Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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22.

Die Schlacht von Tucumbo.

Lauter Jubel erfüllte Guaranda, als die quitenischen Reiter über die hölzerne Brücke donnerten und gleich darauf in geschlossenen Colonnen in die Straßen der Stadt einrückten. Aber nicht blos bei Freudenbezeigungen ließen es die Einwohner bewenden, denn sie wußten recht gut, daß die Leute scharf geritten waren und für sich Erfrischungen, so wie Futter für ihre Pferde brauchten, um zu neuen Anstrengungen gerüstet und bereit zu sein.

Von allen Seiten schleppten sie deshalb herbei, was nur an eß- und trinkbaren Gegenständen aufzutreiben war, und als Flores versprach, sie sollten für Alles Bezahlung bekommen, wiesen sie diese mit edler Entrüstung zurück. Sie wollten dem General wenigstens beweisen, daß sie Patrioten seien, die, wenn auch nicht ihr Blut, doch freudig ihre Tschitscha und ihre Agua ardiente für das Vaterland vergössen.

Flores erfuhr jetzt auch zu seiner Freude von den Reitern, daß die Infanterie wirklich mit Tagesanbruch von Alto Tambo aufgebrochen sei und ihnen auf dem Fuße folge. Die Reiter hatten aber – die steilen Anhöhen abgerechnet – den ganzen Weg in scharfem Trab zurückgelegt, um rechtzeitig einzutreffen; die Thiere bedurften also der Ruhe, und alle Gras- und Weideplätze der Stadt wurden ihnen augenblicklich preisgegeben und außerdem noch Yerba herbeigeschleppt, was die Leute nur tragen konnten. Wenn Franco eingerückt wäre, hätten sie doch nicht darauf rechnen können, auch nur einen Halm zurück zu behalten.

Flores legte indeß einen andern Posten auf den Hügelkamm hinauf, der zweite nach Tucumbo führende Weg wurde ebenfalls beobachtet und Spione vorausgeschickt, um so weit wie irgend möglich Franco's Lager zu überwachen und rechtzeitig Kunde zu bringen, wann sein Heer anrücke. Flores begriff in der That nicht, weshalb Jener so unbegreiflich lange zögerte, da er doch nicht im Stande war, sich in den armseligen Gebirgsdörfern lange zu halten.

So waren denn alle nur möglichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, und der Augenblick rückte heran, wo das Kriegsglück entscheiden mußte, wer über dies weite, schöne Land herrschen solle: der kleine blutdürstige Mulatte, der einen Militärstaat mit dictatorischer Gewalt daraus formen und Bildung und Intelligenz vernichten wollte, oder die rechtmäßige und gesetzliche Regierung, die ihm jetzt mit allen ihr zu Gebote stehenden Kräften gegenüber stand.

Da knatterte etwa um drei Uhr Nachmittags wieder eine Gewehrsalve über das Thal hin und jagte die erschreckten Bewohner aus ihrer Siesta auf die Straße. Aber es war nicht der anrückende Feind, sondern von den Bergen herunter wälzten sich die wilden, verworrenen Infanteriemassen der Flores'schen Armee, und ohne Befehl der Officiere hatten die Burschen jubelnd und schreiend vor lauter Lust und Vergnügen ihre Gewehre abgefeuert, als sie unten im Thal das freundliche Guaranda und damit die Fleischtöpfe Egyptens vor sich sahen.

Flores lachte, als er die wilden Gestalten, so frisch und unermüdet, als ob sie eben aus ihrem Lager kämen, zu Thal springen sah; aber er hütete sich auch, sie übermäßig anzustrengen, weil die nächsten Tage die Anspannung aller Kräfte in Anspruch nehmen würden. Jetzt aber, mit seinen Getreuen um sich versammelt, fürchtete er auch das ganze Franco'sche Heer nicht, und wenn es ihm an Stärke doppelt überlegen gewesen wäre. Nur hier in Guaranda durfte er es nicht erwarten, denn dies lag dem Angreifer günstiger als dem Vertheidiger. Er mußte Franco zuvor zu kommen suchen, und theilte darum rasch seine Befehle aus.

Den Truppen sollte bis sieben Uhr Abends jede mögliche Freiheit gelassen werden, um ihnen wenigstens einen Ersatz für den langen beschwerlichen Marsch zu geben. Auch hatten sich die Guarandaner schon erboten, sie alle bei sich einzuquartieren, obgleich fünf bis sechs Mann auf die einzelne Familie kamen.

Um sieben Uhr war aber Zapfenstreich; jedes Trinkgelage hörte von dem Augenblick an auf – jede Thür wurde geschlossen, jeder Soldat begab sich zur Ruhe. Um Mitternacht aber wurde wieder Reveille geblasen, und um Eins setzten sich die Colonnen gegen Tucumbo in Bewegung. Von keiner Seite waren Nachrichten eingelaufen, die eine frühere Rüstung nöthig gemacht hätten, und der Feind schien in der That ruhig abzuwarten, wann Flores es für passend halten würde, anzugreifen.

Zuerst sammelte sich nun die Infanterie, um voraus zu marschieren, während man den Pferden noch eine Stunde länger Ruhe ließ, weil sie das Fußvolk später doch leicht einholen konnten.

Aber die Leute sangen und jubelten an diesem Morgen nicht beim Ausrücken; denn viele von ihnen hatten am Abend des Guten wohl etwas zu viel gethan. Alle waren noch schlaftrunken und fühlten sich übernächtig, und schweigend und halb verdrossen stellten sie sich in Reih' und Glied und rückten, als endlich der Befehl zum Abmarsch gegeben wurde, aus Guaranda hinaus und an dem Abhang hin, der sich um die Stadt herumzog und, mit einzelnen zerstreuten Häusern besetzt, bei Tag einen reizenden Ueberblick über dieselbe gewährte. Erst als sie eine Stunde in der frischen Nachtluft marschiert waren, schien es, als ob sie das Unbehagen abgeschüttelt hätten und warm würden.

Etwa um drei Uhr Morgens erreichten sie eine Senkung, die ungefähr eine Stunde Wegs von Tucumbo entfernt sein mochte, und Flores hätte den Ort recht gut im Dunkeln überfallen und den Feind noch unvorbereitet treffen können. Aber in der Dunkelheit wäre es unmöglich gewesen, die unschuldigen Bewohner des kleinen Ortes selber zu schonen, denn wer hätte in der Verwirrung und bei Nacht und Nebel Freund und Feind von einander unterscheiden wollen. So wurde der Angriff denn auf Tagesanbruch festgesetzt und den Truppen Befehl gegeben, hier ihre Feuer anzuzünden und ihr Frühstück zu bereiten.

Während dieser Beschäftigung waren die Reiter nachgerückt, die ebenfalls absaßen und ihren Thieren ein hinten aufgeschnürtes Bündel Yerba vorwarfen. Von nun an war jeder Lärm verboten.

Wenn auch Franco vielleicht seine Vorposten nicht so weit ausgedehnt hatte, wollte man sich doch nicht unnöthiger Weise der Gefahr aussetzen, ihn zu früh zu alarmieren. Es war Befehl ertheilt, keine Hornsignale mehr zu geben, die der Luftzug in diesen noch ziemlich hoch liegenden Bergen außerordentlich weit trägt, und überhaupt jedes unnöthige Geräusch zu vermeiden. Daß der Schein der Feuer nicht weit gesehen werden konnte, dafür hatte man schon durch die Wahl des Terrains Sorge getragen.

Erst gegen fünf Uhr wurde die Ordre zum Aufbruch gegeben, und zwar colonnenweise, die Cavallerie voran, um wo möglich die Vorposten Franco's beim ersten Zusammentreffen aufzuheben und dadurch zu verhindern, daß sie gleich die Kunde vom Anrücken des ganzen Heeres in das Lager brächten. Reserven hatten beide Armeen nicht, und beide wußten daher auch, daß der erste Sieg den ganzen Krieg entscheiden mußte.

Und wieder rückten die dunkeln Colonnen schweigend in die Nacht hinein – es ging schon auf sechs Uhr, aber noch verkündete kein Dämmerschein im Osten den nahenden Tag. Lautlos strich die aufgestörte Eule über den Berg, und der einzige Ton, der die Grabesstille dann und wann unterbrach, war der monotone Ruf der Nachtschwalbe, die dem Lockton ihres Gefährten antwortete.

Weiter und weiter marschierte das Heer, und jetzt endlich zeigten die Wolken im Osten den ersten matten Schimmer. Der Führer behauptete, daß sie kaum noch eine Viertelstunde Weges von Tucumbo entfernt sein könnten, ja wenn es hell wäre, müßten von hier aus die ersten Häuser des Ortes schon sichtbar sein. Aber trotzdem hatte man keine Vorposten getroffen, war noch kein Alarmzeichen irgend einer Art gegeben worden.

Da tönte in der Ferne munterer Trompetenschall, und wie auf Commando hielten die Züge und horchten dem kriegerischen Ton. – »Was war das?«

»Sie rüsten, um nach Guaranda zu marschieren,« sagte Flores zu dem neben ihm reitenden Pescador – »und ich denke, wir können ihnen den Weg ersparen. Hauptmann Fortunato, Sie kennen ja das Signal – was bedeutet das?«

»Sammeln, General,« sagte der Angeredete, der hinter Flores her ritt und jetzt sein Pferd ihm zur Seite spornte. »Wahrscheinlich haben sie auch die Vorposten eingezogen, um Musterung zu halten und dann auszurücken.«

»Das ist immer ein Fehler,« sagte Flores kopfschüttelnd – »und besonders hier in den Bergen; aber unser Freund denkt vielleicht, daß ihm inmitten seiner Armee nichts Schlimmes passiren kann. – Doch da kommt der Tag – sehen Sie, Pescador, wie rasch das rothe Licht durch die Wolken schießt – wie wär's, wenn wir unsere Reiter vorwärts würfen, ehe Seine Excellenz mit seinen Dispositionen ganz zu Ende ist?«

Noch während er sprach, krachten zwei Schüsse unmittelbar hintereinander durch die Nacht, und deutlich konnten sie die eine Kugel dicht neben sich gegen den Stamm eines kleinen Busches schlagen hören. –

»Jetzt haben wir nichts mehr zu versäumen, General,« rief Pescador, sich im Sattel emporrichtend. – »Geben Sie den Befehl. Je eher wir den Burschen dort drüben auf den Nacken kommen, desto besser.«

»Da vorn höre ich den Hufschlag von Pferden,« sagte Flores. – »Ein paar Posten haben also doch noch auf Wache gestanden, und Franco war nicht ganz so leichtsinnig, wie wir geglaubt. Nun denn, in Gottes Namen, Pescador – jetzt kann es nichts mehr helfen, Sie haben Recht; je rascher wir hinter den Alarmschlägern drein sind, desto besser. Vorwärts, meine Herren, ich folge Ihnen mit der Infanterie, so schnell meine Burschen laufen können.«

Ein einziges kurzes Signal wurde gegeben, und noch immer halblaut, als ob sich die Trompeter selber fürchteten, zu viel Lärm zu machen; dann dröhnte der Boden unter den Hufen der davonsprengenden Pferde, und hinter ihnen, mit gefälltem Bajonnet oder gesenkten Lanzen, trabten im wilden Lauf die Sturmcolonnen daher.

Franco hatte einen bösen Tag verbracht. Der Unmuth verzehrte ihn und er mußte sich Gewalt anthun, nicht über die lässigen Arrieros herzufallen, die sich beinahe Mühe zu geben schienen, seinen Marsch aufzuhalten. Aber er durfte nicht wagen, die Thiere zurückzulassen, denn daß er in Guaranda kein einziges Lastthier mehr finden würde, wußte er gut genug – die waren alle aus dem Weg geschafft, und mit dem wenigen Futter, das sie unterwegs bekommen hatten, konnten die seinigen keine großen Tagemärsche machen.

Jetzt aber hatten sie eine volle Nacht geruht und waren bei frischen Kräften, und er durfte darum keine Zeit versäumen, wenn Flores die Stadt besetzt hielt. Er kannte Guaranda selbst von früher her und wußte, welche Vortheile es ihm bei einem Angriff bot – warum brauchte er das Land zu schonen, ihm lag daran, es zu gewinnen, und was er jetzt zerstörte, das mochten die Bewohner in Friedenszeiten wieder aufbauen. Weshalb hatten sie es mit den Rebellen gehalten!

Schon riefen die Signale das Heer zum Antreten, und Franco stand, wie er sich eben von seinem Lager erhoben hatte, am Fenster und rief seinem dicht unter dem Haus haltenden Major seine Befehle hinunter. – Da schlug der Knall der beiden abgefeuerten Gewehre an sein Ohr – das war das verabredete Zeichen einer drohenden Gefahr, und Major Barbadoes schaute in Verzweiflung zu dem leeren Fenster hinauf, denn wie ein Blitz war der kleine Mulatte zurückgesprungen, um in seine Uniform zu fahren und seinen Säbel umzuschnallen.

So bequem Franco aber sonst sein mochte, heute Morgen brauchte er außerordentlich wenig Zeit, um seine Toilette zu beenden. Sein Maulthier hielt Viruta schon unten bereit, und während er jetzt in Hast die steile Treppe hinabkletterte, rief er dem Major zu, »in Schlachtordnung vorzurücken«.

»In Schlachtordnung,« das war leichter befohlen als ausgeführt und würde einem gescheidteren Mann als Barbadoes Bedenken gemacht haben, denn nur unmittelbar vor Tucumbo öffnete sich der Weg so breit, daß eine etwas größere Truppenmasse Platz hatte; dann aber bildete der Ort eine vielleicht sechzig Schritt breite Straße mit Häusern an beiden Seiten, die aber an der linken mit vielem Buschwerk unterbrochen waren.

Die Häuser waren übrigens von den Pfahlbauten des flachen und heißen Landes sehr verschieden und einem kälteren Klima mehr angemessen. Die Wände bestanden aus Lehm mit ordentlichen Fenstern, wenn sich das Dorf auch nicht gerade rühmen konnte, eine Glasscheibe zu besitzen. Aber die Fensteröffnungen der unteren Stockwerke führten starke Gitterstäbe, zu denen das harte Holz Ecuadors vortreffliches Material lieferte, und wurden in kalten Nächten durch irgend ein Stück Baumwollenzeug verhangen, während die Fenster der obern Etage (mehr als einen Stock hatte kein Haus) entweder durch Läden geschlossen waren ober ganz offen standen.

Die Dächer waren fast sämmtlich mit Schindeln gedeckt, nur einige der ärmlicheren Hütten hatten Binsen dazu verwandt, den Vortheil aber boten alle, daß die unteren Wände ziemlich starke Mauern zeigten und im schlimmsten Fall leicht vertheidigt werden konnten. Ob daran den Bewohnern der Häuser etwas lag, war freilich eine andere Sache; diese wurden aber nicht gefragt und schienen heute Morgen keine Ahnung zu haben, daß ihr stilles Dorf zum Schauplatz eines blutigen Gemetzels ausersehen sei. Sie waren nur erfreut, die wilden Schaaren endlich zum Abmarsch bereit zu sehen.

Der Major – zum Dreinschlagen vortrefflich, aber um irgend eine vernünftige Disposition zu treffen, völlig unbrauchbar –, begann augenblicklich eine Anzahl Befehle hinauszubrüllen, ohne daß die Leute verstanden, was sie sollten.

Indessen hatte aber Franco selber den Boden erreicht, und sein Thier rasch besteigend, winkte er mit der Hand um Ruhe. Die Schüsse waren weit draußen abgefeuert worden, und gar zu rasch konnte ihnen der Feind nicht über den Hals kommen, wenn er wirklich im Anzuge sein sollte. War das aber der Fall, so durften sie ihn nicht bis hier mitten in's Dorf kommen lassen; sie hätten sich sonst eines großen Vortheils begeben.

Der kleine Mulatte schloß nämlich ganz richtig, daß der erste Anprall durch die Cavallerie geschehen würde – wenn überhaupt Flores wirklich mit einer größeren Truppenzahl anrückte. Seine Befehle beorderten deshalb die Schaaren vorwärts, um sie erst einmal auf einem freieren Raum zu haben, und dort angekommen, zeigte sich das Terrain so günstig, daß er rechts und links seine eigenen Reiter gedeckt postiren konnte, während die Infanterie mit Lanzen und Bajonetten den Kern der Aufstellung bildete.

Leider fand er dort keine Höhe, von der aus er selber den Kampf übersehen konnte, denn die benachbarten Hügel und Bodenerhebungen waren zu dicht bewaldet. Das aber bot ihm auch den Vortheil, daß keine große Masse auf einmal gegen ihn andringen konnte, denn der Zugang blieb selber noch durch das Gebüsch beengt und gestattete keine Ausbreitung der Feinde.

Sein Plan war deshalb so gut ausgedacht, wie es die Umstände nur erlaubten, und hätte Franco mehr Zeit gehabt, die anstürmenden Truppen würden nicht allein einen schweren Stand bekommen haben, sondern auch aller Wahrscheinlichkeit nach mit schwerem Verlust zurückgeworfen worden sein. Gerade aber als die erste Anordnung getroffen war, und der Major, der das Centrum der Infanterie commandiren sollte, noch gar nicht begriff, was der General eigentlich meinte, sprengten vier Reiter in voller Carrière die Straße entlang und parirten nur mit äußerster Anstrengung ihre von der Hetze wie rasenden Thiere, als sie angerufen wurden.

»Was giebt es?« rief ihnen Franco hastig entgegen.

»Sie kommen!« lautete die lakonische Antwort – »Flores!«

»Caracho! so mag er seine Schläge holen,« rief Franco, den langen Säbel aus der Scheide reißend. »Major, Sie halten das Centrum, und daß die Cavallerie nicht eher vorbricht, bis die Pferde der Rebellen gegen die Lanzen anprallen. – Sie, Hauptmann Lenares, haben den rechten Flügel, und Sie –«

Ein wildes Hurrahgeschrei, das das tausendfältige Echo in den Bergen weckte, füllte jetzt die Luft; die Erde erbebte von den herandonnernden Hufschlägen, und Franco behielt kaum Zeit, sich hinter die Front zurückzuziehen, als die wilden Schaaren, von schmetternden Trompetensignalen begleitet, auf sie einbrachen.

Ob aber die Thiere der Franco'schen Reiter selber unbändig wurden, oder die Officiere den Befehl mißverstanden hatten, bis zum entscheidenden Augenblick zurückzuhalten, kurz, sowie die Feinde aus dem offenen Weg heranstürmten, brach zuerst der linke Flügel der Reiter vor, und als die Angriffscolonne scharf gegen diese schwenkte, auch der rechte, der von den nachdrängenden Reiterschwärmen der Quitener eben so rasch angegriffen wurde. In wenigen Minuten bildete dadurch die Cavallerie auf dem freien Platz, vor der aufgestellten Infanterie, ein buntes Getümmel und verhinderte die Soldaten vollständig, Feuer zu geben, indem sie gar nicht mehr wissen konnten, ob sie Feind oder Freund treffen würden.

Indessen war es Tag geworden, und schon vergoldete die Sonne mit ihrem friedlichen Licht die Höhen, während hier die Kinder ein und desselben Bodens, die Söhne eines und desselben Volkes in blinder Wuth auf einander einstürmten und die Erde mit ihrem Blute färbten; aber eine furchtbare Verwirrung herrschte auf dem engen Raum, die größer und größer wurde, je mehr die Flores'schen Reiter Gelegenheit fanden, an dem Kampfe Theil zu nehmen, so daß Franco's Infanterie sogar von den anpressenden und wild ausschlagenden Pferden mehr und mehr aus ihrer Stellung und gegen die Häuser hin zurückgedrängt wurde.

Der Major war außer sich; er tobte und wüthete und schrie dabei, daß sein gelbes Gesicht schon anfing, sich feuerroth zu färben, aber wer verstand ihn in dem Tumult – wer achtete auf ihn, wo die Soldaten nur eifrig bemüht waren, mit ihren Lanzen nach den feindlichen Reitern zu stoßen, um doch wenigstens in etwas bei dem Kampfe mitzuwirken. Wo sich dabei nur die Gelegenheit bot, wurde auch ein Schuß gewagt, immer freilich mit der Gefahr, auch einen Freund zu treffen, aber was kümmerte das diese Burschen?

Lange konnte dies wilde Gemetzel aber nicht in solchem eingeschränkten Raum dauern, zu viel frische Massen preßten da hinein, die Pferde von Freund und Feind waren überdies noch gar nicht an das Schießen gewöhnt und wurden durch das Knallen der Gewehre wild und unbändig, und die barfüßigen Soldaten, die nichts so sehr scheuten als einen Pferdehuf, fingen schon von selber an zurückzudrängen, als plötzlich auch noch von einer einzelnen Trompete das Franco'sche Signal zum Rückzug geblasen wurde.

»Wer hat das befohlen?« schrie Franco wüthend, und gab seinem Thier in vollem Grimm die Sporen, um zwischen die Infanterie hinein zu stürmen. Das störrische Maulthier weigerte sich aber hartnäckig, der Aufforderung zu folgen, und fing jetzt auch seinerseits an, hinten auszuschlagen – »Wer hat das befohlen? Gift und Tod! Vorwärts, Ihr Schurken, vorwärts!«

Wenn aber auch die ihm Nächsten, die seine Stimme hören konnten und seine wüthenden Gesticulationen sahen, dem so direct gegebenen Befehl Folge leisten wollten, so vermochten sie es doch nicht, denn noch immer schmetterte der Befehl zum Rückzug – und wie man jetzt deutlich hören konnte, von einem kleinen Gebüsch aus, das den Kampfplatz überragte, und die vorderen Glieder, die froh waren, aus der Nähe der wüthenden Pferde zu kommen, drängten, dem Signal gehorsam, wild zurück.

Dadurch gewannen die Reiter mehr Raum; aber trotzdem Pescador die Seinen zu immer wilderem Eifer anspornte und überall der Erste bei Angriff und Vertheidigung war, hatten Franco's Truppen sich doch auf der linken Seite der Straße wieder zu einem festen Keil zusammengedrängt, und brachten die Florestiner dadurch, daß sie den Ausgang einer Seitenstraße erreichten, in den Bereich eines kleinen Trupps dort eben vorbeieilender Infanterie, die ohne Weiteres Feuer gab und arge Verwirrung anzurichten drohte.

Zwar ließ Pescador augenblicklich eine Schwadron abschwenken, die rasch reine Bahn fegte, aber die Infanteristen flohen in die Häuser und setzten dort, wohin ihnen die Feinde nicht folgen konnten, ihr Feuer fort.

Wenn aber Flores' Reiter dadurch in augenblicklichen Nachtheil geriethen, so bekam doch das Fußvoll Raum und Gelegenheit, sich aus der beengenden Straße herauszuziehen und sich auf den noch immer langsam weichenden Feind zu werfen.

Franco war außer sich und schon lange von seinem störrischen Thier gesprungen, um die Seinen wieder vorwärts zu treiben, aber unter dem Knattern der Salven und dem Geschrei der Kämpfenden verhallte seine Stimme, während klar und deutlich noch immer die Trompete ihr mahnendes Signal zum Rückzug blies.

Wenn es ihm nun auch endlich gelang, seine Schaaren zum Stehen zu bringen, so hatten sie doch jedenfalls ihre vorher günstige Position verloren, während die Florestiner, durch die anscheinende Scheu der Feinde, ihrer Macht die Spitze zu bieten, weit mehr ermuthigt wurden und mit immer wilderem Ungestüm auf sie eindrangen.

Franco sah bald, daß er hier die Masse seiner Truppen gar nicht verwerthen konnte, wenn er nicht die Flanke zu gewinnen suchte, und sandte deshalb die hintersten Colonnen in die Gebäude rechts und links hinein, um von dort aus ihr Feuer auf den Feind zu eröffnen. Die Bewohner hatten ihre Thüren und Fenster allerdings, wie der Kampf begann, verschlossen oder verrammelt, aber die wilde Schaar sah das als kein Hindernis an. Die Thüren waren im Nu eingeschlagen, und da die Häuser oben oft nur ein und manchmal gar kein Fenster hatten, sprangen die Soldaten auf den Boden hinauf und schleuderten das Dach hinab, um sich Luft zu machen.

Am Eingang der Stadt, wo sie solche Position allein halten konnten, hätte sie das auch in Vortheil gebracht, hier aber war von Flores schon vorher genau dasselbe geschehen, und wo sie sich oben auf den Dächern zeigten, eröffneten die Florestiner von den gegenüberliegenden Dächern aus ein scharfes Feuer auf die exponirten Stellen.

Dadurch aber, daß die Reiter ihren Kampfplatz in den Seitenweg verlegt hatten und ein großer Theil der Truppen sich in die Häuser warf, um von hier aus zu operiren, gewannen die anderen unten in der Hauptstraße mehr Luft, sich frei zu regen, und Franco hielt den Moment für günstig, einen raschen und entscheidenden Angriff auf das Centrum zu wagen. Gelang dieser und warf er den Kern der Angreifenden bis vor das Dorf zurück, so schnitt er damit rechts und links die in den Häusern vertheilten Schützen ab, die er dann bald unschädlich machen konnte.

Ein Trompeter hielt jetzt neben ihm, den er zu sich beordert hatte, um den verzweifelten Rückzugshornisten entgegen zu arbeiten – aber der war jetzt verstummt, und schrill und wild ertönten plötzlich die Signale zum Gesammtangriff, worüber der riesige Barbadoes ein ordentliches Freudengeheul ausstieß.

Eben war er zurückgestürzt und hatte sein Pferd bestiegen, denn zu Fuß konnte er mit seinem mächtig langen Pallasch nicht so arbeiten, wie im Sattel, wo die von oben geführten Hiebe ein doppeltes Gewicht erhielten, und seinem Thier die Sporen gebend, schrie er, zwischen seine Soldaten hineinspringend:

»Platz da! Platz da, meine Jungen, und nun vorwärts mit Lanze, Kolben und Bajonett! Feuert Eure Gewehre noch einmal in die Schufte hinein und dann mir nach! Hurrah für Franco – Hurrah! In die Hölle mit den Rebellen! Sieg oder Tod!« und in blinder Wuth warf er sich, von den begeisterten oder jedenfalls aufgeregten Schwärmen dicht gefolgt, auf die Feinde, die einem solchen rasenden und in südamerikanischen Kämpfen sonst unerhörten Angriff nicht gewachsen schienen. Sie hielten allerdings im Anfang Stand und den ersten Anprall so wacker wie alte kriegstüchtige Soldaten aus, aber immer wüthender drangen die Franco'schen Schaaren auf sie ein, und der Major besonders verbreitete, nicht allein durch seine riesige Erscheinung, sondern auch durch die Wucht seiner Waffe, Furcht und Entsetzen um sich her.

Weiter und weiter wurden die Florestiner zurückgedrängt; schon hatten ihre Gegner mehrere der Gebäude, in denen Flores seine Schützen postirt hatte, erkämpft, und Franco, jubelnd und frohlockend, befahl, Feuer hinein zu werfen, um die Feinde auszuräuchern. Im Nu war der Befehl auch ausgeführt, und das Zurückweichen der Florestiner schien in eine wilde, ungeordnete Flucht auszuarten, als Flores selber mit einem kleinen Theil seiner Reiter mitten zwischen die Fliehenden sprengte und sie mit seiner Stentorstimme zu neuem Kampf anfeuerte.

Der sonst so stille, ruhige Mann war außer sich; sein Antlitz hatte eine todtenbleiche Farbe angenommen, seine Augen aber glühten, die ganze Gestalt zitterte, während er sich im Sattel hob, den Säbel schwenkte und schrie:

»Hierher, Quitener! Dort steht der Feind – auf den Mulatten!« Und wie ein Keil stürmte der kleine tapfere Reitertrupp mitten zwischen die siegestrunkenen Feinde hinein, indem rechts und links ihre Pallasche sich Bahn brachen.

Fortunato, seinen Säbel in der Rechten, einen Revolver in der linken Hand, sein Pferd mit den Fersen spornend, hielt sich dicht neben Flores, um den General zu schützen – Espinoza ritt an seiner anderen Seite –, als Barbadoes seines alten Hauptmanns ansichtig wurde und wie rasend, alles Uebrige um sich her vergessend, auf Fortunato einsprengte.

»Caracho!« schrie er, mit einer von der furchtbaren Erregung heisern Stimme. »Hab' ich Dich verrätherischen Hund endlich!« und der Schlag, zu dem er ausholte, hätte Fortunato's Kopf bis in den Halswirbel spalten müssen, wenn er ihn ausgeführt hätte. Des jungen Hauptmanns Pferd machte aber in diesem Augenblick einen Satz nach vorn, und Fortunato, seinen Revolver auf den Riesen abdrückend, jagte ihm die Kugel gerade in die Armhöhle hinein, daß der Arm macht- und kraftlos mit der Waffe niedersank.

Im nächsten Moment traf der Stahl eines der Reiter die breite gelbe Stirn des Mulatten und warf ihn aus den Sattel, und über ihn hin gingen die Hufe der nachstürmenden Pferde.

Der Fall des Majors verbreitete Entsetzen unter den Franco'schen Truppen. Die nächsten stürzten freilich vor, um ihn zu rächen, aber Fortunato mit den Reitern hatte Viruta unter dem Schwarm gesehen, und wie ein Wetter sprengte er mitten in den Trupp hinein – ein Bajonett riß ihm die Seite auf – er fühlte es nicht – eine Kugel schlug ihm die Mütze vom Kopf herunter – was that's – Viruta stieß mit der Lanze nach ihm, aber Fortunato, dem Stoß ausweichend, hieb seinem Todfeind das tückische Gesicht mitten von einander und feuerte dann die Schüsse seines Revolvers in den Schwarm hinein.

Indessen waren auch die quitenischen Lanzenträger wieder gesammelt und unterstützten jetzt mit lautem Geschrei den Angriff der Reiter so nachdrücklich, daß bald an kein Halten mehr zu denken war. Der Major fehlte, der sonst die Bahn frei machte, die jungen Officiere waren nicht mehr im Stande, ihre Leute zu halten – sie wichen immer mehr zurück.

Franco schrie und tobte – vergebens – rechts und links flohen sie in die Seitenstraßen, um dort entweder noch einmal Stand zu halten, oder in den benachbarten Büschen Deckung und Schutz zu finden. Ihnen nach aber mit Hurrahgeschrei und Jubelruf drängten die Quitener, niederstoßend, was sie erreichen konnten, und über die Gefallenen wegsprengend.

Von der Seite her kamen jetzt die Franco'schen Reiter, aber sie wurden hart bedrängt von den Quitenern, und Franco sah, daß er die Stadt nicht mehr halten konnte. Jetzt aber galt es besonders seine eigene Person in Sicherheit zu bringen, er durfte nicht in die Hände der Feinde fallen, und seinem Maulthier deshalb die Sporen gebend – und dieses gehorchte jetzt willig, als es dem Gewehrfeuer entfliehen sollte – sprengte er, von seinen tapferen Schaaren eben so willig gefolgt, aus Tucumbo hinaus und wieder in den buschigen Weg hinein, wo er aufs Neue seinen Leuten zu halten und den Rückzug zu ordnen befahl.

Eine Verfolgung war hier, wegen der steilen Wand an der linken und des Abhangs an der rechten Seite und wegen des dichten Gebüsches, viel schwieriger, und im schlimmsten Falle gewährte ihnen der Wald Schutz vor gänzlicher Vernichtung.

An Standhalten war aber nicht mehr zu denken; die Soldaten, erschöpft und entmuthigt, weigerten sich, noch einmal den ungleichen Kampf aufzunehmen, und es blieb dem General endlich nichts Anderes übrig, als sich darauf zu beschränken, seine Flucht gegen Camino real so geordnet wie nur irgend möglich fortzusetzen.

Flores belästigte ihn auch nur sehr wenig dabei, denn er wußte sehr wohl, daß Franco nach dieser Niederlage keine zweite Schlacht annehmen konnte, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, total aufgerieben und selbst gefangen zu werden. Eine ernstliche Verfolgung in den Büschen würde ihm aber eine Menge Leute gekostet haben, die überhaupt, in den letzten Tagen übermäßig angestrengt, jetzt weit eher der Ruhe bedurften. Hatten sie gerastet, dann hoffte er dem Usurpator aber auch wieder dicht auf den Fersen zu sein, und kein günstigeres Terrain gab es nachher für einen letzten entscheidenden Kampf, als vor Bodegas in den weiten Ebenen. Er rechnete dabei auf den störrischen Charakter des Mulatten, der den schon sicher geglaubten Preis nicht ohne einen letzten verzweifelten Versuch sich würde aus den Händen ringen lassen.

Nur um den fliehenden Feind zu beunruhigen, schickte er noch eine kleine Anzahl Schützen nach, die durch den Wald springen und das abziehende Heer in den Flanken belästigen sollten. Auch ein kleiner Reitertrupp mußte ihm folgen, um die Bewegungen des geschlagenen Heeres zu beobachten; dann ließ er zum Sammeln blasen, um zuerst die Todten aus dem Weg zu schaffen und den Leuten die Ruhe zu gönnen, der sie nach dem vorhergegangenen Mühseligkeiten und dem letzten Kampfe so sehr bedurften. Sie hatten wacker gefochten und verdienten dafür belohnt zu werden.



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