Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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Räuber unter sich

Kordofan

Ein Harami (Räuber, Dieb) wurde häufig bei seinen Unternehmungen ergriffen und dann jedesmal drei oder vier Monate eingesperrt. Zuletzt wurde der Harami ganz traurig und sagte: »Bei dieser Sache kommt für mich nichts Gutes mehr heraus. Ich werde also das, was ich als Harami gelernt habe, in einem andern Beruf auszunutzen versuchen und werde ein Segelboot mieten. Auf den Segelbooten wird viel geraubt, und nun wird es sich ja zeigen, ob ich das, was ich als Räuber zum besten meiner Erwerbungen lernte, zur Erhaltung des Gutes anderer und somit zur Ernährung in anderer Weise nützlich anwenden kann.«

Der frühere Harami kaufte sich also ein Segelboot. Ein Kaufmann gab ihm viele Gefäße mit Butter, daß er sie weit weg auf dem Nil an einem fernen Hafenort abliefere. Der neue Raïs (Kapitän) belud sein Schiff und fuhr dann ab. Eines Nachts schliefen alle Leute des Raïs, nur er allein nicht. Es kamen fünf Harami. Die Harami besahen das Schiff und sahen nach allen Leuten. Der Schech der Harami sagte: »Die Leute schlafen alle. Wir können uns an die Arbeit machen.« Der Raïs dachte: »Nun werde ich sehen, ob ich etwas gelernt habe.« Der Raïs stellte sich auch schlafend.

Die Räuber stiegen also in das Schiff, hoben geräuschlos eine ganze Reihe Butterfässer heraus und trugen sie ans Land. Mit den fünf Lasten machten sie sich dann auf den Weg nach dem Hause ihres Hauptmanns. Der Raïs aber folgte ihnen leise, und als der Räuberhauptmann aufgeschlossen hatte und alle hineingingen, folgte er ihnen. Die Räuber stellten ihre Lasten nieder und gingen wieder. Der Raïs blieb aber im Hause des Hauptmanns in einem dunklen Winkel hinter der Tür. Als die andern Räuber gegangen waren, sagte der Hauptmann zu seiner Frau: »Frau, nimm den Schlüssel zu der kleinen Kammer hinten und leuchte mir. Ich will die Buttergefäße wegstellen.« Die Frau nahm die Schlüssel, und der Mann trug die Buttergefäße hinaus. Sie waren beide herausgegangen, und es war nun außer dem Raïs nur noch das ganz kleine Kind des Hauptmanns im Hause, das schlief. Der Raïs nahm das schlafende Kind, ging mit ihm von dannen und trug es in sein Schiff.

Nachdem der Räuberhauptmann mit seiner Frau die Buttergefäße in der kleinen Kammer weggestellt und den Raum verschlossen hatten, kamen sie wieder in das vordere Haus zurück und legten sich nieder. Dabei sah die Frau des Räuberhauptmanns nach ihrem Kind. Sie fand es aber nicht. Die Frau schrie auf. Der Räuberhauptmann fragte: »Was hast du?« Seine Frau sagte: »Unser Kind ist verschwunden.« Der Mann stand auch auf. Der Mann und die Frau suchten. Sie konnten nichts von dem Kind finden. Das Kind war nicht mehr im Hause. Die Frau weinte aber die ganze Nacht hindurch.

Am andern Morgen ging der Räuberhauptmann zu einem Freund und sagte: »Höre, mein Freund! Du mußt mir in einer ernsten Sache helfen.« Der Freund sagte: »Was ist es?« Der Räuberhauptmann sagte: »Gestern abend ist uns unser Kind gestohlen worden.« Der Freund sagte: »War denn deine Frau nicht bei dem Kind?« Der Räuber sagte: »Sie war nicht bei dem Kind. Sie war nur für kurze Zeit mit mir zu der kleinen Kammer gegangen, die hinter dem Hause ist.« Der Freund sagte: »Was habt ihr da in der Nacht gemacht?« Der Räuber sagte: »Das hat nichts damit zu tun.« Der Freund sagte: »Wenn du mir nicht alles sagst, was hiermit in Verbindung steht, kann ich dir auch nicht raten. Sage also genau, was ihr in der Zeit getan habt. Dann finden wir vielleicht, wo dein Kind zu suchen ist.« Der Räuber sagte: »Wenn du es denn wissen willst, werde ich dir also sagen, was wir taten. Du mußt aber als mein Freund die Sache für dich behalten.« Der Freund sagte: »Natürlich werde ich als dein Freund nicht weiter darüber sprechen. Du mußt mir aber sagen, was sich ereignet hat, damit ich den Zusammenhang finde.«

Der Räuber sagte: »Ich war mit einigen Freunden in der Nacht ausgegangen und habe auf einer Barke einige Gefäße mit Butter gefunden. Diese brachten wir in mein Haus. Nachdem meine Freunde gegangen waren, trugen meine Frau und ich die Buttergefäße in die kleine Kammer, und genau in der Zeit, während der meine Frau und ich in der kleinen Kammer waren, ist unser Kind gestohlen worden.« Der Freund sagte: »Ich kann an der Sache nichts Merkwürdiges finden.« Der Räuber sagte: »Mein Freund, weißt du, wo mein Kind ist?« Der Freund sagte: »Hat denn der Kapitän geschlafen, als er euch die Buttergefäße in der Nacht gab, oder hat er gewacht?« Der Räuber sagte: »Ich denke, er hat geschlafen.« Der Freund sagte: »Ich denke, er hat nicht geschlafen.« Der Räuber sagte: »Wie meinst du das?« Der Freund sagte: »Wenn der Kapitän im Schlafe die Buttergefäße gegeben hat, hat er euch vielleicht im Schlafe dafür das Kind genommen. Geh also, wenn du glaubst, daß der Kapitän jetzt wach ist, zu dem Kapitän und sprich mit ihm über die Buttergefäße und das Kind.« Der Räuberhauptmann sagte: »Ich will sehen.« Der Räuber ging.

Der Kapitän hatte das Kind in sein Schiff gebracht und hatte sich, als die Sonne aufging, von seinen Leuten eine Matte ans Ufer legen lassen und trank da eine Schale Kaffee. Der Räuberhauptmann kam, begrüßte ihn und setzte sich zu ihm.

Der Kapitän ließ dem Räuber eine Schale Kaffee reichen. Der Räuber trank ihn. Der Räuber sagte: »Ich habe heute nacht mein Kind verloren.« Der Kapitän sagte: »Das ist schlimm. Ist das Kind gestorben?« Der Räuber sagte: »Nein, es ist nicht gestorben; es ist gestohlen.« Der Kapitän sagte: »Das ist eigenartig. Uns ist in der gleichen Nacht ein gleiches Schicksal geworden. Mir ist in der Nacht ein Teil meiner Butterladung gestohlen.« Der Räuber sagte: »Wenn das Schicksal uns so gleichmäßig behandelt hat, wollen wir zusammen Freundschaft schließen.« Der Raïs sagte: »Du schlägst mir Freundschaft vor. Was willst du mir als Zeichen der Freundschaft erweisen?« Der Räuber fragte: »Was soll ich dir als Zeichen der Freundschaft erweisen?« Der Raïs sagte: »Denke einmal nach!« Der Räuber sagte: »Ich will versuchen, dir deine Buttergefäße wieder zu beschaffen.« Der Raïs sagte: »Siehst du, du verstehst mich!« Der Räuber fragte: »Was willst du mir denn als Freundschaftszeichen bieten?« Der Raïs sagte: »Wenn du mir meine Buttergefäße wieder beschaffen könntest, könnte ich dir vielleicht dein Kind wiederbringen!« Der Räuber sagte: »Das würde allerdings sehr gut sein. Ich bin damit einverstanden.« Der Raïs sagte: »Also gut! Da du die Freundschaft angeboten hast, bringst du erst die Butter. Erst die Buttergefäße, dann das Kind!« Der Räuber sagte: »Ich bin einverstanden.« Der Raïs sagte: »Mach aber schnell, denn ich will weiterfahren!«

Der Räuber brachte dem Raïs die Buttergefäße zurück. Der Raïs händigte dem Räuber das Kind aus. Der Räuber sagte: »Wie hast du nur mein Kind wiederfinden können?« Der Raïs sagte: »Wie hast du nur meine Buttergefäße wiederfinden können?« Der Räuber sagte: »Ja, ich will es nur sagen: ich bin ein Harami.« Der Raïs sagte: »Siehst du, mein Freund, und ich war früher der größte Harami am Nil.« Der Räuber sagte: »Dann verstehe ich es!« Seitdem wagte nie wieder ein Harami dem Raïs etwas zu stehlen.


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