Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Die Execution.

Die Umgebung von Bodegas bildet eine ausgedehnte, sandige, mit Weideland und Weidenbüschen bedeckte Ebene, die aber in der Regenzeit von dem austretenden Bodegasfluß vollständig unter Wasser gesetzt wird. Selbst in der trockenen Jahreszeit sind die Spuren dieser Ueberfluthung noch deutlich an den Büschen bis zu zehn und zwölf Fuß Höhe zu erkennen, wo sich die Reste von angewaschenem Schlamm und eingeschwemmten Reisern und Blättern zeigen. In jener Zeit steht Bodegas mit dem höher liegenden Land auch nur durch Canoes in Verbindung, und die Bewohner der Stadt selber müssen ihre sämmtlichen unteren Geschosse räumen und in die oberen flüchten.

Jetzt freilich war von solcher Ueberschwemmung keine Spur. Der ziemlich breite Fluß, der aber seine Strömung je nach Ebbe oder Fluth des Meeres regelt, füllte noch nicht einmal seine Ufer, und überall fiel der Blick auf freundlich grüne Flächen, auf denen zahlreiche Heerden weideten, oder auf kleine, malerisch gruppirte Büsche, die oft wie von einer geschmackvollen Hand künstlich gestellt erschienen und dem ganzen anmuthigen Bilde einen eigenthümlichen Zauber verliehen.

Und wie malerisch lagerten dazu die wilden, kriegerischen Gestalten, über den offenen Grund zerstreut und jeden Schatten benutzend, denen ihnen hier und da eine alte Weide, oder ein einzeln liegendes Gebüsch bieten konnte. Allerdings wäre ein Europäer wohl kaum auf den Gedanken gekommen, daß er es hier mit regulären Soldaten zu thun habe – denn etwas Irreguläreres ließ sich kaum denken; aber pittoresk genug sahen die Burschen aus, und ein Salvator Rosa würde wundervolle Gruppen für seine Leinwand darunter gefunden haben.

Sie glichen in der That nur einem Haufen zusammengelaufenen Gesindels, das hier versteckt lagerte, um mit Einbruch der Nacht vielleicht die Stadt zu überfallen und zu morden und zu plündern, und – will man die Wahrheit gestehen, so waren sie auch nicht viel besser, und nur Franco's Versprechungen, nicht etwa seine Macht, hielten sie noch in Rand und Banden und machten sie seinen Befehlen gehorchen.

Kaum die Hälfte von ihnen stak dabei in Uniformen und nicht zehn von Allen trugen Schuhe, während der Schwarm eine solche Mischung von Lanzen, Musketen, Säbeln und Bajonetflinten führte, daß es ordentlich aussah, als ob sie ein altes ethnographisches Naturaliencabinet überfallen und geplündert und sich in den Inhalt getheilt hätten.

Ja selbst in ihrer Hautfarbe waren sie sich nicht gleich, und die »Schattentracht des heißen Sonnenstrahls« zeigte sämmtliche Nüancen vom ungesunden Gelb des Guajaquilenen bis zu dem tiefen, entschiedenen Schwarz des Congonegers, wobei allerdings Neger und Mulatten am allerzahlreichsten vertreten schienen. Die polizeiwidrigsten Physiognomien fanden sich dabei, die sich auf der Welt nur denken lassen. In keinem Bagno hätten bestimmtere und abstoßendere Verbrechergesichter gefunden werden können.

Daß diese Schaar hier herausberufen war, um die Todesstrafe an einem – möglicher Weise ganz unschuldigen Menschen zu vollstrecken, konnte ihre Gemüthlichkeit natürlich nicht im Geringsten stören. Der Mann war einer von ihren »Feinden« und »verurtheilt«, was kümmerte sie das Uebrige, und Blut – Du großer Gott, was für Blut hatte diese Bande schon vergossen – was konnte sie ein einzig Leben mehr bekümmern!

Von den verschiedenen Gruppen der Soldaten umgeben, aber nur von zwei mit geladenen Gewehren bewaffneten Vagabonden wirklich bewacht, lag das unglückliche Opfer dieses Morgens fest gebunden im Schatten eines alten knorrigen Weidenbaumes, dessen Wurzeln sein Blut in wenigen Stunden, vielleicht Minuten, düngen sollte, und die übrige Bande schien auch außerordentlich wenig Notiz von ihm zu nehmen. Um Flaschen voll Agua ardiente und Tschitscha geschaart, hier und da Einige sogar mit Kartenspiel beschäftigt, lagerten sie zu kleinen gesellschaftlichen Cirkeln und schrieen und lachten und sangen nach Herzenslust.

Aber auch von den Bewohnern Bodegas hatte sich eine Anzahl von Zuschauern gesammelt, die sich freilich nicht unter die Soldaten mischen durften und wahrscheinlich auch wenig Lust dazu verspürten. Aber doch Zeugen des Dramas wollten sie sein, denn neugierige Müßiggänger giebt es ja überall, und wunderbarer Weise sind es ganz besonders die Frauen, die bei solchen Gelegenheiten die Mehrzahl derselben bilden. Man sollte glauben, daß gerade ihre Nerven zu schwach wären, die Spannung einer solchen blutigen Katastrophe zu ertragen, daß ihr weicheres Herz so viel tiefere und dadurch peinlichere Eindrücke empfangen müsse. – Wie dem auch sei, die Thatsache steht fest, daß sie vor allen Anderen sich zu Hinrichtungen drängen, und auch hier schimmerten die bunten Kleider aus verschiedenen Gruppen vor, und zeigten sich liebe angsterfüllte Gesichter – die aber etwas darum gegeben hätten, wenn die halb ersehnte – halb gefürchtete Execution ihren Anfang genommen.

Nur ein Wesen von Allen schien nicht aus Neugier hier herausgekommen – nur ein Herz von all' den Hunderten, die hier draußen versammelt waren, schien in Angst und Schmerz zu schlagen und vor dem nahenden Augenblick zu zittern. Das war ein junges Mädchen von kaum sechzehn Jahren, mit gar so lieben unschuldigen, wenn auch jetzt todtenbleichen Zügen, das unfern der Gruppe, wo der Gefangene lag, mit ihren zarten Händen den Sand tief aufgewühlt hatte, um eine irdene Flasche mit Wasser frisch und kühl zu halten. Aber sie sprach dabei kein Wort. Still und ineinander gebrochen kauerte sie auf der Stelle, und nur manchmal flog der angsterfüllte Blick der Stadt zu, denn sie wußte nur zu gut, daß von dort her das Zeichen für den nahenden furchtbaren Augenblick auftauchen mußte.

Der Gefangene selber wurde, wie schon bemerkt, nur von zwei Soldaten bewacht, und selbst diese wären nicht nöthig gewesen, denn man hatte ihm die Arme so zusammengeschnürt und selbst ein Seil um seine Füße und den nächsten Busch geschlungen, daß er ohne fremde Hülfe nie im Stande gewesen wäre, sich auch nur aufzurichten. Unfern von ihm aber standen drei Officiere der Franco'schen Armee in ernstem und lebendigem Gespräch, und der Blick, der manchmal von dem einen oder andern derselben zu dem Gefangenen hinüber flog, verrieth deutlich genug, daß er selber den Inhalt der Unterhaltung bilde.

Sie waren, weit besser und anständiger als die Soldaten, in eine der französischen ähnelnde Uniform gekleidet, und besonders der eine von ihnen – ein noch junger Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, hatte ein intelligentes, offenes Gesicht und scharf ausgeprägte Gutmüthigkeit in seinen Zügen – und doch betraf ihr Gespräch hier nichts weniger als Hochverrath und Meuterei. – Es galt das Leben des Verurtheilten.

So sicher sich auch Franco nämlich auf seine Soldaten verlassen konnte, die jedenfalls so lange bei ihm aushielten, als sie Aussicht auf Plünderung der eroberten Städte oder regelmäßigen Sold bekamen, so unsicher stand er mit seinen ecuadorianischen Officieren, meist jungen Leuten, die in Quito selber erzogen und anfänglich vielleicht nur durch das Abenteuerliche des Krieges angelockt worden waren, dem Usurpator ihre Kräfte zu leihen. Franco war außerordentlich reich an Versprechungen gewesen, und als der Krieg begann und er sich zum Dictator aufwarf, verkündeten seine Worte das Aufblühen der Republik zu einer nie geahnten Höhe. Kunst und Wissenschaft wollte er dabei gern begünstigen, aber der Soldatenstand sollte und mußte der geehrteste von allen sein. Er gedachte eine reine Militärrepublik zu gründen, und das verlockte manchen jungen Officier, sich ihm, in Aussicht einer brillanten Carrière, anzuschließen.

Franco war aber keineswegs der Mann, der seine wahren Absichten und Neigungen hätte lange geheim halten, oder den intelligenten Theil seiner »Unterthanen« hätte täuschen können. Nur zu bald trat der freche, sinnliche Mulatte in den Vordergrund, und da er selber recht gut fühlte, daß er bei den wirklichen Ecuadorianern von spanischer Abkunft keinen richtigen und festen Boden unter den Füßen habe, fing er an, sich mehr und mehr mit seinen eigenen Leuten, mit Mulatten und Negern zu umgeben und diese auch, auf die er sicher rechnen konnte, zu Officieren zu machen.

Das natürlich entfremdete ihm den Sinn der »Weißen« mehr und mehr, aber nicht einmal eine Klage darüber durften sie laut werden lassen, denn überall hatte der kleine, mißtrauische General seine vortrefflich bezahlten Spione, und wehe dem Unglücklichen, der ihm gegründete Ursache zu Verdacht gab – er war rettungslos verloren und einem Kriegsgericht verfallen, das nur aus der unmittelbaren Umgebung des Generals selber bestand und eigentlich nichts als den Willen und Befehl des Dictators repräsentirte.

Viele Officiere bereuten deshalb jetzt den Schritt, der sie der Franco'schen Armee einverleibt hatte und sogar zwang, gegen ihre eigenen Quitener Freunde feindlich aufzutreten, aber – er war einmal geschehen und für jetzt wenigstens kein Rücktritt für sie möglich. Nur ein Ansuchen um Entlassung würde die schwersten und unberechenbarsten Folgen für sie gehabt haben, denn eine Anklage auf Hochverrath gegen sie wäre keinesfalls ausgeblieben.

In Furcht und Gehorsam hielt sie Franco damit – das ist wahr, aber ihre Zuneigung konnte er damit nicht gewinnen. Doch die verlangte er auch nicht. Sobald sie nur seinen Befehlen gehorchten, kümmerte ihn das Andere wenig genug, und in seinen aufgebauten Luftschlössern sah er sich schon, von seinen treuen Schaaren umgeben, im Palast von Quito, der ganzen reichen Republik Gesetze dictirend und indessen in den dort aufgehäuften und confiscirten Schätzen schwelgend. Er glaubte schon nicht einmal mehr an eine Schlacht, sondern da er Bodegas so leicht und ohne Blutvergießen genommen hatte, nur an einen Siegeszug durch das ganze Reich, der ihn mit leichter Mühe zum gefürchteten und mächtigen Präsidenten der Republik machte.

Bis dahin schien auch wirklich Alles zusammengetroffen zu sein, um seine kühnsten Pläne zu begünstigen und ihnen den Stempel des unbedingten Erfolgs aufzudrücken. Mit der Hülfe des peruanischen Präsidenten Castilla im Rücken, dessen Kriegsdampfer sogar vor Guajaquil lagen, von einer zahllosen Schaar von Stellenjägern, die bei solchen Revolutionen nie fehlen, sondern sie meist hervorrufen, umlagert und unterstützt – das meist aus Mulatten und Negern, aber durchschnittlich aus Gesindel bestehende Heer durch Aussicht auf Plünderung begeistert, schien in der That nichts seinen Siegeszug zu hemmen oder seiner rohen Willkür Einhalt thun zu können – nicht einmal seine Officiere.

Desto empörter waren aber deshalb gerade die besseren unter ihnen durch den nutzlosen Blutdurst des kleinen Ungeheuers, das sich jetzt wieder ein neues Opfer ausersehen hatte, um das gehaßte Quito seine Macht fühlen zu lassen, und wäre ihnen Zeit genug geblieben, wer weiß, ob nicht schon jetzt ein verzweifelter Widerstand sie vereinigt hätte. So aber drängte sich das ganze Ereigniß in wenige Stunden zusammen, eine Besprechung wurde zur Unmöglichkeit, und nur der Officier, dem die specielle Überwachung des Verurtheilten übertragen worden, sann einen kecken Plan aus, dem Gefangenen zu helfen und dem Usurpator das schon sicher geglaubte Opfer zu entziehen, ohne sich selber der Rache desselben preis zu gehen. – Natürlich konnte dabei nichts mit Gewalt geschehen, nur allein die List mußte ihnen helfen.

José Fortunato war aber nicht der Mann, einen einmal gefaßten Plan wieder so rasch aufzugeben, und da ihn der Zufall noch so weit begünstigte, einen ihm gleichgesinnten Freund zugetheilt zu bekommen, lag ihm nur die Schwierigkeit ob, den dritten Kameraden sich ebenfalls geneigt zu machen, denn Villegas, der junge Officier und ebenfalls ein Quitener, oder doch aus der Nachbarstadt Ibarra stammend, haßte den Mulattengeneral wohl eben so viel wie sie, aber kannte auch dessen Macht und Grausamkeit und zeigte anfangs nicht die geringste Lust, die Rache und den Zorn desselben auf sein eigenes, bisher noch ungefährdetes Haupt zu ziehen. Es liegt überhaupt nicht in dem Charakter der Ecuadorianer, irgend etwas für einen Andern zu thun, wo nicht der eigene Nutzen mit im Spiele ist und das Wagniß wenigstens einigermaßen lohnen könnte.

Die Drei standen etwas abgesondert von den beiden wachthabenden Soldaten, einem Cholo oder Eingeborenen und einem Mulatten, und Fortunato hatte eben seine ganze Ueberredungskunst aufgeboten, um den jungen Freund ihrer Sache zu gewinnen. Die Zeit drängte, und Franco konnte jeden Augenblick mit seinem Stabe erscheinen, ja hätte eigentlich schon lange auf dem Platze sein müssen, und dann war der Gefangen rettungslos verloren.

»Compañeros,« sagte da Villegas, indem er sehr bedenklich mit dem Kopf schüttelte – »das ist ein ganz verzweifeltes Unternehmen. Sehen Sie die Banden da drüben? – ein einziger Wink Francos, und sie fallen mit derselben Wonne über uns her wie über jedes andere Schlachtopfer, das dieses kleine Ungeheuer ihnen bezeichnet. Wenn man uns entdeckt!« –

»Aber es wird nicht entdeckt, Villegas,« drängte Fortunato, »ich gebe Ihnen mein Wort, Alles, wobei ich betheiligt bin, sobald es nur nicht mich selber betrifft – glückt; artet aber in das schmählichste Pech aus, sobald ich persönlich das geringste Interesse dabei habe. Das ist aber hier gerade nicht der Fall; ich kenne diesen jungen Espinoza gar nicht – habe ihn in meinem Leben nicht gesehen und weiß nur, daß er aus einer guten und achtbaren Familie stammt und des ihm zur Last gelegten Verbrechens so wenig schuldig ist wie Sie und ich oder de Castro da.«

»Aber es soll wirklich ein verkappter Spion gewesen sein,« wandte Villegas noch einmal ein, vielleicht um sich selber glauben zu machen, daß er es mit einem Verbrecher zu thun habe, dessen Rettung er kein Opfer zu bringen brauche.

»Spion!« rief de Castro, »Espinoza ist so wenig Spion wie ich. Daß diese Erzkokette, diese Celita, ihr Netz nach ihm ausgeworfen und ihn gefangen hat, das ist sein Verbrechen. Das erbärmliche Geschöpf aber wendet den Tod des Unglücklichen, den sie selber dem Verderben geweiht, nicht einmal ab, sondern beginnt schon wieder ihr Spiel mit dem Mörder.«

»Ist überhaupt eine liebe Familie, die Sippschaft Buscada, Mutter wie Töchter,« sagte finster der Hauptmann Fortunato, »gnade Gott dem, der in ihre Schlingen fällt.«

»Aber wie, im Namen aller Heiligen, können wir dem armen Teufel helfen?« frug Villegas wieder. »Das Todesurtheil ist gefällt, dort lagern die Vollzieher, hier liegt das Opfer gebunden, und sobald Franco eintrifft, was jeden Augenblick geschehen kann, dauert es keine fünf Minuten mehr, und die Hinrichtung ist vollzogen. Sollen wir ihn etwa um Gnade bitten?«

»Nein, Kamerad,« erwiderte Fortunato, indem er den Blick vorsichtig umherschweifen ließ, »das wäre allerdings der verkehrte Weg und würde, wenn irgend etwas, gerade das Gegentheil von dem bezwecken, was wir zu erreichen wünschen. Aber wir haben einen andern Plan und verlangen von Ihnen nicht einmal, daß Sie uns beistehen, sondern nur, daß Sie sich für kurze Zeit um nichts kümmern, was um Sie her vorgeht. Weniger kann man doch eigentlich kaum von seinem Verbündeten fordern!«

»Und darf ich nicht wissen, was Ihr vorhabt?«

»Sicher,« lachte Fortunato, »denn daß Sie uns nicht verrathen, davon sind wir überzeugt. Sie werden dann aber auch selber einsehen, daß unser Plan so einfach wie gefahrlos ist. Von den neun Mann, die beordert wurden, den Verurtheilten zu erschießen, sind glücklicher Weise acht aus meiner Compagnie und unterrichtet und gewonnen. Sie laden blind und werden Espinoza keinen Schaden thun. Nur der neunte ist ein von Franco selber angeworbener, frisch eingetretener Rekrut, den wir nicht wagen durften in das Geheimniß zu ziehen. Er war früher Bedienter bei dem General und Helfershelfer bei allen seinen liederlichen Streichen. Er würde uns augenblicklich an Franco verrathen.«

»Und der wird ihn todtschießen,« rief Villegas.

»Wir haben allen Grund zu vermuthen, daß sein Gewehr versagen könnte,« meinte Fortunato mit einem Seitenblick auf de Castro. »Sollte das aber doch nicht der Fall sein, nun so muß Espinoza der Gefahr dieser einen Kugel trotzen, die indeß nicht übermäßig groß ist, denn der Bursche hat vor wenigen Tagen das erste Gewehr in die Hand bekommen und weiß noch nicht damit umzugehen.«

»Und welcher Zweck wird so erreicht?« sagte Villegas achselzuckend. »Wenn er auf die erste Salve nicht fällt, beordert Franco – wie das schon oft geschehen ist – neue Schützen vor, und eine oder die andere Kugel trifft ihn endlich sicher.«

»Dafür ist gesorgt,« versetzte Fortunato. »Dem Gefangenen werde ich schon einen Wink geben: sowie die Schüsse fallen, bricht er zusammen. Mein Cholo, der jetzt dort bei ihm Wache steht, ist treu wie Gold und mir ergeben. Auf ihn können wir uns fest verlassen – nur des pockennarbigen Mulatten sind wir nicht sicher, aber der wird durch irgend einen gleichgültigen Auftrag entfernt. Des Gefangenen Sarg steht schon im Gebüsch bereit, und haben wir ihn erst einmal da drin, ist er auch gerettet. Wer bekümmert sich denn noch nach einer Execution um einen Erschossenen und Gerichteten!«

»Aber deshalb gerade wird der Sarg auffallen,« zweifelte Villegas, dem der Plan noch immer zu gewagt erschien, wenn er auch die Möglichkeit des Gelingen für sich hatte.

»Vielleicht ja,« sagte de Castro ruhig. »Doch eine Entschuldigung dafür ist leicht gefunden. Sollte Franco, was ich kaum glaube, dennoch fragen, so sagt man ihm einfach, man habe den Sarg nur als Bahre hierher geschafft, um den Leichnam in den Fluß zu tragen und zu verhindern, daß die quitenisch Gesinnten ihm ein ehrlich Begräbniß geben, und das wird ihn sogar freuen.«

»Stehen Sie uns bei, Kamerad,« drängte nun auch Fortunato. »Die Wirthschaft mit den Mulattengeneral kann ja nicht lange mehr dauern, und wer weiß, ob uns in späterer Zeit ein also gerettetes Leben nicht vielleicht das eigene erhalten mag. Der Krieg bringt wunderliche Wechsel.«

»Gott weiß es,« sagte Villegas mit dem Kopfe nickend. »Wenn's aber fehlschlägt, sind wir sofort um unsere Hälse.«

»Doch nicht ganz,« entgegnete Fortunato. »Dort drüben stehen unsere Pferde fertig gesattelt und mit festgezogenen Gurten. Müssen wir daher fliehen, so bringt uns die nächste Legua schon in Feindes Land, wohin uns Franco's Burschen nicht folgen dürfen. Es ist ja ein Kamerad, den wir retten wollen.«

»Aber ich erfahre noch immer nicht,« schalt Villegas, »was ich dabei zu thun habe und, beim Himmel! dort wirbelt der Staub schon auf – dort kommt Franco, und es bleiben uns keine zehn Minuten Zeit mehr. – Weiß denn der Gefangene von dem Plan zu seiner Rettung?«

»Noch nicht,« sprach Fortunato, »aber zwei Worte genügen zur Verständigung für Jemanden, dessen Leben an einem Faden hängt. Gehen Sie dem General entgegen, de Castro, und überlassen Sie das Andere uns Beiden. Sie, Villegas, haben weiter nichts zu thun, als – eben nichts zu sehen und unberufene Neugierige, die uns gefährlich werden könnten, abzuhalten. Wollen Sie das?«

»Meinetwegen,« sagte der junge Mann, »ein toller Plan bleibt's immer, daß wir unsere Köpfe riskiren keines einzigen vernünftigen Grundes wegen, als einem wildfremden Menschen das Leben zu retten! Aber es sei. Liegt doch auch ein eigener Reiz darin, dem kleinen Mulatten eine Nase zu drehen. Also frisch an's Werk, – da drüben kommt er eben angesprengt.«

Es war in der That keine Zeit zu verlieren, und Fortunato – nur noch einmal Villegas' Hand schüttelnd – schritt auf den Gefangenen zu. – Dieser hatte indessen, eben so gut wie die Offiziere, die nahende Staubwolke bemerkt, womit der Augenblick seines Todes heranrückte, aber kein Zeichen von Schwäche prägte sich auf seinem Antlitz aus, das in der Erregung des Augenblicks nur um einen Schatten bleicher wurde. Fest biß er die Zähne, in tiefem Grimm zog er die Brauen zusammen, aber er regte sich nicht und schien entschlossen zu sein, seinen letzten Gang unerschüttert anzutreten.

»Compañero,« flüsterte da eine leise Stimme an seiner Seite, und rasch drehte er das Antlitz danach, denn der Ton klang wie der eines Freundes. Aber sein Blick begegnete einem vollkommen fremden Gesicht und traf auf die verhaßte Uniform des Usurpators. Was anders hatte er von dessen Creaturen zu hoffen, als den Tod, und finster brütend starrte er wieder vor sich nieder.

Da berührte eine leichte Hand seine Achsel und die Stimme flüsterte wieder: »Guten Muth, Compañero, so lange Athem da ist, so lange ist Hoffnung. Wollt Ihr leben?«

»Eine freundliche Frage an den, für den schon die Gewehre geladen sind,« lautete die trotzige Antwort. »Seid Ihr gekommen, Euren Spott mit mir zu treiben?«

»Mir bleibt keine Zeit zu einer Erklärung,« drängte aber Fortunato. »Glaubt also meinem Worte. Ihr habt Freunde in der Nähe. Hört schweigend, was ich Euch sage. Keine Silbe – und liegt still, daß man keinen Verdacht schöpft. Hunderte von Augen hängen an uns. Sowie die auf Euch abgefeuerten Schüsse fallen, von denen Euch keiner Schaden thun wird, werft Ihr Euch nach vorn über und zuckt nicht weiter. Das Andere überlaßt uns – Ihr habt mich verstanden?«

Der Gefesselte bejahte leise.

»Gut, und was auch kommen mag, Ihr brecht zusammen und rührt und regt Euch darauf nicht.«

Ohne eine abermalige Antwort abzuwarten, winkte der Offizier die beiden Wachen heran, daß sie die Bande des Gefangenen lösten, und hielt sich von da an von ihm entfernt.

Die in der Nachbarschaft gelagerten Mannschaften hatten allerdings den General heransprengen sehen, es aber nicht der Mühe werth gehalten, sich zu erheben und in Reih' und Glied zu treten. Die Sonne brannte heute furchtbar heiß von dem wolkenleeren Himmel nieder. Weshalb sich also ihren Strahlen früher als unumgänglich nöthig aussetzen! Franco selber verlangte einen solchen Zwang gar nicht. Er wußte, wozu er seine Banden treiben konnte, so lange er ihre Freiheit nicht zu sehr beschränkte, und war vollkommen mit ihnen zufrieden, wenn sie nur den gegebenen Befehlen gehorchten.

Sobald sich übrigens der Staub des heransprengenden Trupps, der wie eine Wolke auf der Ebene lagerte, etwas verzogen hatte, rief ein Trompetensignal die Mannschaft auf die Füße, und nicht ohne Schwierigkeit wurde ein weites Viereck gebildet und nur von der Seite offen gelassen, wo der Verurtheilte jetzt zwischen seinen Wachen unter der alten Weide stand. Diesem Baume gegenüber, und etwa achtzehn Schritt davon entfernt, hielt der General mit seinem Stabe und beschäftigte sich, während die Vorbereitungen zum Tode des Unglücklichen getroffen wurden, damit, eine Orange zu schälen und zu verzehren. Einer seiner Begleiter, ein riesiger Mulatte, schien dazu eine sehr pikante Anekdote erzählt zu haben – General und Gefolge lachten herzlich. Was kümmerte sie das Menschenherz da drüben, das in wenigen Minuten aufhören sollte zu schlagen.

Fortunato sah indessen, wie die neun Mann, die de Castro zu befehligen hatte, aufmarschirten, und wollte eben den Gefangenen niederknieen lassen – man durfte den General doch nicht zu lange den heißen Sonnenstrahlen aussetzen – als ein junges Mädchen, eine Flasche mit klarem Wasser in der Hand haltend, scheu und doch entschlossen zugleich auf den Gefangenen zuschritt, ohne die rohen Scherzreden, die ihr die Soldaten zuriefen, zu beachten – vielleicht sie nicht einmal zu hören.

»Zurück, mein Kind,« sagte Fortunato laut, aber nicht unfreundlich zu der Nahenden, »das ist kein Platz für Sie.« Aber die Jungfrau achtete nicht auf die Warnung. Wie von einer innern, unwiderstehlichen Gewalt getrieben, schritt sie auf den Gefangenen zu und reichte ihm lautlos, aber mit zitternden Händen die Flasche.

»Jacinta,« sagte Espinoza mit weicher, tiefbewegter Stimme, »Du also bist es, die noch an den unglücklichen Benito denkt?«

»Trinkt,« sagte das junge Mädchen, und das Wort rang sich ihr mühsam zwischen den Lippen vor, ihre ganze Gestalt zitterte – ihr Antlitz war todtenbleich, und sie wäre zu Boden gesunken, wenn nicht Fortunato sie gehalten und ihr mit ein paar freundlichen Worten Trost zugesprochen hätte.

Ein heiseres Gelächter der Soldaten, die in der Entfernung Zeugen der Zwischenscene waren, erscholl, und vom General Franco mußte die Unterbrechung unliebsam bemerkt worden sein, denn ein gellendes Trompetensignal mahnte an die Bedeutung des Augenblicks.

»Gehen Sie fort, Señorita,« sagte Fortunao, »meine Pflicht verbietet mir, Sie länger hier zu dulden. Kniet nieder, Señor.«

»Ich will mit ihm sterben, laßt mich!« flehte das Mädchen in Todesangst und suchte ihre zitternde Schwäche gewaltsam zu bekämpfen. De Castro war mit seinem kleinen Trupp Executoren vormarschirt und die Gewehre rasselten, als die Soldaten ihre Patronen hinunterstießen. »Bahn frei, Fortunato!« rief er dem Freunde neben dem Gefangenen zu. Fortunato war in der peinlichsten Verlegenheit. Das Mädchen hatte sich, als sie den dröhnenden Klang der Waffen vernahm, in verzweifelnder Selbstvergessenheit an den Hals Espinoza's geworfen und hielt ihn fest umklammert. Dauerte das Hinderniß noch eine Minute länger, so wußte Fortunato, daß der ungeduldige General Leute abschicken würde, die er dann nicht wieder beseitigen konnte, und sein Plan mußte scheitern, ja die Entdeckung der beabsichtigten Täuschung konnte nicht ausbleiben. In seiner Bestürzung faßte er den Arm der Unglücklichen und suchte sie loszumachen.

»Oh, um der Wunden Christi willen, Señor, laßt mich mit ihm sterben – gönnt mir doch die Kugel, die meinem elenden Leben ein Ende macht.«

»Fort von ihm, wenn Sie ihn nicht verderben wollen,« raunte ihr aber der junge Offizier zu. »Er soll leben – wir retten ihn – aber eben darum hinweg von ihm, oder Sie selbst werden seine Mörderin.«

»Ich?« rief die Unglückliche entsetzt und ließ los. Im nächsten Augenblick zog sie Fortunato am Handgelenk auf die Seite, und wieder erscholl das Signal, diesmal als Commando. für den vorbeorderten Trupp, um sich fertig zu machen und zu feuern.

»Excellenz,« wandte sich in diesem Augenblick einer der den General begleitenden berittenen Officiere an diesen, »wie ich zu meinem Bedauern sehe, hat man versäumt, dem Gefangenen einen Geistlichen beizugeben, und ihm dadurch den letzten Trost der Kirche entzogen. Wollen Sie nicht Befehl geben, daß die Execution –«

»Lieber Fereira,« unterbrach ihn barschen Tones der General, »thun Sie mir den einzigen Gefallen und bekümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Glauben Sie etwa, daß ich hier eine Stunde lang in der Sonne halten will, um zu warten, bis der Rebell unter geistlichem Beistand Gelegenheit gehabt hat, den lieben Gott um mein Verderben zu bitten? – Bah – die Sache hat schon viel zu lange gedauert, und wenn wir um jeden einzelnen Quitener so viel Umstände machen wollen, werden wir in zehn Jahren nicht mit ihnen fertig! Adelante!« und erhob dabei die Hand zum Zeichen, daß das letzte Commando gegeben würde. – »Was zum Teufel hatte die Mamsell bei dem Rebellen zu thun?«

Noch während er sprach, erschallten die Commandoworte: »Fertig zum Feuern! Legt an! Feuer!«

Die Schüsse knatterten nicht auf einen Schlag, sondern unregelmäßig hintereinander drein, und der Knieende fiel, ohne eine weitere Bewegung, ohne einen Schrei auszustoßen, nach vorn auf den Boden.

»So sollen alle Verräther sterben!« schrie der riesige Mulatte, der in Majors-Uniform auf einem Maulthier neben Franco hielt. »Es lebe Seine Excellenz unser verehrter General und Präsident! El viva!«

»El viva!« brüllten die nächststehenden Soldaten, während sich der Ruf in den Reihen fortpflanzte. Franco nahm gravitätisch seinen schweren, dreieckigen Hut ab, wandte sein Pferd dann und sprengte, ohne auch nur einen Blick auf sein Opfer zu werfen, von den Officieren gefolgt, in die Stadt zurück. Die Soldaten dagegen wollten, wie sie das gewöhnlich thaten in aufgelösten Gliedern zu dem Erschossenen hinüber laufen, um zu sehen, wie die Kugeln getroffen hätten. Hier aber sprang ihnen Villegas in den Weg und de Castro's Stimme commandirte in lautem, donnerndem Ton: »Halt! Richt' Euch! Schultert's Gewehr. – Bataillon formirt – erster Zug rechts abgeschwenkt! Marsch!«

Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe sich die Soldaten in den unerwarteten Befehl finden konnten und in Ordnung kamen. De Castro aber, der ihnen schon bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt hatte, daß er nicht mit sich spaßen lasse, gönnte ihnen keine Zeit, sich auch nur umzusehen, und wohl oder übel mußten sie seinem Befehl gehorchen. Ganz fort brachte er sie aber doch nicht gleich, denn unter den Büschen, wo der Schwarm vorher gelagert hatte, war noch eine Anzahl erst halbgeleerter Agua ardiente- und Tschitscha-Flaschen zurückgeblieben, und die Leute murrten, daß sie diese im Stiche lassen sollten. Es lag übrigens gar nicht in de Castro's Plan, sie verdrossen zu machen, nur ihre Aufmerksamkeit wollte er von dem Gefallenen ablenken, und während er die Leute jetzt vor den Büschen aufmarschiren ließ, beorderte er die vorzutreten, die noch irgend etwas dort liegen hätten. Dann aber mußten sie wieder in Reih' und Glied treten, und unter klingendem Spiel des Musikcorps, unter Trällern und Schwatzen der Soldaten, die das blutige Schauspiel lange vergessen hatten, oder doch so an derartige Scenen gewöhnt waren, um sie gar nicht mehr zu beachten, zog die Truppe in die Stadt zurück.

Nur Fortunato blieb mit vier Soldaten und ein paar Peons, die er jedenfalls dahin bestellt haben mußte, bei dem Leichnam, und während die Soldaten den Auftrag hatten, die neugierig herbeidrängenden Bewohner von Bodegas abzuhalten, brachten die Peons den bis dahin versteckt gehaltenen Sarg oder Kasten herbei, in welchem der Gefallene zum Fluß befördert und diesem so wie den darin hausenden Alligatoren übergeben werden sollte. Wer hätte sich in der Hitze damit quälen wollen, ein Grab für ihn zu graben!



 << zurück weiter >>