Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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5.

Ein Familienabend.

Die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu und nahm jene rothdüstere Färbung an, die in den Tropen durch die erhitzte und auf der Erde lagernde Luftschicht den Ball fast wie dunkelglühendes Metall erscheinen läßt. Aber schon mit dem Aufhören der sengenden Sonnenstrahlen, die über Tag fast senkrecht auf den zu Staub gedörrten Boden niedergebrannt, sank das Thermometer, und wie mit dem Landwind die Luftströmung aus den Schneegebirgen herunter über die Niederung strich, kühlte sich die Atmosphäre in augenblicklich kurzer Zeit ab.

Am Himmel und den einzeln darüber verstreuten nebelgleichen Dunstwolken zeigte sich jener wunderbar reiche, gold, lila und carmoisinrothe Schein, der nur den Wendekreisen eigen ist, und legte sich wie ein Duft auf das ganze in der Abendfrische wie froh aufathmende Land. – Sonst aber ruhte Todtenstille auf der Scene; keine Grille zirpte, kein Frosch quackte, selbst kein Vogel sang und zwitscherte – nur aus der Ferne schallte in langsamen Zwischenräumen das dumpfe Grollen und Donnern des Sangai, des mächtigen feuerspeienden Bergriesen herüber, daß es beinahe klang, als erzittere der Boden bis hierher von der furchtbaren, gewaltigen Kraft, die in weiter Ferne kochte und gährte.

Aber was kümmerte die Mahnung das leichtsinnige Menschenvolk, das an die Stimme von Jugend auf gewöhnt war, und wenn der Ton einmal stärker als gewöhnlich zu ihnen drang, höchstens sagte: »Der Alte brummt heute aber ordentlich.« Mit der kühleren Abendluft kamen die Leute aus ihren Häusern, und ob ihnen die Soldaten auch eben keine willkommenen Gäste sein mochten, neue waren es doch, und Frauen und Kinder besonders freuten sich an den wunderlich montirten Musikanten, die es heute, als an dem ersten Abend, ausdrücklich darauf abgesehen zu haben schienen, die Bewohner von Bodegas zu überraschen.

Es war aber auch in der That, als ob die halbe Armee aus lauter Trompetern und Trommelschlägern bestände, so formte sich bald hier, bald dort ein kleiner Trupp, blies und hackte einen kurzen lustigen Marsch oder einen Fandango, zog dann mit klingendem Spiel die Straße hinab und war noch nicht außer Hörweite, als ein anderer seine kaum verlassene Stelle einnahm, um den musikalischen Skandal auf das Hartnäckigste fortzusetzen.

Und wie ruppig die Burschen aussahen! Blaue Jacken mit einst blank gewesenen Knöpfen – denn wer dachte hier an Putzen – hatten die Meisten, auch schwarzes Haar, schmutzige Gesichter und bloße Füße, und darin etwa waren sie uniform; alles Andere aber schien dem Zufall überlassen gewesen zu sein, wie er sie kleiden wollte, denn nicht einmal die Kopfbedeckung gehörte einer Truppe an. Wer dazu ein buntseidenes Halstuch hatte kaufen oder – stehlen können, trug es – weiße und bunte Hemden, nicht selten sogar lichte Jacken und eben solche Beinkleider, die allerdings auch am besten zu dem Klima paßten – aber es fehlte auch wahrlich nicht an blauen, grünen, gestreiften und großcarrirten Hosen, viele zerrissen, manche geflickt, kurz ein ähnliches Corps möchte kaum in einem andern Theil der Welt aufgelesen und zusammengetrieben werden können, wie gerade in Süd- und Mittel-Amerika – hier aber auch in all' den verschiedenen kleinen Republiken – Chile und Peru ausgenommen.

Vor dem Hause der Señora Buscada schien aber ein permanentes und ohrzerreißendes Concert unterhalten zu werden, denn hier begannen und schlossen sämmtliche verschiedene Corps, und gnade Gott, wenn zwei zufällig zusammentrafen und nicht gleich eins dem andern weichen wollte. Es fiel ein paar Mal vor, daß der General dann selber diesem übermäßigen Diensteifer Einhalt thun mußte, denn die Damen oben konnten es im wahren Sinne des Wortes nicht mehr aushalten.

Bei Señora Buscada war heute, zur Feier des Empfanges Sr. Excellenz, große Soirée, die aber eigentlich mehr aus einem unfreiwilligen Picknick nicht geladener Gäste bestand, denn die Señora, die gar nicht daran dachte, ihrer eigenen, sehr schwachen Kasse eine übergroße Last aufzubürden, war klug genug gewesen, die verschiedenen Kaufleute, die Brauchbares besaßen, wissen zu lassen, der General würde eine derartige »kleine Beisteuer« zu dem Bewillkommnungsfeste freundlich aufnehmen, während sie Sorge tragen wollte, daß er die Namen der verschiedenen Geber auch erführe und behalte.

Ein solcher Wink, der vielleicht gar von dem gegenwärtig allmächtigen General ausging, war unmöglich falsch zu verstehen, und was auch die Gesinnungen der Bewohner von Bodegas gegen den Mulatten sein mochten, es mußte ihnen Allen daran liegen, ihn freundlich gesinnt zu halten – noch dazu, da seinem Wunsch mit einer solchen Kleinigkeit, ein paar Blechbüchsen mit Hummersalat, Gänselebern und dergleichen eingemachten Delicatessen, genügt werden konnte. Das Getränk hatte Franco von seinem eigenen Lieferanten mit aus Guajaquil heraufgebracht, denn er trank gern, wenn auch gerade nicht unmäßig, und ein Korb Champagner war nicht allein zu der heutigen Festlichkeit herbeigeschafft worden, sondern sogar in Eis gestellt, und zwar in Eis, das nicht von den nahen Schneegebirgen, sondern von den fernen Seen Nordamerikas in Schiffen nach Cap Horn und Guajaquil geführt worden war und sich bei diesem riesigen Transport noch billiger stellte, als wenn man es von dem Sanganï oder Chimborazo zu Thal geschafft hätte.

Allen Vermuthungen nach sollte man glauben, daß sich die Wittwe Buscada, auf deren Schultern heute eine solche Last von Verantwortlichkeit ruhte, mit ihren Töchtern in einem nicht unbedeutenden Grad von Aufregung befunden haben müsse und bestrebt gewesen wäre, Alles auf das Beste und Sorgsamste herzurichten. Eine deutsche Hausfrau wenigstens würde in Angst und Sorgen, daß auch nicht das Geringste fehlen möchte, vom frühen Morgen an gearbeitet und geschafft haben und Abends – nach einem solchen Genuß – todtmüde auf ihr Lager gesunken sein.

Nicht so Señora Buscada. Von dem Balsa-Hotel, das ein Franzose auf dem Fluß, ihr schräg gegenüber hielt, hatte sie sich einen Koch für heut Abend gemiethet, – der mußte für die Herstellung der Mahlzeit einstehen – das Decken der Tische besorgten die Dienstboten und Franco's Juan – ein sehr geschickter Bursche in solchen Dingen. Die Señora saß also gegen Abend, trotz der im Hause herrschenden Geschäftigkeit, noch immer in ihrem Morgenkleid mit Doctor Ruibarbo und einigen indessen eingetroffenen Officieren bei ihrem Kartenspiel, während Franco mit den beiden jungen Damen vorn auf dem, den Strom überschauenden Balkon stand und den Serenaden lauschte, die ihm seine Getreuen brachten – oder ihnen vielmehr nicht lauschte, denn er unterhielt sich unterdessen so angelegentlich mit den beiden Schönen, daß er verschiedene Male, wie ganz in Gedanken, seinen Arm um Celita's Taille legte und seine gute Laune auf's Aeußerste gesteigert sah, als er – bei dem Erfassen ihrer Hand – den leisen Gegendruck derselben fühlte.

Aber auch Señora Entonza, die Schwester der Señora Buscada und eine alte Freundin und Verehrerin Franco's, hatte sich eingefunden und Theil an dem Spiel genommen, und Doctor Ruibarbo vorzüglich war voller Aufmerksamkeit gegen sie, ohne daß Franco selber Notiz von ihr genommen hätte. – Was kümmerten ihn die ältlichen Damen, wo er sich hier so jungem, frischem Leben gegenüber sah – und was man auch gegen den kleinen, intriguirenden und blutdürstigen Mulatten vorbringen mochte, er hatte jedenfalls Geschmack.

So lange es noch hell war, konnte man dabei deutlich von dem Balkon aus das Wirtschaften der Soldaten an der gegenüberliegenden Villa des Generals Flores erkennen, denn die Räume dort waren nicht für genügend groß befunden worden, um die dahin bestimmte Mannschaft unterzubringen, und in dem Garten selber mußten deshalb neue Baracken aufgeschlagen werden. – Wie aber die Bande da drüben unter den Obstbäumen und in den Anlagen wüthete! Was man brauchen konnte, fiel unter den Streichen der Aexte. Das Badehaus wurde eingerissen, um seine Bretter zu Dachwerk herzugeben; die Dielen selber riß man zu eben dem Zweck aus den Zimmern, und überall in den sonst so freundlichen Anlagen loderten Feuer auf, die mit dem Holz von Cacao- und Kaffeebäumen genährt wurden, um die Abendmahlzeit für die Soldaten daran zu bereiten.

Ein boshaftes Lächeln zuckte über Franco's Züge, als er, mit der Hand dort hinüberdeutend, zu seiner schönen Nachbarin sagte:

»Bei General Flores scheint heut Abend große Gesellschaft zu sein, und er hat uns nicht einmal eingeladen.«

»Er feiert wahrscheinlich den Triumph Eurer Excellenz,« lächelte Celita.

»Hahaha!« schrie Franco in einer wahren Exaltation von Entzücken. – »Das ist sehr gut – vortrefflich – Flores meinen Triumph – Señorita, Sie sind ein Engel –« und er hob dabei ihre Hand an seine Lippen.

Unten durch das Gedränge vor dem Hause schritt ein Mann, einen alten breitrandigen Strohhut tief in das Gesicht gezogen und seine Gestalt von einem mitgenommenen, schon zerrissenen und oft geflickten Poncho vollständig bedeckt. Er warf einen Blick nach der Gruppe und schritt dann quer über die Straße herüber, dem Nachbarhause zu, in dem er verschwand. Aber niemand achtete auf ihn, denn ein Musikcorps hatte kaum begonnen den Francomarsch zu spielen, als ein anderes um die Ecke bog und mit einem wahren Feuereifer und in einer vollkommen andern Tonart eine Art von Marimba hinaus schmetterte.

»Heilige Jungfrau, meine Ohren!« schrie Celita und sprang, sich die Hände an den Kopf haltend, von dem Balkon zurück.

»Genug, liebe Leute, mehr als genug!« rief Franco, indem er mit der Hand vom Balkon niederwinkte. »Uebergenug!« – Aber es half nichts – Niemand sah oder achtete mehr auf den General, denn es war, als ob eine blinde Wuth die Musikanten erfaßt hätte, die in wilden Fanfaren einander zu überbieten suchten. Er mußte zuletzt seinen Diener hinunterschicken, der, als alles Zureden und Zuschreien nichts half, den halb wahnsinnig gewordenen Künstlern die Instrumente vom Munde wegriß und dabei nach oben auf den General deutete. Das endlich brachte sie zur Besinnung, und unter dem Lachen und Jubeln der Zuschauer, die sich ganz besonders an einem solchen Wettkampf ergötzten, zogen sie endlich nach verschiedenen Richtungen ab.

Indessen war es auch Zeit geworden, die Tafel zu decken, und die Spieler mußten ihren Platz räumen. Während Señora Buscada aber in ihr Zimmer ging, um endlich für den Abend Toilette zu machen, beschäftigte sich der Doctor mit ihrer Schwester, gegen die er die Aufmerksamkeit selber war und ihr nicht oft genug wiederholen konnte, wie liebenswürdig sie heut Abend aussähe und wie glücklich er sich fühle – ihr das sagen zu dürfen.

Señora Entonza war allerdings noch eine Frau in ihren besten Jahren, d. h. etwa vierunddreißig Jahre alt, womit sie in einem kälteren Klima noch für eine junge Frau hätte gelten können. Die Temperatur von Guajaquil geht aber nicht vierunddreißig Jahre spurlos an einer der Töchter des Landes vorüber, und die Señora würde schon lange für passée gegolten haben, wenn nicht ein sehr werthvolles Grundstück in der Hafenstadt, ein Haus in Quito, und etwa hunderttausend Dollars baar Geld ihrer ganzen Erscheinung einen verjüngenden Glanz verliehen hätten.

Der Doctor galt in der Republik für einen sehr gescheidten Mann – er behauptete das wenigstens und war jedenfalls dadurch berühmt, daß er eine der besten Antiquitätensammlungen besaß, die wirklich werthvolle Stücke ausgegrabener Gegenstände in Gold, Erz und irdenen Waaren der Republik Columbia, besonders aus Neu-Granada und Ecuador, in sich schloß. Er war auch stolz darauf und hatte schon ein etwas dickleibiges Werk über diese Sachen geschrieben, worin er mit großem Scharfsinn eine Menge von Daten aufstellte, die indeß von anderen Gelehrten Ecuadors als reine Phantasien oder »irrthümliche Auffassungen« hingestellt wurden – eine sehr wunderliche Thatsache, die aber auch in anderen Theilen der bekannten Erde vorkommt, denn darin besteht ja besonders die Kraft derartiger Herren, Alles zu negiren, was sie nicht selber entdeckt haben, und nur das zu benutzen und auszubeuten, was in ihr eigenes System paßt oder dazu passend verarbeitet werden kann.

Nichtsdestoweniger blieb sich der Doctor seines Werthes bewußt. Alle, die anderer Meinung waren wie er, waren das nur aus Chicane und Neid gegen ihn und besaßen deshalb kein vorurteilsfreies Urtheil, und mit einem sehr gewandten Betragen hatte er doch so ziemlich sein Ziel erreicht und das Herz der Häuser und Capital besitzenden, zugleich heirathslustigen Wittwe für sich gewonnen. Alles Andere war Nebensache, und die Politik seines Landes – bah, ob General Franco oder Garcia Morena über Ecuador herrschten, blieb sich vollkommen gleich, so lange er nur sein Besitzthum gesichert wußte. Die quitenische Regierung – ja – wenn er namenlos hätte darüber abstimmen sollen, wäre er schon entschieden gewesen und mit den Siegern würde er mit Vergnügen Franco's Todesurtheil unterschrieben haben, um ihn nur los zu werden. Jetzt aber war dieser einmal an der Spitze, und:

»Excellenz,« sagte der Doctor, indem er zu ihm an der Wittwe Seite hinaus auf den Balkon trat, »Sie sehen, welche Huldigungen Ihnen das Volk bringt, mit wie offenen Armen Sie hier in einer Stadt empfangen werden, die von dem Heer der Rebellen erst ganz kürzlich verlassen ist. Möge Ihnen das eine gute Vorbedeutung sein und Sie ebenso, ohne Schwertstreich, ohne Kampf, in den anderen Städten des Landes, in Guaranda, Latacungo und endlich in Quito, einziehen. Damit haben Sie dann das Haupt der Hydra zertreten, und unserem schönen Lande wird der Friede wiedergegeben werden.«

»Danke Ihnen, Doctor,« sagte der General trocken und etwas zweideutig – »wenn alle Leute so denken, wie Sie sprechen, so hoffe ich allerdings den Krieg bald beendet zu haben. Leider denken einzelne Individuen aber nicht so, und so lange wir den Eigensinn jenes störrischen Flores nicht gebrochen haben –«

»Aber, Excellenz,« rief hier Señora Entonza, »wenn die wohlhabenden Klassen Ecuadors mit Ihnen sind, woher soll dann jener Herr Flores nachher das Geld nehmen, um seine Banden zu bezahlen?«

»Caramba, Señora,« lachte Franco, »er hilft sich so gut er kann und macht Papiergeld, und ich bin ihm da mit gutem Beispiel vorangegangen.«

»Erlauben Excellenz, daß ich mich Ihnen zu Füßen legen darf,« sagte in diesem Augenblick ein hinzutretender Herr, der, wenn er sein Wort in Wirklichkeit wahr gemacht hätte, den ganzen Balkon ausgefüllt haben würde.

Es war eine große vierschrötige Gestalt, der Señor Mariano, ein Quitener von Geburt, aber seit frühester Jugend schon in Guajaquil lebend, wo er sich ein nicht unbeträchtliches Vermögen mit dem Binnenhandel erworben hatte. Jetzt aber und unter Franco verdiente er besonders viel Geld, da ihm dieser eine Menge Lieferungen übertrug, und Señor Mariano schien gerade der Mann, einen solchen Vortheil auszubeuten.

»Ah, Freund Mariano,« rief der General, ihm die Hand entgegenstreckend – »kommen Sie nach Bodegas, um sich zu entschuldigen, daß Sie die verlangten Uniformstücke nicht zur rechten Zeit herbeigeschafft haben?«

»Doch nicht, Excellenz,« sagte der geschmeidige Ecuadorianer, »denn das Verlangte wird spätestens morgen mit meiner Balsa folgen – vorläufig nur deshalb, um Ihnen einen Probekorb Champagner nachzubringen, von dem ich gestern, kaum eine Stunde später, als Sie die Stadt verlassen hatten, eine sehr willkommene Sendung erhielt.«

»Und ist er gut?«

»Vortrefflich.«

»Desto besser,« lachte der General, sich die Hände reibend, und hatte die fehlenden Monturstücke lange vergessen. »Das war nicht allein ein gescheidter Streich, sondern Sie kommen auch gerade recht zum Souper – vorzustellen brauche ich Sie wohl nicht?«

Señor Mariano rang mit der gesellschaftlichen Schwierigkeit eines übergroßen Körpers. So lange der um einen guten Fuß, vielleicht achtzehn Zoll kleinere General Franco mit ihm sprach, war Mariano mit der Unmöglichkeit beschäftigt, sein Gesicht um einige Linien tiefer zu bringen wie das des Mulatten, und während er dabei den Hals stark biegen mußte, nahm seine Physiognomie eine wahrhaft unnatürliche, dunkelrothe Färbung an.

»Excellenz befehlen, – nein, – habe schon die Ehre, mit Señora Buscada und ihrer liebenswürdigen Schwester, Señora Entonza, bekannt zu sein. Doctor Ruibarbo, ich schätze mich glücklich. Sie hier in so ehrenwerther Gesellschaft zu finden.«

»Aber, bester Freund,« lachte der Doctor, der recht gut wußte, daß sich der General vortrefflich amüsirte, wenn andere Leute in seiner Gegenwart in Verlegenheit gebracht wurden – »haben Sie etwa erwartet, mich unter Gesindel anzutreffen?«

»Aber, bester Doctor –«

»Vortrefflich,« lachte der General, – »gut, Doctor – sehr gut – aber Señor Mariano ist ein wackerer Mann und unserer Sache sehr ergeben,« setzte er rasch hinzu, als er merkte, wie verletzt sich der Herr fühlte – durfte er ihn doch nicht kränken, denn er brauchte ihn nothwendig.

»Ein Scherz, theurer Freund« – besänftigte Ruibarbo.

»Bitte, lieber Doctor – Ich wollte Ihnen nur hiermit die Anzeige machen, Excellenz, daß ich beabsichtige, hundert Mann Soldaten auf meine eigenen Kosten anzuwerben und zu Ihrem Heere stoßen zu lassen.«

»Der Henker!« rief Franco, die Gegenwart der Damen vergessend, »das wäre allerdings eine stattliche Hülfe. Aber wir werden uns nicht lange in Bodegas aufhalten.«

»Wo der Wille ist, folgt auch die That bald,« sagte Señor Mariano mit Selbstgefühl.

»Zum Essen – zum Essen, meine Herrschaften,« rief jetzt die Wirthin dazwischen, die nicht viel Zeit gebraucht hatte, ihr Haar etwas zu ordnen und statt des schmutzigen Muslinkleides eine eben so weite und sehr bequeme, vielleicht auch nicht viel reinlichere seidene Robe überzuwerfen. Franco aber, der sich besonders für die hundert Mann interessirte, faßte den Lieferanten unter dem Arm, um Näheres darüber zu hören, und hätte ihn bei Tisch auch richtig neben sich sitzen lassen, wenn nicht die Dame des Hauses dagegen Einsprache erhoben hätte – oder vielmehr die verschiedenen Gäste gleich so placirte, wie sie es für passend fand.

Der General kam dadurch zwischen ihre beiden Töchter zu sitzen, der Doctor zwischen sie selber und Entonza; der Lieferant aber, den sie nicht leiden konnte, an das untere Ende der Tafel, zwischen den dicken »Mulattenmajor« und dessen gleichfarbige Frau (denn viele von Franco's Officieren führten ihre Frauen mit und selbst die Soldaten hatten eine wahre Unzahl weiblicher Begleitung). Der Alcalde von Bodegas war außerdem geladen, um die Stadt zu repräsentiren, und einige Officiere von Franco's Generalstab; sonst war das Essen ganz »en famille«, wie man hätte sagen können, und das Gespräch drehte sich ausschließlich um den Gegenstand, der in diesem Augenblick alle Welt besonders interessirte, um den bevorstehenden Zug nach Quito und die Einnahme der Hauptstadt, die, ohne Befestigungen, einer anrückenden Armee gar nicht widerstehen konnte und mit deren Eroberung auch der Feldzug als geschlossen betrachtet werden mochte.

Noch spät war einer der Officiere, Señor Fortunato, zur Tafel befohlen worden, hatte aber, da ihn der Dienst abhielt, nicht gleich eintreffen können, und nahm jetzt auf dem für ihn neben Señora Buscada frei gehaltenen Stuhle Platz. Es war ja ein »alter Bekannter«, wie sie sagte – ein alter »Freund der Familie« und dort eigentlich längst »wie zu Hause«.

Gerade als er sich setzte, hatte der Mulattenmajor eine Abhandlung über die Leichtigkeit entwickelt, mit der er Quito nur mit Lanze und Bajonnet stürmen würde, während Franco dafür stimmte, ein paar Kanonen mitzunehmen, die allerdings in einzelnen Theilen auf den Packsätteln von Maulthieren hinaufgeschafft werden mußten, denn Räderfuhrwerk duldete die Straße nicht.

Der Lieferant, Señor Mariano, hielt Alles für unnöthig, sowohl Bajonnetangriff wie Kanonen, denn seiner Behauptung nach würden die Bürger den Befreier Ecuadors mit offenen Armen und weißgekleidete Jungfrauen mit Blumen ihn schon an den Grenzen des Weichbildes erwarten.

»Und was ist Ihre Meinung, Señor Fortunato?« wandte sich der Präsident jetzt an den jungen Officier. »Sie waren selber in Quito, ja ich glaube sogar, Sie sind ein geborener Quitener – denken Sie auch, daß wir so leichtes Spiel haben werden?«

»Nein, Excellenz,« sagte Fortunato, der eben mit einer delicaten Gänseleberpastete in Blech beschäftigt war und dabei seiner Nachbarin zuhörte, die ihm versicherte, er könne sich gar nicht denken, wie sie sich freue, ihn einmal wieder zu sehen. – »Ich bin in Guajaquil geboren und erzogen, nach dem aber, was ich über Quito gehört habe, glaube ich, daß, wenn wir die Stadt nehmen, es nur nach einem hartnäckigen Straßenkampf sein wird, in dem die Bürger jedes einzelne Haus vertheidigen.«

»Wenn wir Quito nehmen, Señor?« fuhr Franco gereizt empor. »Sie reden gerade so, als ob das noch sehr die Frage sei.«

»Excellenz,« erwiderte ruhig der junge Officier, »Krieg ist Krieg und die tapfersten Heere sind oft zusammenwirkenden Umständen erlegen. – Ich kann einen Fall stellen, ohne ihn zu erhoffen.«

»Señor Fortunato hat insofern Recht,« fiel hier der geschmeidige Doctor ein, der schon aus dem Grund Fortunato's Partei nahm, weil Señor Mariano das Gegentheil behauptet hatte, »daß ich auch der Meinung bin, Sie werden hartnäckigen Widerstand finden, Excellenz – aber – Sie haben ein vollkommen unfehlbares Mittel, den ohne die geringste Schwierigkeit zu brechen.«

»Und das wäre?« frug Franco gespannt.

»Excellenz erlauben mir vorher zu bemerken,« fuhr der Doctor mit seinem fast stereotypen Lächeln fort, »daß ich es, ebenso wie Sie, für nöthig halte, ein paar leichte Kanonen mitzuführen, und ich will Ihnen gleich sagen, weshalb. Sie wissen, daß Quito eine wahre Unzahl von Priestern hat und seine Kirchen förmlich überladen sind mit Schnitzwerk, Bildern, Statuen und Vergoldung. Auf diese Kirchen halten diese Herren – von denen man wirklich sagen möchte, daß sie den größten Theil der Bevölkerung bilden und einen nicht zu berechnenden Einfluß auf das Volk ausüben – außerordentlich viel.«

»Aber was haben wir hier mit den Priestern zu thun?« rief ungeduldig der General.

»Alles«, sagte der Doctor mit unzerstörbarer Ruhe. »Nehmen Sie Ihre Kanonen und lassen Sie nur ein paar Schüsse in die Kirchen hineinfeuern – Sie können, beiläufig gesagt, kaum eine Kugel nach Quito hineinwerfen, ohne eine Kirche zu treffen – und sie haben die ganze Priesterschaft auf Ihrer Seite, denn ehe sie ihre Kirchen zerstören und ruiniren lassen, geben sie mit größtem Vergnügen die ganze Stadt preis.«

Der Major schlug ein wieherndes Gelächter auf und donnerte mit der breiten Faust auf den Tisch, und der Lieferant sah still und nachdenklich vor sich nieder, Franco aber, ebenfalls von der Idee ergötzt, füllte das vor ihm stehende Wasserglas bis zum Rand mit Champagner und rief, es dem Doctor hinüber haltend:

»Auf Ihr Wohl, Doctor – das war ein famoser Rath, und den werde ich nicht allein befolgen, sondern Sie auch, sobald ich in Quito eingezogen bin, zu meinem Leibarzt ernennen. Der Doctor soll leben.«

Alle hoben die Gläser, um in den Ruf einzustimmen, aber der schönste Lohn ward dem Doctor Ruibarbo insgeheim, denn unter dem Tische suchte und ergriff Señora Entonza seine Hand und drückte sie mit tiefem dankbaren Gefühl.

Fortunato hatte bei den Worten des Doctors einen prüfenden Blick nach ihm hinübergeworfen, aber er traf nur auf das ewig lächelnde Gesicht des Herrn, das dieser in dem Moment gerade dem Höchst-Commandirenden entgegenhielt.

Das Gespräch wurde jetzt allgemein, der Major, der ebenfalls einmal in Quito gewesen war, schlug noch ein anderes Mittel vor, die Stadt zu zwingen, indem man die oben von Pichincha kommenden und der Stadt überhaupt zugeleiteten Wasser erst aufdämmte und dann wie eine Sturmfluth über das tiefer liegende Quito hereinbrechen ließ, kurz Alle vereinigten sich, um Pläne auszusinnen, wie man das »Rebellennest« am besten strafen und am leichtesten bezwingen könne, und Franco war bei der Unterhaltung ganz außer sich vor Vergnügen. Er lachte und schwatzte mit seinen Nachbarinnen und hatte dabei Celita's Hand gefaßt, die er gar nicht wieder los ließ.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben; die jungen Damen sollten noch ein wenig musiciren, der Doctor selber ergriff eine Guitarre und sang mit seiner nicht unangenehmen Stimme ein paar Lieder, die den Triumph Franco's feierten und die Flucht des Feindes von Bodegas lächerlich machten, und Fortunato war hinüber zu Celita gegangen – da er Franco eben beschäftigt sah, den Lieferanten wegen der versprochenen hundert Mann näher zu befragen –, um sie zu begrüßen. Als er vorhin kam, hatten ja schon Alle ihre Plätze am Tische eingenommen.

»Señorita,« sagte er, indem er mit einem ruhigen Lächeln ihre Hand nahm und an die Lippen hob – »ich freue mich herzlich, Sie so wohl und gerade heute so vergnügt zu sehen.«

»Señor Fortunato,« erwiderte das Mädchen, und unwillkürlich färbten sich ihre Wangen mit einem höheren Roth – »ich bin hoch erfreut, Sie nach so langer Zeit wieder einmal bei uns zu begrüßen.«

»Señor Fortunato,« wiederholte der junge Mann, aber mit einem Ton, in dem eben so gut Spott wie Bedauern lag – »wie angenehm klang früher das ›Don José‹ von Ihren Lippen –«

»Señor – Sie –«

»Bitte, Señorita – keine Aufregung – die Zeiten sind vorüber, und ich komme mir vor wie ein Mann, der bei leicht bewölktem Himmel im Schatten einer Wolke auf einer Anhöhe steht und in der Ferne sieht, wie die Sonne, die eben noch ihr Licht auf ihn hernieder goß, jetzt andere Stellen – Sumpf, Moor und düstere Heide bescheint – und wie rasch das wechselt. – Es ist wunderbar, wie schnell sie über die einzelnen Stellen hinweggleitet.«

Celita wurde purpurroth bei den Worten. Sie fühlte den Spott, aber sie wagte nicht, etwas darauf zu erwidern, und sann eben auf eine Ausrede, sich zurückzuziehen, als Señora Buscada ihr zu Hülfe kam.

»Ah, Señor Capitano,« sagte sie, ihm huldvoll, aber auch sehr vornehm zulächelnd, »es freut mich, Sie unter den siegreichen Truppen Seiner Excellenz zu sehen. Aber wo blieben Sie heut so lange – ich glaubte schon, Sie – hätten die Einladung ausgeschlagen.«

»Bitte um Verzeihung, Señora,« versetzte der junge Mann mit einem Blick auf Celita – »für so ungeschickt werden Sie mich doch nicht halten. Aber ich war heute sehr beschäftigt. Sie wissen doch, daß wir heute Morgen mit einem ganzen Regiment ausgerückt sind, um einen einzelnen Rebellen umzubringen.«

»Lassen wir das,« sagte die Señora, der die Erinnerung unangenehm war; Fortunato dachte aber gar nicht daran, sie so leichten Kaufes frei zu geben.

»Armer Teufel,« fuhr er achselzuckend fort – »hatte sieben Kugeln in der Brust sitzen – nur weil er auch einmal in der »Sonne« gestanden – und mir lag nachher die Pflicht ob, ihn den Alligatoren in Bodegas vorzusetzen.«

»Aber, Señor –«

»So sollen alle Verräther sterben, rief unser tapferes Heer, als der gefürchtete Mensch fiel – es war ein erhebender Augenblick.«

»Sie sind unausstehlich heute, Señor Fortunato, mit Ihren blutigen Geschichten,« sagte die Señora, indem sie Celitens Hand ergriff. »Sie mußten doch sehen, daß uns die Erinnerung einer solchen Katastrophe an diesem heitern Abend unangenehm war,« und damit, während sich Hauptmann Fortunato lächelnd gegen die Damen verbeugte, drehte sie dem jungen Mann den Rücken und schwebte mit ihrer Tochter auf Franco und den Lieferanten zu.

Señor Mariano überbot sich heut Abend selbst. Er war die personificirte Liebenswürdigkeit und von einer Gefälligkeit und Freigebigkeit, die unerschöpflich schien. Señora Entonza bedauerte, ihren Reitsattel zerbrochen zu haben – er versprach ihr, morgen einen andern, eben von England erhaltenen zu senden. Die jungen Damen äußerten, daß es angenehm wäre, in der Morgenkühle eine Spazierfahrt auf dem Strom zu machen, und er erbot sich, noch vor Tagesanbruch mit vier Ruderern an der Stelle zu sein. Señora Buscada klagte, daß die hiesigen Karten so erbärmlich schlecht wären – Señor Mariano hatte ganz neue, brillante Karten dutzendweise von Madrid bekommen, und der Expresse, der heute Nacht nach Guajaquil ginge, sollte sie mitbringen – kurz er versprach wie nur eben ein Ecuadorianer versprechen kann, und brachte dadurch die Gesellschaft in die beste Laune.

Es mochte halb zehn Uhr sein, als sich Fortunato bei dem General entschuldigte, da er, wie er sagte, seine Patrouillen nachsehen müsse. Ausgesandte Spione hatten allerdings die Nachricht gebracht, daß auf weit und breit kein Feind zu sehen sei, die nöthigen Vorsichtsmaßregeln durften aber doch nicht vernachlässigt werden. Er verabschiedete sich dann förmlich bei den Damen, denen, wie er recht gut wußte, seine Gegenwart wie ein Alp auf dem Herzen lag, und verließ das Haus, wozu indessen einige Ortskenntniß gehörte, denn der breite, hinten zu einer Gallerie auslaufende Vorsaal war vollkommen dunkel, und rechts führte die schmale Holztreppe ziemlich steil hinab – hinten an der Gallerie lagen die Zimmer der Damen. Fortunato kannte aber hier jeden Fußbreit Boden, und sich an der rechten Wand hinfühlend, erreichte er bald die Treppenthür. Hier war es ihm fast, als ob er den leisen Schritt eines Menschen gehört hätte, der ihm auszuweichen suchte.

»Ist da Jemand?« frug er mit unterdrückter Stimme, aber keine Antwort erfolgte, und da eine Menge von Mädchen im Haus waren und er durch weiteres Forschen vielleicht ein zärtliches Rendezvous zu stören fürchtete – seine Zeit ihm auch überdies knapp zugemessen war – kümmerte er sich nicht weiter darum – stieg rasch die Treppe hinab, schritt dann zu dem zur Kaserne eingerichteten Municipalgebäude, um sich erst dort zu zeigen, und darauf wieder zum Fluß hinunter, wo er sein Boot mit ein paar sichern Leuten liegen hatte.

Er konnte kaum auf der Straße sein, als die Thür aufging und Celita, ein Licht haltend, auf der Schwelle derselben erschien. Hinter ihr folgte Franco, sein gelbes, von der Flamme hellbeleuchtetes Gesicht ordentlich vor Gluth und Vergnügen strahlend.

»Ich versichere Sie, Excellenz, daß Sie mit Ihrem Zimmer zufrieden sein sollen,« sagte das junge Mädchen, »Sie werden sich selber überzeugen.«

»Señorita,« rief der kleine Mulatte, als er die Thür hinter sich geschlossen hatte, »Sie sind zu gütig« – und er schlang dabei einen seiner dicken Arme um ihre Taille und zog sie an sich. Celita sträubte sich ein wenig, doch gerade nicht mehr als unumgänglich nöthig.

»Aber, Señor –« sagte sie leise.

»Meine süße, liebe Celita – himmlisches Mädchen!« – Sie waren mit dem Flüstern bis an die Treppe gekommen, deren Doppelthür offen und nach innen angelehnt stand. Dort an der Wand dicht vor ihnen lehnte die Gestalt eines Mannes.

»Wer ist da?« rief Franco erschreckt und ließ Celita los, indem er einen Schritt zurück nach der Thür that.

Die Gestalt antwortete nicht, sie nahm ruhig den breiträndigen Filz ab, und als Celita das Licht gegen den Fremden hielt – denn wer konnte sich hier in böser Absicht eingeschlichen haben, wo das ganze Haus fast mit Posten umstellt war – fiel der Schein desselben auf ein jugendliches, aber todtenbleiches Gesicht, dessen starre glänzende Augen fest auf dem Mädchen hafteten.

»Benito!« rief diese mit einem gellenden Aufschrei, ließ den Leuchter fallen und brach ohnmächtig auf der Diele zusammen.

»Alle Teufel!« brummte der General, dem es bei der Erscheinung des bleichen Fremden – wenn er ihn auch nicht wiedererkannte, ganz unheimlich wurde. Eben so wenig war ihm daran gelegen, jetzt hier im Dunkeln mit der jungen, ohnmächtigen Dame allein gefunden zu werden. Aber das Alles ließ sich nicht mehr ändern, denn gleich nach dem Schrei wurden nicht allein die Thüren aufgerissen, sondern die Treppe herauf kamen auch ein paar der als Wache aufgestellten Soldaten gestürmt und starrten oben in die Dunkelheit und Verwirrung hinein.

Hinter Allen erschien der Doctor mit zwei brennenden Lichtern – Franco hatte sich etwas zurückgezogen. Señora Buscada kniete neben ihrer Tochter, und der General erkannte kaum einige seiner Leute, als er ihnen zuherrschte, das ganze Haus zu umstellen und keine Seele hinauszulassen – wer sich widersetze, würde niedergeschossen. – Damit polterten diese treppab und gleich darauf ertönten auch um das Haus herum die Signale, während sich eine Masse Menschen auf der Straße sammelten.

Natürlich durchlief dabei gleich das Gerücht die Stadt: Franco sei ermordet worden und der Mörder entkommen; die Soldaten würden Bodegas plündern und dann nach Guajaquil zurückkehren, und tausend andere Variationen, eine noch immer beunruhigender als die andere. Durch das Hin- und Herstürzen der Leute wurden aber auch die Soldaten selber alarmirt. Es war der erste Abend, und sie fürchteten einen Aufstand zu Gunsten des quitenischen Directoriums. Die Patrouillen hatten scharf geladen, und es war wirklich nur der Umsicht de Castro's zu verdanken, der die Grundlosigkeit dieser Furcht augenblicklich erkannte, daß nicht einige der enragirtesten Mulatten von der Schußwaffe Gebrauch machten, was allerdings die traurigsten Folgen hätte haben können.

Endlich stellte sich das Mißverständniß heraus, aber trotzdem die Wohnung der Señora Buscada eng umstellt blieb und jeder Winkel darin genau und nachsichtslos durchstöbert wurde, zeigte sich von jenem bleichen Fremden keine Spur. Er war und blieb verschwunden, und Celita behauptete – wieder zu sich gekommen – einen Geist – den Geist des Erschossenen gesehen zu haben.

Fortunato hatte den Lärm, gerade als er die Kaserne verließ, noch gehört, aber nicht besonders darauf geachtet, denn er hielt es für einen gewöhnlichen Militärskandal, warf sich rasch in sein Boot und ruderte, von der aufströmenden Fluth begünstigt, schnell der Balsa zu, um dem Fremden sein Wort zu halten. Dort aber fand er zu seinem Erstaunen nur den alten Quitener, der ihm sagte, daß der junge Mann gleich nach Dunkelwerden das Floß und vielleicht auch eben zur rechten Zeit verlassen habe, denn kaum sei er fort gewesen, als ein Mulattensoldat vom Ufer herunter gekommen wäre und sich überall spionirend umgesehen hätte. Er habe ihn auch nach dem und jenem gefragt und wohl zwei volle Stunden sich hier unten herumgetrieben. Endlich sei er fortgegangen.

Die Beschreibung des Mulatten, die sich Fortunato geben ließ, paßte allerdings ziemlich genau auf Viruta – aber was hätte den bewegen können, hier nachzuforschen. Sollte er Verdacht geschöpft haben? – aber bah – er hatte keine Beweise – wenn nur Espinoza jetzt wenigstens dagewesen wäre. Fiel der unglückselige, tollkühne Mensch aber wieder in die Gewalt der Feinde, dann freilich blieb ihm selber nichts übrig, als sich den Folgen seines menschenfreundlichen Schrittes durch die Flucht zu entziehen, denn sein Tod wäre unvermeidlich gewesen.

Unschlüssig stand Fortunato noch auf der Planke der Balsa, so daß sein Kopf mit der steigenden Fluth fast in einer Linie mit dem Ufer war, als von dort eine dunkle Gestalt rasch herniederglitt.

»Halt! Wer da!«

»Gut Freund,« lautete die Antwort – »da bin ich. – Ich hatte nicht geglaubt, daß Sie so pünktlich sein würden.«

»Aber wo um Gottes willen waren Sie?«

»Nur einen Abschiedsbesuch habe ich noch gemacht,« grollte der junge Officier ingrimmig in sich hinein. »Sie hatten Recht, Kamerad – arme Jacinta, und um einer solchen – Dirne willen wollt' ich Dich verrathen. Ist das Boot bereit?«

»Alles – und wenn ich mich nicht sehr irre, so glaube ich, daß Sie große Eile haben, denn die Stadt war im Aufruhr, als ich sie verließ, und wie ich jetzt fast vermuthen muß, Ihrethalben.«

»Ha,« lachte der Quitener, indem er sich die langen Haare aus dem Gesicht warf – »mich fangen sie nicht, und wenn sie wie Schweißhunde auf meiner Fährte wären. – Aber Sie haben Recht, jetzt ist es Zeit. Wie aber kann ich Ihnen danken?«

»Vor der Hand nur allein durch rasche Flucht – alles Andere findet sich später. Sind Sie bereit?«

»Wie der Vogel, der die Schwingen ausbreitet!«

»Gut denn – Gott schütze Sie und – grüßen Sie mir Quito.«

Mit den Worten preßte er noch einmal des Befreiten Hand, schob ihn dann in das Boot, und wenige Minuten später glitt dieses mit umwickelten Rudern still und geräuschlos in die Nacht hinein, die auf dem Strome lag. Fortunato aber kehrte so rasch er konnte in die Stadt zurück.



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