Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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14.

In der Branntweinbrennerei.

Auf Franco's Befehl durften die Soldaten kein langes nächtliches Gelage halten, denn es sollte schon vor Tag aufgebrochen werden, um in der Hitze der Mittagszeit wieder lagern zu können. Franco selber gab für die Nachtruhe das Zeichen – die Musik wurde entlassen, sein eigenes Zelt geschlossen, und während der Major, dem überdies der Champagner zu Kopf gestiegen, wie ein treuer Hund vor dem Eingang lag und schnarchte, schritten schweigend die dort aufgestellten einzelnen Schildwachen auf ihren verschiedenen Posten auf und ab, oder drückten sich auch wohl, als es später wurde, unter irgend einen benachbarten Baum, um dort, wenn sie auch nicht schlafen durften, wenigstens auszuruhen. Gefahr eines Ueberfalls war ja doch nicht zu fürchten.

Nur bei den Maulthieren hatte man zahlreiche Wachen aufgestellt, weil man nicht mit Unrecht den Arrieros mißtraute, die gewiß die erste Gelegenheit benutzt hätten, um mit ihren Thieren – und wenn es in den Wald hinein gewesen wäre – zu entkommen. Dort hätten sie dann ruhig abgewartet, bis die »Armee« weiter gezogen wäre.

Den Wachen war auch der bestimmte Auftrag geworden, auf jeden nachsichtslos zu feuern, der sich der geringsten verdächtigen Handlung schuldig machte, ja nur dort umherschlich, wo er nichts zu suchen hatte, und da ihnen selber daran lag, vorwärts und zu dem lange versprochenen Quito zu kommen, so mußte sie schon ihr eigenes Interesse wachsam halten, um nicht der Transportmittel beraubt zu werden.

Die Vorsichtsmaßregeln schienen auch in der That so gut getroffen zu sein, daß nicht das Geringste in der Nacht vorfiel, und lange vor der Morgendämmerung wurden die Truppen schon durch die Signalhörner alarmirt, die Arrieros mußten die Maulthiere zusammentreiben und satteln, und kaum zeigten die leichten nebligen Wolken den ersten rothen Schimmer des nahenden Tages, als die Colonnen in ihren verschiedenen Abtheilungen geordnet waren und den Marsch antraten.

Allerdings hatten sie gleich von Haus aus den Bergstrom zu kreuzen, der sich hier, wo er schon das niedere Land erreichte, ziemlich ausbreitete und nichtsdestoweniger den Männern bis fast zum Hüftknochen reichte; aber was that das in diesem Klima und bei der leichten Bekleidung der Burschen. Barfuß waren sie überhaupt, mit wenigen Ausnahmen, alle, und mit Jubeln, Lachen und Schreien sprangen sie in das Wasser, wateten hindurch und schlugen und spritzten die Fluth umher.

Es ist wahr, die Meisten trugen die geladene Muskete auf dem Rücken und in ihren Patrontaschen gefüllte Patronen, die nicht naß werden durften. Die Wenigsten wußten aber überhaupt mit einem Feuergewehr umzugehen oder kümmerten sich um die Erhaltung desselben. Lanze und Messer waren ihnen die liebsten Waffen, und die Muskete selber mit dem Bajonet betrachteten sie auch eigentlich nur als eine Art von unbequemer schwerer Lanze, die vielleicht einmal losging und nachher zum Dreinhauen und Stechen gebraucht werden mußte.

Von da ab zog sich der Weg durch hügeliges, aber auch mit vollem, dichtem Wald bewachsenes Terrain, wo ein Abschweifen von der ausgehauenen und gebahnten Straße nicht mehr möglich war – man hätte denn müssen durch die Büsche brechen. Wie eine Mauer schnitten die Sträucher rechts und links die Bahn ab, und ihre breiten saftigen Blätter und hellfarbigen Blüthenbüschel überhingen an vielen Stellen den schmalen Pfad, der nur eben breit genug war, zwei beladenen sich begegnenden Maulthieren das Ausweichen zu gestatten.

Es war ein wunderbar schöner Weg in der frischen Morgenkühle. Hellblinkend lag der Thau auf den wunderlich geformten breiten Blättern, laut und lustig sangen und pfiffen die Vögel, und in fabelhafter Farbenpracht schwirrten die reizenden Colibris über den Blüthen und zuckten dann, einem schillernden Blitze gleich, nach einer andern Blumentraube hinüber. Wo aber die Straße in dem noch wellenförmigen Terrain eine der kleinen Höhen erreichte, da öffnete sich dem Blick auch gewiß ein dichtbewaldetes, von Palmenkronen gefülltes, mit Blüthen geschmücktes Thal und würziger Duft erfüllte die Atmosphäre.

Aber was kümmerte das den wilden Soldatentroß? Diese Banden schauten nicht nach Blumen oder dem schwirrenden Colibri, oder dachten daran, an solchen Stellen den Schritt zu hemmen, wo der Blick über das freie Thal schweifen konnte. Die Blumen, nach denen sie verlangten, waren das Herzblut der Quitener; der Diamantenschmuck, den sie herbeisehnten, lag nicht auf den schillernden Federn der Colibris, sondern in den Truhen der reichen Hauptstadt, und je rascher sie jetzt vorwärts rückten, desto früher erreichten sie ihr Ziel.

Weiterhin eröffnete sich das Land ein wenig, und Platanare mit ihren breiten saftgrünen Blättern und weite Flächen hellgrünen Zuckerrohrs wurden sichtbar.

In dieser Gegend hielt es Franco auch nicht für nöthig, Rücksicht auf die Bewohner zu nehmen; denn was konnten ihm diese einzelnen Grundbesitzer schaden, während ein wenig Freiheit seine Soldaten bei guter Laune und gefülltem Magen hielt. So wurde ihnen denn auch die Erlaubniß, in den Platanaren – mit dem strengen Befehl, die noch nicht zu benutzenden Pflanzen zu schonen – Alles, was sie genießbar vorfanden, mitzunehmen, und daß sie in den Zuckerfeldern so viel Rohr abschneiden mochten, wie ihnen Freude machte und sie aufpacken konnten, verstand sich von selbst.

Die Leute unterhielten sich ja damit, die Stücken unterwegs zu kauen; wer hätte den tapferen Kriegern ein solches unschuldiges Vergnügen wehren wollen!

Dadurch aber, daß die Straße beengt war, konnte der lange Zug auch nur verhältnißmäßig langsam vorwärts rücken, denn irgend eine Kleinigkeit, die an einem der Maulthiere passirte – und die Treiber sorgten schon dafür, daß diese nicht zu hart angestrengt wurden, und machten sich immer dann und wann mit ihnen zu schaffen – hielt den ganzen Nachtrab auf. Hinter der Armee konnte man aber die Maulthiere eben so wenig lassen, weil da keine Aufsicht möglich war, und so kam es denn, daß der ganze Schwarm oft gezwungen Halt machen mußte.

Franco zwar war mit solchem Zögern nicht einverstanden, und der dicke Major – sobald sich der General unwillig darüber geäußert – wetterte dann jedesmal zwischen die Maulthiertreiber hinein und drohte mit standrechtlichem Verfahren – mit Schießen und Hängen – aber es half nichts.

Die störrischen Gesellen, die recht gut wußten, daß man sie nicht entbehren konnte, ließen sich nicht aus ihrer Ruhe bringen und beeilten sich deshalb nicht im Geringsten mehr. Außerdem ging der Weg hier fast immer bergan, dem höheren Lande zu, und jeden Fuß breiten Boden, den er etwa einmal hinabführte, mußten die Wanderer zwei- oder dreihundert Schritt weiter auch sicher wieder emporklimmen, um an einer andern Hügelschicht zu beginnen.

So kam es, daß sie nur eine außerordentlich kurze Strecke zurücklegten und in der Mittagszeit keineswegs den Platz erreichten, den der General dazu bestimmt hatte, dort zu rasten – eine bedeutende Hacienda – eigentlich ein kleines Dorf, um das sich weite Zuckerfelder und Platanare mit ein Paar Branntweinbrennereien befanden, und das zugleich auch den letzten Anhaltspunkt in den Tropen bildete, denn von hier ab stieg der Weg so rasch an den Ausläufern des Gebirgszuges empor, daß sie von da ab schon die gemäßigte Zone betraten und nun auch nicht eher wieder auf ein tropisches Klima rechnen durften, bis sie das kleine Städtchen Ambato, in einem Zwischenthal der Cordillerenkette, erreichten.

Unterwegs wurde an einem kleinen, quer über die Straße laufenden Wasser Halt gemacht. Wenn aber auch Schatten genug für die Lagernden hier zu finden war, gab es nur sehr wenige Stellen, um zu dem Wasser selber zu gelangen, und es entstand hier schon ein unordentliches Gedränge, in welches die Officiere manchmal mit Gewalt eingreifen mußten, um die Leute von Thätlichkeiten gegen einander abzuhalten.

Es zeigte sich dabei nur zu deutlich, wie sehr es an Mannszucht unter dem aufgelesenen Haufen fehlte, der wohl zu einem Angriff getrieben werden konnte, sonst aber den Befehlshabern das Leben schwer genug machte.

Franco bekümmerte sich um das Alles nicht. Unmittelbar an der Straße und dicht neben dem kleinen Bach ließ er sich die Büsche zu einem schattigen Zelt aushauen und sah dann lachend zu, wenn einzelne Trupps, die sich dort begegneten, um ihre Cantinen zu füllen, untereinander in Streit kamen und aufeinander losschlugen.

Endlich hatte sich aber doch Alles geordnet, und zwar meist unter dem Befehl de Castro's, der sich der Sache heute mit allem Eifer annahm. – Die Maulthiere und Pferde waren nacheinander vorübergeführt und getränkt worden, die Leute hatten sich, was sie brauchten, ebenfalls zu verschaffen gewußt, und Ruhe lag wieder über dem weiten Walde, die Ruhe der Siesta, die kein Südländer geneigt ist zu unterbrechen.

Das Terrain war übrigens hier so zerschnitten und beengt, daß die verschiedenen Truppenkörper an den scharfen Hängen oft wieder in die Büsche hineinkriechen mußten, um nur einen Platz zum Lager zu finden, und dadurch, obgleich sie den ganzen Wald erfüllten, doch nur einzelne zerstreute Gruppen bildeten. Wer gerade in dieser Zeit den Weg passirt wäre, hätte den Platz kreuzen können, ohne eine Ahnung zu haben, daß er sich inmitten einer ganzen Invasionsarmee befände, so wenig Soldaten waren auf dem eigentlichen Wege sichtbar. Aber es bedurfte nur eines einzigen Trompetenstoßes, um die Tausende wieder unter ihre Fahnen zu sammeln.

Kein Reisender jedoch benutzte in dieser Zeit die Straße, und wenn Franco darauf gerechnet hatte, schon unterwegs von einzelnen Reitern zu erfahren, wo etwa Flores jetzt mit seinen Leuten stände, so sah er sich darin vollkommen getäuscht. Vor ihm her flüchtende Arrieros hatten die Kunde seines Anmarsches längst in das innere Land getragen, und es dachte niemand daran, sich durch diese Schaaren hindurch zu wagen.

Trotzdem gebrauchte Franco die Vorsicht, einen kleinen Trupp seiner Tiradores auf den Weg voraus zu schicken, um den nächsten Paß zu besetzen, und Fortunato war beordert worden, sie zu commandiren. Ihm war das auch besonders angenehm, denn er entging dadurch dem Wirrwarr und der Unordnung, die sich bei einem so großen Truppenkörper und in einem so beengten Paß nun einmal nicht vermeiden ließen.

Dicht neben Franco lagerte wieder, wie alle Tage, der dicke Major und hatte sich eben, nachdem er sein zweites Frühstück verzehrt, behaglich unter einer Gruppe von Oleander ähnlichen Sträuchern gerade ausgestreckt, als Viruta wie eine Schlange durch das Gebüsch zu ihm hinanglitt und ihm ein paar Worte in's Ohr flüsterte.

Im Anfang schien er gesonnen, den Störenfried auf eben nicht freundliche Weise zu verjagen, und ersuchte ihn gleich nach den ersten Worten, ihn zufrieden zu lassen und sich zum Teufel zu scheren, bald aber wurde er aufmerksam und horchte, sich auf dem Ellbogen emporrichtend, dem leise geflüsterten Bericht des Burschen, ohne ihn mehr als durch einzelne kurze Fragen und in den Bart gemurmelte Verwünschungen zu unterbrechen.

»Caracho!« murmelte er endlich, als der Soldat geendet hatte und mit lauernden Blicken die Wirkung beobachtete, die das eben Erzählte auf den »zweiten Mann im Reich« hervorgebracht – »und weshalb, Du nichtswürdiger Halunke, hast Du das nicht gleich gemeldet, als Du den ersten Verdacht schöpftest? Weißt Du, daß ich nicht übel Lust habe, Dich mit einem Ohr an den nächsten Baum nageln und so lange peitschen zu lassen, wie Deine Haut nur noch zusammenhält?«

»Allergnädigster Herr Major,« sagte der Mulatte in de- und wehmüthigster Stellung vor dem ausgestreckten Riesen, obgleich der schlaue Bursche genau wußte, daß er hier für seine eigene Sicherheit nichts zu fürchten hatte – »die Angst vor unserem Hauptmann – er ist ein entsetzlich hitziger Herr und soll schon einmal einem Soldaten, der sich ihm widersetzte, die blanke Klinge durch den Leib gerannt haben. Ich wagte es nicht – ich dachte immer, er würde mich ebenfalls über den Haufen stechen, und er thäte es auch jetzt sicher noch, wenn Sie mich nicht in Ihren hochmächtigsten Schutz nähmen.«

»Deshalb sei unbesorgt, mein Bursche,« brummte der Riese, »dem Herrn soll das Handwerk schon gelegt werden – hochnäsiger Einfaltspinsel, der er ist, und sich immer klüger dünkt als andere Leute, weil er den gedruckten Kram versteht und mit der Feder Briefe schreiben kann. – Aber wie bist Du gerade jetzt zu dem Entschluß gekommen, Dein Leben zu wagen, Du tapferer Krieger Du?«

»Weil wir jetzt dem Feind entgegenrücken,« erwiderte Viruta, auf diese Frage vollkommen gefaßt, – »und ich mein Gewissen nicht mit dem Vorwurf belasten will –«

»Dein Gewissen?« wiederholte mit einem verächtlichen Kopfschütteln der Major.

»Vielleicht die Veranlassung zu sein,« fuhr aber der Mulatte unbekümmert fort, »daß Seiner Excellenz durch die Verrätherei eines seiner Officiere Schaden geschieht, denn daß der Entflohene jetzt als Spion gegen uns wirken wird, ist doch gewiß.«

»Ich begreife die Geschichte noch immer nicht,« zweifelte der Major. »Neun Mann haben auf ihn geschossen, und die Canaille sollte ungerupft davongekommen sein?«

»Der Hauptmann versteht etwas,« versicherte der Mulatte, »er hat's aus seinen Büchern gelernt und hat den Spion hieb- und schußfest damit gemacht. Darum konnten ihm die Kugeln alle nichts anhaben und wenn neunzig statt neun Mann auf ihn geschossen hätten. Es ist mit Zauberei zugegangen.«

Dieser Grund leuchtete dem dicken Major vollkommen ein, denn er nickte ein paar Mal zustimmend mit dem Kopfe. Endlich sagte er:

»Gut – und nun mach', daß Du fortkommst. – Ich will mit dem General sprechen – nichtswürdiger Halunke, siehst Du nicht, daß ich eben im Begriff bin, meine Siesta zu halten, und wie lange dauert's, so blasen die verdammten Alarmhörner wieder zum Aufbruch – packe Dich,« und indem er sich wieder lang ausstreckte und sein buntseidenes Taschentuch über das in Schweiß gebadete Gesicht zog, um die Fliegen abzuhalten, war er bald fest und sanft eingeschlafen.

Viruta hütete sich auch, ihn weiter zu stören. – Er hatte erreicht, was er wollte. Sein Vogel war festgebunden und in sicheren Händen, und wahrend er noch draußen herumflatterte, sollte ihn bald der verderbliche Ruck belehren, daß er ein Gefangener und verloren sei.

Bis Nachmittag vier Uhr wurde dem Schwarm Ruhe gegönnt, denn jene Branntweinbrennereien, die jetzt zum heutigen Nachtquartier ersehen waren, lagen nur noch zwei Leguas – eine spanische Legua ist etwas über eine halbe deutsche Meile – entfernt und ließen sich leicht mit einem kurzen Marsch erreichen. Morgen konnte man da eben so bequem das kleine Dorf Camino real, Mittags vielleicht Tucumbo gewinnen, und dann war für Guaranda ein Rasttag bestimmt.

Durch die kälteren und höher gelegenen Districte aber, wo überdies die Lastthiere in den offenen Weidegründen auch viel mehr und leichtere Nahrung fanden, sollte der Marsch gegen Ambato beschleunigt werden. Den fünfzehntausend Fuß hohen Paß, der rechts an dem Schneekegel des Chimborazo vorbeiführt, wollte man in einem Tag ersteigen und von da oben in einem wilden Sturm das Land überschwemmen und unterwerfen.

So lautete der Kriegsplan, den der Major Barbadoes entworfen und dem Franco seine volle Zustimmung gegeben hatte. Den Widerstand, den ihnen das quitenische Heer entgegensetzen konnte, achteten Beide gleich gering, denn Franco hatte schon einige sogenannte Ueberläufer in das Lager der Gegner gesandt, die den Soldaten von dem brillanten Lohn und der unter Franco herrschenden Freiheit erzählen sollten. Barbadoes vollends behauptete mit Sicherheit, daß die Hälfte der Feinde zu ihnen übergehen würde, sobald die beiden Heere nur einmal in Sicht von einander kamen. Das Einzige, was er fürchtete, war, daß Flores gar keine Schlacht wagen, sondern sich gleich von Quito ab seitwärts in die Berge, nach der zweiten Hauptstadt Ibarra, schlagen würde.

Darüber dachte Franco jedoch anders, denn er kannte seinen Gegner besser.

Eine Ordonnanz wurde jetzt vorausgeschickt, um den Hauptmann Fortunato anzuzeigen, daß er mit seinen Tiradores langsam auf der Straße vorrücken und in dem nächsten Dorfe Quartier bestellen, aber dort auch selber Halt machen solle, um das Gros der Armee zu erwarten. Dann ertönten die Hörner; die ausgeruhten Schaaren sammelten sich auf der Straße, und die Maulthiere wieder wie gestern zwischen sich nehmend, setzte sich der Zug auf's neue in Bewegung.

Das war heute ein heißer Marsch, denn die dichten, hohen Büsche an beiden Seiten des Wegs hielten jeden Luftzug ab, und die Sonne brannte glühend auf die Köpfe der Wanderer nieder. Aber was that's – schon neigte sie sich dem hinter ihnen liegenden Meere zu, um ihre Gluth darin zu kühlen, und nahe lag das Ziel. Schon konnten die Soldaten rechts im Thal, wo hinaus der schräge Abhang ihnen einmal die Aussicht gestattete, den Beginn urbar gemachter und cultivirter Zuckerfelder erkennen.

Jetzt wurde auch der Wald um sie her lichter – dort drüben auf einer kleinen Anhöhe lag ein Haus, und breite Bananenblätter hielten den Boden schattig darum her. Jetzt gewannen sie eine Höhe, die ihnen die volle Aussicht in die Ferne gestattete, und dort lagen die breiten, umfangreichen Holzgebäude, das eine rechts, das andere etwa hundert Schritt weiter hin, links vom Weg die großen Branntweinbrennereien mit ihren herrlichen Platanaren und kleinen Cacao-, Kaffee- und Baumwoll-Anpflanzungen, wovon der Kaffee und die Baumwolle aber nur zum eigenen Bedarf und vielleicht meist deshalb gezogen wurde, weil man das Wachsthum der üppigen Pflanzen doch nicht gut verhindern konnte.

Der Bau des Zuckerrohrs blieb aber die Hauptsache, und wohin das Auge traf, überall schimmerten durch die hier schon dünner stehenden Bäume und Gebüsche die hellgrünen Flächen des saftigen Rohres und gaben der ganzen Landschaft ein freundliches, wohnliches Aussehen.

Franco ritt mit dem Major an der Spitze des Zuges. Der dicke Barbadoes schwitzte aber jetzt, daß ihm das Wasser von der Stirn heruntertroff, denn er war von seinem hohen Thier heruntergestiegen und führte es, zu Fuß neben dem kleinen General hergehend, am Zügel, um diesem bequemer eine jedenfalls wichtige Nachricht mitzutheilen.

Franco horchte auch mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf den Bericht, und unterbrach den Riesen nicht ein einziges Mal, wie er dies sonst fast immer that, durch seine spöttischen, oft rohen Späße. Seine kleinen zusammengekniffenen Augen glühten aber dabei in Bosheit und Schadenfreude, und als Barbadoes geendet hatte, nickte er vergnügt vor sich hin und sagte:

»Sieh einmal an – also solche Verräther hab ich in meinem Heer, und von der schwarzen Kunst glaubt Ihr wirklich, daß der Bursche etwas versteht, Barbadoes – etwas, womit er uns am Ende selber Schaden zufügen könnte?«

»Wie wär' es sonst möglich gewesen, daß ihn die neun Kugeln nicht getroffen hätten,« stöhnte der riesige Mulatte, sich den Schweiß mit dem schon vollkommen feuchten Tuch von der Stirn wischend. »Das kommt von dem verdammten Bücherlesen und Studiren – was Gescheidtes simuliren sie sich da nicht heraus, wohl aber Schlechtigkeiten und Hinterlist. Wenn ich etwas im Lande zu befehlen hätte, ich wollte der Schreiberwirthschaft bald ein Ende machen.«

»Nun, Barbadoes,« sagte Franco mit einem tückischen Lächeln, »ich denke, die Sache ist in eben so guten Händen, als ob Ihr sie zwischen Euren breiten Fäusten hättet. Vorher ist aber noch mehr zu thun; helft mir nur da tüchtig, und über das Andere macht Euch keine Sorge.«

»Und jener Lump? jener Verräther?«

Es waren einige der anderen Officiere in die Nähe gekommen und Franco bog sich im Sattel etwas nieder, bis dicht zum Ohr seines noch neben ihm hinschreitenden Begleiters. Er flüsterte ihm dabei etwas zu, das dem Riesen sehr gefallen mußte, denn er nickte vergnügt mit dem Kopfe.

»Also dabei bleibt's, Major,« sagte Franco mit lauterer Stimme, indem er sich wieder aufrichtete.

»Soll alles pünktlich befolgt werden, Excellenz,« nickte Barbadoes – »verlassen Sie sich ganz auf mich.«

Der Weg machte hier ihrem weiteren Gespräch ein Ende, denn er führte ziemlich steil hinab in's Thal, den Häusern zu und dicht unter einem hochstämmigen Platanar hin, wo das Regenwasser tiefe Furchen in die Straße gerissen hatte. Wenige hundert Schritte davon lagen die Gebäude, in deren einem, rechts am Weg, der Generalstab sein Quartier beziehen sollte. Es wurde dort auch in Friedenszeiten eine Art von Wirtschaft gehalten, in der man Branntwein, TschitschaDie Chicha, sprich Tschitscha, ist ein vielbedeutendes Wort in Südamerika und bezeichnet eigentlich kein bestimmtes, sondern nur ein aus Früchten oder saftreichen Pflanzentheilen durch Auspressen gewonnenes Getränk. So hat man Chicha aus Ananas und aus Zuckerrohr, aus Mais und aus Trauben, und weiter im Süden auch aus Aepfeln. Das aus Zuckerrohr hergestellte ist jedenfalls das angenehmste und in dem richtigen Moment der Gährung sogar delicat, von einem leicht herben, aber doch süßen Geschmack und dabei außerordentlich leicht herzustellen. und was man an Lebensmitteln gebrauchte, bekommen konnte.

Die Eigenthümer waren auch schon auf die Ankunft des Heeres vorbereitet und hatten, was sie an werthvollen Gegenständen und Geld besaßen, in Sicherheit gebracht. Ihre Getränke aber durften sie nicht eben so vorsichtig bei Seite schaffen, es war zu bekannt, daß sie davon stets vorräthig hielten, sie hätten den wilden Troß dadurch zur äußersten Wuth gereizt. Was half es ihnen dann, wenn sie auch ein paar Fässer Agua ardiente retteten und dafür ihre Gebäude niedergebrannt bekamen. Es war eben Krieg und sie mußten sich in das Unvermeidliche fügen.

Glücklicher Weise befand sich dicht bei der Ansiedelung ein frisch geschnittenes Caña- oder Zuckerrohrfeld, denn unmittelbar zwischen den holz- und schilfgedeckten Häusern hätten die Lagerfeuer sonst am Ende Unheil anrichten können. Weiter aber war kein freier Platz in der Nachbarschaft. Dorthin wurden denn auch die Truppen – auf die höfliche Bitte des Wirths, der dem General mit dem Hut in der Hand entgegenkam – gewiesen, um abzukochen. Der Ecuadorianer versprach dabei – und was verspricht ein Ecuadorianer nicht – es den »Herren Soldaten« an nichts fehlen zu lassen, so weit es in seinen Kräften stehe, und während er die Excellenz mit tiefer Verbeugung in den obern geräumigen und luftigen Stock des Hauses führte, zu dem aber keine ecuadorianische Leiter, sondern eine ordentliche Treppe gelegt war, stellte er ihm und seiner Begleitung nicht allein sein ganzes Haus, nein sich selbst und Alles, was ihm gehörte, »zur völligen Disposition«.

Diener – die weiblichen Dienstboten waren schon den Tag vorher auf eine mehrere Leguas entfernte Estancia gebracht – trugen vor allen Dingen Flaschen und Gläser auf, denn in dem obern Raume standen drei lange Holztische mit Bänken, und brachten dann Früchte, Brod, Käse, Chocolade und andere derartige, rasch bereitete Erfrischungen, während unten in der Küche die Feuer flammten und Pfannen und Kessel brodelten, um eine compactere Mahlzeit für »Seine Excellenz und die Herren Officiere« herzustellen.

Franco's Diener hatten indessen des Generals Hängematte, die dieser immer bei sich führte, schon aufgerollt und befestigt.

Die ecuadorianische Sitte ist aber nicht, die Hängematten, wie in anderen Ländern, lang auszuspannen, so daß man darin ausgestreckt liegen und schlafen kann. Kein Mensch dort benutzt die Hängematten des Nachts zur Ruhe, sondern sie werden mehr wie eine Schaukel an den Tragebalken der Häuser befestigt, so daß man bequem darin sitzen und den Rücken an eine Seite anlehnen kann.

Auch Franco's Lieblingsstellung oder Lage war es, in dieser Hängematte, eins der kurzen Beine an jeder Seite herunterhängend, zu sitzen, und so sitzend schlief er Nachmittags oder nahm selbst die Vorträge seiner Untergebenen an.

Seine Befehle für heute hatte er schon erlassen. Die gewöhnliche Vorsicht durfte nicht vernachlässigt, ja mußte eher verstärkt werden, je näher man dem Feind rückte; Lieutenant de Castro wurde aber diesmal mit den Tiradores nach vorn beordert, um geeignete Plätze zu besetzen und Signale zu verabreden, wenn er irgend etwas Verdächtiges entdecken sollte.

Uebrigens bekam er den Befehl, mit Sonnenuntergang zurückzukehren und das Commando einem seiner Unterofficiere zu überlassen. Franco hatte beordert, daß heute seine Officiere mit ihm zusammen speisen sollten, um nachher noch einen gemeinschaftlichen Kriegsrath mit ihnen zu halten.

Der Major gab in Person den betreffenden Befehl aus. Die Officiere waren einigermaßen erstaunt durch die Einladung, denn sonst hielt sich der kleine Mulatte ziemlich fern von ihrer Gesellschaft; Franco hatte aber auch eine solche Masse von Eigenheiten, daß sich seine Handlungen gar nicht berechnen ließen. Daher zerbrach sich Niemand darüber den Kopf. Man sollte eben mit ihm soupiren – für eine gute Mahlzeit und vortrefflichen Wein sorgte er stets – und damit war die Sache abgemacht.



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