Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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»Monsieur!« rief ihm die kleine, lebendige Frau schon von weitem entgegen. »Ich habe Ihnen eine sehr angenehme Nachricht mitzuteilen! Dort drüben ist eine junge Dame, die den Augenblick nicht erwarten kann, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie hat sich schon genau nach Ihren Verhältnissen erkundigt, achten Sie deshalb auf Ihr Herz!«

»Sie sind sehr gütig, Madame!« lachte René.

»Spotten Sie nicht zu früh!« warnte Madame Belard. »Sie bekommen es mit keinem gewöhnlichen Mädchen zu tun und werden einem Paar Augen standhalten müssen, denen schon stärkere Herzen erlegen sind, als es ein junger, leichtsinniger Franzose in der Brust herumträgt!«

»Und die Dame?«

»Warten Sie, sie spricht dort drüben noch mit Madame Choupin, der Stiefmutter von Brouards Frau. Der möchte ich nicht in die Hände laufen.«

»Die junge Dame dort?« rief René rasch. »Oh, ich habe sie schon vorher bemerkt. Sie kommt von Papara, wenn ich nicht irre.«

»Das wird Sie Ihnen gleich alles selbst erzählen, Monsieur. Aber, ehrlich gesagt, bin ich selbst neugierig, welches Interesse sie in so auffallender Weise an Ihnen hat. Sie müssen ihr doch fremd sein!«

»Sympathie!« lachte René. »Lieb ist es mir aber nicht, daß gerade ein so reizendes Wesen sich für mich interessiert.«

»Sie müßte denn im Auftrag von Madame Choupin...« sagte Madame Belard in einer komischen Mischung von Besorgnis und Schadenfreude.

»Um der heiligen Jungfrau willen, schon der Gedanke ist grausam! Oder gönnen Sie mir mein Glück nicht?«

»Gönnen? Woher wissen Sie denn eigentlich, daß Sie Glück haben werden? Ihr eitlen Männer werdet hier auf den Inseln viel zu sehr verwöhnt. Hätte ich früher gewußt, was ich jetzt weiß, hätte ich nie meine Einwilligung zu einem Umzug nach Tahiti gegeben. Wie ich sehe, können wir jetzt zu ihr, kommen Sie.« Damit nahm sie Renés Hand und führte ihn zu der jungen Fremden, die sich mit Madame Brouard unterhielt. Kaum war die Vorstellung ausgesprochen: »Monsieur Delavigne, Mademoiselle Susanne Lewis«, als auch schon der Tanz erneut begann.

»Um so besser, beim Tanz werden Sie noch schneller miteinander bekannt!« rief ihnen die kleine, muntere Frau zu. »Dort kommt auch mein Tänzer, Monsieur le capitaine, und ich muß Sie jetzt Ihrem Schicksal überlassen.«

Delavigne konnte so gar nicht anders handeln. Er mußte der schönen Fremden seinen Arm reichen, und lächelnd hakte sie sich bei ihm ein.

»Madame Belard hatte mich durch eine Neckerei zu Ihnen gebracht und mich ermutigt, zu glauben, daß Sie mich kennenlernen wollten. Ich weiß aber gar nicht, ob ich ein solches Glück verdiene...«

»Sie wissen auch nicht, ob das ein Glück für Sie werden wird, Monsieur«, antwortete sie und lächelte erneut. Überrascht sah sie René an. Fast die gleichen Worte hatte doch auch Madame Belard gebraucht. Standen die beiden Damen im Einverständnis? Aber weshalb?

»Es ist jedenfalls ein Glück, in diese schönen Augen sehen zu dürfen, und Böses kann da nicht geschehen!« sagte René rasch.

»Haben Sie ein gutes Gewissen?«

René lachte. »Ja und nein, nicht schwerer zu tragen als alle anderen Sterblichen und auch nicht leicht genug, um zu befürchten, daß mein Herz über Nacht davonfliegt.«

»Sie sind ein fortgelaufener Matrose«, fuhr die junge Frau fort und sah ihn neckisch an. René errötete. Da aber seine Geschichte auf Tahiti kein Geheimnis war, sagte er ruhig:

»Hat man schon versucht, mich Ihnen von der schlimmsten Seite darzustellen?«

»Das müssen Sie selber beurteilen. Übrigens bin ich an der Sache näher interessiert, als Sie vielleicht glauben. Sie sind mein Gefangener.«

»Auf Gnade oder Ungnade!« lachte René und ging damit gern auf den leichten Ton des schönen Mädchens ein. »Aber Sie haben sicherlich schon sehr viele ähnliche Gefangene gemacht und werden uns alle auf unser Ehrenwort entlassen müssen, damit wir Ihrem Triumphwagen scheinbar frei folgen können.«

»Auf Ehrenwort? Geben Sie kein leichtsinniges Versprechen, ehe Sie wissen, wem Sie es geben!«

»Wem?« sagte René erstaunt, aber ihr Gespräch wurde hier durch den Tanz unterbrochen, der die Paare vorrief und trennte. Es bot sich auch keine Gelegenheit mehr, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln, bis der Tanz beendet war. Dann nahm René seine Tänzerin am Arm und führte sie den Saal hinunter.

»Jetzt lösen Sie mir bitte Ihr Rätsel. Sie tragen eine Maske, tun so, als ob Sie sie lüften wollen, und ziehen die Hand wieder zurück. Ihr Spiegel verrät Ihnen, daß Ihnen der Allmächtige einen großen Zauber ins Auge gelegt hat. Mißbrauchen Sie aber die Macht nicht, die Ihnen gegeben ist, das haben Sie nicht nötig.«

»Auf einem Walfänger lernt man doch nicht solche Schmeicheleien«, lächelte die Schöne. »Aber es wird Zeit, daß wir unsere Stellungen einnehmen. Also noch einmal, Sie sind mein Gefangener, René Delavigne!«

»Von Herzen gern!«

»Halt! Nicht für mich, Monsieur, sondern für meinen Vater, Jonathan Lewis, Kapitän des dreimastigen Walfängers ›Delaware‹, ein gut gekupfertes Schiff erster Klasse und zur Zeit...«

»Miß Lewis? Wie ist das möglich?« unterbrach sie René völlig überrascht.

»Zur Zeit wahrscheinlich und mit Gottes Hilfe schon zu Hause in Bedford, von seinem Kreuzzug heimgekehrt«, fuhr das Mädchen ernst fort.

»Aber Sie, eine Französin, sollen die Tochter des Kapitäns sein, der durch und durch ein Yankee ist?« rief René noch immer ungläubig.

»Weigern Sie sich, mir zu gehorchen, nur weil mir der schriftliche Verhaftungsbefehl fehlt?«

»Sie sind grausam, Miß.«

»Nun, dann will ich Ihnen kurz das Rätsel auflösen. Ich bin keine Französin, sondern im Staate New York geboren. Meine Mutter starb früh, und mein Vater schickte mich nach Louisiana, wo seine Schwester mit einem französischen Pflanzer verheiratet war. Meine Gesundheit litt aber dort, und als ich in meine Heimat zurückkehrte, verschlimmerte der rauhe Nordwind das Übel noch. Die Ärzte verlangten eine Luftveränderung. Mein Vater war damals gerade dabei, einen Walfänger auszurüsten. Mit einem alten Freund sandte er mich deshalb voraus nach Tahiti, wo er mich später besuchen und vielleicht wieder abholen will.«

»War der ›Delaware‹ hier?«

»Das interessiert Sie wohl brennend?«

»Der ›Delaware‹ interessiert mich allerdings«, lächelte René.

»Ich kann Ihnen mein Wort geben, daß sich der ›Delaware‹ auch für Sie interessierte. Mein Vater landete gerade auf Tahiti, als Sie entsprungen waren. Er eilte deshalb auch wieder fort, um den ›entsprungenen Matrosen‹, wie er mir erzählte, auf der Insel ›abzuholen‹. Wer hätte gedacht, daß ich so glücklich sein sollte, ihn wieder einzufangen!«

»Warum waren Sie nicht früher an Bord?« sagte René. »Ich wäre nie davongelaufen.«

»Traue jemand euch Männern! Kaum an Land, und schon denkt ihr nicht mehr an die heiligen Bande, die euch noch an das Vaterland fesselten. Und Sie haben auch nichts Eiligeres zu tun, als dem Beispiel Ihrer Landsleute zu folgen und ein armes Mädchen zu beschwatzen, das ihm die Dauer seines Aufenthaltes hier verschönen soll.«

»Sie tun mir Unrecht, Mademoiselle.«

»Oh? Ihnen sind wohl die gemachten Verträge stets heilig?«

René biß sich auf die Lippen und sagte nach kleiner Pause:

»Sie tadeln mich also dafür, daß ich mich dem Leben an Bord durch die Flucht entzogen habe?«

»Nein, ich begreife nur nicht, wie Sie den unglückseligen Gedanken fassen konnten, überhaupt an Bord zu gehen!« antwortete Susanne lachend. Ihr Blick traf seinen, und wie musternd betrachtete sie anschließend seine Kleidung. »Wenn ich Sie jetzt so vor mir sehe und Sie mir dann als gewöhnlichen Matrosen in all dem Schmutz und dem entsetzlichen Leben vorstelle... aber Ihre Frau?«

»Steht dort drüben bei dem französischen Offizier. Darf ich Sie zu ihr führen?«

»Nein, danke«, antwortete die junge Dame mit kühler Höflichkeit. »Ich komme aus Louisiana, und Sie dürfen mir nicht verübeln, daß ich nicht viel für braune Haut übrig habe.« –

René sah erstaunt, ja beleidigt zu ihr auf. Susanne begegnete fest dem Blick.

Sie war ein wunderschönes Mädchen, wie sie da vor ihm stand. Die volle, üppige Gestalt war doch zart und schlank, ihr Gesicht frisch und mit einem Ausdruck, der unsere Sinne auf den ersten Blick gefangennimmt. Die Augen feurig und doch wieder sanft. René sah in diese Sterne voller Glut und Leben, bis er fast vergaß, welche bitteren Worte ihre schönen Lippen gerade erst ausgesprochen hatten.

»Sie sind beleidigt. Sie hätten lieber gehabt, wenn ich eine Unwahrheit gesagt hätte«, sagte sie endlich leise.

»Sie bringen ein Vorurteil mit aus einer fernen Welt«, erwiderte René, »und doch verzeihe ich Ihnen gern, Sie kennen Sadie noch nicht.«

»Sadie – ein schöner, klangvoller Name. Ich wollte, ich hieße Sadie. Wir in Nordamerika wählen unsere Namen fast nur aus der Bibel.«

»Ah, schon wieder einen alten Bekannten getroffen?« unterbrach in diesem Augenblick die Stimme des Kapitäns der »Jeanne d'Arc« das Gespräch. »Sie haben Glück, Monsieur Delavigne. Aber jetzt möchte ich die Dame um den mir versprochenen Tanz bitten.«

Miß Lewis nahm mit einer dankenden Bewegung des Kopfes seinen Arm und winkte René freundlich zu.

»Ich muß Sie nachher noch einmal sprechen.«

René verbeugte sich, aber in diesem Augenblick stand Sadies Bild vor seiner Seele, und er erwiderte das Lächeln nicht.

Als er zu seiner Frau zurückkehrte, war sie gerade mit Bertrand zum Tanz angetreten. So blieb er mit untergeschlagenen Armen am nächsten Fenster stehen. Er sah den Tänzern zu, ohne sie richtig wahrzunehmen. Vor seinem Inneren stand wieder die schöne Fremde, und ihre kalten Worte erfüllten ihn mit einem eigenartigen, wehmütigen Gefühl. Weshalb hatte sie ihn aufgesucht und freundlich mit ihm gesprochen, nur, um ihn wieder zurückzustoßen? War das nur Koketterie, um ihn die Macht fühlen zu lassen, die sie über Männer ausüben konnte? Bei diesem Gedanken zuckte um seine Lippen ein verächtliches Lächeln. »Törichtes Mädchen, deine Schönheit kann das Auge für kurze Zeit blenden, aber den Mangel an Herz kann sie nicht ersetzen. Geh und suche dir ein anderes Spiel, bei mir hast du deine Zeit verloren!« murmelte er leise vor sich hin.

Wieder wechselten die Bilder vor seinem inneren Auge. Mit den wirbelnden Gedanken und der vertrauten Musik stiegen Erinnerungen in ihm auf. Er preßte die Hand auf die Augen, aber nur wilder und ungestümer drangen die Gedanken auf ihn ein. Mehrere Minuten hatte er so gestanden, als eine leichte Hand seinen Arm berührte. Fast erschrocken blickte er wieder auf.

»Bist du krank?« sagte eine liebe Stimme, und Sadies treue Augen sahen ihn ängstlich an. Er brauchte einige Sekunden, um sich von den Erinnerungen frei zu machen. Wie ein Sonnenstrahl die Nacht der Wolken durchbricht und Licht und Leben über die noch vor wenigen Augenblicken nur mit Nebelschatten bedeckte Erde wirft, so tauchte plötzlich das Bild seiner Frau vor ihm auf. Er fühlte das Wohltuende ihrer Nähe, das den bösen Geist, der ihn beschlich, zurückdrängte. Ihre Hand ergreifend, flüsterte er das Zauberwort, das sich ihm selber retten sollte: »Sadie!«

»Du bist krank, René«, sagte die junge Frau und drehte ihn zum Fenster. »Du siehst bleich und angegriffen aus, laß uns nach Hause gehen«, setzte sie dann rascher und leiser hinzu. »Dort wird dir viel wohler sein, und... mir auch!«

»Mir fehlt nichts, mein Liebes«, erwiderte René lächelnd. Ein Gefühl trieb ihn dazu, seine jetzige Bewegung und deren Ursache vor seiner Frau zu verbergen.

»Ich fühle mich sogar sehr wohl heute abend, und ich will noch viel tanzen. Verschmähte Freude kehrt nicht zurück, und es wäre Sünde, sie nicht zu nutzen.«

»Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen, aber es wäre doch Ihre Schuldigkeit, wenigstens für einen Tanz die Wirtin aufzufordern!« sagte da Madame Belard lachend neben ihnen.

René hätte in diesem Augenblick keine bessere Entschuldigung finden können, um weiteren Fragen auszuweichen. Er nickte Sadie zu und bot Frau Belard den Arm an.

»Heda, Sadie, du machst ja so ein ernstes Gesicht! Bist du schon müde?« erkundigte sich Aumama.

Sadie schüttelte lächelnd den Kopf.

»So leicht nicht, Aumama. Mir gefällt auch das Tanzen gut. Wenn ich nur wüßte«, setzte sie mit leiser Stimme hinzu, »ob es nicht vielleicht doch eine Sünde ist, die wir begehen und uns dabei vorlügen, daß es nur eine unschuldige Freude ist.«

»Was ist es denn sonst?« lachte Aumama. »Nimm mir den Tanz, und ich gebe dir mein Leben in den Kauf. Nur diese Gesellschaft hier gefällt mir nicht. Das Umfassen hemmt die freie Bewegung, das Drehen macht mich schwindlig, und auch die Wände und der Boden hier verwirren mich. Es ist mir, als ob ich draußen im Kanu auf offener See treibe, und die Wellen werfen mich auf und nieder. Nein, gib mir eine freie, offene Stelle unter blühenden Zweigen und die blinkenden Sterne über uns. Dazu die lustige Trommel, dann bin ich mit Herz und Seele dabei. Hei, wie die Tapa im Wind flattert und die Locken um die Stirn fliegen. Da wird dir das Blut in den Adern zu flüssigem Feuer! Dieser Tanz hier ist kalt, kalt wie das Land, aus dem er kommt. Da können sie auf ihren merkwürdigen Instrumenten so viel Lärm machen, wie sie wollen, sie können mein Herz nicht erwärmen. Sie haben ja noch nicht einmal eine Trommel dabei!«

»Du bist eine merkwürdige Frau. Fremde Völker haben doch auch fremde Sitten«, sagte Sadie lächelnd.

»Deshalb sollen sie auch uns unsere lassen«, trotzte Aumama. »Aber, was ich dich fragen wollte – wer ist das weiße Mädchen, das mit René so lange tanzte und dann so viel mit ihm zu reden hatte?«

»Ich weiß es nicht, eine Fremde, glaube ich, warum?«

»Mir würde das nicht gefallen, wäre ich wie du. Sie hat ein glattes und listiges Gesicht, und ihr Blick... Ich konnte ihre Sprache nicht verstehen, aber das ist auch nicht nötig, wenn die Augen so deutlich reden wie die Lippen!«

»Und was haben sie dir gesagt?«

»Nichts, was mich freute, aber auch nichts, was ich wiedererzählen möchte. Man soll keinem Menschen etwas Übles nachreden nur auf einen Verdacht hin.«

»Du bist ärgerlich auf die fremden Frauen. René hat seitdem nicht wieder mit ihr gesprochen.«

»Auch mit sonst keinem. Er stand da am Fenster und stützte seinen Kopf in die Hand, als du zu ihm kamst.«

Sadie schwieg und sah nachdenklich vor sich hin. Ihr Blick haftete nicht lange am Boden, sondern suchte den Mann im wilden Gewirr des Tanzes. Dann suchte sie vergeblich nach Miß Lewis, die den Saal bereits verlassen hatte. René lachte und plauderte noch immer mit Frau Belard.

Neue Gäste kamen zum Tanz, als gerade eine Pause verkündet wurde. Zur Erfrischung standen Früchte, Kuchen und Wein bereit. Kaum schwieg die Musik, als sich auch schon einige der wilden Mädchen in der Mitte des Saales versammelten, froh, den lästigen Zwang hinter sich zu haben. Bald waren sie von einem großen Teil der Männer umstanden.

»Kommt!« rief eine aus der fröhlichen Schar. Sie kümmerte sich wenig um die geputzten Fremden, die im Hing um sie standen.

»Komm! Denn der scharfe Ton
hat mich gelangweilt schon, komm!
Zuckt mir's durch Fuß und Knie
Zuckt mir's im Herzen hie! Komm!«

»Gib Frieden, Waihine – fort mit dir, Mädchen«, riefen einzelne lachende Stimmen dazwischen. »Hier ist kein Platz für eure wilden Tänze, wo fremde Frauen sind, auseinander mit euch!«

»Fort?« riefen aber jetzt andere, denen der wilde, bekannte Laut die Pulse schon rascher schlagen ließ.

»Fort? Laß sie schwatzen da,
Herzchen, wir kommen ja. Fort!
Rasch nur die Trommel her,
steh'n wir nicht müßig mehr. Fort!«

Den Takt mit den flachen Händen auf die Hüften schlagend, singend und lachend begann die muntere Schar den wilden Upepehe, den Lieblingstanz ihres Stammes. Zwar sprangen noch einzelne Männer dazwischen, die nicht zu Unrecht befürchteten, daß der Tanz in dem Übermut der jubelnden Schar ausarten könnte, aber zu spät.

Die neu angekommenen Gäste, zwei Marineoffiziere der »Jeanne d'Arc«, mischten sich gleich lachend unter die Mädchen, die sie fast alle kannten. Madame Belard beschwor jetzt René, seinen Einfluß aufzubieten und das zügellose Volk wieder zur Ordnung zu bringen. Das war jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. In der Mitte gestört, stoben sie nach allen Seiten hinaus, jede auf eigene Art den begonnenen Tanz fortsetzend. Es wurde erst möglich, sie wieder zur Ordnung zu bringen, als die Trompeten ein Zeichen für den nächsten Tanz gaben. Dadurch gerieten die Mädchen aus dem Takt und hörten auf.

Die Musik ging gleich in den Tanz über, und die neu angekommenen Offiziere sahen sich nach Tänzerinnen um. Von den weißen Damen schien aber nur noch Mrs. Noughton übriggeblieben zu sein, die trotz aller Aufforderungen wacker neben ihrem Mann auf dem Sofa ausgehalten hatte. Madame Belard war mit Monsieur Brouard angetreten, Madame Brouard mit dem Kapitän, und Fräulein Susanne blieb verschwunden. Mrs. Noughton weigerte sich auch diesmal mit einer steifen Verbeugung. Einer der Offiziere sah leicht getröstet im Saal umher, um sich eine von den Insulanerinnen auszusuchen, als sein Blick auf Sadie fiel. Ihre europäische Tracht fiel ihm nicht besonders auf. So trat er rasch zu ihr, legte seinen Arm um ihre Taille und sagte:

»Komm, Waihine, wir beide wollen einmal versuchen, wie wir herumkommen. Aber halt das Köpfchen steif, damit du nicht schwindlig wirst. Ich werde dich schon drehen.«

René hatte sich gerade mit Bertrand unterhalten und ging langsam zu der Stelle, an der Sadie stand, als er bemerkte, wie sie sich in dem Arm des Fremden sträubte.

Der junge Offizier, der schon seit Monaten seines langen Aufenthaltes an den Umgang mit den Frauen Tahitis gewöhnt war, glaubte hier nur eine etwas sprödere Schöne gefunden zu haben. Lachend rief er:

»Zum Teufel, mein Mädchen, wehre dich doch nicht, ich tue dir doch nichts!« Sadie war aber so erschrocken, daß sie nicht einen Laut herausbrachte. Sie fühlte sich von dem starken Mann emporgehoben, als René mit einem Sprung an ihrer Seite war. Seine Hand griff mit Eisengriff die Schulter des Soldaten, und mit vor Zorn bebender, kaum hörbarer Stimme sagte er:

»Zurück da, Monsieur, das ist meine Frau!«

»Sollst sie behalten, Kamerad, aber ein Tänzchen muß sie erst noch mit mir machen, da hilft ihr kein Gott!« antwortete der etwas rohe Offizier lachend.

»Lassen Sie mich los, Monsieur!« rief jetzt auch Sadie, durch Renés Gegenwart ermutigt. Durch das flüssige Französisch der Insulanerin war der Offizier überrascht. Kaum ließ er seinen Griff um ihre Taille etwas nach, als er auch schon von dem wütenden René gefaßt und mehrere Schritte zurückgeschleudert wurde.

»Teufel!« schrie er auf und fuhr mit der Hand unwillkürlich nach dem leeren Degenkoppel. Bertrand sprang dazwischen, und der Offizier besann sich darauf, wo er sich befand und daß er dieses Fest nicht stören durfte. Er biß die Zähne aufeinander und winkte dem trotzig zu ihm herüberschauenden René, ihm zu folgen. Aber andere Augen hatten ebenfalls den Wink gesehen und verstanden, und ehe René imstande war, sich von Sadie frei zu machen, fühlte er eine Hand auf der Schulter. Der Kapitän der »Jeanne d'Arc«, der gerade zufällig mit seiner Tänzerin dort stehengeblieben und Zeuge des blitzschnellen Vorfalles war, bat ihn, nur wenige Minuten auf seiner Stelle zu bleiben, bis er ihm von draußen Antwort bringe. Dann folgte er ohne weiteres dem Offizier, erreichte ihn an der Tür, faßte seinen Arm und führte ihn mit sich hinaus.

In dem Saal war wieder für einen Moment Stille eingetreten. Die Musiker hatten den Streit unmittelbar vor sich erlebt und wie verabredet aufgehört, die Tänzer stockten. Auch einige der übrigen Gäste hatten die Ursache des so plötzlich aufgetauchten Streites erkannt und sahen, daß er schon zu weit gegangen war, um ihn anders als mit Blut zu sühnen. In peinlicher Erwartung sah man dem Ausgang dieser Sache entgegen. Nur die eingeborenen Mädchen hatten die Zusammenhänge nicht erkannt. Für sie war der Streit mit dem Fortgang des Offiziers erledigt. Zuerst staunten sie über die feierliche Stille im Saal, dann gewann ihr leichter Sinn wieder die Oberhand.

»Hierher, Waihines!« rief lachend Nahuihua, die Schwester Aumamas, mit der Lefevre schon fast den ganzen Abend getanzt hatte.

Schnell! – Schnell wie der gierige Hai
Schneidet die Flut entzwei. Schnell!«

»Ruhe, Waihine!« flüsterte es rasch um sie her, und das Mädchen schwieg erschrocken mitten in ihrem Gesang, als sie die ernsten Gesichter um sich sah, die sich jetzt entsetzt zu ihr umdrehten.

Madame Belard wußte aber, wie der böse Geist wieder zu bannen war. Dem Orchester ein Zeichen gebend, ergriff sie den Arm Renés. Mit der einsetzenden Musik zog sie ihn zum Tanz.

»Monsieur Delavigne, Sie haben mir meinen Tänzer fortgejagt und sind jetzt auch verpflichtet, seine Stelle einzunehmen.« Etwas leiser setzte sie hinzu: »Merken Sie denn nicht, daß alle zu Ihnen sehen? Machen Sie wieder gut, was Sie verdorben haben, und zeigen Sie den Leuten, daß Sie gar nicht daran denken, Streit anzufangen.«

René fühlte mehr, als er verstand, daß sie recht hatte. Einen Blick zu Sadie warf er zurück und sah sie im Schutze Bertrands. Mit einer Verbeugung zu seiner Tänzerin sagte er leise:

»Verzeihen Sie bitte den fatalen Auftritt, den ich Ihnen in meiner Wut bereitet habe, aber...«

»Ich weiß alles«, beruhigte ihn Madame Belard. »Nur ein Mißverständnis, ruhig, Monsieur, Sie sollen nicht wieder aufbrausen, solange ich zu Ihrem Schutz da bin. Ein Mißverständnis war die ganze Ursache. Der junge Offizier, der Sie gar nicht kannte, kann nicht die Absicht gehabt haben, Sie oder Sadie wissentlich beleidigen zu wollen. Er würde vielleicht ebenso leicht daran denken, sich einen Finger abzuschneiden, als hier bei mir Streit anzufangen.«

»Aber er hat...«

»Ich weiß ja alles«, unterbrach ihn wieder Madame Belard und schüttelte in gutmütiger Ungeduld mit dem Kopf. »Er hat Ihre Frau nach unseren Begriffen beleidigt. Wäre das auf einem europäischen Ball vorgefallen, so könnte nichts anderes als Degen oder Pistole den Streit entscheiden, habe ich recht?«

»Wäre das? Ist das nicht hier, bei meiner Frau, genau dasselbe?« erkundigte sich René erstaunt.

»Nein, nein, und abermals nein!« sagte Madame Belard ungeduldig. »Nach insulanischen Begriffen von Ehre und Schicklichkeit...«

»Aber meine Frau ist...«

»Eine Insulanerin, Sie mögen es drehen und wenden, wie Sie es wollen. Wenn sie von den übrigen eine Ausnahme macht, von denen sie sich tatsächlich wie Tag und Nacht unterscheidet, so liegt der Unterschied doch nicht auf der Haut! Der junge Offizier sprang hier übermütig herein, froh, einen Abend vom Schiffsdienst frei zu sein. Weil er keine Tänzerin hatte, suchte er sich eine unter den schönsten Einheimischen aus. Daß er dabei aus Versehen gerade auf Ihre Frau trifft, war genauso ein Zufall, wie einen Neger mit weißer Haut zu finden. Woher sollte er wissen, daß die Insulanerin so ganz ihren eigenen Sitten entsagt hat und mit den europäischen Gebräuchen vertraut ist?«

»Aber ihre ganze Kleidung mußte ihm das schon gleich verraten!«

»Als ob ihr Männer überhaupt jemals seht, womit sich eine Frau herausgeputzt hat! Aber, Delavigne!« setzte sie ernster hinzu und sah sich um, ob sie noch jemand hörte. »Seien Sie auch vernünftig. Der Fremde kann unsere Verhältnisse nicht kennen und wird der farbigen Eingeborenen nie eine solche Achtung und Aufmerksamkeit zollen wie einer ebenbürtigen.«

»Ist sie das nicht auch?« rief René erstaunt, und Madame Belard biß sich auf die Lippen. Sie zögerte noch mit einer Antwort, die sie sich scheute gerade auszusprechen.

»Lieber René«, sagte sie endlich nach einer kleinen Pause mit wirklicher Herzlichkeit im Ton, wie sie noch nie zu ihm gesprochen hatte. »Sadie ist ein liebes Kind, eine Frau, die man mit jedem Tag lieber gewinnt, und ihre ganze Seele liegt in ihrem Blick, aber...«

»Aber? Madame Belard?«

»Sie haben sich mit ihr die Rückkehr in die Heimat abgeschnitten«, setzte die kleine Frau endlich entschlossen hinzu. »Sie haben sich auf Ihre Bambushütte und den Meeresstrand beschränkt, und... ich weiß nicht, ob Sie gut daran getan haben.«

»Paßt Sadie nicht in jede Gesellschaft?«

»Ja, aber die Gesellschaft paßt nicht für sie«, lautete die rasche Antwort. »Wenn sie von der Gesellschaft als das aufgenommen würde, was sie wirklich ist, in ihrer Anmut und Weiblichkeit, könnte keine andere Frau höher stehen. Aber wir leben nun einmal in einer Welt von Vorurteilen und können nicht durch die Wand mit dem Kopf.«

»Aber ich will von der Welt nichts mehr. Mir genügt das Glück, das ich besitze, das sollen sie mir nur unbekümmert lassen.«

Madame Belard schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst:

»Sie kennen sich selbst nicht, Delavigne, und sind hier in Verhältnisse gekommen, die Sie noch nicht übersehen können. Gebe Gott, daß ich unrecht habe, aber Sie passen so wenig zu dem tatenlosen Leben dieser Insel wie... ich, und ich will auch meinem Gott danken, wenn Monsieur Belard einmal ebenso denken lernt und die Segel wieder heimwärts setzt.«

»Was sollte mich hindern, ebenfalls nach Hause zurückzukehren?« frug René. Aber sein Auge suchte dabei den Boden, und als Madame Belard nicht antwortete, sah er auf.

Vor ihm stand mit einem Lächeln auf den Lippen Susanne. Ohne ihn anzureden, schüttelte sie nur langsam und wie mißbilligend den Kopf und ging langsam auf die Stelle zu, an der sich das Ehepaar Brouard zum Gehen anschickte.

Ihm blieb jedoch keine Zeit mehr, denn durch die Reihe der Tänzer schritt der Kapitän der »Jeanne d'Arc«. Mit einer entschuldigenden Verbeugung gegen Madame Belard griff er Renés Arm und führte ihn hinaus ins Freie, wo die kühle Seeluft seine heiße Stirn kühlte und die Sterne freundlich auf sie herabschienen.

»Mr. Delavigne, es ist zwischen Ihnen und einem meiner Offiziere ein mir sehr unangenehmer Vorfall passiert«, sagte der Kapitän und drückte die Hand des jungen Mannes.

»Er ist berechtigt, dafür Genugtuung zu verlangen«, erwiderte René.

»Ungestümes Geschlecht! Ihr sollt euch nicht schießen, ihr sollt euch miteinander vertragen und einsehen, daß euch Gott eure gesunden Glieder gegeben hat, um sie zur Ehre des Vaterlandes einzusetzen, wenn es nötig ist. Aber ihr sollt es nicht da leichtsinnig einsetzen, wo es nur eines offenen Wortes zwischen zwei Parteien bedarf, um zu zeigen, daß beide unrecht hatten.«

»Monsieur Rodolphe wird wohl kaum das erste Wort zum Frieden sagen«, sagte René vor sich hin.

»So tun Sie es, Delavigne!« rief der Kapitän.

»Ich? Nie!« zischte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Er hat meine Frau beleidigt, und jeder andere hätte wie ich gehandelt. Aber trotzdem will ich die Hand zur Versöhnung reichen«, setzte er finster hinzu, »wenn Monsieur Rodolphe mit mir zu Madame Delavigne geht und die Dame dort wegen seiner Rohheit um Entschuldigung bittet. Sie wissen selbst, Kapitän, daß nach unseren Begriffen von Ehre keine weitere Wahl mir oder ihm bleibt.«

»Aber Delavigne, das würde bei... das würde bei... das würde in Europa nötig sein, aber hier...«

»Sind unsere Gesetze der Ehre hier anders?« erkundigte sich René und sah ihm dabei fest ins Auge.

Kapitän Sinclair biß sich auf die Lippen. Er konnte nichts darauf erwidern, wenn er René nicht kränken und einen zarten, höchst schwierigen Punkt berühren wollte. Aber er wußte auch, daß Rodolphe nach seiner Auffassung von Ehre sich niemals bei einer Insulanerin entschuldigen würde. Es blieb keine weitere Wahl, und tief aufseufzend drehte sich der Kapitän ärgerlich ab.

»So macht, was ihr wollt, schießt euch beide ein paar Kugeln durch die Jacken, so sind ein paar Tollköpfe weniger auf der Welt. Aber ich will mit der ganzen Sache nichts weiter zu tun haben und nichts davon wissen. Die Folgen kommen auf euch selbst.«

Mit raschen Schritten kehrte er in das Haus zurück. Von der anderen Seite näherte sich ein Marineoffizier und sagte höflich:

»Monsieur Delavigne, nehme ich an?«

»So ist mein Name.«

»Sie wissen, was...«

»Ich stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»An wen wünschen Sie, daß ich mich wende?«

»Leutnant Bertrand wird so freundlich sein...«

»Besten Dank, Monsieur, und guten Abend.«

Mit höflichem Gruß trennten sich die beiden Männer, und René folgte dem vorangegangenen Kapitän, um Bertrand zu unterrichten und ihn um seinen Beistand zu bitten sowie seine Frau abzuholen. Der Abend war ihm verleidet worden. Er hatte gehofft, den Saal unbeachtet betreten zu können, aber Madame Belard schien ihn schon in Angst und Sorge erwartet zu haben. Sie griff seinen Arm und führte ihn durch den Saal.

»Was haben Sie getan? Sie wilder Mann, und die arme Frau sitzt da drin und weint, und dabei weiß sie noch nicht einmal das Schlimmste!«

»Wo ist Sadie?« frug René, der sich im Saal vergeblich nach ihr umsah.

»Auf meinem eigenen Zimmer. Ich bringe Sie dorthin.«

»Nur einen Augenblick, Madame. Ich habe nur einem Herrn da drüben zwei Worte zu sagen, entschuldigen Sie mich bitte, ich hin gleich wieder bei Ihnen.«

»Soll es wirklich zum Äußersten getrieben werden?« flüsterte Madame Belard. Sie war kreidebleich geworden.

René zuckte die Schultern. Bertrand, der ebenfalls den Saal verlassen wollte, stand nur wenige Schritte von ihm entfernt. Wenige geflüsterte Worte genügten, sie drückten sich die Hand, und René eilte rasch zu Madame Belard zurück.

»Was seid ihr doch für entsetzliche Männer«, sagte sie, als sie den Saal verlassen hatten und die Treppe hinaufstiegen. »Völlig kaltblütig verabreden sie sich, sich zu ermorden oder zu verstümmeln, und machen sich dabei weis, daß es nötig, unumgänglich wäre. Aber gehen Sie jetzt nach Hause mit ihr, so rasch Sie können. Sie sehnt sich nach ihrem Kind, und ich möchte mich selber hinsetzen und weinen, wenn ich daran denke, wie das arme, süße Wesen von mir eingeladen war, um sich zu amüsieren, und jetzt traurig in ihr Haus zurückkehrt. Sie dürfen mit ihr nicht mehr unter weiße Männer gehen, René, oder Sie können der armen Frau noch selber das Grab hier auf der fremden Insel graben.«

Ohne eine weitere Antwort von ihm abzuwarten, öffnete sie die Tür ihres Zimmers und ließ René eintreten. Dann kehrte sie zu ihren Gästen zurück, um dort keinen Verdacht zu erwecken, daß irgend etwas vorgefallen wäre, das den Frohsinn hätte stören dürfen.


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