Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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26.

Castilla's Botschaft.

Fortunato's Verdacht war nicht ganz grundlos gewesen. Der Polizeibeamte hatte sich noch Nachts im Bett, nach seiner erfolglosen Expedition, die Sache mit dem Secretär des französischen Consulats überlegt, von dem es ihm sonderbar vorkam, daß er in einem Hotel wohnen sollte, während der französische Consul selber ein großes, geräumiges Haus mit allen nur denkbaren Bequemlichkeiten besaß.

Am nächsten Morgen um zehn Uhr, denn früher war der Herr nicht zu sprechen, begab er sich deshalb zu ihm und erfuhr hier zu seiner Bestürzung, daß von den Beamten des Consulats keiner außer dem Hause wohne.

Monsieur St. Clair aber, wie sich der Fremde im Hotel de France nannte, war nicht mehr zu finden, und der Wirth, dem selber daran lag, daß die Polizei nicht glauben solle, er beherberge verdächtige Personen oder stehe mit ihnen in Verbindung, ging vollständig auf Fortunato's Ausrede ein, indem er dem nachfragenden Beamten erklärte, der Herr habe nur eine Spazierfahrt den Fluß hinauf gemacht und werde jedenfalls morgen oder übermorgen wieder zurückkehren.

Indessen vergingen die nächsten Tage den Bewohnern von Guajaquil in Ungewißheit und Angst, denn mit der Unmasse von müßigen Soldaten in ihren Mauern sahen sie zu ihrem Schrecken, wie diese mit jedem Tag frecher und übermüthiger wurden und Franco ihnen entweder nicht wehren konnte oder wollte.

Keine Frau und kein Mädchen konnte sich mehr ungeneckt und unbeleidigt auf der Straße sehen lassen, und wenn die geachtetsten Bürger Klage darüber beim General führten, so zuckte er mit den Achseln und meinte: die armen Teufel hätten noch viele Strapazen vor sich, man solle ihnen nur ein paar Tage aus dem Wege gehen; morgen schon oder spätestens übermorgen kämen sie fort und könnten dann ihren Uebermuth an den Quitenern auslassen.

Einige zu eclatante Fälle, wie Einbruch und Mißhandlung von Frauen, mußte er freilich bestrafen, aber Niemand erfuhr wie – die Verbrecher wurden verhaftet – das war Alles, und man erzählte sich in der Stadt, daß man es ihnen im Gefängniß an nichts fehlen ließ, während der arme Zegado, auf einen bloßen Verdacht hin, noch immer in strengster Haft gehalten wurde.

Indessen schien aber auch Flores nicht müßig zu bleiben. Ausgesandte Spione hatten schon die Kunde gebracht, daß der unermüdliche General Mittel gefunden habe, gegen Guajaquil vorzurücken, und wenn er die Stadt auch nicht von der Wasserseite angreifen konnte, so schien es doch, als ob er sie vom Land aus einschließen und berennen wolle.

Das Terrain von Guajaquil kannte Franco aber ganz genau und fühlte sich gegen einen solchen verzweifelten Versuch ziemlich sicher.

Der untere Theil der Stadt war mit einem Bataillon, ja beinahe mit einer einfachen Patrouille uneinnehmbar zu machen, selbst angenommen, daß Flores wirklich hätte mit seinen Truppen den zwar kleinen, aber gefährlichen und von fast undurchdringlichen Sümpfen umgebenen Saladofluß überschreiten können. An der andern Seite war die Stadt aber durch vortrefflich angelegte und reichlich besetzte Schanzen so gedeckt, daß ein Heer wie das quitenische, das noch dazu keine Kanonen hatte, wohl seine Mannschaft hätte in's Feuer jagen können, aber nie im Stande gewesen wäre, einen erfolgreichen Sturm zu versuchen.

So, mit der See und der Zufuhr von dort in unmittelbarer Verbindung, und inmitten einer reichen Stadt, auf der Flußseite noch dazu durch die peruanischen Dampfer geschützt, konnte Franco in aller Ruhe die Ankunft einer günstigen Botschaft von Lima abwarten.

Mit Ungeduld erhoffte er noch immer den Dampfer vom Süden, der aber am nächsten Freitag fällig wurde und seine Zeit fast immer regelmäßig einhielt.

Es laufen auf dieser Linie schöne, bequem eingerichtete Dampfschiffe, die einer englischen Compagnie gehören und zu den verschiedenen Küstenstaaten, welche sie berühren, in gar keiner Abhängigkeit stehen. Sie haben aber mit ihnen Contracte wegen der Poststücke und der Passagierexpedition und sind dadurch wie auch durch ihr eigenes Interesse gezwungen, die bestimmten Termine ihres An- und Ablaufens genau einzuhalten.

Gewöhnlich bleiben sie auch zwölf Stunden, oft noch länger, in Guajaquil liegen, nur wenn sie sich, was ebenfalls manchmal geschieht, verspäten, brechen sie ihren Aufenthalt kurz ab, schicken Post und Passagiere an's Land, während schon wieder das Zeichen zur Abfahrt gegeben wird, und dampfen kaum eine Stunde später mit dem, was sie unterdessen an Bord bekommen, wieder den Strom hinab, in den Ocean hinein.

Der einzige wirklich thätige Mann in Guajaquil war zu dieser Zeit Doctor Ruibarbo, der die Gelegenheit vortrefflich benutzt und das Eisen geschmiedet hatte, so lange es noch warm war.

Gegen Señora Entonza hielt er es nämlich für vorteilhaft, kein Geheimniß aus der Rolle zu machen, die er wider die Verschwörer Zegado und Ibarra gespielt hatte, und während er ihr dadurch den deutlichsten Beweis gab, welches Interesse er an Franco's Wohl nehme – die Angst um sein zukünftiges Haus erwähnte er nicht – hatte er ihr geholfen, sich zu rächen, und das vergißt eine Südamerikanerin nie.

Kein Wunder also, daß mit des Doctors anderen schätzbaren Eigenschaften (denn er spielte sehr hübsch Guitarre, sang reizend und war als Doctor eine Standesperson) der Wittwe Herz nicht lange taub bleiben konnte, als er sie anflehte, den Tag seines Glückes zu beschleunigen, und so war denn der nächste Sonnabend zur Trauung festgesetzt.

Ruibarbo strich jetzt in einem schwarzen Frack und in einer sehr gehobenen Stimmung in der Stadt umher, um die verschiedenen Einladungen und noch eine Masse von Einkäufen zu besorgen. Credit hatte er ja überall, denn die Wittwe Entonza verfügte, außer über ihr Haus, wie man recht gut wußte, noch über ein Vermögen von mehr als hunderttausend ecuadorianischen Dollars, und der Doctor war jetzt ihr erklärter Bräutigam.

Natürlich hatte Franco die erste Einladung bekommen und eben so natürlich zugesagt, denn Celita sollte an dem Abend zum ersten Mal ein neues Kleid tragen, das er selber für sie von Lima verschrieben hatte und das mit dem letzten Dampfer eingetroffen war.

Eine schwere Sorge machte dem Doctor aber, so überselig er sich sonst auch fühlte, die eingegangene Verpflichtung, für Franco Geld zu schaffen. Es hätte ihm jedenfalls nicht an Vorwänden gefehlt, die Sache hinaus zu schieben, denn eine solche Anleihe ist nicht in drei Tagen gemacht, und jedes Actienunternehmen erfordert Zeit. Franco jedoch erklärte ihm, daß er das Geld haben müsse und Guajaquil mit seinen Truppen nicht eher verlassen könne, bis er diesen den rückständigen Sold ausgezahlt habe. Aus besonderer Rücksicht für Señora Entonza wolle er bis nach ihrer Hochzeit warten, erhalte er aber am Sonntag früh nicht die erste Anzahlung von fünfzigtausend Dollars, so sehe er sich genöthigt, der Stadt Einquartierung zu geben, und da diese nach der Größe der Häuser vertheilt würde, so möchte sich der Doctor nur darauf gefaßt machen, seine Flitterwochen mit einigen vierzig ecuadorianischen Kriegern unter einem Dache zu verleben.

Als dieser nun einwandte, daß er, im schlimmsten Fall, mit Vergnügen die Last tragen würde, um Sr. Excellenz eine Sorge abzunehmen, daß er aber sehr für die Bequemlichkeit der liebenswürdigen Familie Buscada besorgt wäre, entgegnete ihm Franco ganz kurz, für die Familie Buscada, die als Gast in Guajaquil sei, habe er selber schon Sorge getragen – sie würde so lange in das Regierungsgebäude, in seine eigene Wohnung, ziehen.

Jetzt wußte der Doctor, daß es Franco Ernst war, denn dieser hatte schon lange einer ihm lästig werdenden Ueberwachung im Hause der Señora Entonza ausweichen wollen; und daß sich der kleine Mulatte ein Vergnügen daraus machen würde, gerade ihn zu ärgern, darüber bestand für den Doctor eben so wenig ein Zweifel.

Der Doctor wußte, daß Franco ihn haßte, und dieses Gefühl ward ebenso erwidert. Beide hatten einander längst durchschaut, aber sie brauchten sich, und das genügte, um das anscheinend freundschaftlichste Verhältniß zwischen ihnen vorläufig bestehen zu lassen.

So erwarteten alle Parteien mit peinlicher Ungeduld die Ankunft des Dampfers vom Süden, der in Guajaquil anlegt und dann weiter nach Panama geht, um sich an die Linien nach Westindien und Europa über die Landenge und andererseits an die nach San Francisco anzuschließen.

Am Freitag Nachmittag, wo er gewöhnlich zwischen ein und vier Uhr einlief, waren auch eine Menge Fernröhre auf den untern Strom gerichtet, um die erste kleine Rauchwolke, die sein Nahen verkünden sollte, zu erspähen und Sr. Excellenz gleich die gewünschte Meldung zu bringen. Aber er kam nicht; Stunde nach Stunde verging, tiefer und tiefer sank die Sonne, und wenn auch zahlreiche kleine weiße Segel über die Fläche des Stromes glitten, der schwarze Rauch ließ sich nirgends blicken.

So brach die Nacht ein und mit ihr zahlreiche Unruhen in der Stadt; denn die Erbitterung gegen das freche Soldatenvolk, das zum großen Theil aus Mulatten und Negern bestand, wuchs von Stunde zu Stunde, und wenn sich Einzelne von ihnen in eins der kleinen Trinklocale wagten und da wie die Herren wirtschafteten, büßten sie ihr ruchloses Treiben nicht selten mit einem rasch geführten Messerstich oder Beilhieb – stand ja doch Leben gegen Leben in dieser Zeit auf dem Spiele, und auf einen Menschen mehr oder weniger kam nicht viel an. Der rasch vorbeigurgelnde Strom mit seinen gierigen Alligatoren verschlang Alles – und eben so rasch war es vergessen.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch waren schon wieder alle Ausgucker auf ihrem Posten, und während Doctor Ruibarbo, das ewig lächelnde Gesicht soviel als möglich in ernste und ehrbare Falten zwingend, mit seiner keineswegs jugendlichen Braut in die Kathedrale fuhr, lief plötzlich der Schrei durch die Stadt: der Dampfer kommt – er ist in Sicht – und eine größere Aufregung hatte noch nie seit der Entdeckung Ecuadors ein Boot hervorgerufen, denn Alle wußten ja, welch' entscheidenden Einfluß die Briefe haben mußten, die es jedenfalls von Castilla an ihren jetzigen Präsidenten und Diktator brachte.

Trotzdem dauerte es noch eine gute Weile, bis es gegen die während der Ebbe reißende Strömung des Guajaquilflusses seinen gewöhnlichen Ankergrund erreichte, und es war schon Mittag, als es sein Boot mit den Depeschen an Land schicken konnte. Aber Niemand dachte heut an sein Mittagessen; Schaaren von Menschen drängten sich an dem Landungsplatz hin und her, als ob sie schon den englischen Matrosen des Bootes ansehen könnten, was für Nachrichten sie mitbrächten.

Franco war indessen in fieberhafter Aufregung in seinem Zimmer auf- und abgegangen, denn er selber wußte am besten, wie viel für ihn von dem Briefe Castilla's abhing.

So verblendet er bis jetzt auch gewesen sein mochte, so konnte er sich doch nicht länger verhehlen, daß alle Schmeicheleien, mit denen seine Creaturen ihn überschüttet hatten, nichts als hohle Lügen waren, und daß er das Land sich nur mit Waffengewalt unterwerfen könne.

Wo waren die Züge jubelnder Menschen geblieben, die ihm entgegenjauchzen und ihn als ihren Befreier begrüßen sollten, sowie er nur das innere Land betreten würde? Wo die Tausende von Soldaten, die zu seinen Fahnen eilen würden Nichts – nichts von Allem hatte sich erfüllt. – Kalten, verdrossenen Gehorsam, den die Furcht erzeugte, hatte er gefunden, und sein Verstand ließ ihn nur zu gut auch diejenigen durchschauen, die sich noch in Guajaquil seine »Freunde« nannten.

Aber selbst das kümmerte ihn wenig; denn er wollte seine Freunde nur als Diener ansehen. Deshalb war ihm auch Barbadoes so lieb gewesen, weil der nie einen höheren Anspruch gemacht hatte, und es schien ihm nun, daß er mit ihm den einzigen wirklichen Freund verloren habe.

Aber Celita? – sie war ihm gewiß noch treu, und wenn er auch wirklich die Macht in diesem Lande verlöre, sie würde ihm folgen und das bescheidenste Loos mit ihm theilen – hatte sie ihm das nicht oft genug gesagt?

Doch warum sollte er sich trüben Gedanken hingeben? Noch besaß er ja die Macht – die Tausende hier in der Stadt gehorchten nur seinem Befehl, und gerade jetzt rasselte der Anker des lang ersehnten Fahrzeugs in die Tiefe, mit dem ihm sein mächtiger Verbündeter Hülfe und Unterstützung sandte.

Schon konnte er mit seinem Fernrohr den Officier erkennen, der im Heck des Bootes neben dem Beamten des Dampfers saß – richtig, es war ein Peruaner, ein Abgesandter von Castilla – aber das Boot hielt nicht direct auf das Land, sondern auf den größeren der beiden Kriegsdampfer zu – jedenfalls waren auch dort Depeschen abzugeben, – aber warum gingen diese nicht durch seine Hände? War er nicht Oberbefehlshaber hier und hatte Castilla nicht ihm die Dampfer zu voller Verfügung gestellt?

Franco ging mit raschen Schritten in seinem Gemache auf und ab. – Die Ungeduld verzehrte ihn fast und zog ihn immer wieder an das Fenster, um das Boot von dem Dampfer abstoßen zu sehen.

Endlich stieg der Officier von dem Dampfer herab und wieder in sein Boot, und jetzt hielt der Bug des kleinen schwanken Fahrzeugs gerade auf das Regierungsgebäude zu. – Noch etwa zehn Minuten und es stieß an Land. Der Abgesandte sprang an's Ufer und schritt, von einer ihn erwartenden Ordonnanz empfangen, auf das Haus zu und die Treppe hinauf.

»Ah, Señor,« rief ihm Franco, die Thür öffnend, entgegen. »Ihr Boot ist lange ausgeblieben – wir haben Sie schon gestern erwartet – Entra – Entra, was bringen Sie uns Gutes?«

»Excellenz,« sagte der Fremde mit militärischem Gruß, indem er einen Brief aus der Tasche nahm und ihn Franco reichte – »nichts als dieses Schreiben.«

»Und hat Castilla –?« rief der Mulatte, indem er sich eben so rasch wieder unterbrach, um sich dem Boten gegenüber keine Blöße zu geben, denn mit dem Briefe Castilla's in der Hand hatte er ein Vorgefühl kommenden Unheils und fürchtete schon, dieser würde Ausflüchte machen und ihn hinzuhalten suchen. Endlich erbrach er das Schreiben und verschlang es mit einem Blick. Es enthielt nur die folgenden wenigen Zeilen:

»An General Franco in Ecuador.

Lieber General – hoffentlich sind Sie jetzt in Quito und schicken mir bald Nachricht, daß wir unsere Grenzen reguliren können. Was Ihren letzten Brief betrifft, so kann ich Ihnen weder mehr Geld noch Soldaten zu Hülfe schicken. Sie müssen sehen, wie Sie allein durchkommen.

Castilla.«

»Und weiter haben Sie mir nichts zu sagen?« fragte er jetzt den Officier und gab sich dabei die größte Mühe, gleichgültig zu erscheinen.

»Nichts, Excellenz,« erwiderte der junge Mann ruhig, »als daß einer der Dampfer hier zu Ihrer Verfügung bleibt. Der kleinere aber heizt schon und wird noch in dieser Nacht nach Payta abgehen und frische Kohlen einnehmen, um dann wieder hierher auf seine Station zurückzukehren.«

Franco biß die Zähne zusammen und trat an's Fenster. – Vorbei – vorbei waren alle seine Pläne von Ruhm, Größe und Schätzen; zertrümmert alle die Hoffnungen, die er für sich und Andere aufgebaut hatte, und wie ein Kartenhaus von einem Lufthauch sah er sie alle vor dem einen Brief, vor dem kleinen erbärmlichen Stück Papier, zusammenstürzen.

Daß er jetzt nicht mehr daran denken konnte, mit dem entmuthigten und unzufriedenen Rest seines Heeres nach Quito zu marschiren, wußte er gut genug. – Nicht einmal Guajaquil konnte er, wenigstens nicht von der Landseite aus, verlassen, und es galt daher zunächst, sich und sein Eigenthum zu retten und frische Kräfte für einen neuen Versuch zu sammeln.

»Excellenz befehlen noch etwas?« fragte der Officier endlich, der jetzt wohl glauben mochte, er habe den General lange genug seinem Nachdenken überlassen.

»Ich? – nein,« sagte Franco zerstreut – »und doch,« setzte er rasch hinzu – »Castilla bittet mich hier, ihm einige Sachen zu schicken. Wollten Sie die Güte haben und die Besorgung derselben an Bord des größeren Dampfers übernehmen und sie dort der Obhut des Capitains empfehlen, bis ich selber hinkomme?«

»Mit Vergnügen, Excellenz. – Seine Ezcellenz der Präsident Castilla hat mir außerdem aufgetragen, Ihnen in Allem behülflich zu sein.«

»Sehr gut; dann bitte ich Sie, in zwei Stunden etwa das Boot des Dampfers hier dem Hause gegenüber bereit zu halten; ich werde die Sachen indessen besorgen. – Ha! was ist das?« unterbrach er sich plötzlich, als sein Blick zufällig auf die Stromfläche fiel und er dort noch ein anderes, ziemlich nahe herangekommenes Ruderboot entdeckte.

»Der Dampfer vom Norden, Excellenz,« sagte der junge Officier, nachdem er einen Blick der Richtung zugeworfen. »Er hat die englische Flagge am Heck.«

»Gut, gut,« rief Franco, jetzt mit einem neuen Plan beschäftigt, »also Sie vergessen nicht – in zwei Stunden.«

»Ich werde nicht ermangeln, pünktlich die Zeit einzuhalten,« lautete die Antwort.

Der junge Officier verbeugte sich und verließ das Zimmer, indem er aber die Treppe herunterstieg, murmelte er:

»Hat mir der kleine verdammte Mulatte auch nur ein Glas Wein angeboten? – Das muß ich erst nachholen. – Und Castilla sollte sich Sachen von ihm schicken lassen? Wahrhaftig, in Lima sprach man von ganz anderen Dingen, die in dem Briefe ständen« – und raschen Schrittes eilte er die Treppe hinab, um erst seiner Neigung und seinem Durste und dann dem Befehl zu folgen.

Eine ganz eigene Thätigkeit war indessen über den General gekommen, und wie er früher von Uebermuth erfüllt gewesen, so hatte sich jetzt plötzlich und mit Einem Schlag eine solche Entmuthigung seiner bemächtigt, daß er in sein Schlafzimmer eilte und dort mit zitternden Händen ein paar chinesische Kästen oder Koffer von Kampherholz hervorzog und zu packen anfing.

Er schien dabei sehr besorgt vor Störungen zu sein, denn er hielt seine Thür fest verschlossen, und selbst sein Diener Juan, den er sonst Alles machen ließ, durfte ihm nicht helfen. Es mußten werthvolle Dinge sein, die er heimlich in die Kisten legte, denn er verließ sich, als er endlich fertig war, nicht einmal auf die Schlösser, sondern schnürte noch um jeden Koffer ein starkes Seil und versiegelte die Enden.

Während dieser Arbeit horchte er einmal hoch auf, als er das Abfeuern mehrerer Schüsse vernahm, aber er ließ sich dadurch nicht in seiner Beschäftigung stören, ja beschleunigte diese eher, als plötzlich an seine Thür geklopft wurde.

»Wer ist da?«

»Excellenz,« sagte die Stimme, »ich habe Ihnen die Meldung zu machen, daß der Feind eben seine ersten Detachements vorgeschoben hat, Tirailleure, die auf unsere Vorposten ihr Feuer eröffneten.«

»Wer sind Sie?«

»Lieutenant Villegas.«

»Warten Sie einen Augenblick, ich öffne gleich.«

Se. Excellenz war eben mit seiner Arbeit fertig geworden, und der Schweiß troff an ihm herunter. Die Zeit, die er dem peruanischen Officier bestimmt hatte, war fast abgelaufen, und als er aus dem Fenster sah, bemerkte er eben das bestellte Boot, das auf das Land zu ruderte.

Jetzt ging er zur Thür und öffnete diese, und Villegas schrak beinah zurück, als er die kleine, aufgedunsene, schwitzende Gestalt des Mulatten in Hemdsärmeln, mit geröthetem und durch die ungewohnte Anstrengung geschwollenem Gesicht vor sich stehen sah.

Das war also der Präsident, das der Mann, vor dem sich eine ganze Nation beugen sollte, und der die Fackel des Bürgerkriegs in diese friedlichen Thäler geschleudert hatte – und freilich, wie er so da stand, glich er eher einem der niedrigsten Handlanger auf der Straße, und in diesen kleinen tückischen Augen, in dieser niedern Stirn, in diesen vorstehenden Backenknochen lag auch nicht ein Funke von Edelmuth oder Geist!

Alle diese Gedanken stürmten bei dem Anblick des kleinen Ungeheuers so lebhaft und rasch auf den in besseren Kreisen erzogenen jungen Mann ein, daß er den Blick nicht von ihm abwenden konnte und erst durch die barsche Frage Franco's: »Nun, was giebt's? was starren Sie mich an?« wieder zu sich gebracht wurde.

In militärischer Haltung stattete er jetzt einen ausführlichen Bericht über einen leichten Angriff ab, der vielleicht nur unternommen schien, um das Terrain zu recognosciren. Auf ihrer Seite war dabei Niemand verwundet worden und der Feind schien ebenfalls nicht gelitten zu haben, aber in der Ferne sah man größere Heereshaufen, und da es wahrscheinlich sei, daß der Feind heute einen größeren Angriff wagen wolle, so ließ der commandirende Major Se. Excellenz bitten, die Schanzen einmal zu besuchen.

»Und jetzt sind sie wieder zurückgewichen?«

»Ja, Excellenz, sie waren zu schwach, aber es ist möglich, daß sie rasch mit Verstärkung zurückkehren.«

»Schön,« sagte Franco nachdenklich, und dann zu seinem Waschtisch tretend und sich Hände und Gesicht reinigend, fuhr er fort: »Apropos, Villegas, haben Sie doch die Güte und lassen Sie mir diese beiden Kästen durch ein paar Leute draußen hinunter an's Ufer schaffen. Es liegt dort schon ein Boot, das darauf wartet, um sie an Bord des peruanischen Dampfers zu bringen.«

»Die Kästen?«

»Ja,« sagte Franco gleichgültig, »sie sind für Präsident Castilla bestimmt – bleiben Sie aber selber dabei, bis sie sicher im Boot sind.«

»Aber, Excellenz, der Major –«

»Lassen Sie mir nur erst die Kästen hinunter schaffen, das Andere ist ja alles gleichgültig,« rief Franco; »ob die paar lumpigen Quitener ihre Gewehre abfeuern oder nicht, sie werden sich noch frühzeitig genug die Köpfe einrennen.«

Villegas wollte noch eine Einwendung machen, denn er war von seinem Major mit dem directen Befehl zum General gesandt worden, augenblicklich mit dessen Bescheid zurückzukehren, und jetzt sollte er zu einem Dienst verwandt werden, den jeder Hausknecht eben so gut hätte besorgen können. Aber er durfte dem Höchstcommandirenden nicht widersprechen; er ging also hinaus, nahm vier Polizeisoldaten und ließ die beiden ziemlich schweren Kästen hinunter an's Ufer und in das bezeichnete Boot schaffen.

Franco stand am Fenster und sah dabei zu, bis das Boot wieder zurück zum Dampfer ruderte.

»Excellenz, Alles richtig besorgt,« meldete Villegas wieder in der Thür. »Welche Antwort soll ich jetzt dem Major bringen?«

»Ich käme selber – den Augenblick,« sagte Franco, der gerade beschäftigt war, sein Hemd zu wechseln. »Mein Maulthier soll gesattelt werden – heh, Juan! wo steckt der Schlingel denn wieder?«

Villegas hielt sich nicht weiter auf; denn er hatte keine Lust, sich von dem kleinen Mulatten auch noch zum Laufburschen verwenden zu lassen, und überließ es Juan, dafür zu sorgen, daß dem General sein Maulthier gebracht würde. Sich dann auf sein unten stehendes Pferd werfend, sprengte er zurück nach den Schanzen, um die erhaltene Antwort zu überbringen.

Franco folgte ihm bald – er mußte sich selber überzeugen, wie es mit seiner Vertheidigungslinie stand, und gerade als er dieselbe erreichte, rückte ein neuer Schwarm der feindlichen Tirailleure vor und eröffnete ein ziemlich lebhaftes Feuer.

In diesem Augenblick wurde aber von dem dieses Terrain beherrschenden Hügel ein Geschütz abgefeuert, und wenn auch die Kugel über die Angreifer hinweg schlug, so hatte sie doch eine fast zauberhafte Wirkung, denn noch während sie etwa dreihundert Schritt hinter ihnen den Staub in einem langen hellen Streifen aufwirbelte, wandten sich die Tirailleure um und suchten, von dem Hurrahgeschrei der Vertheidiger verspottet, in eiliger Flucht den Schutz der Büsche.

»Bravo, mein alter Moreton,« lachte der General vor sich hin. »Der alte Amerikaner da oben wird mir die Canaillen schon in Respect halten, denn an Kanonen sind sie nicht gewöhnt.«

»Wenn wir vielleicht einmal einen Ausfall machten, General,« meinte der commandirende Major, »um nur wenigstens zu sehen, mit wem wir es da vorn zu thun haben. Ich traue ihnen noch gar nicht und glaube beinahe, die ganze Geschichte ist Spiegelfechterei. Am Ende steht Flores mit seinen Leuten ganz wo anders, und wir jagen dann das Gesindel vor uns her und kommen ihm in die Flanke.«

»Wo soll er denn stehen?« lachte Franco, »etwa im Sumpf? Da würden seine Soldaten bei lebendigem Leibe von den Mosquitos gefressen. Sie kennen den Sumpf nicht, Major. Nein, wenn er die Stadt haben will, muß er sie von dieser Seite nehmen.«

»Er hat sie damals den Peruanern auch von der andern Seite abgenommen,« bemerkte der Major trocken.

»Ja,« nickte Franco, »aber er weiß recht gut, daß er nicht zweimal das nämliche Spiel treiben kann, noch dazu, da wir jetzt seine Schliche kennen. Damals glaubte kein Mensch, daß der Sumpf passirbar sei, und nicht ein einziger Posten stand dort, um Alarm zu geben; jetzt ist der einzige mögliche Paß besetzt, und vom trockenen Land aus schössen wir die wenigen Soldaten, die wahnsinnig genug wären, sich hinein zu wagen, wie Hirsche nieder.«

»Wenn sie am hellen Tage kommen, ja.«

»Und er mußte es damals wohl nicht am hellen Tage versuchen?« lachte Franco. »Kommen Sie einmal bei Nacht zwischen die Mangrovewurzeln, wo noch dazu eine Finsterniß herrscht, daß man die Hand nicht vor Augen sehen kann. Nein, Amigo, hier will er diesmal herein, und zwar mit Gewalt, und scheint wahrscheinlich gar nicht zu wissen, daß wir die peruanischen Kanonen dort oben aufgepflanzt haben. So lassen Sie ihn denn nur kommen, wir haben Zeit, und erst wenn er sich mürbe gestürmt hat, dann brechen wir vor, und ich denke, das wird der Sache wohl die Entscheidung geben.«

Es war indessen halb vier Uhr und fast Zeit zum Mittagessen geworden, und da Franco versprochen hatte, dieses bei dem »jungen Ehepaar« einzunehmen, so bestieg er sein Thier wieder und trabte in die Stadt zurück.



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