Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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1.

Die Familie Buscada.

Bodegas, das sonst so friedliche, sonngebrannte Städtchen, das, am Bodegasstrom unweit Guajaquil belegen, den eigentlichen Centralpunkt für den ganzen Binnenhandel der Republik bildet, befand sich heute in einer fast fieberhaften Aufregung, und während überall kleine Trupps wild genug aussehender Soldaten mit klingendem Spiel einherzogen, sammelten sich die Bürger und zahlreiche Arrieros und Maulthiertreiber in Gruppen und betrachteten mißtrauisch das geräuschvolle Leben um sich her. Grund dazu hatten sie auch wahrlich genug.

Heute war nämlich zu noch ganz früher Stunde der ecuadorianische Usurpator, General Franco, der sich am liebsten Excellenz, als künftiger Präsident, tituliren ließ, eingerückt, um Bodegas zu seinem Hauptquartier zu machen und von hier aus seine Operationen gegen die Hauptstadt des Reiches, gegen Quito, zu beginnen, und heute schon sollte ein junger quitenischer Officier, den man noch in Bodegas angetroffen und jetzt beschuldigte, ein Spion des Generals Flores zu sein, standrechtlich erschossen werden.

Ganz Bodegas war dazu auf den Füßen, aber wahrlich nicht allein aus Neugier, um das blutige Schauspiel mit anzusehen, sondern mehr aus einem Gefühl eigener Beunruhigung, denn was hier einem vollkommen unschuldigen Manne geschah, konnte unter der Willkür dieses Menschen jedem Andern von ihnen auch geschehen. Und wer hätte sich ihm widersetzen wollen?

Mit einer Horde gedungenen Gesindels behauptete er seine Macht in diesem südlichen Theile der Republik. Die uniformirten und bewaffneten Banden waren aber, wenngleich schlecht bezahlt und lediglich auf die Plünderung der reichen Stadt Quito vertröstet, doch dem Usurpator so ergeben, daß er mit ihnen machen konnte, was er wollte – und das wußte er. Nur durch den Schrecken, durch die Furcht, die er um sich her verbreitete, regierte er, und weil er vielleicht ahnte, daß das eigentliche Volk doch im Herzen der quitenischen Regierung ergeben sei und seine Herrschaft nur gezwungen duldete, nutzte er die so gewonnene, unbeschränkte Gewalt in boshafter Schadenfreude auch jetzt gründlich aus.

Umsonst hatte man deshalb auch schon Alles an diesem Morgen versucht, um das Herz des Generals zur Milde gegen den Unglücklichen zu stimmen. Umsonst erbot sich eine Deputation der Einwohner, Bürgschaft für ihn zu leisten. Es lag kein anderer Beweis gegen ihn vor, als daß man ihn, nachdem ein kleiner Trupp quitenischer Soldaten, der Uebermacht weichend, abgezogen, allein noch in Bodegas – Morgens um sieben Uhr – aufgefunden. Franco selber glaubte vielleicht nicht einmal an seine Schuld, aber auf alle Bitten erwiderte er nur: man müsse ein Exempel statuiren, um diesen vermaledeiten Quitenern zu zeigen, was sie zu erwarten hätten, wenn sie sich nicht gutwillig seinem milden Scepter unterwürfen – und dabei blieb es.

Die Execution war beschlossen, selbst ohne eine nicht für nöthig erachtete Untersuchung, und um elf Uhr sollte der Unglückliche draußen vor der Stadt erschossen werden.

In Bodegas hatte sich indessen ein so wunderliches wie romantisches Gerücht verbreitet, daß jener junge quitenische Officier Benito Espinoza nicht etwa der Politik sondern der Eifersucht des Generals zum Opfer falle. Franco hatte nämlich in demselben Haus, in dem er sich jetzt auch wieder einquartirt, bei der Señora Buscada, schon vor einigen Monaten einmal ein paar Tage gewohnt, und man vermuthete, daß ihn die Señora mit ihrer Familie sogar vor einiger Zeit besucht habe, denn sie hielt sich acht Tage in Guajaquil auf. Als aber die Quitener danach Bodegas besetzten, war Espinoza ein täglicher Gast in dem Hause der Señora Buscada und – wie man behaupten wollte, von der jüngsten Señorita gar nicht ungern gesehen. Selbst die alte Señorita begünstigte seine Besuche, denn er spielte Morgens, während die jungen Damen Toilette machten, oder auch nach Tisch MonteMonte, ein sehr gewöhnliches Hazardspiel der Spanier und der spanischen Colonien, mit spanischen Karten gespielt – ähnlich unserem Landsknecht. mit ihr, wobei er regelmäßig sein Geld verlor, klimperte reizend auf der Guitarre und hatte eine allerliebste Tenorstimme, mit der er quitenische Lieder und Romanzen sang. Dazu war seine Partei gerade die herrschende, weshalb also nicht einen so liebenswürdigen Vertreter derselben in ihrem Hause dulden.

Jetzt, da Franco's Truppen so plötzlich in Bodegas einrückten, schien es mehr als wahrscheinlich, daß sich der junge Espinoza nicht so rasch hatte von seiner angebeteten Celita trennen können – lag doch auch eine gewisse Romantik darin, der herannahenden Gefahr muthig die Stirn zu bieten, nur General Franco selber besaß außerordentlich wenig Sinn für Romantik, und da er von seinen zahlreichen Spionen gerade genug erfahren, um seinen Doppelhaß gegen den Quitener und Nebenbuhler zu lenken, so war von ihm wahrlich keine Gnade zu hoffen.

Espinoza mußte sterben. Es schien das ja auch zu einer so allgewöhnlichen Sache geworden zu sein, irgend einen der eingefangenen Feinde auf irgend einen Verdacht hin erschießen zu lassen, daß es nicht einmal der Mühe lohnte, darüber nur ein Wort zu verlieren. Er war im Weg und wurde beseitigt, und damit charakterisiren sich überhaupt fast alle südamerikanischen Revolutionen dieser sogenannten Republiken, daß die verschiedenen Aspiranten zur Präsidentschaft den Gegner nicht etwa durch die Wahl und Stimmen des Volkes zu besiegen suchen, sondern ihn einfach vernichten, wo sie ihn eben fassen können. So lange sie deshalb die Militärgewalt in den Händen haben, so lange regieren sie – aber nicht einen Tag darüber.

Es mochte elf Uhr sein, und Franco's Generalstab – ein paar Officiere mit entsetzlich überladenen Uniformen, die ordentlich bedeckt mit Goldschnüren und Quasten und Troddeln schienen – hielt vor dem Eckhaus, das der Señora Buscada gehörte und wo der General Quartier genommen hatte. Dieser aber, als unabhängig Regierender, schien sich nicht so genau an die von ihm selbst festgestellte Zeit zu binden. Der Generalstab mochte warten und ebenso der zum Tode Verurtheilte, bis seine Zeit kam. Franco, mit seiner Toilette beschäftigt, stand am Fenster vor einem kleinen Spiegel und mühte sich eben ab, die Cravattenschnalle hinten zuzubringen.

Und das war der Mann, der ein ganzes Land in Aufruhr gebracht, der die Macht hatte über Leben und Tod von Tausenden und in dem südlichen Theil der Republik schaltete und waltete wie er eben wollte, während Männer von Geist und Bildung ihm dienten und sich seinen Befehlen fügten?

Es war eine kleine gedrungene, breitschultrige Gestalt, nicht einmal volle fünf Fuß hoch, mit einem runden gemeinen Gesicht, kleinen halb zugekniffenen Augen, und Zügen, in denen rohe Sinnlichkeit so deutlich ausgeprägt war, wie es in einem Menschenantlitz nur möglich ist. Seine Feinde behaupteten dabei, er sei ein Sambo – d. h. ein Abkömmling von Mulatte und Neger, und wenn das auch vielleicht übertrieben sein mochte, so trug er doch die vollständig ausgeprägte Mulatten-Physiognomie, und die gelbbraune Haut machte seine überdies widerliche Erscheinung nicht freundlicher.

Draußen auf dem Executionsplatze stand, von Soldaten umgeben, der Verurtheilte mit auf den Rücken gebundenen Händen und harrte des Augenblicks, der ihm in der Blüthe der Jahre den Tod geben sollte. Vor dem Thore des Hauses hielten die Officiere, die schon dreimal Meldung hinauf geschickt hatten, daß Alles bereit sei, das begonnene Drama zu beenden, und oben in dem Zimmer stand der kleine Mulatte, der alle diese blutigen Fäden in der Hand hielt, vor seinem Spiegel und ordnete seine Cravatte so sorgsam und in so voller Ruhe, als ob er zu einem Balle geladen wäre und nicht wisse, was mit der müßigen Zeit vorher anzugeben.

Da öffnete sich die Thür und ein junges Mädchen in einem etwas sehr leichten Morgenanzuge stand auf der Schwelle. Sie mochte etwa zwanzig oder einundzwanzig Jahre zählen und ihre Züge waren regelmäßig, ja selbst schön zu nennen, während die vollen, hinten zu einem Knoten gebundenen dunkelkastanienbraunen Haare ihrem Kopf etwas Edelantikes verliehen. – Und doch lag – vielleicht auch nur in diesem Augenblick, ein recht häßlicher Zug von Spott und Verachtung um ihre Lippen, als ihr Blick über die Gestalt des Mannes streifte und dann – wie suchend durch das Zimmer glitt. Ja selbst in dem späteren Gespräch verlor er sich nicht ganz, sondern milderte sich nur in etwas.

»Excellenz,« sagte sie mit leiser, aber nichts weniger als schüchterner Stimme, und ihr Blick haftete dabei fest auf der kleinen gedrungenen Gestalt des Mulatten.

»Ah, meine schöne Celita,« erwiderte der General, ohne sich nach ihr umzudrehen, denn er hatte im Spiegel vor sich ihr Gesicht erkannt. »So früh schon munter, Señorita? Treten Sie doch näher.«

»Excellenz,« fuhr aber die Schöne fort, ohne der Einladung Folge zu leisten, »ich komme mit einer Bitte.«

»Sie wissen doch, daß ich Ihnen nichts abschlagen kann,« erwiderte galant der General.

»Gut,« sagte das junge Mädchen, »dann bitte ich um das Leben des Verurteilten, der, wie ich fest überzeugt bin, unschuldig an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen ist.«

»Puh, Señorita,« rief Se. Excellenz und suchte sich dabei in die etwas enge Uniform hineinzuzwängen, denn er hatte bis jetzt in Hemdärmeln vor dem Spiegel gestanden, »mischen Sie sich nicht in Politik. Das ist ein äußerst gefährliches Spielzeug für junge Damen, und es wirft außerdem auch in diesem Fall ein sehr schlechtes Licht auf Ihre Loyalität, wenn Sie das Leben eines Rebellen von mir verlangen.«

»Eines Rebellen, Excellenz?«

»Ja wohl, eines Rebellen,« wiederholte der General und suchte dabei im Zimmer umher nach seinem Säbel und Federhut – »oder rechnen Sie die Quitener, die sich meiner rechtmäßigen Oberhoheit noch mit den Waffen in der Hand widersetzen, etwa nicht dazu?«

»Also selbst diese kleine Gefälligkeit wollen Sie mir weigern?«

»Kleine Gefälligkeit!« sagte Franco, sich den gefundenen Säbel umschnallend. »Die ganze Stadt freut sich auf das Schauspiel, einen dieser verdammten Quitenen todtschießen zu sehen.«

»Die ganze Stadt hat schon Deputationen zu Ihnen geschickt, die um Gnade baten,« sagte das Mädchen finster.

»Die ganze Stadt? Ein paar mißvergnügte Halunken waren es,« rief der kleine Mulatte erbost – »Verrätherische Subjecte, die es im Geheimen mit Flores halten, denen ich aber schon auf die Finger sehen und sie bei nächster Gelegenheit dafür züchtigen werde – verlassen Sie sich darauf. Außerdem sind meine braven Soldaten heute Morgen expreß zu der Execution hinausmarschirt, braten schon seit einer vollen Stunde auf der offenen Ebene draußen – nennen Sie das etwa auch eine Kleinigkeit? – Uebrigens,« setzte er hinzu, nachdem er seine Toilette vollendet hatte und dicht zu der Dame trat, »möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, Señorita, daß man hier in Bodegas ganz eigenthümliche Sachen munkelt – bitte, vertheidigen Sie sich nicht – ich will nichts davon wissen und nichts gehört haben, denn die Gesinnungen Ihrer Tante bürgen mir dafür, daß Sie keine verrätherischen Absichten in Ihrer Familie hegen. Señora Entonza würde sonst dieses Haus nicht zu ihrem Aufenthaltsort gewählt haben, da sie durchaus loyal und mir und meiner Sache treu ergeben ist – hat sie doch auch Grund genug dafür. – Aber – es wäre gut, wenn ich auch nichts hören müßte, was mich mißtrauisch machen könnte, Señorita, denn« – fügte er leise hinzu und hob ihr mit dem Finger das Kinn etwas in die Höhe, »ich meine es gut mit Ihnen und – möchte nicht, daß Sie Ihrem eigenen Glück im Wege ständen.«

Damit schritt er an der ihm Raum gebenden Dame vorbei und die Treppe hinab, daß sein Säbel polternd auf den hölzernen Stufen hinter ihm drein klirrte. In der Seitenstraße unten, vor einer schmalen Flucht dort angebrachter hölzernen Schwellen, standen die Pferde; ein Neger hielt den Zügel seines muntern Thieres, das er bis dicht an die Treppe gedrängt hatte. Franco brachte sich mit einiger Mühe in den Sattel und sprengte wenige Minuten später, von seinem Generalstab und den Blicken – und vielleicht auch leise gemurmelten Verwünschungen der Nachschauenden gefolgt, die Straße hinab, die in das Innere führte und gleich vor der Stadt in eine weite, nur mit niederem Gebüsch überstreute Ebene ausmündete.

Celita stand noch eine Weile ganz so, wie sie der General verlassen, auf der Schwelle von dessen Stube, und hatte ihr Antlitz vorher Spott und Verachtung gezeigt, so zog jetzt ein noch viel drohenderes Gewölk über ihre Stirn und gab dem sonst so hübschen Gesicht einen düstern, fast wilden Ausdruck. Wie unwillkürlich ballte sich ihre Hand, und als sie den Platz verließ und dem gemeinschaftlichen Wohnzimmer zuschritt, murmelte sie leise bös klingende Worte vor sich hin.

Im Wohnzimmer fand sie nur ihre Mutter, die in einem weiten weißen, nicht übermäßig glänzenden Morgen- oder Negligérock, mit einer Tasse Kaffee neben sich, auf dem aus Rohr geflochtenen Sopha lag, ihre Cigarre rauchte und kaum den Kopf wandte, als die Tochter das Zimmer betrat.

»Nun?« fragte sie, als sie den finstern Ausdruck in deren Zügen erblickte – »Hab' ich es Dir nicht gleich gesagt? – Das war umsonst und Du hättest Dir die Mühe sparen können.«

»Er ist blutgierig wie immer,« sagte Celita, »und das Land bekommt keine Ruhe, bis er einmal – seinen Meister gefunden.«

»Laß Du das, um der heiligen Jungfrau willen, nicht die Tante hören,« rief die Mutter rasch und warf den scheuen Blick im Zimmer umher, als ob sie selbst jetzt ihre Nähe fürchtete. »Außerdem,« setzte sie aber ruhiger hinzu und qualmte stärker, »geschieht es dem albernen Espinoza vollkommen recht. Er wußte, was ihm bevorstand – es ward ihm von verschiedenen Seiten deutlich genug zu verstehen gegeben. Aber nein, Gott bewahre, er mußte da hocken bleiben, bis sie ihn beim Kragen hatten, nur um sein langweiliges und nutzloses Schmachten noch ein Paar Stunden länger fortzusetzen. Ich hätte doch nie meine Einwilligung zu Eurer Verheirathung gegeben.«

»Benito stammt aus einer guten Familie,« zürnte die Tochter.

»Was hilft mir die gute Familie, wenn sie kein Geld hat,« sagte die Mutter und schüttelte gleichgültig den Kopf. »Der Proceß mit Malvecas hat ihnen Alles gekostet, was sie besaßen, ein kleines erbärmliches Haus in Quito ausgenommen, und der Vater malt jetzt Bilder für Geld und die Tochter näht für andere Leute – da hast Du Deine ›gute Familie‹.« Dieser Señor Espinoza wäre nicht zur Armee getreten, wenn er gewußt hätte, sich auf andere Weise durchzubringen, und von seinem Lieutenantssold soll er doch wohl keine Frau – und ihre Familie ernähren! Nein, das war eine von den unglücklichsten Ideen, die Du je gehabt, und General Franco konnte uns wirklich gar keinen größeren Gefallen thun, als daß er den unbequemen Menschen aus dem Weg schafft. Wir, vor allen Anderen, sollten ihm dankbar dafür sein.«

»Mutter!« warf Celita grollend dazwischen.

»Ach was – leben kostet Geld,« sagte die alte Dame trotzig, und ihre ohnedies nicht hübschen Züge nahmen einen recht fatalen Ausdruck an. »Ihr beiden Mädchen braucht alle Jahre mehr für Putz Eurer Kleider und Gott weiß, wozu sonst – wo soll's endlich herkommen? Eure hübschen Gesichter sind das Einzige, was uns noch Kostgänger in's Haus und Leute hierher bringt, die ihr Geld mit Anstand verzehren. Seid Ihr Beiden aber toll genug, Euch dem ersten Besten an den Hals zu werfen, der den Arm nach Euch ausstreckt, was wird nachher aus Euch, aus mir? Sei vernünftig, Celita,« fuhr sie endlich nach einer Pause fort, in der das junge Mädchen schweigend vor sich nieder gestarrt hatte, »sieh, von Eurer Tante – so reich sie sein mag – habt Ihr nicht das Mindeste zu erwarten, als vielleicht einmal ein Kleid oder einen Hut, oder sonst ein Stück Flitterkram, denn die alte Gans wird nächstens ihren dümmsten Streich machen und den Doctor heirathen. Ja, sie wird's« – setzte die Mutter rechthaberisch hinzu, als Celita ungläubig mit dem Kopf schüttelte, »den Doctor reizen die Häuser in Guajaquil und Quito, ihn lockt das baare Geld, das sie im Kasten liegen hat, und er ist gerade der rechte Mann, hartnäckig und unermüdlich dahinter her zu sein – kenn' ich ihn doch von früher gut genug.«

»Aber so weit ich ihn kenne,« sagte Celita, »hängt er an der quitenischen Regierung, und die Tante, der Flores einmal verhaßte Einquartierung in's Haus gelegt hat, ist eine fanatische Schwärmerin für Franco –«

»Caramba,« sagte die alte Dame, indem sie mit den Fingern ein Schnippchen schlug, »so viel geb' ich für Doctor Ruibarbo's politische Meinung. Sein Katechismus ist der: es mit der Regierung zu halten, die gerade am Ruder ist oder in deren Bereich er sich befindet. Alles Andere kümmert ihn verwünscht wenig, und er wäre der Letzte, seine Politik ein Hinderniß sein zu lassen, wo er mit da- oder dorthin Neigen sein Glück machen könnte.«

»Die Tante ist vier Jahre älter als er.«

»Desto schlimmer für die Tante,« sagte Señora Buscada trocken. »Das darfst Du aber – wenn es die Tante auch noch bis auf den letzten Moment ableugnet – für eine abgemachte Sache halten. Von der Seite haben wir nicht das Geringste zu erwarten und sind und bleiben auf uns selber angewiesen. Wenn Du es jetzt aber nur ein klein wenig klug anfängst, so kannst Du den Franco um den kleinen Finger wickeln und gelingt Dir das, dann ist unser Glück gemacht.«

»Und glaubst Du wirklich, daß er sich so lange halten kann?« sagte die Tochter verächtlich.

»Bah, das bleibt sich ganz gleich,« erwiderte die alte Dame vor sich hinlachend, indem sie sich eine frische Cigarre drehte; »jedenfalls bleibt er lange genug am Ruder, um für sich und – Andere – ein hübsches Vermögen zusammen zu scharren, und wer die Zeit zu benutzen versteht, gewinnt. – Doch was brauch' ich Dir mehr darüber zu sagen,« brach sie kurz ab, »Du bist ja sonst immer ein so gescheidtes Mädchen, und – ich höre auch Jemand draußen – sieh doch einmal nach.«

Ehe Celita dem Befehl nachkommen konnte, öffnete sich die Thür und Doctor Ruibarbo – oder Don Manuel, wie er kurzweg im Hause genannt wurde, erschien auf der Schwelle und grüßte mit seinem runden, verschmitzten Gesicht die Damen auf das Freundlichste.

»Ach, Señoritas,« sagte er, indem er zuerst auf Señora Buscada zuging und ihr die Hand küßte und dann der jüngeren Dame ein Gleiches that – »wie befinden Sie sich bei der Hitze? – Caramba! ich schmelze beinahe. Es geht auch nicht ein Luftzug heute,«

»Setzen Sie sich, Doctor,« sagte die alte Dame, während es die junge nicht der Mühe werth hielt, ihm zu antworten, »und Celita, bringe uns die Caraffe mit Wasser und den Cognac – wie der Doctor nur von der Hitze sprach, habe ich Durst bekommen. Es ist wirklich ein fatales Klima – wenn ich Quito dagegen annehme.«

»Aber doch augenblicklich in Quito ebenfalls eine etwas drückende politische Atmosphäre,« sagte der Doctor mit einer leichten Spötterei. »Die Actien stehen in der Balance, und wenn unser gemeinschaftlicher Freund Franco seinen kühnen Siegeszug wirklich bis dahin ausdehnen sollte –«

»Glauben Sie, daß er es durchführt, Doctor?« unterbrach ihn die alte Dame, indem sie ihn scharf ansah.

»Wer weiß,« erwiderte der Doctor mit einem, den Südländern ganz eigenthümlichen Achselzucken. »Er hat einen unternehmenden Geist und großen Anhang – sehr großen Anhang.«

»Und dann?«

»Ja und dann, Señora – das ist wohl leicht gefragt, aber schwer beantwortet, und wir können nur hoffen, daß unser armes, schwer bedrängtes Vaterland nachher den Frieden findet, den es so nöthig braucht.«

»Lassen wir die Politik,« brach aber Señora Buscada ab, die wohl wußte, daß sie aus dem schlauen Doctor vergebens irgend eine bestimmte Meinung herauszulocken suchte. »Machen wir ein Spielchen, Don Manuel?«

»Mit dem größten Vergnügen, wenn Sie mir Ihre kostbare Zeit so weit opfern wollen.« Damit half sich der Doctor zu einem Schluck Cognac und Wasser und nahm, während die Señora die stets neben ihr auf dem Sopha bereit liegenden Karten mischte, ihr gegenüber an dem Tische Platz.

So mochten sie etwa eine halbe Stunde gespielt haben und Celita lehnte indessen an dem offenen Fenster und schaute in düsteren Gedanken hinab auf den vorbeiströmenden Bodegasfluß, als plötzlich klar und deutlich eine kurze Salve knatternden Kleingewehrfeuers an ihr Ohr schlug. Das junge Mädchen zuckte erschreckt empor und selbst der Doctor hielt die Karte fest in der Hand, die er eben umlegen wollte – ein flüchtiger Blick hatte ihn belehrt, daß er mit derselben seinen Satz verlor.

»Nun, was ist?« sagte die Señora, deren ganze Aufmerksamkeit auf die Karten gerichtet blieben.

»Armer Benito,« seufzte Celita leise vor sich hin.

»Aeußerst schnelle Justiz hier im Lande,« bemerkte der Doctor, der aber fand, daß er das Blatt den Augen gegenüber nie im Leben unterschlagen konnte, »Señor Espinoza hat ausgelitten. – Die Familie wird sehr betrübt sein.«

»Das ist der Krieg,« erwiderte aber gleichgültig die Dame. »Wenn die Quitener einen der Unsrigen erwischen, machen sie es gerade so mit ihm – nun, Doctor, was haben Sie da – aha, den Reiter« – und sie strich sich mit Behagen das ihr zugeschobene Silber ein.

Von dem Erschossenen wurde nicht mehr gesprochen.



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