Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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6.

In Quito.

Hoch in die mächtigen Gebirge hineingeschmiegt, in einer weiten fruchtbaren Thalsohle, die mehr als neuntausend Fuß über der Meeresfläche, am letzten Fuß oder eigentlich schon hoch am westlichen Hang der Cordillere liegt, steht Quito, die Residenz, das Athen und Manchester von Ecuador, und ringsum ragen die gewaltigen Eisriesen empor und strecken ihre schneegekrönten Häupter – der Linie trotzend – gegen den blauen duftigen Himmel hinauf.

Quito hat in der That eine von der Natur merkwürdig begünstigte Lage, denn unmittelbar unter dem AequatorEs liegt auf dreizehn Minuten S. B. und in einem vollkommen gemäßigten Klima, das alle Producte unseres heimischen Nordens erzeugt, erhält es durch die scharf in die Tropen abfallenden Seitenthäler auch mit der leichtesten Mühe Alles, was die heiße Zone hervorbringt, ohne von deren Hitze zu leiden, und auf dem Marktplatz liegen frische Aepfel und Nüsse neben Ananas und Cherimoyas; Citronen und Zwiebeln findet man oft in einem Korbe, und Kartoffeln und Zuckerrohr gedeihen da in unmittelbarer Nachbarschaft.

Dies Quito liefert uns aber auch wieder den Beweis, daß nicht ein oder der andere Volksstamm indolent, träge und geistig unthätig sei, sondern daß an solcher Erschlaffung stets nur das Klima Schuld trägt, das nicht allein auf den dort Geborenen, sondern auch eben so gut auf den dahin eingewanderten Europäer seine ertödtende Wirkung ausübt.

Quito, läge es unter der nämlichen Breite, von den nämlichen Menschen bewohnt, im tiefen Land, würde eine Stadt sein, in der sich die besitzende Klasse faul in ihrer Hängematte wiegt, die heißen Tagesstunden verschläft und höchstens zu einem Abendspaziergang oder Ritt die nöthige Energie sammelt. So aber liegt es neuntausendfünfhundert Fuß über der Meeresfläche, rings von Schneegebirgen umgeben, die einen heißen, sengenden Luftzug gar nicht gestatten, und siehe da, unter der so lässigen spanischen Race entwickelt sich eine Gewerbsthätigkeit, von der man in keiner andern südamerikanischen Stadt auch nur eine Ahnung hat.

Wolle und Baumwolle wird hier für das ganze innere Land zu festen Tuchen und Zeugen, besonders zu Ponchos verwebt, eine Fabrik von India-Rubber-Zeugen besteht dort, die ein vortreffliches, preiswürdiges Fabrikat liefert, eine Unzahl von eingeborenen Handwerkern verarbeitet die heimischen Stoffe, und während die Gewerbe blühen und Früchte treiben, hat sich die Stadt auch zum Sitz der Intelligenz emporgeschwungen.

Eine recht gute Universität mit tüchtigen Lehrern ist der Stolz Quitos, und Malerei und Sculptur finden ebendaselbst ihre zahlreichen Vertreter. Rechnet man dazu, daß ein fruchtbares Land die Stadt umgiebt und dichtbesiedelte Städte mit ihr dort oben in Verbindung stehen, daß der Arbeitslohn durch eine große Menge der Cultur gewonnener und wirklich arbeitsamer Indianer äußerst billig ist, so findet man die Vorliebe des Quiteners für seine Heimath wohlberechtigt.

Wenn er aber auch den Hafenort Guajaquil als einen in der That nothwendigen Stapelplatz für seine Waaren betrachtete, so dachte er doch gar nicht daran, sich von dort und noch dazu von einem ungebildeten, rohen Mulatten regieren zu lassen. Hatte dieser doch offen erklärt, daß ein Mensch, wenn er nur ein tüchtiger Soldat sei, gar nichts zu lernen brauche, und nach diesem Grundsatz auch in Guajaquil die Schulen räumen lassen, um Militär hineinzulegen.

Die Erbitterung gegen Franco war fabelhaft, und Fortunato hatte ganz Recht gehabt, wenn er behauptete, die Franco'schen Truppen würden – selbst den Fall angenommen, daß sie die Residenz wirklich erreichten – einen verzweifelten Straßenkampf in der Stadt selber zu bestehen haben. Wußten die Quitener doch auch eben so gut durch ihre Spione – von denen sie weit besser bedient wurden, als der Mulattengeneral durch die seinigen – daß den Franco'schen Banden die Plünderung des reichen Quito versprochen worden, und dem zu entgehen, würde man sich bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigt haben.

Aber man gedachte dies nicht abzuwarten, denn General Flores, der sich schon früher in einem Kampf gegen die Peruaner ausgezeichnet und das volle Vertrauen der Bevölkerung besaß, war zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt worden, das den Schaaren des Usurpators nicht allein entgegenrücken sollte, um sie aufzuhalten, sondern man hoffte auch, daß die Sympathie der südlicher gelegenen Provinzen, sobald die Armee vom Norden gegen ihn anrückte, selber gegen den Rebellenchef aufstehen und ihn mit vertreiben würde.

Beide Parteien nannten übrigens, wie das in allen südamerikanischen Staaten wiederkehrt, die Gegner natürlich einfach »Rebellen« und sich selber »Patrioten.«

Dennoch war die Bildung der quitenischen Armee selber nur sehr langsam vorgeschritten. Man glaubte noch nicht recht an eine Invasion des Landes, und die Hauptsache, der Handel und Verkehr waren noch nicht unmittelbar gestört, da der quitenischen Regierung ergebene Truppen Bodegas besetzt gehalten. Sperrte auch Franco den Hafen von Guajaquil für alle quitenischen Waaren, so sorgte der Schleichhandel doch dafür, daß ein solches Verbot nicht zu drückend wirkte.

Truppen waren indessen wohl geworben und die Hauptmacht schon nach Latacungo, einer sehr bedeutenden Stadt in dem nämlichen Cordillerenthal, in dem Quito liegt, abgesandt, der Nachtrab aber, etwa tausend Mann, lagerte noch immer in dem nächsten, nur wenige Leguas entfernten Dorfe, und Flores mit seinen Officieren befand sich in Quito, wo sich das Directorium noch die größte Mühe gab – d. h. die Sache von einem Tage bis zum andern hinausschob – um die nöthigen Befehle für den Oberbefehlshaber zu erlassen, der sich nachher doch nicht daran kehren konnte, sondern handeln mußte, wie es der Augenblick gerade erheischte.

Da sprengte eines Tages – es war Ende August des Jahres 1860 – ein Peon mit wehendem Poncho und fliegenden langen schwarzen Haaren die Hauptstraße von Quito herauf und zügelte sein dampfendes Roß vor dem Regierungsgebäude ein. Im Nu sammelte sich dort ein Schwarm von Müßiggängern, die sich in den Colonnaden der Municipalität stets herumtrieben, und rasch hatten sie auch die Hauptneuigkeit von den Lippen des Boten – ehe dieser zu dem oben selbst zufällig tagenden Direktorium hinaufgeführt werden konnte – erfahren: Bodegas war von Franco besetzt, der Schlüssel zum ganzen Binnenhandel also in dessen Händen und damit der erste wichtige Schritt gegen Quito selber in's Werk gesetzt.

Es war überhaupt etwas geschehen; der kleine Mulatte, dem man bis dahin wenig Energie zugetraut, und von dem man geglaubt hatte, daß er sich noch eine lange Weile damit begnügen würde, Guajaquil zu halten und zu brandschatzen, fing an die Zähne zu zeigen, und das Gerücht vergrößerte natürlich im Nu die Botschaft.

Während der mit Staub und Schweiß bedeckte Bote in die inneren Räume des weitläufigen Regierungsgebäudes geführt wurde, um dort seinen näheren Bericht abzustatten, zuckte die Nachricht durch ganz Quito, bis in die entferntesten Hacienden hinaus: Franco hat Bodegas genommen und rückt gegen Quito – Andere setzten hinzu, er habe Guaranda schon passirt, und ein Theil der Bürger stürzte auf die Plaza, um die Regierung aufzufordern, Barrikaden und Verschanzungen anzulegen, welche die überall offene Stadt gegen die Freibeuterschaaren des Mulatten schützen sollten.

Der Bote erzählte indessen. Er war an dem nämlichen Morgen von Bodegas abgeritten, wo Franco einrückte, und wußte von Einzelheiten nichts zu melden, als daß sie einen quitenischen Officier, Espinoza mit Namen, gefangen genommen und gleich nachher erschossen hätten. Während er den Soldaten aus dem Weg ritt, hörte er noch das Knattern der Salve, die jenem Leben ein Ende machte. Dann war er in einer Strecke und in fünf Tagen hier herauf galoppiert, und würde noch einen Tag früher gekommen sein, wenn sein Pferd nicht, dicht vor dem kleinen Dorf Camino Real, wo es einen steilen, schlüpfrigen Hang hinauf ging, mit ihm gestürzt wäre und ein Bein gebrochen hätte. Ob Franco einen directen Angriff auf Quito beabsichtige, konnte er natürlich nicht sagen; aber er bestätigte, daß die Soldaten gleich nach ihrem Einrücken in den Ort sämmtliche Maulthiere mit Beschlag belegt hätten, während die Bewohner von Guaranda – als er ihnen auf dem Durchritt ebenfalls die Kunde brachte – nichts Eiligeres zu thun hatten, als ihre sämmtlichen Packthiere so schleunig als möglich hinauf in die Berge oder nach Ambato und Latacungo zu schaffen, wohin man nicht glaubte, daß die Feinde so rasch dringen würden.

Nun lag Quito allerdings noch viele Tagemärsche von Bodegas entfernt, und man hatte, da ein feindliches Heer nicht so rasch auf dem Maulthierpfad vorrücken konnte, wohl keinen unmittelbaren Ueberfall zu fürchten, aber Quitos Interessen verlangten, daß dem Feind auch noch früher Widerstand geleistet würde.

Schon in Bodegas lagerten viele für die Hauptstadt bestimmte oder dieser gehörige Waaren, der Hauptstapelplatz war aber in Guaranda oder Huaranda, wo sich die Güter besonders in letzter Zeit, indem man Alles so rasch als möglich selbst von Bodegas fortgeschafft, wegen Mangels an Maulthieren fabelhaft angehäuft hatten. Da man die Thiere nämlich für den Transport des Heeres reclamirte, konnten sie nicht dazu verwandt werden, Güter über den Chimborazo zu tragen, und hätte Franco Guarando genommen, so würde ihm eine reiche Beute in die Hände gefallen und Quito selber ein schwer zu verschmerzender Verlust bereitet worden sein.

Das konnte nur durch ganz energisches Handeln verhindert werden, und da dem Directorium jetzt das Feuer auf den Nägeln brannte, fand es nun auch auf einmal Zeit, die Interessen des Landes fest in die Hand zu nehmen.

Flores, der schon lange mit Ungeduld den Befehl zum Vorrücken erwartet hatte, wurde in aller Eile in das Regierungsgebäude bestellt. In kaum einer Stunde war alles Nöthige besprochen, und die in Quito weilenden Officiere erhielten noch an dem nämlichen Morgen den Befehl, morgen früh um sieben Uhr in einem, unfern der Stadt gelegenen Dorf zu sein, um von dort gleich zu dem Gros der Armee in Latacungo zu stoßen.

Was das jetzt plötzlich für ein reges Leben in dem sonst so stillen und einförmigen Quito war, und die Indianer, die mit ihren Esel- und Llamatrupps zu Markt kamen, steckten bestürzt die Köpfe zusammen, als man alle ihre Lastthiere requirirte, um den nöthigen Armeebedarf, mit all' den tausend Kleinigkeiten, die dazu gehören, gen Süden zu schaffen. Allerdings wurde ihnen Bezahlung dafür versprochen, aber Du lieber Gott, was die Soldaten versprachen – und noch dazu ecuadorianische – das lag immer noch in weitem Felde. – Um so angenehmer sahen sie sich freilich später überrascht, als General Flores wirklich allen seinen Verbindlichkeiten nachkam. Er war nicht gesonnen, die Franco'sche Wirtschaft bei sich einzuführen, und es lag ihm außerdem daran, den Leuten zu beweisen, daß sie es mit einer geregelten, friedliebenden Regierung zu thun hätten, die das Volk nicht durch den unvermeidlichen Krieg bedrückte, sondern das Land nur von dem frechen Usurpator befreien wollte, der sich gebrüstet hatte, eine reine Militärherrschaft hier zu gründen.

In Quito herrschte trotzdem eine ängstliche Spannung über den Ausgang des Kampfes, denn das Gerücht hatte die Heeresmassen Franco's viel bedeutender hingestellt, als sie wirklich waren, und wurde Flores' Heer zurückgeschlagen, dann freilich lag dem Sieger der Weg nach der Hauptstadt vollständig offen und die Folgen waren nicht gut abzusehen. Man wußte dabei ebenfalls genau, daß der peruanische Präsident Castilla, ein alter Haudegen, der jährlich die Millionen seiner Guano-Einnahmen nur darauf verwandte, um seine Flotte und sein Heer zu vergrößern, den kleinen Mulatten-General mit allen Kräften unterstützte, um nicht allein seinen Feind Flores zu demüthigen, sondern auch von Franco später das zu erreichen, was er schon lange angestrebt: eine Grenzregulirung mit Ecuador nämlich, die ihn in den Besitz des ganzen südöstlichen Theiles dieses Staates setzen und die reichsten, an den Quellen des Amazonenstromes gelegenen Districte ihm sichern sollte. – Wie nun jetzt schon peruanische Kriegsdampfer zur Unterstützung Franco's vor Guajaquil lagen, so konnte Peru auch recht gut ein Landheer in die Berge schicken, und die peruanischen, zum großen Theil aus Negern und Mulatten bestehenden disciplinirten Soldaten waren in Ecuador mehr gefürchtet, als die lockeren Banden, die Franco in der Republik aufgelesen.

Flores aber lachte ihrer Furcht. Er wußte recht gut, daß die Stimmung des ganzen Landes – wie sich die besetzten Provinzen auch ihm fügen mußten – gegen Franco war und hatte die beste Hoffnung, den Krieg rasch und sicher zu Ende zu führen. Jetzt war ihm von dem Direktorium – was die Herren eigentlich hatten schon lange thun sollen – endlich freie Hand gelassen, und mit Franco und seinen Schaaren hoffte er bald fertig zu werden.

Allerdings gab es noch immer in Quito eine sehr bedeutende Partei – und zwar unter den einflußreichsten Persönlichkeiten – die wohl alles Vertrauen in Flores' Tüchtigkeit setzten, aber eine andere Furcht hatten, und zwar die, daß er sich nach errungenem Sieg selber zum Präsidenten der Republik aufwerfen würde, und mit der ganzen Armee auf seiner Seite, wäre es unmöglich gewesen, ihn davon zurückzuhalten. Wenn aber auch dieser Verdacht seine Bewegungen bis dahin gehemmt hatte, so half es jetzt nichts mehr: der Feind war im Anrücken, und es mußte Alles daran gesetzt werden, um ihn aufzuhalten.

Die Bewohner selber beschäftigten sich auch einzig und allein mit dem Ganzen – dem gegen sie gerichteten Kriegszug – was kümmerten sie die Einzelheiten, ob Dieser oder Der später einmal Präsident wurde, oder Der oder Jener die Vertheidigung des Vaterlandes mit seinem Blut bezahlt hatte oder bezahlen würde. Es war eben Krieg, und das Heer mußte dafür einstehen, das Land zu schützen. Aber die Einzelnen traf der Tod der Einzelnen um so schärfer.

Daß der junge Espinoza von dem Usurpator als Spion verurtheilt und gerichtet worden, war durch den Boten zuerst dem Directorium bekannt gemacht, dann aber auch rasch in das Publikum gedrungen, und wenn sich auch anfangs die Meisten scheuten, der Mutter des Unglücklichen die Kunde mitzutheilen, konnte der Fall selber doch auf die Länge der Zeit kein Geheimniß bleiben. Außerdem giebt es eine Menge von Leuten, die an nichts ein solches Interesse nehmen, wie eben an Unglücks- und Todesfällen, und die Zeit nie erwarten können, um unter der Maske des Trostes Jammer und Betrübniß in eine friedliche Wohnung zu tragen.

Ein solcher Freund fand sich auch hier. Señora Malveca hörte, eben aus der Kirche kommend, kaum die Schreckenskunde, die des armen Espinoza Familie treffen sollte, als sie, ohne ihre Mantille abzuwerfen, ohne nach dem eigenen Essen oder sonst einer wirthschaftlichen Anordnung zu sehen, zum Hause ihrer Nachbarin hinüber rauschte.

Es ist wahr; Verhältnisse waren eingetreten, nach denen sie, unter anderen Umständen, nie daran gedacht haben würde, das Haus der ihr benachbarten Espinozas je wieder zu betreten. Ihr Sohn – jetzt ebenfalls in Flores' Heer – hatte um die einzige Tochter der Espinozas geworben, aber – einen Korb erhalten. Darauf brach Feindschaft zwischen den Familien aus. Doctor Ruibarbo – ihr Schwager, begann gegen die Familie Espinoza, zu Gunsten seines Neffen, des jungen Malveca, einen Proceß, der fast das ganze Eigenthum der Familie betraf, und den er mit Hülfe neu eingesetzter Franco'scher Beamten gewann.

Was für Verkehr konnte nach diesen Vorfällen noch mit den heruntergekommenen und zum Tod beleidigten Espinozas stattfinden. Auf der Straße selbst wechselten die einzelnen Glieder der Familie auch nur kalte und nichtssagende Höflichkeiten, und obgleich Espinozas so still und zurückgezogen lebten, als ob sie auf einer Insel im Stillen Weltmeere gesessen hätten, so fand Señora Malveca doch noch immer genügenden Stoff, sich gegen ihre »Freundinnen« zu beklagen, wie hoch die Espinozas die Nase noch immer trügen und wie sie Alles hervorsuchten, um sie zu kränken.

Aber trotzdem hörte hier jede Rücksicht auf. Die Menschlichkeit verlangte es – irgend eine andere Bekannte hätte ihr auch mit der Neuigkeit zuvorkommen können – und Frau Malveca – (ob wir nicht auch in unserer Heimath eine Menge derartiger Frau Malvecas haben?) betrat seit langer Zeit wieder zum ersten Mal das Haus ihrer früheren Freundin Espinoza, die wenige Minuten später ohnmächtig zu ihren Füßen lag.

Die Privatwohnungen der gebildeten Klassen in Quito sind ganz nach dem altspanischen Styl, aber so reizend als eigenthümlich gebaut, und bilden eigentlich – jede für sich – eine kleine isolirte Festung, die hermetisch gegen den Schmutz und das profane Treiben der Außenwelt abgeschlossen ist.

Die Front nach der Straße zu zeigt allerdings Fenster, aber wenn diese zu bewohnten Zimmern gehören, so sind sie jedenfalls verschlossen und dicht verhangen, und nur bei besonderen Gelegenheiten zeigen sich die Bewohner daran oder auf dem Balkon. Das Haus selber besteht dabei fast immer aus einer Frontbreite und zwei Seitenflügeln, die unmittelbar hinter der Hauptflucht einen kleinen Hof und dahinter einen mit allen möglichen Blumen und Fruchtbäumen geschmückten Garten einschließen, der wiederum durch eine hohe Mauer von den dahinter liegenden Gebäuden abgeschieden ist.

Die Häuser sind nur einstöckig, da Erdbeben doch nicht selten vorfallen – und so gebaut, daß die Tragbalken, welche die Decke des untern und die Diele des obern Stockes bilden, durch starke Bastseile fest mit einander verbunden werden, um ein geschlossenes Ganzes herzustellen, aus dem die Einzelheiten nicht so leicht herausbrechen. Ja einzelne Wohnungen hat man sogar nach Art der guajaquilenischen Häuser aufgerichtet, wo die Balken gegenseitig fest ineinander greifen, so daß ein solches Gebäude wohl total und im Ganzen umfallen, aber nie von einander gerissen werden und zusammenbrechen könnte.

Steinerne Treppen führen nach der breiten, gegen Hof und Garten liegenden Veranda des Hauses empor, und hier hinaus münden auch die Thüren der verschiedenen Zimmer. Auf dieser Veranda verbringen die Bewohner den größten Theil des Tages, und besonders sitzen sie hier an Sommerabenden, vollkommen gegen den Thau geschützt, und doch in freier Luft, abgeschieden in ihrem Familienkreis.

Hier saß auch an diesem Morgen Señora Espinoza mit ihrer lieblichen Tochter Ana, emsig beschäftigt Wäsche zu nähen, die sie dem Sohne mit nächster Post in das niedere Land schicken wollte, und glitt bei der Schreckensbotschaft leise auf den Boden nieder, daß Ana kaum zuspringen konnte, um sie vor einem härteren Fall zu bewahren.

Auf ihren Hilferuf sprang aber auch der Vater hinzu, der in der nächsten Stube an einer Staffelei beschäftigt stand, und Señora Malveca erschrak selber im ersten Augenblick über das Unheil, das sie angerichtet. Wie aber der Mann, die ohnmächtige Frau in Todesangst unterstützend, sie mit allen Liebesnamen nannte und in seinem Zorn über die rücksichtslose Schwätzerin ausrief: »Es ist ja nicht wahr, Querida – glaube doch dem alten boshaften Weibe nicht, das noch nie ein gutes Wort über unsere Schwelle getragen,« da brach sich der Zorn der würdigen Dame Bahn, und die Arme in die Seite stemmend und mit vor Ingrimm geröthetem Angesicht und fast erstickter Stimme rief sie aus:

»Dem boshaften Weibe? so? und das ist der Dank, daß meine Gutmüthigkeit mich herüber trieb, damit die Nachbarin nicht von andern Leuten gleich das Schlimmste erfahren sollte? – Aber Undank ist der Welt Lohn – und wenn ich das vorher gewußt, hätte sie's auch meinetwegen gleich von vornherein erfahren können, daß der saubere Herr Sohn in Bodegas als Spion gehängt ist.«

Es war ein Glück für die arme Mutter, daß jene wohlthätige Ohnmacht noch ihre Sinne deckte und die Tochter zu sehr von der augenblicklichen Angst für diese erfaßt wurde, um den entsetzlichen Sinn der letzten Worte gleich in ihrer ganzen Furchtbarkeit zu begreifen. Der Vater aber, als ob ihn nicht eigene Willenskraft, sondern eine fremde, unwiderstehliche Gewalt treibe, hob sich langsam empor und schritt ebenso auf die Frau zu. Vor dem festen Blick des Mannes wollte sie zurückweichen – aber sie vermochte es nicht – die Hand streckte sich nach ihrer Kehle aus, die Finger zuckten wie krampfhaft, als er mitten in dieser Bewegung einhielt und regungslos mit den gläsernen Augen nach der Treppe starrte.

»Vater!« rief da eine laute, fröhliche Stimme, »mein Vater!« und nur »Benito« konnte er flüstern, als der starke Mann seine Kniee unter sich zittern fühlte, aber von den Armen des ihn umschlingenden Sohnes aufrecht gehalten wurde.

Nur ein Moment von Schwäche war es gewesen, der ihm beim Anblick des Sohnes in diesem Augenblick fast die Besinnung raubte. Schon in der nächsten Secunde richtete er sich wieder fest und stark empor.

»Was geht hier vor?« fragte Benito, jetzt selber erschreckt, als er die Mutter bleich und regungslos in den Armen der Schwester sah.

»Die Nachricht Deines Todes,« sagte der Vater, »die dieses Weib da hergetragen. – Stehen Sie noch da, um sich Ihr Werk zu betrachten, und wollen Sie mich denn zwingen, Sie die Treppe hinab zu werfen?«

Señora Malveca mochte doch wohl fühlen, daß sie hier eine eben nicht glänzende Rolle spiele, aber von wo auf einmal der todtgesagte Sohn hereingeweht sein konnte, das blieb ihr ein Räthsel. Was kümmerte sie das Glück oder Leid der Familie? Ihr größter Aerger war die thatsächlich widerlegte Neuigkeit, und in dem Augenblick hätte sie vielleicht ein Jahr ihres eigenen Lebens darum gegeben, wenn der junge Espinoza wirklich von Franco gehängt gewesen wäre. Er stand aber zu lebendig vor ihr, um darüber auch noch den leisesten Zweifel zu gestatten; die Behandlung, die sie erlitten, schien ihr empörend, und mit einem zornfunkelnden – »Señor, ich verachte Sie!« machte sie eine kurze und rasche Schwenkung der Treppe zu.

So ganz ohne Schwertstreich konnte sie sich aber nicht zurückziehen – ihr Naturell duldete das nicht – Damen sind überhaupt reizbar, und schon auf der Treppe rief sie noch einmal zurück: »Und wenn er wirklich nicht gehängt ist, so hat er es doch sicherlich verdient.«

Der alte Espinoza that einen Schritt auf das Weib hin, aber Benito ließ seine Hand nicht los, und ihn zur Mutter ziehend, kniete er neben ihr nieder, küßte ihre kalte Stirn und rief sie mit den Schmeichelnamen seiner Kindheit endlich in's Leben zurück.

Was für selige Augenblicke feierten die glücklichen Menschen jetzt! Staunend sah die Mutter noch eine Weile umher, wie ein Traum kam es ihr vor, daß ihres theuern, schon verloren geglaubten Kindes Haupt an ihrem Herzen ruhte. Aber so lähmend wie der Schmerz vorher gewirkt hatte, so belebend wirkte die Freude jetzt, und in den Lehnstuhl gehoben, Benito an ihrer Seite knieend, senkte sie ihre Stirn auf seinen Kopf und küßte wieder und wieder die dunkeln Locken, die treuen Augen des geliebten Kindes.

Darauf mußte Benito erzählen; aber von dem Moment erregt und in der Sorge, der Mutter noch mehr Angst zu bereiten, that er das mit einem so glücklichen Humor und sprang mit solcher Leichtigkeit über die peinlichen Momente seiner Gefangennahme und Flucht hinweg, daß er selbst der Mutter durch seinen Bericht hier und da ein Lächeln auf die Lippen rief.

Von Celita und Jacinta schwieg er jedoch; er brachte die Namen nicht über seine Zunge und sprang desto schneller zu der Zeit über, wo er die Seinen wieder in Guaranda – wohin sich die kleine Besatzung von Bodegas zurückgezogen – eingeholt. Der dort Commandirende hatte ihn dann mit einem frischen Pferd weiter geschickt, um hier dem Directorium selber zu melden, was er gesehen und gehört. Benito war nur zuvor zur Begrüßung der Eltern geeilt und gerade zur rechten Zeit gekommen, um schweres Leid von ihnen abzuwenden. Augenblicklich mußte er wieder fort, um seine Pflicht zu erfüllen.

Und sein Retter? – Wer war es? wie hieß er? daß ihn die Mutter in ihr Gebet aufnehmen konnte.

Wer es war? Ein Officier in Franco'schen Diensten – wie er hieß? – Beim Himmel! Benito hatte nicht einmal seinen Namen im Drange der Ereignisse erfragt.



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