Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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7.

Auf dem Lande.

Etwa drei oder vier Leguas von Bodegas entfernt, an der Straße in das Innere, aber doch abgeschieden von der Welt, mit der die Bewohner nur durch die vorbeireitenden Arrieros und dann und wann einmal durch einen Reisenden in Verbindung stehen, liegt das kleine Dorf Derecha, das sich in nichts von tausend anderen ähnlichen in der weiten Republik unterscheidet, und mit dem sie zugleich sämmtlich beschrieben sind.

Die Häuser – wenn man derartige Hütten mit einem solchen Namen bezeichnen darf – stehen auf Pfählen, die in etwa zwölf bis vierzehn Fuß Höhe die darüber gelegten dünnen Balken tragen. Der untere Raum wird nur selten benutzt, und die Stube oben, welche die ganze Weite des Hauses einnimmt, ist mit gespaltenen und ausgebreiteten Palmstämmen, oder auch mit auf ähnliche Weise behandelten Bambus gedielt, durch dessen Ritzen man nicht allein Alles sehen kann, was unten vorgeht, sondern auch gewöhnlich ausgießt, was zu unbequem wäre hinabzutragen. Die Wände sind höchstens vier Fuß hoch, aus dem nämlichen Material hergestellt, darüber hin ist aber noch etwa drei Fuß offener Raum, um der Luft überall freien Durchgang zu gönnen, und nur das Dach besteht aus einer gewissen Art von fest geflochtenem Schilfgras, um die in der Regenzeit niederströmenden Wassergüsse abzuhalten.

Hier wohnen die Eingeborenen des Landes: einzelne vollbürtige Indianer, Mischlingsrace und Weiße durcheinander. Aber nicht einmal Leitern führen immer zu diesen Hühnerstall ähnlichen Behausungen empor. Nur zu oft vertritt ein eingekerbter Baumstamm die Stelle einer Treppe, an dem dann Erwachsene und Kinder, ja selbst die Hunde mit einer nur durch Jahre lange Uebung zu erreichenden Fertigkeit emporklettern und oben immer noch der Gefahr ausgesetzt sind, durch ein vielleicht angefaultes Dielenstück mit dem einen oder andern Bein wieder hindurch zu brechen.

Diese Pfahlhäuser stehen aber nicht unmittelbar neben einander, sondern sind stets durch einen schmalen Hofraum oder Garten, oft nur durch einen Grasplatz von einander getrennt, was aber die Leute natürlich nicht verhindert, sich sehr gemüthlich zu unterhalten, ja sogar – von keiner Wand in der Aussicht gehemmt – auch Alles zu sehen, was in dem andern Hause passirt. So bilden die Dorfbewohner fast eine Familie, denn kein Kind kann krank werden und die Nacht schreien, ohne das ganze Dorf zu stören, kein Mann mit seiner Frau zanken, ohne eben so viel Zeugen als Nachbarn zu haben, keine Miramba gespielt werden, ohne die Tanzlust im ganzen Orte anzuregen.

Die indianische und gemischte Bevölkerung überwog bedeutend die weiße, von der sie sich aber nur in der Farbe, wahrlich nicht in Schmutz und Faulheit unterschied. Nur ein Haus machte darin eine Ausnahme, und schon von Weitem konnte man erkennen, daß es sorgfältiger gebaut sei und auch reinlicher gehalten werde, als die übrigen.

Ein kleiner, gut eingezäunter Garten umgab dasselbe, eine breite bequeme Leiter, aus zwei jungen Palmen und aus Bambussprossen gemacht, führte hinauf, und der untere Raum war – im Gegensatz zu den übrigen Hütten, nicht zu einem Pfuhl benutzt, in den jeder Ueberfluß von oben strömte, sondern zu einer Art von Gemüseladen verwandt, in welchem alle die reichen Erzeugnisse dieser Zone, wenn sie der Mensch nur eben bauen will, feil gehalten werden. Dort lagen Ananas und Cherimoyen, Avocat, Papayen, Orangen und Maiskolben aufgehäuft, während die reifen, goldgelben Fruchttrauben der Banane von der Decke niederhingen.

Unten im »Laden« stand die Frau, ein hübsches, junges, kräftiges Weib, mit einem allerdings etwas sehr sonngebräunten Teint, aber mit klaren, blitzenden Augen und – etwas sehr Außergewöhnliches hier im Ort – mit glattgekämmten Haaren und in einem reingewaschenen Kleid. So verkaufte sie eben ein paar widerlichen Indianerfrauen getrocknete Cacaobohnen, aus denen diese ihre Chocolade »reiben« wollten. Oben aber, auf einem niedern Schemel, saß der Mann, emsig beschäftigt, einen jener feinen und sogenannten Panamahüte zu flechten, die ihre Heimath eigentlich in Ecuador haben und von hier aus in alle Welt verschickt werden. Aber auch noch außerdem war die Scene belebt, denn eine ganze Colonie kleiner halb oder ganz nackter Kinder bis zu dem Alter von sechs bis acht Jahren hetzten sich mit zwei großen, ruppig genug aussehenden Hunden vor dem Haus herum. Manchmal flohen die Spielenden vor Lust schreiend und kreischend die Leiter hinauf, wohin ihnen die beiden Rüden aber nichtsdestoweniger folgten. Nur wenn die Hunde wieder hinunter wollten, benahmen sie sich ungeschickt, tappten erst mit den breiten Tatzen auf den Sprossen herum, und fielen dann schließlich – während die Kinder ein lautes Jubelgeschrei ausstießen – die halbe Leiter Hals über Kopf hernieder.

Oben strampelte auch noch außerdem ein ganz junger Staatsbürger am äußersten Rande der offenen Treppe herum und wurde, wenn die Hunde den obern Theil erreichten, von ihnen beiläufig über das Gesicht geleckt, was ihn herzlich zu erfreuen schien. Damit er aber nicht zu Schaden käme, hatte ihm der Vater ein Bastseil um den Leib gewunden und dieses an einem der Hüttenpfähle befestigt, sonst wäre er leicht wieder einmal die Leiter hinabgestürzt und dann nicht so gut dabei weggekommen, wie vor einigen Wochen, wo er ebenso hinausgepurzelt war.

Die Frau hatte unten den Verkauf beendet und stieg eine andere kleine Leiter hinauf, welche die Verbindung zwischen Laden und Wohnzimmer im Innern unterhielt.

»Wo nur Jacinta noch immer bleibt,« sagte sie, indem sie den Kleinsten aufnahm und mit Hülfe einer nahestehenden Calebasse eine tüchtige Abwaschung an ihm vollzog – »mit dem vielen Soldatenvolk in der Stadt – aber wie sich der kleine Schweinigel wieder zugerichtet hat! – ist mir's gar nicht geheuer. Sie hätte so rasch als möglich zurückkehen sollen, als sich die Franco'sche Wirtschaft dort festsetzte. Statt dessen bleibt sie sogar über Nacht aus, und wenn ich sie auch gut aufgehoben weiß, wollte ich doch, sie wäre hier. Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, ich würde sie gar nicht fortgelassen haben. Daß ihr nur nichts zugestoßen ist.«

»Ach was,« sagte der Mann, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, »die Jacinta ist ein resolutes und wackeres Mädchen, das sich schon zu helfen weiß auch ohne fremden Beistand, und was die Franco'sche Wirtschaft betrifft, so muß ich Dir gestehen, daß sie mir gerade recht ist!«

»Dir?« rief die Frau mit unbegrenztem Erstaunen, den Kleinen mit der verkehrten Seite nach oben haltend, »und seit wann bist Du ein Franco-Mann geworden?«

»Franco-Mann – Unsinn,« brummte der Arbeiter vor sich hin, indem er sich frische Palmstreifen zurecht richtete und diese auf dem Knie glatt strich – »meinethalben könnte der schuftige Mulatte morgen, oder lieber noch heute, am höchsten Baum der Republik hängen – aber die Franco-Soldaten treiben wenigstens vor der Hand die quitenischen Officiere aus der Nachbarschaft – dabei, denke ich, kann unsere arme Jacinta nur gewinnen.«

»Ja wohl, arme Jacinta,« sagte die Frau leise, indem sie das vorläufig wieder hergestellte Kind auf den Boden zurücksetzte. »Auf die Nachricht hin, daß er gefangen sei, quälte sie mich so lange, bis ich ihr die Erlaubniß gab, ihn noch einmal zu sehen – mußte der gute junge Mensch zu einem solchen Ende kommen! Aber da hast Du's, das schlechte Gesindel geht immer frei aus und die Braven müssen die Zeche bezahlen. Ein Glück nur, daß sie diesen Señor Malveca jetzt in die Berge hineingejagt haben. Das arme junge Blut – und so jung schon sterben!«

»Der Jacinta hätt's doch nichts genützt, wenn er auch leben geblieben wäre,« meinte der Mann kopfschüttelnd, – »seine Eltern daheim hätten's nie zugegeben, wenn er sie selber gemocht hätte.«

»Selber gemocht hätte?« rief aber die Frau im Eifer – »und hat er nicht etwa gerade ihretwegen mit jenem schlechten Burschen angebunden?«

»Weil er ein richtiger Caballero ist,« sagte der Hutflechter, »und daher nicht zugeben wollte, daß der Lump ein ordentliches, anständiges Mädchen behandelte, als ob sie eine lose Dirne wäre. Nicht aus Liebe nahm er sich Jacinta's an, sind sie ja doch zusammen aufgewachsen.«

»Was könnte irgend eine Familie in der Welt gegen sie einzuwenden haben?« stritt die Frau. »Ist sie nicht so brav und gut wie das beste Mädchen in Quito, und weißt Du eine hübschere im ganzen Bodegas-District und Guajaquil mit in den Kauf gerechnet?«

»Bah, schwatze nicht in den Tag hinein,« schalt der Mann, den Kopf des Hutgeflechtes über die Form pressend und mit der geballten Faust klopfend. »Bei Unsereinem, ja, da ist das ausreichend, und mehr als das, aber die vornehmen Leute in den Städten wollen, daß ihre Kinder gute, das heißt reiche Partien machen. Da es aber bei Espinoza's Eltern, wie man erzählt, jetzt am Besten fehlt, hätte er doch kein armes Mädchen heirathen dürfen – wovon denn nachher leben und eine Familie erhalten?«

»Aber Jacinta's Eltern waren einst selber reich. Der Señor Aravena –«

»Waren – ja; aber als ihnen das Erdbeben das Haus über dem Kopf zusammenschüttelte und den Vater erschlug, und dann auch die Mutter aus Gram und Schrecken starb, da war's vorbei mit der Herrlichkeit. Die Kleine durfte nur froh sein, daß sie darauf mit uns von Quito hier herunter ziehen konnte, so kam sie doch fort von jener Stätte, die ihr nur noch Leid und Jammer zeigte.«

»Arme Jacinta,« sagte die Frau noch einmal – »das gäbe ein Weib für einen Präsidenten, wenn's mit ihr geblieben wäre wie früher, in den langen seidenen Kleidern und mit einem Sack voll Gold. Da ist diese Mamsell Celita von den Buscadas – Herr Gott, was die Rangen wieder für einen Spectakel machen! Jungens, ich werfe Euch mitsammt den Hunden von der Leiter herunter. – Nichtsnutzigeres Volk hat noch kein Schuhleder in Ecuador zertreten, wie diese Buscadas, und immer in Saus und Braus, und alle Welt macht ihnen den Hof und scherwenzelt um sie herum, und bückt sich und schmeichelt und giebt ihnen große Namen.«

»Aber es nimmt die Mädchen doch Niemand,« lachte der Mann vor sich hin – »geh mir mit denen – da bekommt die Jacinta eher zehn Männer, als die beiden hochnasigen Mamsellen in der Stadt zusammen einen.«

»Da kommt das Mädel!« rief die Frau, die eben einmal auf die Straße hinausgesehen hatte. »Lieber Gott, wie blaß ist sie!« und damit kletterte sie hastig in den Laden hinunter, um die Pflegetochter zu empfangen und – wenn das irgend anging – zu trösten. Auch der Mann ließ seine Arbeit ruhen, aber er folgte ihr nicht. Das waren Dinge, die Frauen viel besser mit einander besprechen konnten, da sie auch das einzige Mittel dagegen hatten: Thränen.

»Wißt Ihr's schon, Mutter?« sagte das junge Mädchen, als sie still und schweigend den Laden betreten hatte, indem sie mit den großen, glänzenden Augen ernst und fragend zu der Frau aufschaute.

»Ja, Herz,« sagte diese, während sie Jacinta an sich zog und fest in die Arme preßte. »Der Pedro kam herausgeritten – er war dabei. – Es hat nicht sein sollen, Cinta – denke, der liebe Gott hätte es nicht gewollt.«

»Der liebe Gott hat es nicht gewollt,« sagte das Mädchen mit kaum hörbarer Stimme, machte sich leise von den Armen der Frau los, setzte sich in die Ecke und zog ihr Schultertuch stillweinend um den Kopf. »Der liebe Gott hat es nicht gewollt.« Die Frau wußte nicht, daß der Verurtheilte gerettet worden, sie durfte es auch noch nicht erfahren, der Sicherheit Derer wegen, die ihr Leben für Benito gewagt – aber ein anderer Kummer war dafür in Jacinta's Seele eingezogen. – Für sie war er todt – noch schlimmer als todt, denn wäre er gestern gestorben, so hätte sie wenigstens hoffen dürfen, dort oben mit ihm vereinigt zu werden, wohin sie ihm in Kurzem nachgefolgt wäre. – Jetzt war ihr auch jede Hoffnung genommen. Der Geliebte lebte – aber er lebte nicht für sie. Jenes stolze schöne Mädchen in der Stadt besaß sein Herz – das wußte sie jetzt. »Gott hat es nicht gewollt,« wiederholte sie leise in sich hineinflüsternd, und ihre Stirn herab auf die Kniee niedergebeugt, saß sie regungslos.

Die Frau störte sie nicht in ihrem gramvollen Hindämmern. Der bitter nagende Schmerz mußte austoben – in sich verbluten. Trostesworte, von wessen Lippen sie auch kamen, hätten die Wunde immer von Neuem wieder aufgerissen. So denkend ging die Hauswirthin vorn zu ihrem Ladentisch, stützte den Arm darauf und starrte auf die Straße hinaus. Anfangs bemerkte sie gar nicht, daß sich diese belebte, daß einzelne Gruppen von Leuten zusammentraten und mit einander sprachen, aber endlich wurde ihre Aufmerksamkeit doch darauf gelenkt und sie erkannte jetzt drüben zwischen den Büschen, durch welche sich die Straße nach Bodegas wand, eine dichte Staubwolke, die näher und näher zu kommen schien.

Aber noch etwas anderes kam zu gleicher Zeit, und zwar eins der ecuadorianischen Gewitter, die sich manchmal aus den mächtigen Gebirgen über das flache Land werfen und dort auftreten, als ob sie das dunkle Gewölk auf die Erde schütten wollten. Der Himmel hatte sich schon seit einiger Zeit umzogen, und das dumpfe Grollen, womit der Sangai schon den ganzen Morgen gewarnt, war stärker und drohender geworden. Jetzt mischte sich eine andere Stimme darein, und zwar ein Donnerschlag, der wie der Signalschuß des ganzen großartigen Schauspiels den Reigen eröffnete, auch nicht erst aus weiter Ferne sein Nahen kündete, sondern gleich mit einem einzigen schmetternden Schlag die schwanken Häuser erbeben machte und die Kinder erschreckt und schreiend unter die schützenden Dächer jagte. Einzelne große Tropfen fielen dabei nieder, und in voller Carrière kam jetzt eine kleine Cavalcade von Reitern die Straße daher gejagt, als eben der Himmel seine Schleußen öffnete und die ganze Luft wie mit einem Schlag in einen weiten Wasserfall verwandelte.

Der Reitertrupp bestand aus etwa zehn oder zwölf Soldaten, von einem Officier geführt. In ihrer Begleitung war ein Herr in Civil mitgeritten, der sich jetzt vor dem kleinen Fruchtladen der Señora Nunez aus dem Sattel warf, das Thier, so weit es ging, unter den schützenden Vorsprung des Daches zog und dem Officier in der nämlichen Zeit zurief, hier abzuspringen und unterzutreten. Ohne dabei auch eine weitere Einladung abzuwarten und wie ein alter Bekannter und Freund des Hauses, lief er die Leiter hinauf, vollkommen unbekümmert auch darum, daß er in diesem Wetter – wie er sie auf dem Pferde getragen – gestickte Morgenschuhe statt Stiefeln an den Füßen hatte.

Der Officier – da die Soldaten den Befehl zum Halten gar nicht abgewartet, sondern schon vorher bei den ersten besten Häusern eingesprungen waren und ihre eigene Haut in Sicherheit gebracht hatten, parirte rasch sein Thier und wollte es, dem Beispiel seines Begleiters folgend, ebenfalls einstellen, als er unvermuthet Hülfe fand. Einer der Soldaten war ihm nämlich gefolgt, und rasch selber abspringend ergriff er den Zügel des Pferdes seines Officiers und sagte mit freundlichem Kopfnicken:

»Nur schnell hinein, Señor, ich besorge die Thiere schon. Haben Sie keine Sorge – Wetter wird nicht lange dauern.«

Fortunato – denn es war unser alter Freund – warf ihm einen erstaunten Blick zu, als er den Mulatten Viruta erkannte; in dem Regenguß war aber eine Conversation, oder selbst nur Verständigung, unmöglich. So denn die Dienstleistung annehmend, ließ der Hauptmann den Zügel los und sah sich bald ebenfalls auf der »Treppe,« an deren jetzt schon feucht und schlüpfrig gewordenen Sprossen er lange nicht mit der Geschwindigkeit hinaufkam, wie der vor ihm zu Bau gekrochene Doctor Ruibarbo.



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