Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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10.

In Guajaquil.

Acht Tage mochten nach den vorbeschriebenen Scenen verflossen sein, und Franco lag noch immer in Bodegas, einer fetten Spinne nicht unähnlich, die in ihrem Netze zusammengerollt auf Beute wartet. Seinen Officieren war dies Zögern freilich unbegreiflich, und sie erklärten es nur damit, daß der kleine Mulatte von den Reizen der verführerischen Celita so gefesselt sei, daß er sich nicht losreißen könne und seine eigene Sicherheit selbst dabei auf's Spiel setze. Franco dagegen behauptete, er habe einen zuverlässigen Freund im andern Lager, der ihm schon Nachricht geben würde, wenn es Zeit sei, und erwartete dabei von Tag zu Tag seine nie ankommenden Spione.

Da traf ein Deserteur von den quitenischen Truppen in Bodegas ein und brachte die Kunde mit, daß sich die Quitener allerdings bis Guaranda zurückgezogen hätten und selbst diesen Platz nur schwach besetzt hielten, Flores aber auch, nach sicheren Berichten aus Quito, von dort aufgebrochen sei und in Eilmärschen gegen Latacungo vorrücke.

Jetzt durfte er nicht länger hier säumen, denn wenn sich der Feind auf den Höhen hinter Guaranda, wo schon die Hänge des Chimborazo beginnen, festsetzte, so nahm er damit eine Stellung ein, aus der ihn die ungeordneten Banden, die er führte, kaum wieder so leicht hinausgeworfen hätten. Aber noch einmal mußte Proviant und Futter für die Thiere herbeigeschafft werden, was die Hacienderos diesmal nicht gutwillig hergeben wollten, denn damals, als ihnen der Doctor ihre Bodenerzeugnisse abschwatzte, hatten sie für das erwartete baare Silber nur baares, frischgedrucktes Papiergeld erhalten, das kein Mensch in der Umgegend nehmen wollte. Jetzt machte Franco jedoch keine Umstände mehr mit den Leuten, unter denen sich der Doctor nicht wieder blicken ließ. Seine Soldaten wurden zum Fouragiren ausgeschickt, mit der Ordre, was sie nicht gutwillig bekämen, zu nehmen, und dazu paßte das Gesindel ganz ausgezeichnet.

Gerade in dieser Zeit aber beunruhigte ihn eine Nachricht, die ihm der Polizeidirector Bustillos aus Guajaquil nachsandte, daß man dort nämlich der Stimmung gar nicht traue und eine Gegenrevolution befürchte.

Durfte er jetzt, mit einem solchen Krater im Rücken, daran denken, in's innere Land vorzurücken und Alles auf eine Schlacht zu wagen? Verlor er die, dann war ihm selbst der Rückzug abgeschnitten. Aber er konnte eben nicht warten, und Mariano wurde deshalb augenblicklich nach Guajaquil zurückgeschickt, um wo möglich der Wurzel der Verschwörung auf die Spur zu kommen. Die dort ankernden peruanischen Kriegsschiffe bekamen zu gleicher Zeit die Weisung, im Fall eine ernstliche Empörung ausbrechen sollte, nachsichtslos auf die Stadt zu feuern, und da Guajaquil eigentlich nur aus zwei längs dem Wasser hinlaufenden Hauptstraßen bestand, wäre ein solches Feuer auf nur wenige hundert Schritt und gegen diese Holzgebäude jedenfalls von furchtbarster Wirkung gewesen.

Doctor Ruibarbo, der gegenwärtig war, als diese Instructionen gegeben wurden, erschrak nicht wenig. Das der Wittwe Entonza gehörende Haus – nächstens das seinige – lag unmittelbar den Dampfern gegenüber, als eins der hervorragendsten und trefflichsten Ziele; eine von ihm vorgebrachte Bitte gegen den General, wenigstens die Häuser der loyalen Unterthanen zu schonen, wurde aber von dem kleinen, schlauen Mulatten nur mit einem ausweichenden Achselzucken beantwortet.

»Lieber Doctor,« sagte er, »wenn einmal ein solches Bombardement – was Gott verhüten wolle – nothwendig wird, dann habe ich keine loyalen Unterthanen – keine Freunde mehr in Guajaquil, denn hätte ich deren gehabt, so würden sie vorher Alles gethan haben, um die Meuterer zu entlarven und unschädlich zu machen. Da sie das unterließen, scheint es mir nicht mehr wie recht und billig, daß sie auch die Folgen mit den Andern davon tragen.«

Eine Stunde später hatte der Doctor um Urlaub gebeten und war auf dem Wege nach der Hafenstadt.


Ein rühriges Treiben herrschte in dem von dem Usurpator besetzten, von den feindlichen Kanonen bedrohten Guajaquil. Wie geschäftig glitten die Boote herüber und hinüber, und das müßige Volk, was alle diese südlichen Städte füllte, schlenderte unter den Colonnaden der Straße umher, blieb vor den aufgeputzten Kaufläden stehen und feilschte und lachte und plauderte. Nichts in der Welt verrieth die Kriegsgefahr, als kleine Trupps schmutziger Soldaten, die in einzelnen Patrouillen dann und wann durch die Straßen zogen. – Aber Niemand achtete auf sie, man war sie ja schon so gewohnt worden, und wenn sich die Burschen auch hier und da frech und übermüthig benahmen, so fügte man sich eben in das Unvermeidliche und ließ sie gewähren. Franco war einmal Herr, und man konnte nicht daran denken, Gewalt gegen Gewalt zu setzen.

So wenigstens schien äußerlich die Stimmung des Volkes, im Innern aber gährte und kochte es nichtsdestoweniger, und der bessere Theil der Bevölkerung fühlte nicht allein mit Empörung den Druck des verhaßten Mulatten, sondern fürchtete weit mehr noch seine ferneren Triumphe, die dann sein Regiment in Ecuador wenigstens für lange hin befestigen mußten, – zum vollständigen Ruin des ausgesogenen Landes!

Die gebildete Klasse war mit wenigen Ausnahmen – Stellenjäger, die einen fetten Posten unter der neuen Regierung erbeutet hatten oder zu erbeuten hofften – auf Seiten des quitenischen Gouvernements, und hätten die peruanischen Kriegsschiffe nicht im Strom vor Anker gelegen und mit ihrer kanonengespickten Flanke die vollkommen offene Fronte Guajaquils bedroht, vielleicht würden es die sonst so friedliebenden Ecuadorianer doch gewagt haben, den Franco'schen Behörden offenen Widerstand zu leisten. Bei einem Straßenkampf in so unmittelbarer Nähe hätten die Schiffskanonen aber doch eine zu entscheidende Rolle gespielt, und es blieb ihnen daher nur das Eine übrig: der Gewalt die List entgegen zu setzen.

Der Plan schien nicht schlecht ausgedacht. Der Polizeidirector Señor Bustillos war der verhaßteste, aber auch gefürchtetste Mann in der Stadt und dem Franco'schen System unbedingt ergeben, denn er verdankte ihm Alles und wußte recht gut, daß er mit Franco's Sturz auch in sein voriges Nichts zurücksank. Seine ganze Existenz stand dabei in Frage. So lange dieser Mann also noch einen Befehl geben konnte, so lange er noch die geringste Macht behielt, war für die Verschwörer nichts zu hoffen. Daher mußte er fallen und mit seiner Gefangennahme oder seinem Tod – das blieb sich gleich – jeder wichtige Punkt in der Stadt zu gleicher Zeit besetzt und der Behörden sich versichert werden. Geschah das Alles in der Nacht, so durften die peruanischen Dampfer – wirklich den Fall gesetzt, daß sie in Zeiten Nachricht davon bekamen – nicht wagen, auf die Stadt zu feuern, da sie nicht wissen konnten, ob sie Freund oder Feind mit ihren Kugeln träfen. Fand aber der anbrechende Morgen die »Vaterlandsfreunde« im Besitz, dann war es ein fertiges Ereigniß, gegen das die Schiffe den Kampf auf eigene Rechnung hin nicht aufnehmen konnten, denn nur vom Polizeidirector hatten sie, Franco's Weisung nach, ihre Ordre zu erhalten.

Die Ausführung eines so kecken, aber wohlüberdachten Planes konnte indessen nur dann gelingen, wenn Franco schon dem quitenischen Heere gegenüber stand und nicht mehr im Stande war, zurück und auf Guajaquil zu marschiren, ohne den Feind auf den Hacken zu haben. – Jetzt wäre es Wahnsinn gewesen, und ein früherer, von jungen leichtsinnigen Leuten unternommener Plan war gescheitert, weil ihn die besten, aber kaltblütigen Kräfte nicht unterstützten. Man war sonach überein gekommen, keinen ernstlichen Versuch, Guajaquil zu befreien, zu wagen, bis die Kunde von dem Anmarsch der Quitener eintreffen würde. Alles Weitere sollte dann noch in einer letzten Versammlung beschlossen und der Schlag so rasch und unmittelbar darauf geführt werden, daß ein Verrath, also auch ein Mißlingen, unmöglich wurde.

Gerade in dieser Zeit traf Doctor Ruibarbo wieder in Guajaquil ein, und mit den Verhältnissen dort so genau bekannt, wie kaum ein Zweiter in der Republik, wußte er auch, wo er den Herd der Verschwörung suchen mußte. Seine Absicht war dabei, die näheren Umstände zu erfahren und, versprachen sie Erfolg, die Sache vielleicht selber in die Hand zu nehmen: hatte er doch keine Ahnung davon, daß das Ganze schon zum Ausbruch fix und fertig sei.

Der Erste, den Ruibarbo aufsuchte, war Juan Ibarra, ein Quitener mit Leib und Seele, den Franco schon einmal hatte gefangen setzen und zum Tode verurtheilen lassen, was aber eine solche Entrüstung in der Stadt hervorrief und eine so gefahrdrohende Wendung zu nehmen schien, daß Franco – überhaupt feige, wo ihm ein ernster Widerstand geboten wurde – den Verurtheilten begnadigte und dann frei ließ.

»Ah, Don Manuel,« rief Ibarra, der eben mit Briefschreiben beschäftigt war, dem Eintretenden entgegen, »wo in aller Welt haben Sie die Zeit her gesteckt – in Quito?«

»Mein lieber Señor Ibarra, Sie glauben nicht, wie sehr ich mich freue, Sie hier so frisch und wohl zu treffen,« entgegnete der Doctor angelegentlich, indem er auf ihn zu ging und seine Hand schüttelte – »und wo ich gesteckt habe, fragen Sie? – Wissen Sie, wen Sie in mir vor sich sehen?«

»Nun?« sagte Ibarra, gespannt aufblickend.

»Einen Deserteur,« lachte der Doctor, indem er sich dabei vorsichtig im Zimmer umsah – »der aus dem Franco'schen Lager ausgerissen ist und seinem Gott dankt, wieder unter Menschen zu sein. Herr meines Lebens, dieser gelbe Tyrann ist ein Unthier, ein Teufel, ein wahres Scheusal.«

»Und Sie waren die ganze Zeit in Bodegas?« rief Ibarra erstaunt.

»Gewiß war ich das,« bestätigte der Doctor, »und zwar mehr als Gefangener wie als freier Mann. Franco ernannte mich – mit oder ohne Zustimmung, was liegt ihm daran – zu seinem Leibarzt und hatte jetzt nicht übel Lust, mich mit hinauf in die Berge zu schleppen, als ich es doch vorzog, mich seiner Huld und Gnade auf einige Zeit zu entziehen. Ich nahm heimlich ein Boot und vier Ruderer, und hoffe vor der Hand nichts weiter von ihm zu hören, denn hoffentlich wagt er es nicht, mich gewaltsam einzufangen.«

»In die Berge!« rief Ibarra rasch – »so ist er doch gegen Quito vorgerückt?«

»Um General Flores einen Theil seines Weges zu ersparen – aus reiner Gefälligkeit,« lächelte der Doctor.

»Flores ist im Anmarsch?« rief Ibarra, von dem Stuhl emporspringend, auf den er sich eben neben den Doctor niedergelassen – »wissen Sie das gewiß?«

»Ja, aber was erstaunen Sie, mein bester Ibarra?« sagte Ruibarbo in dem Augenblick wirklich verlegen, denn er hatte keine Ahnung davon gehabt, daß Flores' Bewegung in Guajaquil noch ein Geheimniß sein könne – »wir – wir erhielten wenigstens die Nachricht.«

»Und Franco ist in's Innere gerückt?«

»Er ist entweder heute Morgen oder doch spätestens heut Abend fort, denn ich habe vierundzwanzig Stunden gebraucht, um hierher zu kommen.«

Señor Ibarra hatte den Doctor, während er sprach, fest und starr angesehen; jetzt legte er die Arme auf den Rücken und lief eine Weile im Zimmer auf und ab, den Doctor seinen eigenen Gedanken überlassend, die nichts weniger als angenehm waren.

Doctor Ruibarbo nämlich, wie still und freundlich lächelnd er äußerlich in seinem Stuhl da saß, so ärgerlich, ja empört war er im Innern über seine Ungeschicklichkeit, mit der er voreilig etwas verrathen hatte, das viel besser noch eine Zeit lang ungewußt geblieben wäre.

»Esel,« sagte er zu sich selber, ohne daß selbst der freundliche Zug um seine Lippen auch nur das Geringste davon erfahren hätte – »Holzkopf, der Du bist, vier Ruderer zu bezahlen, um vor allen Anderen eine Nachricht hierher zu bringen, die Dir selber fünfzigtausend Dollars kosten kann!«

»Doctor!« sagte da Ibarra plötzlich, vor dem zu ihm Aufsehenden stehen bleibend. »Ihre Nachricht ist Gold werth, aber – nur eine Bitte habe ich an Sie – erzählen Sie keinem Menschen, was Sie mir eben anvertrauten. Versprechen Sie mir das?«

»Aber, mein lieber Ibarra, mit dem größten Vergnügen, wenn Ihnen irgend ein Gefallen damit geschieht –«

»Gut – wissen Sie Zegado's Wohnung?«

»Don Basilio's?«

»Ja –«

»Gewiß – werde ich Basilio's Wohnung nicht kennen – meines alten Freundes.«

»Desto besser. – Jetzt haben wir etwa vier Uhr – es fehlen noch sieben Minuten daran – seien Sie mit dem Schlag halb acht Uhr dort – aber beileibe nicht früher.«

»Zu welchem Zweck, wenn ich fragen darf?«

»Können Sie es nicht errathen?« fragte Ibarra, dessen sich eine eigene fieberhafte Aufregung bemächtigt hatte – »sind Sie nicht selber Quitener? – Leben Ihre Eltern nicht in Quito – hängen nicht alle Ihre Interessen mit der Vaterstadt zusammen, und wollen Sie die Fesseln länger tragen, die dieser nichtswürdige Sambo die Frechheit hat, uns aufzulegen, weil wir geduldig ihm den Nacken beugen?«

»Aber bester Freund, Sie sind außer sich. Entschuldigen Sie die Bemerkung, und sagen Sie mir nur, wie wir die Dinge ändern können. Ich wäre ja der Erste, der die Gelegenheit beim Schopf ergriffe.«

»Die soll Ihnen heut Abend geboten werden,« betheuerte Ibarra rasch. »Sie sind überzeugt, daß Flores von Quito ausgerückt ist, um dem Usurpator zu begegnen?«

»Ueberzeugt, Amigo,« sagte der Doctor ausweichend, »so weit man von einem Gerücht überzeugt sein kann, das vielleicht in der nächsten Stunde widerlegt wird.«

»Aber Sie wissen doch bestimmt, daß Franco in das innere Land vorgerückt ist?«

Der Doctor zögerte einen Moment mit der Bestätigung, aber ein Ableugnen konnte ihm zuletzt gefährlich werden, denn das war eine Thatsache, deren Kunde auch von anderwärts her im raschen Anzuge sein mußte.

»Das – allerdings,« sagte er endlich.

»Wohlan,« rief Ibarra, »dann ist Guajaquil auch morgen mit Sonnenaufgang unser.«

»Guajaquil?« fuhr der Doctor bestürzt empor. »Morgen mit Sonnenaufgang? Bester Freund, haben Sie die peruanischen Dampfer vergessen? Eine einzige Salve –«

»Das und Alles ist bedacht, Amigo,« unterbrach ihn Ibarra. »Wir haben von jetzt an weiter nichts zu thun, als zu handeln. Sie kommen also doch? Ich rechne fest darauf.«

»Gewiß komme ich,« sagte der Doctor, »und ich glaube, Sie wissen, daß ich unserer Sache treu ergeben bin.«

»Würde ich Sie sonst einladen, unserer Versammlung beizuwohnen?«

»Ich danke Ihnen dafür; aber wenn das ruhige Wort eines Mannes, der über den Parteien steht –«

»Bah, Doctor, reden Sie keinen Unsinn,« spottete Ibarra, »über den Parteien! – Wer kann in einem Parteikampf über den Parteien stehen, außer Gott? Wir stecken mit Hals und Kragen mitten darin, und da wir Hals und Kragen nicht jenem nichtswürdigen Mulatten zur Verfügung stellen wollen, so wehren wir uns eben unserer Haut, so gut es geht. Jetzt thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie mich einen Augenblick allein, wir haben keine Minute Zeit zu vergeben, und ich muß noch eine Menge von Briefen schreiben.«

»Das läuft auf einen Streich hinaus, der am Ende mehr gefährlich als zweckmäßig ist –«

»Heute Abend, Amigo,« drängte Ibarra, »heute Abend, wenn Sie dann noch Einwände haben. Aber ich hoffe Ihnen dann auch den Beweis zu liefern, daß wir hier in Guajaquil die uns verstattete Frist nicht müßig vertändelt haben. Jetzt gilt es, daß wir Quitener zusammenhalten, und ich gebe Ihnen mein Wort, wir haben das ganze Land hinter uns.«

»Sie sind ein Hitzkopf,« bemerkte Don Manuel, in seiner Bestürzung nur um so freundlicher lächelnd. Aber die Aufforderung, sich zu entfernen, war so deutlich und ohne alle Umschweife gegeben, daß er ihr nicht länger den Gehorsam versagen konnte. »Also heute Abend.«

»Um halb acht Uhr, und seien Sie pünktlich,« wiederholte Ibarra, während der Doctor seinen Hut nahm. »Um zehn Uhr ist Zapfenstreich, dann ziehen sich die paar Soldaten, die noch in Guajaquil liegen, in ihre Kasernen zurück. Um elf Uhr muß Alles gethan sein.«

»Also auf baldiges Wiedersehen, lieber Freund,« lächelte der Doctor, indem er Ibarra's Hand nahm und herzlich drückte. Wenige Minuten darauf schritt er langsam die Straßen hinab und bog in die nächste Quergasse ein, um die dritte Cuadra zu passiren und dort, von dem Geschäftstheil der Stadt entfernt, nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, in jedem Begegnenden einen Bekannten zu finden, und angeredet und gefragt zu werden. Vor allen Dingen wollte er jetzt mit sich allein sein.

»Da haben wir's,« raunte Ruibarbo vor sich hin, als er dann in einer ziemlich menschenleeren Straße die schattige Seite suchte – »ob ich da nicht ganz genau zur rechten Zeit gekommen bin? Aber was ist zu machen? Diese Tollköpfe nehmen keine Vernunft an. – Ibarra ist der Schlimmste von ihnen und hat dabei eine Suade auf den Lippen, die Alles mit fortreißt, wo es gilt, einen verwegenen Streich auszuführen. Wenn ich nun« – er blieb, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, mitten auf der Straße stehen, setzte aber gleich darauf wieder kopfschüttelnd seinen Weg fort. – »Nein, es geht nicht,« murmelte er weiter – »wenn ich auch hinaus an den Dampfer führe und mit dem Commandirenden spräche, so machte ich die Sache am Ende noch schlimmer. Zehn gegen eins, daß der Mulatte dem Capitain besonderen Befehl gegeben hat, gerade mein Haus vor allen anderen zusammen zu schießen. Ich weiß, daß er mich wie Gift haßt, er wäre sonst nicht so ungemein artig und zuvorkommend gegen mich – –.«

Der Doctor war in einer verzweifelten Stimmung, und als er das Ende der Straße erreicht hatte, doch erst nur halb mit sich im Reinen – er mußte wieder umkehren und den Weg noch einmal zurückmachen. Aber er fürchtete, daß das auffallen könne, und trat deshalb in eine der zahlreichen kleinen Schenkstuben ein, die hier als Cafés sechsten und siebenten Ranges Agua ardiente und Früchte, von der Ananas bis zur Kartoffel, verkaufen und meist auch eine ziemlich trinkbare Chocolade schenken. Ein anständig gekleideter Mann fiel hier um so weniger auf, als sich die reichere Klasse überhaupt im Aeußeren durch nichts als einen extrafeinen Panamahut von dem übrigen Männerpublikum unterscheidet.

In dem engen Raum, der hinter dem Laden lag, fand der Doctor fast gar keine Gesellschaft. Es war keine von den Soldaten besuchte Schenke und in dieser Tageszeit, in welcher die meisten Leute Siesta hielten, sehr selten stark besetzt. Ruibarbo hatte das vorausgesehen. Er legte seinen kostbaren Panama neben sich auf die Bank, ließ sich eine Tasse Chocolade und ein paar Bananen geben, zog sein Taschentuch aus der Tasche und legte es auf den Tisch, um den Arm darauf zu stützen, und verlor sich bald wieder in sein dumpfes Brüten.

Er mochte etwa zehn Minuten gesessen haben, als ein paar englische Seeleute den Platz betraten und sich an dem Tisch neben ihm niederließen. Der Doctor sprach nur wenig Englisch, kaum genug, um sich nothdürftig verständlich zu machen, aber er verstand so ziemlich Alles, was darin geredet wurde.

Die Leute gehörten indeß zu keinem englischen Schiff, sondern zu dem größten da draußen im Fluß ankernden peruanischen Dampfer, dem »Bolivar«, denn die peruanische Regierung warb am allerliebsten fremde Matrosen, besonders Engländer und Amerikaner, für ihre Kriegsmarine. Die Leute bekamen aber in dieser ruhigen Zeit sehr häufig Urlaub und schlenderten dann in Guajaquil und der Umgegend umher. Es war also gar nichts Außergewöhnliches, sie in der Stadt zu sehen, wenn man sich auch eben nicht über ihre Anwesenheit freute. Der Doctor sah sie kaum, und das spanische »Buenos dias«, womit sie ihn begrüßten, erwiderte er mechanisch mit einem »Gracias, Señores»,« ohne nur die Augen zu ihnen zu erheben.

»Wetter noch einmal, Jack,« lachte da der Eine der Leute, die ebenfalls keine Notiz von dem »Espagnolen« nahmen – »das war eben noch knapp durchgebrannt; denn wenn der Mate gewußt hätte, daß wir noch langseit lagen, würd' er uns gar nicht fortgelassen haben.«

»Damn his eyes,« sagte der andere trotzig – »er ist überhaupt noch viel zu grün für One of war's men. – Was aber nur wieder im Wind ist, daß heute kein Mann auf Urlaub sollte und daß die Kessel geheizt bleiben! Hier sieht's doch wahrhaftig ruhig genug aus, und weg wollen wir auch nicht, denn mit den Kohlen, die jetzt noch an Bord sind, können wir kaum bis Payta hinauf.«

»Es muß 'was im Werke sein,« meinte der Andere, »denn wie ich noch an Deck war und mir vom Steward die leere Flasche geben ließ – brenn' seine Seele! – volle giebt er überdies nicht her – kam ein Bote oder Courier, wenn der Bursche auch ruppig genug aussah – von Bodegas herunter direkt an Bord gefahren, und gleich darauf wurde der Befehl gegeben, Munition heraufzuholen und keinen Mann mehr von Bord zu lassen. Mehr hört' ich natürlich nicht, denn da macht' ich, daß ich fortkam, und ich glaube, es war die höchste Zeit.«

»Ein Hauptspaß wär's allerdings,« plauderte der andere weiter, »wenn sie uns die Nacht hier selber mit bombardirten. Es war wenigstens vernünftig, daß wir unser Boot hoch oben festgemacht haben.«

»Ach was,« brummte der Vorige, »nur die erste Straßenreihe wird gepfeffert, denn durch die drei Cuadras schlagen die Kugeln nicht – die gehen nicht durch eine Häuserreihe hin. Den ersten Holzbuden da vorne werden sie aber vortrefflich mitspielen. Eigentlich hätten wir den Spaß mitmachen sollen. Jetzt reut mich's ordentlich, daß ich von Bord gegangen bin.«

»Oh, Jack,« warf der Andere ein – »vor Tagesanbruch geht die Geschichte doch nicht los, und wenn wir das merken, haben wir immer noch Zeit genug, an Bord zu fahren.«

Die beiden Leute hatten sich eine Flasche Porter und Jeder noch besonders einen Cognac geben lassen, den sie jetzt tranken, während sie sich davon unterhielten, wie sie den Abend am besten hinbrächten und der eine seinem Kameraden noch die Warnung gab, dem Hotel de France oder Hotel de Frenche, wie er es nannte, nicht zu nahe zu kommen, weil sich dort immer ein oder der andere von ihren Officieren herumtrieb, der sie dann abgefangen hätte. Sie beschlossen deshalb, bis zum völligen Dunkelwerden in diesem Viertel »beizuliegen« und dann an der Landung auf und ab zu kreuzen, wo sie hoffentlich noch »Gesellschaft« fänden. Dann standen sie auf, bezahlten ihre Zeche – der Eine mußte dolmetschen, denn der Andere verstand nur erst ein Paar Worte Spanisch – und verließen das Haus wieder, ohne den Doctor zu beachten.

Dieser hatte indessen, eifrig mit seiner Chocolade beschäftigt, kein Wort von ihrer Unterhaltung verloren, denn in dem, was er hörte, fand er nur die Bestätigung, daß Franco wirklich seine stricten Befehle herunter gesandt. Ebenso war jedenfalls durch den nämlichen Boten der Polizeidirector instruirt worden, und sobald der das Zeichen gab – bei Nacht eine Rakete, am Tag eine bestimmte Flagge – Franco hatte ihm das selber mitgetheilt, so begann, ohne weitere Warnung, das Bombardement, und daß die Häuser gar nicht zu fehlen waren, lag auf der Hand. Sie mußten in Zeit von einer halben Stunde in Ruinen verwandelt oder – das noch Schlimmere – in Brand geschossen sein.

Die Zeit flog rasch dahin. Als der Doctor nach seiner Uhr sah, erschrak er, denn er glaubte hier nur erst wenige Minuten gesessen zu haben, und schon war eine ganze Stunde verflossen, ohne daß er inzwischen zu einem Entschlusse gekommen wäre.

Es gab allerdings ein Mittel, und noch dazu ein ganz leichtes, die beabsichtigte Revolution heut Abend im Keime zu ersticken: wenn Ruibarbo sogleich zum Polizeidirector ging und ihm die Anzeige der Verschwörung machte. Dann aber war er bedingungslos in den Händen dieses Mannes, der allerdings im Augenblick mit allem Eifer dem General Franco diente, dessen Charakter aber auch nicht hinderte, daß er nicht schon morgen in das Flores'sche Lager überging. Ja, wer wußte überhaupt, ob das nicht schon im Stillen geschehen war, denn merkwürdigere Umschläge passirten alle Tage. In diesem Falle hätte sich der Doctor muthwillig dem Feinde verrathen, das durfte er nicht riskiren – seine Achtung unter seinen Landsleuten, seine Existenz stand dabei auf dem Spiel. Hier also mußte vorsichtig gehandelt werden, um es weder mit Franco zu verderben, wenn dieser seine Macht behauptete, noch mit Flores, wenn dieser den Gegner stürzte.

Als der Doctor, mit diesen Erwägungen beschäftigt, endlich das Haus verließ, brummte der Wirth ziemlich unzufrieden hinter ihm drein, daß nur die »vornehmen Herren« so knauserig wären, in einem Local bei einer einzigen Tasse Chocolade eine geschlagene Stunde zu sitzen und ihre eigenen Cigarren dabei zu rauchen. Was jedoch kümmerte ihn der Alte, rasch schritt er die Straße hinab und bog, von jetzt an unbekümmert darum, wer ihm begegne, in den belebteren Theil der Stadt ein, direct dem kleinen Hause zu, in dem er seine eigene Wohnung hatte.

Die Wirthin dort war schon gewohnt, ihn gehen und kommen zu sehen, ohne daß er je für gut befunden hätte, ihr zu sagen, wohin er gehe oder wo er gewesen sei. Bei ihr hieß es: der Doctor ist da oder der Doctor ist verreist, seine Miethe bezahlte er regelmäßig und ebenso sein Frühstück, jahrein, jahraus, ob er es verzehrte oder nicht.

In seinem Zimmer verriegelte er die Thür, setzte sich an seinen Arbeitstisch und schrieb mit verstellter Hand folgende Zeilen auf ein Blatt Papier:

»Heut Abend zehn Uhr Revolution, wenn nicht augenblicklich Mittel dagegen ergriffen werden. Noch ist es Zeit – verhaften Sie ohne Säumen Juan Ibarra und Basilo Zegado – – Ein Freund Franco's.«

Den Zettel legte er dann in seine Copirmaschine und nahm sorgfältig einen getreuen und scharfen Abdruck davon, dann faltete er das Original zusammen, petschirte es mit einem peruanischen halben Dollarstück, wobei er Sorge trug, daß sich der obere Theil der Figur – die Göttin der Freiheit – in der doppelt eingelegten Oblate deutlich abdrückte, und adressirte den kleinen Brief – ebenfalls mit verstellter Handschrift – an den Polizeidirector von Guajaquil.

Die Copie faltete er fein zusammen und legte sie in sein Taschenbuch, ohne vor der Hand eine bestimmte Verwendung dafür zu haben. Aber wer konnte wissen, wozu sie sich gebrauchen ließ, wenn Franco etwa Präsident geworden war! Der Doctor war ein viel zu schlauer Kopf, um sich eine Chance nach irgend welcher Richtung hin entgehen zu lassen.

Jetzt hatte er noch eine Schwierigkeit zu überwinden, das Papier nämlich sicher in die Hände des Polizeidirectors zu bringen, ohne daß dieser erfuhr, wer es gesandt habe. Seine eigene Persönlichkeit war in Guajaquil so bekannt, daß er nicht wagen durfte, einen gewöhnlichen Peon zu dem Dienst zu nehmen. Eben so wenig konnte er den Brief selber unten im Hause abgeben, denn er war verloren, wenn Ibarra eine Ahnung von seiner Verrätherei bekam. Er mußte also sehen, daß er irgend einen Fremden fand, den er als Boten benutzen konnte, und durch die Straße dem Polizeigebäude zuschlendernd, traf er auch bald auf einen Burschen, der, ein Bündel Zuckerrohr auf der Schulter, damit hausiren ging, denn die Ecuadorianer lieben es leidenschaftlich, das süße Rohr in kleine Stücke zu spalten und auszusaugen.

»Willst Du einen halben Dollar verdienen, mein Bursche?«

»Weshalb nicht?« lachte der Mann – »mit was?«

»Nur diesen Brief da drüben in dem Haus abgeben, wo die vielen Soldaten stehen.«

»Der Tausend!« sagte der Mann, durch den fast zu leichten Auftrag doch etwas mißtrauisch gemacht – »und sonst ist nichts dabei?«

»Gar nichts – Du darfst ihn unten im Haus an den ersten besten Soldaten geben und dann ruhig weiter gehen. Es wird Dich auch Niemand fragen.«

»Bueno,« nickte der Bursche vergnügt vor sich hin – »und das Geld?«

»Hier ist Dein halber Dollar und der Brief – ich warte dort in der Seitenstraße, bis Du mir Antwort bringst, daß Du ihn abgegeben hast.«

Der Eingeborene nickte schmunzelnd mit dem Kopf und schritt nach dem kaum fünfzig Schritt entfernten Polizeigebäude hinüber, um sich seines Auftrages zu entledigen. Der Doctor blieb stehen, bis er ihn in dem Haus verschwinden sah, dann aber bog er rasch in die nächste Straße ein. Er dachte gar nicht daran, seines Boten Rückkehr zu erwarten; der Brief war besorgt, und er selber hatte vor der Hand nichts zu thun, als sich aus dem Weg zu halten.



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