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8. Kapitel

Und so begann die Geschichte des Irren von St. James: »Ich bin auf Codrington-Hall in Codrington, dem Landsitze eines Mannes geboren, dessen Namen man sonst nur mit Ehrfurcht ausspricht, den ich aber leider! nur mit dem Gefühl des bittersten Schmerzes und einem von ihm selbst erzwungenen Abscheu – das Wort will kaum über meine Lippen – meinen Vater nennen kann. Es ist dies der Marquis von Seymour, Graf von Codrington – und ich bin sein ältester Sohn Percy, seit dem Tode meines Großvaters mütterlicher Seite Besitzer der Grafschaft Dunsdale. Jener, mein Vater, ist einer der ersten Pairs von England; er bekleidete zwölf Jahre lang eins der höchsten Ämter im Hofstaate des Königs. Sein Grundbesitz ist ungeheuer und demgemäß auch sein Reichtum, also sein Einfluß von Bedeutung; aber so groß sein Ansehen bei verschiedenen Parteien und so gesucht seine Teilnahme an den mannigfaltigsten Interessen des Landes, so gefürchtet ist sein Charakter, wegen einer Strenge, Härte, Unbiegsamkeit, die ihresgleichen nur in dem Hasse derjenigen hat, die auf seine Tyrannei sich erstreckt.

Das ist eine traurige Schilderung, Sir, die ein Sohn von seinem Vater entwirft, aber ich habe mir vorgenommen, die Wahrheit zu reden, und – ich bin noch mit Mäßigung zu Werke gegangen.

Das Gegenteil in allem von meinem Vater war meine Mutter. Sie war die einzige und über Alles geliebte Tochter des Viscount von Dunsdale und Erbin seines ganzen, nicht unbedeutenden Vermögens, welches durch gewisse Ereignisse und Familienbeschlüsse, auf die ich im Laufe meiner Erzählung noch zurückkommen werde, gegenwärtig auf mich als einzigen Erben übergegangen ist.

Wie diese edle, sanfte, vortreffliche Frau in die tyrannische Gewalt meines Vaters kam, durch welche Macht der Verhältnisse sie unauflöslich mit ihm verbunden und ob Liebe oder irgendeine Leidenschaft diese himmelweit voneinander verschiedenen Gemüter vereinigt, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß diese unglückliche Heirat erst geschlossen wurde, leider kann ich die Wahrheit auch hier nicht verschweigen, nachdem sie notwendig geworden war, und daß ich einige Monate nach dieser Verbindung als erster Sohn geboren ward.

Drei Jahre später erkaltete das förmliche Verhältnis zwischen meinen Eltern, welches nie ein zärtliches gewesen war, fast gänzlich, dennoch aber wurde nach dieser Zeit mein jüngerer Bruder geboren. Acht Wochen nach der Geburt desselben kehrte jedoch meine Mutter mit ihren Dienerinnen in den Equipagen ihres Vaters zu diesem zurück, und die bis dahin traurig bestandene Ehe war für ewig getrennt.

Die Bedingungen, welche dabei von Seiten meines Vaters und Großvaters in Bezug auf uns beide Brüder gestellt wurden, sind mir nie bekannt geworden und, soviel ich weiß, nie aus den Händen meines Vaters gekommen.

Auf wessen Seite die Schuld jenes unseligen Ereignisses gelegen, habe ich mir wohl denken, aber nie bestimmt erfahren können; denn Andere hatten ebensoviel Ursache, darüber zu schweigen, wie ich keinen Beruf, sie aufzuklären, in mir fühlte, nachdem ich älter geworden war. Nur soviel haben mir alle braven Leute gesagt, die meine Mutter kannten, daß sie eine schöne, sanfte und in allen Dingen liebenswerte, wiewohl schwächliche Frau gewesen sei.

Als diese unglücklichen Vorgänge alle an unseren Familienverhältnissen Teilnehmenden mit Verwunderung und Trübsal erfüllten, war ich ungefähr vier Jahre alt; ich weiß daher persönlich nichts von meiner Mutter und habe nur den Schmerz, sie nie kennen gelernt und allzufrüh verloren zu haben; denn sie starb ein Jahr nach ihrer Trennung von meinem Vater, wie ich hörte, vor unsäglichem Gram.

Gleich nach der Abreise meiner Mutter wurde ich, während mein Bruder mit seiner Amme beim Vater blieb, einer anständigen Familie in der Nachbarschaft des Marquisats meines Vaters übergeben; drei Jahre später erhielt ich einen Erzieher, einen Deutschen von Geburt, dem ich fast alle meine geistige Bildung, und einen Diener, jenen treuen Phillipps, den Krämer, dem ich alle meine körperlichen Fertigkeiten verdanke. Diese beiden, jeder in seinem Fache und in seinem Geiste so vortrefflichen Männer haben einen großen Teil meines Lebens mit mir verlebt, namentlich Phillipps, der erst vor vier Jahren mir entrissen wurde, während mein Erzieher starb, als ich in Deutschland war.

Die sanfte, überzeugende geistige Leitung des Letzteren und die feurige, entschlossene, männliche Gemütsart des Ersteren lockten bald die entsprechenden Eigenschaften meines allmählich sich entwickelnden Geistes hervor, ich konnte ruhig, friedlich und nachdenkend wie der Eine, aber auch entschlossen, schnell und wild wie der Andere sein. Doch will ich mich nicht schildern, sondern nur von mir erzählen.

So wuchs ich heran und wurde stark und groß, und meine unermüdlichen Erzieher bemühten sich abwechselnd, diejenigen Eigenschaften in meinem Geiste zu entwickeln, welche nach ihrer Ansicht immer in einem großen und starken Körper wohnen sollten; und während ich meinen Leib durch allerlei Übungen und Ermüdungen zu stählen trachtete, entfaltete sich meine Erkenntnis über alle die Fächer, welche die umfangreiche Gelehrsamkeit meines vortrefflichen Lehrers mir zu eröffnen vermochte. Vorzüglich aber war es die deutsche Philosophie und Literatur, auf die er den jugendlich frischen Geist hinzuleiten versuchte, und bald hatte er es dahin gebracht, daß ich seine Lieblingsschriftsteller gemeinschaftlich mit ihm lesen und studieren konnte.

So zog denn deutsches Wesen und Wissen früh in mein junges Herz und meinen Kopf ein, und es ist nicht mehr zu verwundern, daß ich eine so große Vorliebe für das Volk zu hegen anfing, welches, wie mir gelehrt worden war, gleiche Seelengröße mit uns gemein hat, eine innigere Tiefe des Gemütes, nur nicht den selbständig und kräftig heranstrebenden, ich möchte sagen, saftigen Trieb nach Freiheit und Allgemeinheit besitzt wie wir.

In meinem achtzehnten Jahre bezog ich mit meinen beiden Getreuen die Universität Oxford, um sie, an Seele und Leib gefördert, im einundzwanzigsten zu verlassen.

Ich hatte fleißig studiert, aber mehr nach eigener Wahl als nach strenger einseitiger Vorschrift, obwohl mein überall einhelfender Mentor auch diese Wahl zu regeln und zu leiten verstand.

Als ich einundzwanzig Jahre alt geworden war, erhielt mein Erzieher, nicht ich, von meinem Vater den Befehl, mit mir zu ihm nach London zu kommen, wo er sich damals aufhielt. Bis auf diesen Tag hatte ich, was Sie kaum glauben werden, meinen Vater seit meinem Austritt aus dem väterlichen Hause nur dreimal bei verschiedenen wichtigen Gelegenheiten gesehen.

Wir gehorchten; und als ich vor meinem Vater voller Erwartung stand, warum er mich zu sich beschieden und was er mir mitzuteilen hätte, sagte er zu mir, ohne weiter eine väterliche Neigung für mich zu verraten, daß ich jetzt mündig geworden und als ältester Sohn meiner Mutter – merken Sie wohl – den Titel und die Einkünfte meines Großvaters mütterlicher Seite – der unterdessen gestorben war, in Besitz nehmen würde. So wurde ich aus einem namenlosen und unbekannten Jüngling ein geehrter und mit Lebensgütern reichlich begabter Mann und vertauschte meinen einfachen Namen mit dem viel schöneren eines Viscount von Dunsdale. Aber dies war nicht das Ziel, wohin meine jungendliche Ehrbegier strebte, im Gegenteil, Niemandem konnte an solcher Auszeichnung weniger gelegen sein als mir.

Die dazu notwendigen Dokumente wurden ausgefertigt und einem Notar in London übergeben, der, ein rechtschaffener Mann, von nun an mein Sachverwalter und in manchen Beziehungen, von denen mein bisheriger Erzieher nichts verstand, auch mein Ratgeber wurde.

Bemerken muß ich noch, daß ich bei dieser Gelegenheit meinen Bruder Mortimer nicht sah, denn derselbe war zufällig abwesend, was höchst selten geschah, da er sich stets um meinen Vater aufhielt und, wie man zu sagen pflegt, seine rechte Hand war.

So besuchte ich denn auf kurze Zeit das mir zugefallene Erbteil, ordnete den neuen Ausbau der halb verfallenen Gebäude an, übergab dem alten Haushofmeister auf Dunsdale-Castle meine schriftliche Anweisung in Bezug auf die Verwaltung meiner Güter und bat schließlich meinen Vater schriftlich um die Erlaubnis, meine längst beschlossene Reise nach Deutschland antreten zu dürfen, denn wie durfte ich ohne seinen Willen, obgleich ich mündig und mein eigener Herr war, einen so wichtigen Schritt auf meinen eigenen Kopf unternehmen!

Er beantwortete meine Bitte durch Mortimer kurz, aber bejahend, und ich konnte aus keinem Worte in seinem Schreiben vermuten, daß er gegen diese Reise sei. Und ich reiste ab.

Jetzt, meinen treuen Mentor und meinen guten Phillipps wie bisher zur Seite, erfuhr ich in dem erfreulichen Zustande meiner Freiheit zum ersten Male die Bedeutung des Wortes: Leben. Vermögend, unabhängig und – glücklich, nach Gefallen mit meiner Zeit und meinen Fähigkeiten schalten und walten zu können, besuchte ich drei Jahre lang die größten Städte und die schönsten Gegenden meines geliebten Deutschland, besonders aber alle berühmten Universitäten, lernte überall die ersten Vertreter akademischer Bildung kennen und bereitete mich am Ende dieser drei Jahre vor, der schwankenden Gesundheit meines Erziehers wegen nach Italien zu gehen, als dieser plötzlich starb und dadurch eine Lücke in meinem Herzen ließ, die nie wieder ausgefüllt werden sollte.

Noch war die Leiche nicht aus dem Hause, welches wir bewohnten, geschafft, als der Befehl von meinem Vater eintraf, so schnell wie möglich nach Codrington-Hall zu kommen, wo er krank darnieder liege und mich sprechen wolle.

Vierundzwanzig Stunden später aber, als bereits Alles zur Abreise vorbereitet war, kam ein zweiter Brief, worin mir Mortimer schrieb, meine Rückkehr sei nicht nötig, denn mit des Vaters Gesundheit stände es besser, er selbst sogar befehle mir zu bleiben, wo ich wäre.

Ich entschloß mich zu bleiben, wie ich mich entschlossen hatte zu reisen. Aber acht Tage darauf erhielt ich abermals einen Brief, und zwar von dem Pfarrer aus Codrington-Hall, worin dieser mir sagte, daß mein Vater in der Tat lebensgefährlich erkrankt sei und daß er für seine Person es geratener hielte, ich käme unter allen Umständen nach England zurück.

Ich reiste sogleich mit Phillipps ab und hatte unterwegs Muße genug, über meine nächste Zukunft ernstlich nachzudenken. Hatte ich das Unglück, meinen Vater zu verlieren, so sollte ich einen Mann beerben, den ich nie Vater, sondern Seine Herrlichkeit zu nennen belehrt war, ich sollte seine Reichtümer, seinen ehrenvollen Platz in der Gesellschaft einnehmen und in der Politik unseres Landes sogar seinen mir wohlbekannten Ansichten folgen.

Doch hier muß ich noch einmal meines Erziehers gedenken. Dieser unbescholtene, gerechte und ehrliebende Mann war nichts weniger als ehrgeizig gewesen. Die Wissenschaften – die einzigen Pole, um die seine Welt sich drehte – hatte er nie äußeren Vorteils, sondern nur um ihrer selbst willen geliebt und getrieben, und dieses geringe Maß von Ehrgeiz war von ihm auf mich als unverändertes Erbteil übergegangen, nur daß ich es, als sanguinischer und die Unabhängigkeit als das höchste Gut liebender Mensch, nicht allein auf die Wissenschaft, sondern auch auf alle anderen Verhältnisse des Lebens, auf die Politik, auf die Gesellschaft, auf das, was man Ruhm nennt, übertrug. Mit einem Wort, ich liebte nicht meinen Stand und Rang, weil er hoch, nicht meine Reichtümer, weil sie mich tragen und heben konnten, sondern ich liebte beides, weil ich mir vorgenommen und als Aufgabe meines ganzen Lebens gestellt hatte: die Vorzüge, welche dies Besitztum dem Besitzer verleiht, zu verdienen und die Mängel, die es von anderen begehrenswerteren Gütern trennen, zu vertilgen oder wenigstens geringer darzustellen, als sie waren. Das Wort Edelmann hatte für mich einen ernsthafteren Klang als das Wort Macht und Reichtum, und ich wollte mich bemühen, das zu sein, was ich hieß.

Sie entschuldigen diese kleine Auseinandersetzung, aber sie bildet den Grundstein meines Denkens und Handelns, und darum bin ich gezwungen, sie zur Ehre der Wahrheit vor Ihnen – vor Ihnen allein – aufzudecken.

Ich kam in Codrington-Hall an, stieg bei dem vorhererwähnten Pfarrer ab, dessen Persönlichkeit und Charakter ich Ihnen noch später zu schildern haben werde, und schickte Phillipps auf das Schloß, um meine unerwartete Ankunft zu melden und mich nach dem Befinden meines Vaters zu erkundigen.

Ach! ich wartete mit Schmerzen auf die Nachricht, der ich entgegensah, denn einen Vater zu verlieren, ist unter allen Umständen für einen Sohn ein trauriger, durch nichts zu vergütender Gedanke.

Aber es dauerte zwei Stunden, ehe ich den Befehl erhielt, mich zu meinem Vater zu begeben.

Es war Abends sechs Uhr im August, die Luft sehr warm, aber trübe, es war alle Aussicht auf ein heftiges Gewitter vorhanden.

Ich ging nach dem Schlosse meines Vaters, wo mir die Diener, die mich kaum kannten, wie einem Fremden begegneten und mich in eine große Halle führten, aus welcher dichte, herabgelassene Vorhänge jeden eindringenden Strahl der scheidenden Sonne ausschlossen. An dem einen Ende der Halle sah ich meinen Vater mit bleichem, kaltem Gesicht auf seinem Bette liegen – am Kopfende desselben stand, hochaufgerichtet, Mortimer, mein Bruder.

Erstaunt trat ich ein, denn man empfing mich nicht mit der willkommenheißenden Begrüßung, mit der man einen Sohn und Bruder nach mehrjähriger Abwesenheit zu empfangen pflegt, man schien mich vielmehr kaum bemerken zu wollen.

»Da ist Percy!« sagte endlich Mortimer zu meinem Vater.

Dieser bewegte sich nicht, sah sich auch nicht nach mir um, als er in einem Tone zu mir sprach, aus dem kein Mensch etwas Väterliches herausgehört hätte:

»Percy! Du bist gegen meinen Willen so lange fortgewesen und ohne meinen Willen zurückgekehrt – was willst du?«

Ich war betroffen über diese Anrede, einmal wegen ihrer Kälte und dann wegen der Bemerkung, daß ich gegen seinen Willen so lange fortgewesen sei, da ich niemals von ihm seine Meinung darüber erfahren hatte. Doch ich vergaß beide Punkte, er sah mir so krank aus, der alte Vater, und ich erwiderte mit größter Milde und Herzlichkeit:

»Eure Herrlichkeit, meinen teuren Vater will ich sehen, zumal ich ihn gefährlich erkrankt wußte.«

»Ich habe dir schreiben lassen«, war die kalte Erwiderung, »daß du bleiben könntest, wo du lieber wärest als hier – warum gehorchst du nicht?«

»Mein Vater!« stammelte ich, »am liebsten wäre ich stets bei Ihnen gewesen und –«

»Was?« fragte er hart.

»Und dann erfuhr ich – ich wiederhole es – daß Sie gefährlich krank seien –«

»Durch wen?«

»Durch den Pfarrer, Mr. Graham!«

»Der Pfarrer, Mr. Graham, hat sich allein um sich selbst, nicht aber um andere Dinge zu bekümmern – sag' ihm das, Mortimer –«

»Jawohl, mein Vater!«

»Und nun, was willst du?« fuhr mein Vater mich an.

»Sie sehen – pflegen – unterstützen –«

»Und beerben!« ergänzte er schnell.

»Beim allmächtigen Gott! Das ist nie mein Wunsch gewesen!« rief ich wahrhaft erschreckt und mit einem Blick auf meinen Bruder aus, dessen Miene ein eigentümliches Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Es ist mir lieb, das zu hören«, sagte mein Vater, »jetzt bin ich müde, morgen werde ich dich rufen lassen, wenn ich deiner bedarf.«

Darauf drehte er sich nach der Wand und schloß die Augen.

Ich war durch diesen Empfang bis in das Mark meiner Seele erschüttert; aber die Wahrheit meines Gemütes und der feste Wille, meinen Vater von meiner kindlichen Liebe zu überzeugen, gebot mir, nichts unversucht zu lassen.

Ich trat einen Schritt näher an das Bett, beugte meine Knie und streckte die Hand aus.

»Was willst du noch?« fragte mein Vater in seinem hartem Ton, der mir durchs Herz schnitt.

»Ihnen die Hand küssen, mein Vater, und Sie bitten, Ihren Percy an Ihr väterliches Herz zu drücken.«

Es entstand eine Pause, in der ich meine Hand nach ihm ausgestreckt hielt. Allmählich und wie durch eine innere Gewalt zurückgehalten, ließ er seine linke Hand langsam nach mir heruntergleiten, erhob mühsam halb den Kopf und sah mich mit einem Blick an, der das brennendste kindliche Gefühl hätte erstarren machen können.

Aber meine Gefühle erstarrten nicht; ich ergriff die Hand, küßte sie zwei- oder dreimal und ließ eine Träne des Schmerzes darauf fallen, wie sie nie ein Sohn aufrichtiger und ergebener auf die Hand seines Erzeugers vergossen hat.

Dann stand ich auf, machte meine Verbeugung, und, ohne meinen Bruder anzublicken, dem ich – ich wußte nicht, warum – zu mißtrauen anfing, verließ ich das Zimmer.«

In diesem Augenblicke brachen die ersten mattleuchtenden Strahlen des aufgehenden Mondes in mein Zimmer und erhellten mit einem bleichen Schimmer das blasse, jetzt so traurig aussehende edle Gesicht des Erzählers, der sogleich fortfuhr:

»Ich muß damals eine kummervolle Miene zur Schau getragen haben, denn als ich, aus dem Schlosse meines Vaters tretend, durch den Park ging, durch den eben die Diener mit meinem Gepäck von dem Pfarrer herkamen, blieben sie stehen, grüßten mich ehrerbietig, da sie gehört hatten, wer ich war, und ich sah trotz des tiefen, mein ganzes Innere ausfüllenden Schmerzes, der mir die äußere Welt entfremdete, wie sie teilnehmende und in ihrem Sinne mitleidsvolle Blicke auf mein Antlitz hefteten.

Ich trat wieder beim Pfarrer ein – doch nun muß ich Ihnen wenigstens einige Worte über diesen tugendhaftesten Mann sagen, dem ich auf meinem Lebenswege begegnet bin.

Robert Graham war der jüngere Sohn eines herabgekommenen Baronets und aus Notwendigkeit wie aus Neigung zum priesterlichen Stande übergegangen. Von Charakter sanft und weich, aber doch männlich und fest in seinen Entschlüssen, wenn sie einmal zur Reife gebracht werden, hatte er mit leidenschaftlicher Beharrlichkeit die Studien ergriffen. Seine Bücher und das Nachdenken, welches sie in ihm hervorriefen, waren, außer noch einer Leidenschaft – die Sie später erfahren werden – das einzige Band, welches ihn, den harmlosen, friedfertigen und genügsamen Mann, mit dem Leben verknüpften.

Ich sehe ihn jetzt im Geiste vor mir – groß, hager, blaß, aber mild, freundlich – auf den ersten Anblick einen mehr als einnehmenden Eindruck hervorrufend; wenn man Mr. Graham sah, mußte man sich freuen; wenn man ihn sprechen hörte, mußte man ihn lieben.

Er bewohnte ein altes Jagdschloß, das für seine Bedürfnisse eingerichtet war und in der Mitte des großen Wildparkes lag, welcher das Schloß meines Vaters umgab; und man konnte, vor der Tür der Pfarrerswohnung stehend, die Hinterfront jenes großen, alten Gebäudes mit den Augen erreichen, welches am Ende einer breiten, dichtbelaubten, uralten Kastanienallee lag, die an dem ehemaligen Jagdschlosse ihren Anfang nahm.

Dieses alte, aus den Zeiten der Königin Elisabeth herstammende Haus, jetzt die stille, friedliche Pfarrerswohnung, bestand aus einem schmalen und kurzen Hauptgebäude von nur vier Fenster Länge, an dessen jedem Ende ein runder, etwa achtzig Fuß hoher Turm stand – beide, wie das Mittelstück, aus großen, scharfbehauenen Quadersteinen erbaut.

In dem einen dieser Türme, und zwar im obersten Stockwerke, war das Studierzimmer des Pfarrers gelegen. Es war rund wie der Turm und hatte einen aus alten schwarzen Marmorplatten bestehenden Kamin. Alle Wände dieses kleinen, obwohl sehr hohen Zimmers waren bis zu der weißen, mit Stuckwerk verzierten Decke mit Büchern bekleidet, zwischen denen in regelmäßiger Reihenfolge sechs oder acht kleine marmorne Büsten der Weisesten ihrer Zeit von ihren ebenholzenen Gestellen dem Eintretenden entgegenleuchteten. Ein großer Arbeitstisch, ein gepolsterter Lehnsessel und mehrere andere kleinere Stühle, fast alle mit Büchern belegt, bildeten die ganze Ausstattung dieses wie zum Studium geschaffenen behaglichen Aufenthaltsortes. In die weite Nische vor dem hohen gotischen Fenster tretend, sah man weit fort über den großen See, der die Besitzungen meines Vaters von einer Seite begrenzte, und der blaue und klare Himmel, der über diesem spiegelglatten Gewässer lag, schien mit dem Gemüte des einsamen Bewohners dieses Zimmer auf das Lieblichste zu harmonieren.

Erschüttert und aufgeregt, wie ich war, trat ich in dies Gemach zu dem lesenden Pfarrer, der sogleich aufstand und freundlich grüßend mir entgegentrat. Aber der Frieden, der in diesem stillen Raume und auf diesem ergebenen Gesichte thronte, beruhigte das krampfhafte Zucken meines Herzens fast zauberartig schnell, und ich ergriff, von der mir entgegenwehenden Zufriedenheit des edlen Mannes aufgeheitert, mit einem Lächeln, so gut es über meine Lippen wollte, die dargebotene Hand des Pfarrers.

Aber dieser geprüfte Menschenkenner las durch meine Augen in meinem Herzen.

»Was ist Ihnen, Mylord«, fragte er, »ist Seine Herrlichkeit wirklich gefährlich leidend?«

»Er ist es«, antwortete ich, »denn sein Benehmen sprach dafür.«

Und ich erzählte ihm mit dem Zutrauen, welches er mir augenblicklich eingeflößt hatte, Wort für Wort den ganzen Hergang meines Besuches.

Der brave Mann blickte mich, als ich geendet hatte, schweigend, aber teilnehmend an. Dann berührte er mit der einen Hand meine Schulter und zeigte mit der anderen nach dem blauen Himmel die heraufziehenden Gewitterwolken hatten sich wieder gänzlich zerstreut – und dem unter ihm sanft dahinfließenden, dasselbe heitere Bild zurückstrahlenden weiten See, denn wir waren während meiner Erzählung in die Nische an das Fenster getreten.

»Mein junger Freund!« sagte er mit einer Zuversicht in Stimme und Miene, daß mein trauriges Herz sich gehoben und voll Hoffnung fühlte, »mein junger Freund, dieser blaue Himmel da oben spiegelt sich jetzt in diesem stillen Gewässer ebenso klar und rein, wie er selber ist – aber es werden Tage mit Gewitterwolken kommen und dann wird dieses Gewässer schwarz und düster sein. Etwas Ähnliches, nur umgekehrt, ist es mit Ihrem Geschick – jetzt ist es trübe und traurig und drückt Ihren männlichen Geist danieder – aber es werden sonnig lächelnde Tage heraufsteigen und Ihr Herz wird voller Freude sein!«

Diese, mit prophetischem Tone gesprochenen Worte, die ich nie vergessen werde, erhoben mein Herz. Ich drückte schweigend und dankbar seine Hand, denn ich glaubte ihm so gern. Er fuhr fort:

»Und nun hören Sie mich an! Was Sie auch hören werden, denken Sie nichts Übles von mir; ich bin das, was ich Ihnen sage, der Wahrheit und meinem Berufe schuldig zu sagen, und ich hege das Vertrauen zu Ihnen, Sie werden die kurze, aber ernsthafte Mitteilung, die ich Ihnen zu machen habe, nicht als eine Zwischenträgerei zwischen Vater und Sohn aufnehmen, sondern als eine Mitteilung von Wichtigkeit, die ich gelobt habe, Ihnen zu machen, mag auch daraus entstehen, was da will!«

»Sie machen mich neugierig, Sir!« antwortete ich ihm. »Es scheint, als wenn Sie in der Tat ein warmes Interesse für mich beseelte – sprechen Sie, ich werde hören.«

»Sie haben Recht, wenn Sie sagen, ein warmes Interesse beseelt mich für Sie – aber ich will aufrichtig gegen Sie sein, Mylord; nicht Ihretwegen allein mache ich Ihnen diese Mitteilung, sondern der Gerechtigkeit und der Wahrheit wegen, die ich verteidigen und verkünden werde, solange ein Atemzug in mir ist. Auch kennt mich Seine Lordschaft, Ihr Herr Vater, von dieser Seite; er weiß von mir, welche Partei ich ergreifen werde, denn ich habe nie meinem Gegner verhehlt, daß ich sein Gegner bin, sei es im Kampfe um die Wissenschaft oder im Streite mit den Begebenheiten des Lebens gewesen. – Ja, Mylord, Sie finden hier in Ihrem Vaterlande, in Ihrem Familienhause, wo Sie Frieden und Liebe erwarteten, eine Partei. Soll ich Ihnen noch sagen, daß diese Partei gegen Sie ist?«

»Das scheint mir allerdings so – jedoch fahren sie fort.«

»Aber so erfahren Sie auch, daß es hier Leute gibt, die nicht diese Partei ergriffen haben, da dieselbe, ohne ihr Zutun, schon mächtig genug, vielleicht schon zu mächtig ist. Darf ich hoffen, daß Sie mir erlauben, auf Ihrer Seite und für Ihren Vorteil mein geringes Gewicht mit in die Wagschale der Gerechtigkeit zu legen?«

»Ich danke Ihnen, Sir, für Ihren guten Willen; aber wie mir scheint und wie Sie selbst sagen, ist meine Partei die schwächste. Sie kann somit unterliegen, und dann unterliegen Sie mit mir.«

»Dann bin ich ein Opfer, wie Sie eins sind, und weiter nichts. Das soll mich am wenigsten von meinem Wege ablenken – ah, Sie kennen mich noch nicht!«

»O, ich kenne Sie! und nun teilen Sie mir mit, was ich wissen muß.«

»Ich mache wenig Worte, Mylord, aber diese werden für Sie hinreichend sein, wenn Sie auf Alles Acht haben, was geschehen ist und vielleicht geschehen wird. – Ich bin nicht daran gewöhnt, oft zu Seiner Herrlichkeit, dem Marquis, gerufen zu werden, und ich habe mich darein gefunden, obwohl es mich schmerzte, denn Ihre Familie ist seit achtundzwanzig Jahren die meinige gewesen. So oft es aber dennoch geschah, und außerdem, sooft ich ihm begegnete, fragte ich nach Ihnen, Seiner Herrlichkeit ältestem Sohne, der durch mich in den Schoß der christlichen Kirche aufgenommen ist – aber ich erhielt nie eine ausreichende und genügende Antwort. Ich muß gestehen, dies fiel mir oft und nachdrücklich auf, jedoch glaubte ich mich zu irren. Da geschah es denn vor mehreren Jahren schon, daß von Zeit zu Zeit Gerichtspersonen und Advokaten hier erschienen, die ich durch den Ruf kannte, die ich aber aus eigener Erkenntnis verachtete. Mit ihnen und in Gegenwart Sir Mortimers fanden geheime Unterredungen statt, deren Beschlüsse Niemandem anvertraut wurden. Viele aber sprachen davon. Da sprach auch ich von dem, was ich gehört hatte, gegen Seine Herrlichkeit, aber mir wurde gesagt, daß mich das nichts angehe. Ich schwieg; aber ich hörte mehr – und da sprach ich auch mehr aus. Da verlachte man mich, aber man verlachte mich – so glaube ich – mit einigem Zwang. Die Folge davon war, daß ich für die Zukunft unnötig wurde, und, wie gesagt, ich fügte mich darein.

»Endlich aber wurde vor etwa drei Wochen in meiner Gegenwart eine Beratung gehalten, wobei die Frage vorkam: ob es geratener sei, Sie in Deutschland zu lassen oder zurückzurufen. Das erschreckte mich. In den Worten zwar, die ich hörte, lag nichts, was mir hätte bedenklich erscheinen können; wohl aber in dem geringschätzenden Tone, womit diese Worte gesprochen wurden – verzeihen Sie meiner allzugroßen Sorge – schien mir eine – wie soll ich sagen – eine Beseitigung Ihrer Person –«

»Eine Beseitigung meiner Person? Wie verstehen Sie das?«

»Das frage ich Sie, Mylord. Genug, ich fühle ein Unheil voraus, und von diesem Augenblick waren Sie der Gegenstand meiner ungeteiltesten Sorgfalt.

»Hören Sie weiter, ehe Sie urteilen. Jetzt erkrankte Mylord, und auf meinen Rat schrieb man Ihnen, Sie möchten kommen. Aber – wie es mir schien – nach einer geheimen Unterredung zwischen Mylord und Sir Mortimer widerrief man diesen Befehl. Als ich dies vernahm, erkannte ich meine Besorgnis für gerechtfertigt, und fürchtend, ein im Verborgenen vorbereitetes, für Sie unheilbringendes Ereignis schwebe über Ihnen, hörte ich gern auf die Bitten Jemandes, der in Sachen, die nicht mit Augen zu sehen und mit Ohren zu hören sind, schon oft das Rechte gefühlt hatte; ich hörte, daß Sie es wissen, auf den Instinkt eines weiblichen Herzens und glaubte nun, das Recht zu haben – denn alles Recht stammt von oben, und nicht der Mensch ist es, der es gibt – Sie zurückzuberufen. Hiermit wissen Sie Alles, was ich Ihnen sagen kann; ob ich darin Recht oder Unrecht tat, weiß Gott allein – ob Sie mit meinem Tun zufrieden sind, wissen nur Sie!«

Ich sann einen Augenblick nach; allmählich tauchte in meinem Herzen eine Stimme auf, die mir Vergangenes und Gegenwärtiges erzählte – ich ward plötzlich sehr betrübt. Aber der gute Pfarrer sah mich an und wartete auf meine Antwort.

»Sie haben nach Ihrem Gewissen gehandelt«, sagte ich, »und wer Gott zum Zeugen seiner Redlichkeit hat, kann nichts Unrechtes tun. Was mich hierbei anbetrifft, so fürchte ich zwar nicht ganz so viel, wie Sie zu fürchten schienen, indessen ich danke Ihnen, ja ich danke Ihnen vom Herzen. Aber sie sprachen von dem Instinkte eines weiblichen Herzens, das in meiner Sache das Rechte fühlte, ohne es zu sehen oder zu hören – darf ich dies Herz nicht kennen, welches, ohne mich zu kennen, so viel Teilnahme für mich hegt?«

»O, das war Ellinor!« rief er schnell.

»Und wer ist Ellinor?« fragte ich.

»Mylord!« sagte der Mann, und eine beinahe leidenschaftliche Innigkeit leuchtete aus seinem klaren Auge, »das ist ja mein Kleinod, mein Kind, meiner Betty Kind – meine einzige Tochter!«

»Und wie erfuhr Ihre Tochter die Dinge, die mich betrafen?« fragte ich weiter.

»Aus dem Munde dessen, der ziemlich dabei beteiligt scheint aus Sir Mortimers Munde.«

»Und Mortimer – sieht er Ihre Tochter oft?«

»Er besucht mich beinahe täglich und würdigt mein Kind bisweilen seines Vertrauens –«

»Kennen Sie den Grund dieses Vertrauens?«

»Nein, Mylord, ich kenne ihn nicht, aber Sir Mortimer –«

»Ist mein Bruder!« ergänzte ich, »Sie haben Recht!«

Aber während ich dieses sagte, starrte ich hinaus in das unbegrenzte Blau des Himmels, und an dem Horizonte meines Geistes stieg eine kleine dunkle Wolke auf – es war das geheimnisvolle Vorüberschweben einer noch nicht zum Bewußtsein erstarrten trüben Ahnung.

»Es ist kein Wunder, Mylord«, fuhr der Pfarrer fort, »daß wir uns oft mit Ihnen beschäftigten. Die sonderbare Erziehung, die Ihnen zuteil ward, Ihre stete Entfernung von dem elterlichen Hause und der Umstand, daß Ihr jüngerer Bruder immer um den Vater war, was ganz gegen unsere Sitte und Gewohnheit ist, gab uns Gelegenheit genug dazu. Hierzu kam das Gespräch der Leute – die es immer mit dem Erben halten, und Sie waren ja in den Augen Aller der Erbe und sind es noch, und unser eigenes Gefühl, das uns wie mit Sympathie stets zu dem Entfernten, Unbekannten zieht, und wir beschlossen, Ihnen, wenn es notwendig würde, unseren Rat – Sie entschuldigen, Mylord – nicht vorzuenthalten, falls Sie ihn verlangten.«

»Und was ist das für ein Rat?«

»Wenn Sie mir erlauben, Mylord, so behalte ich ihn noch für mich, Sie haben für heute genug erfahren und müssen abwarten, was Ihnen der morgige Tag bringt. Im glücklichsten Falle werden Sie meines Rates nicht bedürfen, und ich spare ihn daher für den Notfall auf, sollte dieser eintreten, nun, dann wird noch Zeit genug sein, ihn zu vernehmen.«

»Ich stimme Ihnen bei und danke Ihnen, Mr. Graham!« erwiderte ich, und so endete unser erstes Gespräch.

Am folgenden Morgen um elf Uhr wurde ich zu meinem Vater beschieden. Ich eilte, an das Gespräch mit dem Pfarrer denkend, besorgt, aber doch innerlich gefaßt, zu ihm.

Er saß aufgerichtet in seinem Bette, die Vorhänge waren von den Fenstern fortgezogen und ich konnte bei dem vollen Tageslichte jetzt zum ersten Male das Antlitz meines Erzeugers deutlich erkennen. Es war zwar noch immer bleich, sah aber weniger krankhaft aus als am Tage vorher, doch seine Miene erschien mir noch finsterer und kälter als das erste Mal. Hinter ihm, wieder an dem Kopfende des Bettes, seiner gewöhnlichen Stelle, stand Mortimer.

Sobald mein Vater meinen ehrerbietigen Gruß mit einem kaum bemerkbaren Kopfnicken erwidert und auf meine Frage, wie er sich befinde, kurz geantwortet hatte: »Es geht besser!«, sagte er kalt, aber mit fester Stimme:

»Percy, Viscount von Dunsdale! Du hast mir gestern gesagt, du seiest nicht hierher gekommen, mich zu beerben, und du hast Gott zum Zeugen für die Wahrheit dieser Worte angerufen. Darum habe ich dich heute zu mir beschieden, um dich beim Worte zu nehmen. Und so erfahre denn von mir, was ich dir schon längst mitgeteilt haben würde, wenn mich nicht dein guter Bruder Mortimer davon zurückgehalten hätte, daß – die Ehe zwischen mir und deiner Mutter bis nach deiner Geburt gesetzlich aufgehoben wurde und daß also erst Mortimer mein ehelicher, mithin einziger und ältester, rechtmäßiger Sohn ist. – Unterbrich mich nicht, sondern höre weiter. Zu deinen ohnehin reichlichen Einkünften als Viscount von Dunsdale bin ich, väterlich genug, gesonnen, dir jährlich dreitausend Pfund zu geben, und mit dieser Aussteuer, denke ich, wirst du reicher sein als mancher begüterte Edelmann in diesen Landen.«

»Und wer erbt Ihren Namen und dessen Ehre?« fragte ich mit möglichster Ruhe, denn ich beherrschte mit Gewalt die strömende Flut, die nach meinem Herzen drängte.

»Mein Sohn Mortimer!« war die einfache, aber mir sehr verständliche Antwort.

»Aber Mortimer, Euer Herrlichkeit Sohn, ist mein Bruder, mein jüngerer Bruder, und noch dazu Sohn derselben Mutter!« sagte ich.

»Er ist ehelich geboren – du nicht!«

»Und wer kann mir das beweisen – wer kann gegen mich und meine Rechte auf solche Weise einschreiten?« fragte ich.

»Ich – und die Gesetze!« erwiderte er bestimmt.

»Sie wurden aber mit meiner Mutter vor meiner Geburt ehelich verbunden«, entgegnete ich sehr ernst und bemerkte sogleich den Triumph, den meine gerechte Sache feierte, denn Beide waren vielleicht der Meinung gewesen, ich habe mich um diese Dinge nie recht bekümmert.

»Wisse!« rief er, »es lebt kein Zeuge dieser Verbindung mehr und kein Register existiert auf der ganzen Welt, das meine Worte Lügen strafte!«

»Sie irren sich, Mylord!« rief ich ebenfalls. »Mögen die übrigen Zeugen gestorben und die Register alle vernichtet sein – ich lebe und Sie leben und Mortimer lebt und – Gott lebt. Und mit diesen vier Zeugen, Mylord – denn ich werde Ihr und meines Bruders Gewissen zu Zeugen aufrufen – sind die Gesetze ebensogut für mich da wie für Sie und Mortimer – und seien Sie überzeugt, ich werde nimmermehr freiwillig, und einer blinden Willkür gehorchend, den Namen meines Vaters ablegen, um von der Welt als Bastard gebrandmarkt zu werden und von dem Pöbel Ihres Hofes mit den Fingern auf mich weisen und sagen zu lassen: das ist wohl der ältere, aber nicht der echte Sohn!«

»Holla«, rief er auffahrend und lauter, als ich seiner gebrochenen Kraft zugetraut, »so erfahre, Knabe, der du die Welt und einen bloßen Namen mehr liebst als deinem Vater gehorchst und seine Ehre achtest, daß ich dich öffentlich als meinen Bastardsohn und als weiter nichts anerkennen werde.«

»Sie irren sich noch einmal, Mylord!« rief auch ich etwas lauter als vorher. »Ich werde nie dulden, daß Sie mit mir auch diejenige beschimpfen, welche mir das Leben gab! Und wie können Sie die Lüge vor Gottes Richterstuhl vertreten, daß dasselbe Weib, welches mich und Mortimer von Ihnen gebar, mich unehelich, diesen aber ehelich zeugte?«

»Dulden?« schrie er wütend und knirschte mit den Zähnen. »Wer spricht von Dulden, wo ich befehle?«

»Ich!« sagte ich. »Ich, Percy Viscount von Dunsdale, Ihr rechtmäßiger, ehelicher und Ihr erster Sohn!« und trat dabei einen Schritt näher zu ihm.

»Verfluchter Bube!« schrie er, außerstande, seinen Zorn bewältigen zu können, »Mortimer! laß ihn hinauswerfen und mag es der Pöbel meines Hofes sehen, daß ich ihn von meiner Schwelle jage!«

Dicke, kalte Schweißtropfen rannen von meiner Stirn – ich bebte vor unterdrücktem Zorn. Ich sah Mortimer an – aber Mortimer regte sich nicht – meine Miene und Haltung schienen ihn zu warnen – er trat sogar noch einen Schritt zurück.

Aber was ich in diesem schrecklichen Augenblick empfand, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Meine Eingeweide brannten, mein Kopf schwindelte, meine Hand zitterte – doch nur einen Moment, und dieser ging rasch vorüber. Das Göttliche war in diesem Moment stärker in mir als das Menschliche – ich ward wieder ruhig und besonnen, denn ich wollte nicht – verflucht sein.

»Mein Vater!« sagte ich, indem ich meine rechte Hand auf mein klopfendes Herz drückte, »Sie haben einen Sohn, der, ohne sich Ihren Fluch aufzuladen, doch Ihren Willen tun wird, sobald dieser Wille unwiderruflich ist.«

»Er ist es – was willst du?«

»Die Erbschaft freiwillig abtreten!« erwiderte ich.

»Und wer bürgt mir, daß dies dein Ernst ist?«

»Gott ist mein Zeuge!« rief ich, und hob meine Rechte zum Himmel empor.

»So schreib es nieder – da ist Papier – Mortimer! leg ihm die Schrift vor.«

Das war mir zuviel, ich hatte noch nicht erfahren, daß böse Menschen einem rechtschaffenen Manne auf sein Wort nicht glauben – man muß ein Schurke sein, um ohne Unterschrift und Siegel davonzukommen.

»Nie! Nie und nimmermehr!« rief ich laut aus, »werde ich meinen ehrlichen Namen unter ein Blatt setzen, das mich und meine Mutter zugleich entehrt!«

Hier machte der Erzähler eine Pause und lehnte sich, wie vor Erschöpfung, einen Augenblick zurück und bedeckte seine Augen mit der Hand. Als er sie aber fortnahm, war sein Antlitz wieder so still und klar wie das eines Kindes – und doch – wie mochte es in seinem Herzen sein! Nach einigen Minuten richtete er sich wieder auf und fuhr mit minder festem Tone fort:

»Ich glaubte sterben zu müssen – so hatte mich dieser Auftritt erschüttert. Wie ich aus dem Zimmer, aus dem Hause kam, weiß ich nicht, nur soviel erinnere ich mich, daß Phillipps mir an der Schwelle des Zimmers meines Vaters entgegentrat und mich starr, wie ich ihn nie gesehen hatte, anblickte.

Ich trat in den Wald, in Gottes freie Natur, ich schöpfte tief Atem – die Brust war mir so beklommen, ich kam mir so klein, so erniedrigt, so vernichtet vor, daß ich mich befühlte, mich selbst betrachtete und meinen Blick zu dem reinen Äther über mir emporrichtete und ihn fragte:

»War das dein Wille, Vater da oben?!«

Mechanisch schritt ich weiter und sah schon vor mir das Haus des Pfarrers, zu dem ich unwillkürlich ging – da, in meinem unsäglich beklemmenden Gefühle, begegnete mir etwas, das – wie ich es nie, nie in meinem Leben vergessen werde – in diesem Augenblicke deutlich, wie in einer Art Verklärung vor mir steht. So sendet uns Gott oft in unserem größten Schmerze, in dem bittersten Krämpfe unserer gequälten Seele, einen Balsamtropfen, einen Trost, eine Beruhigung, und gibt uns damit ein Zeichen, daß er wacht, daß er sieht, daß er regiert.

Hören Sie die einfache Erzählung an, die Einleitung zu dem schrecklichsten Ereignisse, welches schon in nicht allzu weiter Entfernung über meinem Haupte schwebte.


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