Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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18. Mütterchen Tots Hotel

Tief in den Guiaven versteckt, aber nur etwa fünfhundert Schritt von den letzten Häusern Papeetes entfernt, lag eine der gewöhnlichen, langovalen niedrigen Bambushütten dieser Insel. Sie war mit Pandanusblättern gedeckt und wies kaum mehr Hausgerät auf als nur ein paar eiserne Kessel, etwa ein Dutzend halb ausgehöhlte Schemel, die die Eingeborenen tagsüber als Sitz benutzten, nachts als Kopfkissen. Die Wände waren übrigens mit Bastmatten dicht verhängt. Sonst kannte man in den Hütten solche Behänge nicht, damit der Luftstrom frei zirkulieren konnte. Der Besitzerin dieses Platzes lag wohl mehr daran, ungestört zu bleiben, als frische Luft zu bekommen.

An der einen Seite der Wände hingen ein paar alte Kattun-Überwürfe, abgenutzt und geschwärzt durch die Jahre und den Rauch der Hütte. Daneben und unter einer langen Reihe ausgeschliffener Kokosschalen, die als Trinkbecher dienten, paradierte ein alter, in unmögliche Formen gedrückter Filzhut. Er hatte vielleicht einmal in besseren Tagen den Kopf eines Dandys im alten England geziert und war jetzt dazu verdammt, seine Tage in Kokosnußölqualm und Guiavenholzrauch zu verträumen.

So kahl auch die Wände sonst aussahen, so toll und wild stand Geschirr und Gerät in den Ecken herum. Kalebassen, die auf diesen Inseln meistens als Hutschachteln, Koffer, Arbeitskörbe, Speisekammern, Kommoden und Gott weiß was sonst noch dienten, waren zahlreich vorhanden. Dazwischen lehnten ein Besen, eine Harpune, ein Ruder und eine alte, rostige Flinte mit Steinschloß. Darüber befand sich, von den Matten versteckt, ein Brett mit ein paar Büchern und einer dickleibigen, abgegriffenen Bibel.

Ein interessantes Bild boten aber die gegenwärtigen Besucher dieses abgelegenen Platzes, den viele Eingeborene in abergläubischer Furcht mieden, weil sie glaubten, daß »Mütterchen Tot« übernatürliche Kräfte hätte.

Mütterchen Tot war allerdings eine besondere Frau. Niemand betrat ihr Heiligtum zum erstenmal, ohne eine gewisse Scheu und Ehrfurcht zu empfinden, die selbst der Roheste noch fühlte. Daran trug allerdings nicht ihr ehrwürdiges Aussehen Schuld.

Mütterchen Tot war vor langen Jahren in England geboren. Niemand konnte aber mehr an ihrem Dialekt erkennen, wo genau, ob im »bonnie« Schottland oder der »grünen Insel« oder im bevorzugten England selber. Sie mischte alles durcheinander, und ihre Sprache hatte durch den langen Aufenthalt auf den Inseln fast so viele Worte von der Landessprache angenommen, daß jemand, der die polynesischen Sprachen nicht verstand, nie das merkwürdige Kauderwelsch verstehen konnte. Die Eingeborenen glaubten, sie spräche Englisch, die Fremden nahmen an, es wäre die Eingeborenensprache.

Böse Zungen behaupteten, sie wäre in ihrer Jugend nach Sydney deportiert worden und von dort mit einem Walfänger entkommen bzw. hätte sie der Kapitän entführt. Er riskierte dabei eine Zuchthausstrafe – aber was riskiert die Liebe nicht! Später setzte er die junge Dame auf dem Heimweg auf den Sandwichinseln ab. Da sollte sie ihr Fortkommen weiter suchen, und das gelang ihr auch.

Mütterchen Tots Memoiren würden sicher sehr interessante Daten liefern, wenn man sie dazu veranlassen könnte. Sie sprach aber nie über ihre Vergangenheit. Das einzige Individuum, das vielleicht einen Teil davon kannte, durfte nicht sprechen. Sie hatte auf mehreren Inseln gelebt, auf Oahu, Hawaii, und war dann mit einem Sandelholzfahrzeug nach den Freundschafts- und Navigatorinseln gegangen. Dort gründete sie eine kleine Wirtschaft, in der besonders Seeleute verkehrten. Dann ging sie nach Neuseeland, wo sie mehrere Jahre blieb. Von dort her brachte sie eine Stütze »ihres Alters« mit, wie sie einen kleinen, einäugigen, irischen Schuster nannte, der von jetzt ab bei ihr blieb. Von Neuseeland hatten sie die Missionare vertrieben und auf ein Schiff gepackt, das beide in die Samoagruppe brachte. Auch hier bewogen die Missionare bald einen Kapitän, sie mitzunehmen und über den Bereich der Gambiersinseln zu bringen, wo sich die Katholiken schon seit längeren Jahren festgesetzt hatten. Ein Taifun erfaßte unterwegs das Schiff und ließ es auf Raivavai stranden, und Mütterchen Tot fand mit ihrem getreuen Begleiter den Weg nach Tahiti. Das war für sie der Mittelpunkt aller europäischen Beziehungen in der Südsee. Sie hoffte deshalb, hier die besten Geschäfte machen zu können und durch den Zwiespalt zwischen den beiden Glaubensrichtungen einen sicheren Platz zu finden.

Dem kleinen irischen Schuster war alles gleichgültig. Auch er hatte eine Vergangenheit, die Sydney als Kulminationspunkt hatte. Murphy war einer jener Patrioten, die zum besten ihrer Heimat die Heimat mieden. Wie er seine Freiheit erhalten hatte, blieb sein Geheimnis. So viel war aber bekannt, daß er seit dieser Zeit aufhörte, ein Katholik zu sein. Dafür begann er mit einem so großen Eifer die Bibel zu studieren, daß sich ein protestantischer Geistlicher gewundert hätte. Bei diesem Studium benahm er sich immer, als würde er ein furchtbares Verbrechen begehen. Witterte er einen Geistlichen in der Nähe, so konnte Mütterchen Tot nicht schneller bei der Hand sein, eine verbotene Branntweinflasche zu verstecken, wie er seine Bibel in der nächsten Kalebasse verschwinden ließ. Wenn er die ganze Woche nicht an Arbeit gedacht hatte, griff er jetzt den ersten besten Schuh auf und fing an, daran herumzuschneiden und zu stechen und zu nähen, als ob sein Leben von der Eile abhinge.

Mütterchen Tot behandelte ihn in herabwürdigenster Weise. Es gab kein Schimpfwort in einer Sprache, das sie ihm nicht schon entgegengeworfen hatte. In ihrem schlimmsten Zorn hatte sie es aber auf die heilige Schrift selbst abgesehen. Dann konnte es passieren, daß sie das Buch ihrem sanften Mann aus den Händen riß und ihm direkt an den Kopf warf. Ja, sie hatte sogar schon gedroht, das Buch bei der nächsten Gelegenheit zu verbrennen. Eine ihr unerklärliche Scheu hielt sie aber doch immer wieder von diesem Vorhaben ab. Murphy traute ihr aber doch nicht und versuchte alles, um das Buch zu verstecken, wenn er einmal die Hütte verlassen mußte.

Mütterchen Tot war zwischen fünfzig und siebzig Jahren, Schmutz und Runzeln hatten ihre Züge mit einem Schleier überzogen, der es unmöglich machte, ihr genaues Alter zu bestimmen. Sie trug einen Pareu, der einmal grellrot, jetzt aber stark verblichen war. Der Kattun mit den breiten gelben Streifen hing ihr um die Hüften. Am Tage trug sie ein ähnliches Obergewand, das ihre dürre Gestalt in weiten Falten umhing. Abends aber, wenn die kühle Seebrise über die Küste strich, wurde es ihr zu kühl. Dann zog sie einen alten erbsgelben, schmutzigen Männerrock über ihr Kattunkleid. Die zwei noch übriggebliebenen Knöpfe schloß sie dicht unter dem Hals. Der Rock ging ihr dabei bis tief über die Knie. Da seine Taschen ebenfalls tief saßen, war es nicht immer leicht für sie, die darin steckende Tabaksdose zu erwischen.

Auf dem Kopf trug sie einen Strohhut, wie er vielleicht einmal in ihrer Jugend das Ziel ihrer Wünsche gewesen war. Das Alter hatte sich daran festgeklammert. Unter den breiten, merkwürdig geformten Rändern hingen die grauen, langen Haare wirr hervor. Ein paar ausgeblichene, zerdrückte künstliche Blumen steckten darin. Der Hut diente ihr als Schutz vor Sonnenbrand und Zugluft am Tage wie in der Nacht, wenn sie ihr Mattenlager in einem Winkel der Hütte aufsuchte. Nur der Männerrock war offensichtlich nicht ihr Eigentum, sondern gehörte wohl früher Murphy. Er schien auch seine Besitzansprüche keineswegs aufgegeben zu haben. Wurde es kühl oder regnete es, dann hatte sich Mütterchen Tot darin eingeknöpft, und Murphy durfte ihn höchstens bei Sonnenschein tragen – und das tat er dann auch. Jeden Tag unternahm er einen erneuten Versuch, den Rock zu tragen und darin auszuhalten. Die Gäste verwunderten sich über ihn, denn das Wasser lief ihm am ganzen Körper herunter. Dann riß er das Kleidungsstück endlich wieder herunter, rollte es zusammen und versuchte, es in einer Kalebasse zu verstecken. Aber das gelang nicht, und der Rock blieb in der Ecke liegen, bis es abends kühl wurde. Dann ging er in den Besitz von Mütterchen Tot über. Er trug außerdem ein Paar sehr abgenutzte Sommerhosen aus einem farblosen, dünnen Stoff, ein baumwollenes Hemd, eine gelbgestreifte Weste, bei der die Knöpfe durch Bast ersetzt wären, und eine durch den jahrelangen Gebrauch schwarzgebrannte Tonpfeife, die aber gewissermaßen zu dem Anzug gehörte. Der alte Filzhut schien für besondere Anlässe an der Wand zu hängen. Auch wenn Murphy ihn regelmäßig entstaubte, konnte sich doch niemand der Gäste erinnern, daß er ihn jemals getragen hatte.

Murphy war Schuhmacher, aber natürlich nur für Europäer. Für sie besserte er das alte Schuhzeug aus oder fertigte aus geliefertem Leder neue Schuhe. Die Missionare sahen dem verbotenen Ausschank alkoholischer Getränke nur ungern zu und hätten das Paar gern weitergeschickt. Aber Murphy war so geschickt in seiner Arbeit, daß man lieber ihn als einen neuen katholischen Schuster duldete. Murphy fühlte für die Männer eine gewisse Bewunderung wegen ihrer Bibelkenntnisse. Deshalb bediente er sie auch stets zuvorkommend und prompt. Mütterchen Tot dagegen haßte die Missionare aus tiefstem Herzen. Die zerbrochenen Brandyflaschen, die die frommen Männer nicht selten morgens in ihrem Garten fanden, waren Kleinigkeiten gegen die scharfen Zwecken, die sie ihnen sicher irgendwo in die Sohlen trieb, wenn Murphy die Augen nur einen Augenblick abwandte. Nur der Mangel an Konkurrenz war imstande, dem kleinen Iren die Kundschaft bis jetzt zu erhalten.

Mütterchen Tots Hauptgeschäft war der verbotene Alkoholverkauf an die Eingeborenen, den sie trotz ständiger Überwachung ununterbrochen betrieb. Dabei verdiente sie eine Menge Geld, von dem kein Mensch wußte, wohin es kam. Das Versteck war bislang selbst Murphys Scharfsinn entgangen.

Von den Eingeborenen bekamen sie nur teilweise Bargeld, aber sie nahmen auch alles andere in Zahlung, Kokosnüsse und Früchte, süße Kartoffeln, Hühner, Ferkel, Matten, Tapa, Kokosnußöl, Perlmutt und Perlen. Was ihr auch gebracht wurde, sie verstand es, zu den höchsten Preisen wieder zu verkaufen. Die Schiffe, die ihr den Brandy brachten, waren dafür gute Handelspartner. Auch für das Schmuggeln hatte sie ihre besonderen Leute, größtenteils unter den Europäern, und die waren wiederum ihre beste Kundschaft. Doch wir finden noch eine hübsche Gesellschaft in »Mütterchen Tots Hotel« versammelt. Den Namen hatte die Bambushütte von ihren Gästen. Die alte Dame war heute in bester Laune, denn es war ihr gerade heute wieder ein guter Wurf gelungen. Sie konnte eine ganze Partie neu eingetroffenen Rums und Brandys glücklich in ihrem Versteck bergen.

In der Mitte des Hauses stand auf einem leichten Bambusgestell eine ziemlich tiefe, kleine eiserne Pfanne. In ihrem flüssigen Kokosnußöl brannte ein riesiger Docht. Auf dem nackten Boden waren verschiedene kleine Feuer entzündet und wurden mit faulem Holz oder feuchtem Laub beworfen, nur um Qualm zu erzeugen und die abends ziemlich lästigen Moskitos fernzuhalten. In diesem Rauch und bei dem ungewissen Licht des flackernden Dochts kauerten zehn oder zwölf Männer auf den niedrigen Stühlen, Weiße und Eingeborene, dazwischen drei oder vier eingeborene Mädchen. Zwischen ihnen kreiste eine halb volle Flasche, aus der sich jeder seine Kokosschale füllte und die Flasche dann weiterreichte. Mrs. Tot saß dabei, wieder in Murphys ehemals weißen Rock geknöpft. Sie thronte auf einem richtigen Rohrstuhl und konnte den ganzen Kreis bequem überblicken. Murphy selbst lehnte in seinem Winkel, wo er ein besonderes Licht in einer Kokosnußschale brennen hatte, drückte den Kopf an die Wand und schlief – wenn man das schlafen nennen konnte. Die Moskitos ließen ihm dabei kaum Ruhe, und er mußte sie immer wieder abwehren.

Die Unterhaltung war lebhaft im Gang, und dazwischen lachten immer wieder die Mädchen auf, die manchmal die Flasche versteckten und einmal sogar Murphy mit einer Feder neckten. Schließlich rieb er sich die Augen aus, schimpfte über die Moskitos, frischte seine Lampe wieder auf und sah sich um.

»O'Flannagan, mein Juwel«, mischte sich jetzt die Alte in die Unterhaltung, »Sie wollen jetzt wieder eine Weile auf der süßen Insel bleiben? Sehr schön, Sie hätten zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können, im ganzen gebenedeiten Kalenderjahr.« Sie hatte mit Wohlwollen das Kreisen der Flasche beobachtet und hin und wieder nach draußen gelauscht, ob ein verdächtiges Geräusch zu hören war. »Laßt mir den Narren da drüben zufrieden, oder ich hetze ihn über euch, wenn er aufwacht, Wespenzeug!«

»Hallo, Mutter Tot ist heute abend böser Laune«, rief eines der Mädchen trotzig. »Wir sollen wohl in dem verqualmten Nest ruhig sitzen wie in der Predigt? Kommt, Waihines, draußen ist es besser.« Lachend und die Melodie eines Liedes trällernd, sprang sie mit den anderen ins Freie. Teils fluchend, teils lachend folgte ihr der größte Teil der Matrosen.

»Das glaube ich, Mütterchen«, brummte unser alter Bekannter vom Strande, ohne sich weiter um den Lärm der anderen zu kehren. »Natürlich, um wer weiß was zu riskieren und dir deinen Wintervorrat an ›Bergtau‹ einzulagern, was?«

»Ach was, es war keine Kunst, den Branntwein an Land zu schaffen«, sagte die Alte kopfschüttelnd. »Und das Geld ist diesmal mit Sünden verdient. Kein Mensch hat danach gesehen, und ich hätte ihn selber im Kanu an Land und hierher bringen sollen, wenn nur der Narr von einem Schuster da in der Ecke noch für etwas anderes zu gebrauchen wäre, als altes Leder zu flicken!«

Murphy, der munter genug geworden war, um die letzten Worte zu verstehen, knurrte nur etwas in seinen Bart, erwiderte aber nichts und begann, seine Pfeife zu stopfen.

Dabei arbeitete er sich langsam aber sicher in die Nähe der Flasche vor. Die Alte gönnte ihm nämlich keinen Schluck ihres Getränks, wenn er nicht wie die anderen dafür bezahlte.

»So, Mütterchen?« lachte sein Landsmann, ohne sich umzudrehen. »Je schwerer sie es uns machen, desto weniger verdiene ich, desto mehr aber Sie. Wieviel rechnen Sie denn etwa, was Sie so jährlich an heimlichem Grogverkauf beiseite bringen?«

»Zählt einer armen Witwe die Bissen, die sie in den Mund steckt, heh?« fuhr ihn aber die Alte an. »Es ist gerade genug, daß ich Brotfrucht und Kokoswasser zum Leben habe, gönnen Sie mir das auch nicht? Sie verdienen in einer Nacht mehr durch mich als ich durch Sie das ganze Jahr!«

»Armes Mütterchen!« sagte der Ire mit spöttischem Bedauern. »Man sollte kaum glauben...« Er hielt plötzlich inne, denn draußen konnte man ein leises Pfeifen hören. Mrs. Tot wie auch Jim vergaßen alles andere in ihrem Gefühl größter Wachsamkeit.

»Hallo, was ist das?« sagte Jim, stand auf und zog sich langsam zu einem entlegeneren Teil der Hütte zurück, während Toatiti die gerade vor ihm stehende Flasche zur Seite schob und Murphy sie rasch an sich nahm.

»Da kommt jemand!«

»Das war To-tos Zeichen«, flüsterte die Alte und hielt vorsichtig die Hand vor die Flamme. »Toatiti, paß auf deine Flasche auf!«

»Auf meine Flasche aufpassen?« knurrte der Eingeborene und fühlte auf dem Platz herum, wo er sie abgestellt hatte. »Das haben andere getan. Oros Zorn über sie!«

In diesem Augenblick öffnete sich die niedrige Bambustür. Ein Matrose betrat den Raum, gefolgt von dem auf Wache stehenden Eingeborenen. Der Mann blieb in der Tür stehen, um sich zu orientieren, und schritt dann zur Flamme. Hier nahm er den Hut ab, setzte sich auf einen Schemel und begann, seine Tonpfeife so ruhig zu stopfen, als ob er von klein auf hierher gehörte und nicht beabsichtigte, seinen Platz wieder zu verlassen. Niemand in der Hütte war mit größerem Erstaunen seinen Bewegungen gefolgt als O'Flannagan. Er hatte in dem späten Wanderer keineswegs freudig überrascht seinen früheren Spießgesellen Jack von der »Jeanne d'Arc« wiedererkannt.

»Well, Jim, wie geht's heute, was stehst du denn da hinten in der Ecke? Habt ihr nichts mehr zu trinken hier?« sagte Jack, nachdem er sich die Pfeife angebrannt hatte. Noch immer starrten ihn alle wie gebannt an.

»Hol mich dieser und jener«, brummte aber Jim, der jetzt langsam wieder nach vorn kam und seinen alten Platz einnahm. »Wenn das nicht Jack ist von der ›Jeanne‹! Nun, mein Junge, hast du den Platz wirklich gefunden, und wo willst du hin?«

»Freundlicher Empfang!« lachte Jack. »Hallo, Mate da drüben, wenn du mit der Flasche fertig bist, lang sie mir einmal herüber!«

Die Anrede galt Murphy. Er hatte sich unbeobachtet gefühlt und einen Angriff auf die Flasche unternommen. Jetzt setzte er sie erschrocken ab und machte eine Bewegung, als wollte er das corpus delicti rasch verstecken. Toatiti war aber aufmerksam geworden und sprang auf ihn zu. »Aha, weißer Mann hat meine Flasche!« Damit holte er sein Eigentum wieder, wich der gefährlichen Nachbarschaft des neuangekommenen Fremden aus und suchte sich einen Platz am anderen Ende der Hütte. Jim reichte Jack inzwischen eine andere Flasche hinüber.

»Und wer sind Sie, feiner Herr, wenn man fragen darf?« sagte jetzt Mütterchen Tot mit noch immer gedämpfter Stimme. »Sie kommen hier so breitbeinig herein, als ob Sie mit zum Haus gehören. Nach den strenggehaltenen Gesetzen der Insel müssen Sie wissen, daß ich über Nacht keinen Fremden bei mir beherbergen darf, selbst dann nicht, wenn ich ihn kenne, was ja nicht der Fall ist.«

»Wer ich bin? Jim da drüben kann das am besten erzählen, wenn er Lust dazu hat«, sagte der Fremde und lachte. Er hatte die Flasche abgesetzt und wischte sich das Naß aus dem Bart.

»Aber wo kommst du so spät in der Nacht noch her?« erkundigte sich jetzt auch Jim, »und wie in aller Welt hast du den schmalen Pfad durch die Guiaven verfolgen können?«

»Ich habe verdammt wenig von einem Pfad gemerkt«, lachte der Seemann. »Dafür mußte ich einen nichtswürdigen Kreuzzug durch das niederträchtige Buschwerk hier machen. Nach allen Himmelsrichtungen bin ich auf und ab laviert, bis ich mich entschloß, die Nacht unter Gottes freiem Himmel zu verbringen. In dem Moment sah ich euer Licht durch die Bäume schimmern. Hier sucht mich kein Teufel, bis es Tag wird, und man zieht sich in den stachligen Orangengebüschen nicht mehr die Fetzen vom Leib und der Haut.«

»Du bist desertiert?« erkundigte sich O'Flannagan rasch.

»Desertiert?« schrie die Alte und sprang von ihrem Sitz auf. »Habe ich hier ein Versteck für entlaufene Matrosen? Was wollen Sie hier, und weshalb sind Sie hierhergekommen?«

»Pst, Alte«, versuchte sie Jack zu beruhigen. Er hielt die Flasche gegen das Licht und nahm dann einen zweiten Zug, der nicht mehr viel für einen dritten übrigließ. »Nur nicht solchen Lärm wegen einer Kleinigkeit. Das haben bessere Männer vor mir getan. Donnerwetter, der Brandy ist famos, und ich wollte, diese Flasche hätte noch eine Schwester.«

»Aber sie haben dich doch noch nicht vermißt? Denn ich will doch nicht hoffen, daß du von Spürhunden gehetzt hier in diesen Bau kriechst!« sagte Jim und sah ihn über das Licht aufmerksam an.

»Der Vergleich könnte stimmen«, schmunzelte Jack. »Erst mit dem Dunkelwerden haben sie meine Spur in den Guiaven verloren. Ich kann es ihnen nicht übelnehmen, ich wußte ja selbst nicht mehr, wo ich war.«

»Da haben wir's!« rief die Alte und schlug wütend die Faust in die andere Hand. »Wegen dem weggelaufenen Lumpen soll ich mir hier die Hütte über dem Kopf einreißen lassen? Das wäre ja noch schöner! Hinaus mit dir, Bursche, hinaus, so schnell du gekommen bist, oder ich lasse dich fesseln und knebeln und auf dein Schiff zurückbringen, wohin du gehörst!«

»Herrliche Gastfreundschaft!« lachte Jack, ohne eine Bewegung zu machen, um dem Befehl zu folgen. »Jedenfalls wird es einem erst noch höflich gesagt, bevor man hinausgeworfen wird. Willst du mich nicht lieber wieder an Bord schicken lassen, Jim? Du weißt, ich könnte nachher gar keine Geschichte erzählen, nicht die kleinste...«

»Unsinn! Es wäre mir völlig gleich, was du für eine Geschichte erzählst, wenn du an Bord bist. Aber die Alte hat recht, hier kannst du nicht bleiben, und ich auch nicht. Wenn sie dich bis an die Guiaven verfolgt haben, dann stöbern sie dich hier auch vor Tagesanbruch auf.«

»Hol sie der Teufel. Sie sollen machen, was sie nicht lassen können. Aber meiner Mutter Sohn geht heute nicht wieder in die Guiaven hinaus, und wenn die ganze Mannschaft der ›Jeanne d'Arc‹ hinter mir her ist. Wenn ihr mich aus dem Weg haben wollt, versteckt mich hier irgendwo. Ich bin müde wie ein gehetzter Wolf und will schlafen. Sollten die Kerle hier auftauchen, kann die würdige Dame mit dem netten Hut sie in eine andere Richtung schicken.«

»Was will der Mensch hier?« kreischte jetzt mit gellender Stimme Mütterchen Tot. Sie war außer sich über diese Frechheit. »Was will er bei mir, daß er...«

»Halt, Mütterchen!« rief rasch und drohend Jim. »Oder du schreist dich um deinen Hals. Der hier ist ein alter Kamerad von mir, und ich lasse ihn nicht in der Patsche sitzen.«

»Aber hier in meinem Haus...«

»Soll er auch nicht bleiben. Du, Jack, stehst hier auf gefährlicherem Boden, als du glaubst. Du mußt weg von hier.«

»Wie zum Teufel kann ich fort?« rief der Matrose ärgerlich. »Das Dickicht draußen ist zugewachsen, und ich will verdammt sein...«

»Du sollst nicht allein gehen«, sagte Jim nach einigem Nachdenken in tahitischer Sprache. Er wandte sich dabei mehr an den Eingeborenen als zu Jack. »Toatiti wird dich in die Berge bringen.«

»Toatiti wird sich hüten«, knurrte der aber. »Toatiti liegt hier gut und ist sehr durstig.«

»Auch nicht, wenn du so viel verdienst, daß du drei Flaschen damit bezahlen kannst?« frug ihn Jim, der seine Leute kannte.

Toatiti blieb noch einen Moment regungslos liegen, dann stand er langsam auf, schüttelte sich die Haare aus der Stirn und zog die Tapa fester um sich – ein Zeichen, daß er auf den Handel einging.

»Wo führt er mich hin? Muß ich weit gehen?« erkundigte sich Jack nicht ohne Mißtrauen.

»Zu einem Haus in den Bergen«, erwiderte Jim flüsternd. »Kaum eine halbe Meile von hier entfernt, aber sicher versteckt und nicht wie diese hier bekannt. Bist du fertig?«

»Ich brauche keine anderen Vorbereitungen, als meine Jacke zuzuknöpfen«, sagte Jack lachend. »Aber die Flasche hier nehme ich mit, es ist noch ein Tropfen drin, und der Nebel liegt dicht auf den Bergen. Nun ade, Mütterchen, und vergelt dir Gott die freundliche Bewirtung, bis ich es vielleicht einmal kann. Und du Kamerad?« wandte er sich plötzlich an einen Matrosen der »Kitty Clover«, der seit Jacks Eintritt kein Wort mehr gesprochen hatte. »Hast du nicht Lust, unseren Abendspaziergang mitzumachen? Es ist verdammt langweilig, so allein mit einem Braunen draußen in den Büschen herumzukriechen.«

»Danke, befinde mich gerade hier wohl, wo ich bin«, sagte der Matrose, ohne aufzusehen.

»Auch gut«, brummte der andere. »Besser keine Gesellschaft als schlechte.« Er grüßte Jim, nickte seinem Führer zu und verließ mürrisch das Haus. Nicht ein Wort wurde gesprochen, als sich die leichte Bambustür wieder schloß. Einige Minuten horchten die Zurückbleibenden noch den bald in der Ferne verhallenden Schritten. Der Mann der »Kitty Clover« brach zuerst das Schweigen. Er rückte sich den Hut aus der Stirn und brummte.

»Besser keine Gesellschaft als schlechte? Donnerwetter, Kamerad, du mußt schon lange in der Welt suchen, wenn du schlechtere finden willst als dein eigenes Ich.«

»Kennst du ihn?« erkundigte sich Jim rasch.

»Vielleicht nicht so gut wie du«, lachte er trocken. »Aber immer doch gut genug, um froh zu sein, daß ihm mein Gesicht nicht gerade alte Szenen ins Gedächtnis zurückrief. Wir waren vor gar nicht so langen Jahren Schiffskameraden und Vortoppgästen zusammen. Er wurde ausgepeitscht und später in Ketten an Land gebracht, weil er mein und dein nicht unterscheiden konnte. Es wurden ihm aber noch andere Dinge zur Last gelegt. Es war ein Wunder, daß er nicht an der Rahnocke endete, verdient hätte er sie schon zehnmal.«

»Aufgepaßt!« flüsterte da die Stimme der Alten. »Aufgepaßt draußen sind Schritte, die da nicht hingehören. Der faule Kerl von einem Schuster kauert tatsächlich schon wieder hinter seiner Bibel und schmiert die Seiten voll Kokosöl! Hinaus mit dir, wohin du gehörst, und daß dich der Böse mit deinem Buch davonträgt!«

Murphy schien sich ausgeschlafen zu haben. Da ihm die Flasche keine Gesellschaft leisten durfte, hatte er sich wieder die Bibel vom Sims geholt und brütete beim matten Lampenlicht darüber. Mütterchen Tots Zornrede störte ihn etwas. Aber er war teilweise durch den Verlust des Brandys schon verärgert, dazu kamen die ständigen Angriffe der Moskitos. Mürrisch sah er über das Buch und rief mit seiner dünnen, jetzt ärgerlich erregten Stimme:

»Ach, zum Henker! Ich habe draußen nichts zu suchen. Wenn man wie ein Mensch behandelt würde, könnte man auch wie ein Mensch existieren. Laß die aufpassen, die sich vor etwas fürchten müssen, Murphy hat ein gutes Gewissen und sitzt hier gut.«

»Das hat noch gefehlt!« schrie Mütterchen Tot. Sie sprang auf und auf den Rebellen zu, der gerade noch Zeit behielt das Gestell mit der Lampe zwischen sich und die Megäre zu bringen. Mütterchen Tot schien aber schon seine Taktik zu kennen. Mit einem Griff ihrer langen Arme fuhr sie um die Lampe herum, erwischte das Buch und schleuderte es mit einem grimmigen Fluch an den Kopf des kleinen Schusters. Blitzschnell tauchte der aber und entging knapp dem gewichtigen Buch. »Da, du Lump, nimm es und studiere es, und jetzt hinaus mit dir, oder, so wahr da oben der Mond steht, gieße ich dir das heiße Kokosöl über den Leib und brühe dich wie ein unreines Schwein, das du bist... du... du Lederstecher!« schrie sie dabei.

»Zum Teufel, Mütterchen, Schluß mit dem Lärm!« ging jetzt Jim dazwischen. »Ich suche mir lieber ein stilleres Quartier. Komm, Kamerad, ich will dich heute abend noch in gute Gesellschaft bringen, und morgen früh dann...« Er schwieg plötzlich, denn draußen rasselten wie auf ein Kommando Gewehrkolben auf den Boden nieder, und die Stimme des Befehlenden in französischer Sprache wurde laut:

»Zwei von euch um das Haus, ob es noch einen zweiten Eingang gibt. Ihr hier bleibt an der Tür. Wer mit Gewalt durch will, wird niedergeschlagen. Feuer auf jeden Flüchtling!«

»Donnerwetter, Jack ist ihnen zur richtigen Zeit durch die Klauen gerutscht!« brummte Bob und sprang ebenfalls auf.

Da wurde auch schon die Tür aufgerissen, und ein französischer Seeoffizier trat ein. Eine Anzahl Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett folgten ihm. Ein Verlassen der fensterlosen Hütte war damit unmöglich.

Der Offizier überflog den düsteren Raum und entdeckte Murphy, der sein dickes Buch schnell in einer Kalebasse verstecken wollte.

»Hallo, Sir, was wollen Sie denn da Kostbares verstecken?« rief er in englischer Sprache. Langsam ging er auf den kleinen Mann zu, der fast instinktartig das Buch an sich drückte.

»Sind Sie gekommen, um unsere Taschen zu durchsuchen?« erkundigte sich unwirsch der kleine Ire. Er hatte seinen trotzköpfigen Mut wiedergefunden, als er sah, daß es sich nur um Soldaten und nicht um Missionare handelte. »Wenn es mir Spaß macht, kann ich meine Kalebassen und Taschen so voll stopfen, wie ich es will, was geht es Sie an?«

»Langsam, langsam!« lachte der Offizier, unser alter Bekannter Bertrand. »Wenn ich nachher neugierig werden sollte, wirst du es mir doch zeigen. Jetzt wollen wir erst einmal deine Wohnung etwas genauer ansehen, ob wir nicht einen alten Freund und Schiffskameraden entdecken, der sich wahrscheinlich von Bord verlaufen hat und in der dunklen Nacht nicht zurückfinden kann. Die Guiaven stehen ja sehr dicht um das Haus, man sollte sie etwas mehr lichten!«

»Wie ich merke, stehen sie noch immer nicht dicht genug!« brummte Murphy halblaut vor sich hin. Mütterchen Tot nahm für ihn die Unterhaltung auf und kreischte mit ihrer schrillen Stimme dem Offizier entgegen:

»Was heißt hier seine Wohnung? Sie glauben doch nicht, daß der schmutzige Schuster da drüben eine Wohnung für sich hat? Ist das überhaupt eine Art, eine alte, alleinstehende Frau bei Nacht und Nebel in ihrem Haus zu überfallen und sie so zu erschrecken, daß sie den Tod davon haben könnte? Was wollt ihr? Wen sucht ihr? Habt ihr die Sprache verloren?«

Bertrand lachte laut heraus, nachdem sich sein erstes Erstaunen über diese Furie gelegt hatte. »Donnerwetter, das ist eine Dame! Bei allem, was schwimmt, ich hatte keine Ahnung, daß sich das schöne Geschlecht auch in so alte Überröcke zurückziehen könnte!«

»Ach was, schönes Geschlecht, Dame!« knurrte die Megäre. »Was wollt ihr, und wen sucht ihr? Etwas rasch, es ist Schlafenszeit, und ich möchte meine Ruhe haben!«

Der Offizier hörte schon nicht mehr auf sie, sondern trat näher zum Licht. Er versuchte, das Halbdunkel im Raum zu überblicken. Als Jim die Geräusche hörte, hatte er eine Bewegung gemacht, als wollte er sich in den dunkleren Teil der Hütte zurückziehen. Dann blieb er ruhig stehen und ließ sich auf seinen alten Platz nieder, als der Offizier die Hütte betrat. Jim stützte den Kopf in die Hände, hatte sich den breiträndrigen Wachshut weiter ins Gesicht gedrückt und rauchte seine Pfeife. Der Offizier schickte einige Leute durch die Hütte, um festzustellen, ob noch jemand sich im Halbdunkel verborgen hielt. Dann wandte er sich wieder zu den am Feuer sitzenden Männern, von denen ihm besonders die Gestalt des Iren auffiel. Als die Soldaten ihm meldeten, daß sich niemand weiter in der Hütte aufhielt, wandte er sich direkt an ihn.

»Wo haben wir beide schon einmal unser Fahrwasser gekreuzt? Bist du Engländer?«

»Nicht weit davon entfernt. Aber ich wüßte sonst nicht, woher wir uns kennen sollten.«

Bertrand versuchte, sich dieses Gesicht wieder in Erinnerung zu rufen. Bilder eines bewegten Lebens zogen rasch vor seinem inneren Auge vorbei, aber er kam nicht auf diesen Mann. Kopfschüttelnd ging er einigemal in der Hütte auf und ab.

Jim war die Aufmerksamkeit des Offiziers sehr unangenehm, denn er hatte ihn längst wiedererkannt. Er stand jetzt auf und zog sich langsam zum Hintergrund der Hütte zurück.

Bertrand stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf.

»Weiß der Teufel, wo mir dieses Galgengesicht schon einmal begegnet ist. Es war keine Kleinigkeit, das ist sicher, und vielleicht... ha!« sagte er vor sich hin und unterbrach sich, als der Matrose nicht mehr auf seinem Platz saß. »Der Herr schläft wohl hier und will sich sein Lager zurechtmachen? Haben Sie denn Erlaubnis, an Land zu bleiben, und auf welches Schiff gehören Sie?«

»Ich gehöre auf gar keines, und die Insel hier ist meine Heimat. Ich werde darauf schlafen können, denke ich!« entgegnete Jim.

»Und du, mein Bursche, auf welches Schiff gehörst du?« wandte er sich jetzt an Bob. »Oder rechnest du dich etwa auch zu den Eingeborenen?«

»Verdammt, nein. Ich gehöre zur ›Kitty Clover‹.«

»Dem Walfänger? Weshalb bist du da nicht an Bord?« frug der Offizier scharf. »Die ›Kitty Clover‹ steht im Verdacht, andere Ladung als Tran an Bord zu führen. Die Missionare haben schon Klage eingereicht, daß ihr den ganzen Ort mit Brandy überschwemmt!«

»Die Missionare können mich gern haben«, erwiderte Bob gleichgültig. »Was die ›Kitty Clover‹ tut, geht mich nichts an, sie ist ein ganz selbständiges Frauenzimmer.«

Bertrand lachte. »Apropos, was war es doch gleich, was der Bursche da vorhin versteckte?« wandte er sich wieder an Murphy. »Einer von euch sieht mal in der Kalebasse nach, vielleicht bringt uns etwas auf Jacks Spur.«

»Was sucht ihr in anderer Leute Kalebassen?« nahm jetzt Mütterchen Tot die Partei des Schusters. »Habe ich nicht gesagt, daß ich von dem Gesindel nichts weiß? Ist das die Zeit, um bei einer alten Frau einzubrechen? Leute mit geladenen Gewehren zu erschrecken? Fort mit euch, wohin ihr gehört!« Einer der Soldaten hatte mit dem Bajonett die Kalebasse angespießt und zog sie vor.

»Eine Bibel!« lachte der Offizier. »Und weshalb versteckst du sie vor mir? Keine Angst, mein frommer Bursche, ich wäre der letzte, der dich in deiner Andacht stört!«

»Gottes Fluch über euch!« schrie jetzt die Alte, die durch das ruhige Verhalten der Soldaten nur noch mehr in Wut gebracht wurde. »Pest und Gift über euch und faulende Krankheit, daß ihr eine alte Frau in ihrem Haus mißhandelt!« Vielleicht in der Absicht, das heiße Öl auf sie zu schütten, stieß sie das Bambusgestell um. Die Soldaten konnten sich mit lauten Flüchen durch einen Sprung in Sicherheit bringen. Auf dem Fußboden schlug es aber in heller Flamme empor und übergoß den Platz mit seinem Licht.

»Donnerwetter, du zündest dir das Haus selbst an, und da hinten...« In diesem Augenblick sah er in das Gesicht des Iren, der überrascht in die helle Flamme gestarrt hatte. Gleichzeitig tauchte die Erinnerung in ihm auf. »Sapristi, habe ich dich Schuft!« schrie er aus und riß den Degen aus der Scheide. »Hierher, Leute!«

»Verdammt, noch habt ihr mich nicht!« rief Jim, und warf einen der Stühle gegen die bereits präparierte Wand. Der Notausgang gab sofort nach, und gleich darauf verschwand der Ire durch die Öffnung. Als der Offizier vorsprang, um mit seinem Degen einen Stoß nach dem Entsprungenen zu führen, traf der zurückschnellende Bambus die Klinge und brach sie in der Mitte wie Glas entzwei.

»Feuer! Beim Teufel, Feuer!« schrie Bertrand wütend. Dem Knacken der Hähne folgte blitzschnell eine Salve. An einigen Stellen splitterte der Bambus, und die Hütte füllte sich mit Pulverrauch.

Nur Bob war die ganze Zeit ruhig sitzen geblieben und schüttelte jetzt nur spöttisch den Kopf. »Fixer Kerl, wie er durch die Wand ging. Nun, sein Hals wird seinen Beinen dafür dankbar sein, denn nur auf einen Deserteur wird doch nicht gleich geschossen!« murmelte er vor sich hin.

Ein paar Soldaten wollten rasch zur Türe hinaus, aber Bertrand rief sie zurück.

»Laßt ihn für heute laufen, im Unterholz ist er längst in Sicherheit.« Er bückte sich nach der Klinge und hielt die Teile mit einem Fluch zusammen. »Warte nur, das war hoffentlich nicht das letztemal, daß wir uns begegnet sind.« Damit ging er zu der Alten, die knurrend und keifend vor dem qualmenden, brennenden Öl stand. »Und du, Mütterchen, hör mir zu. Ich will meine Zeit nicht damit verlieren, dich nach diesem Kerl zu fragen, denn ehrliche Antworten bekäme ich doch nicht. Wenn du dir aber fünfhundert Franc verdienen willst, dann hilf mir, den Schuft zu fangen, der da eben durch die Bambuswand sprang.«

»Fünfhundert Franc?« sagte die Alte ungläubig.

»Auf der Stelle ausgezahlt, wenn wir den Mann in unserer Gewalt haben. Selbst für den anderen sollst du zweihundert haben, wenn du uns bei seiner Ergreifung behilflich bist.«

Bob hob jetzt zum erstenmal den Blick vom Boden und sah die Alte lauernd an. Mütterchen Tot schien das Angebot zu überdenken. Es bedurfte einiger Minuten, ehe sie die Versuchung abschütteln konnte. Vielleicht genierte sie sich aber nur vor den Zeugen.

»Ich will nichts mit der Sache zu tun haben«, brummte sie endlich. »Hat sich O'Flannagan...«

»O'Flannagan?« frug Bertrand rasch.

»Ach, zum Teufel! Laure mir nicht das Wort vom Mund ab, was weiß ich, wie einer heißt, der hier ein und aus geht. Es ist Schlafenszeit, und ich will meine Ruhe im eigenen Haus haben, verstanden?«

»Verstanden, Mütterchen, danke für den Wink. Vergiß die fünfhundert Franc nicht. Achtung, Leute! Rechts um und vorwärts marsch!« Damit verließen die Soldaten den Raum wieder.

Bob war aufgestanden und lauschte den sich entfernenden Schritten. Dann rückte er sich den Hosengürtel nach Seemannsart in die Höhe und schob sich den Hut noch etwas weiter ins Gesicht, drückte beide Hände neben den Hüften in den Bund und drehte sich ab, ohne ein Wort an seine Gastgeber verließ er den Raum. Die Alte sah ihm finster nach. In der Tür blieb er jedoch plötzlich stehen und drehte sich um. Mit der linken Hand nahm er die Pfeife aus dem Mund und sagte:

»Mein Name ist Bob Candy«, dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand im Wald.

Mütterchen Tot löschte die Lichter aus, ohne Rücksicht auf Murphy oder den jetzt wieder am Feuer niedergekauerten Eingeborenen zu nehmen. Dann legte sie sich mürrisch und knurrend auf ihr Lager in einer Ecke. Sie hatte den Kopf voll, und selbst der kleine Schuster konnte sich heute unbelästigt auf sein Lager werfen, um den Moskitos ein paar Stunden Schlaf abzuringen.


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