Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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28.

Die Einnahme von Guajaquil.

In der dritten, mit dem Flusse parallel laufenden Straße von Guajaquil lagen eine Masse jener kleinen Pulperias, deren Eigenthümer, ein Mittelding zwischen Gemüsehöker und Branntweinschenken bildend, einen Handel mit Allerlei zu treiben schienen, und dadurch mit den verschiedenartigsten Leuten verkehrten. Wir haben schon mit einem derselben Bekanntschaft gemacht, und zwar mit dem nämlichen, in dessen oberem Stübchen wir jetzt zwei alte Bekannte finden.

Es war derselbe Laden, in dem Doctor Ruibarbo seine Tasse Chocolade getrunken und dem Gespräche der beiden zu dem peruanischen Kriegsschiff gehörenden Matrosen gelauscht hatte.

Unten in der kleinen Gaststube, in einer Temperatur, die einen Europäer zur Verzweiflung gebracht hätte, weil die Fenster der Polizeistunde wegen verschlossen und dicht verhangen waren, saßen noch eine Anzahl Gäste – braune, wilde Gestalten, mit Physiognomien, denen Mancher vielleicht nicht gern allein an einem einsamen Ort begegnet wäre – aber sie tranken hier ruhig ihr Glas Tschitscha oder ihren Agua ardiente, flüsterten nur leise mit einander und horchten manchmal vorsichtig an der kleinen, in den obern Stock führenden Treppe.

Sonderbarer Weise trugen sie aber sämmtlich die Franco'sche Uniform und ihre Gewehre lehnten in der Ecke friedlich beisammen – aber das Haus war verschlossen, und wenn der langsame Schritt einer draußen vorbeimarschirenden Patrouille laut wurde, schwiegen sie nicht allein ganz still, sondern bedeckten auch noch die düster genug brennende Lampe mit der Hand, daß ihr matter Strahl nicht auf die vor das Fenster gehangenen Ponchos fallen konnte.

Oben in einem kleinen, fast eben so heißen und dumpfigen Gemach saßen zwei Männer an einem Tisch – ein Franco'scher Officier in seiner Uniform und unser alter Bekannter Ibarra, und vor ihnen stand ein halbnackter brauner Bursche, den kleinen, grobgeflochtenen Panamahut zwischen den Händen herumdrehend und, während sich die Beiden unterhielten, sehnsüchtig nach einer Flasche Wein hinüberschielend.

Der Officier, der dann und wann den Blick zu ihm aufhob, bemerkte wohl den verlangenden Blick in seinen Zügen und sagte lachend:

»Bist Du durstig, Compañero?«

»Da Sie es gerade erwähnen, Señor,« meinte der Mann – »ja; es war eine schlimme Geschichte, denn die eine Wache schöpfte Verdacht, und ich mußte wohl eine Stunde im Sumpf stecken bleiben, wo die Mosquitos wie rasend waren.«

»Du hast einen gefährlichen Weg gemacht, mein Bursche,« nickte der Officier, »und Deinen Schluck reichlich verdient – komm her und trink Dich satt« – und damit schüttete er ihm den Rest der Flasche in ein daneben stehendes großes Glas, das der Eingeborene gierig leerte.

»Mein lieber Fortunato,« sagte Ibarra kopfschüttelnd – »Sie haben nachher einen noch viel gefährlicheren Gang zu thun – denn dieser hoffnungsvolle junge Mann konnte sich versteckt und außer Sicht halten, Sie aber wollen offen in einer in Belagerungszustand erklärten Stadt, die von Patrouillen wimmelt, mit einem Trupp Soldaten über die Straße marschiren, und wenn Sie entdeckt werden –«

»Dann droht mir nicht mehr,« lachte Fortunato leichtherzig, »als die nämliche Gefahr, der ich schon zweimal entgangen bin, während ich diesmal noch den Vortheil habe, mit den Waffen in der Hand sterben zu können; denn lebendig fangen sie mich nicht, Ibarra, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Aber ich bin fest entschlossen, dem verdammten kleinen Mulatten heute zurückzuzahlen, was er an mir und tausend Anderen verbrochen hat – ich bin entschlossen, den Fehler wieder gut zu machen, den ich begangen, indem ich, wenn auch nur kurze Zeit, mein Vaterland unterdrücken half. Ich will es jetzt dafür wieder befreien helfen, und wenn ich dabei untergehe – nun, dann hat Franco ein Menschenleben mehr auf dem Gewissen, doch die Welt wird nicht viel an mir verlieren. Kein Auge weint mir eine Thräne nach, kein Fuß wird meinen Grabhügel aufsuchen, und mein Name wird in wenigen Monaten schon vergessen sein.«

»Keine traurigen Gedanken, Amigo,« sagte Ibarra rasch, »wir brauchen jetzt kaltes Blut, um der nahenden Gefahr fest und trotzig die Stirn zu bieten. Aber Sie haben Recht: wir streben einem schönen Ziel entgegen, der Rettung, der Befreiung des Vaterlandes von Sclavenketten, und wie ich früher geholfen habe, den Brand vorzubereiten, den wir in das Heerlager des Usurpators schleudern wollen, so werde ich auch jetzt Ihre Gefahr im Straßenkampfe theilen.«

»Sie, Ibarra?«

»Gewiß, Kamerad. Meine Uniform liegt schon dort in der Ecke, mein Gewehr steht unten im Hause; denn ebenso wie Sie habe auch ich dem Tyrannen meine Schuld abzuzahlen, die ich ihm gern heut Abend persönlich berichtigen möchte. Glauben Sie nicht, daß mein Arm zu schwach ist, einen gesunden Stoß zu fuhren. Wo der Wille vorhanden ist, kommt auch die Kraft. – Wie viel Uhr haben wir?«

»Zehn Minuten über Zwölf,« sagte Fortunato, auf seine Uhr sehend.

»Dann wird es die höchste Zeit, daß wir uns rüsten – bitte, lesen Sie Flores' Brief noch einmal über – meine Augen werden schwach, und bei dieser düstern Lampe kann ich kaum noch die Schriftzüge erkennen.«

»Es ist Alles in Ordnung,« sagte der junge Officier, das Papier ergreifend. »Mit dem Schlag halb ein Uhr fällt der Signalschuß am Eingange der dritten Straße. Dann ist es für uns an der Zeit, hervorzubrechen und die dort stationirten Truppen glauben zu machen, die Stadt sei überrumpelt und sie selber abgeschnitten. Dadurch allein sind wir im Stande, den vorrückenden Freunden Luft zu geben, bis sie aus dem Sumpf herauskommen und festen Boden unter den Füßen fühlen. ›Unterdessen‹ schreibt der General weiter, ›habe ich meine Leute bis zum Rand des Gebüsches vorgeschoben, und es gilt dann, das Terrain zu behaupten. Zu gleicher Zeit findet auf die Schanzen ein Scheinangriff statt!‹«

»Kurz und bündig, wie immer,« lachte Ibarra.

»Weil er mich in der Stadt weiß,« rief Fortunato, »und er soll sich bei Gott nicht in mir getäuscht haben. Ein Glück für uns ist, daß Sie uns die Uniformen zu verschaffen wußten; denn wie hätten wir sonst unbelästigt den Sammelplatz erreichen wollen.«

»Sie haben doch die Parole nicht vergessen?«

»Gott bewahre! – Das kleine gelbe Ungeheuer muß aber wahrhaft toll vor Liebe sein, den Namen seiner Angebeteten als Losungswort für sein Negergesindel auszugeben – Celita! – Mit welchem Ausdruck werde ich es der ersten Patrouille entgegenrufen!«

»Und wenn Sie erkannt werden?

»Dann, beim Himmel!« rief der junge Mann, sich hoch emporrichtend, »wechseln wir das Feldgeschrei und der Name Flores soll ihnen in die Ohren donnern. Meinen Hals zum Pfande, wie Spreu stiebt die ganze Patrouille von einander, wenn ihr mitten in Guajaquil dieser Name von einem bewaffneten Trupp entgegen gerufen wird.«

»Also vorwärts mit Gott!« rief Ibarra, seinen Rock abwerfend und die Uniform anziehend – auf die unteren Kleidungsstücke kam es ja nicht an, die Jeder in der Armee tragen konnte, wie er wollte – »bis wir gerüstet sind, vergeht die Zeit, denn das Haus dürfen wir doch nicht eher verlassen, als bis wir die Straße einen Augenblick leer von Soldaten wissen.«

»Mit Gott!« wiederholte Fortunato, seinen Säbel umschnallend, »ich hätte freilich nicht geglaubt, diese Uniform noch einmal zu tragen, aber zu diesem Zweck mag es sein.«

»Wir müssen nur vorsichtig sein,« warnte Ibarra, »denn Flores hat keine Ahnung von unserer Verkleidung, und seine Truppen werden Feuer auf uns geben.«

»Dafür ist schon gesorgt,« lachte Fortunato, der seinen alten Uebermuth wiedergewonnen hatte – »sowie der Tanz losgeht, reißen wir uns die Jacken vom Leibe. In Hemdsärmeln schlägt sich's auch besser in der warmen Nacht. Jetzt aber hüten wir uns, zu viel Lärm zu machen und uns vor der Zeit den Spaß zu verderben.«

Und zugleich nahm er ein kleines Signalhorn, das an der Wand hing, und warf die daran befindliche Schnur über die Schulter.

»Was wollen Sie damit?« frug Ibarra verwundert.

»Nicht umsonst,« lächelte Fortunato, »habe ich mir von unseren wackeren Truppen bei Tucumbo das Angriffssignal der Quitener eine ganze Stunde lang vorblasen lassen, und nicht das erste Mal wird es sein, daß ich dem Mulatten mit diesem Horn einen Streich spiele. Die Pest über den Hallunken! Mein armer de Castro und der wackere Ferreira liegen wohl noch bei halbfaulem Wasser und schlechtem Schiffszwieback in einem dumpfen Loch, in das ich nicht einmal einen Neger sperren würde – aber halt –« unterbrach er sich rasch und leise – »da kommt wieder eine Patrouille – bedecken Sie das Licht – Ibarra – so – das genügt – die Burschen haben keine Ahnung von dem, was hier für sie vorbereitet wird, oder ihre Signalhörner riefen im Nu die Besatzung zusammen – dort ziehen sie vorüber.«

Der schwere Schritt von einigen dreißig vorbeimarschirenden Soldaten drang bis zu ihnen – jetzt hatten sie das Haus passirt und verschwanden in der finstern Nacht. Fortunato schob leise die Ponchos zurück und öffnete das Fenster ein wenig, um zu horchen.

»Was ist denn das für eine lustige Musik, die vom Fluß herüber tönt,« sagte er endlich, als er wieder zurücktrat und den Poncho fallen ließ.

»Musik?« sagte Ibarra spöttisch – »wissen Sie denn nicht, daß heute Doctor Ruibarbo Hochzeit hält? Das ist ja das Fest, bei dem Franco zugegen sein wollte.«

»Alle Teufel!« lachte Fortunato – »deshalb also ist die Parole heute Celita. Ei, ei, ob wir der holden Dame nicht vielleicht zwei oder drei Tänze verderben – und wie wird es morgen um ihre hochfliegenden Pläne stehen? Armer Espinoza, und für eine solche Kokette hast Du Deine Liebe geopfert. Kommen Sie, Ibarra, das Maaß ist zum Ueberlaufen voll. Und jetzt hinaus in die frische Luft und zum fröhlichen Kampf; mir juckt es in den Fingern, einmal wieder dreinschlagen zu können.« Und mit wenigen Sätzen war er die steile Treppe hinabgesprungen und stand in dem untern Raum.

Ein paar Worte genügten hier; die Leute standen schweigend auf und ergriffen ihre Waffen; der Wirth, der sich vorher selber überzeugt hatte, daß die Straße für den Augenblick frei sei, öffnete ihnen die Thür mit den leise und vorsichtig geflüsterten Worten: »Gott segne General Flores,« und kaum eine Minute später rückte die Truppe, wie die anderen, die vorbei marschirt waren, mit festem Schritt die Straße hinab, die nach dem südlichen Ende der Stadt führte.

Hier begegneten sie aber keiner einzigen Patrouille weiter, denn wie sich später herausstellte, hatten sich die meisten nach dem Hause des Doctor Ruibarbo hingezogen, um dort die prachtvolle Musik mit anzuhören, die aus den weit geöffneten Fenstern tönte, und wenn irgend möglich – die in Glanz und Pracht an den Fenstern vorüberschwebenden Damen zu schauen.

Erst als die kleine verwegene Schaar, die es wagte, einem ganzen Heere in der feindlichen Stadt Trotz zu bieten, die letzten Häuser erreichte, gab Fortunato Befehl, zu halten. Er hatte voraus die glühenden Punkte brennender Cigarren bemerkt und trat an die nächste Ecke, um dort nach seiner Uhr zu sehen. –

Es war schon halb Eins vorüber – sollte sich Flores verspätet haben? – ihre Lage wäre dann eine verzweifelte gewesen, und es blieb ihnen in der That nichts übrig, als ihr Leben so theuer wie möglich zu verkaufen.

Da dröhnte der Signalschuß durch die stille Nacht, und zwar gar nicht weit von ihnen entfernt, etwas mehr nach dem Sumpfe zu. Die Patrouille, die sie vorhin gesehen, setzte sich schon in Bewegung, und kaum eine Minute später hörten sie eine andere die Straße im Sturmschritt heraufkommen, in der sie selber standen.

»Was machen wir jetzt?« frug Ibarra leise.

»Wir bleiben ruhig stehen,« lautete die Antwort, »dann haben wir den Vortheil, daß wir anrufen können. In der Dunkelheit ist auch keine Gefahr, daß man Verdacht schöpft.«

Eine weitere Unterhaltung war übrigens unmöglich, denn die Patrouille kam in fliegender Eile an.

»Halt! wer da!« schrie ihnen Fortunato entgegen.

»Amigos! Celita!« lautete die Antwort.

»Passirt,« sagte der junge Officier eintönig.

»Wer hat da geschossen, Kamerad?« fragte der Franco'sche Officier, indem er einen Augenblick stehen blieb.

»Quien sabe«,« sagte Fortunato gleichgültig.

»Und kommt Ihr nicht mit?«

»Auf Posten hier.«

»Buenas noches!«

»Buenas noches, companeros.«

Die Patrouille eilte vorbei – da tönten die befreundeten Signale aus dem Wald herüber, und gleich darauf knatterte eine unregelmäßige Salve durch die Nacht.

Hier am Ende der Stadt war das Terrain ziemlich beengt, denn der Fluß machte da eine leise Biegung, während ein kleines, ziemlich tiefes Wasser ihm zufloß, über das nur eine schmale Holzbrücke führte. Auf der andern Seite des Wassers stand ein einzelnes hölzernes Gebäude, und die Brücke war nicht allein mit Militär, sondern auch mit einer Kanone besetzt. Rechts davon aber standen nur einzelne Posten, weil gleich dahinter der Sumpf begann und Franco einen Durchgang durch diesen in dunkler Nacht für unmöglich hielt.

Flores dagegen, der ein eigenes Talent besaß, seine Operationen in diesem schwer passirbaren Lande zu leiten, schien gar keine Terrainschwierigkeiten zu kennen. Er überschritt mitten in der Nacht – was Franco kaum glauben wollte, als er es später hörte – den Salado, schob an Truppen vor, was er möglicher Weise durch den Sumpf bringen konnte, und wußte dabei, daß er sich im schlimmsten Falle, wenn er den Ausgang gleich von Anfang an zu stark besetzt fand, nur wieder in die Büsche hineinzuwerfen brauchte, um gegen eine Verfolgung vollkommen gesichert zu sein, denn dort hinein würde Niemand gewagt haben, ihm zu folgen.

Um aber die Feinde irre zu führen, ließ er mit den ersten Truppen eine Anzahl Trompeter vorgehen, die er soviel als möglich zerstreute, indem einige sogar am äußersten Rand des Sumpfes, noch ehe der erste Schuß fiel, in die Bäume steigen mußten, von wo dann nachher die Töne so wunderlich herausschallten, daß die dort aufgestellten Truppen ganz irre und bestürzt gemacht wurden.

Trotzdem wäre der vortrefflich angelegte Plan doch vielleicht daran gescheitert, daß die nächsten Franco'schen Patrouillen sämmtlich, so rasch sie konnten, dem ersten Gewehrfeuer zueilten und so in kurzer Zeit wohl vier- oder fünfhundert Mann an die Stelle geworfen werden konnten, wo Flores seine Leute nur einzeln aus dem Sumpf herausführte. Wurden diese aber bei dem Uebergang entdeckt, so waren sie verloren. Fortunato jedoch kannte das Terrain ebenfalls, und jetzt galt es, den Feind glauben zu machen, daß er umzingelt sei.

Wie er nun noch einen Trupp Militär im Sturmschritt die dritte Straße herabkommen hörte, dirigirte er seine kleine Schaar in eine Querstraße, die hinab zum Wasser führte. Bis sie das Ufer erreichten, war kein Wort gewechselt worden; jetzt aber commandirte er Halt.

»Kameraden,« sagte er darauf mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme – »jetzt ist der Augenblick gekommen, dort naht wieder eine Patrouille vom Wasser herauf, dieser schließen wir uns an, denn unser Trupp ist zu klein: sowie Ihr aber von mir den Ruf hört: Flores und Quito! dann fallt über die Burschen her und macht so viel Lärm wie möglich.«

»Alle Teufel, Compañero, sagte Ibarra erschrocken, »der Patrouille anschließen? und wenn wir entdeckt werden?«

»Es bleibt uns keine Wahl weiter – da sind sie schon. – Halt! wer da?« schrie er im nächsten Augenblick wieder die Feinde an.

»Celita!« lautete die Antwort. »Wo sind die Feinde?«

»Vorwärts! rasch, daß wir die Stadt retten!« rief Fortunato, und im nächsten Moment schon eilte er mit seiner kleinen verwegenen Schaar, von der Dunkelheit begünstigt, dicht neben der im Sturmschritt voranrückenden Patrouille hin, bis sie nach kaum hundert Schritten den kleinen dreieckigen Platz erreichten, wo die drei Straßen zusammenliefen.

Hier hatten sich indessen etwa hundertfünfzig Mann der Franco'schen Truppen eingefunden, denen aber ein tüchtiger Führer fehlte, denn nur die Patrouillenführer waren da, und durch die vielen Signale und das Schießen beirrt, wußten die Leute nicht recht, nach welcher Richtung sie sich eigentlich wenden sollten.

Da stürmte der Trupp, dem sich Fortunato angeschlossen hatte, die Straße herauf – waren es Freunde oder Feinde? Ein Theil machte Front gegen sie. »Halt! wer da!« lautete der Ruf. Ehe aber der commandirende Officier Antwort geben konnte, tönte das kurze herausfordernde Hornsignal der Quitener auch von dieser Seite.

»Flores und Quito!« schrie da Fortunato mit dröhnender Stimme und hieb mit flacher Klinge auf die ihm nächsten Soldaten der feindlichen Patrouille ein. »Flores und Quito!« brüllte die Schaar, und Schüsse fielen mitten zwischen die am Dreieck aufgestellten Truppen.

Die Wirkung dieser Kriegslist war aber zauberhaft. Die Soldaten, die neben ihnen marschirten, wußten nicht, woran sie waren. Der Officier schrie »Verrath!«, aber seine Stimme wurde durch das Hurrah und Schlachtgeschrei der Florestiner übertäubt. Wieder stieß Fortunato in sein Signalhorn, und laut und fröhlich antworteten ihm von der andern Seite, vom Rande des Sumpfes her, die Hörner der Quitener, und die Franco'schen Soldaten, die sich natürlich hier abgeschnitten und zwischen zwei Feuern wähnten, ergriff ein panischer Schrecken.

»Flores hat die Stadt besetzt!« rief man ängstlich durch die Reihen. »Sie sind vom Flusse her gelandet – die Schanzen sind genommen – wir sind verrathen – verloren!« Und in wilder Flucht rettete sich ein kleiner Theil über die Brücke, um in Nacht und Dunkelheit im Freien Schutz zu suchen, während die Uebrigen in die Straßen hineinstürmten, um sich in einzelnen, ihnen bekannten Häusern zu verbergen.

Und hinter ihnen knatterten die Schüsse und schmetterten die Signalhörner zum Angriff der Florestiner, die jetzt in immer dichteren Schaaren aus dem Sumpfe hervorbrachen.

Fortunato, der mit seinen Leuten die Uniform abgeworfen hatte, schloß sich den Freunden augenblicklich an und trieb jetzt den Hauptmann Belconza, der diese Truppe führte, bis zum Eingang der dritten Straße vorzurücken, wo sie sich, an beiden Seiten durch die Häuser geschützt, viel leichter vertheidigen und nicht in der Flanke angegriffen werden konnte. Dort schallten auch ihre Trompetensignale weit lauter, und die Schreckenskunde ihres Nahens lief bald durch die ganze Stadt.


Draußen bei den Schanzen und auf dem stark mit Geschütz besetzten Hügel, auf dem ein alter weißhaariger Amerikaner commandirte, waren bis um zwölf Uhr die Wachen regelmäßig abgelöst und keine verdächtigen Bewegungen des Feindes bemerkt worden. Dicht am Fuße des Hügels hatte Mr. Moreton, wie der Commandant hieß, sein Quartier aufgeschlagen, und eine Postenkette hielt ihn in steter und rascher Verbindung mit der Bastion selbst.

Moreton lag auf seinem Feldbett, ein Glas Grog neben sich, rauchte eine Cigarre und las bei dem Licht von zwei Stearinkerzen die heute von Panama eingelaufenen amerikanischen Zeitungen, als eine Ordonanz eintrat und meldete, die ausgesandten Spione hätten eine Bewegung unter den Feinden bemerkt und glaubten, daß sie einen Nachtangriff beabsichtigten.

»Nonsense,« brummte der Alte vor sich hin, »sie können nicht so wahnsinnig sein, hier durchbrechen zu wollen, wo wir sie in dem einzigen Passe mit Kartätschen pfeffern würden. Wenn nur der General meinen Rath befolgt und die Südseite gut besetzt hat; denn wenn sie hier anklopfen, wollen sie dort herein. Wo sind die Vorposten?«

»Noch in ihrer Stellung, Señor. Nur zwei Mann wurden hineingeschickt, um die Meldung zu machen.«

»Gut,« sagte Moreton, indem er die Zeitung wieder aufnahm, »sobald etwas Weiteres bemerkt wird, ruft mich.«

Die Ordonnanz verließ das Zimmer, und eine Viertelstunde etwa herrschte tiefe Ruhe darin. Plötzlich aber öffnete ein Soldat die Thür und meldete:

»Major – unten in der Stadt ist eben ein Schuß gefallen.«

»Aha!« sagte der Alte, sich rasch emporrichtend, »zeigen sie die Zähne? Wenn aber die Leute dort nur halbwegs aufpassen, werden sie mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Jetzt können wir uns übrigens hier auch fertig machen, denn einen kleinen Tanz bekommen wir jedenfalls, und wenn's auch nur zum Spaß wäre.«

Damit stand er auf, faltete seine Zeitung zusammen, trank seinen Grog aus, zündete sich eine frische Cigarre an, und stieg dann den Hügel hinauf, um zu inspiciren, ob Alles in Ordnung wäre. Es dauerte auch gar nicht lange, so blitzten aus der dunkeln Ebene einige Flintenschüsse herüber, aber aus einer solchen Entfernung, daß die Kugeln nicht einmal die Schanzen erreichten, wenigstens nicht den geringsten Schaden thaten, und Moreton hielt es vor der Hand nicht der Mühe werth, darauf zu antworten. Aber desto aufmerksamer horchte er nach der Südseite hinüber, von wo der Wind den Schall der Signalhörner ziemlich deutlich bis hier hinauf trug.

»Was zum Teufel sind denn das für Signale?« fragte er endlich einen neben ihm stehenden Unterofficier – »die kenne ich ja gar nicht.«

»Quitenische, Señor,« sagte der Mann lakonisch.

»Den Henker auch!« rief Moreton überrascht – »aus der Stadt heraus? Das ist gar nicht möglich. Wo steckt denn nur der General?«

»Auf dem Balle, Señor, bei Doctor Ruibarbo.«

»Er wäre, bei Gott, im Stande dazu!« rief der alte Amerikaner; »auf dem Ball, und die Quitener in der Stadt! Nun, dann spielen sie ihm vielleicht etwas zum Tanze auf. Das Schießen wird heftiger!«

Der Soldat hatte ebenfalls unruhig gehorcht.

»Señor,« sagte er endlich, »wenn die Quitener dort eingebrochen sind, können wir hier den Platz auch nicht halten, denn nach dieser Seite stehen keine Kanonen.«

»Aber unsere ganze Armee, mein Bursche,« lachte der Alte; »wenn der General seine Schuldigkeit thut, werden sie dem quitenischen Gesindel gut in den Straßen einheizen. Aber da fangen sie wieder an zu schießen – beim Himmel, da schlägt ja eine Kugel dicht bei uns auf! Ei, Señores, wenn Ihr's nicht besser haben wollt, können wir gleichfalls mit etwas Blei dienen!« Und rasch gab er seine Befehle, das Feuer zu erwidern und dem Feinde zu zeigen, daß sie auf dem Platz und gerüstet wären.

Vergebens wartete er aber auf ein Zeichen, daß irgendwo größere Truppentheile beisammen wären, um diesen wenigstens einen Kanonenschuß zuzuschicken. Alle die abgefeuerten Schüsse kamen von verschiedene Seiten, fielen vereinzelt und schienen nur darauf berechnet, die Besatzung der Bastion zu alarmiren und vielleicht noch die zunächst liegenden Truppen aus Guajaquil dahin zu ziehen.

Immer näher rückten indessen die quitenischen Signale, und trotzdem fielen nur wenig Schüsse – da wurde es plötzlich unten am Hügel, nach der Stadt zu, laut, und Moreton begab sich rasch dahin. Als er aber sein Quartier kaum erreicht hatte, kam ihm schon ein Officier entgegengestürzt und rief:

»Major, wenn Sie uns nicht Hülfe schicken können, ist die Stadt verloren! Die Quitener sind schon in den Straßen und das Heer ist in Auflösung!«

»Und wo steckt der General?« rief Moreton finster.

»Der hat sein Boot bestiegen und sich eben an Bord des Dampfers eingeschifft.«

»Franco?« schrie der Amerikaner erstaunt.

»Schon heute Nachmittag,« bestätigte der junge Officier, »mußte ich dafür sorgen, daß zwei schwere Koffer hinübergeschafft wurden. Er hatte sich also darauf vorbereitet. Lassen Sie uns nur die Stadt retten.«

»Und für wen, Señor Villegas, wenn ich fragen darf?« erwiderte der Amerikaner trocken. »Sollen wir etwa unsere Haut für eine Sache zu Markte tragen, die von dem, den sie angeht, aufgegeben ist? Ist Franco geflüchtet, dann habe ich hier auch nichts mehr zu suchen und gehe ebenfalls an Bord.«

»Aber Guajaquil – Ecuador!« rief der junge Mann.

»Bah!« rief der Amerikaner gleichgültig; »es ist mir in den letzten Wochen beinahe so vorgekommen, als ob wir Ecuador gerade keinen großen Schaden thun würden, wenn wir die Flinte in's Korn würfen. Ha, was ist das? Wohin wollt Ihr?«

Die Frage galt einem Theil der bei den Geschützen postirten Soldaten, die in wilder Hast den Berg hinunterstürzten; aber sie ließen sich nicht halten. »Guajaquil ist genommen!« schrien sie, und setzten ihre Flucht in wilden Sprüngen fort.

»Da läuft das tapfere Heer,« brummte der Amerikaner mit einem wilden Fluch in den Bart. »Aber die Burschen haben Recht. Keinen andern Sold als das lumpige Papiergeld, das sie für den halben Werth losschlagen müssen, um nur Branntwein zu bekommen; nicht einmal einen General mehr, für den sie sich schlagen könnten! Lauft, meine Jungen, lauft – es ist jedenfalls das Gescheidteste, was Ihr thun könnt!«

»Und Sie, Major? Ich bin hergeschickt, um Verstärkung zu holen.«

»Ihre Verstärkung ist schon unterwegs, wie Sie sehen,« lachte der Alte. »Mein Boot liegt dort im Flusse – kommen Sie mit, Villegas. Sie sind noch jung und finden leicht ein anderes Vaterland.«

»Ecuador verlassen? Nie!« rief der junge Mann, »und wenn ich das Land mit meinem Blute düngen müßte. Bleiben Sie, Moreton, noch ist vielleicht nicht Alles verloren. Wir sammeln, was wir noch von Leuten finden.«

»Wofür? Wollen Sie Präsident werden?« lachte der Alte. »Ich für meine Person verspüre nicht die geringste Lust dazu – aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Seht doch, was für bunte Laternen der Peruaner dort im Flusse aufzieht – wahrscheinlich zu Ehren Sr. Ex–cellenz, des Ex–Präsidenten! Also auf Wiedersehen, Villegas, in Lima.« – Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, trat er in die kleine Hütte hinein, die ihm bis jetzt zum Wohnort gedient hatte, griff die Zeitungen auf, die er in eine unter dem Bett liegende Satteltasche schob, welche sein ganzes Eigenthum enthielt, warf die letztere über den Arm und verließ sein Quartier, ohne nur die Lichter darin auszulöschen.



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