Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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20.

Flores' Brief.

General Franco las, und während des Lesens nahm sein Gesicht eine immer hellere Färbung an. Er rückte sich die Lampe näher, er schlug das Papier auf seinem Knie glatt – er las wieder und schien dennoch kaum zu glauben, was er da vor sich sah. Der Brief selber war aber so einfach, wie er nur möglicher Weise sein konnte, und lautete:

»Lieber Malveca.

»Hoffentlich sind Sie jetzt sicher am Ort Ihrer Bestimmung angelangt. Seien Sie vorsichtig, Franco ist entsetzlich mißtrauisch; ich hätte auch nicht gewagt, diese Zeilen an Sie abzuschicken, wenn ich nicht einen zuverlässigen Boten gefunden – den Consulatscourier – der aber natürlich nicht ahnen darf, daß dies ein geheimer Verkehr ist. Ich gab ihm den Brief und bat ihn, denselben persönlich abzuliefern. Alles geht hier vortrefflich – die letzten Reserven sind eingetroffen und untergebracht. Nur um eins bitte ich Sie, veranlassen Sie Franco, rasch anzugreifen, denn seit Sie fort sind, hat sich ein böswilliger Geist in der Bevölkerung von Guaranda gezeigt, den ich nicht zum Ausbruch kommen lassen darf. Bewegen Sie Franco, wenn es irgend auszuführen ist, morgen früh – aber wenn das nicht gehen sollte, wenigstens im Laufe des Tages auf Guaranda anzurücken. Dann wird Alles gut.

»Da ich nicht weiß, ob Sie nicht vielleicht gezwungen werden, mit den Ueberresten von Franco's Heer nach Guajaquil zu flüchten, lege ich Ihnen hier einen auf Ihre Person lautenden Wechsel von fünfhundert Dollars auf Luzarraga bei, um Ihre nöthigsten Ausgaben dort zu decken. Wir werden Ihnen bald folgen. Das Uebrige nach Verabredung.

Ihr Flores.«

Franco las den Brief wieder und wieder über, biß die Zähne zusammen, kaute an den Nägeln und schritt in dem kleinen dürftigen Gemach so hastig auf und ab, daß die dünnen Dielenbambus schwankten. Endlich setzte er sich nieder und erbrach die anderen Briefe – aber diese enthielten nichts als Familiennachrichten für die Adressaten und Wünsche für ihr Wohlergehen. Man wußte schon in Quito, daß sie in Franco's Hände kämen, und hütete sich, etwas hinein zu setzen, das ihn mißtrauisch gegen die Empfänger machen konnte.

Endlich rief er die an der Thür stehende Schildwache an, den Major Barbadoes zu ihm herauf zu befehlen, und es dauerte nicht lange, so hörte er den schweren Schritt des gewichtigen Mannes auf der Stiege.

»Excellenz,« sagte der riesige Mulatte, als er das Gemach betrat – »es ist mir lieb, daß Sie mich rufen lassen. Der junge Quitener rüstet unten schon nach Leibeskräften, und will gleich nach zwölf Uhr aufbrechen. Wir haben noch genug Mondschein, um den Weg zu finden, und es wäre doch nöthig, daß Sie die Truppen vorher bestimmten, die ihn begleiten sollen. Jedenfalls muß er vor Tag oder mit Tagesanbruch auf der andern Seite von Guaranda sein.«

»Lesen Sie einmal diesen Brief, Barbadoes,« sagte der General, ohne das Vorgetragene zu beachten.

»Ja wohl, Excellenz,« erwiderte Barbadoes, immer gehorsam, obgleich ihm selbst Gedrucktes Schwierigkeit beim Lesen machte – »wenn Sie nur erst so gut sein wollten und bestimmen, wie viel –«

»Lesen Sie einmal den Brief.«

Barbadoes schüttelte den Kopf, aber er nahm das ihm dargereichte Blatt, ging zur Lampe und fing an zu buchstabieren. Franco, der nicht in der Stimmung war, sich über ihn lustig zu machen, nahm ihm das Papier wieder aus der Hand, setzte sich an das Licht und las es ihm mit gedämpfter Stimme vor.

Barbadoes stand daneben und horchte aufmerksam zu; wenn aber sein Gesicht im Anfang vollkommene Gleichgültigkeit verrathen hatte, denn er haßte überhaupt alle Briefe, weil sie für ihn eben so viele unauflösliche Räthsel blieben, so konnte es ihm doch bald nicht mehr entgehen, daß die Sache mit ihrem jetzigen beabsichtigten Zug im genauesten Zusammenhang stand, und als der General endlich mit den Worten: »Ihr Flores« schloß, sah er ihn ganz verdutzt an und sagte:

»Bitte, Excellenz, lesen Sie den Brief noch einmal.«

Franco that es, denn er wußte recht gut selber, daß sein getreuer Major etwas Derartiges nicht auf einmal begreifen könne. Als er aber jetzt wieder geendet hatte, rief Barbadoes heftig aus:

»Und die ganze Geschichte war nur ein –«

»Bst, Major,« unterbrach ihn mit abwehrender Handbewegung der General – »durch die dünnen Wände hört man Alles. Haben Sie begriffen, um was es sich hier handelt?«

»Verrath!« zischte der riesige Mulatte zwischen den Zähnen.

Franco nickte. – »Die Sache scheint ein abgekarteter Plan zu sein, um uns in die Falle zu locken.«

»Caracho,« fluchte Barbadoes in sich hinein – »wollten Sie mich wohl einen Augenblick entschuldigen, Excellenz – ich möchte nur hinuntergehen und dem schurkischen Quitener den Hals umdrehen!«

»Setzt Euch einmal dahin, Barbadoes,« sagte aber Franco, ohne für jetzt von dem guten Willen seines Majors Gebrauch zu machen. – »Ihr würdet nur Unheil anrichten, wenn ich Euch los ließe.«

Barbadoes folgte ohne Weiteres dem Befehl; er war ja nicht gewohnt, selbst zu denken – und sah den General stier dabei an. Was sollte jetzt geschehen? Sollten sie vorrücken oder sich zurückziehen? – sollte der quitenische Spion einfach erschossen oder bei den Beinen aufgehangen werden – und wenn er nun durchbrannte, während man ihn draußen frei umherlaufen ließ? Diese letzte Befürchtung gewann bei ihm so sehr die Oberhand, daß, während der General noch still und düster vor sich hin grübelte, er sich laut gegen diesen darüber aussprach.

»Er kann keine Ahnung haben, daß ich um sein Geheimniß weiß,« sagte Franco; »übrigens müssen wir uns doch seiner versichern, bis wir uns wenigstens überzeugt haben, wie die Sache steht. Ruft ihn einmal herauf, Barbadoes – aber haltet mir Leute genug bei der Hand und bleibt selber hier oben und dicht bei ihm. Der Teufel traue dem Schuft, es könnte ihn die Noth vielleicht zu einem verzweifelten Schritt treiben.«

Barbadoes hatte nicht lange nach Malveca zu suchen, denn dieser ging schon ungeduldig vor dem Hause auf und ab. Wußte er doch, wie thätig und umsichtig Flores war, und wie bereit dabei das Landvolk sich zeigte, für ihn Alles auszukundschaften, weshalb ihm das rasche Vorrücken der Franco'schen Armee kein Geheimniß bleiben konnte. Dann aber würde er jedenfalls augenblicklich seine gegenwärtige exponirte Stellung verlassen und sich auf die Hauptarmee zurückziehen, und damit wäre Malveca's ganzer Plan gestört gewesen.

Dieser folgte deshalb der Weisung des Majors, zu Franco hinauf zu kommen, mit der größten Bereitwilligkeit; worauf Barbadoes einen der jüngeren Officiere herbeiwinkte und ihm die nöthigen Befehle zur Sicherung des Spions gab. Viruta, der gerade über die Straße kam, nahm er mit sich hinauf, um noch Jemand bei sich zu haben, wenn der Gefangene allenfalls die Zähne zeigen sollte.

»Also, mein sehr verehrter Señor Malveca,« sagte Franco mit seiner gewinnendsten Freundlichkeit, »Sie glauben wirklich, daß Ihr Plan von Erfolg gekrönt sein wird? – Bitte, nehmen Sie Platz, da steht ja ein kleiner Schemel – darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?«

»Sie sind sehr gütig, Excellenz,« sagte der junge Mann, der von der doppelten Erlaubniß Gebrauch machte – »ich bin fest davon überzeugt. Vorausgesetzt nur, daß wir hier nicht zu viel Zeit versäumen, sondern so rasch als möglich aufbrechen. Glauben Sie mir, Excellenz, dieser Flores ist ein durchtriebener Gesell und hat überall seine Spione.«

»Meinen Sie wirklich?« lächelte der General, der zu seiner Beruhigung den Major auf der Leiter erscheinen sah. »Ja, Sie können Recht haben. – Da ist mir z. B. heute zufällig dieser Brief in die Hände gekommen – bitte, lesen Sie ihn; ich bin wirklich neugierig, was Sie dazu sagen werden.«

»Ein Brief! von wem?«

»Von diesem durchtriebenen Flores,« sagte der General mit seinem wohlwollendsten Lächeln – »und zwar an einen gewissen Malveca. – Ich weiß nicht, ob Sie den jungen Mann kennen?«

»An mich?«

»Bitte, lesen Sie nur – hier steht die Lampe; sie brennt zwar ein bischen dunkel – aber dieser durchtriebene Flores hat außerordentlich deutlich geschrieben. Man sieht gleich, was er meint.«

Malveca nahm kopfschüttelnd den Brief und drehte ihn unwillkürlich um – die Adresse lautete an ihn; aber wie kam er in die Hände des Generals? – und die Unterschrift war: Flores. Was hatte Flores an ihn zu schreiben? Er überflog den Brief, während Franco dicht vor ihm stand, um bei dem hell auf seine Züge fallenden Licht der Lampe den Eindruck zu beobachten, den der Inhalt auf ihn machen würde. Und Malveca blieb allerdings nicht gleichgültig dabei, denn er durchschaute rasch, was Flores mit diesem Brief bezweckte; ja sein Gesicht mochte in der Erregung des Augenblicks eine bleichere Farbe angenommen haben, denn Franco sagte lächelnd:

»Weshalb werden Sie so blaß, Señor? – Ich gebe Ihnen mein Wort, ich bedauere selber, daß der Brief in unrechte Hände gekommen ist. Es hätte sich Alles so leicht und hübsch machen lassen.«

»General,« sagte Malveca ruhig, ohne jedoch vollständig zu ahnen, welches Mißtrauen Franco gegen ihn gefaßt habe. »Wie mir scheint, ist der Brief gar nicht in unrechte Hände gekommen, sondern Flores hat ihn ganz besonders für Sie bestimmt.«

»Meinen Sie?« sagte der General lächelnd – »und an Sie adressirt und dazu noch mit sechs Oblaten verschlossen – Merkwürdig! Ach, Major, hätten Sie wohl die Gefälligkeit, diesen jungen, talentvollen Herrn wieder hinunter zu begleiten und mit der Achtung zu behandeln, die ihm gebührt?«

»Mit Vergnügen, Excellenz,« rief der Major, der auf der Lauer stand. »Vor allen Dingen bitt' ich mir Ihren Degen aus, mein neugebackener Herr Hauptmann,« und dabei hielt er Malveca's rechten Arm wie in einem Schraubstock. »Viruta, sei so gut und hilf ihm ein bischen – Du Halunke! verdammter Schuft, hast Du denn keine Manieren gelernt – Du siehst ja doch, daß sich der Herr nicht helfen kann.«

»General,« rief Malveca, jetzt nicht umsonst um seine Sicherheit besorgt, »Sie glauben doch um Gottes willen nicht, daß ich Sie habe verrathen wollen? Durchschauen Sie denn nicht die List dieses nichtswürdigen Flores, der weiter nichts will, als Ihren Marsch auf Guaranda verzögern, bis seine Armee den Platz besetzt hat.«

»So, Señor?« nickte Franco höhnisch – »und glauben Sie etwa, daß Flores so ohne Weiteres fünfhundert Dollars wegschenkt, wie der Wechsel hier auf das erste Haus in Guajaquil zeigt? Marsch mit ihm fort, Barbadoes, und Sie stehen mir dafür, daß er mit Niemand verkehrt, bis wir die Sache morgen näher untersucht haben.«

»Und so wollen Sie die kostbare Zeit jetzt nutzlos verstreichen lassen, General?« rief Malveca in Todesangst und dachte jetzt wirklich nicht einmal an seine eigene Sicherheit, da ihn die Furcht, die Gelegenheit zu seiner Rache zu verlieren, ganz beherrschte. – »Halten Sie mich gefangen, wenn Sie mir nicht trauen – aber schicken Sie einen Andern mit der Patrouille –«

»Fort mit ihm,« rief aber Franco, der von einer einmal gefaßten Idee nicht so leicht abzubringen war – »und dann kommen Sie wieder mit den Officieren herauf, Barbadoes – wir müssen berathen, was jetzt am besten zu thun ist.«

Malveca wollte noch einmal zu seiner Vertheidigung sprechen, aber der Griff des Majors leitete ihn wie ein Kind.

»Komm, mein Bursch,« sagte dieser, indem er ihn am rechten Arm festhielt, während Viruta den linken gefaßt hatte, »es hilft Dir nichts – morgen sprechen wir noch ein Wort miteinander; für heute hast Du Unheil genug angestiftet.«

Malveca knirschte mit den Zähnen, aber es blieb ihm in der That nichts Anderes übrig, als zu gehorchen. Wenige Minuten später sah er sich in der Gewalt einer Patrouille von Negern, die keinen andern Willen kannten, als den Befehl ihres Generals, und bekam jetzt Zeit und Muße genug, um in einer feuchten Ecke, mit gebundenen Händen und Füßen, über sein Mißgeschick zu brüten und Flores' Schlauheit, so wie Franco's und seines Mulattenmajors Dummheit zu verfluchen.

Indessen kam im Hauptquartier der Kriegsrath zusammen, und Franco las dort Flores' Brief vor. Die Verrätherei des Gefangenen schien dadurch außer allen Zweifel gestellt, denn gerade, daß der Brief nur Andeutungen enthielt, die besonders noch auf eine geheime Hülfe und ein Einverständnis mit Guajaquil hinwiesen, machte die Sache nur um so wahrscheinlicher. Allerdings erhoben sich auch Stimmen für die Möglichkeit, daß des Gefangenen Vertheidigung doch am Ende nicht ganz unbegründet sei und Flores den Brief absichtlich so geschrieben hätte, um dessen Aussagen entgegen zu arbeiten – doch Franco schüttelte mit dem Kopf, verstand sich aber wenigstens dazu, einen Trupp zum Recognosciren voraus zu schicken.

So viel war jedoch außer aller Frage, und dafür stimmten selbst die Malveca günstigen Urtheile, daß in dieser Nacht, bei so unsicheren Daten und mit einem so dringend vorliegenden Verdacht, ein Handstreich nicht mehr unternommen werden könne, wenn man nicht der Gefahr ausgesetzt sein wollte, in einen Hinterhalt zu fallen. Das Tageslicht mußte jedenfalls abgewartet werden, und damit war die Verhandlung für heut Abend geschlossen.

Nur der Major schien damit unzufrieden, denn er hatte wenigstens gehofft, daß zugleich das Todesurtheil über den Verräther gefällt werden sollte. Da man aber noch gar keine Gewißheit hatte, ob er wirklich schuldig war – wenn sich auch Franco ziemlich fest davon überzeugt hielt – so mußte dieser blutdürstige Mulattenmajor sich noch gedulden, wenn auch eine Execution zu einer seiner angenehmsten Aufregungen gehörte. Wozu sollte auch ein solcher Verräther länger leben, als unumgänglich nothwendig war? Denn daß er unschuldig sein könnte, kam gar nicht für ihn in Betracht. Dafür war der Krieg da, und Rücksichten brauchten nicht genommen zu werden. Der Major konnte also nur dafür sorgen, daß der Gefangene keine weiteren Bequemlichkeiten erhielt und daß der Wache außerdem eingeschärft wurde, ihm bei dem geringsten Fluchtversuch eine Lanze durch den Leib zu rennen.

Die Nacht verging ruhig; zwar wurden Vorposten gegen Guaranda zu aufgestellt, um sich gegen eine Ueberrumpelung sicher zu wissen, aber dieses war mit leichter Mühe zu bewerkstelligen, da nur die beiden nach jener Stadt führenden Straßen das Anrücken einer größeren Truppenmasse ermöglichten, welche bei Nacht und Nebel nie durch die dichten, von Aloe und Cactus durchwachsenen Büsche hätte dringen können.

Am nächsten Morgen in aller Frühe wurde indeß ein Cavalleriepiket detachirt, dem der strenge Befehl zuging, langsam und vorsichtig auf der Straße vorzurücken, bis sie die Höhe gewännen, von der man Guaranda übersehen könnte – aber nicht bis auf diese hinauf zu reiten, sondern vorher abzusitzen und sich von dort aus, durch die Gebüsche verdeckt, von dem Stand der Dinge in Guaranda zu überzeugen. Das konnte um so leichter geschehen, da die Stadt tief in einem Thalkessel und den Blicken von oben aus vollkommen offen lag. Sahen sie dann in der Stadt selber nichts Verdächtiges – waren keine größeren Truppenkörper sichtbar, zeigte es sich, daß die Leute ruhig ihren gewohnten Beschäftigungen nachgingen, dann sollte augenblicklich eine Ordonnanz in gestrecktem Galopp zurückreiten, um den General zu benachrichtigen, und dann wollte man trotz des Briefes doch den von Malveca angegebenen Versuch machen, den Weg nach dem Chimborazopaß abzuschneiden und zu gleicher Zeit gegen Guaranda vorzurücken. Ob dabei Flores in ihre Hände fiel oder nicht, blieb sich gleich; es lag Franco vor allen Dingen daran, Guaranda selber zu besetzen, um seine Soldaten bei guter Laune zu erhalten und einen sichern Ort zu erreichen, von dem aus er seine Operation weiter vorschieben könnte.

Er war überdies nicht mehr so zuversichtlich wie früher, wenn er sich davon auch gegen seine Officiere nichts merken ließ; aber nach alle dem, was er erlebt, seit er das Land selber betreten hatte, fing das alte Mißtrauen an mehr und mehr Wurzel zu schlagen, und verlor sich immer rascher der Glaube an seine Unfehlbarkeit. Hatte er doch auch gehofft, daß die Eingeborenen von allen Seiten herbeiströmen würden, um ihm Kunde von dem Feind zu bringen, damit er seine Maßregeln danach treffen konnte. Statt dessen kehrten nicht einmal die Spione zurück, die er selber zu diesem Zweck ausgesandt hatte, und er fand sich in dem fremden und – wie es sich nicht mehr verhehlen ließ – feindlichen Lande vollständig isolirt; ja er war – gerade das Gegentheil von dem, was er erwartet hatte – selber von Spionen und Verrath umgeben.

Und wenn er jetzt wirklich eine Schlacht verlor? – Es blieb ihm dann allerdings noch immer Guajaquil – es blieben ihm die dort ankernden peruanischen Dampfer; aber konnte er mit denen Ecuador erobern, und war er selbst Guajaquils sicher, wenn er nicht vermochte, Flores im Felde die Spitze zu bieten? Der kleine Mulatte befand sich in einer keineswegs glücklichen Laune und hätte am liebsten seinem Unmuth an dem Gefangenen Luft gemacht, wäre er eben vollkommen von dessen Schuld überzeugt gewesen. Ungeduldig erwartete er aber die verlangte Botschaft des ausgeschickten Vorpostens, und bedachte dabei nicht einmal, daß er den Leuten befohlen hatte, langsam und vorsichtig vorzurücken, um in keinen Hinterhalt zu gerathen, denn in dem Fall wäre sein ganzes Heer einem plötzlichen und unerwarteten Angriff preisgegeben gewesen.

Der Weg zwischen Tucumbo und Guaranda war aber, wenn auch nicht sehr entfernt, doch keineswegs so nah, um augenblicklich wieder Nachricht von dort haben zu können; denn ein gutes Pferd hätte zwei und eine halbe Stunde tüchtig austraben müssen, um die Stadt zu erreichen. Dabei war das Terrain sehr coupirt und deshalb doppelte Vorsicht für die Patrouille nöthig.

Ein junger Officier führte sie, Lieutenant Torque, ein junger Bursche von kaum mehr als achtzehn Jahren, der am liebsten ohne weitere Umstände in voller Carrière nach Guaranda hineingesprengt wäre, um dort zu sehen, wie die Sachen ständen. Dagegen lauteten aber die Befehle zu streng, und ein alter Unterofficier, ein Neger mit einem von den Blattern völlig zerrissenen Gesicht, war ihm außerdem noch beigegeben worden, um seinen Uebermuth nöthigenfalls in den Schranken zu halten. So ritt denn die Patrouille in scharfem Trab fort, bis sie die Vorposten erreichte und von diesen die Versicherung erhielt, daß sich kein Feind hätte sehen lassen. Einer der Leute, der gerade mit der Tagesdämmerung auf Wache gewesen war, wollte allerdings einmal auf der nächsten Höhe einen sich bewegenden Körper gesehen haben, wußte aber nicht einmal anzugeben, ob es nicht irgend ein wildes Thier gewesen, das von nächtlichem Raubzuge mit der anbrechenden Morgendämmerung in seinen dichten Schlupfwinkel zurückkehrte.

Der Vorposten bekam den Befehl, auf seinem Posten zu bleiben, bis die Ablösung käme, denn traf der kleine Reitertrupp weiter nach vorn auf den Feind, so sollte jener als Verstärkung dienen, um theils den Rückzug zu decken, theils, sobald er Schüsse fallen hörte, das Lager zu alarmiren.

Von hier aber rückten sie langsam weiter, um besonders von jeder Höhe, die sie erreichten, zuerst sorgsam das nächste Terrain zu untersuchen. Auf des Negers Rath, der für diese Art Kriegführung vortrefflich paßte, gebrauchten sie sogar die Vorsicht, an solchen Stellen einen Mann versteckt zurück zu lassen, der die gegenüberliegenden Höhen immerfort beobachten mußte, während sich der kleine Trupp in der offenen Straße in das Thal hinabzog. Lag dort ein Hinterhalt, so zeigte er sich wahrscheinlich, sobald er den Feind außer Sicht glaubte, und wäre es auch nur durch Vorsenden eines einzelnen Mannes gewesen. Erst wenn der Zurückgebliebene nachkam, setzte dann die Patrouille ihren Weg fort, denn sie konnte sich jetzt überzeugt halten, daß ihnen der Feind noch nicht nahe sei.

Natürlich machten sie unter solchen Umständen nur sehr wenig Fortgang, und es war fast Mittag geworden, als sie die letzte Höhe, hinter welcher Guaranda lag, vor sich sahen. Der alte Neger kannte hier jeden Fuß breit Boden, denn er war selber in Guaranda geboren und dann nach Bodegas gezogen, um eine Balsa zu bauen. Mit der hatte er jedoch Unglück, so daß er sein Geld verlor und dann in Franco's Armee eintrat, um das Eingebüßte wieder zu ersetzen. Franco's Heer bestand ja fast aus lauter solchen Leuten, die Nichts mehr zu verlieren hatten auf der Welt, und Alles unter dieser Leitung zu gewinnen hofften.

Nero, wie der alte Bursche hieß (denn trotzdem daß keine Sklaverei – wenigstens nicht officiell – mehr bestand, hatte er seinen alten Sclavennamen beibehalten und es verschmäht, sich umzutaufen), war diesmal selber zurückgeblieben, um für die Nachhut den Ausguck auf das vor ihnen liegende, ziemlich tiefe und kurze Thal zu übernehmen, von dem aus man durch die Windungen des buschbewachsenen Weges keine weitere Aussicht nach vorn hatte. Er blieb ziemlich lange auf seinem Posten, und der junge Officier, der unten mit den Seinen hielt, war schon ungeduldig geworden und schien nicht übel Lust zu haben, ohne den Alten weiter zu reiten. Es war auch in der That eine Geduldsprobe, denn vor ihm, kaum einen Büchsenschuß entfernt, lag der Hügelrücken, der ihnen den freien, ungestörten Blick auf Guaranda eröffnete, und nun mußte er zwischen den Büschen halten und warten, bis der Alte nachkommen würde und ihm melden, daß er gar nichts gesehen hatte. – Aber es ging doch nicht anders und er mußte sich wohl oder übel der Anordnung fügen.

Endlich – endlich wurde das Pferd Nero's sichtbar, der langsam über den Hügelrücken herunterkam und noch immer dann und wann anhielt und, die Augen mit der Hand gegen die Sonne schützend, nach dem gegenüber liegenden Hügel hinübersah.

»Nun, Alter,« rief ihm der junge Lieutenant Torque entgegen, »was zum Teufel bleibst Du denn den ganzen Morgen da oben hocken – Franco wird uns alle Wetter auf den Leib fluchen, wenn wir ihn bis zum Abend ohne Nachricht lassen. Hast Du 'was gesehen?«

»Quien sabe,« sagte Nero achselzuckend – »der Henker traue der Sache, ich habe keinen Menschen gesehen, aber in den Büschen da drüben ist's nicht geheuer.«

»Und woher glaubst Du das?«

»Nichts hat sich gezeigt oder gerührt die ganze Zeit, die ich da oben stand,« sagte der Alte, »ich habe aufgepaßt wie ein Falke, aber –«

»Aber?«

»Haben Sie vorhin die beiden Aasgeier bemerkt, Señor, die dort über die Höhe strichen?«

»Nein –«

»Es sind kluge Thiere, mit einem ganz merkwürdig scharfen Auge und einer noch besseren Nase. Nun, wie sie über den kleinen Kamm flogen, auf dem die höchsten Büsche stehen, drehten sie alle beide den Kopf hinab, und der eine strich ein wenig zur Seite, als ob er da unten etwas bemerkt hätte, was ihm nicht gefiel.«

»Und das ist Alles?« lachte der junge Mann – »und deshalb, weil ein Aasgeier den Kopf dreht, was sie fortwährend beim Fliegen thun, läßt Du uns hier eine volle Stunde halten und die kostbare Zeit versäumen? Sollen wir etwa jetzt zurückreiten und dem General erzählen, ein Vogel hätte den Kopf zur Seite gebogen, und wir wären deshalb nicht weiter vorgeritten?«

»Es wäre am Ende das Gescheiteste,« sagte der Alte, ohne sich durch den Spott im Geringsten irre machen zu lassen, »denn ausrichten können wir doch nichts, und liegt dort ein Hinterhalt, so dürfen wir uns fest darauf verlassen, daß wir tüchtig gepfeffert werden.«

»Bah, vorwärts,« rief der junge Officier – »wir haben unsere Schuldigkeit gethan und keine mögliche Vorsicht versäumt, jetzt müssen wir auch noch unsern Auftrag ausführen. Gut empfangen werden wir aber trotzdem vom General nicht, darauf kannst Du Dich fest verlassen, alter Wollkopf, denn wir sind ihm zu lange ausgeblieben. Doch jetzt nur rasch, damit wir den Hügelkamm erreichen.« – Und seinem Pferde die Sporen gebend, sprengte er in dem schmalen Wege den Trupp voran auf die kaum dreihundert Schritt entfernte Höhe zu.

Fast hatte er den höchsten Punkt erreicht, – schon konnte er den Thaleinschnitt erkennen, der an der andern Seite dicht bewaldet bis zur Senkung hinablief, in der Guaranda liegt – schon ließen sich einige gelichtete Stellen sehen, welche die unmittelbare Nähe der Stadt verkündeten – als plötzlich aus den Büschen Blitze zuckten und bei dem dröhnenden Knall von Gewehren kleine schwefelgelbe Wolken emporquollen und dann langsam zur Seite strichen.

Torque hörte die Kugeln um sich sausen und fühlte zugleich einen stechenden Schmerz in der Seite, aber nicht im Geringsten dadurch eingeschüchtert, schrie er:

»Vorwärts, Kameraden – Hurrah für Franco!« und gab einem Pferde die Sporen. Aber nur zwei Sprünge nach vorn machte des schwergetroffene Thier – dann stand es und taumelte, und wieder zuckten dann die rothen Strahlen aus dem grünen Busch. Ein Glück aber für den jungen tollkühnen, Burschen war es, daß er es mit südamerikanischen Schützen zu thun hatte, sonst wäre er wohl bei der großen Nähe der Feinde verloren gewesen. So traf nur noch eine Kugel das Pferd, das zusammenstürzte, und eine andere schlug ihm durch den fleischigen Theil des Oberarmes. Dicht neben ihm war aber auch ein anderer Soldat vom Pferde geschossen, während auf die Nachrückenden die Kugeln ebenfalls gewirkt zu haben schienen, denn Nero, der hier seinen schlimmsten Verdacht bestätigt fand, schrie: »Zurück – zurück – oder wir sind Alle verloren!«

Torque war schon aus dem Sattel, ehe sein Pferd zusammenstürzte, und schwang sich nun, den Zügel des ledigen Soldatenpferdes ergreifend, das, durch den Knall der Gewehre erschreckt, nicht gleich wußte, wohin es sich wenden solle, rasch auf dieses hinauf. Wieder aber fielen ein paar Schüsse, und er konnte sich nicht mehr verhehlen, daß sie es hier mit mehr als einer vorgeschobenen Schildwache zu thun hatten. Ein Befehl, seinen Marsch zu forciren, war ihm aber nicht geworden, seine Ordre lautete sogar bestimmt, sich augenblicklich zurückzuziehen, sobald er Widerstand finden sollte.

So warf er denn sein Pferd herum und mußte es dabei tüchtig ausgreifen lassen, um nur seine jetzt ihm tapfer voraneilenden Begleiter wieder einzuholen. Nero besonders entwickelte einen außerordentlichen Eifer, um aus dem Bereich der Kugeln zu kommen, von denen den Fliehenden noch zwei in einzelnen Schüssen nachgeschickt wurden.

Der Verlust, den sie gehabt, war aber nicht ganz unbedeutend, denn von den zwölf Soldaten, aus denen die kleine Patrouille bestand, waren zwei geblieben, oder doch so schwer verwundet, daß man sie unter dem Feuer des Feindes nicht mitzunehmen wagte, und außer dem Officier noch drei Andere nicht unerheblich getroffen. Auch eines der Pferde hatte noch einen Schuß bekommen und brach nach etwa einer Viertelstunde zusammen, worauf es dem Reiter überlassen blieb, allein und zu Fuß, so gut es ging, nachzukommen.

Jetzt aber mußten die Pferde laufen, was sie konnten, denn es galt nun, dem General die Meldung zu bringen, daß man sich Guaranda nicht mehr unbemerkt nähern könne und daß der Feind, völlig gerüstet, schon seine Vorposten vorgeschoben habe. Eine Stunde mochten sie auch so gejagt sein und der junge Officier fühlte schon, wie seine Wunden zu schmerzen begannen, als Nero plötzlich im Weg frische Pferdespuren entdeckte, die vor ihnen auf Tucumbo zuliefen. Sie nahmen sich aber keine Zeit, die Sache näher zu untersuchen, weil es nur zwei Spuren waren, die genau ihren Weg einhielten und über die sie jedenfalls im Hauptquartier selber etwas Näheres erfahren mußten.

Fort ging es wie die wilde Jagd; die Pferde waren mit weißem Schaum bedeckt, und der junge Officier selber fühlte sich von Blutverlust so erschöpft, daß er kaum noch im Stande war, seinen Sitz im Sattel zu halten. Endlich sahen sie die ersten Gebäude aus dem Grün der Büsche schimmern, hörten schon die Hornsignale, die das Heer zum Sammeln riefen, und fanden, als sie wenige Minuten später in das kleine Dorf hineinsprengten, das ganze Lager in Bewegung und Franco vollständig gerüstet und bewaffnet mitten auf dem Platz, um sie zu empfangen.

Der junge Officier sprengte zu ihm hinan, zügelte sein Thier und hob den rechten Fuß aus dem Steigbügel, um abzusitzen – aber er vermochte es nicht mehr. Einen Moment noch stützte er beide Hände auf den Sattelknopf, dann verließen ihn die Sinne. Er war todtenbleich geworden, und bewußtlos glitt er an der rechten Seite des Pferdes nieder und hätte sich wahrscheinlich in dem Sturz noch beschädigt, wenn nicht Franco selber zugesprungen wäre, um seinen Fall aufzuhalten.



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