Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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32.

Fortunato in Quito.

Drei Wochen waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen, als ein junges Paar, von einem Arriero und noch einem Saumthier begleitet, in einem kleinen Dorfe unfern Quito anhielt, um den Maulthieren ein paar Bündel Yerba zu geben und sie ein wenig rasten zu lassen.

Es war Espinoza mit seiner jungen Gattin, die er seinen Eltern bringen wollte, und Jacinta, jetzt nicht mehr in ihrer ärmlichen Kleidung, sondern in einem Reitkleid von dunkelm Tuch, das ihre zarte schlanke Gestalt dicht umschloß, ein Federhütchen auf dem Kopfe, und Glück, und Liebe in den großen treuen Augen, die in ihrer Jugend schon so viel Schmerz gesehen, so viel bittere Thränen geweint hatten, schritt an des Gatten Arm einer kleinen Erhöhung zu, von der aus man beide Seiten des Weges überschauen konnte und einen vollen Ueberblick auf das wahrhaft wundervolle Panorama gewann, welches dieses Thal umgab.

Aber Beider Blicke flogen zuerst den Weg zurück, den sie gekommen waren, und Jacinta sagte fast traurig:

»Er kommt noch nicht, und ich hatte mich so darauf gefreut, daß gerade er uns Deinen Eltern zuführen sollte.«

»Wenn er es hätte möglich machen können, mein Herz,« entgegnete der junge Officier freundlich, »wäre er sicher schon da; aber wir wissen ja nicht, wie ihn sein Dienst in Anspruch nimmt. Keinenfalls läßt er in Quito lange auf sich warten, dessen kannst Du versichert sein. – Aber sieh dort hinüber – siehst Du an jener Stelle, wo der Pichincha seine scharfen Hänge dem Thale zuneigt, den dünnen Rauch lagern und den dunkeln Fleck darunter? Das ist Quito mit seinen Ziegeldächern, und wenn uns unser gutes Recht in Guajaquil nicht wird, so gründen wir dort unsere stille, bescheidene Heimath. Fortunato hat Recht, Ecuador ist ein so reiches und glückliches Land, daß wir um unsern Lebensunterhalt nicht zu sorgen brauchen. Dort will ich suchen, Du treues Herz, Dir Alles, Alles zu vergüten, was Du durch mich gelitten hast – Deinen Pfad will ich so eben machen, wie er bis jetzt hart und rauh gewesen ist, und jeder Tag soll Dir ein neues Zeugniß geben, daß ich die Liebe verdiene, die Du mir bewahrt hast.«

Und Jacinta war glücklich; an der Schulter des Gatten, der sie mit seinem Arm umschlungen hielt, lehnte ihr liebes Haupt, und während Gottes Sonne im hellsten Glanz auf sie herabschien, grollte der alte grimmige Kotopaxi seinen Segen dazu und schwenkte die riesige Nebelkappe um den Scheitel.

Lange hatten sie so gestanden, in ihr eigenes Glück und in die Wunder der herrlichen Natur vertieft, bis es endlich Zeit wurde, den Weg fortzusetzen. Kaum aber waren sie wieder im Sattel, als ein Reiter in kurzem Galopp die Straße herausgesprengt kam und schon von Weitem seinen Gruß mit dem Hut entgegenwinkte.

»Hurrah, doch noch eingeholt!« rief Fortunato, als er sie erreichte und auf das Herzlichste von ihnen begrüßt wurde. »Ich habe wahrhaftig kein Gras unter den Hufen meines alten Braunen wachsen lassen.«

»Aber Sie reiten ja einen Schimmel,« bemerkte lächelnd Jacinta.

»Das ist ein frisches Thier, das ich mir vorhin in Machache genommen habe, um mein eigenes Pferd zu schonen. – Aber nun vorwärts, denn mich drängt es, Quito wieder zu sehen, und unterwegs habe ich Ihnen viel zu erzählen.«

»Aber weshalb sind Sie so lange geblieben?« fragte Espinoza, während sie das kleine Dorf wieder verließen und den breiten ebenen Weg nach Quito einschlugen; »Flores hatte Ihnen ja doch Ihren Urlaub schon bewilligt. Wir haben einen vollen Tag länger in Latacungo gewartet, als ausgemacht war.«

»Weil neulich Morgens,« erzählte Fortunato, »ganz Guajaquil in die furchtbarste Aufregung gerieth und wir Alle schon glaubten, der kleine Mulattengeneral kehre mit peruanischer Hülfe zurück, um die Stadt in Grund und Boden zu schießen – ja man befürchtete sogar eine Landung der Truppen, denn zwei peruanische Kriegsschiffe kamen wieder den Strom heraufgedampft und legten sich auf ihren alten Ankerplatz – wo sie noch bis diese Stunde liegen –«

»Und zu welchem Zweck?«

»Gott weiß es. Ob es eine Demonstration des alten Haudegen Castilla gegen die neue Regierung sein soll und er, was das Wahrscheinlichste ist, unter dem Druck seiner Geschütze von der jetzigen Regierung durch Verträge herauspressen will, was ihm Franco als Beutetheil zugesichert hatte – genug, wir sind nicht recht klug daraus geworden. Daß aber alle nöthigen Vorbereitungen getroffen wurden, einen etwa landenden Feind auf das Nachdrücklichste zu empfangen, können Sie sich denken. Die ganze Stadt war in einer fieberhaften Aufregung, und hätten die Peruaner nur die geringste Feindseligkeit versucht, sie wären mit blutigen Köpfen heimgeschickt worden. Garcia Morena, dessen Candidatur zur nächsten Präsidentschaft vollständig gesichert scheint, ist fest entschlossen, keinen Fuß breit ecuadorianischen Bodens an Peru abzugeben und wagen die Peruanischen Dampfer einen einzigen Schuß auf die Stadt, so sind Maßregeln getroffen, daß sie nie wieder blau Wasser zu sehen bekommen, denn oberhalb Puna wird schon an einem Fort tüchtig gearbeitet, das ihnen Respect vor ecuadorianischen Kanonen einflößen soll. – Aber zum Henker mit der Politik,« brach er kurz ab – »ich habe Ihnen Besseres und Freudigeres mitzutheilen. Señorita, erlauben Sie, daß ich der Erste bin, der Ihnen seine Glückwünsche zu Füßen legt. Ihr Proceß ist gewonnen, Espinoza.«

»Gewonnen?« rief der junge Mann rasch und freudig aus.

»Flores macht nicht viel Umstände,« rief Espinoza lachend, »Ibarra und Zegado interessirten sich ebenfalls warm für die Sache, Verdachtgründe lagen überhaupt genug vor, daß der Proceß unter dem Einfluß Franco'scher Beamten auf das Willkürlichste und Widerrechtlichste gehandhabt sei, und da bei einer Haussuchung bei Doctor Ruibarbo höchst interessante und wichtige Papiere zum Vorschein kamen, so erledigte sich der Fall weit rascher, als man hätte erwarten können.«

»Und der Doctor? – welche Strafe wird er jetzt bekommen? Hat er nicht die Verbannung wenigstens eben so verdient wie sein Neffe?«

»Da kennen Sie unsere ecuadorianischen Verhältnisse doch noch zu wenig,« erwiderte Fortunato. »Doctor Ruibarbo ist wieder auf freien Füßen und giebt eine Gesellschaft nach der anderen, zu denen er, freilich bis jetzt vergeblich, die Spitzen der gegenwärtigen Regierung heranzuziehen versucht.«

»Und ungestraft soll er das Alles verübt haben?«

»Nicht so ganz; man wußte ihn, oder vielmehr Señora Ruibarbo, an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen, und da der junge Staat gegenwärtig sehr viel Geld braucht, so wurde dem Doctor die Wahl zwischen Verbannung oder einer Buße von zwanzigtausend Dollars gelassen, worauf er denn nach einigen vergeblichen Versuchen, noch etwas von der Summe herunter zu handeln, das baare Geld seufzend an die Regierungskasse ablieferte.«

»Und Donna Celita?« frug Jacinta mit einem schelmischen Blick auf ihren Gatten, der diesem das Blut in die Schläfe trieb.

»Ist gegenwärtig vollkommen Florestinisch oder quitenisch gesinnt und hat schon wieder einen Schwarm von Anbetern um sich gesammelt, die nicht versäumen werden, trotz aller früheren Warnungen sich die Flügel zu verbrennen. Sie regiert Ruibarbo's Haus, der es nur mit dieser Hülfe möglich machte, wieder populär – wenigstens gesucht zu werden. Doch lassen wir diese Leute – dort liegt Quito mit seinen zahlreichen Kirchen, seinem alten Pichincha als Wächter, und mit seinem lebenslustigen und frohen Volk. Wie die Straße sich belebt hat, seitdem der Verkehr wieder frei geworden ist!«

Noch während er sprach, hörten sie laute Hufschläge hinter sich, und als sie den Kopf wandten, sahen sie einen Reiter die Straße heraufkommen.

»Ein Courier,« rief Fortunato und zügelte sein Thier, während der Reiter, als er die Florestinische Uniform erkannte, sein Roß anhielt.

»Holla, Compañero,« rief ihn der junge Mann an, »etwas vorgefallen in Guajaquil? – haben die Dampfer gefeuert?«

»Nein, Señor,« sagte der Bursche ehrerbietig. »Alles ruhig dort unten – ich trage nur Privatdepeschen –« und seinem Thier wieder die Sporen gebend, sprengte er der Stadt zu. Aber es war jetzt nicht so leicht, weiter zu kommen, denn dichte Karawanen beladener Esel, Maulthiere, Lamas und Ochsen versperrten den Weg zu Zeiten so, daß man nur Schritt reiten konnte, um nicht überall anzurennen.

Unzählige Eselszüge wurden von Indianern getrieben, um Waaren und Früchte nach Quito zu bringen. Und zu den Lastthieren konnte man auch die Indianerinnen rechnen, die mit einem Packen auf dem Rücken, ein Kind vorn in ihrem Poncho eingewickelt, die Esel dabei antreibend und außerdem noch eine Spindel in der hochgehobenen linken Hand haltend, während sie mit der rechten den Faden drehten, auf der Straße hinschritten und scheu und ehrerbietig den Pferden der Weißen auswichen.

Hunderte von leeren Maulthieren kamen aber ebenso die Straße herab, um die lange aufgespeicherten Güter von Guaranda und Bodegas abzuholen, und die halbe Provinz Imbaburru hatte dazu ihre Thiere liefern müssen. Es herrschte ein Leben in der Nähe der Hauptstadt, als ob der halbe District unterwegs wäre, und kein Wunder! Nicht allein, daß diese einzige Pulsader des ganzen Verkehrs mit dem Innern für lange Monate unterbunden gewesen, nein, die Regenzeit war auch noch außerdem vor der Thür, um keinen Augenblick unbenutzt zu lassen, das Versäumte nachzuholen.

In Quito selber schien dieses Leben und Treiben aber seinen Culminationspunkt zu erreichen, denn wie unsere Reisenden in die erste und dadurch Hauptstraße der Stadt einbogen, zeigte sich diese im festlichen Schmuck von zahllosen Fahnen, die von den Häusern, selbst den ärmsten, herabwehten, und bald erfuhren sie, daß an diesem und an den nächsten zwei Tagen das Siegesfest über die Rebellen gefeiert werde. –

In allen Kirchen läuteten die Glocken, und eine feierliche Procession bewegte sich durch die Straßen der Stadt, von den Spitzen der Geistlichkeit geführt und von dem nachdrängenden Volk begleitet. Mit Mühe und Noth erreichten sie endlich die Plaza, die heute von den Verkäufern geräumt und an den Ecken der vier in sie einmündenden Straßen mit hohen Ehrenpforten und grünem Laubwerk reich verziert war. Fortunato jedoch, der auf dem Herwege beinahe ausgelassen lustig gewesen war, versank hier in ein so ernstes Nachdenken, daß es seinen Begleitern nicht entgehen konnte.

»Was haben Sie, Amigo?« frug daher Espinoza, als der junge Mann auf der Plaza sein Pferd zügelte und den Blick auf die fröhlichen Schaaren, auf die geschmückten Straßen, auf die bewimpelten Häuser und Kirchen warf. »suchen Sie Jemand?«

Fortunato schüttelte mit dem Kopf, indem er etwas kleinlaut entgegnete:

»Mir fiel in diesem Augenblick ein, daß ich vor einiger Zeit gewünscht hatte, anders hier einzuziehen, und zwar als Sieger und Eroberer unter der Führung des schurkischen Mulatten, und ich fange an, mich aufrichtig der Rolle zu schämen, die ich damals gespielt habe.«

»Lieber, bester Freund –«

»Es ist wunderbar,« fuhr aber Fortunato fort, ohne auf den Einwurf zu achten, »wohin Leidenschaft und Ehrgeiz einen Menschen führen können. – Daß der verblendete Mulatte glauben konnte, sich ein Reich zu unterwerfen, läßt sich wohl noch begreifen; daß er aber weiße Officiere finden konnte, die ihm dabei behülflich waren und nicht vielmehr nach den ersten acht Tagen den frechen, sinnlichen Burschen durchschauten und in Ekel seine Fahne verließen, ist eins jener Räthsel, von denen wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen. – Eigentlich dürft' ich mich vor gar keinem Quitener mehr sehen lassen, und mir ist zu Muthe, als ob die Straßenjungen rufen müßten – heh! heh! da ist Einer von der Franco'schen Bande, der Quito mit erobern wollte.«

Espinoza lachte. »Doch gerade Sie,« tröstete er den Freund, »haben mehr gethan als die meisten Quitener, um unser Vaterland vor einem großen Unglück zu bewahren. Mit Aufopferung aller Ihrer Kräfte –«

»Weil ich nicht gehangen sein wollte,« unterbrach ihn Fortunato trocken.

»Haben Sie ganz besonders den Sturz des Tyrannen herbeigeführt. Sie liefen mehr Gefahr dabei, als Sie sich nach Guajaquil hineinwarfen, wie jeder Andere, denn die furchtbarste Rache hätte Sie erreicht, wenn Sie damals entdeckt und gefangen worden wären.«

»Das weiß Gott,« entgegnete Fortunato – »viel Umstände würde er nicht mit mir gemacht haben. – Aber was zum Henker giebt es denn hier?« fuhr er plötzlich fort, als gerade aus der Straße, in welche sie eben einbiegen wollten, ein Menschenschwarm theils schreiend und lachend, theils mit Zeichen der Angst hervorstürzte, auf der Plaza auseinanderstob und sich zum Theil hinter die dicken Quaderpfeiler der Colonnaden flüchtete.

»Der Stier! der Stier!« schrien einzelne Stimmen, und es blieb unseren Freunden kaum Zeit, ihre Pferde herum zu werfen und auf die Plaza, wo sie mehr Raum zu freier Bewegung hatten, zurück zu flüchten, als ein wilder Stier, mit einem nachschleifenden langen Lasso an den Hörnern, aus der Straße hervorstürzte und Alles vor sich herjagte. Er hätte leicht ein Unglück anrichten können, denn nicht Alle waren im Stande, ihm mit der nöthigen Geschwindigkeit auszuweichen, aber es schien, als ob er die Feindseligkeiten noch nicht für eröffnet hielt, denn er lief bis mitten auf die Plaza, blieb dort stehen, hob den dicken Kopf und blickte herausfordernd im Kreise umher.

»Jetzt müssen wir machen, daß wir fortkommen,« rief Espinoza, »denn die Procession scheint vorüber und die Festlichkeiten beginnen.«

»Und gehört der losgelassene Stier mit zu den Festlichkeiten?« fragte Fortunato.

»Er wird an diesem Nachmittag die Hauptperson sein,« versicherte Espinoza, »und jetzt von dem Volk so lange umhergehetzt und so lange geneckt, bis er zum Tode ermattet nicht mehr weiter kann. Dann erst und gegen Abend führen sie ihn fort, schlachten ihn und verkaufen das blutunterlaufene Fleisch als Delicatesse. – Aber kommen Sie – die Straße ist frei, und jetzt finden wir die Eltern noch zu Hause; denn wenn der Stier los ist, der bei keinem quitenischen Feste fehlen darf, verläßt keine Dame ihre Wohnung.«

Espinoza hatte Recht – die Straße war durch den Stier vollständig gesäubert worden, und bald hielten sie vor dem kleinen, freundlichen Hause Espinoza's. – Hier aber wollte Fortunato sich von ihnen trennen.

»Ein Fremder,« sagte er, »gehört nicht beim ersten Wiedersehen in einen Familienkreis, er stört nur und zerstreut. – Die erste Stunde muß Euch und Euren Lieben gehören.«

»Und sind Sie denn ein Fremder, Fortunato?« rief Espinoza vorwurfsvoll – »hätt' ich der Eltern Haus im Leben wieder betreten können, ohne Sie? sind Sie es nicht gewesen, der mir –«

»Benito! Benito!« riefen aber jetzt jubelnde Stimmen aus dem Hause, und Espinoza's Schwester sprang heraus und auf den Bruder zu. Fortunato hatte sein Pferd schon abgelenkt und wollte eben, seinem Wort getreu, der ersten Begrüßung aus dem Wege gehen, als sein Blick auf Ana's schlanke Gestalt und liebe Züge fiel und er überrascht, fast erschrocken, seinem Thier in den Zügel griff. Aber allen Bedenklichkeiten wurde bald ein Ende gemacht, denn Benito's Vater warf schon das Thor auf, um die Pferde in den inneren Hof zu lassen, und rief den Nahenden ein so herzliches Willkommen entgegen, und zog dann Fortunato mit so freundlicher Gewalt aus dem Sattel und in seine Arme, daß an ein Zurückweichen gar nicht mehr zu denken war.

Wie viel hatten sich die Glücklichen nun zu erzählen, und wie lieb und herzlich wurde die arme Jacinta von Espinoza's Eltern, die sie schon als Kind gekannt hatten, empfangen. Während aber Benito's Mutter Fortunato's Hand gefaßt hielt, und ihm immer von Neuem für die Rettung des einzigen Sohnes dankte und Gottes Segen auf sein Haupt herabflehte, suchte dieser Ana's Augen zu begegnen, die wohl zuweilen auf ihm hafteten, sich aber immer wieder, während die Wangen errötheten, vor ihm senkten. Endlich aber hielt er es nicht länger aus; er mußte seinen Zweifeln ein Ende machen, und rasch zu Ana tretend, sagte er, wenn auch immer noch ein wenig befangen:

»Señorita – entweder täuscht mich eine merkwürdige Aehnlichkeit, oder – wir sind uns – es mögen nun drei Jahre sein – schon einmal begegnet.«

Ana war purpurroth geworden, bis sie endlich verlegen lächelnd antwortete:

»Ich hatte nicht geglaubt, daß Sie sich meiner noch erinnerten.«

»Also doch,« rief Fortunato freudig aus, indem er auf sie zusprang und ihre Hand ergriff – »aber wenn Sie auch damals meinen Dank verschmähten, jetzt darf ich ihn doch bringen?«

»Und wofür Dank?«

»Sie haben Recht; viel war es nicht, was Sie damals retteten, höchstens das Leben eines Menschen, der bis dahin, und auch noch eine ganze Weile nachher, sich nur höchst zwecklos im Lande umhergetrieben hatte. Aber es war doch das Kostbarste, was ich besaß und, wenn ich aufrichtig sein soll, zu dieser Stunde noch besitze.«

»Aber was bedeutet das Alles?« fragte die Mutter erstaunt.

»Als wir vor drei Jahren den Spazierritt auf den Pichincha machten,« sagte Ana erröthend, »hatte der junge Malveca ein Pistol mitgenommen und hielt es so unvorsichtig auf diesen Señor zu, daß ich es in die Höhe schlug. Wahrscheinlich trug ich selber die Schuld, daß es sich dabei entlud.«

»Und die Kugel pfiff mir dicht über dem Kopf weg,« rief Fortunato lachend. – »Also das war Malveca. Es ist doch eigen, wie sich unser Schicksal oft durch eine Kleinigkeit verändert. Wie manchen seiner Pläne hätte dieser Señor Malveca erreicht, wenn seine Kugel mich statt die leere Luft getroffen hätte. Seine Familie lebt hier, nicht wahr?«

»Seine Mutter, ja,« sagte Benito's Vater, »und was sie uns die ganze Zeit an Herzeleid anthun konnte, hat sie redlich gethan. Nur seitdem die Botschaft von ihres Sohnes Gefangennahme hierherkam, scheint sie still geworden zu sein. Ihr Haus stößt an das unsere.«

Ein wilder, gellender Schrei tönte in diesem Augenblick aus dem Nachbarhause herüber und Alle horchten erschreckt dem unheimlichen Laut, dem aber schon Todtenstille gefolgt war.

Benito erzählte jetzt den Eltern die Nachricht, die Fortunato aus Guajaquil gebracht hatte, daß die Regierung nach den bei Ruibarbo aufgefundenen Papieren den Prozeß Malveca's gegen sie noch einmal aufgenommen und einen schändlichen Betrug entdeckt habe, als eins der Mädchen mit dem Ausruf Ave Maria purisima! und schreckensbleichen Zügen in's Zimmer stürzte.

Señora Malveca hatte durch einen Courier von Guajaquil einen Brief erhalten, ihn erbrochen und gelesen, und war dann mit einem einzigen Schrei todt von ihrem Stuhl gefallen.

Und während draußen das Volk jubelte und schrie und musicirte und Fahnen schwenkte und am Abend illuminirte und Feuerwerke abbrannte, zur Feier des Sieges über die Rebellen, lag die alte Frau in ihrem dunkeln Hause, unbeweint, ja selbst von ihren Dienstleuten verlassen, starr und kalt auf ihrem Todtenbette, bis sie am zweiten Tage mitten durch das Festgedränge jubelnder Menschen zu ihrem letzten Ruheplatz hinausgetragen wurde.

Zwei Monate später aber hielt wieder eine kleine buntgekleidete Cavalcade vor Espinoza's Haus und mit jeder Minute kamen noch mehr Reiter und Reiterinnen hinzu, um den Zug zu begleiten.

Es war Fortunato, der mit seiner geliebten Ana, jetzt seiner jungen Frau, nach Süden zog, um Besitz von seiner reizenden Hacienda bei Daule zu nehmen. Und als nun Espinoza neben ihm im Sattel hielt, legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte scherzend:

»Nun, Amigo, behaupten Sie noch, daß Sie Ihren Namen nur dann mit Recht führen, wenn es den Nutzen Anderer gilt?«

»Nein, wahrlich nicht!« rief Fortunato, seines lieblichen Weibes Hand ergreifend und drückend – »ich bin so glücklich, Benito, daß mir der Name nicht einmal genügt, und von jetzt an nenn' ich mich Fortunadisimo.«


Die Revolution in Ecuador war beendet. Noch herrschte eine kurze Zeit das aus drei Männern bestehende Direktorium in Quito, bis eine gültige Wahl durch die ganze Republik stattfinden konnte, aus der – allen Befürchtungen zum Trotz, daß General Flores die Zügel der Regierung mit Gewalt, und von seinem Heer unterstützt, ergreifen könnte, der allgeliebte und verehrte Garcia Morena als Präsident von Ecuador hervorging.

Die peruanischen Kriegsschiffe blieben allerdings noch drohend eine lange Zeit vor Guajaquil liegen, aber auch das war nur eine nutzlose Demonstration und hatte keine weitere Bedeutung. Doctor Ruibarbo aber lebt noch, theils in Guajaquil, theils in Quito, und ist einer der geehrtesten Bürger – weil er eben einer der reichsten ist.



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