Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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24.

Franco in Guajaquil.

Wenn sich die Bewohner von Bodegas auch nicht wenig freuten, als sie von den eintreffenden Courieren hörten, daß Franco vor Guaranda geschlagen sei, so waren sie doch auch wieder ihrer eigenen Sicherheit wegen nicht ganz unbesorgt, denn kein Mensch konnte sagen, was der gereizte Mann mit einem Schwarm nutzlosen Gesindels in seinem Ingrimm über sie verhängen würde. Sich ihm zu widersetzen, war aber vollständig unmöglich, denn die Stadt lag vollkommen offen nach allen Seiten, und nicht einmal ummauerte Gärten gab es in einem Ort, der drei Monate im Jahre unter Wasser stand. Das Beste und Einzige, was sie deshalb thun konnten, war, dem geschlagenen Heere jede nur mögliche Erleichterung zu verschaffen, um Bodegas, so rasch als es sich irgend thun ließ, wieder zu verlassen.

Was deshalb an Balsas vorhanden war, wurde augenblicklich geräumt – mit Gewalt selbst, wenn es die Eigenthümer nicht gutwillig wollten, – alle Boote, die nur aufzutreiben waren, holte man herbei, und so gelang es denn mit einiger Mühe und vielem guten Willen, eine kleine Flottille, die zur Ueberfahrt bereit war, zusammen zu bringen, so daß man hoffen durfte, die ganzen Armee wenigstens bis zu einer der Zwischenstationen zu schaffen, wo dann wieder mehr Fahrzeuge und damit auch größere Bequemlichkeiten zu erlangen waren.

Die Bewohner von Bodegas hatten damit jedenfalls das Beste gethan, was ihnen die Umstände erlaubten, obgleich sie in der That nichts für ihre Sicherheit zu befürchten brauchten. Franco war nämlich so fest überzeugt, daß er in ganz kurzer Zeit mit Castilla's Hülfe einen neuen und dann mächtigeren Zug gegen Quito unternehmen würde, daß er gar nicht daran dachte, Bodegas irgendwie zu brandschatzen. Castilla schickte ihm, ohne allen Zweifel, Truppen zum Beistand, und dann brauchte er den guten Willen dieser Stadt wieder wie früher, und er war viel zu schlau, sie sich jetzt ohne Noth zu Feinden zu machen.

Am nächsten Morgen – da die Truppen unterwegs campiren mußten – trafen die Ueberreste von Francos Heer, das aber weit mehr durch Desertionen als durch Verluste zusammengeschmolzen war, halbverhungert in Bodegas ein, denn selbst das letzte kleine Dorf, Derecha, hatten die Einwohner bei der Ankunft der Truppen bis auf den letzten Mann geräumt und alles Eßbare mitgenommen.

In den Brennereien erhielten sie die letzten Lebensmittel, mußten aber Zuckerrohr abschneiden, um ihre Thiere zu füttern, weil nichts Anderes zu bekommen war.

Sehr zufrieden zeigte sich Franco indeß über den Eifer, den die Bewohner von Bodegas entwickelt hatten, um ihm Fahrzeuge und Flöße zur Weiterfahrt zu verschaffen, und er versprach ihnen dafür, noch immer im Bewußtsein seiner Würde, von der er sich nicht trennen konnte, einer peruanischen Gesellschaft, die sich schon darum bewerbe, die Concession zu einer regelmäßigen Dampfschiffverbindung zwischen Guajaquil und Bodegas zu geben.

Die Fluth begünstigte ihn ebenfalls, denn sie war gerade auf ihrem höchsten Stand, als er die Stadt erreichte, und er befahl den Truppen, sich augenblicklich einzuschiffen. Er hatte auch nicht mehr viel Zeit zu verlieren, denn daß Flores nichts versäumen würde, um ihm nachzusetzen, wußte er gut genug.

Während die Soldaten an Lebensmitteln soviel wie möglich aufzutreiben suchten, um dann gleich an Bord zu gehen, wollte Franco die Zeit noch benutzen, um die Familie Buscada aufzusuchen – aber die Damen hatte sich ebenfalls schon vor zwei Tagen nach Guajaquil begeben. Weshalb? – Niemand wollte die Ursache wissen, denn man konnte ihm doch nicht gut sagen, daß ihr Aufenthalt nach den letzten ziemlich bekannten Vorgängen bei der Erschießung Espinoza's und dem wenigstens allgemein geglaubten Verhältniß, in dem Señorita Celita zu dem General stehen sollte, in Bodegas unhaltbar geworden war.

So band ihn denn nichts mehr hier, und kaum eine halbe Stunde nach seiner Ankunft bestieg er schon die für ihn bereite Balsa. Um sich aber wenigstens, so viel in seinen Kräften stand, an seinem Erzfeind Flores zu rächen, gab er vorher noch den Befehl, dessen Villa in Brand zu stecken, und fand dazu auch gleich eine bereitwillige Hand. Der Bursche übrigens, der den Auftrag überkam, zündete allerdings in einem der Zimmer ein Feuer an und sorgte dafür, daß der Rauch aus den Fenstern qualmte: wie er aber Franco's Balsa unterwegs sah, löschte er es selber mit Hülfe schon vorher herbeigerufener Leute aus, und erhielt so dem General Flores wenigstens die Gebäude, die freilich arg genug zugerichtet aussahen, während er selbst in das innere Land flüchtete.

Als Flores am nächsten Morgen in Bodegas einzog, kam er auch hier zu spät. Franco war entkommen, und es galt nun, ihn in dem viel besser befestigten und besonders leicht zu vertheidigenden Guajaquil aufzusuchen, wo die Quitener nicht einmal wagen durften, ihn zu Wasser anzugreifen, so lange ihn die peruanischen Dampfer, wider alles Völkerrecht und ohne jede Kriegserklärung, gegen die rechtmäßige Regierung in Schutz nahmen.

Sowie Franco den Fuß in Guajaquil an's Land setzte, ließ er augenblicklich Bustillos zu sich kommen und besprach mit diesem die wirksamste Vertheidigung der Stadt gegen alle aus dem Innern heranrückenden Truppen, während er ebenfalls den Comodore der beiden Kriegsdampfer zu sich entbieten ließ und ihn ersuchte, ein wachsames Auge auf alle den Strom herabkommenden Balsas zu haben.

Nichts war übrigens leichter, als die Hafenstadt gegen die Landseite zu vertheidigen, da nördlich von der Stadt ein stark mit Kanonen besetzter Hügel den einzigen Weg, den die Feinde nehmen konnten, vollständig beherrschte, während hinter der Stadt der kleine Fluß Salado mit einem weiten Mangrovesumpf jedes Eindringen schon durch die Terrainschwierigkeiten unmöglich zu machen schien. Trotzdem wurde diese Seite von einer Compagnie Schützen besetzt, während ein alter Amerikaner, den Franco gewissermaßen als Commandanten der Stadt zurückgelassen hatte, den Befehl über den Artilleriepark auf dem Hügel erhielt.

Im Fluß lagen außerdem die beiden peruanischen Dampfer, und Franco, so von allen Seiten gesichert, hielt sich jetzt überzeugt, daß Flores nie wagen würde, ihn hier in seiner eigenen Höhle anzugreifen – es wäre reiner Wahnsinn gewesen.

Indessen durchliefen die wunderlichsten Gerüchte die Stadt, und Franco's Freunde und Creaturen suchten Alles hervor, um die wirkliche Thatsache einer verlorenen Schlacht, wie die vollkommene Hoffnungslosigkeit eines zweiten Eindringens in das Innere zu bemänteln und das Ansehen des Generals dadurch noch eine Weile aufrecht zu erhalten. Wenn das aber auch für wenige Tage half, ließ es sich doch nicht auf die Länge der Zeit durchführen. Nur zu bald trafen mit einzelnen von Bodegas kommenden Boten wahre Berichte über die erlittene vollständige Niederlage ein.

Die verlorene Schlacht war kein Geheimniß mehr; doch während man im Stillen in Guajaquil darüber frohlockte, wagte man noch nicht öffentlich Partei gegen den Dictator zu nehmen, denn die Kanonen der beiden Dampfer sahen noch immer auf die Stadt, ja die Kriegsschiffe hatten sich sogar, bald nach Franco's Rückkehr, nahe an das Ufer gelegt. Sie ankerten jetzt so nahe, beide hundert Schritt von einander entfernt, daß kein größeres Boot die Stadt erreichen konnte, ohne in unmittelbaren Bereich ihres Kleingewehrfeuers zu kommen. Aber auch das gab nur wieder Zeugniß von der verzweifelten Lage des Usurpators, denn wenn er sich nicht einmal Guajaquils, der letzten ihm gebliebenen Stadt, sicher wußte, wie konnte er dann je hoffen, das ganze Reich seinem Willen zu unterwerfen.

Und trotzdem setzte der kleine hinterlistige Mulatte die Bevölkerung durch sein zuversichtliches, selbstbewußtes Auftreten in Erstaunen. In seinem Gesicht war auch kein Zug von Angst vor einem möglichen Mißlingen, von Niedergeschlagenheit zu entdecken. Er trat auf, als ob er der Sieger von Tucumbo gewesen und nur zurückgekommen wäre, um die Hauptstadt zu inspiciren. – Und was gab ihm diese Zuversicht?

Nichts als ein Brief, den er mit dem letzten Dampfer an den Präsidenten Castilla gesandt hatte, einen alten Haudegen, der in seinem eigenen Lande die Militärherrschaft eingeführt hatte, und nun in Neu-Granada Mosquera, in Ecuador diesen Franco unterstützte, um dort ein Gleiches zu erzielen. Dann wollte er ein Bündniß mit der ganzen Westküste schließen, dem möglicher Weise noch andere Eroberungspläne zu Grunde lagen. Jedenfalls war er mit Franco selber über die Bedingungen einig, und dieser zweifelte deshalb auch keinen Augenblick, daß Peru seine an den Präsidenten gestellte Bitte, dreitausend Mann Hülfstruppen zu schicken, mit der größten Bereitwilligkeit erfüllen würde.

Der nächste Dampfer, der in fünf Tagen fällig war, mußte aber jedenfalls die entscheidende Antwort bringen, und dann vergingen vielleicht noch drei oder vier Tage, bis die Truppen selber eintreffen konnten, denn Schiffe zur Beförderung lagen in Callao genug, und mit dem das ganze Jahr von dort wehenden scharfen Südwind konnten sie fast so rasch wie ein Dampfer Guajaquil erreichen.

So lange mochte sich deshalb Flores draußen vor Guajaquil herumtreiben, dann aber überraschte er ihn plötzlich mit seinen neuen Hülfstruppen, schnitt ihn von dem innern Land ab, rieb ihn auf, und brauchte nicht mehr zu fürchten, einem weitern Feind auf seinem Wege nach Quito zu begegnen.

Bustillos hatte dem General indessen getreuen Bericht über die während seiner Abwesenheit vorgefallenen Dinge abgestattet – auch natürlich über die muthmaßliche Verschwörung, von der er durch unbekannte Hand noch rechtzeitig Nachricht erhalten.

Juan Ibarra war allerdings entkommen und seit dem Abend verschwunden, und wenn es auch einmal so geheißen hatte, daß er sich noch in der Stadt versteckt halte, so waren doch alle Nachsuchungen vergebens gewesen. Es blieb auch viel wahrscheinlicher, daß er, die Zeit benutzend, mit Hülfe eines Bootes in das innere Land geflohen sei, keinesfalls durfte er sich hier wieder blicken lassen, denn sein Freund Zegado saß gefangen, und er hatte selber durch seine Flucht den Verdacht gegen sich nur noch reger gemacht.

Uebrigens verschwieg Bustillos, auf welche Weise ihm Ibarra entschlüpft sei, denn Franco, der in solchen Dingen kein Mitleid kannte, würde sich fortwährend lustig über ihn gemacht haben.

An dem nämlichen Abend, an welchem Franco Guajaquil erreichte, suchte er die Familie Buscada auf, wurde aber nicht angenehm durch die Nachricht überrascht, daß sie kein besonderes Quartier bezogen, sondern sich bei Señora Entonza – der jetzt erklärten Braut des Doctor Ruibarbo – einquartirt hätte.

Obgleich der Doctor die Familie Buscada nicht liebte, war er doch diesmal die Veranlassung gewesen, daß sie zu seiner Braut zogen, und hatte mit solcher Liebenswürdigkeit darauf gedrungen, daß diese auf die Länge der Zeit nicht widerstehen konnte. Er wußte nämlich ganz genau, daß Franco, sobald er erführe, wo die liebenswürdige Celita ihren Wohnsitz aufgeschlagen, bei einem doch noch immer möglichen Bombardement die Gegend jedenfalls verschonen würde.

Außerdem aber hatte er den General im Verdacht, ihm gerade nicht besonders gewogen zu sein. Kam dieser dann zurück nach Guajaquil – sei es als Sieger oder Besiegter, so lange er die Macht noch in Händen hatte – so sah er selber nicht die geringste Möglichkeit, sich ihm wieder zu nähern, und seine »Feinde«, die ja auch der beste Mensch hat, fanden dann hinreichende Gelegenheit, um gegen ihn zu operiren. Blieb er dagegen – was unter diesen Umständen gewiß der Fall war – mit ihm im täglichen Verkehr, ja konnte er ihn gewissermaßen im eigenen Hause bewirthen, so stellte sich das Verhältniß ganz anders. Jedenfalls war es das Beste, sich wenigstens so lange mit der einen Partei gut zu stellen, als die andere das Heft noch nicht in Händen hatte.

Daß Franco übrigens nicht bei seinen Besuchen der Familie genirt sein wollte, wußte Doctor Ruibarbo ebenfalls, und er hatte darum mit der zartesten Rücksicht Sorge getragen, daß Señora Buscada in dem einen, der Treppe zunächst liegenden Flügel des Hauses einquartirt wurde, womit Señora Entonza, die ihren Abgott Franco für einen zweiten Messias hielt, vollkommen einverstanden schien. Sah sie doch schon in Celita, ihrer Nichte, die Gattin des allmächtigen Mannes, und sich selber bei allen Tertulias und Festen, die der zukünftige Präsident seiner getreuen Stadt geben würde, als dessen nahe Verwandte glänzen.

Am Tage seiner Ankunft bekam dieser allmächtige Mann aber so viel zu thun, so viele Klagen und Beschwerden zu hören, daß er sich den Geschäften mit dem besten Willen nicht entziehen konnte. Der Capitain des peruanischen Dampfers hatte ihn außerdem mit seinem Besuch eine volle Stunde warten lassen, und doch mußte er ihn artig behandeln, so daß er zuletzt in eine ziemlich gereizte Stimmung gerieth.

Und so überraschte er denn die Bewohner Guajaquils an diesem Abend noch damit, daß er die Stadt in Belagerungszustand erklärte. Dann, während zahlreiche Patrouillen die Straßen durchzogen und einen wahren Höllenlärm mit Trommeln und Trompeten vollführten, schickte er nach seinem Agenten Marino, der aber nirgends aufzufinden war, und nachdem er auch auf diesen eine halbe Stunde gewartet, dabei unter Fluchen und Schimpfen eine in Eis gestellte Flasche Champagner getrunken hatte, sprang er aus seiner Hängematte, zog seine Uniform an und ging, von einer starken Wache begleitet, die Frontstraße entlang nach dem Hause der Señora Entonza.

Zufällig war der Doctor hier gerade anwesend – sein Bursche hatte drei Stunden auf der Lauer gestanden, um den Moment abzupassen, wann Franco käme – und zwar eben erst eingetreten, um den Señoritas guten Abend zu sagen. Er machte eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, als der General die Thür öffnete. Dieser nahm aber gar keine Notiz von ihm, ging auf die Damen zu – die eigentlich nicht recht wußten, welches Gesicht sie zu seinem Empfang machen sollten – küßte Celita's und Teresa's Hand, schüttelte die der Señora Buscada, die wieder auf einem Rohrsessel saß und ein Spiel Karten mischte, und nahm sich dann selber einen Stuhl.

»Nun,« sagte Franco, dem das Schweigen der Gesellschaft selber unbehaglich wurde, »ich bin rascher wiedergekommen, als ich dachte. Ja, es ist eine wunderliche Welt. Mit dem lumpigen Heer von Flores wär' ich im ehrlichen Kampfe auch wohl fertig geworden, aber gegen Verrath kann sich natürlich Niemand schützen.«

»Verrath?« sagte der Doctor entrüstet, »dann hoffe ich nur zu Gott, daß der Verräther auch seiner Strafe nicht entgangen ist.«

»Und wissen Sie, wer der Verräther war, Doctor?« fragte Franco und sah dabei Ruibarbo mit halb zugekniffenen Augen lauernd an, »ein Freund und naher Verwandter von Ihnen, der mit Eifer unter diesem Rebellen, dem Flores, dient und außerordentliche Talente entwickelt hat, – der junge Malveca.«

»Malveca?« rief der Doctor, und zwar mit mehr Interesse im Ton, als er eigentlich verrathen mochte.

»Ja wohl, Malveca. Hat sein Vater nicht eine Schwester von Ihnen zur Frau?«

»Dann sage ich mich auch von dieser Familie los,« erwiderte Ruibarbo, der sich lange gefaßt hatte, mit Würde. »Es sind Abtrünnige, und der junge Mensch besonders darf mir nie wieder unter die Augen kommen. Uebrigens begreife ich nicht, Excellenz, wie er Sie verrathen konnte; denn soviel ich weiß, diente er ja unter den Rebellen.«

»Ja, aber er kam als Deserteur zu mir, stellte sich wenigstens so, und mißbrauchte mein Vertrauen auf nichtswürdige Weise. Wie ich dahinter kam, bleibt sich gleich; aber ich hatte wenigstens die Genugthuung, den Verräther zu entlarven.«

»Und dieser Malveca?« fragte Ruibarbo, indem er seine Bestürzung soviel als möglich zu verbergen suchte, »was ist aus ihm geworden, Excellenz – hat er – seine Strafe erhalten?«

»Genau weiß ich es nicht,« sagte Franco gleichgültig; »mein alter wackrer Barbadoes aber, der wie ein Held in dem ungleichen Kampfe fiel, hatte ihn unter seiner Obhut und wird sich wohl kaum das Vergnügen versagt haben, ihn unschädlich zu machen. Es gehörte das zu seinen Liebhabereien.«

Ruibarbo erschrak, denn er kannte den halbwilden Mulattenmajor viel zu genau, um nicht ebenfalls Franco's Meinung zu theilen. Sein eigener Neffe war da in furchtbare Hände gerathen, und fast unwillkürlich sagte er:

»Armer Mensch!«

»Ja – er fehlt mir auch aller Orten!« rief Franco, der den Ausruf natürlich auf den Major bezog. »Sehen Sie, der war treu, Doctor, treu wie Gold; auf den konnte ich mich verlassen. Mit Euch Anderen – der Teufel traue Euch – ich wenigstens weiß nie, woran ich mit Euch bin.«

»Aber, Excellenz!« bat Celita.

»Meine reizende Celita natürlich ausgenommen,« lächelte der Mulatte. »Aber Sie glauben gar nicht, mein liebes Kind, was für traurige Erfahrungen ich in der kurzen Zeit habe machen müssen, seit ich Sie verlassen. Erinnern Sie sich noch an jenen Hauptmann Fortunato, der den letzten Abend mit uns zusammen in Ihrer Wohnung speiste?«

»Hauptmann Fortunato? – ach ja,« sagte Celita, wie sich besinnend, während ihr das verrätherische Blut in die Wangen stieg.

»Das war auch eine Schlange, die ich an meinem Busen nährte.«

»Fortunato? –«

»Er hat sich bis jetzt noch seiner Strafe entzogen,« fuhr Franco mit finster zusammengezogenen Brauen fort, »er ist desertirt, aber hoffentlich halten wir noch einmal furchtbare Abrechnung miteinander.«

»Desertirt?« sagte Ruibarbo erstaunt.

»Ja – nachdem er in Bodegas jenem Spion, dem Espinoza, zur Flucht verholfen.«

»Aber, Excellenz,« bemerkte der Doctor, »Sie haben wohl vergessen, daß Espinoza erschossen wurde, und zwar gleich am ersten Morgen, an dem Sie in Bodegas eintrafen.«

»Erschossen?« sagte Franco. »Erinnern Sie sich noch des Gespenstes, Señorita, das wir an jenem Abend vor Ihrer Thür zu sehen glaubten? Das war der lebendige Verräther, dem Fortunato – wenn ich auch noch nicht begreife wie – fortgeholfen und der sogar die Frechheit hatte, mir in meinem eigenen Quartier – wahrscheinlich in mörderischer Absicht, in den Weg zu laufen. Ich glaube fast, wir sind an dem Abend einer großen Gefahr, entgangen.«

»Espinoza lebt?« hauchte Celita leise vor sich hin.

»Lebt so frisch und gesund wie Sie und ich,« bestätigte Franco, »und befindet sich wieder unter den Waffen bei den Rebellen. Aber fort mit den fatalen Erinnerungen. Caracho, ich wollte heut Abend vergnügt sein und der Sorgen und Aergernisse ledig werden, und statt dessen käuen wir alle die alten Geschichten wieder. – Ist der Champagner angekommen, den ich hierher sandte?«

»Ja wohl, Excellenz,« sagte Señora Buscada – »und steht schon seit zwei Stunden in Eis, Ihres Befehls gewärtig – das heißt, eine Flasche haben wir im Voraus auf Ihre Gesundheit ausgetrunken.«

»Konnt' ich mir denken, Señora, konnt' ich mir denken,« lachte der General, als die Thür aufging und Franco's kleiner Diener Juan auf der Schwelle mit der Meldung erschien, daß Señor Mariano draußen stehe und die Befehle Sr. Excellenz erwarte.

»Mariano? soll herein kommen,« rief Franco rasch. »Sie entschuldigen, meine Damen, aber das Geschäft geht dem Vergnügen vor, und Sie werden mir zugeben, daß es kein Vergnügen ist, in das bleiche, verschmitzte Gesicht jenes Burschen zu schauen und seine süßen Reden zu hören, die doch nichts weiter sind als Lügen. – Ah, da kommt er – willkommen, Mariano – wir sprachen eben von Ihnen.«

»Excellenz, sagte der Agent, indem er mit einer tiefen Verbeugung eintrat, auf den General zuging und dessen dicke mit Ringen bedeckte Hand an seine Lippen führte, »so glücklich es mich auch macht, Sie wieder begrüßen zu können, so tief fühle ich den Schmerz –«

»Lassen Sie die Redensarten, Mariano,« unterbrach ihn aber ohne weitere Umstände Franco, »wir brauchen Beide einander, und das ist genügend.«

»Excellenz – Señoritas, ich lege mich Ihnen zu Füßen – Excellenz, Sie wissen, wie vollkommen Sie auf mich rechnen können.«

»Ja, Mariano,« lachte Franco, »leider weiß ich das. Wo sind denn die hundert Mann, die Sie mir zu stellen versprachen, heh?«

»Excellenz haben ein so außerordentliches Gedächtniß,« sagte der Guajaquilene, durch die Frage jedoch nicht im Geringsten außer Fassung gebracht, »aber Sie erinnern sich auch wohl, daß Sie gleich darauf Bodegas verließen, und ich befahl deshalb den Leuten, hier in Guajaquil zu bleiben, bis ich die bestimmte Ordre von Ihnen erhalten würde, wohin ich sie senden sollte.«

»In der That?« sagte Franco mit einem verächtlichen Lächeln, »und sie sind also hier?«

»Sie stehen noch immer Eurer Excellenz zu Diensten, ja es wäre mir sogar sehr lieb, wenn ich sie Ihnen jetzt übergeben könnte, da es mir die Verpflegung ersparen würde.«

»Also morgen früh um Zehn,« sagte Franco, den Agenten scharf ansehend, »lassen Sie Ihre Armee zur Musterung aufmarschiren.«

»So rasch ist es nun freilich nicht möglich, Excellenz,« sagte der Agent, während über Ruibarbo's Gesicht ein leises, boshaftes Lächeln zuckte. »Hier in Guajaquil würden sie mir zu theuer gekommen sein, und ich habe sie deshalb in der Nachbarschaft auf das Land gegeben, wo sie gerade bei der Baumwollenernte sehr nöthig waren. Aber es soll morgen gleich ein Bote hinaus, um sie zusammen zu rufen.«

»Oh, Señor Mariano ist außerordentlich pünktlich in der Einhaltung seiner Versprechungen,« sagte Señora Buscada, »mir hat er neulich neue Karten versprochen, und ich soll sie heute noch haben.«

»Und der Tante den Damensattel,« sagte Teresa, »der aber sonderbarer Weise nie angekommen.«

»Und wie hatten wir uns auf die versprochene Bootfahrt gefreut,« meinte Celita, »wer aber nicht mit den Booten kam, war unser sehr ehrenwerther Señor Mariano.«

»Señoritas, Sie machen mich unglücklich,« rief der also in die Klemme Gerathene, »wenn Sie mir hier mittheilen, daß alle meine mit der größten Strenge gegebenen Aufträge nicht erfüllt wurden. Ich selber aber hatte damals, wie mir Seine Excellenz bezeugen kann, so außerordentlich viel zu thun, und sehe jetzt nur ein, daß man sich nie auf fremde Menschen verlassen darf, sondern Alles, was man wirklich besorgt haben will, auch selber besorgen muß.«

»Gut, Mariano,« sagte Franco trocken, indem er ein Papier aus der Tasche nahm, »dann seien Sie so gut und besorgen das hier, was auf dem Zettel steht, auch wirklich selber, denn ich – könnte sonst am Ende morgen nicht in der Stimmung sein, Ihre Entschuldigung so ruhig hinzunehmen.«

»Aber, Excellenz,« sagte der Agent, der nur einen flüchtigen Blick auf den Zettel geworfen hatte, »gestatten Sie mir eine Bemerkung, ich – bin nicht mehr im Stande, mit Papiergeld einzukaufen; die Leute wollen es nicht mehr nehmen.«

»Nicht mehr nehmen?« rief der Mulatte, die geballte Faust auf den Tisch legend, »weshalb?«

Der Agent war in sichtbarer Verlegenheit, aber es half nichts, die Sache mußte zur Sprache gebracht werden, und mit einiger Anstrengung sagte er:

»Weil sie behaupten – wenn – wenn, Excellenz – ich darf Ihnen nämlich nicht verhehlen, daß ein albernes Gerücht in der Stadt umläuft, Excellenz wären nur wieder nach Guajaquil gekommen, um sich an Bord der peruanischen Dampfer zu begeben und Ecuador für immer zu verlassen.«

»So?« sagte Franco, und ein boshaftes Lächeln zog seine Züge zusammen, »in der That? – sonst nichts?«

»Ich brauche Eurer Excellenz wohl kaum zu bemerken, daß es überall Narren und Müßiggänger giebt, die solche Gerüchte verbreiten helfen.«

»Und dann selber wünschen, daß sie wahr werden, heh?«

»Welcher Mensch hätte keine Feinde,« sagte Mariano achselzuckend, »und je höher eine Person steht, desto mehr Neider findet sie. Ueber uns sind Excellenz doch sicher von dem Gegentheil überzeugt.«

Franco antwortete nicht. Er kaute an den Nägeln und trank dann ein großes Glas Champagner, das ihm Celita kredenzte, auf einen Zug aus, aber seine Stimmung war durchaus keine bessere geworden.

»Also mein Geld wollen sie nicht mehr nehmen,« knurrte er endlich. »Gut, wir wollen doch einmal sehen, wer das ist, der sich weigert. Schreiben Sie mir alle Namen von denen auf, Mariano, die sich dadurch in offener Empörung gegen unsere Regierung befinden, und ich denke, ich werde kurzen Prozeß mit ihnen machen. Sie selber nehmen es doch, heh?«

»Was hilft mir das Geld, Excellenz, wenn ich keine Waaren dafür bekommen kann.«

»Schön,« sagte Franco und sein Gesicht verzog sich zu einem freundlich heimtückischen Lächeln, »dann bitte, setzen Sie Ihren Namen obenan auf die Liste. Sie haben mich doch verstanden?«

»Aber, Excellenz –«

»Bitte, lieber Mariano, nehmen Sie nicht ein Glas Champagner? Und was sagen Sie, Doctor? wie denken Sie über unser Papiergeld?«

»Ich wollte nur, ich hätte recht viel davon, Excellenz,« erwiderte der geschmeidige Ecuadorianer, »und wenn mich nicht Alles täuscht, so wird es mit Ankunft des nächsten englischen Dampfers vom Süden sehr rasch und bedeutend im Cours steigen.«

»Dann werde ich Ihnen Gelegenheit geben, ein gutes Geschäft zu machen,« nickte ihm der Mulatte freundlich zu. »Sie sollen daran profitiren und wir können ein vortreffliches Tauschgeschäft machen.«

»Ja, ja,« erwiderte der Doctor mit einem wehmüthigen Lächeln. »Der Geist ist willig, Excellenz, aber das Fleisch, das baare Geld, ist schwach. Wenn es mir nur nicht immer gerade am Besten fehlte, wenn ich es am nothwendigsten brauche und am vortheilhaftesten verwerthen könnte.«

»Wir finden vielleicht Mittel, etwas für Sie flüssig zu machen, Doctor,« nickte ihm der General zu. »Jetzt bietet sich mir eine ganz vortreffliche Gelegenheit, meine wahren Freunde kennen zu lernen, die ich auch nicht unbenutzt werde vorübergehen lassen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

»Excellenz können gewiß auf unsere Unterstützung rechnen,« sagte Mariano.

»Gut, gut, – vergessen Sie mir nur die Liste nicht, – und nun, Señores, heute nichts mehr von Geschäften; ich hab' es zum Ueberdruß satt und bin genug damit geplagt. Hatten Sie mir sonst noch etwas mitzutheilen, Mariano?«

Der Wink war zu deutlich, um ihn falsch zu verstehen.

»Heut Abend gar nichts, Excellenz,« sagte der Agent, aufstehend. »Ich fürchte beinahe, ich habe Ihre kostbare Zeit schon zu lange in Anspruch genommen.«

»Und Sie auch nicht, Doctor?«

»Nicht das Mindeste, Excellenz,« sagte der Doctor, dem Beispiel des Agenten folgend. »Meine Damen, wir haben die Ehre, uns Ihnen zu empfehlen. Excellenz, ich lege mich Ihnen unterthänigst zu Füßen.«

Franco nickte ihnen nur mit einem halb spöttischen, halb verächtlichen Blick zu, und die beiden Männer verließen gleich darauf das Zimmer und gingen die Treppe hinunter. Jeder war dabei mit seinen eigenen, nicht sehr angenehmen Gedanken beschäftigt und hätte sich vielleicht gern gegen den Andern ausgesprochen, mochte aber auch nicht anfangen, und scheute sich doch, den Begleiter sogleich wieder los zu lassen.

»Wohin wollen Sie jetzt, Doctor?« sagte Mariano endlich, als sie schon die Hausthür erreicht hatten und Ruibarbo dort stehen blieb und die Straße hinabsah.

»Ich weiß es eigentlich selber nicht,« lautete die vorsichtige Antwort. »Zum Zubettgehen ist es noch zu früh, für einen Spaziergang bin ich zu müde – vielleicht trink' ich noch ein Glas St. Gris im Hotel de France; gehen Sie mit, wenn Sie nichts Besseres zu thun haben.

»Sie haben Recht – wenn die Polizei nicht schon das Haus geschlossen hat.«

»Jetzt schon? bewahre; es ist ja kaum neun Uhr. – Soll mich nur wundern, wie lange wir den Belagerungszustand behalten werden!«

»Ich bin selber neugierig,« meinte der Agent, ohne jedoch seine Ansicht darüber auszusprechen, und die beiden Männer schritten zusammen die Straße hinauf und bogen dann rechts nach dem bezeichneten Hotel ein, das sie noch hell erleuchtet und von Gästen besucht fanden.



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