Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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3.

In Bodegas.

Wenn es unter den Städten Amphibien geben könnte, so müßte Bodegas eine von diesen sein, denn kein weiterer Platz der Welt theilt wohl seine Existenz so entschieden zwischen Wasser und festem Boden, wie dieser kleine betriebsame Ort, den aber jedenfalls nur die Noth an diesen wunderlichen Platz zwingen konnte. Nimmt man eine Specialkarte von Ecuador in die Hand – denn auf den gewöhnlichen Karten ist es nicht einmal angegeben, obgleich es den Schlüssel des ganzen ecuadorianischen Binnenhandels bildet –, so findet man es auf der Straße oder wenigstens in der Richtung zwischen Guajaquil und Quito, etwa einen halben Grad nordnordöstlich von Guajaquil an einem Strom oder Fluß, der das Wasser zahlreicher, noch nördlicher liegender Lagunen bei Guajaquil in den Strom gleiches Namens führt und durch vollkommen niederes, außerordentlich fruchtbares Land seine Bahn schlängelt.

Bis zu dieser kleinen Stadt aber und noch weit darüber hinaus ist die Strömung des Bodegasflusses nur von Ebbe und Fluth des Meeres abhängig und dadurch außerordentlich geeignet, eine Handelsstraße zu bilden, da er die schwerfälligsten Fahrzeuge mit der nämlichen Schnelle und Leichtigkeit, sowohl von dem Hafenplatz Guajaquil nach Bodegas hinauf, wie von diesem Ort hinab trägt. In der Regenzeit aber können die Lagunen das von den Cordilleren rasch herabstürzende Wasser nicht alles fassen; die niederen Ufer füllen sich schnell, und nun tritt die Fluth über die ihr bis dahin gesteckten Grenzen und überschwemmt das flache Land auf riesige Strecken.

In dieser Zeit ist denn auch die Handelsverbindung zwischen Guajaquil und Quito – da überdies die Maulthierpfade über die Gebirge grundlos und unpassirbar werden, vollständig unterbrochen, und wer noch von Bodegas aus in die näher gelegenen Ortschaften des höheren Landes will, muß zu einem Canoe seine Zuflucht nehmen, mit dem er gezwungen ist, zwischen den vorstehenden Wipfeln der Weidenbüsche und Bäume hin seine ungewisse Bahn zu suchen. Dann steht aber auch Bodegas vollkommen im Wasser, und die Bewohner verkehren unter einander aus der ersten Etage heraus durch Canoes oder andere kleine Fahrzeuge.

Die Gebäude selber sind darauf eingerichtet und stehen entweder auf starken Pfählen und Balken, die der eindringenden und durchquillenden Fluth nicht zu vielen Widerstand leisten und ihr freien Spielraum lassen, oder auch auf festen Mauern, denen nur der obere Stock aus Holz aufgesetzt und das ganze Jahr über von den Familien bewohnt wird, während man die unteren Räume nur in der trockenen Jahreszeit zu Waarenlagern benutzt. In diesem heißen Klima verdunstet ja auch jede Feuchtigkeit rasch, und sobald das Wasser nur erst einmal wieder gefallen ist, werden die Gebäude bald wieder trocken.

Aber nicht alle Bewohner von Bodegas haben feste Wohnungen, denn es gehört immer eine große Umsicht dazu, den rechten Moment zum Ausräumen zu erfassen, da die Wasser manchmal außerordentlich rasch steigen und oft den Waaren verderblich werden. Viele beziehen vielmehr für das ganze Jahr sogenannte Balsas, in denen sie mit großer Ruhe jede beliebige Veränderung der Fluth erwarten können, denn sie steigen und fallen mit ihr.

Diese Balsas sind, ihrer Bauart nach, außerordentlich tragfähig, denn sie bestehen aus nichts als einer Anzahl mit einander fest verbundener Balsastämme, die ein so vollkommen korkartiges und fabelhaft leichtes Holz haben, daß ein Mann ohne Anstrengung einen ausgetrockneten Balsastamm von zwanzig Fuß Länge und zwei Fuß Dicke auf seiner Schulter trägt. Diese Balsaflöße, gehörig überbaut und bedacht, bilden nicht allein einen Theil der Wohnungen von Bodegas, indem sie am Ufer befestigt werden und zu Kaufläden und Hotels dienen, sondern man benutzt sie auch als geräumige Fahrzeuge für den Waarenverkehr zwischen Quito und Guajaquil.

Außerdem wohnen in Bodegas sehr viele Arrieros (Maulthiertreiber), die mit ihren Thieren den Binnenhandel vermitteln. Sobald die Regenzeit aufgehört und die Sonne die bis dahin bodenlosen Wege ausgetrocknet hat, füllen ihre Karawanen die ganze Straße nach Quito. In Bodegas ist und bleibt aber der Knotenpunkt, wo sich die Waaren und Producte auf dem Wege nach dem Meere kreuzen. Wie eine Art von Binnenhafen empfängt es und liefert es aus, und fast jeder dort wohnende Kaufmann ist ein Spediteur.

Daß diesen Leuten der Kriegszug des Usurpators eben keine große Freude machte, läßt sich denken. Ihr Geschäft blüht nur im Frieden, bei ungestörtem, ununterbrochenem Handel. So lange Franco in Guajaquil und die von dort nach Quito führende Straße frei blieb, war der Verkehr wenigstens nicht ganz unterbrochen, denn ober- oder unterhalb Guajaquil hatte man immer noch Gelegenheit gehabt, kleine Ladungen verstohlen auszuschiffen. Jetzt aber, da er selber nach Bodegas gekommen, hörte das Alles auf. Kein bepacktes Maulthier durfte seitdem mehr nach dem Innern aufbrechen, daher denn auch Eilboten nach der nächsten bedeutenden Speditionsstadt Guaranda, am Fuß des Chimborazo, abgeschickt worden waren, um die dortigen Kaufleute zu warnen und ihnen den baldigen Besuch von Franco's Armee anzukündigen.

Was Franco's Plan sei, wußte freilich Niemand, denn die Wenigsten glaubten, daß er in der That beabsichtige, gegen Quito vorzurücken und das ganze Land sich zu unterwerfen. Die Idee klang zu abenteuerlich, um irgend eine Wahrscheinlichkeit zu haben, und doch bewies der kleine Mulatte bald darauf, daß er in der That nichts Geringeres beabsichtige, als den Hauptschlag gegen die Republik in deren eigenem Herzen und gegen ihren wundesten Fleck zu führen.

Franco selbst – wie er sich auch anders darüber gegen die Seinen aussprechen mochte – war keineswegs so fest von dem Sieg seiner beutegierigen Banden über die »quitenischen Rebellen« überzeugt, daß er es sofort gewagt hätte, die letzte Brücke – wozu er Bodegas rechnen mußte – hinter sich abzubrechen. Außerdem brauchte er den Ort und dessen Spedition für seine Truppenbewegung gegen das Innere, um den nöthigen Kriegsbedarf ungesäumt und mit allen zu Gebote stehenden Packthieren einzuholen und die Communication mit Guajaquil zu unterhalten. Daher hatten seine Leute strengen Befehl bekommen, sich ordentlich in Bodegas zu betragen und nichts zu nehmen, ohne dafür zu zahlen. Wie sehr er ihre Enthaltsamkeit damit auf die Probe stellte, das wußte jedoch Franco so wohl zu würdigen, daß er auch gleich an eine kleine Entschädigung seiner Soldaten gedacht hatte.

Drüben nämlich, über dem etwa sechzig bis achtzig Schritt breiten Strom, wo sich eine Menge Sand angeschwemmt und das Ufer dadurch mehr erhöht hatte, lag ein ziemlich großes und geräumiges Gebäude, eine Art Villa, die dem quitenischen General Flores, Franco's Erzfeind, gehörte. Dieselbe stand mit der Stadt in gar keiner Verbindung, es war nur ein Privatbesitz, und ihn beschloß Franco aus verschiedenen Gründen in Beschlag zu nehmen. Erstlich konnte er das große Gebäude vortrefflich gebrauchen, um es als Kaserne für seine Soldaten zu benutzen, und dann gab es diesen auch eine angenehme Beschäftigung, den Platz zu besetzen und nach Gutdünken darin zu wirthschaften. Als daher Franco von der Execution nach Bodegas zurückkehrte, nahm er sich kaum Zeit, eine Flasche Champagner – sein Lieblingsgetränk – zu leeren, dann ließ er sich, ohne zuvor in seinem Quartier zu erscheinen, an das andere Ufer übersetzen. Natürlich wollte er den Platz erst besichtigen, ob er nicht Eins oder das Andere selber brauchen könnte, ehe er den Soldaten freies Spiel ließ.

Flores schien aber eine starke Ahnung gehabt zu haben, daß sein Eigenthum bei einer Ueberrumpelung von dem Usurpator zu allererst würde in Beschlag genommen werden. Er hatte in Zeiten Alles, was nur irgend von Werth war, ausräumen und nach irgend einem Versteck hin in Sicherheit bringen lassen. Der kleine Mulatte sah darum seine Bemühungen keineswegs so belohnt, wie er gehofft hatte, denn die Ansiedelung zeigte ihm nichts, was seine persönliche Habgier hätte reizen können. Aber eine kleine Unterhaltung für seine Soldaten bot sie immerhin noch. Franco erklärte deshalb die Besitzung als sein – oder wie er sich ausdrückte: als Staatseigenthum und schickte augenblicklich eine Ordonnanz zurück, um »die Armee« herüber zu beordern und ihr die Gebäude erst zur Plünderung und dann zur Wohnung zu übergeben.

Plötzlich erwachte nun ein wunderliches und wildes Leben in Bodegas und vorzugsweise dort vor einem der größeren Gebäude, das früher der Regierung gehört hatte und jetzt zur Kaserne umgeschaffen war. Die Trompeter, von denen Franco eine außerordentliche Menge mit sich führte, riefen das Volk zusammen, alle nur irgend verfügbaren Boote und Flöße wurden herbeigebracht, um die Leute über den Fluß zu setzen, und kaum eine halbe Stunde später kreuzten die »Tapferen« den Strom, um sich jenseits wie die Heuschrecken über die freundlich gelegene Ansiedelung des Rebellengenerals hinzustürzen.

Kaum hatten sie, am Ufer angelangt, gehört, wie der Befehl lautete, als sie nicht einmal das Commandowort »Marsch!« abwarteten, sondern in einem wahren Wettlauf auf das etwa achtzig Schritt vom Ufer stehende Haus zustürmten und sich durch die verschiedenen Räume zerstreuten.

Jede zufällig verschlossene Thür wurde erbrochen, Alles für gute Beute erklärt, was nicht niet- und nagelfest war, und zuletzt, vielleicht aus Aerger, daß der Raub doch nicht so reich ausgefallen war, als man erwartet hatte, zerschlug die wilde Rotte in rohem Uebermuth die Glasscheiben des ersten Stocks und schleuderte diese, unbekümmert um die eigenen bloßen Füße, sammt ihren Rahmen in den Garten hinab – Franco, der mit einem vergnügten Lächeln der Verwüstung zugesehen, winkte jetzt sein Boot heran, um wieder nach der Stadt und seinem Quartier überzusetzen. Einer seiner Stabsofficiere blieb mit dem Auftrag zurück, die Unterbringung der Leute zu beaufsichtigen und so viel als nöthig neue Baracken aufzuschlagen.

Die Bewohner von Bodegas waren von ihren Häusern aus stille, aber nichts weniger als theilnahmlose Zeugen von dem Vandalismus gewesen, womit die Villa des allgemein geachteten und verehrten Flores behandelt wurde. Aber was konnten sie thun, als zähneknirschend zuschauen? Eher mußten sie sich noch Glück wünschen, daß Franco ihre eigenen Wohnungen mit einem ähnlichen Verfahren verschonte.

General Franco landete indessen wieder, dicht vor seinem Quartier, zu dem er in einer nicht unbeträchtlichen Erhitzung hinaufstieg. Es war sehr schwül, und er hatte dem »Staatsdienst« ein außergewöhnliches Opfer durch seine heutige Anstrengung gebracht – es wurde Zeit, daß er sich jetzt auch dafür die Belohnung in Ruhe und Vergnügen holte.

Die hohe und schmale Treppe mußte er freilich noch hinaufsteigen, dann aber erwarteten ihn auch oben an den Stufen schon die Töchter der Señora Buscada: Celita und Teresa, die ihn hatten kommen sehen, und führten ihn in das Zimmer, wo Doctor Ruibarbo noch immer mit einer wahrhaft rührenden Geduld und Ausdauer sein Geld in Monte an die alte Dame verlor, die aber ihr Spiel selbst nicht unterbrach, als der General das Zimmer betrat.

Anders dachte der Doctor über eine solche Nichtbeachtung des Höchstcommandirenden, der als unumschränkter Herrscher in dem ganzen südlichen Theil der Republik gebot. Er legte die Karten hin, machte dem General eine tiefe Verbeugung und sagte mit seinem freundlichsten und gewinnendsten Lächeln:

»Excellenz, ich schätze mich glücklich, Sie am ersten Rasttage Ihres Siegeszuges begrüßen zu können, und muß nur um Entschuldigung bitten, wenn ich Ihnen gleich mit einer Bitte nahe.«

»Guten Morgen, Doctor,« sagte der General, ihm zunickend, während er seinen Hut abnahm und die Uniform aufknöpfte. Er befand sich hier »zu Hause,« was brauchte er Umstände zu machen. – »Nun, was haben Sie schon zu bitten?«

»Nur eine Kleinigkeit. Excellenz wissen, daß ich ein Haus in Quito besitze.«

»Aha – ich soll Ihnen keine Einquartierung hineinlegen,« rief Franco mit einem widerlichen Kichern.

»Gerade das Gegentheil, Excellenz,« beharrte aber der geschmeidige Ecuadorianer. »Ich möchte eben darum bitten, daß Eure Excellenz, sobald Sie die Hauptstadt genommen haben – was hoffentlich in spätestens vierzehn Tagen der Fall sein muß, denn das Land wird Sie mit Jubel begrüßen – gerade mein Haus als das Ihrige betrachten, um darin zu schalten und zu walten, wie Sie es für gut finden. Ich stelle es ganz und ausschließlich zu Ihrer Disposition.«

»Sehr verbunden, Doctor,« sagte der General und blinzelte ihn mit seinen kleinen, verschmitzten Augen an, »aber Sie wissen doch wohl, daß ich das mit allen Häusern in Quito so machen werde – vorausgesetzt nämlich, daß mir die Stadt nicht bis Latacungo eine Deputation entgegenschickt und um Gnade bitten läßt. Nur in dem Fall,« setzte er mit einer halb spöttischen Verbeugung hinzu, »werde ich von Ihrer Güte Gebrauch machen können.«

»In dem Fall rechne ich fest darauf,« erwiderte der Doctor, ohne sich außer Fassung bringen zu lassen, »denn die Quitener –«

»Sind Sie nicht selber in Quito geboren?« unterbrach ihn der General.

»Leider,« bejahte achselzuckend der Doctor, »und muß jetzt an meinen Landsleuten erleben, daß sie dem milden Scepter Eurer Excellenz mit Waffengewalt zu trotzen wagen.«

»Beunruhigen Sie sich nicht darüber,« versetzte Franco, »wir werden mit diesem Starrsinn fertig werden, und – da fällt mir ein – Sie selbst hätten die beste Gelegenheit, Ihren Landsleuten einen Besuch abzustatten, wenn Sie als Militär- oder Oberarzt in meine Armee eintreten wollten. Wir brauchen tüchtige Kräfte, und es bietet sich Ihnen da eine vortreffliche Stellung.«

»Excellenz sind zu gnädig,« sagte der Doctor, dem das Anerbieten so unerwartet wie unerwünscht kam, »und ich würde mit einer wahren Wonne diese Gelegenheit ergreifen, mich nicht allein Ihrer Sache, sondern vielleicht auch Ihrer Person nützlich zu machen, wenn ich –«

»Nun? – wenn ich?« fragte lauernd der General.

»Nur die geringsten Kenntnisse von Chirurgie besäße,« fuhr der Doctor gelassen fort, der nicht um die Antwort verlegen war. »Ich schmeichle mir, ein ziemlich guter Arzt zu sein, aber – nur für innere Leiden und Curen. Die wenigen Versuche, die ich bei Verwundungen – besonders einmal bei einer Amputation – machte, sind so unglücklich ausgefallen, daß ich mir fest vorgenommen habe, das Leben meiner Mitmenschen nicht wieder durch meine Ungeschicklichkeit in Gefahr zu bringen.«

»Das ist unendlich liebenswürdig von Ihnen,« sagte der General trocken. »Aber wir langweilen die Damen mit unserer Unterredung. Donna Celita, ich habe Ihnen noch nicht einmal mein Compliment über Ihr gutes Aussehen gemacht, das sich seit heute Morgen wesentlich verbessert hat, Donna Teresa, dürfte ich Sie um etwas zu trinken bitten? Aber, Señora, wir haben Ihr Spiel gestört – wenn Sie gestatten, nehme ich ein wenig Theil daran – bitte, behalten Sie Platz, Doctor. – Das war ein verwünscht anstrengender Tag heute, und Ihr Landsmann hat uns warm gemacht.«

Der Doctor biß, mit einer tiefen Verbeugung, die Zähne zusammen, aber sein Gesicht bewahrte unverändert das freundliche, glückliche Lächeln, mit dem er sich mit Allem, was der General auch sagen mochte, vollkommen einverstanden zu zeigen schien. – Dann setzten sie sich zum Spiel.

So rückte die Mittagszeit heran, und der General zog sich auf das Zimmer zurück, um seine gewöhnliche Siesta zu halten, die aber heute, da er ungewöhnlich viel getrunken hatte, auch verhältnißmäßig ausgedehnt wurde.

Die Sonne neigte sich schon ihrem Untergange und die Luft begann sich abzukühlen, ehe Juan, General Franco's Diener, ein kleiner geschmeidiger Mulatte – und, wie das Gerücht ging, sein eigener außerehelicher Sohn – die zahlreich im Vorzimmer, d. h. auf dem großen Hausflur, wartenden Ordonnanzen und Unterofficiere anmelden konnte, denn in seiner Siesta hätte er den General nicht stören dürfen. Ihrer Abfertigung stand aber dann auch nichts mehr im Wege und sie erfolgte sehr rasch und summarisch. Franco war kein Freund von Umständen und von einem weitläufigen oder gar rücksichtsvollen Verfahren. Er gab seine Befehle, und damit basta – wer sie erhielt, hatte dafür zu sorgen, daß sie ausgeführt wurden. Ungehorsam oder Nachlässigkeit ließ er manchmal bei einem gemeinen Soldaten ungestraft passiren – nie bei einem Officier. Dadurch gerade machte er sich bei seinen Schaaren beliebt.

Die tollsten Gerüchte durchliefen indessen die Stadt – denn von dem heute Hingerichteten sprach schon kein Mensch mehr – daß Franco nämlich am nächsten Morgen nach Quito aufbrechen wolle und Flores ebenfalls mit einer Armee unterwegs sei – daß der Usurpator eine »Flotte« an der Küste hinaufgesandt habe, um das ganze Westufer zu besetzen und von dort aus ebenfalls ein Corps nach Ibarra zu schicken – daß in Guajaquil ein Aufstand ausgebrochen wäre und ein dort liegendes peruanisches Kriegsschiff die Stadt in Brand geschossen habe, und tausend andere theils unglaubliche, theils unmögliche Dinge – die Zeit wenigstens in Betracht gezogen, in der sie ausgeführt sein konnten, denn sonst hoffte man allerdings die Erfüllung des einen Theils derselben und fürchtete die des andern.

Etwas Wichtiges konnte aber nicht vorgefallen sein, denn wenn auch Franco heut Abend Depeschen in einem von vier Soldaten geruderten Boot nach Guajaquil schickte, so zeigte er sich doch auch bald in Person auf der Straße, besuchte Kaffeehäuser, besichtigte die Kaserne und lachte und plauderte unbefangen mit den ihm begegnenden Officieren.

Es ist etwas Wunderbares um die sogenannten »Gerüchte«, die oft auftauchen, ohne daß man im Stande wäre, ihrem ersten Ursprung nachzuforschen, und doch nur in sehr seltenen und Ausnahmefällen sich als vollkommen aus der Luft gegriffen erweisen.

Flores rüstete in der That in Quito, um gegen den Usurpator zu marschiren – an der Westküste hatten die Franco ergebenen Gouverneure Soldatenbanden herumgeschickt, um die ruhigen Strandbewohner einzuschüchtern und Rekruten auszuheben. Vor Guajaquil lagen zwei peruanische Kriegsschiffe mit dem ausdrücklichen Auftrag des Capitains, zur Verfügung des Präsidenten Franco zu bleiben, und in der Stadt war allerdings ein Komplott entdeckt worden, sich des Platzes zu bemächtigen und das quitenische Triumvirat der drei Directoren, welche die einstweilige provisorische Regierung bildeten, auszurufen. Es war aber verrathen worden, und zwar zum Glück der Stadt, denn ohne eine Armee zur Deckung hätten die wenigen waffenfähigen und waffenlustigen Bürger den offenen Hafenplatz doch nie im Leben halten können. Franco wußte das und hegte nicht die geringste Besorgniß von daher, aber während er seine Maßregeln traf, um die Unruhigen unschädlich zu machen, konnte er sich auch nicht verhehlen, welche Stimmung über ihn selbst im Süden des Reichs herrschte. Er war nirgends geliebt, nur gefürchtet, und eine eigene boshafte Schadenfreude zuckte über sein ohnedies unheimliches Antlitz, wenn er sich überlegte, wie blutig er die Verräther bei seiner Rückkehr nach Guajaquil züchtigen wolle.



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