Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13.

Der Marsch gegen Quito.

Ein unbeschreiblich toller Wirrwarr herrschte an dem Tage von Franco's Abmarsch in Bodegas, denn die Soldaten waren fast bis zu der bestimmten Stunde in Ungewißheit darüber gehalten worden. Das aber hatte auch seinen guten Grund.

Einestheils mußte Franco verhüten, daß die Kunde seines Aufbruches zu früh in das obere Land lief und den dort Wohnenden übermäßige Zeit gab, ihre Maßregeln danach zu treffen und besonders Lastthiere und Provisionen aus dem Weg zu schaffen, und dann wollte er in Bodegas im letzten Augenblick requiriren, was irgend zu bekommen war.

Noch am Abend vorher erzählte er an offener Tafel im Hause der Señora Buscada, daß sein Abmarsch auf über acht Tage festgesetzt sei, weil er erst Verstärkung und ein paar Balsas mit Lastthieren aus Guajaquil heranziehe, und ebenfalls die bis dahin fällige peruanische Post abwarten müsse, und am nächsten Morgen um vier Uhr bliesen plötzlich die Alarmhörner ihre Signale, kleine Patrouillen umzingelten die ganze Stadt, um kein Maulthier hinauszulassen, keinen Boten, der die Nachricht voraustragen könne, und alle Thiere, deren man habhaft werden konnte, wurden in dem Augenblick, gleich viel, wem sie gehörten, für Staatseigentum erklärt, für dessen Auslieferung dem früheren Besitzer ein sehr lakonischer Empfangschein ohne weitere Verpflichtung zur Rückgabe ausgestellt ward.

Franco hätte es gern vermieden, denn es lag ihm noch immer daran, sich die Bewohner von Bodegas zu Freunden zu halten, aber es war nicht möglich gewesen. Er konnte sich nicht darüber täuschen, daß die Gastlichkeit der Leute, mit wenigen Ausnahmen, eine gezwungene blieb, daß man Alles vor ihm und den Seinen verbarg, was sich nur eben verbergen ließ, und die Gesinnung der Bevölkerung doch noch immer mehr an der quitenischen Regierung, wie an der seinen hing.

Franco kannte aber auch die Südamerikaner, die nur von dem Erfolg zu gewinnen sind, dann aber auch im Nu alles Andere vergessen und abschütteln, was sie bis dahin noch beirren mochte. Eine einzige Schlacht, die er den Truppen des Gegners abgewann, dessen Soldaten er dann über das Land zerstreute oder unter seine eigenen Fahnen sammelte, machte ihn zum unbestrittenen »Regenten« der Republik, denn den Namen Republik führen diese Länder ja doch nur eben dem Namen nach.

Zog er als Sieger in Quito ein, so bedurfte es, das wußte er recht gut, keines weiteren Krieges mehr, als vielleicht eines kurzen blutlosen Zuges nach Ibarra, der zweiten Hauptstadt des Innern. An Widerstand war dann nicht mehr zu denken, bis vielleicht eine zweite Revolution Zeit und Lust gewann, einen Umsturz der bestehenden Regierung zu versuchen. Das war in der Ordnung und von jeher in diesen Districten so gewesen.

Die Subsidien zu seinem Marsch in das Innere mußte er aber haben; das Papiergeld, was er im Anfang den Leuten aufzwang, wollte Niemand mehr nehmen, so blieb ihm denn zuletzt in der That nichts weiter übrig, als eben im Namen des Staates auf Alles die Hand zu legen, was er erreichen konnte – allerdings mit dem Versprechen späterer Zahlung, was aber nicht viel zu bedeuten hatte, denn er selber zahlte die Summen doch nicht.

Siegte er, so mußte eine Contribution die Gelder aufbringen, deren er bedurfte, und Quito noch außerdem die Kriegskosten zahlen, wurde er besiegt – aber seine Freunde behaupteten, das sei unmöglich – so mochte General Flores sehen, wie er mit den Geschädigten fertig wurde. Er erzwang sich schon seinen Rückzug nach Guajaquil, und dann rechnete er noch fest auf des peruanischen Präsidenten Castilla Hülfe – waren sie doch schon lange über den Preis derselben einig geworden.

Am bestürztesten waren die armen Arrieros, die noch einige Thiere hatten, bei diesem plötzlichen Aufbruch. Ihnen nahm man diese nicht allein, sondern zwang sie auch, ihre eigenen Maulthiere zu beladen und dann unter der Eskorte des ganzen Heeres in das Innere zu treiben. Was halfen ihnen die Ausreden, daß die abgeplagten Geschöpfe eben erst von der Reise gekommen und todesmatt wären, daß ihre Besitzer Verbindlichkeiten eingegangen wären und Caution gestellt hätten, zu einer bestimmten Zeit da oder dort zu sein! Die Soldaten lachten nur dazu, und wo sich die Leute nicht gutwillig fügen wollten, wurden sie mit Schlägen zu der Arbeit getrieben.

Allerdings führte die »Armee« nicht viel Gepäck bei sich, denn in einem Klima wie Guajaquil braucht der Mensch wohl Kleidungsstücke, um sich gegen die große Hitze, nicht aber gegen die Kälte zu schützen. Passirten sie jedoch die Bergregion des Chimborazo – was jedenfalls in sehr kurzer Zeit geschah, wie Franco hoffte – so mochten die Soldaten dann einmal ein Paar Tage frieren, was lag daran – desto rühriger marschirten sie, um wieder in's flache Land zu kommen. Außerdem gab es in Guaranda genug warme Kleider.

Trotzdem fehlte es nicht an Gepäck, denn Franco hatte allein mit seinem Privatbedarf einige zwanzig Maulthiere bepackt. Munition mußte ebenfalls mitgeführt werden, wie Provisionen für die Leute, da man nicht erwarten durfte, unterwegs genügende Lebensmittel zu finden. Sogar eine kleine »Feldschlange« war auf eins der stärksten Maulthiere geladen, um vielleicht im Fall einer Verbarrikadirung im Wege liegender Dörfer als Mauerbrecher zu dienen. – Oder hatte Franco wirklich im Sinne, Doctor Ruibarbo's Rath gegen Quito zu befolgen?

Aber welchen Widerstand konnten die armseligen Holzhäuser leisten! Ein paar Brandraketen hätten sie in wenigen Stunden in Asche gelegt; ja selbst die Lehmmauern der quitenischen Gebäude wären nie im Stande gewesen, einem ernsten Anprall Trotz zu bieten. Darauf baute auch Franco seine Hoffnung, daß sich die friedlichen Bewohner der im Innern liegenden Städte lieber gutwillig seinem Einmarsch unterwerfen und leisten würden, was in ihrem Kräften stand, ehe sie sich der Gefahr aussetzten, diese wilden Horden über ihre Heimath losgelassen zu sehen.

Bis Latacungo, weit an dem andern Hang des Chimborazo hinab und eigentlich schon in der Nähe von Quito, hatte er auch keine große, volkreiche Stadt zu passiren, denn Guaranda lag ihm offen, und von Latacungo hatte ihm der Doctor gesagt, daß er dort schon eine große Zahl von Anhängern habe und die ganze Stadt leicht auf seine Seite bringen könne, wenn er ihr nur versprach, den Sitz der künftigen Regierung von Quito fort nach dem für den Guajaquil-Handel auch viel bequemer und näher gelegenen Latacungo zu verpflanzen.

Dazu war er auch fest entschlossen; gab es doch gar kein wirksameres Mittel, um die Quitener gründlich für ihre »Rebellion« zu strafen. Also existirten für ihn eigentlich keine Schwierigkeiten als der Marsch selber, und der war zu überwinden, denn in zwölf Tagen ungefähr gedachte er der Residenz, wie sie sich übermüthig nannte, seine Bedingungen zu dictiren.

Und wie das jetzt über den Weg schwärmte, den von Bodegas an war noch offenes, freies Terrain, auf dem sich die Soldaten nach Belieben ausbreiten und vertheilen konnten – und was für einen Staub das aufwirbelte!

Die gemeinen Soldaten marschirten allerdings zu Fuß – einige wenige ausgenommen, die schlau genug gewesen, sich auf irgend eine Weise nicht allein ein Maulthier zu verschaffen, sondern es auch so lange versteckt zu halten, bis sämmtliches Gepäck untergebracht und verladen war. Diese ließ man aber schon deshalb gewähren, weil man dadurch eine Anzahl Reservethiere bekam, die aushelfen mußten, falls eins oder das andere der Lastthiere unterwegs liegen blieb. Dann wurden freilich mit den darauf sitzenden Soldaten sehr wenig Umstände gemacht.

Die Officiere waren natürlich alle beritten – die meisten auf eigenen Pferden, viele aber ebenfalls auf Maulthieren, die in diesen Bergen und auf diesen ausgetretenen Pfaden einen viel sicherern Schritt haben und weit zuverlässiger sind, als das allerdings schnellere Pferd.

Franco selber ritt ein Maulthier und in der besten Laune von der Welt dem Zuge voran. Neben ihm der riesige Mulatte auf einem Pferde, mit dem er den General fast um eine ganze Körperlänge überragte. Franco sah ihn aber trotzdem sehr gern in seiner Gesellschaft, denn der große ungeschlachte Mensch war ihm nicht allein mit Leib und Seele ergeben, sondern auch entsetzlich dumm, und er amüsirte sich damit, ihn zum Besten zu haben, was sich Barbadoes entweder gutmüthig gefallen ließ oder in den meisten Fällen gar nicht merkte.

Die verschiedenen Bataillone waren allerdings abgetheilt, marschirten aber, wie schon vorerwähnt, in aufgelösten Gliedern, und die Officiere mischten sich dabei, während sie in kleinen Gruppen ritten, nicht selten selbst zwischen die Soldaten.

Fortunato und de Castro trabten neben einander den zwar ebenen, aber entsetzlich staubigen Weg entlang, und zwar Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, so daß ein Gespräch noch nicht geführt worden. Endlich brach Fortunato das Schweigen.

»Ob wir unsern Schützling wohl jemals wieder zu sehen bekommen?« frug er, indem er sein Gesicht lächelnd seinem Begleiter zuwendete.

»Und warum nicht,« sagte de Castro trocken, »möglich, daß er die erste Salve commandirt, die uns ihren bleiernen Gruß entgegenschickt, und uns damit für unsere Bemühungen dankt.«

»Bah,« meinte Fortunato, »ist er's nicht, wär's ein Anderer, das bleibt sich gleich, und ich wollte beinahe, ich wär' an seiner Stelle.«

De Castro sah rasch nach seinem Freund hinüber, ohne ein Wort zu erwidern; aber sein fragender Blick war nicht unbemerkt geblieben, und Fortunato fuhr – vorsichtig umherschauend, ob sie nicht behorcht werden könnten, leiser fort: »Unser Geschäft ist faul, Amigo – ich sehe das von Tag zu Tag klarer ein. Wenn mich die Ehre nicht an unsere Fahne bände, ich – ich liefe lieber heute als morgen davon.«

»Das ist der Unmuth, der aus Dir redet.«

»Beim Himmel, das ist meine ernste Meinung!« bekräftigte der Hauptmann. »In Guajaquil habe ich das nicht so gefühlt – waren da zu sehr unter uns, und das Lumpengesindel, das sich an uns drängte, hatte einen Vortheil dabei, uns die wahre Gesinnung des Landes zu verbergen. Jetzt aber, da wir in das Innere vorgerückt sind und Gelegenheit haben mit Leuten zu verkehren, die kein Interesse an unsere Sache bindet, jetzt fange ich an einzusehen, daß wir eigentlich eine ganz klägliche Rolle in Ecuador spielen und nur um Weniges besser sind, als uniformirte Landstreicher und Banditen – ja, ich will selbst das Wenige dahingestellt sein lassen.«

»Laß das Franco zu Ohren kommen, und ich gebe keinen Real für Dein Leben.«

»Ich weiß es,« sagte Fortunato düster, »Menschenleben sind bei ihm überhaupt entsetzlich billig zu haben. Er bezahlt die Maulthiere theurer, und wer ihn noch besonders zu solchen Unmenschlichkeiten aufhetzt, ist jener gelbe Fleischkoloß, unser Major Barbadoes, dessen ganzes Gehirn in Fett übergegangen scheint. Wenn der Teufel noch einen bösen Geist zum Feuerschürer an der Seite haben kann, so ist der es, und der ganze Kerl riecht auch wahrhaftig nach Schwefel, wenn man ihm nur auf fünf Schritt unter den Wind kommt.«

»Aber gerade der ist unser Vorgesetzter!«

»Hätt' ich dergleichen vorher gewußt,« rief Fortunato, »beim ewigen Gott, Franco würde mich nie in seinem Heer gesehen haben, und ich gäbe in diesem Augenblick meinen kleinen Finger darum, wenn ich ein anständiges Mittel wüßte, um wieder hinaus zu kommen.«

»Das glaub' ich,« lachte de Castro, »ich fürchte aber, Du wirst mehr als den Finger dafür bezahlen müssen. Doch was nützen unsere Redensarten! Wir sind einmal mittendrin und müssen jetzt aushalten. Oder möchtest Du desertiren?«

Fortunato zog die Brauen zusammen und schwieg. Andere Officiere ritten jetzt heran, und das Gespräch wurde unterbrochen.

Gleich darauf passirten sie den kleinen Ort, in dem Fortunato mit Hülfe des Doctors seine erste Futterlieferung eingetrieben hatte. Er selber glaubte damals, daß Franco in Silber bezahlen würde, denn Bezahlung war versprochen worden; statt dessen gab er die werthlosen Papierwische, die man nicht einmal in Guajaquil nehmen wollte, und die den Leuten hier im Innern noch weniger galten als weißes Papier, das sich doch wenigstens zu einer Cigarrette verbrauchen ließ.

Seit der Zeit hatte man solche Förmlichkeiten wie Bezahlen gar nicht mehr für nöthig gehalten. Die Streifzüge waren in's Land gebrochen, um einfach zu plündern, und das ganze kleine Dorf lag öde und halb verlassen. Mit der Erlaubniß des »Eintreibens« waren die Soldaten auch frech und übermüthig geworden, man hatte gedroht, die Männer in das Heer zu stecken, die Frauen und Mädchen waren eben so wenig vor Insulten sicher geblieben, und so schien denn der ganze Ort ausgewandert und nur die alten Frauen, Greise und Kinder zurückgeblieben zu sein, um mit den Hunden die Häuser zu bewachen.

Eben so wenig bestand noch ein Laden, in dem Eßwaaren zum Verkauf feil geboten wurden; keine Bananenfrucht hing mehr gelb und verlockend unter dem Deckbalken der Hütte, kein Korb voll goldener Orangen zeigte den Vorüberziehenden den saftigen Inhalt. Nunez saß mißmuthig und allein oben in seinem Hause, an dem noch immer nicht vollendeten Strohhut flechtend, und warf finstere Blicke nach dem Trupp hinunter, der lachend und lärmend vorüberzog. Kein Soldat aber belästigte jetzt die Bevölkerung an der Straße, denn erstens waren die Officiere zugegen, und dann wußten die Spitzbuben auch schon aus Erfahrung, daß in den Häusern nichts zurückgeblieben sei, was ihre Habgier reizen konnte.

Fortunato warf den Blick hinauf, ob er Jacinta vielleicht entdecken könnte. Allein Nunez hatte das junge Mädchen mit unter den ersten – wer konnte sagen, in welches Versteck verborgen, um dort mit seiner Frau zu harren, bis sich der Kriegstrubel würde verzogen haben. Das arme Kind hatte wahrhaftig zu viel Leid erlebt, als daß es jetzt auch noch von den rohen Soldaten beleidigt werden durfte.

Aber es war doch auch ein wohlthuendes Gefühl, das den jungen Mann erfüllte, als er das Haus wiedersah, in dem er einem Wesen Gutes erzeigt, wo er Vertrauen erhalten und erwidert hatte. – Daß auch aus keinem Hause ein bekanntes Gesicht hervorschauen wollte! auch nicht einmal das Antlitz von Fortunato's Tänzerin an jenem Gewittertage!

»Die Señorita ist auch fort,« sagte da eine Stimme an seiner Seite – »der alte Bursch hat sie fortgeschafft,« und als Fortunato rasch und fast erschreckt nach dem hinunter schaute, der seine Gedanken noch fast im Entstehen errathen hatte, erkannte er den Mulatten Viruta, der, seine Lanze nachlässig auf der Schulter, auf einem wohlgenährten, nur etwas kurzbeinigen Maulthier neben ihm her ritt und ihm freundlich, beinahe vertraulich zunickte.

Eine eigene Empfindung des Unbehagens erfaßte den jungen Mann beim Anblick des mindestens zweideutigen Menschen. Woher wußte der Kerl, was er dachte? Ihm lag nicht das Geringste daran, sich mit dem Burschen in ein näheres Gespräch einzulassen, daher sagte er finster:

»Bleib Du in Deinem Glied, Muchacho, und antworte, wenn Du gefragt wirst.« Ohne sich dann weiter nach Viruta umzusehen, gab er seinem Thier die Sporen und sprengte weiter nach vorn, wo Villegas eben mit noch drei anderen Officieren ein Quartett angestimmt hatte, das den langweiligen Weg durch Musik kürzen sollte.

Ueber Viruta's Gesicht zuckte ein häßliches Lächeln, als sich sein Vorgesetzter so stolz und hochmüthig von ihm abwandte. Dann lachte er laut und spöttisch vor sich hin und murmelte dabei:

»Als kleiner Junge fing ich Vögel, band ihnen einen langen Faden an das eine Bein und ließ sie los – hei! wie lustig sie fortflogen und meinten, sie wären frei und ledig und Viruta hätte ihnen nichts zu befehlen – aber nur so lang der Faden war – nachher gab's plötzlich einen Ruck, und unten lagen sie und zappelten und flatterten. Hei! wie lustig mein junger Officier dahinfliegt und auf den Viruta hinabsieht; aber er hat den Faden am Bein, und wenn's einen Ruck giebt, nun, mein Bürschchen, ich will Dich wenigstens vorher heut Abend wissen lassen, daß ich Dich am Faden halte. Vielleicht bist Du vernünftiger wie die kleinen Vögel.« Mit den Worten seinem Thier die Hacken einstoßend, trabte er lustig vorwärts.

Die »Armee« rückte indessen, wenn auch nicht gerade rasch, doch ziemlich ununterbrochen vorwärts, bis zu der Stelle, wo sie das flache Land verließ und einen Bergstrom kreuzen mußte. Hier begannen die Hügel und hier sollte das Lager aufgeschlagen werden, denn es gab da noch Weide für die Thiere, und an einer Stelle, wo sich Wasser und Holz in genügender Masse fand, um zu campiren, wurde Halt geblasen.

Einen besseren Abend für eine Beiwacht hätte man sich auch nicht wünschen können. Die Nacht war sternenklar und kühl, die Luft strich gerade scharf genug von den Bergen nieder, um die sonst lästigen Insecten abzuhalten, und mit noch frischen, ungeschwächten Kräften war das kleine Heer gerade in der Stimmung, sich des günstigen Augenblicks zu freuen und ihn zu genießen.

Kaum waren die Feuer angezündet und die verschiedenen Mahlzeiten »abgekocht« – was sich unter den Landeskindern außerordentlich vereinfachte, da die große Mehrzahl von gerösteten unreifen Bananen lebt – so befahl Franco den verschiedenen Musikcorps, abwechselnd zu spielen, und wie die Nacht erst voll hereinbrach, hätte man sich kaum ein romantischeres Bild denken können.

Die ganze Ebene, auf welcher aber schon überall Gruppen von dichten und ziemlich hohen Bäumen standen, war mit Lagerfeuern übersät, neben denen man aller Orten und Enden zusammengestellte Haufen von Lanzen und Bajonettflinten erkennen konnte. Von den Feuern grell beleuchtete, oft höchst malerische Gestalten lachten und sprangen dabei und tanzten oder lagen zerstreut mit dem Kopfe auf einem Sattel oder Stein um die Feuer her. Hier und da kam auch wohl ein kleiner Trupp von Marodeurs zurück, die draußen in der Ebene ein Rind mit dem Lasso gefangen hatten und es nun ihrer Compagnie zuführten, um es dort zu schlachten und augenblicklich zu vertheilen und zu verzehren.

Und wie gierig die braunen Burschen dann das gefällte Stück umlauerten und auf den Moment paßten, wo sie zuspringen und sich den Beutetheil sichern konnten, und wie Einer den Andern zu verhindern suchte, ein schon halb erhaschtes Stück in Sicherheit zu bringen! Und wie dann Alles auseinander stob und gleich darauf am Feuer das Fleisch brodelte, und flinke Hände nach den halbgaren Stücken griffen, um sie mit den Zähnen zu zerreißen und zu verschlingen!

Es war in der That nur ein halb thierisches Volk, das Franco hier zum Kampfe gegen seine künftigen Unterthanen führte. Wer konnte vorhersagen, wie die Bande hausen würde, wenn ihr Führer es einmal für zweckmäßig hielt, ihr den Zügel schießen zu lassen. Sie war in der Hand eines einzigen, vollkommen rücksichtslosen Menschen, eines Halbwilden selber, der roh und ungebildet nur seiner gemeinen Leidenschaft freien Lauf ließ, indem er sich zum Herrscher über ein Land aufwarf, das ihn zugleich fürchtete und verachtete. Wenn er nur erst in Quito selbst gebieten konnte, und daß er kein Mittel scheuen würde, um sein Ziel zu erreichen, war gewiß; aber Alles hing in diesem Augenblick von dem Glück der Waffen ab, von dem ersten Anprall der beiden feindlichen Schaaren.

Siegte Franco, dann ging der Schrecken vor ihm her, und ein Triumphzug war sein ganzer Marsch. Wurde er geschlagen – aber warum sollte er daran denken! Vor ihm lag das weite offene Land, lagen die fruchtbaren, reichen Ebenen Latacungos, Ambotas und Quitos, und mit den verwegenen Schaaren um sich her, mit Leuten in seiner Umgebung, die seine Ohren nur immer mit Siegen und Triumphen füllten, sehnte sich Franco ordentlich nach der ersten Schlacht – der ersten Gelegenheit, die ihm geboten würde, die »Rebellen« zu vernichten und sein Banner hoch in die Hauptstadt des Reichs zu tragen.

Jetzt lag der kleine Tyrann unter einem halb offenen Zelte, die Uniform aufgeknöpft, das gelbe breite Gesicht glühend von dem genossenen Wein und wunderlich, fast unheimlich beleuchtet von der züngelnden Flamme, die von dem zu Füßen des Zeltes lodernden Feuer nach ihm hinüber ihr Licht verbreitete. Neben ihm, die Beine untergeschlagen, die Uniform ganz ausgezogen, das schwarze wollige Haar in einem wirren Busch emporstehend, saß sein treuer Gefährte und Busenfreund, der Major Barbadoes, mit einer Champagnerflasche in der rechten, einem gefüllten Glas in der linken Hand.

Der Mensch war früher Hausknecht in einem guajaquilenischen Hotel gewesen, er hatte geholfen, die Stiefel der dort einkehrenden Reisenden zu putzen – jetzt half er ein Reich erobern und beherrschen. Das Letztere schien ihm sogar leichter zu werden wie seine frühere Arbeit. Sein Gesicht strahlte wenigstens vor Behagen, die kleinen halb zugekniffenen Augen funkelten vor Lust und Selbstgefühl, und für die nicht immer feinen Scherze, die sich der General dabei mit ihm erlaubte, war er stets selber das dankbarste Publikum, denn er lachte oft darüber, daß seine ganze riesige Gestalt zitterte und bebte.

Einige hundert Schritte davon entfernt, unter einer kleinen Gruppe mächtiger Weidenbäume und unmittelbar am Ufer des vorbeischäumenden und sprudelnden Bergstromes, hatten sich einige Officiere ihren Lagerplatz ausgesucht, und campirten hier ohne Zelt, nur durch den Wipfel des sie überdachenden Baumes gegen den nicht unbedeutenden Nachtthau geschützt.

Es waren die drei Freunde de Castro, Villegas und Fortunato, die mit einem eigenen Diener und zwei Maulthieren für ihr Gepäck ihren Bedarf mit sich führten und ganz zufrieden schienen, getrennt von den Uebrigen ihre Bequemlichkeit suchen zu können.

Villegas hatte den Vorpostendienst und eben die ausgestellten Wachen besichtigt, die aber nur der Ordnung wegen ihre Patrouille gehen und die äußersten Lagerpunkte besetzt halten mußten, denn daß der Feind noch nicht in der Nähe sei, wußte man durch ausgesandte Reiter genau, und von den zerstreuten Pfahlwohnungen der Eingeborenen war sicherlich kein Angriff zu fürchten. Die Leute konnten hier so ruhig an ihren Feuern schlafen, als ob sie daheim in ihren Betten lägen.

Das Gespräch schien aber ziemlich einsilbig geführt zu werden. Fortunato, sonst der munterste und lebendigste von Allen, war heute schweigsam und nachdenkend und lag, den Kopf auf die Hand gestützt, und halb in seine Satteldecke gewickelt, gegen den Stamm des alten Baumes an. Villegas neckte ihn mit seiner düstern Stimmung, aber der junge Officier ging nicht auf den Scherz ein, und de Castro rief endlich:

»Lassen Sie ihn zufrieden, Don Emilio – Fortunato macht sein Testament für die nächste Schlacht, und darin soll man keinen Menschen stören.«

»Testament,« versetzte Fortunato mit dem Kopfe schüttelnd – »verwünscht wenig Ueberlegung sollte das mich kosten, wenn ich je darüber nachdenken wollte. Wer mich begräbt, mag mich auch beerben, – weitere Ansprüche würden doch unbefriedigt bleiben und nicht einmal ein Auge zu trocknen sein, das sich die Mühe nähme, um meinen Tod zu weinen. Nein, andere Dinge gingen mir im Kopf herum und zwar gerade eine Scene aus vergangener Zeit, als ich zum letzten Mal in Quito war. – Sonderbar – ob das vielleicht eine Vorbedeutung sein sollte?«

»Was, Kamerad?« frug Villegas, dadurch neugierig gemacht.

»Es ist eigentlich nichts,« sagte Fortunato, »und doch auch wieder etwas, das auf mein ganzes Leben einen wunderbaren Einfluß ausgeübt hat, indem ein Paar liebe, treue Mädchenaugen mich von mancher Thorheit zurückhielten und – sonderbarer Widerspruch – fast mit die Ursache sind, daß ich mich der Franco'schen Sache anschloß, um – mit als Sieger in Quito einzuziehen.«

»In der That?« lächelte de Castro – »und wie heißt Deine Schöne?«

»Ja, das ist eben der Teufel,« lachte Fortunato bitter vor sich hin, »daß ich nicht einmal ihren Vornamen erfahren habe. Es war vor drei Jahren, und von Ibarra zurückkehrend, blieb ich ein paar Tage in Quito, um mein Pferd rasten zu lassen und mir die Hauptstadt anzusehen. Am letzten Nachmittag machte ich auf einem geborgten Thier einen Spazierritt und traf zufällig am Abhange des Pichincha eine kleine lustige Cavalcade von jungen Herren und Damen aus der Stadt, denen ich mich, als Fremder, ohne Weiteres anschloß. Es wurde gelacht und geplaudert, und als wir die eine Schlucht verlassen wollten, um nach der Stadt zurückzukehren, zog der Eine der jungen Leute ein Pistol hervor, spannte es und rief: »Hier ist ein Echo!« Anstatt aber die scharf geladene Waffe in die Luft zu feuern, hielt er sie leichtsinnig und ohne den Kopf zu wenden seitab, wo ich mich – zufällig ein paar Schritt zurückgeblieben – befand. Die Mündung war dabei voll auf mich gerichtet, und ehe ich nur einen Warnungsruf ausstoßen konnte, wäre es vielleicht um mich geschehen gewesen, wenn nicht ein junges, bildschönes Kind, das an des Burschen Seite ritt, mit seltener Geistesgegenwart und einem Angstschrei das Pistol mit ihrer Reitgerte in die Höhe geschlagen hätte. In demselben Augenblick drückte der Señor ab und die Kugel pfiff mir dicht über den Schädel weg.«

»Alle Wetter! und der Señor?«

»Entschuldigte sich tausendmal, aber ich sah ihn gar nicht an, denn ich ritt natürlich gleich auf meine schöne Unbekannte zu, um ihr für die geleistete Hülfe zu danken, denn gar zu lieb und angstvoll und teilnehmend war ihr erschreckter Blick, den sie auf mich warf, als der Schuß fiel. Als sie aber sah, daß ich unverletzt geblieben war und auf sie zukam, da übergoß ihr herziges Antlitz Purpurröthe, und ihrem Thier die Peitsche gebend, sprengte sie, jedenfalls um sich dem Dank des Fremden zu entziehen, nach vorn.

Die übrige Gesellschaft schien auch von dem kleinen Intermezzo gar nichts bemerkt zu haben, und da der Weg hier offener wurde, setzten sie ihre Thiere ebenfalls in Galopp, so daß der Spazierritt zuletzt in einen ordentlichen Wettlauf ausartete. Aber wo blieb ich dabei mit meinem halb lahmen, stockbeinigen Miethpferd! Mit Sporn und Peitsche trieb ich es allerdings so rasch als irgend möglich vorwärts; wie ich aber endlich, dicht vor Quito oder eigentlich schon in der Vorstadt, die kleine Cavalcade wieder einholte, war mein schützender Engel wahrscheinlich in eine Seitenstraße verschwunden, und ich sah sie nie wieder.«

»Sehr romantisch,« lachte Villegas, »aber wenn das eine Vorbedeutung sein sollte, so kann es doch nur Gutes verkünden, wenn Sie ein solcher Engel beschützt hat.«

»Wer weiß!« seufzte Fortunato, »es kann auch mein Schutzgeist gewesen sein, der damals in eigener Person von mir Abschied nahm, denn seit der Zeit hab' ich kein Glück mehr gehabt. Alles ging verkehrt, was ich angriff, bis ich – zuletzt den dümmsten Streich meines Lebens machte und in Franco's Heer trat.«

»Ach was,« sagte de Castro, »jeder Mensch hat einmal eine Zeit, wo ihm Alles mißglückt, was er anfängt. Das Glücksrad dreht sich, es giebt Perioden, wo wir unten sind – aber da es sich eben dreht, kommen wir auch wieder hinauf – wenn wir nicht vor der Zeit abfallen. Doch jetzt, dächte ich, wird es Zeit zum Schlafen, Kameraden, denn wahrscheinlich werden wir morgen schon wieder vor Tag emporgejagt,« – und damit ordnete er sich seine Decke, um sich einzuwickeln.

»Du hast Recht, Amigo,« sagte Fortunato, indem er seinem Beispiel folgte, »der Böse hole überhaupt das Grübeln, denn wenn wir –« Rasch wandte er den Kopf, denn dicht neben sich hörte er etwas rascheln, und er schauderte leicht zusammen, als er das von der Flamme des Lagerfeuers hell beleuchtete, markirte, aber wahrlich nicht hübsche Gesicht Viruta's erkannte.

»Zum Henker, was soll's, Bursche?« fuhr er aber gleich darauf mürrisch empor, denn er ärgerte sich über sich selber, daß ihn die plötzliche Erscheinung des Menschen erschreckt haben konnte. »Was willst Du von mir – Caramba – was kriechst Du mir auf Schritt und Tritt nach? Weg mit Dir, Geselle, und wenn Du ein Anliegen hast, komm morgen; jetzt ist's Schlafenszeit.«

»Aber ich muß Euch jetzt sprechen, Señor,« sagte der Mann, ohne sich zurückschrecken zu lassen, »ich habe Euch etwas Wichtiges mitzutheilen.«

»Dienstsachen? Die gehen mich heut Abend nichts mehr an,« lautete die barsche Antwort. »Dort ist Señor Villegas; an den wende Dich.«

»Keine Dienstsachen,« beharrte der Mulatte, »nur eine Privatangelegenheit.«

»Und was hätt' ich mit Dir in Privatangelegenheiten zu verkehren?«

»Nur zwei Minuten, Señor, möcht' es nicht gern vor den anderen Herren Officieren erzählen. Sie werden's nicht bereuen; es ist eine wichtige Angelegenheit und betrifft nicht allein Sie, sondern auch ein junges Mädchen,« setzte er flüsternd hinzu, »das jetzt im Busch ihre Augen roth weint.«

Fortunato sah noch einen Augenblick still und regungslos vor sich nieder. – »Ein junges Mädchen?« – Der Bursche konnte nur Jacinta damit meinen – »Und was ist mit der?« Viruta sagte nichts weiter; er wartete wahrscheinlich den Eindruck ab, den seine Worte auf den Hauptmann machen würden, und seine Berechnung schien dabei ganz richtig, denn während die beiden anderen Officiere auf die Unterhaltung gar nicht achteten und noch beschäftigt waren, ihre eigene Lager- und Schlafstelle für die Nacht in Ordnung zu bringen, stand Fortunato endlich langsam auf, und seine Decke zurückwerfend, schritt er, von Viruta begleitet, eine kurze Strecke den Fluß hinauf. Von hier aus konnte Niemand ihre Unterhaltung behorchen, schon das Rauschen des Stromes übertäubte jeden Laut.

Hier blieb der junge Officier stehen, und sich scharf gegen seinen Begleiter umwendend, sagte er:

»Nun, was ist's, Señor? Du hast jetzt Deinen Willen.«

»Nur eine Kleinigkeit, Señor,« sagte dieser in demüthiger Stellung – »ein Kamerad von mir – Juanito, wie wir ihn immer nennen, weil er so klein ist – aber sonst ein ganz guter Kerl, hat eins von den Dingern sich zu verschaffen gewußt, das die Ingleses in's Land gebracht – kleine Pistolen, die fünf-, sechsmal schießen, ohne daß man sie erst jedesmal wieder zu laden braucht – und will das Ding um zwei Unzen verkaufen.«

»Und deshalb – Picaro – hast Du mich vom Lager gerufen?« rief Fortunato, den Mulatten zornig anblickend. Dieser aber, ohne sich dadurch im Mindesten stören zu lassen, fuhr in eben so unterwürfigem Tone fort:

»Er sagt zwar, er hätte eben so viel in Bodegas dafür gegeben, und noch dazu in gutem blanken Golde bezahlt, aber er lügt, der Schuft, denn zwei Unzen sind noch nie zusammen in dessen Tasche gewesen. Gestohlen wird er's haben – wo? weiß die heilige Jungfrau. Das macht's aber nicht billiger, seinen Preis hält er, und da wollt ich Eure Gnaden bitten, mir die kleine Summe vorzustrecken. Wenn wir mit den Quitenern, die Gott verdammen wolle, zusammentreffen, ist solch' eine Waffe ganz besonders nützlich, und ich hab' einmal mein Herz daran gesetzt.«

»Und Du hast die Unverschämtheit,« wollte Fortunato aufbrausen, der Mulatte hob aber warnend den Finger und sagte:

»Bst – eine Liebe ist der andern werth – ich habe ein vortreffliches Gedächtniß, Señor, und kann mich noch ganz genau auf Dinge erinnern, die vor noch nicht einmal vierzehn Tagen bei Bodegas vorgegangen sind und für Seine Excellenz von dem größten Interesse sein würden. Gold verwischt das aber, sonderbarer Weise, jedesmal aus meinem Hirn – und genau genommen, was kümmert's auch mich, ob die Alligatoren an jenem Morgen einen quitenischen Officier zu fressen bekommen haben oder nicht – das arme Ding, das Mädchen, hätte sich doch sonst zu Tode gegrämt.«

Fortunato sah den Burschen scharf und forschend an, ohne ihn auch nur mit einer einzigen Silbe zu unterbrechen. Bis dahin hatte ihn das Unbestimmte einer vermutheten Gefahr beruhigt – jetzt trat der Gesell ohne Maske vor, und er war nun fest entschlossen, auch das Letzte, was er wußte, zu erfahren. Wenn Viruta dabei erwartet hatte, den jungen Officier zu überraschen und zu erschrecken, so täuschte er sich vollkommen, denn Fortunato verrieth durch keine Miene, was in ihm vorging. Sein Gesicht war vielleicht um einen Schatten bleicher geworden, aber das verbarg glücklicher Weise das ungewisse Mondlicht, und den Mulatten mit verächtlichem Lächeln von Kopf bis zu den Füßen betrachtend, erwiderte er finster:

»Bist Du mondsüchtig, mein Bursche, daß Du hier in der Dunkelheit herumkriechst und mich vom Lagerfeuer rufst, um mir solchen Unsinn vorzufaseln? Quitenischer Officier, Alligatoren, Mädchen – Du mußt verrückt sein. Untersteh Dich noch einmal und komm mir auf diese Weise, so sei versichert, daß ich Dir mit meinem Pistolenkolben den Schädel einschlage – marsch zu Deinem Lager!« Und damit drehte er sich von dem Mulatten ab.

»Señor, thut nicht so streng,« fuhr aber dieser fort, ohne sich einschüchtern zu lassen – »Viruta meint es gut mit Euch, aber – ich brauche Geld, und da ich nichts auf der Welt weiter zu verkaufen habe wie das Geheimniß, so solltet Ihr mir eigentlich noch dankbar sein, daß ich es Euch zuerst angeboten. Ein Anderer hätte mir vielleicht einen höhern Preis dafür gezahlt.«

»Und was für ein Geheimniß hast Du zu verkaufen?« sagte der Officier, der ihm schon halb den Rücken zudrehte und nur den Kopf noch über die Schulter nach ihm zurückwandte.

»Wenn Ihr's denn mit klaren Worten hören wollt,« brummte der Mulatte, »so kann mir's auch recht sein. Wir kommen dann desto rascher zu einem Verständniß. Jener quitenische Officier ist nicht erschossen worden. Ihr habt ihm durch- und fortgeholfen. – Ueber Tag war er auf der Balsa versteckt – Abends ist er nach Bodegas hineingelaufen und hat den General und die Mamsell fast zum Tode erschreckt, weil sie meinten, sie sähen einen Geist – in der Nacht ist er dann fort – auf Eurem eigenen Pferd, Señor, auf dem Fuchs mit dem weißen linken Hinterbein. So – das ist mein Geheimniß, und nun will ich es Euch überlassen zu überlegen, wer mehr dafür bezahlen kann oder mag – der Hauptmann Fortunato oder der General Franco, dem es doch wahrscheinlich nicht ganz einerlei ist, ob Jemand, den er zum Tode verurtheilt hat, jetzt frei und gesund bei den Quitenern umherläuft und ihnen erzählt, wie es bei uns zugeht.«

Fortunato hatte ihm ruhig zugehört und dabei auf eine Möglichkeit gedacht, diese Gefahr von sich abzuwenden. Aber er sah keinen andern Ausweg, als ihr eben trotzig die Stirn zu bieten. So jung er war, so wußte er doch, daß ein solches Geheimniß von einem solchen Menschen nicht zu kaufen ist. – Was man auch thun mag, ihn zu befriedigen, ihm bleibt es immer als Waffe in der Hand – ja, je mehr er dafür erhält, desto gieriger wird er, und die Katastrophe kann hinausgeschoben, nie aber im Leben verhindert werden. Einmal bricht sie doch herein.

»Und so denkst Du wirklich,« sagte er endlich spöttisch, »daß Dir irgend Jemand, am Ende wohl gar Seine Excellenz, das Märchen glauben soll?«

»Das Märchen?« rief der Mulatte tückisch.

»Oder ist der Quitener etwa im Geheimen erschossen worden, und nicht auf offenem, freiem Felde, in Gegenwart von Tausenden? Geh mir vom Leibe, Schuft, und unterstehst Du Dich noch einmal, mir ein ähnliches freches Anliegen vorzutragen, so gehe ich selber zu Seiner Excellenz und fordere Deine Bestrafung.«

»So wollt Ihr also wirklich –« begann Viruta von Neuem. Fortunato aber riß seinen Degen halb aus der Scheide.

»Beim ewigen Gott, wenn Du den Mund zu einer zweiten Lüge, nur zu einem Worte aufthust, Canaille,« rief er. »so vergesse ich mich so weit, Dich mit eigener Hand zu züchtigen.« – Darauf aber mochte der Mulatte doch nicht warten; er sah, daß es dem jungen Manne Ernst war, und scheu zurückweichend verschwand er zwischen einer Gruppe von Lagerfeuern, die sich auf dem Rücken des Uferlandes hinzog.

Fortunato aber schritt mit untergeschlagenen Armen und finster zusammengezogenen Brauen zu seinem Lager zurück und warf sich dort wieder schweigend auf den kaum verlassenen Platz. Er wollte erst noch mit sich zu Rathe gehen, ob er den Freunden das eben Erlebte mittheilen solle oder nicht.

Villegas hatte seine Entfernung gar nicht beachtet, de Castro aber war es nicht entgangen, daß etwas Ernstes vorgefallen sein mußte.

»Was wollte der Bursch, José? – War das nicht das nämliche unheimliche Gesicht, das damals bei der Exekution mit die Wache neben dem Gefangenen hatte?«

»Allerdings, de Castro,« sagte Fortunato, »und was in mir schon die ganze Zeit als unbestimmter Verdacht gelegen, ist jetzt zur Gewißheit geworden. Der Schuft weiß die ganze Geschichte und – will sie ausbeuten.«

»Alle Teufel,« rief Villegas, von seinem Lager erschreckt auffahrend. »Da haben wir's, und jetzt sitzen wir mitten drin.«

»Beruhigt Euch,« erwiderte Fortunato, »er scheint keine Ahnung davon zu haben, daß irgend ein Anderer dabei betheiligt war, wie ich selber.«

»Und was willst Du thun?« frug de Castro nach einer Weile.

»Nichts,« sagte Fortunato gleichgültig, indem er seinen Degen abschnallte, neben sich legte und die Decke über sich zog. »Er hat keine Beweise, und ich habe ihn zum Teufel gejagt – wohin er gehört.«

»Ob ich's mir nicht gedacht habe,« seufzte Villegas vor sich hin. – »Beweise! Hier, wo ein Argwohn dafür ausreicht. Was ging uns auch der fremde Mensch an, daß wir die Finger in den heißen Brei hineinstecken mußten. Wenn der General die Geschichte erfährt, mag ich das Unheil gar nicht erleben, das er anrichtet. Wir weißen Officiere sind ihm überhaupt ein Dorn im Auge, weil wir nicht die richtige Couleur für ihn haben. – Die kleine gelbe Bestie!«

»Weil er fühlt, daß wir uns für besser halten, als er ist,« lachte de Castro trotzig.

»Das kommt auf Eins heraus,« fuhr Villegas ziemlich kleinmüthig fort. »Er haßt uns, so viel ist sicher, und ein solcher Griff an einen von uns wäre ihm nur erwünscht und machte ihn bei dem farbigen Soldatentroß nur noch populärer.«

»Bah,« sagte Fortunato, indem er sich auf die Seite legte – »an der Sache ist vor der Hand weiter nichts zu thun – wir müssen's abwarten. – Gute Nacht, Kameraden!« Dann schloß er die Augen, und wenn er nicht schlief, so stellte er sich wenigstens so.



 << zurück weiter >>