzt fort!« Dabei richtete er sich auf und rief laut: »All right!« Er drehte sich um und wollte den Platz verlassen, als er einen Arm auf seiner Schulter fühlte und erschrocken herumfuhr. René lag noch am Boden, als er die zweite Gestalt bemerkte, aber seine Hand umfaßte vorsichtig das Messer und zog es aus der Scheide. Er wußte, er war frei, und mit zwei Sätzen war er im Bereich des Waldes.

Adolphe, denn der war Renés Befreier, drehte unwillkürlich den Kopf zur Seite, um nicht erkannt zu werden. Da erkannte er zu seinem Erstaunen die Stimme des Missionars, der ihn etwas von dem Gefangenen fortzog und leise zu ihm sagte:

»Achtet auf den Gefangenen, Sir, man will ihn befreien, ich habe...«

Er sagte nichts weiter, denn ein einziger Faustschlag des riesigen Franzosen gegen seine Stirn streckte ihn besinnungslos zu Boden.

»Binde ihn!« flüsterte Adolphe und beugte sich zu René. »Er hat dich verraten!« So schnell, wie er gekommen war, sprang er wieder zu den anderen hinunter. Eben hatte man das Boot wieder bis zum Wasserrand gebracht.

»Der Gefangene liegt noch am Boden«, sagte er, als er zu den anderen trat.

»Haben Sie nachgesehen, ob die Seile noch in Ordnung sind?«

»Ich kann ja noch einmal hinaufgehen!« erbot sich Adolphe.

Da blitzte es vom Wasser her, und gleich darauf dröhnte der dumpfe Schall eines neuen Schusses, dem in kaum einer Minute ein zweiter folgte, zu ihnen herüber.

»Hinein mit dem Boot ins Wasser!« schrie der Alte. »Schnell, Leute, legt euch dagegen!«

Mit vereinter Kraft brachte man das Boot in die Flut.

»Alle hinein, mit Riemen und Masten!« lautete der rasch gegebene Befehl. »Laßt die Früchte liegen, wo sie sind, vier von euch holen den Gefangenen, halt hier, das Boot stößt auf, noch einmal alle zusammen – ahoi – there she goes, nun die Riemen und unseren Mann her, und los geht es!«

Es wurde auch Zeit, daß sie losfuhren. Der Wind hatte sich jetzt nach anderthalb Stunden Ruhe völlig gedreht. Aus dem Westen kann es in diesen Breiten sehr böse zu wehen anfangen. Dort stieg auch schon eine schwere, rabenschwarze Wand auf, und der »Delaware« mußte jetzt zusehen, daß er vom Land abkam. Die Leute rannten alle, so rasch sie konnten. Drei von ihnen nahmen die Riemen und den Masten auf, die anderen drei holten den Gefangenen, darunter Adolphe.

»Auf mit ihm!« rief er und nahm den Oberkörper so hoch, daß er den Kopf unter seinen Arm bekam. »Auf mit ihm, Jungens, und hinunter! Da geht ein anderer Kanonenschuß, bei Gott!«

Die beiden anderen Bootssteuerer faßten den Gebundenen mit an, und in vollem Lauf ging es damit die Korallenbank hinunter.

»Vorn ins Boot mit ihm!« schrie der Harpunier. »Haut ihm eins über den Schädel, wenn er nicht gehorcht! In die Riemen und rudert um euer Leben, dort kommt's herauf! Zum Donnerwetter, werft ihn ins Boot! Wenn er nicht gehen will, soll es ihm auch nicht auf eine Beule ankommen!«

Es war jetzt keine Zeit weitere Bemerkungen zu machen. Die Leute sprangen an ihre Plätze, warfen die Riemen in die Dollen, der alte Harpunier hatte seinen in das Rudereisen gezogen, und jetzt flog das Boot durch die schon unruhige See zu dem nicht weit entfernten Schiff, das jetzt auch noch eine zweite Laterne aufgezogen hatte.

René war in dem Augenblick, in dem ihn Adolphe verließ, aufgesprungen. Er wußte im ersten Gefühl der gewonnenen Freiheit gar nicht, was er zuerst tun sollte – fliehen oder sich um den Priester kümmern. Dann wäre aber seine Flucht doch zu schnell bemerkt worden. Eine zweite Person entschied seine Zweifel, nämlich Raiteo.

Er war überraschter Zeuge der schnell aufeinanderfolgenden Vorgänge geworden. Er war aber auch klug genug, um zu erkennen, daß es jetzt gut war, wenn er sich noch etwas bei der Befreiung beteiligte. Er hatte ja auch noch einen anderen Grund, zu wünschen, daß die Weißen die Insel in dem Glauben verließen, daß alles in Ordnung war. Sonst hätten sie ihm noch die anderen, noch nicht geborgenen Waren wieder abgenommen oder Lärm geschlagen. Dann wäre sein Anteil am Fang des Europäers bekannt geworden. Kaum hatte er deshalb den Missionar fallen sehen, als ihm auch der gleiche Gedanke durch den Kopf schoß, den auch der Franzose gehabt hatte. Wie eine Schlange glitt er aus seinem Versteck hervor und band rasch Hände und Füße des geistlichen Herren.

René wußte, daß er von dieser Seite keinen Angriff zu fürchten hatte, sondern nur Hilfe erhoffen konnte. Im ersten Augenblick erkannte er Raiteo nicht, bis der sich zu ihm umdrehte und leise sagte:

»Knebel, schnell!«

»Verdammter Schurke, wo kommst du her?« rief René unwillkürlich aus.

»Pst, den Knebel!« sagte Raiteo, nicht im mindesten beleidigt.

Es war auch keine Zeit mehr zu verlieren. Kaum hatte der Eingeborene den Knebel geschickt verknotet, als auch schon die Männer über die Korallenbank heraufkamen. Rasch schlüpften beide um das Haus herum und ins Dickicht.

Mit klopfendem Herzen hörte René, wie sie den Körper seines Stellvertreters aufnahmen und zum Boot trugen. Als dann aber die Ruderschläge erklangen und sich langsam entfernten, fiel ihm eine Zentnerlast von der Brust. Mit der direkten Gefahr verschwand aber auch jeder trübe Gedanke aus seiner Seele. Sein Leichtsinn überwog wieder, und lachend wandte er sich an Raiteo.

»Du bist doch der abgefeimteste, durchtriebenste Erzschurke, der sich denken läßt!«

Raiteo wußte zunächst nicht, wie er jetzt mit dem Befreiten stand. Aber schon beim Klang der Stimme begriff er, daß der »weiße Mann nicht Kapitän« die Sache leichtnahm. Er war dabei klug genug, nicht weiter auf den Ton einzugehen, und beteuerte ihm, daß der »Bodder Aue« seinen Schlupfwinkel an den weißen Mann Kapitän verraten habe. Der hätte ihn dann mit vorgehaltener Pistole und gebundenen Händen gezwungen, ihn zu dem Platz zu bringen.

René wußte durch Adolphe, daß die erste Aussage zutraf, die zweite war jedoch kaum wahrscheinlich. Doch der junge Franzose nahm den Burschen eben, wie er war. In seiner, neugewonnenen Freiheit fühlte er sich nicht geneigt, irgend jemand in der weiten Welt überhaupt zu zürnen. Zudem hatte Raiteo einen Teil seiner Schuld wieder gutgemacht und dadurch doch auch Reue gezeigt.

René beobachtete das Schiff noch weiter. Die neuen Kanonenschüsse verrieten die Eile, in der sich der Kapitän befand. Das war etwas, wofür ihn der Befreite segnete. Bald zeigten die eingeholten Lichter, daß das Boot wieder an Bord war. Noch konnte er die Kompaßlampe durch die Nacht erkennen, aber bald erlosch dieser schwache Punkt auch. Mit dem jetzt aus vollen Backen einsetzenden Westwind war in kaum einer halben Stunde jede Spur von dem so gefürchteten Schiff verschwunden.

Doch trotz des Wetters blieb René die Nacht über mit Raiteo auf dem Hügel und hielt Wache. Erst als er sich am kommenden Tag davon überzeugt hatte, daß der »Delaware« nirgends mehr am Horizont zu erkennen war, flog er mehr als er ging die steilen, schlüpfrigen Hänge hinunter auf das Missionsgebäude zu. Dort wartete Sadie schon voller Angst auf einen Boten, der ihr melden sollte, ob das Schiff die Insel verlassen habe.

Als sie hörte, was René passiert war, erschrak sie sehr. Um so größer war die Freude über die jetzt überstandenen Gefahren. René hütete sich natürlich zu erwähnen, was aus dem geistlichen Mann geworden war. Allerdings konnte er nicht verheimlichen, daß er durch dessen freundliche Fürsorge verraten war.

 

Was war aber inzwischen aus ihm geworden?

Als das Boot dicht genug am Schiff angelangt war, rief der Kapitän schon mit Donnerstimme hinüber:

»Boot ahoi!«

»Ship ahoi!« lautete die rasche Antwort des Harpuniers. »All right!«

»Scharf, meine Jungen, macht daß ihr an Bord kommt! Steht bei hier bei den Taljen! Alles klar?« schrie die Stimme zurück.

»Alles klar, Sir!« lautete die Antwort der Matrosen, die an den Kränen bereitstanden.

»Nieder mit den Blöcken!« rief man von unten herauf, als das Boot an die Seite schoß und die Ruder wie mit einem Schlag in die Höhe geworfen wurden. »Hier, hakt ein, hinauf mit euch, all right!« brüllte der Harpunier durch das Schreien der Leute und das Rasseln der Rahen, die ebenfalls zu gleicher Zeit herumflogen. Seine Leute kletterten rasch an Bord hinauf. Nur zwei Mann blieben zurück und achteten auf die eingehakten Taljen. Eine halbe Minute später schwebte das Boot nach oben unter die Kräne. Dann holten die beiden Männer den Gebundenen hervor und reichten ihn auf das Deck.

»Der hat die letzten zehn Minuten gestrampelt, als ob er sich die Seele aus dem Leibe treten wollte!« sagte Bill, als sie ihn über die Schanzkleidung holten.

»Aber zum Donnerwetter...!«

»Zwei Reffs in Vor- und große Marssegel – fort mit euch da hinauf!« schrie der Kapitän in diesem Augenblick. Die Leute mußten den Gefesselten liegenlassen. Er wand sich auf dem Deck wie ein Wurm. Das Niederrasseln der Rahen, das Heulen der Leute an den Refftaljen übertäubten für den Augenblick selbst das jetzt mit Macht aufkommende Wetter. Die nächste Viertelstunde nahm durch das Reffen alle in Anspruch, und niemand kümmerte sich um den unglücklichen Priester. Erst als die Mannschaft mit dem gemeinsamen »Oh, jolly men – hoy!« die Marsrahen wieder aufzog, trat der zweite Harpunier zu ihm. Er war nicht mit an Land gewesen und hatte schon während der letzten Minuten die an Deck liegende Gestalt mißtrauisch und forschend betrachtet. Jetzt rief er erstaunt aus:

»Why, damn it – das ist nicht René!«

»Nicht René?« antwortete der Kapitän, der dicht neben ihm stand, die Linke um eine der Brassen und mit dem Blick zu den aufsteigenden Haben. »Wer soll es denn sonst sein? Belay that! Große Marsrahe! Was liegt an?«

»Norden halb Westen«, tönte die monotone Stimme vom Steuerrad herüber.

»Steady then – halt den Kurs – wer soll's denn sein, Mr. Browning?«

»Weiß nicht, Sir«, antwortete der. Er hatte dem Stewart zugerufen, daß er eine Lampe bringen sollte. »Wen haben wir denn hier?«

»Hallo, Mr. Rowsey!« rief in diesem Augenblick der Kapitän. Er war ebenfalls herangetreten und starrte in das ihm fremde, wilde Gesicht des Bruders Rowe. »Wen zum Henker haben Sie uns da vom Land mitgebracht? Haben Ihnen die Insulaner diese Jammergestalt als René verkauft?«

Der alte Harpunier drückte sich rasch durch die Offiziere, die um den gebundenen Mann standen. Während ihn alle halb lachend, halb staunend ansahen, stand er wohl eine halbe Minute verdutzt vor dem Gefangenen, dann platzte er heraus:

»Why – Gott strafe mich, das ist ja der Pfaffe! Den? Himmeldonnerwetter, den haben wir doch nicht etwa im Boot mitgebracht?«

»So bindet ihn wenigstens los!« sagte der Kapitän ruhig und verbiß sich nur mit Mühe das Lachen. Während zwei darangingen, die Fesseln aufzuschneiden, fluchte und wetterte der alte Harpunier und schien nicht wenig Lust zu haben, jetzt selbst über den Missionar herzufallen. Als ob der arme Mann die Schuld für diese traurige Verwechslung trug!

Bruder Rowe bekam aber kaum den Mund frei, als er auch augenblicklich seine Meinung kundtat. Er schrie Mord und Gewalt und verlangte, sofort wieder an Land gebracht zu werden. Nur mit Mühe bekam man von ihm heraus, daß nach seiner Meinung einer der Leute vom Schiff ihm einen Schlag versetzt hatte, der ihn bewußtlos niederstreckte. Dann hätte man ihn wahrscheinlich gebunden und gefesselt. Dagegen protestierte aber der Harpunier energisch. Das wäre unmöglich, denn so lange Zeit war niemand von seinen Leuten entfernt gewesen. Trotzdem rief man alle Mann zusammen. Der Priester sollte jetzt den zeigen, den er für den Täter hielt. Aber das konnte er nicht. Der Harpunier erinnerte sich, einen hinaufgeschickt zu haben, der nach dem Gefangenen sehen sollte. Der sei aber sofort zurückgekehrt. Adolphe meldete sich. Er habe nur die Gestalt am Boden liegen sehen und sich um nichts weiter gekümmert.

Zwar war Adolphe Renés Landsmann, und mancher mochte einen leisen Verdacht hegen, aber es ließ sich überhaupt nichts beweisen. Auch der Kläger erinnerte sich nicht an den Täter. Dazu kam der alte Groll, den Walfänger gegen Missionare meistens haben. In den Ärger über das Entkommen des Matrosen mischte sich bald eine Portion Schadenfreude, daß gerade der Priester, der den Seemann verraten hatte, in die Grube gefallen war, die er dem anderen gegraben hatte. Der Kapitän zuckte zuletzt nur mit den Schultern, als der geistliche Herr im Zorn versicherte, er werde sich an seine Regierung wenden und volle Genugtuung für diese unwürdige Behandlung verlangen. Als er aber immer noch darauf bestand, sofort wieder an Land gebracht zu werden, rief er aus:

»An Land! Bei diesem Wetter! Und wenn Sie mir tausend Dollar Passage bis zu der verdammten Insel bezahlen, könnte ich weder ein Boot noch mein Schiff zwischen die Riffe schicken!«

Bruder Rowe war außer sich, aber Drohungen wie auch Versprechungen blieben fruchtlos. Der Kapitän tröstete ihn damit, daß er eine der nördlich gelegenen Inseln anlaufen werde. Von da könne er dann sehen, wie er wieder nach Tahiti zurückkäme. Zwei Tage später lief er Bola-Bola an, wo er den Reverend Mr. Rowe absetzte. Vierzehn Tage vergingen, ehe er von dort aus mit einem kleinen Schoner weiterfahren konnte. Seine Bootsleute hatten sich inzwischen keinerlei Gedanken über seine lange Abwesenheit gemacht. Sie wären noch länger neben dem Boot geblieben, wo es genug Brotfrüchte und Kokosnüsse für sie gab.


 << zurück weiter >>