Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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16.

Der Ausmarsch der Quitener.

Benito Espinoza war in Quito geboren und erzogen worden und stets ein gutmüthiger, aber entsetzlich wilder Bursche gewesen, der den Leuten in der stillen Binnenstadt durch seine oft übermüthigen, aber nie bösartigen Streiche gar nicht selten etwas von sich zu reden gab. Kein Wunder deshalb, daß ihn alle Welt kannte, und die Nachricht von seiner Ermordung durch den Usurpator zuckte, zugleich mit dem Gerücht von dem Anrücken der Franco'schen Schaaren, durch die ganze Stadt.

Da war kein einziges Haus, in dem nicht beide Fälle mit gleicher Energie besprochen wurden, keine Lippe in der ganzen Stadt, die nicht an dem Abend das Wort Espinoza ein Dutzendmal ausgesprochen hätte, und das Erstaunen der guten Bürger läßt sich denken, als eben dieser nämliche Espinoza, gerade in der Zeit, wo die Straßen am belebtesten waren, frisch und gesund durch sie hin schritt und freundlich nach allen Seiten grüßte.

Es war kein Gedanke daran, daß er direct auf das Regierungsgebäude zugehen konnte, um dort seinen Bericht abzustatten; überall wurde er gefaßt und gehalten und sollte erzählen, wie es ihm gegangen und was Franco treibe, und mit Gewalt mußte er sich losreißen, um doch endlich seine Pflicht zu erfüllen.

Der Bericht, den er geben konnte, beschränkte sich im Ganzen auf die Überreichung der ihm unterwegs von dem quitenischen Detachement anvertrauten Depesche, die um schleunige Truppensendung bat, wie auch eine Beschreibung des Franco'schen Heeres, mit dem er in Bodegas so genaue Bekanntschaft gemacht und das er als wild und zügellos genug schilderte, dessen genaue Stärke er aber nicht anzuschlagen vermochte, da noch an demselben Morgen eine große Anzahl von Balsas, theils mit Truppen, theils mit Lastthieren und Gepäck, von Guajaquil kommend, eingetroffen waren, und er nicht wußte und wissen konnte, wie viele noch folgen würden. Die Zahl der an jenem Morgen in Bodegas angelangten Soldaten schätzte er übrigens auf etwa zweitausend Mann.

Weit interessanter war aber die Kunde, die er über die Stimmung verschiedener Officiere im Franco'schen Heere bringen konnte und die schon dadurch ihre volle Bestätigung fand, daß sie ihm selber zur Flucht verholfen. Ging doch daraus deutlich hervor, daß sich Franco nicht einmal der Sympathie seiner eigenen Leute sicher wußte, und Flores' Behauptung, daß der Wirtschaft in Guajaqual schon lange ein Ende gemacht wäre, wenn man ihm nur früher hätte folgen und die Armee marschiren lassen wollen, schien sich dadurch vollständig zu bewahrheiten.

Man konnte ihm aber doch nicht gut eingestehen, daß man damit wohl einverstanden gewesen wäre und das Nämliche geglaubt, aber nur zugleich gefürchtet hätte, er selber würde sich nachher zum Präsidenten aufwerfen und das von quitenischer Seite bewerkstelligen, was man in Guajaquil ja gerade unterdrücken wollte; eine Militärherrschaft nämlich.

Jetzt aber half es nichts mehr, das Feuer brannte den Quitenern auf den Nägeln, und noch mehr, man fürchtete sogar, daß bei längerem Zögern Peru Truppen nach Ecuador werfen und Franco nicht allein mit Geld, sondern auch mit Soldaten unterstützen könnte. Dann bekamen sie einen doppelt schweren Stand. Jetzt hatten sie es mit dem Mulattengeneral noch allein zu thun, und ein rascher Schlag mußte geführt werden, um ihn zu vernichten.

Espinoza's Bericht trug indessen viel dazu bei, die Furcht vor einem ungünstigen Ausgang des Kampfes zu zerstreuen. Je wilder die Horden waren, desto mehr fühlte sich das Land von ihnen bedrückt und half selber mit sie zu verjagen, und desto eher durfte man hoffen, daß ein tüchtiger General sie auseinander sprengen würde. Ein guter Führer aber war Flores jedenfalls, – selbst seine politischen Gegner leugneten ihm das nicht ab.

Jetzt kam Leben in die Sache, und durch die Hoffnung ermuthigt, daß man wahrscheinlich einem leichten Sieg entgegenginge, entschlossen sich noch eine große Anzahl junger Leute, die bis dahin ihre ernstlichen Bedenken gehabt, als Vaterlandsvertheidiger in die Reihen des abmarschirenden Heeres einzutreten. Ihre Ausrüstung war jedoch auch bald besorgt; Proviant gab es in Quito, das im Herzen der reichsten Provinz des Landes liegt, in Ueberfluß – wollene Kleider und Schuhwerk sind dort ebenfalls zu – selbst nach deutschen Begriffen – spottbilligen Preisen zu haben, und Flores hatte an dem Abend noch bis spät in die Nacht zu thun, die sich meldenden jungen Krieger anzunehmen und den verschiedenen Compagnien zuzutheilen.

Selbst aus den ersten Familien des Landes reihten sich junge Leute den Truppen freiwillig als Gemeine ein, eine steigende Begeisterung herrschte in der Stadt, dem frechen Mulatten, auf den schon Spottlieder in den Straßen gesungen wurden, mit dem Aufgebot aller Kraft und Energie zu begegnen.

Hätte Franco an diesem Abend einen Blick nach Quito hineinwerfen oder unerkannt die Stadt durchwandern können, so würde er sich wohl in seiner Sicherheit des Sieges erschüttert gefühlt haben.

War daher früher in Quito auf unverantwortliche Weise mit der entscheidenden Handlung gezögert worden, so bewies jetzt Flores seinen Landsleuten, daß das wahrlich nicht an ihm gelegen, denn von dem Moment an, wo er den Befehl in die Hand bekam, war an kein Verschleppen der Sache mehr zu denken.

Wie schon vorher erwähnt, hatten die Officiere den Befehl erhalten, am nächsten Morgen um sieben Uhr in einem kleinen Dorfe nicht weit von Quito einzutreffen, und bis zu der Zeit wurden auch alle sich heut Abend meldenden Freiwilligen angewiesen, dort völlig gerüstet und beritten zu erscheinen.

In dem Hause eines Señor Salvador, eines nahen Verwandten von Flores, sollte dem General ein Abschiedsfest gegeben werden, und die Elite der Gesellschaft kam dort zusammen. Aber Flores selber hatte kaum Zeit, eine halbe Stunde dort zu erscheinen, und that auch das nur, um sein Abendbrot daselbst zu nehmen, dann rief ihn der Dienst wieder ab, und noch lange vor Tage war er schon seinem Generalstab voraus im Sattel und auf dem Platz des Stelldicheins, um das Nöthige anzuordnen.

War er aber auch, nur von seinem Diener begleitet, in stiller Nacht allein hinausgeritten, so gedachten doch die Schönen Quitos nicht, ihre Angehörigen ohne freundliches Gefolge zum Kampf ausziehen zu lassen, das Vaterland von dem Feinde zu befreien. Früh aufzustehen waren die Damen von Quito von jeher gewohnt gewesen, da sie fast jeden Morgen die Messe besuchten – wie sie überhaupt den größten Theil ihrer Zeit in der Kirche zubrachten. – Heute galt es aber, ihren Lieben und Freunden einen Beweis ihrer Anhänglichkeit zu geben, und von dem Hause des Señor Salvador ging die Loosung aus, morgen früh die ausrückenden Krieger bis zum Sammelplatz zu begleiten. Wer hätte da zurückstehen mögen!

Eben dämmerte der Tag über den östlichen Höhen, als sich die Stadt belebte, und nicht allein Pferde mit Pistolenholstern vorn am Sattel, sondern auch mit Damensätteln, hielten überall vor den Häusern, ihrer schönen Reiterinnen harrend. So wie die Sonne über die Cordilleren gluthroth emporstieg, sammelte sich auf der Plaza das schönste Amazonenheer, das die alte Stadt Quito seit ihrer Erbauung gesehen.

Und selbst die Geistlichen wollten nicht müssig sein, die sich doch sonst nicht gern bei etwas beteiligten, was nicht direct ihre eigene Kirche und den heiligen Stand betraf. Aber Flores' Krieg gegen den frechen Usurpator war als ein »heiliger« erklärt worden, und als sich die Streiter desselben Morgens auf der Plaza sammelten, begannen plötzlich sämmtliche Glocken zu läuten – zur Weihe dieses feierlichen Augenblicks.

Es war ein großer Moment im Leben dieses Volkes. Nicht auf einen Raubzug ging die Blüthe der männlichen Jugend aus – kein künstlich politisches oder gemeines Interesse drückte ihnen die Waffen in die Hand, sondern die Liebe zum Vaterland rief sie zur Vertheidigung des eigenen Herdes, zur Vertheidigung ihrer Menschenrechte auf, die ihnen der freche Usurpator nehmen wollte. Mit dem Gefühl dieses Willens kam auch die Begeisterung über sie, und dazu stimmte der feierliche Ton der Glocken, stimmte das leuchtende Tagesgestirn, das eben seine Strahlen über die schneebedeckten Joche der Cordilleren ergoß und die Eiskrusten des gegenüberliegenden Pichincha roth erglühen machte, stimmte der Himmel, der sich rein und klar über die wundervolle Landschaft spannte.

Es war ein schönes Land, und seine Kinder hatten Recht, es bis zum letzten Blutstropfen zu vertheidigen. Aber wenn es auch eine Wüste gewesen wäre, die Liebe zum Vaterlande hätte selbst die geheiligt und mit Paradieszauber übergossen – noch dazu, da sich schöne Frauen dabei betheiligten.

Die Damen Quitos hatten sich in der That die Sache des Kampfes zu der ihrigen gemacht, und manches jungen Kriegers Herz schlug lebhafter und feuriger, als er an dem Morgen sein Roß über die Plaza lenkte und diese wunderschöne Amazonenschaar mit wehenden Schleiern und Tüchern dort versammelt traf.

Keiner durfte passiren, ja selbst in der Hauptstraße, die nach Guajaquil führte, waren Posten aufgestellt, die Jeden, der etwa eine Seitenstraße eingeschlagen und die Plaza nicht berührt hatte, zurückwiesen zu dem Hauptmarkte der Stadt. Mit dem Schlag halb Sieben sollte der ganze Zug dann nach dem vom General bestimmten Ort aufbrechen, den sie von da aus, und in einem etwas scharfen Trabe, recht gut in der befohlenen Zeit erreichen konnten, um den Oberbefehlshaber seine Officiere selber zuzuführen.

Auch Espinoza hielt, heute von seiner Schwester Ana begleitet, unter dem bunten Trupp auf dem Markt. Um ihn besonders hatten sich die Damen gedrängt; er mußte erzählen, wie Franco aussah und sein Officiercorps – ob sie nicht alle rothe Mäntel und lange Schlachtmesser und Pistolen trügen, und wie besonders der Officier hieß, der ihn gerettet habe. Jedenfalls stammte er aus Quito; sie brannten darauf, seinen Namen zu erfahren, und fanden es unerklärlich – unbegreiflich, daß Espinoza nicht danach gefragt haben sollte. Aber Fortunato's Personalbeschreibung war das Einzigste, was er geben konnte, und die selbst so oberflächlich, wie sie nur ein Mann zu geben im Stande ist.

Eine Dame nämlich würde bei nur einmaliger flüchtiger Zusammenkunft ganz genau gewußt haben, ob er schwarze oder braune Augen, gute oder schlechte Zähne, schlichtes oder lockiges Haar gehabt – außerdem was für Hände oder Füße – ob Schnurrbart oder vollen Bart oder glatt rasirt.

Espinoza wußte von alledem gar nichts – es war eine schlanke, edle Gestalt mit offenem, Zutrauen erweckendem Ausdruck in den Zügen und treuen Augen gewesen, dabei leichtherzig und lebendig in der Rede. Einen Bart? – er glaubte, daß der Hauptmann einen vollen Bart getragen habe – es konnte aber auch ein Schnurrbart sein, ja er hätte nicht einmal darauf schwören mögen, daß er nicht glatt rasirt gewesen – es war rein zum Verzweifeln. Einen rothen Mantel hatte er aber bestimmt nicht angehabt und ein langes Schlachtmesser wollte Espinoza auch nicht bei ihm bemerkt haben – obgleich er sich auch darüber ungewiß äußerte.

Aber die Zeit des Abreitens nickte heran. Immer mehr füllte sich die Plaza mit Reitern und Reiterinnen, denen sich das Volk in neugierigen Schwärmen zugesellte. – Jetzt schlug es halb – das Zeichen zum Aufbruch – und ein frisches Trompetensignal rief die Cavalcade zur Ordnung.

Die Südamerikaner thun nämlich nichts ohne Musik – selbst in ihren Kirchen spielt die Violine die lustigsten Märsche und Tänze zu ihrem Gebet – nie aber hätten sie daran gedacht, ihre Brüder und Freunde mit Todtenstille zum Kampf hinaus zu geleiten. Ein Musikcorps war deshalb noch in derselben Nacht bestellt worden. Volontaire hatten sich genug dazu erboten, und in einen wahren Jubel brach das Volk aus, als diese jetzt, nach dem ersten Trompetentusch zum Sammeln, in das auf Franco gedichtete Spottlied: »Muerto tendido me veo« einfielen.

Jetzt stampften und trampelten die bei dem Ton der Trompeten kaum noch zurück zu haltenden Pferde – eine Masse älterer Herren hatte sich ebenfalls dem Zug angeschlossen, um die Damen auf dem Rückweg nicht ohne Begleitung zu lassen, und während die Trompeter in die nach Süden führende Hauptstraße einbogen, ordnete sich der Zug in kleinen Gruppen und Trupps, so gut wie es eben gehen wollte und so wie Die, die sich jetzt vielleicht für lange Zeit trennen mußten, gern noch bei einander zu bleiben wünschten.

Mancher heimlicher Händedruck wurde dann noch gewechselt, manche verrätherische Thräne im Auge zerdrückt – aber im Allgemeinen hatten doch die Damen das richtige Gefühl, diesen letzten Ritt zusammen, diese Begleitung in's Feld, keinen Trauermarsch sein zu lassen.

Den Musikern war auch gleich von vornherein der bestimmte Auftrag geworden, nur lustige, heitere Weisen zu spielen – und wenn auch hier und da eine Thräne glänzte – der Mund lachte und scherzte, und bald hatte sich nicht allein eine heitere, nein eine ausgelassene Laune der lebendigen Schaar bemächtigt. Wie häufig finden wir auch, daß gerade in ernsten Momenten des Lebens, in denen der Geist besonders aufgeregt ist, die Ueberspannung der Nerven zu fast unnatürlicher Lustigkeit und anscheinend sorglosem Uebermuth führt – freilich tritt dann auch später die Erschlaffung danach ein.

Flores, dem das Anrücken eines starken Corps von Norden her schon von seinem Wachtposten gemeldet worden, erkannte bald mit Hülfe seines Teleskopes die wehenden Damenkleider und konnte leicht errathen, was sie hierher geführt. Er ritt dem Trupp entgegen, den er dicht vor dem Dorf erreichte.

»Meine Damen – sind Sie hergekommen, um uns den Abschied zu erschweren?«

»Nein, General,« rief ihm seine Schwägerin entgegen, »nur um Zeuge zu sein, mit wie frohem Muth Sie in die Schlacht ziehen.«

Flores hatte sein Pferd gewandt und ritt mit ihnen nach dem Dorf zurück.

»Gut – dann gebe ich Ihnen noch fünf Minuten für einen letzten Gruß und Händedruck. – Meine Herren Officiere, halten Sie sich dazu – nach dieser Frist werden die Signalhörner ertönen. Wir müssen heut Abend vor Dunkelwerden in Latacungo sein und haben bis dahin einen scharfen Ritt – unsere Truppen zu Fuß sind schon seit Mitternacht voraus. Dort erst werden die Bataillone formirt, denn es gilt jetzt, dem Feind zuvor zu kommen.«

Damit war der Moment des Scheidens rasch und gewaltsam an die Herzen gerückt, aber auch das beste Mittel gegeben, seine Wirkung abzuschwächen. – Noch einmal drängte Alles wild durcheinander – noch einmal wurden die Hände geschüttelt und Umarmungen im Sattel ausgetauscht – da tönte schon das Signal – rascher waren ihnen noch nie fünf Minuten im Leben vergangen! Und heraus aus dem Schwarm sonderten sich die Officiere und Freiwilligen – ein zweiter Trompetenstoß – noch ein Winken mit den Mützen – ein letztes Schwenken der Tücher, und an dem Dorfe hin, das sie nicht zu berühren brauchten, galoppirte Flores seinen Leuten voran, ohne auch nur noch einmal einen Blick zurück zu wenden.

Lange aber noch – so lange, bis auch die letzte Staubwolke in weiter Ferne verschwunden war, hielten die Zurückgebliebenen an der Stelle, wo ihre Lieben von ihnen Abschied genommen. Würden sie sie wiedersehen? – Ein blutiger Kampf lag dazwischen mit wüthenden erbarmungslosen Horden, mit einem Feind, der nur in ihrer Vernichtung seinen Sieg erringen konnte – aber Gott war ja mit den Gerechten; er würde über Die seine Hand halten, die nur auszogen, um den eigenen Herd zu schützen. Mit diesem Gefühl des Vertrauens kehrte auch wieder Ruhe in die Brust zurück.

Vorwärts aber sprengten indeß die bewaffneten Reiter, um sich so rasch als möglich ihren Kampfgenossen anzuschließen. Als sie nach einiger Zeit den Kopf zurückwandten, lag Quito schon wie eine breite Fläche rothbrauner Ziegeldächer, von den Kuppeln und Thürmchen der zahllosen Kirchen überragt, hinter ihnen in dem von Schneegebirgen eingeschlossenen Thal, vor ihnen aber breitete sich eine Scenerie aus, die ihnen Allen, so oft sie dieselbe auch vielleicht schon gesehen, das Herz rascher und freudiger schlagen machte, und vor der Mancher unwillkürlich ausrief: »Giebt es ein schöneres Land auf der Welt als unser Ecuador?«

»Das sollte der kleine barbarische Mulatte unterwerfen, und hier sollte er regieren können?« frug Flores, der die Ausrufe gehört hatte, indem er sein Pferd herumnahm und die Calvacade zum Stehen brachte.

»Nie! nie!« jubelten die Reiter, von Begeisterung ergriffen – »wenn wir ihn nur lebendig fangen könnten!«

»Wie ein wildes Thier sollte er in einem Kasten im Lande herumgeführt werden,« schrie ein Anderer.

Flores lächelte. – Das war die Stimmung, die er bei seinen Leuten brauchen konnte. – »Vorwärts denn!« rief er, »lebendig wollen wir ihn fangen, und der von Euch, der ihn mir so einliefert, sei der Geehrtetste von Allen. Vorwärts, meine Herren, jede Pferdelänge, die wir zurücklegen, sichert unser schönes Vaterland vor einer Entweihung seiner Erde durch dieses Menschen Sohlen – vorwärts, und unser Feldgeschrei sei –«

»Flores! Flores!« donnerte und tobte die Schaar.

Ein sonniger Strahl zuckte über das edle Antlitz des Generals.

»Ich hatte mir ein anderes ausgedacht,« sagte er – »aber wie Ihr wollt – und diese Hand soll verdorren, wenn sie das Schwert sinken läßt, ehe wir den Boden unserer Heimath von dem Ungeheuer befreit und gereinigt haben. A fuera denn – wir haben schon zu viel Zeit versäumt –« und seine Pferde antreibend, sprengte der Reitertrupp in voller Flucht auf dem Wiesenplan dahin, durch den eine Menge von Reitsteigen, wie sie die Züge gerade in Nässe und Trockenheit gesucht, führte. Durch Jahre langen Gebrauch waren oft fußtiefe Pfade in dem weichen Boden ausgetreten.

In Machache, einem kleinen erbärmlichen Dorfe, wurde Halt gemacht, um die Thiere rasten und fressen zu lassen. Durch Flores' Fürsorge war schon eine Masse jenes saftigen Luzernenkrautes,Von den Spaniern nach der Besitznahme jener Länder ebenso wie der Weizen eingeführt. das man in Peru Alfalsa, hier nur Yerba (Kraut) nennt, herbeigeschafft. Die Reiter verzehrten, was sie selber mitführten oder was das kleine ärmliche Tambo hier hat, und zwei Stunden später setzte die Schaar ihren Weg fort, während sich die Scenerie immer mächtiger und großartiger um sie her ausbreitete.

Die Straße lief durch das breite fruchtbare Thal, das an beiden Seiten durch die zwei Cordillerenrücken begrenzt und eingedämmt wurde. Ueberall lagen bebaute Felder, auf denen die Produkte einer gemäßigten Zone, Kartoffeln, Mais, Hülsenfrüchte, gezogen wurden, rechts und links aber stiegen die mit ungemessenen Weidegründen bedeckten Hänge empor, und bewundernd haftete der Blick darüber hin zur Linken an dem mächtigen, von Rauch überhangenen, von Schnee bedeckten Krater des Berg- und Feuerriesen Kotopaxi, während an der andern Seite die gewaltigen Kuppen des Corazon und Iniliza mit den weiten Schneefeldern des Kaywayrazo hervortraten.

Dann und wann passirte man noch ein kleines Dorf, in dessen geschützten Gärten Orangenbäume und sogar noch Bananen standen, während die Umzäumung der Aloe und des Cactus auf ein der Banane eigentlich fremdes Klima schließen ließ; angehalten wurde aber nirgends mehr, und die zwar kleinen, aber außerordentlich zähen Pferde zeigten an diesem Tage, was sie leisten konnten, denn unermüdet trugen sie ihre mit Waffen und Provision beladenen Reiter bis nach Latacungo hinein, und schienen, in den Straßen der Stadt angekommen, nicht übel Lust zu haben, noch einen Wettlauf zu halten.

Das gab sich aber von selber, denn die Straßen waren gepflastert – gepflastert in ganz entsetzlicher Weise, so daß ein anderes als Schrittreiten von vornherein zur Unmöglichkeit wurde, wenn man nicht die Beine der Thiere und den eigenen Hals riskiren wollte. Jetzt klapperte die Cavalcade mit rasselnden Hufschlägen der Plaza zu, während die Bewohner von allen Seiten auf die Straße stürzten, um den neuen, aber wahrlich hochwillkommenen Besuch anzugaffen. Flores war ja gekommen, ihre Stadt vor dem Ueberfall der Franco'schen Horden zu schützen, und überall jauchzten ihm die Männer entgegen, winkten die Frauen mit ihren Tüchern und Mantillen.

Flores übernachtete in einer für dieses Land vortrefflich eingerichteten Posada. Es war zwei Uhr Morgens, ehe er sein Lager suchen konnte, und doch wollte er mit der Reiterei und dem nunmehr organisirten Theil des Heeres schon am nächsten Morgen wieder nach Ambato aufbrechen, um Guaranda zu besetzen, ehe es die Banden des Mulatten erreichen und plündern konnten. Damit freilich, um alles das anzuordnen, was zu diesem Unternehmen nicht allein, sondern auch zur Ausrüstung der Nachtzeit und Reserven dienen sollte, verging die ganze Nacht.

Spione wurden außerdem vorausgeschickt, um Kundschaft zu bringen, wie weit der Feind vorgedrungen sei, und zum Tode erschöpft warf sich der General endlich auf sein Lager – eine einfache Matratze, auf den Steinboden gelegt, um der Nacht noch ein paar Stunden Schlaf abzuringen.

Latacungo war auch bestimmt, im Fall Flores von Franco's Truppen geschlagen werden sollte, die Armee aufzunehmen und hier dem Feind den letzten und entscheidenden Widerstand zu bieten, wozu es sich durch seine Lage und Bauart, wie auch die zahlreiche Bevölkerung besonders eignete.

Es ist eine Stadt, volkreicher fast als Quito selbst, mit einer Hochschule und einer Art von Malerakademie – jedenfalls ein Sitz der Intelligenz – und in der fruchtbarsten Ebene der ganzen Provinz gelegen, dabei von einem kräftigen, gesunden Menschenschlag bewohnt, der, eifersüchtig auf seine alten Rechte, nicht selten mit der »Residenz« zu wetteifern suchte, und dadurch wohl die Schranzen Franco's veranlaßt hatte, ihm vorzulügen, er würde Latacungo mit leichter Mühe gewinnen können, wenn er der ehrgeizigen Bevölkerung nur versprach, den Sitz der Regierung dorthin zu verlegen.

Aber die Einwohner von Latacungo dachten edelmüthiger bei der Gefahr des gemeinschaftlichen Vaterlandes. Nichts würde sie bewogen haben, es zu verrathen, um einen augenblicklichen Vortheil dadurch zu gewinnen. Flores durfte deshalb mit voller Sicherheit auf die Unterstützung dieser Stadt rechnen, falls ihm das Kriegsglück für den Anfang abhold gewesen wäre.

Latacungo konnte außerdem in diesen Kriegen und diesen Angriffswaffen gegenüber auch für eine befestigte Stadt gelten, denn starke Lehmmauern umgaben das ganze Weichbild derselben, während selbst die außerhalb liegenden Gärten mit hohen Lehmwällen umringt sind, so daß sie einzeln vertheidigt werden konnten, einzeln genommen werden mußten. Umgehen aber durfte Franco die Stadt nicht, wenn er sie auch in dem breiten Thal leicht hätte bei Seite lassen können. Denn ein Heer im Rücken und eine feindliche Stadt voraus, mit keiner Möglichkeit, nach Osten oder Westen auszubiegen, ohne die bahnlosen Cordilleren zu überschreiten, wäre ein verzweifeltes Unternehmen gewesen.

Hier also mußte es – im ungünstigsten Fall für die Quitener – zur entscheidenden Schlacht kommen. Flores hoffte indessen schon früher mit dem Mulattengeneral fertig zu werden – nur seinen Rückzug wollte er sich decken – und dann rasch zum Angriff auf den Feind!



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