Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11.

Juan Ibarra.

Die Sonne neigte sich ihrem Untergang, und in Guajaquil begann das rege, geschäftige Leben, das in allen Tropenländern der Welt mit dieser Tageszeit beginnt, aber sich in wenigen gerade so ausschließlich auf einen einzigen kleinen Raum concentrirt, wie gerade hier.

Die Stadt selber ist, wie schon vorher erwähnt, längs des Stromes und vielleicht fünf oder sechs Meilen von der Mündung in das Stille Meer gebaut, und machte besonders in ihrer Front einen ganz eigenthümlichen Eindruck, da sie noch eigentlich gar keine fremden Elemente in sich aufgenommen hat. Sind doch auch die Ausländer hier noch in sehr geringem Maße vertreten.

Sämmtliche Häuser dieser ersten Straßenreihe und keins mehr als einstöckig, mit fest in einander gefügten und verbundenen Balken gebaut, um den häufigen Erdbeben Stand zu halten, haben Colonnaden, unter welchen das Entrée der Wohnungen wie alle Kaufläden vollkommen trocken im Regen und schattig in der Sonne liegen, und Beides ist hier gerade besonders nöthig.

Schon die Küste des dicht benachbarten Peru, dessen Grenze fast unmittelbar unter der Mündung des Guajaquilstromes beginnt, kennt keinen Regen mehr und liegt baumlos und dürr unter einem nie bedeckten Himmel; Guajaquil dagegen, noch voll in der tropischen Vegetation, von Flüssen, Lagunen und Sümpfen umgeben und unter dem Einfluß der gar nicht so fernen Schneegebirge, leistet in der Regenzeit Außerordentliches, während dagegen die Sonne in der trockenen Jahreszeit so scharf herniederbrennt, wie sie nur unter vier Grad Breite brennen kann.

Ueber Tag zeigen sich deshalb auch nur sehr wenige Menschen auf der Straße, solche ausgenommen natürlich, die ihr Geschäft hinaus zwingt. Die Colonaden sind aber doch immer belebt genug. Boote und Balsas legen dazu unaufhörlich an und nehmen Fracht ein, selbst Brigs und Barken liegen im Strom vor Anker, um Ladung zu erwarten, oder mitgebrachte zu löschen, und Lastträger und Karrenschieber arbeiten mit einer Ausdauer selbst in der brennendsten Tageshitze, als ob der Sonnenstich nur eine Fabel wäre.

Dort tritt auch der Charakter Guajaquils, als Hauptstapelplatz des Cacao, hervor, denn überall in der Sonne liegen auf Leintüchern gewaltige Haufen von Cacaobohnen, um zu dörren und dann an Bord geschafft und versandt zu werden, und kein Krämerladen in der Stadt existirt, der nicht Chocolade in kleiner, kurzer Stangenform zu verkaufen hätte. Der Productenmarkt hält sich aber doch weiter von dem eigentlichen Mittelpunkt des Verkehrs entfernt, weil die Händler mehr Platz brauchen, um sich auszubreiten, während im Mittelpunkt der Frontstraße die brillantesten Kaufläden der Detailhändler zu finden sind – was man nämlich in Guajaquil unter »brillant« versteht.

Noch ist hier allerdings nicht der Luxus der riesigen Glasscheiben hergedrungen und Gasbeleuchtung existirte damals ebenfalls noch nicht, aber desto verschwenderischer gingen die Leute mit den kostbaren ecuadorianischen Hölzern, besonders dem Kende (Mahagoni), um und leisteten schon alles Mögliche, um Kauflustige durch eine elegante Ausstattung in ihr Geschäft zu locken.

Das meiste Leben herrschte aber vor dem durch eiserne Gitter abgeschiedenen und aus einem langen Waarengebäude bestehenden Landungsplatz an den sich einige kleine Häuschen für Steuer- und Polizeibeamte anschlossen. Auf diesen, wie auf dem schräg gegenüber liegenden Regierungsgebäude wehte auch die ecuadorianische Flagge, zwei weiße horizontale Streifen und in der Mitte einen blauen, mit weißen Sternen; und Soldaten mit Lanzen oder Musketen, barfuß und mit zerrissenen und ausgefranzten Beinkleidern, standen überall auf Posten, oder auch hier und da in kleinen Gruppen plaudernd und lachend zusammen.

Das reizendste Bild bot aber die Landung gleich unterhalb der Steuer, wo sich der eigentliche Fruchtmarkt befand, der seinen Duft über die ganze Häuserfront sandte. Am Ufer selber waren sehr wenig Früchte zu kaufen, außer man ging zurück in die dritte Straßenreihe, wo sich Höker und Kleinkrämer befanden. Der ganze Handel beschränkt sich hier auf die Boote, oder vielmehr auf die Canoes, die aber auch Seite an Seite in langer Reihe lagen und einen wahrhaft wundervollen Anblick boten.

Am häufigsten vertreten scheinen die Orangen, und von etwa dreißig langen Canoes, die man da nebeneinander zählen kann, sind wenigstens zwanzig bis zum Rand vollgeladen mit großen, prachtvollen Apfelsinen. Aber auch viele Canoes mit Ananas und Chirimoyen, Aguacates, Bananen, Papayen und vielen anderen Früchten bieten ihre Ladungen feil, und es ist ein ganz reizender Anblick, sie dort aufgestapelt zu sehen und den prachtvollen Duft einzuathmen.

Mit der Abenddämmerung verschwinden aber diese Fruchtboote, zu denen man auch in der Dunkelheit an einer ziemlich steilen und gepflasterten Uferbank hinuntersteigen müßte. Die Verkäufer decken Matten darüber und der Detail-Verkauf auf dem Prado beginnt. Ueberall tauchen Tische und Stände auf, die mit Früchten, Dulces, Bäckereien und kühlenden Getränken, wie aber auch ebenfalls mit Wein, Tschitscha und Agua ardiente reich versehen sind und die Vorüberspazierenden anlocken sollen, und bis zehn oder elf Uhr Abends bewegt sich dort eine geputzte fröhliche Menschenmenge in außerordentlich gemischter Gesellschaft auf und ab.

Selbst der Belagerungszustand, in dem sich Guajaquil doch gewissermaßen gegenwärtig befand, machte da keinen Unterschied, oder konnte das Leben und Treiben nicht unterbrechen, ja die Matrosen der peruanischen Kriegsschiffe, die mit ihren Kanonen die Stadt bedrohten, bildeten sonst gewöhnlich einen nicht unbedeutenden Bruchtheil der Schaaren und mischten sich ungenirt unter Bürger und Soldaten. Heute aber war keiner von diesen zu sehen, und die Dampfer hatten sogar – was den Bewohnern von Guajaquil keineswegs entging – geheizt und lagen mit rauchenden Schornsteinen draußen in der unter ihrem Bug schäumenden Strömung. Was ging vor? – Wollten sie die Stadt verlassen, oder hatte dies sonderbare Verhalten eine andere, unheimlichere Bedeutung? Man traute den Peruanern in der That nichts Gutes zu.

Hier und da flüsterte man sich Gerüchte und Vermuthungen zu, und da und dort standen kleine Gruppen in eifrigem Gespräch, das abgebrochen wurde, wenn einer der umherschlendernden Soldaten in ihre Nähe kam. Aber Bestimmtes wurde nicht laut, und der leichte Sinn der Ecuadorianer setzte sich auch bald über eine ungewisse Furcht hinweg, um den gewissen und ihnen gegönnten Augenblick in Ruhe zu genießen.

In der zweiten Straße lag das Haus des Señor Zegado, bekannt in der Stadt als eifriger Anhänger der quitenischen Regierung und eigentlich auch schon lange auf der schwarzen Liste des Generals. Wie aber früher der Versuch, Ibarra bei Seite zu schaffen, mißlang und die Volksstimme drohend wurde, wagte Franco keine weiteren Schritte gegen ihn, als daß er ihn, so lange er sich in der Hafenstadt befand, ziemlich scharf bewachen ließ. Zegado war klug genug, ihm nicht den geringsten Anhalt zu irgend einer entscheidenden Maßregel zu geben, und da der Diktator vor seinem Zuge nach Quito Alles vermeiden mußte, was ihm im Rücken Schwierigkeiten bereiten konnte, so blieb die mißliebige Persönlichkeit vor der Hand unbelästigt. Er aber wie Ibarra und noch verschiedene Andere wußten genau, was sie zu erwarten hatten, wenn Franco siegreich von seinem Zug zurückkehren sollte, und trafen deshalb schon im Voraus ihre Anstalten, um in dem Fall rasch das Land auf einem englischen Dampfer verlassen zu können. Ihr Leben wäre von dem Tag an keinen Augenblick mehr in Guajaquil sicher gewesen.

Selbst jetzt hielt ihn der Polizeidirector, wenn auch heimlich, unter strenger Wacht, da aber Zegado das wußte, hatte es keine Gefahr, denn wer ihn von seinen politischen Freunden unbeachtet sprechen wollte, betrat sein Haus nie durch den gewöhnlichen Eingang, sondern durch den Garten, der mit einer ganz andern Straße in Verbindung stand. Von dort aus konnte deshalb auch die Versammlung an dem heutigen Abend, ohne das geringste Aufsehen zu erregen, zusammenkommen.

Ibarra war in fieberhafter Aufregung, denn es galt einen Hauptschlag gegen die Macht des Mannes zu führen, der sein Vaterland an den Rand des Verderbens brachte. Aber die Tage Franco's waren auch gezählt, wenn es jetzt gelang, Guajaquil vom Feinde zu säubern und mit Patrioten zu besetzen. Die peruanischen Dampfer konnten ohne die Aufforderung der Guajaquilbehörden nicht handeln, da Peru nicht im Krieg mit Ecuador war, und die Capitaine durften auf eigene Verantwortung und ohne vorherige Kriegserklärung kein Feuer auf die Stadt eröffnen – sie hätten es selbst auf Franco's Verlangen nur mit Widerwillen, wie Ibarra wußte, gethan.

Vor allen Dingen war es nöthig, sich des Polizeidirectors zu versichern, und wenn die Versammlung halb acht Uhr stattfand, konnten alle Vorbereitungen dazu bis halb elf Uhr getroffen sein. Die Besatzung zu überrumpeln, war das leichteste Stück Arbeit, und noch dazu hatte der Polizeidirector heut Abend Gesellschaft bei sich, die ihnen die Arbeit ungemein erleichterte. Damen verhindern stets einen wirklichen Widerstand.

Es mochte halb sieben Uhr sein, und Ibarra hatte sich gerade aus seiner Hängematte erhoben, um zum Souper zu gehen, als er laute Stimmen unten an seinem Vorraume hörte. Gewehrkolben klirrten auf die breiten Steine des Entrée nieder und rohes Lachen tönte herauf.

Was war das?

Er öffnete halb die Thür; sein Peon, den er für die gewöhnlichen Dienstleistungen hielt, stürzte mit bleichem Gesicht in's Zimmer: »Señor,« rief er, athemlos hinter sich zeigend – »sie kommen.«

Eine weitere Erklärung war ja nicht nöthig, denn schon blitzten ein halb Dutzend Bajonnette und Lanzenspitzen die Treppe herauf, und hinter ihnen her erklärte dem seine volle Fassung bewahrenden Ibarra einer der braunen Burschen, daß er »sein Gefangener sei.«

»Und auf wessen Befehl, Señor?« fragte Ibarra mit der alten Höflichkeit, die allen Abkömmlingen der spanischen Race angeboren zu sein scheint.

»Auf Befehl des Generals Franco,« lautete die Antwort. »Machen Sie keine Umstände; wir haben Ordre, Sie mitzunehmen.«

»Auf Befehl Seiner Excellenz?« frug Ibarra mit erheucheltem Staunen, – »lieber Freund, sollte da nicht ein Irrthum stattfinden?«

»Weiß ich nicht; geht mich auch nichts an,« brummte der Unterofficier; »mich schickt der Polizeidirector Bustillos, der mir befohlen hat, Sie abzuholen.«

»Und hat er Ihnen auch befohlen, eine Patrouille dazu mitzubringen?« sagte Ibarra, und ein spöttisches Lächeln zuckte über seine Züge.

»Das versteht sich von selbst,« knurrte der Soldat, über die vielen Fragen ärgerlich – »also kommen Sie, denn wir haben keine Zeit.«

»Haha!« lachte Ibarra laut auf – »das ist zu kostbar. Der Polizeidirector schickt Sie herüber, um mich abzuholen, weil ich um fünf Uhr zu ihm eingeladen bin und es jetzt schon halb Sieben ist, und Sie bringen gleich eine Patrouille, wahrscheinlich mit geladenen Gewehren, mit, damit ich Ihnen ja nicht durchbrenne.«

Der Unterofficier stand verblüfft da. Hatte er wirklich eine solche Dummheit begangen und den Director vollkommen falsch verstanden? Von einer Patrouille war ihm allerdings kein Wort gesagt, und die Unbefangenheit des vermeintlichen Gefangenen machte ihn bestürzt. Ibarra, der seinen gewonnenen Vortheil sehr wohl ersah, ließ ihm aber keine Zeit zu langem Ueberlegen.

»Ja, wenn mich Freund Bustillos so nachdrücklich einladen läßt, muß ich allerdings kommen,« fuhr er fort, »denn eigentlich hätte ich noch viel zu arbeiten; aber in diesem Costüm kann ich nicht auf dem Ball erscheinen. Bitte also, meine Herren, nehmen Sie einen Augenblick Platz – ich muß meine Wäsche wechseln – hier Pablo – gieb einmal die Flasche und die Gläser her – die Herren werden durstig sein, und so seltene Gäste muß ich doch bewirthen.« Damit, als ob sich die Sache von selber verstände, trat er in das nächste Zimmer, dessen Thür er offen ließ, und an seinen Schreibtisch, wo er auf einen kleinen Zettel nur das eine Wort schrieb: »Flieh!« und den Zettel an Basilio Zegado adressirte.

Dann machte es rasch Toilette und kehrte in das Zimmer zurück, wo ihn die Soldaten, noch immer nicht recht im Klaren über das, was sie thun oder lassen sollten, unschlüssig erwarteten.

Als er aber wieder zu ihnen kam, vollständig in die feinste Balltoilette gekleidet, und noch an ein Gefach ging, um ein Paar frische Handschuhe herauszunehmen, die er dann langsam und in aller Ruhe anzog, standen sie verlegen von ihren Stühlen auf. Der Unterofficier war jetzt davon überzeugt, daß er eine Dummheit begangen haben mußte, und es erfaßte ihn die Angst, der Señor könne plaudern und ihm einen derben Verweis, vielleicht gar eine Strafe zuziehen.

»Señor,« stotterte er, mit der Hand an der Mütze, »wenn Sie wirklich heut Abend zu Señor Bustillos eingeladen sind, und die Gesellschaft ist allerdings schon seit einer Stunde versammelt, so – so wollte ich doch ergebenst gebeten haben –«

»Um was, Amigo?« sagte Ibarra, indem er seinen letzten Handschuhknopf zuknöpfte.

»Es war ein Versehen,« stammelte der Mann, »aber in jetziger Zeit – man weiß ja nie, ob die verdammten Quitener –«

»Bester Freund,« bemerkte Ibarra gutmüthig, »seien Sie unbesorgt; kein Wort davon gegen Freund Bustillos. Uebrigens würde der ebenso über den Spaß lachen wie ich. – Wenn Sie es aber nicht wünschen, so seien Sie versichert, daß ich der Letzte wäre, irgend Jemand eine Unannehmlichkeit zu bereiten, noch dazu, wo Sie nur im Dienst der guten Sache zu handeln glaubten. – Ah, Pablo! –« wandte er sich dann an seinen Diener, der verdutzt dem Treiben seines Herrn zugesehen hatte und die Sache nicht begreifen konnte, »ich werde heut Abend wohl kaum vor Zwölf nach Hause kommen, denn Bustillos hält keine frühen Stunden – hier hast Du Geld, kauf' Dir zu essen und pass' mir auf, daß die Thür gut verschlossen bleibt,« und damit, während er ihm unbemerkt einen warnenden Blick zuwarf, drückte er ihm mit dem Geld den Zettel in die Hand. Dann aber wandte er sich, verließ das Haus und schritt, ohne die geringste Notiz von den ihm folgenden Soldaten zu nehmen, direct dem Polizeigebäude zu.

Mit dem Bewußtsein aber, daß sein Plan gescheitert sei, und mit einer unbestimmten Ahnung, wer ihn verrathen haben könne, fühlte er auch, welchen verzweifelten Schritt er jetzt wage, indem er des Löwen Höhle betrat. Aber was blieb ihm übrig – Flucht, wenn sie mißlang, führte sein Verberben sicher herbei, – noch war die Möglichkeit, daß er gerade durch seine Keckheit das Schlimmste abzuwenden verstand, und wenn er auch hörte, daß ihm die immer noch nicht recht überzeugten Soldaten folgten, drehte er doch nicht ein einziges Mal den Kopf nach ihnen um.

Noch war ja auch überhaupt nichts geschehen, was ihn hätte compromittiren können, das ausgenommen, was er mit dem Doctor privatim besprochen, und daß dieser nicht öffentlich als sein Ankläger auftreten würde und durfte, davon hielt er sich fest überzeugt.

Vollkommene Unbefangenheit allein konnte ihn retten, und als sie das Polizeigebäude erreichten, ging er festen Schrittes hindurch bis zu der Treppe, die zu der Privatwohnung des Directors – heute von Lampen hell erleuchtet – hinaufführte.

Den ersten Absatz stieg er auch festen Schrittes hinauf, dort aber zögerte unwillkürlich sein Fuß, denn ein langer schmaler Gang führte hier nach dem Garten zu, und wenn er den gewann – Aber wie er sich halb umwendete, sah er die Soldaten, die immer noch nicht recht zu wissen schienen, woran sie mit ihm waren, nicht allein unten an der Treppe stehen, sondern der Unterofficier folgte ihm – wenn auch zögernd – nach. Jetzt war kein anderer Weg übrig, als der geradeaus. Zufällig kam in diesem Augenblick einer der Aufwärter die Treppe herauf. Diesen erwartete Ibarra und frug ihn absichtlich laut:

»Ach, lieber Freund, wollen Sie mir sagen, wo die Garderobe ist? Ich möchte meinen Ueberzieher ablegen.«

»Gewiß, Señor, folgen Sie mir nur.« Der Mann stieg mit ihm die Treppe hinauf, und jetzt konnten die Soldaten nicht länger in Zweifel sein, daß sie ein ärgerliches Versehen begangen und beinahe einen Gast ihres gefürchteten Directors in ein finsteres Loch geworfen hätten.

In dem Seitengebäude, das nach der Straße zu so düster und unwohnlich aussah, wie die meisten Häuser, seine eigentliche freundliche und mit Fenstern und Balkons gezierte Front aber voll dem Garten zukehrte, ging es heut Abend gar lebhaft zu, denn Director Bustillos hatte große Gesellschaft um sich versammelt, und während seine Patrouillen die ganze Stadt durchzogen und überall die Häuser auch nur entfernt verdächtiger Persönlichkeiten scharf beobachteten, ließ er daheim nichts von der Befürchtung, die der anonyme Brief in ihm wach gerufen, merken. Er spielte vielmehr ganz den liebenswürdigen Wirth.

Jede mögliche Vorbereitung war aber für den äußersten Fall getroffen, und überall waren schon an den nach dem Fluß zu liegenden Fenstern des Polizeigebäudes Lichter bereit gestellt, um vor dem verabredeten Zeichen das Haus zu illuminiren. Erst dann wurde das Signal durch drei aufsteigende Raketen gegeben, und mit dem begann erbarmungslos das Bombardement durch die Schiffe, die nur Befehl hatten, das erleuchtete und dadurch leicht zu vermeidende Gebäude zu schonen.

Die Säle waren der frischen, balsamischen Nachtluft weit geöffnet, und fröhliche, geputzte Menschen bewegten sich in den mit Blumen und breiten Blättern ziemlich geschmackvoll geschmückten Räumen, so daß man beim ersten Anblick in der That hätte meinen sollen, der Polizeidirector des Dictators sei ein außerordentlich populärer Mann und die Bevölkerung dränge sich förmlich dazu, ihm ihre Huldigung zu bringen.

Andere Völker, andere Sitten. In jedem Lande der Welt, das nur ein klein wenig Nationalstolz besäße, würden sich bei der gegen das jetzige Regime herrschenden Stimmung besonders die Damen geweigert haben, in einem Hause gastlich aufgenommen zu werden, das zu den verhaßtesten der Stadt gehörte – nicht so in Ecuador. Die schöne Welt dachte gar nicht daran, sich durch eine Demonstration, die ihr noch dazu einen angenehmen Abend geraubt hätte, mißliebig zu machen und ihre Familien in Ungelegenheit zu bringen. Franco herrschte einmal in der Stadt, und Bustillos war sein Stellvertreter.

Der Südamerikaner liebt Musik – rauschende, lebendige Musik, wenn er sie irgend haben kann, bei der auch die stets von einem Neger mit Leidenschaft geschlagene große Trommel, wie Triangel und Becken nicht fehlen dürfen. Kein solches Fest könnte deshalb ohne dieses gefeiert werden, und nachdem die Damen zuerst auf dem Clavier ein paar sehr mittelmäßige Lieder abgeklimpert und dazu kleine Tonadas gesungen, fiel auf ein Zeichen des Directors mit Vehemenz die große Trommel ein und schlug damit alle anderen Melodien vollständig todt. Sie war überhaupt Bustillo's Lieblings-Instrument, und er hatte sich sogar eine solche eigenthümlich angeschafft, womit er manchmal, in gemüthlichen Stunden und wenn er von Geschäften ausruhen konnte, seine Frau auf dem Clavier begleitete.

Durch die lärmenden Töne – denn Trompete und Clarinette wollten auch nicht hinter der Trommel zurückbleiben, während der Beckenschläger wie ein wildes Wetter dazwischen schmetterte – kam aber auch Leben in die Gesellschaft. Bustillos, als aufmerksamer Wirth, schien überall gegenwärtig. Er hatte eben schmunzelnd zugehört, wie Doctor Ruibarbo, der sich heute selber übertraf, seiner Frau einige zarte Schmeicheleien über ihre Toilette sagte, als die Thür aufging und Juan Ibarra mit dem artigsten Lächeln von der Welt auf der Schwelle erschien.

Doctor Ruibarbo erblickte ihn zuerst und fühlte, daß er todtenbleich wurde und sein Blut für einen Moment stockte. Ibarra's Blick streifte ihn aber blos, und ehe Bustillos, der selber wie aus den Wolken fiel, noch ein Wort sagen oder einen Entschluß fassen konnte, ging der unerwartete Gast ruhig auf ihn zu, und ihm die rechte, mit weißem Glacéhandschuh bedeckte Hand entgegenstreckend – die auch Bustillos fast willenlos nahm – sagte er herzlich:

»Lieber Bustillos, seien Sie mir nicht böse, daß ich gestern Ihre freundliche Einladung ausschlug. Ich fühlte mich ernstlich unwohl und glaubte nicht, daß ein peinigender Kopfschmerz so rasch vorübergehen würde, wie es der Fall gewesen. Es war aber unendlich liebenswürdig von Ihnen, daß Sie Ihre Aufforderung erneuerten, ich werde Ihnen das nie vergessen. – Lieber Doctor – außerordentlich glücklich, Sie hier zu finden – ich glaubte Sie noch im Kriegstrubel von Bodegas. – Gnädige Frau, ich lege mich Ihnen zu Füßen – wie ich sehe, hat Ihnen die Hitze nicht geschadet – Ihr Teint, im Gegentheil, ist blüthenweiß geworden.«

Und auf die Dame zugehend, hob er ihre Hand an seine Lippen und küßte sie ehrfurchtsvoll.

Der Doctor warf einen scheuen Blick auf den Director; so schlau und überdacht Ruibarbo in allen seinen Handlungen war, auf diese Wendung hatte er nicht gerechnet. Nichts Fataleres hätte ihm auf der ganzen Welt widerfahren können, als daß er dem schmählich verrathenen Ibarra hier und mit so überlegener Miene begegnete.

Noch mehr erstaunt war jedoch der Director durch den Besuch eines Mannes, den er schon fest verwahrt hinter Schloß und Riegel geglaubt hatte. Im ersten Moment wollte er die Soldaten anrufen, um dies »Mißverständniß« zu beseitigen, aber – sollte er jetzt, in Gegenwart der Gesellschaft und seiner entsetzlich nervenschwachen Frau, eine Scene aufführen, die alle seine Gäste auseinander scheuchen und die Stadt in fieberhafte Unruhe bringen mußte? Das ging unmöglich an. Außerdem konnte Ibarra doch hier in der Gesellschaft unmöglich conspiriren. Für diese Nacht wenigstens war er unschädlich, und nach der Gesellschaft fand sich dann die Gelegenheit zu ferneren Maßregeln.

Ibarra hatte sich, noch immer den Hut in der Hand, in ein Gespräch mit der Frau vom Hause vertieft und plauderte so liebenswürdig und unbefangen, und wußte eine solche Menge von Stadtneuigkeiten so pikant vorzutragen, daß Señora Bustillos, ganz entzückt von ihm, fragte:

»Aber wollen Sie denn nicht ablegen, Señor Ibarra?«

»Mit Vergnügen, meine Gnädige, wenn Sie es mir befehlen.«

Juan Ibarra bewegte sich vollkommen wie zu Hause, und wenn auch einige der Gäste, unter die er sich jetzt mischte, erstaunt waren, ihn hier zu sehen, wo seine politische Gesinnung so wenig wie in der Stadt selbst ein Geheimniß sein konnte, so zerbrach sich doch Niemand den Kopf darüber. Also auch dieser Gegner des Franco'schen Regiments hatte sich, wie hundert Andere, den Verhältnissen gefügt und anerkannt, was er nicht hindern konnte – mit einem Wort, Ibarra war zu Franco's Fahne übergetreten. Man wunderte sich zuletzt nicht einmal mehr darüber, sondern nur, daß er so lange damit gezögert.

Um's Leben gern hätte aber Doctor Ruibarbo erfahren, wie die Sache zusammenhing. Der Director hatte allerdings nach dem anonymen Brief gehandelt, das wußte er genau. Die Stadt war auf allen Punkten, wenn auch so geräuschlos wie möglich, mit Militär besetzt, und – davon hatte sich Ruibarbo überzeugt, bevor er zu dem Balle ging: Zegado wie Ibarra waren Beide in ihren Häusern von Soldaten verhaftet worden. –

Der Direktor schritt, die Hände auf dem Rücken, durch den Saal.

»Bester Bustillos,« redete Ruibarbo ihn an, »ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie mit Ibarra so befreundet wären.«

»Nicht, Doctor?« fragte der Polizeidirector und sah den unbefangen mit seiner Uhrkette spielenden Ruibarbo groß an.

»Wirklich nicht,« versicherte dieser; »aber ich freue mich aufrichtig, daß sich der Zwiespalt ausgeglichen hat. Ibarra ist ein höchst liebenswürdiger und gescheidter Mensch – ein bischen excentrisch zuweilen, aber, lieber Gott, wir werden ja Alle mit den Jahren älter und vernünftiger. So wird er wohl endlich eingesehen haben, daß es unklug ist, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, wenn man wenige Schritte daneben eine bequeme Thür hat.«

»Jedenfalls, Señor,« sagte der Director, der dem Doctor eben so wenig traute – »jedenfalls, und ich sage Ihnen, Seine Excellenz wird noch Manchen zur Besinnung bringen, der jetzt noch nicht weiß, wohin er gehört, denn der General hat eine hinreißende Ueberredungsgabe, die ganz unwiderstehlich ist. –«

»Seine Bajonnette,« lächelte der Doctor.

Der Director nickte ihm freundlich zu und ging nach dem andern Ende des Saales hinüber.

Von jetzt an begann ein ganz eigenes Manövriren zwischen Ibarra und dem Doctor. Ibarra suchte mit diesem, wenn auch nur für einen Moment, ein Wort zum Verständniß zu wechseln, und der Doctor wünschte nichts weniger auf der Welt als gerade das. Auf das Geschickteste wich er seinem Verfolger aus, wenn dieser ihn schon ganz sicher zu haben glaubte, bald zwischen eine Gruppe von Damen, bald zwischen ein paar eifrige Anhänger Franco's mitten hinein tauchend; er wußte Spiele zu arrangiren und ordnete mit die Plätze an der Tafel, er war überall, nur nie dort, wo ihn Ibarra zum Stehen bringen wollte. Endlich versah er es doch einmal. Der Gemiedene stand plötzlich neben ihm, schob seinen Arm in den seinen und sagte mit der gewinnendsten Freundlichkeit:

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, Doctor, wie ich mich freue, Sie hier zu treffen.«

»Mein bester Ibarra,« erwiderte Ruibarbo und wäre in dem Augenblick viel lieber durch eine Versenkung in den Erdboden abgegangen, – »das ist allerdings ein sehr wunderbares Zusammentreffen.«

»Wie so, lieber Doctor? – wunderbar?«

»Glücklich wollte ich eigentlich sagen,« verbesserte sich Ruibarbo, dem es nicht entging, daß des Directors Auge auf ihm haftete. Er mußte sich losmachen – der schlimmste Verdacht konnte durch solche Vertraulichkeit gegen ihn erregt werden. »Wir dürfen uns nicht preisgeben,« flüsterte er Ibarra zu, »ein Argwohn reicht hin, um uns in's Verderben zu stürzen.« Damit machte er seinen Arm frei, indem er ein Gesicht zog, als ob er spräche: »Es ist heute ein recht angenehmer Abend.«

»Nicht preisgeben?« lächelte Ibarra. »Aber Sie haben vielleicht Recht, Doctor – der Ruf eines von uns Beiden steht auf dem Spiele. Eine gute Nachricht, die ich eben bekommen, muß ich Ihnen jedoch noch sagen: Flores rückt mit fünfzehntausend Mann von Quito herunter.« Dabei drehte er sich von dem Doctor ab und trat zum Fortepiano, wo er eine der kleinen ecuadorianischen Tonadas mit geübter Hand präludirte und mit voller kräftiger Stimme dann zum Gesang einsetzte, so daß sich bald ein großer Theil der Gäste um ihn sammelte.

Dann begann die Tafelmusik, ein wahrer Höllenlärm von allen nur erdenklichen Blech- und Schlaginstrumenten, und es entstand dadurch die gewöhnliche Verwirrung unter den Versammelten, die jetzt von einem Zimmer in's andere drängten, um sich die erwünschte Tischnachbarschaft zu suchen.

Der Director besonders hatte in diesem Augenblick viel zu thun, um die Plätze zu bestimmen und Unordnung zu verhüten. Als aber sämmtliche Gäste Platz genommen, war ein Stuhl unbesetzt geblieben, Juan Ibarra fehlte.

Der Director verließ rasch das Zimmer und schickte Boten und Wachen nach allen Seiten aus, aber der Vermißte stellte sich nicht wieder ein, und Juan Ibarra war auch am nächsten Morgen weder in seiner Wohnung noch in ganz Guajaquil zu finden.



 << zurück weiter >>