Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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31.

Das Verhör.

»Sehen Sie, caro amigo,« rief Fortunato, als er am Abend des nämlichen Tages, seinen Arm in den des Freundes gelegt, mit Espinoza und de Castro am luftigen Ufer des Stromes herumwandelte – sie kamen eben von dem jungen Villegas, den sie schon wieder außer Gefahr und nur noch vom Blutverlust erschöpft vorgefunden hatten – »sehen Sie, daß ich damals Recht hatte, als ich Ihnen sagte, ich führte meinen Namen mit Recht, wo es sich um Andere handle, ich wäre aber nichts weniger als glücklich in meinen eigenen Angelegenheiten.«

»Aber so ganz Recht haben Sie doch nicht,« lachte Espinoza, »denn Ihre Flucht aus Franco's Gewalt in das Bananengebüsch hinein macht doch eine glänzende Ausnahme.«

»Und ebenso der rasch erworbene Majorsrang,« fügte de Castro hinzu.

»Bah,« erwiderte Fortunato, »Ihr habt gut reden; meine Flucht gelang nur, damit ich Flores mit zum Sieg verhelfen sollte, und mein Majorsrang – was hilft mir der, wenn der Krieg zu Ende ist. Allerdings klingt er schön, aber das ist auch Alles, und was hab' ich davon, wenn ich in Friedenszeiten einen Haufen roher Rekruten einexerciren und mich mit den holzköpfigen Kerlen abärgern kann. – Aber wie Gott will, und vielleicht finde ich auch noch eine andere Beschäftigung, daß ich den Soldatenstand ganz an den Nagel hängen kann. Apropos – was habt Ihr Beide denn heute den ganzen Tag getrieben?«

Espinoza seufzte tief auf.

»Vergebens ein Wesen gesucht,« sagte er, »dem ich in meinem ganzen Leben kaum das wieder gut machen kann, was ich an ihr gesündigt habe.«

»Jacinta?«

»Sie ist in Guajaquil,« fuhr Espinoza fort, »de Castro hat sie heute Morgen gesehen und wiedererkannt, aber umsonst haben wir Beide alle Winkel und Ecken der ganzen Stadt abgesucht. Entweder hält sie sich absichtlich verborgen, oder sie hat vielleicht Guajaquil, um der wilden Soldatenwirthschaft zu entgehen, wieder auf irgend einer Balsa verlassen.«

»Heute?« sprach Fortunato kopfschüttelnd, »wo alle Balsas von entlassenen Franco'schen Soldaten in Beschlag genommen sind? – nimmermehr. – Aber der Teufel,« rief er plötzlich und faßte des Freundes Arm – »jetzt fällt mir wieder etwas ein, worüber ich mir schon den ganzen Morgen den Kopf zerbrochen habe. Es war wahrhaftig der Bursche aus Derecha.«

»Welcher Bursche?«

»Jacinta's Pflegevater,« rief Fortunato. »Wie ich heute Morgen einen Augenblick bei Ibarra gewesen war und ihn gerade verließ, begegnete mir auf der Treppe ein Ecuadorianer, dessen Gesicht mir merkwürdig bekannt vorkam; aber ich hatte andere Dinge im Kopf – bis ich mich nachher darauf besann, wo ich den Menschen eigentlich schon gesehen hätte – und jetzt weiß ich's – der war's und kein Anderer, und wenn Ibarra ihn kannte, so haben wir seine Spur, Amigo!«

»Meine arme Jacinta,« rief der junge Mann, »blutige Thränen möchte ich weinen, wenn ich daran denke, wie treu sie an mir hing, während ich in blinder, toller Leidenschaft jenem kalten, herzlosen Geschöpf zu Füßen lag, die in derselben Zeit mit dem Mulatten kokettirte, nur weil sie hoffte, daß er ihr Rang und Schätze verschaffen könnte.«

»Seien Sie froh, daß Sie so billig losgekommen sind,« lachte Fortunato, »viel schlimmer wäre es für Sie gewesen, wenn Ihnen Ihre himmlische Celita Herz und Hand und eine Schwiegermutter und eine Schwägerin geschenkt hätte, denn wer sie heirathet, muß die anderen Beiden mit in den Kauf nehmen.«

»Geht da drüben nicht der Doctor Ruibarbo?« fragte de Castro, mit der Hand über die Straße deutend.

»Wahrhaftig, das ist er – und in was für ruppiger Gesellschaft,« erwiderte Fortunato – »wo er die beiden Knechte nur aufgetrieben hat, und wie angelegentlich er sich mit ihnen unterhält. Er sieht uns nicht einmal. Der hat jetzt alle Hände voll zu thun und scheint mit der neuen Regierung schon so gut zu stehen und sich so wohl darunter zu befinden, wie unter der alten. Er ist doch wahrhaftig mit allen Hunden gehetzt und in allen Sätteln gerecht.«

»So leicht wird er seinen saubern Neffen aber morgen nicht durchbringen,« warf Espinoza ein. »Die Beweise gegen ihn sind doch zu schlagend, und ich begreife überhaupt nicht, was sich für ihn sagen ließe.«

»Dafür lasse nur Doctor Ruibarbo sorgen,« lachte de Castro – »wenn irgend etwas aufzutreiben ist, der treibt's auf, und wo er mit der Zunge fechten kann, bleibt er fast immer Sieger. Das Einzige, was ich nicht begreifen kann, ist die Ursache von Malvecas Desertion und Flores zu verlassen, um sich diesem schuftigen Mulatten zuzuwenden. Seine Familie lebt in Quito – alle seine Interessen liegen dort.«

»Seine Interessen liegen eben nicht dort,« sagte Espinoza bitter, »sondern in und um Guajaquil, und zwar in Folge eines nichtswürdigen Processes, mit dem er unsere Familie fast um Alles, was wir besaßen, ein Haus in Guajaquil, eine sehr bedeutende Cacaoplantage in der Nachbarschaft und eine Besitzung, nahe bei Daule – gebracht hat. Nur unser kleines Haus in Quito mußten sie uns lassen. In der quitenischen Armee war die Sache auch allbekannt, und keiner seiner Kameraden wollte mehr recht freundschaftlich mit ihm verkehren. Das aber wurde noch ärger, als er in Bodegas einst jenes arme Mädchen, die Jacinta, auf eine freche Weise beleidigte und meine Herausforderung nachher – ein Gelübde vorschützend – nicht annahm. Damit war dem Faß der Boden ausgestoßen. Hatte man ihn früher, wo das anständiger Weise ging, gemieden, so wurde dadurch seine Stellung vollkommen unhaltbar, und es ist deshalb leicht erklärlich, daß er Franco's Waffen den Sieg wünschte und endlich selber zu ihm überging. Mich hat er aber um Alles gebracht, was ich einst mein nennen konnte, und Alles, was ich jetzt im Stande bin, der armen Jacinta zu bieten, ist ein reuiges, aber treues Herz.«

»Und was verlangen Sie mehr in Ecuador?« rief Fortunato. »Sie sind jung und kräftig, und unser schönes Vaterland bietet wahrlich Hülfsmittel genug, um mit bescheidenen Ansprüchen ein Leben zu beginnen. Schätze birgt unser Boden wie vielleicht kein anderes Land der Welt, und haben wir nur ein Herz, das an uns hängt und Leid und Freude mit uns theilen mag, so darf das Andere uns keine Sorge machen. Ich wollte, ich hätte ein solches Herz, dann würde ich arbeiten wie ein Sclave, und mich stolz und selig dabei fühlen. Aber es schadet nichts« – brach er lachend ab – »vor der Hand hätte ich nicht einmal Zeit, mich damit zu befassen. Jetzt muß ich vor allen Dingen Ihre Jacinta – es ist ein allerliebster Name – aufzufinden suchen; denn da ich eigentlich die Schuld trage, daß Sie der menschlichen Gesellschaft, der Franco Sie gern entreißen wollte, noch angehören, so habe ich damit auch die moralische Verpflichtung übernommen, Ihnen das Leben so angenehm als möglich zu machen.«

»Ich würde Ihnen ewig dankbar dafür sein, wenn Sie Jacinta fänden.«

»Ewig?« sagte achselzuckend Fortunato, »das ist ein merkwürdiges Wort mit einem außerordentlich elastischen Begriff. Celita schwor mir ewige Treue, und die ganze Geschichte dauerte keine vierzehn Tage. – Aber da wären wir gerade vor dem Hause der vielfach Angebeteten. – Apropos, de Castro, haben Sie ihr nie den Hof gemacht?«

»Ich bedauere, es nicht eingestehen zu können.«

»Schade,« fuhr Fortunato fort, »sonst wären wir hier ein merkwürdiges Trifolium. Aber was sagen Sie, Espinoza, wollen wir nicht hinaufgehen und den Damen unsern Besuch machen?«

»Aber, Fortunato!«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir auf das Liebenswürdigste empfangen würden. Wahrhaftig, wenn Celita ihre früheren Anbeter nicht mehr sehen wollte, so müßte sie jeden Verkehr mit der civilisirten Welt abbrechen. Aber es ist vielleicht schon etwas zu spät; – so gehen wir denn lieber schlafen. Ich muß doch morgen bei Zeiten auf dem Platz sein, um zu sehen, ob Villegas bei dem Verhör erscheinen kann, denn sein Zeugniß ist wichtig und wird dem Herrn Doctor Ruibarbo zu schaffen machen. Also gute Nacht, Compañeros, und wenn nicht früher, sehen wir uns jedenfalls in der Gerichtssitzung wieder.«

Daß an dem nächsten Morgen ein höchst interessanter Fall öffentlich verhandelt werden sollte, war rasch in der ganzen Stadt bekannt geworden, und da Malveca's Name häufig aus dem früheren Prozesse mit den pikantesten Nebenumständen bekannt war, so fand sich die »gute Gesellschaft« Guajaquils zu der Verhandlung so zahlreich ein, daß die im Saal vorhandenen Stühle fast nur von den Damen besetzt wurden und nicht einmal für diese ausreichten.

Das Gericht war zur Hälfte ein Kriegs-, zur Hälfte ein Civilgericht, denn da sich die Stadt noch im Belagerungszustand befand, präsidirte der General, von seinen höheren Officieren umgeben, während die Civilrichter, die früher von Franco entfernt, von Flores aber schon wieder eingesetzt waren, sich um diese gruppirten und so das Tribunal vervollständigten.

Um gute Plätze zu bekommen, hatten sich die Zuschauer schon lange vor der Zeit eingefunden, und auch Señora Ruibarbo mit ihrer Schwester und ihren beiden Töchtern fehlte nicht. Der Doctor hatte ihnen so glänzende Zusicherungen von den Beweisen gegeben, die er für die Unschuld seines Neffen beibringen würde, daß die Familie doch bei einem solchen Triumph nicht fehlen durfte. Außerdem wünschte aber Señora Buscada nichts sehnlicher, als daß Flores ihre Tochter Celita sehen sollte; denn daß er sie in ihrem eigenen Hause aufsuchen würde, hatte Ruibarbo selber für sehr zweifelhaft gehalten, und sie wußte es so einzurichten, daß die kleine Gesellschaft so nahe als irgend möglich dem präsidirenden General gegenüber zu sitzen kam.

Mit dem Schlage neun Uhr erschien Flores, von seinen Officieren gefolgt, von denen ein Theil neben und hinter ihm Platz nahm, während sich die Uebrigen im Saal, so gut es ging, vertheilten. Nur Fortunato kam später, und zwar in Begleitung eines jungen Mädchens und eines älteren Eingeborenen, für die er noch mühsam einen Platz erkämpfte. Aber Niemand beachtete ihn, denn in diesem Augenblick gerade wurde der Gefangene hereingeführt, der, noch in quitenischer Officiersuniform, von Doctor Ruibarbo gefolgt, mit großer Zuversicht durch die ihm Raum gebende Menge schritt und einzelne junge Damen seiner Bekanntschaft dadurch in nicht geringe Verlegenheit setzte, daß er ihnen auf das Freundlichste und Vertraulichste zunickte. Ja, wenn er sich erst von seiner Anklage gereinigt haben würde, wäre er der Held des Tages gewesen, und seine Bekanntschaft würde gesucht und geschätzt worden sein. Noch aber wußte man ja nicht, wie sich Alles gestalten konnte, und man durfte sich doch nicht vorschnell compromittiren.

Es dauerte einige Zeit, bis sich im Saal Alles beruhigt hatte, und Fortunato schritt indessen, um zu seinem Platz zu gelangen, quer hindurch, wo in der Mitte ein freier Raum für den Angeklagten, seinen Vertheidiger und die Zeugen gelassen war. Dort mußte er dicht an Señora Buscada vorüber, die allerdings that, als ob sie ihn nicht sähe. Fortunato war aber nicht der Mann, sich eine Gelegenheit entgehen zu lassen, die Señora Buscada zu ärgern, was er, wie er recht gut wußte, am besten durch seine Begrüßung und Anrede erreichte, und mit der freundlichsten Miene von der Welt sagte er daher, indem er vor ihr stehen blieb:

»Ah, Señorita, Ihr Anblick thut kranken Augen wohl. Nun, haben Sie sich auch eingefunden, um Zeuge des Triumphes Ihres Neffen zu sein? Donna Celita – Donna Teresa, ich habe die Ehre, mich Ihnen zu Füßen zu legen.«

»Señor Fortunato!« rief Señora Buscada wie erstaunt. »Das ist ja eine Ueberraschung. Wie mir scheint, wechseln Sie die Uniform je nach Umständen.«

»Ich war in einer zu guten Schule, um das nicht gelernt zu haben, Señora, und da unser gemeinschaftlicher Freund – Seine Excellenz, Sie wissen schon – das Weite gesucht hat, setzen wir Beide das Geschäft in der alten Weise fort.«

»Señor, ich muß Sie dringend bitten –«

»Wir Beide brauchen uns ja nicht zu verstellen, Señora – aber, Donna Celita, wie blühend und wunderschön Sie aussehen. Man sollte wahrhaftig nicht glauben, daß erst in der vorletzten Nacht alle Ihre Hoffnungen und Träume geknickt wurden.«

»Señor Fortunato,« erwiderte Celita, sich auf die Lippen beißend, indem sie nach einer ganz andern Richtung hinübersah. »Sie sind – unausstehlich – wie gewöhnlich –«

»Und Sie selbst in Ihrem Zorn schön. – Ah, Señora Ruibarbo, noch habe ich ja gar nicht Gelegenheit gehabt, Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu Füßen zu legen. Aber so sehr ich auch Doctor Ruibarbo's Glück erkenne, Señora – Neid ist meinem Herzen fern.«

»Señor Fortunato,« sagte die Dame kalt – »ich hatte wenigstens geglaubt, daß Sie keinen Staat mit dem raschen Wechsel Ihrer Uniform machen würden.«

»Thu' ich auch nicht, Señora, wunderbar nur ist, daß ich mich der vorigen nicht schämte. Ich habe aber wenigstens alles in meinen Kräften stehende gethan, um den früheren Fehler gut zu machen, denn durch eine von mir erdachte Kriegslist wurde der kleine Mulatte bei Tucumbo geschlagen; auch kann ich von mir behaupten, daß ich neulich Abends durch in der Stadt geblasene falsche Signale nicht unwesentlich dazu beigetragen habe, den Einzug des General Flores zu erleichtern. Außerdem schoß ich im ehrlichen Kampf den dicken Major vom Pferde – Sie sehen daraus, daß ich meine früher begangenen Fehler, so viel ich konnte, zu verbessern suchte.«

Señora Ruibarbo war vor innerer Aufregung todtenbleich geworden, aber die Klingel des Richters machte jede Fortsetzung des Gesprächs unmöglich. Fortunato mußte seinen Platz einnehmen, was er nach einer tiefen – aber leider unerwiderten Verbeugung gegen die Damen that, um sich dicht hinter Flores zu stellen, wo er, so lange das Verhör dauerte, blieb.

»Wer waren die Damen, mit denen Sie sich eben unterhielten?« frug ihn Flores, sein Gesicht ihm halb zukehrend.

»Die junge Frau des Doctor Ruibarbo – oder die alte Wittwe Entonza – und die hübsche Sirene Celita Buscada, die ihre Netze nur nach Goldfischen auswirft – vor einigen Tagen noch die halberklärte Braut Franco's. Es sind ein paar höchst interessante Damen, die freilich mit dem Sturz des Usurpators auf so lange Zeit Alles eingebüßt haben, bis sie das Verlorene – mit der neuen Regierung wieder ersetzen können.«

»In der That?« lächelte Flores und warf einen Blick nach den Damen hinüber, der Señora Buscada's Herz mit Gift und bitterer Galle füllte. Hätte sie den Verräther Fortunato noch mehr hassen können, als es schon der Fall war – diesem Blick würde er es verdankt haben.

Das Verhör begann aber jetzt und nahm die Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch. Die Anklageakte wurde nämlich durch einen der Beamten verlesen und Malveca der Desertion und des Verraths an dem quitenischen Heer angeklagt, keine Silbe aber dabei von dem aufgefangenen Brief erwähnt, der eigentlich die Ursache der Flucht des Gefangenen gewesen war.

Doctor Ruibarbo, in allen Sätteln gerecht, hatte seinen Neffen übrigens vermocht, ihm die Vertheidigung zu überlassen, und so trat er denn gleich nach Beendigung der Verlesung auf und frug, weshalb die wichtigste Anklage gegen Señor Malveca, der sich von der Beschuldigung der Desertion leicht reinigen könne, fallen gelassen sei. Er forderte vor Allem die Vorlegung jenes Briefes, der die erste Ursache zu einem so schmählichen und unwürdigen Verdacht gegeben habe, und wie er Gerechtigkeit für seinen Clienten verlange, so wolle er auch, daß nicht ein Makel später an ihm haften bliebe.

Doctor Ruibarbo glaubte nämlich, daß das Papier, nach dem, was ihm Flores gestern mitgetheilt hatte, verlegt und nicht wieder aufgefunden sei; der General erhob sich aber und sagte mit ruhiger Stimme:

»Ich habe, um die Sache abzukürzen, eine Anklage dieses Schriftstücks wegen fallen lassen, da die Handschrift jedenfalls verstellt ist und ein Beweis schwer zu führen sein wird. Wenn es aber der Vertheidiger wünscht und verlangt, so können wir ihm auch damit dienen. Das Papier hat sich nämlich wiedergefunden, Señor Ruibarbo, und Señor Malveca steht also unter der doppelten Anklage eines beabsichtigten und ausgeführten Verrathes.«

Dem Doctor war das nichts weniger als angenehm, aber er wußte seinen Verdruß vortrefflich zu bemänteln und rief:

»Desto besser, desto besser, dann wird es auch leicht werden, den Beweis des Gegentheils zu führen. – Sie erlauben mir wohl, jenes Schriftstück einmal anzusehen.«

»Gewiß – wollen Sie nur an den Tisch treten.«

Der Doctor folgte der Aufforderung und frug dann, nachdem er einen flüchtigen Blick darauf geworfen –

»Und wagt irgend Jemand zu behaupten, daß dies hier meines Neffen Handschrift sei?«

Fortunato bog sich zu Flores hinüber und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. – Der General wandte sich fragend zurück und Jener nickte mit dem Kopf. Señora Buscada war dies kurze Zwischenspiel nicht entgangen.

»Nun,« sagte der General, »wir wollen diesen Punkt bis nachher lassen, und ich werde dann Señor Malveca ersuchen, Einiges in seiner gewöhnlichen Handschrift niederzuschreiben.«

»Ich habe einige Briefe von ihm bei mir,« warf Doctor Ruibarbo ein.

»Dürfte ich Sie bitten, mir dieselben zum Vergleich zu lassen?«

»Mit Vergnügen, General – sie waren nur zu dem Zweck mitgebracht.«

»Gut – legen Sie dieselben nur dort auf den Tisch, und nun, Señor Malveca, bitte ich Sie, sich von der Anklage zu reinigen, daß Sie an jenem Tage von unserer Armee desertirt und absichtlich zu dem in Waffen stehenden Rebellenheer übergegangen sind. Welche Beweise haben Sie, um uns zu überzeugen, daß Ihre Flucht nicht freiwillig war; ja, welche Ursachen können Sie überhaupt angeben, weshalb Sie sich aus der Stadt entfernten?«

»Die Sache ist zu einfach,« entgegnete Malveca, »um vieler Worte zu bedürfen. Als ich über die Plaza Guarandas schritt, von der aus man einen Theil des nach Tucumbo führenden alten Weges übersehen kann, glaubte ich eine Gestalt zu bemerken, die sich in den Gebüschen versteckt hielt. Einen Franco'schen Spion vermuthend, bestieg ich mein schon gesattelt stehendes Pferd und ritt rasch dahin, als plötzlich etwa ein Dutzend Burschen aus dem Busch sprangen, meinem Pferd in die Zügel fielen und mich aus dem Sattel rissen. Weiter weiß ich mich auf nichts zu besinnen, denn ein Schlag betäubte mich, und als ich wieder zu mir kam, fand ich mich gebunden in des Feindes Gewalt.«

»Gebunden?«

»Allerdings; erst später ließ man mich auch – natürlich unter Bewachung – frei umhergehen, aber bald darauf wurde ich wieder, Gott weiß aus welchem Grunde, gefesselt, mißhandelt und in ein dumpfes Loch geworfen, wo unsere Truppen mich nachher gefunden haben. Wie das ein Beweis sein kann, daß ich meine eigenen Kameraden verrathen hätte, vermag ich nicht zu begreifen.«

Es wurden jetzt der Hauptmann Belconza und einige quitenische Soldaten als Zeugen aufgerufen, welche die näheren Umstände der Flucht des Gefangenen an jenem Morgen angeben sollten. Da Malveca aber selber schon zugestanden hatte, daß er fortgeritten sei, um rasch jenen vermutheten Spion einzuholen, so konnte nichts Neues durch ihre Aussagen ermittelt werden. Doctor Ruibarbo ersah den Vortheil und begann deshalb mit seinem freundlichsten Lächeln:

»Erlauben Sie mir, verehrte Herren, Ihnen zu bemerken, daß wir bis jetzt nur Leute vernommen haben, die nichts von der Sache wissen. Ich dagegen bin im Stande, Ihnen einen Theil jenes Streifcorps, das den Señor Malveca gefangen nahm, zu stellen. Alle waren freilich nicht mehr aufzutreiben, denn viele sind geblieben, andere geflüchtet. Kommt nur her, meine Burschen,« rief er sodann, sich umdrehend, und drei Franco'sche Soldaten, in abgerissenen, schmutzigen Uniformen, mit Gesichtern, als ob sie eben vom Galgen geschnitten wären, traten – augenscheinlich verlegen, sich hier in so anständiger Gesellschaft zu befinden – vor, um dem Ruf Folge zu leisten.

Dem Doctor selber mochte ihre Erscheinung früher nicht ganz so trostlos vorgekommen sein, wie sie ihm in diesem Augenblick erschien, denn er wurde sichtlich ein wenig befangen. Aber es war nicht von langer Dauer, und mit seiner gewöhnlichen Gewandtheit blickte er gleich darauf freundlich auf die Leute und bat sie, hier »frei und ohne Furcht« zu erzählen, was sie über die Gefangennahme des Herrn da wüßten. General Flores habe ihnen ihre volle Freiheit zugesichert, und sie würden deshalb nach abgelegtem Zeugniß ruhig ihrer Wege gehen können.

»Ja, meine Burschen,« unterbrach ihn Flores mit seiner metallreichen Stimme, »der Herr da hat vollkommen Recht. Wenn Ihr hier die Wahrheit sagt, was Ihr auch persönlich gethan haben mögt, so soll Euch nichts geschehen und Ihr könnt unbelästigt in Eure Heimath zurückkehren; stellt sich aber später heraus« – fuhr er mit erhobener Stimme fort – »daß Ihr aus irgend einem Grund einen falschen Bericht gegeben habt, dann möchte ich gerade nicht in Eurer Haut stecken, und was dann mit Euch geschieht, hängt von den Umständen ab.«

So ruhig die Worte gesprochen waren, machten sie doch einen bemerkbaren Eindruck, und es schien fast, als ob sogar der Doctor einen Moment die Farbe wechselte. Jedoch schon im nächsten wandte er sich wieder lächelnd zu den Leuten mit den Worten:

»Ihr seht, Kinder, der General selber bestätigt mein Versprechen, und nun seid so gut und erzählt uns so kurz als möglich das Zusammentreffen an jenem Morgen mit dem Herrn da.«

Die drei Burschen flüsterten einen Augenblick mit einander, dann trat der eine von ihnen einen Schritt vor und berichtete, ohne jedoch dabei die Augen aufzuschlagen, die Gefangennahme Malveca's ungefähr so, wie sie dieser selber vorher angegeben hatte. Der General forderte ihn endlich auf, ihn dabei anzusehen, was dem Zeugen jedoch erst nach einiger Anstrengung gelang.

Einer der Beisitzer richtete nun ein paar Kreuzfragen an ihn, aber ohne ihn irre machen oder zu einer verschiedenen Aussage bringen zu können. Auch die anderen Beiden wurden befragt, aber auch sie widersprachen sich nicht ein einziges Mal und blieben fest und hartnäckig bei dem einen Punkte stehen, daß sie auf der Streifpatrouille gewesen wären und den Officier vom Pferde geschlagen und gefangen hätten.

Fortunato war, gleich nachdem das Verhör begann, von seinem Platze verschwunden, um hinter den Zuschauern die nächste Thür zu erreichen. In dieser erschien er nun mit einem jungen bleichen Manne, der den Kopf verbunden und auch den Arm in einer Binde trug, und machte ihm freundlich Bahn bis zu einer Stelle, wo ein Durchgang nach dem innern Kreis offen gelassen war und wo ein Polizeisoldat auf Wache stand. Von dort hörten Beide die Aussagen der Soldaten an.

»Kennen Sie Keinen der Leute?« flüsterte Fortunato seinem Begleiter zu.

Villegas lächelte.

»Ich glaube, ich bin zu rechter Zeit gekommen, und wäre es auch nur, um dem Doctor Ruibarbo einen Strich durch die Rechnung zu machen. Aber warten Sie noch etwas – lassen Sie die Schufte nur erst zu Ende kommen, nachher werde ich mir erlauben, eine Frage an einen von ihnen zu richten.«

»Nicht wahr, sie lügen?«

»Kein Wort ist wahr von dem, was sie erzählen – aber ruhig, damit ich sie verstehen kann.«

Der erste Zeuge hatte sich eben dazu bekannt, selber derjenige gewesen zu sein, der den Officier vom Pferde geschlagen habe, weil sie gefürchtet hätten, er würde in die Stadt zurücksprengen und sie verrathen, als Villegas Fortunato's Arm ergriff und ihm zuflüsterte:

»Jetzt, Compañero – jetzt ist es Zeit,« und langsam vortretend, ohne weder den General noch den Doctor weiter zu beachten, ging er auf den Soldaten zu, bis er dicht vor ihm stand, und sagte:

»So, Lorenzo? Du bist also mit auf der Streifpatrouille gewesen, die den Officier da eingebracht hat? Und hast Du ganz vergessen, daß Du gerade mein Pferd füttertest, als der Herr da mit zwei Begleitern, aber nicht gebunden, nach Camino real hereingesprengt kam, und daß Du zu mir in's Haus tratest und mir meldetest, es wäre eben ein Ueberläufer, ein Officier von Flores, angekommen?«

»Señor, ich – ich weiß nicht,« stammelte der Unglückliche und bekam eine vollkommen aschgraue Färbung.

»Señor Villegas!« rief zugleich der Doctor erschreckt, denn jetzt zum ersten Mal verließ ihn seine Geistesgegenwart. Ein dumpfes, unheilverkündendes Murmeln durchlief die Versammlung, als Flores' helle Stimme den Lärm übertönte:

»Doctor Ruibarbo,« – und ein leichtes spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen – »Ihre Zeugen scheinen nicht so ganz tactfest zu sein. – Ibarra, Sie haben wohl die Freundlichkeit, dafür zu sorgen, daß die drei wackeren Burschen in Gewahrsam bleiben. Dürfte ich nun wohl Herrn Malveca ersuchen, ein paar Worte, die ich ihm dictiren werde, nachzuschreiben.«

»Herr General,« rief der Doctor in sichtbarer Aufregung – »ich muß gegen ein Verfahren protestiren, das –«

»Ihnen den Hals kosten kann, wenn Sie sich noch weiter compromittiren, Doctor Ruibarbo,« unterbrach ihn Flores – »weigern Sie sich zu schreiben, Señor Malveca?«

»Gewiß nicht, General,« antwortete Malveca ruhig – »welche Intrigue auch gegen mich gespielt wird, ich werde sie mit meinem guten Recht zu Schanden machen.« – Und mit festen Schritten ging er zu dem Tisch und nahm die Feder auf.

»Dürfte ich Sie um das Papier bitten, Major,« sagte Flores darauf zu Fortunato, und dieser reichte ihm einen nicht mehr sehr reinlichen Brief, der so aussah, als ob er irgendwo unter einer Dachtraufe gelegen hätte. Flores faltete ihn langsam und vorsichtig auseinander, überlas ihn, wobei er leise und nachdenkend mit dem Kopf nickte, und sagte dann: »Malveca, sind Sie bereit?«

»Ja wohl, Señor.«

»Nun gut, dann schreiben Sie, bitte, die folgenden Worte: »»General – meinem Versprechen gemäß erhalten Sie hier eine wichtige Nachricht«« – haben Sie Nachricht?«

»Ja,« und Malveca sah scheu zu dem General empor.

»›Wir liegen hier in Guaranda,‹« fuhr Flores dictirend fort, »›aber nur mit fünfzig Mann, die nicht im Stande sind, den offenen Platz zu vertheidigen. Espinoza, den Sie zum Tode verurtheilt haben, ist leider entflohen. Er kam hier durch und wurde von unserem Hauptmann direct nach Quito gesandt, um von dort Verstärkung herbeizuholen. Rücken Sie schnell auf Guaranda, so können Sie reiche Beute machen, denn das ganze Nest steckt voll von Waaren. Zögern Sie mit dem Angriff, so verlieren Sie Alles und finden außerdem die Höhen zwischen hier und Bodegas besetzt. Der Bote ist zuverlässig – schicken Sie mir Antwort. Ihr getreuer‹« – aber Sie schreiben ja gar nicht mehr? – hier im Brief steht weiter nichts mehr als die Unterschrift – ›Malveca‹« –

Todtenstille herrschte im weiten Saale – Niemand regte sich, selbst der Doctor war leichenblaß geworden, und Señora Ruibarbo zog ein Riechfläschchen hervor, um ihre Nerven zu stärken.

»Es ist falsch!« schrie Malveca, indem er die Feder hinwarf, mit heiserer, fast tonloser Stimme – »eine schändliche, nichtswürdige Intrigue – der Brief ist nachgemacht.«

»Doctor, dürfte ich Sie vielleicht bitten, hierher zu treten und dieses Schreiben mit den von Ihnen gebrachten Briefen zu vergleichen,« sagte Flores, der die beiden Schriftstücke neben einander in der Hand gehalten hatte.

Der Doctor behielt kaum so viel Fassung, der Aufforderung zu folgen, und sagte zögernd:

»Aber ich begreife nicht, General, woher auf einmal ein Brief kommt, der gar nicht in der Anklage enthalten ist.«

»Major, haben Sie Ihren Zeugen zur Hand?«

»Zu Befehl, Herr General,« erwiderte Fortunato, indem er durch den Saal schritt, zwischen die Zuschauer trat und dort die Hand eines jungen Mädchens ergriff, das scheu zurückzuweichen schien. Ein paar Worte genügten jedoch, ihr Vertrauen einzuflößen, und Fortunato, ihren Arm in den seinen ziehend, führte sie jetzt dicht an Señora Buscada und Celita vorüber, die gerade aufstanden und ihre Sitze verlassen wollten.

»Jacinta!« rief da eine Stimme, und des Mädchens Wangen färbten sich purpurrot; Fortunato aber wandte sich lächelnd an die alte Señora und Celita mit den freundlichen Worten:

»Bitte, bleiben Sie noch, meine Damen, Sie versäumen sonst eine höchst interessante Scene.« Beide Damen schienen aber genug gesehen zu haben, und von Teresa gefolgt – Señora Ruibarbo hielt die Angst um ihren Gatten noch zurück – verließen sie gleich darauf den Saal, ohne daß sich Jemand um sie bekümmert hätte.

»Und Sie, Señorita,« fragte Flores, freundlich auf die zitternde Gestalt der Jungfrau blickend, »sollen uns also Auskunft über diesen Brief geben? Bitte, fürchten Sie sich nicht. Sie stehen hier unter unser Aller Schutz. Wie kam er in Ihre Hände?«

»Es war,« flüsterte Jacinta, »an jenem Morgen –«

»Lauter, mein Kind, ich selber verstehe kaum, was Sie sagen, und die anderen Herren können kein Wort davon hören. Fassen Sie Muth, Sie sind unter Freunden.«

Jacinta schwieg einen Augenblick. Sie mußte sich erst sammeln, um die Scheu zu überwinden, vor einer so großen Versammlung, in der Aller Augen auf sie gerichtet waren, zu reden. Der gefundene Brief, sowie die von Ruibarbo gebrachten gingen indessen unter den Richtern und den Officieren von Hand zu Hand. Endlich hatte das junge Mädchen ihre augenblickliche Schwäche bezwungen und erzählte jetzt mit ziemlich lauter und fester Stimme die Vorgänge jenes Morgens, von denen der neben ihr stehende Fortunato zum Theil Zeuge gewesen war. Sie hatte gefürchtet, daß der Brief, den sie zufällig entdeckt hatte, Verrath gegen die quitenische Regierung, gegen ihr Vaterland bezweckte, da er an den Erzfeind des Landes gerichtet war, und hatte ihn deshalb an sich genommen. Später habe sie ihren Verdacht bestätigt gefunden und den Brief bewahrt, bis an diesem Morgen der Officier, der sich schon früher freundlich gegen sie gezeigt habe, sie aufgefunden und von ihr das Schreiben erhalte habe. Derselbe habe sie dann hierher geführt. Weiter wisse sie nichts.

Ihre Erzählung war so schlicht und einfach gewesen, daß auch kein Mensch im Saal an ihren Worten zweifelte, die Fortunato jetzt selber noch bestätigen und ergänzen konnte. Wäre das aber auch nicht der Fall gewesen, so würde das Aussehen des Verbrechers selber als Zeuge für sie aufgetreten sein.

Malveca war todtenbleich geworden, seine Kniee zitterten, seine ganze Gestalt bebte, und er mußte sich an dem nächsten Stuhl halten, um nicht umzusinken.

»Verräther!« rief Flores, und seine Stimme drang bis in die entferntesten Theile des Saales – »berufst Du Dich noch auf Deine falschen Zeugen? Gut denn! Major Fortunato sagt mir eben,« fuhr er, sich an Villegas wendend, fort, »daß Sie im Stande sind, genaue Auskunft über dieses Menschen Ankunft in Camino real, wie über die Vorschläge zu geben, die er Franco gemacht hat – ich ersuche Sie –«

»Gnade!« – stammelte jetzt der Verbrecher – »ich bin schuldig.« –

»Señor Ibarra, ich bitte Sie, den Doctor Ruibarbo wegen versuchter Zeugenfälschung zu verhaften. Außerdem liegt noch eine andere schwere Anklage gegen ihn vor, nämlich in einem Processe, der zu Gunsten dieses Malveca entschieden wurde, eine ähnliche Rolle gespielt zu haben.«

»Herr General!« rief Ruibarbo bestürzt – und Señora Ruibarbo hielt den Moment für passend, in Ohnmacht zu fallen. –

»Lassen Sie ihn abführen, wir brauchen ihn nicht mehr – und auch seine drei Helfershelfer. Jetzt wollen wir erst den Bericht hören, den Señor Villegas, der Franco'sche Officier, über jenen Vorfall giebt.«

Es entstand ein kleiner Tumult, bis der Doctor unter dem Bravorufen der Umstehenden abgeführt werden konnte. Einige Damen nahmen sich indessen seiner Frau an, die man in ein Seitenzimmer trug. Villegas erzählte dann die Vorgänge in Camino real, die keinen Zweifel mehr ließen, daß Franco, auf Malveca's Rath, Guaranda überraschen und Flores hatte gefangen nehmen wollen, als der Brief von Flores sein Mißtrauen erweckte und ihn in der Ausführung so lange zögern ließ, bis es eben zu spät war.

Malveca widersprach nicht mehr, er war völlig gebrochen, und Alles jetzt gestehend, bat er nur um sein Leben. Er wolle auch herausgeben, was er ungerecht erworben, nur sein Leben – sein Leben solle man ihm schenken.

Flores wandte sich in Ekel von der feigen Todesfurcht des Elenden ab, und die Richter zogen sich zurück, um über den Fall zu berathen.

Jacinta selber wollte für ihn bitten, aber Fortunato hielt sie zurück. Diesen Verbrechen gegenüber mußte die Gerechtigkeit ihren Lauf haben, was dann die Gnade thun konnte, bestimmte doch der General. Ihn drängte es auch von hier fort, von diesem Bild des Jammers, und Espinoza heranwinkend, führte er die beiden glücklichen jungen Leute hinaus aus dem Saal, in dem der Verbrecher noch immer mit bangem Herzklopfen sein Urtheil erwartete, und über die Straße hinüber in Ibarra's Garten.

Dort, im Schatten breitblättriger Blüthenbüsche, Hand in Hand, Auge in Auge mit der Geliebten, saß Espinoza, klagte sich selber an, bat die lieben Augen, denen er schon so viel Thränen entlockt hatte, um Verzeihung, und versprach mit Hand und Mund, den begangenen Fehler durch ein ganzes Leben voll Liebe und Treue zu sühnen.

Indessen kehrten die Richter von ihrer Berathung in den Gerichtssaal zurück, und das Urtheil war einstimmig von ihnen gefällt worden. Eine solche, wiederholte Verrätherei verdiene nur den Tod, und Malveca brach leichenblaß in die Kniee, als er das furchtbare Wort aussprechen hörte.

Flores aber wollte nicht den ersten Tag seines Sieges mit Blut beflecken und milderte das gesprochene Urtheil in ewige Verbannung aus Ecuador – aber Tod durch Henkers Hand, sobald der Schuldige die vaterländische Küste je wieder heimlich oder offen betreten würde.

Zur Vollziehung dieses Urtheils, für das der Verbrecher mit Thränen in den Augen dankte, und das für ihn kaum eine Strafe war, denn was lag dem Elenden an seinem Vaterland, fand sich noch an dem nämlichen Abend Gelegenheit. Mit der beginnenden Ebbe ging ein chilenisches Segelschiff in See. Der Capitain zeigte sich – da die Regierung die Passage bezahlte – bereit, einen Passagier mitzunehmen, und durch ein Polizeiboot wurde Malveca an Bord gebracht.

Das Boot verließ ihn aber hier noch nicht, sondern begleitete die Brig mit sechs Bewaffneten den Strom hinab, bis sie weit draußen in der Mündung die Insel El Muerto passirt und den Ankergrund weit hinter sich hatte. Erst dann kehrte das Boot nach Guajaquil zurück.



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