Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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Aini

1 Aini-Lehrzeit

Kabylen

Zwei Burschen waren miteinander sehr befreundet, sie wohnten aber nicht in dem gleichen Dorf, sondern in zwei verschiedenen, die weit voneinander entfernt lagen. Der eine, Ahmar, sagte eines Tages zu dem anderen: »Wir wollen doch nicht mehr so weite Wege machen, wenn einer von uns dem anderen einmal etwas zu sagen hat. Wir wollen in das gleiche Dorf ziehen.« Der andere war einverstanden. Als die beiden Burschen heirateten, sagte Ahmar: »Wenn der eine von uns eine Tochter, der andere aber einen Jungen hat, dann sollen unsere Kinder sich heiraten.« Der andere war einverstanden.

Als sie nun einige Monate miteinander im gleichen Dorf gewohnt hatten, war es dem Ahmar leid geworden, daß er mit dem anderen das Abkommen der Verehelichung ihrer Kinder getroffen hatte. Als dem anderen nun also einige Zeit darauf ein Sohn, ihm aber ganz kurze Zeit darauf eine Tochter geboren wurde, da sagte er: »Meine Frau hat geboren. Ihr Kind soll Aini heißen. Aini ist ein Junge und kein Mädchen.« Darauf ließ der Vater den Aini in Jungenkleidern gehen, so daß alle Welt glaubte, Aini sei ein Junge.

Aini und der Sohn des anderen freundeten sich aber von Kindheit auf an. Der Junge und Aini trafen sich am Morgen bis zum Abend. Sie spielten zusammen. Sie aßen zusammen. Der Junge wußte stets, wo Aini war, und Aini wußte stets, wo der Junge war. Das nahm so seinen Fortgang, bis sie beide begannen heranzuwachsen.

Aini war ein recht großes Mädchen. Der Bursche spielte mit Aini. Eines griff das andere. Der Bursche packte Aini um die Schultern, griff ihr auf die Brust. Der Bursche sagte: »Aini, weshalb hast du eine so hohe Brust? Aini, sieh, meine Brust ist ganz flach.« Aini sagte: »Ich weiß es nicht, laß das!« Eine alte Frau kam vorbei. Sie lachte und sagte zum Burschen: »Dein Freund ist eben ein Mädchen.« Aini ging fort. Der Bursche folgte ihr. Aini ging in den Wald. Aini weinte. Aini setzte sich auf einen Baumstamm. Der Bursche setzte sich neben Aini. Sie sprachen miteinander. Sie schworen, sich einander später zu heiraten. – Von dem Tage an spielten Aini und der Bursche nicht mehr miteinander. Aini und der Bursche vermieden es, sich in Gegenwart anderer zu treffen. Die Leute sahen das.

Die Leute kamen zu Ainis Vater und sagten: »Höre, dein Sohn Aini ist nicht mehr so vergnügt wie früher. Aini drückt sich mit seinem Freund immer in den Winkeln umher. Die beiden Freunde sind so wie ein Bursch und ein Mädchen, die sich heiraten wollen.« Ahmar sagte bei sich: »Hooo! also so geht diese Freundschaft! Da will ich eine Änderung treffen.« Und Ahmar nahm Aini in eine Kammer und gab Aini Beschäftigung in der Kammer und erlaubte Aini nicht mehr, das Gehöft zu verlassen. Aini saß nun also immer daheim, und wenn der Bursche, Ainis Freund, an das Gehöft klopfte und fragte, ob er Aini nicht sprechen oder sehen könnte, wurde ihm stets gesagt: »Aini ist zu beschäftigt.«

Der Bursche ging aber abends um das Gehöft und horchte an den Mauern, um zu hören, in welcher Kammer Aini lebte. Nach kurzer Zeit wußte er, wo Aini wohnte, und als alle schliefen, warf er Steine in das Fenster. Ein Stein traf Aini. Aini erhob sich, sah zum Fenster heraus und erkannte den Burschen. Aini sprach mit dem Burschen. So sprachen sich Aini und der Bursche viele Tage lang jeden Abend, ohne daß die Eltern Ainis es gewahr wurden. Der Bursche sah aber, daß er auf diesem Wege Aini nicht zur Frau gewinnen würde.

Eines Abends kam der Bursche wieder an Ainis Fenster. Er warf ein Steinchen herein und Aini kam an das Fenster. Der Bursche sagte: »Aini, ich will heute Abschied nehmen. Ich will weggehen und sehen, ob ich es an einem anderen Ort zu etwas bringen kann, um dich nachher zur Frau gewinnen zu können. Wenn ich etwas Großes bringen kann (soll heißen eine hohe Brautgabe), dann wird dein Vater dich mir geben.« Aini sagte: »So glaube ich, wird es werden.« Der Bursche sagte: »Ich schwöre aber, daß wenn du stirbst, dann will ich auch sterben, und nun schwöre du mir, daß, wenn ich sterbe, du auch sterben willst. Wir wollen nur eines mit dem andern leben. Willst du mir das schwören?« Aini schwor. Aini und der Bursche nahmen Abschied.

Der Bursche ging am anderen Tage von dannen. Er ging so seiner Wege dahin; da traf er einen alten Mann. Der alte Mann fragte den Burschen: »Wo gehst du hin?« Der Bursche sagte: »Ich gehe dahin, wo ich Brot finde.« Der Alte sagte: »Dann komm mit zu mir. Ich will dein Vater sein. Sei du mein Sohn.« Der Bursche war einverstanden. Er zog zu dem älteren Mann. Der alte Mann war sehr freundlich zu ihm. Sprach mit ihm, aß mit ihm, sorgte für ihn. Eines Tages nun aber kam der Alte dazu, wie der Bursche mit den anderen Burschen des Dorfes spielte. Er hörte, wie der Bursche den Namen seiner Aini rief. – Nun hatte der Alte vor einigen Jahren aber wieder geheiratet, und seine junge Frau hieß Aini. Als der Alte nun hörte, daß der Bursche »Aini« rief, glaubte er, damit meine er seine eigene junge Frau.

Da wurde der Alte mißtrauisch. Er war nun nicht mehr freundlich zu dem Burschen und sprach nun überhaupt nicht mehr mit ihm. Er ließ den Burschen seine Wege gehen. Der Bursche sagte bei sich: »Es ist hier nicht mehr wie früher, ich will weitergehen und werde es an einem anderen Ort versuchen. Vorher will ich aber noch einmal zum Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es Aini geht.«

Der Bursche ging zu dem Alten und sagte: »Ich möchte morgen einmal in das Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es da steht.« Der Alte sagte: »Ich werde dich begleiten, denn ich will dort Öl einkaufen.« Sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie nahe dem Dorfe des Burschen waren, kamen sie über den Kirchhof. Sie sahen da ein neu errichtetes Grab. Der Alte fragte einen Hirten, der am Kirchhof seine Herde weidete: »Wer ist hier begraben?« Der Hirt sagte: »Sie haben hier soeben das Mädchen Aini begraben, das gestern gestorben ist.«

Der Bursche sagte bei sich: »Nun ist also Aini gestorben und begraben. Nun will ich auch sterben.« Der Bursche sagte zu dem Alten: »In unserem Lande begraben sie die Toten anders als in eurem. Ich will es dir zeigen. Komm, wir wollen einmal die Steinplatten aufheben.« Der Bursche hob die Steinplatten auf. Aini lag tot in der Grube. Der Bursche sagte: »Nun bist du tot, Aini; ich werde aber kommen.« Der Bursche legte sich zu der toten Aini in die Grube und sagte zu dem Alten: »Nun decke die Platten wieder über das Grab. Geh dann hin und kaufe dein Öl ein. Kehr du dann heim zu deiner Aini. Ich aber werde hierbleiben bei meiner Aini.« Da deckte der Alte das Grab zu und ging in den Ort, um Öl einzukaufen.

Am Tage, nachdem Aini begraben war, kam Asrain (der Richtengel), um über die verstorbene Aini zu richten. Als er an das Grab Ainis kam, fand er aber neben der toten Aini den lebenden Burschen. Da sagte Asrain zu dem Burschen: »Was tust du neben der toten Aini? Du lebst! Mit dir habe ich nichts zu tun. Geh von der toten Aini und aus dem Grabe.« Der Bursche sagte: »Es ist mir alles gleich. Aini ist gestorben. Nun will ich auch sterben. Ich bleibe hier im Grabe bei Aini.«

Asrain kehrte um und ging zu Gott. Asrain sagte: »Etwas Derartiges ist mir noch nicht vorgekommen. Ich ging hin, um die tote Aini aufzusuchen, und fand neben der toten Aini einen lebenden Burschen, und der Bursche sagte, Aini sei gestorben, nun wolle er auch sterben. Der Bursche will das Grab nicht verlassen.« Gott hörte es und sagte zu Asrain und dem Burschen: »Dieser Bursche hatte noch vierzig Jahre zu leben. Wenn er nun hiervon Aini die Hälfte abgeben will, so wird er nur noch zwanzig Jahre leben, aber Aini wird auch noch zwanzig Jahre leben.« – Der Bursche lachte im Grabe. Aini schlug die Augen auf. Aini sah den Burschen neben sich. Aini sagte: »Ich danke dir!«

Am anderen Tage kam der Alte vom Ölkauf zurück. Er sagte, als er in die Nähe des Grabes kam: »Ich möchte doch wissen, ob der Bursche, der sich zu der toten Aini ins Grab gelegt hat, noch lebt, oder ob er auch gestorben ist.« Er ging zu dem Grab, legte sein Ohr an die Platten und horchte. Da hörte er, daß der Bursche mit Aini sprach. Der Alte sagte: »Sie leben beide.« Der Alte nahm die Steinplatten auf. Aini und der Bursche lachten. Aini und der Bursche stiegen aus dem Grab, dankten dem Alten und verabschiedeten sich von ihm. Aini und der Bursche gingen von dannen.

Der Bursche sagte: »Aini, wir wollen weitab von den anderen Menschen im Wald uns ein Haus bauen und da die zwanzig Jahre, die uns zu leben erlaubt sind, verbringen.« Aini war einverstanden. Der Bursche baute im Wald ein Haus, das war stark und fest und hatte sieben Türen, so daß von außen niemand hereinkam, wenn es zugeschlossen war. In dem Haus wohnte der Bursche mit Aini. Tagsüber ging der Bursche auf die Jagd und schloß stets die sieben Türen ab. Aini konnte dann nicht aus dem Haus heraus, und es konnte außer dem Burschen, der den Schlüssel hatte, auch niemand in das Haus herein. Aini saß dann aber am Fenster und blickte in den Wald oder zum Himmel empor.

Eines Tages kamen zwei Jäger, die der Agellid der benachbarten Ortschaft täglich zur Jagd sandte, an dem Hause der Aini vorbei. Sie sahen zum Fenster empor und sahen Aini. Sie blieben stehen und betrachteten Aini. Aini war so schön, daß die Jäger sich von dem Anblick nicht trennen konnten. Sie gingen nicht weiter zur Jagd, sondern blieben bis zum Abend stehen und betrachteten Aini. Erst abends kehrten sie in das Dorf des Agellid zurück. Der Agellid fragte die Jäger: »Weshalb kommt ihr heute ohne Jagdbeute zurück?« Die Jäger sagten: »Wir kamen im Wald an einem Hause vorbei. Eine Frau sah zum Fenster heraus, die war so schön, daß wir uns nicht entfernen konnten, sondern sie immer anschauen mußten. Keiner von uns beiden hätte vorher geglaubt, daß es etwas so Schönes auf der Erde gibt. Auch du, Agellid, hast nie etwas so Schönes gesehen.« Der Agellid sagte: »Ich werde morgen mit euch gehen und sehen, ob ihr die Wahrheit gesprochen habt. Dann will ich euch verzeihen, daß ihr heute so lässig wart.«

Am anderen Tage ließ der Agellid sich von den Jägern den Weg zu dem Hause Ainis zeigen. Der Agellid kam zum Hause Ainis. Aini sah zum Fenster hinaus. Aini sah, daß der Agellid ein sehr schöner Mann war. Der Agellid sah Aini und blieb stumm. Er schaute Aini an und konnte nichts sagen. Er blieb bis zum Abend stehen. Als es Abend war, sagte Aini: »Mein Mann wird sogleich von der Jagd nach Hause zurückkehren. Wenn er dich trifft, wird er dich töten.« Der Agellid sagte: »Kann ich dich nicht einmal besuchen?« Aini sagte: »Mein Mann schließt das Haus jeden Tag mit den Schlössern an den sieben Türen ab; es kann daher niemand hinein. – Geh jetzt, mein Mann wird sogleich kommen.« Der Agellid ging.

Der Agellid rief am anderen Tage alle Männer seines Dorfes zusammen und sagte: »Grabt mir ein Loch und einen Gang in dieser Richtung.« Der Agellid ließ vom Boden seiner Kammer aus einen Gang graben, der bis unter die Kammer Ainis unter dem Hause im Wald führte. Als der Bursche eines Morgens in den Wald zur Jagd gegangen war und die sieben Schlösser an den sieben Türen hinter sich abgeschlossen hatte, kam der Agellid durch den Gang und trat in die Kammer Ainis. Aini erschrak und fragte: »Weshalb bist du gekommen?« Der Agellid sagte: »Deine schöne Gestalt hat mich hierher geführt.« Aini sagte nichts mehr. Aini sah wieder, daß der Agellid ein schöner, starker Mann war. Der Agellid führte Aini zu ihrem Lager. Der Agellid legte sie nieder. Aini sagte nichts. Der Agellid beschlief Aini. Aini sagte nichts. Der Agellid lag ihr mehrmals bei. Aini sagte: »Nun geh, denn mein Mann kommt bald wieder. Schließe Freundschaft mit meinem Manne.« Der Agellid ging.

Am anderen Tage begab sich der Agellid auf die Jagd. Der Agellid traf den Burschen und sah ihm eine Weile zu. Dann sagte er: »Du scheinst die Jagd ausgezeichnet zu können.« Der Bursche sagte: »Ich verstehe einiges davon.« Der Agellid sagte: »Lehre mich die Jagd. Alles was ich so erlege, soll dein sein.« Der Bursche jagte mit dem Agellid den Tag über. Sie gewannen viel Beute. Der Agellid gab seinen Anteil dem Burschen. Der Bursche kehrte mit reicher Beute heim. Aini sah, daß ihr Mann mehr Beute heimbrachte als sonst und fragte: »Woher kommt es, daß du heute so großen Erfolg hast?« Der Bursche sagte: »Unterwegs traf ich einen Agellid, mit dem jagte ich. Ich zeigte ihm alles. Da ließ er mir seinen Anteil an der Beute.« Aini sagte: »Das ist ein guter Verkehr für dich. Diesen Umgang solltest du pflegen.«

Der Bursche traf an einem anderen Tag den Agellid wieder im Wald. Der Agellid sagte: »Wir wollen heute einmal nicht jagen. Komm zu mir in mein Dorf und in mein Haus. Wir wollen zusammen spielen.« Der Bursche war einverstanden. Der Agellid führte den Burschen in seine Kammer und spielte mit dem Burschen Jammut (Dame). Der Bursche paßte gut auf. Der Agellid verlor im Anfang des Spiels. Der Agellid verlor weiterhin noch mehr. Der Agellid verlor alles, was er besaß. Es blieb dem Agellid nichts übrig. Der Bursche ging wieder nach Hause.

Als der Bursche am anderen Tage zur Jagd gegangen war, kam der Agellid durch den Gang unter der Erde zu Aini und sagte: »Ich habe gestern mein ganzes Vermögen an deinen Mann im Jammutspiel verloren.« Aini sagte: »Ich werde es einrichten, daß du alles wiedergewinnst. Lade dir meinen Mann morgen noch einmal zum Spielen ein.« Der Agellid sagte: »So werde ich all das Meine verlieren.« Aini sagte: »Das soll meine Sache sein.«

Am anderen Morgen traf der Agellid wieder den Burschen im Walde. Der Agellid sagte: »Komm noch einmal mit zu mir. Ich habe noch einiges zum Spielen.« Der Bursche sagte: »Warte, ich will nur schnell meine Waffen nach Hause tragen, dann komme ich.« Der Bursche ging nach Hause, schloß das Haus auf, ging hinein, hängte die Waffen an den Haken an der Wand und ging. Er schloß die sieben Türen, kehrte zu dem Platze im Wald zurück, an dem er den Agellid zurückgelassen hatte, und sagte: »Ich bin bereit. Wir können zu dir gehen und wieder Jammut spielen.« Der Agellid und der Bursche machten sich auf den Weg in das Dorf.

Als der Bursche die sieben Türen von draußen abgeschlossen hatte, um den Agellid im Walde wieder zu treffen, ergriff Aini die Waffen, die der Gatte eben an die Wand gehängt hatte, nahm sie herab und rannte mit ihnen fort durch den Gang. Sie kam durch den Gang in die Kammer des Agellid. Sie hängte die Waffen an die Wand, und zwar gerade gegenüber dem Platz, an dem der Gast sitzen mußte, also im Rücken des Platzes des Agellid. Dann lief Aini wieder davon.

Nachdem Aini einige Zeit fort war, kam der Agellid mit dem Burschen vom Walde her in seinem Dorf an. Der Agellid führte den Burschen in seine Kammer und sagte: »Setze dich nieder, ich werde das Jammut holen.« Der Bursche setzte sich. Er sah auf. Er sah zu der Wand, die ihm gegenüber war. Er sagte bei sich: »Das sind doch meine Waffen!« Er sagte bei sich: »Das können ja nicht meine Waffen sein, denn meine Waffen habe ich eben bei mir zu Hause an die Wand gehängt, und dann habe ich die sieben Türen hinter mir verschlossen. Die Schlüssel habe ich aber bei mir in der Tasche. Es können nicht meine Waffen sein!« – – Der Agellid kam zurück.

Der Agellid sagte: »Hier ist das Jammut. Nun wollen wir spielen.« Der Agellid spielte. Der Bursche spielte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel. Der Bursche dachte: »Das sind doch meine Waffen. Das können nicht meine Sachen sein.« Der Bursche spielte schlecht. Der Bursche sah nach der Wand. Er sah nach den Waffen. Der Bursche verlor mehr und mehr. Er dachte immer: »Das sind meine Waffen! Das können nicht meine Sachen sein.« Der Bursche verlor alles, was er gestern dem Agellid abgewonnen hatte. Der Bursche stand auf und ging. Er machte sich auf den Heimweg durch den Wald.

Als der Bursche weggegangen war, kam Aini durch den Gang, nahm die Waffen von der Wand und trug sie in ihr Haus, das durch sieben Schlösser an sieben Türen geschlossen war. Aini hängte die Waffen zu Hause so an die Wand, wie der Bursche sie hingehängt hatte, ehe er zu dem Agellid zum Spielen ging. – Nach einiger Zeit kam der Bursche zu seinem Haus. Er öffnete die sieben Schlösser an den sieben Türen und trat hinein. Er schaute an die Wand, dahin, wo er heute morgen seine Waffen aufgehängt hatte, und sah, daß sie noch ebenso dort hingen. Der Bursche schlug sich vor die Stirn und sagte: »Ich war ein Narr! Ich war ein Narr!« Aini fragte: »Was hast du, was ist dir? Wo warst du?« Der Bursche sagte: »Ich war bei dem Agellid und spielte mit ihm Jammut. Es hingen da Waffen an der Wand, die sahen aus wie die meinigen. Da dachte ich immer an die Waffen und nicht an das Spiel. So kam es, daß ich alles, was ich dem Agellid gestern im Spiel abgewonnen hatte, heute wieder an ihn verloren habe.«

Aini sagte: »Dann mußt du eben morgen noch einmal mit dem Agellid spielen und mußt sehen, ob du das heute Verlorene nicht noch einmal wiedergewinnen kannst. Denke nur morgen nicht an deine Sachen und nicht an mich. Denke immer nur an das Spiel. Dann wirst du schon gewinnen.« Der Bursche sagte: »Du hast recht. Ich werde es versuchen.« Am andern Morgen ging er in den Wald, dahin, wo er den Agellid traf, und sagte: »Wollen wir heute jagen oder spielen?« Der Agellid sagte: »Mir ist es gleich.« Der Bursche sagte: »Dann wollen wir heute noch einmal spielen. Warte, ich trage meine Waffen schnell nach Hause und komme dann wieder hierher.« Der Bursche lief nach Hause, hängte seine Waffen an die Wand, sagte Aini Lebewohl und verschloß, hinausgehend, die Türen eine nach der anderen hinter sich. Dann ging er in den Wald, holte am Treffpunkt seinen Freund, den Agellid, ab und ging mit ihm in sein Dorf und in seine Kammer. Der Agellid sagte: »Setze dich, ich gehe und hole das Jammut.« Der Agellid ging. Der Bursche schaute sich im Zimmer um. Es war nichts da, was ihn störte. Der Bursche sagte: »Heute werde ich an nichts anderes denken als an das Spiel. Ich will heute dem Agellid alles Seine abgewinnen.«

Der Agellid kam mit dem Jammut. Er setzte sich. Sie begannen zu spielen. Der Bursche dachte nur an das Spiel. Der Bursche gewann. Er hatte schon einen Teil des Besitzes des Agellid wiedergewonnen, als Aini durch den Gang aus ihrem Hause kam. Sie trat in die Kammer, in der der Agellid mit ihrem Manne spielte. Sie setzte schweigend den Tee zwischen beide Männer und ging wieder hinaus. Dann eilte sie durch den Gang wieder in ihr eigenes durch sieben Schlösser an sieben Türen verschlossenes Haus. Der Schatten Ainis fiel, als sie den Tee niedersetzte, auf die Hände des Burschen. Er schlug die Augen auf und sah Aini. Er sagte bei sich: »Es ist nicht möglich.« Er sagte bei sich: »Es muß Aini gewesen sein.« Er blickte auf. Aini war wieder gegangen. Der Bursche dachte: »Das muß Aini gewesen sein. Ich habe sie doch aber in dem Hause mit den sieben Schlössern an den sieben Türen eingeschlossen gehalten. Nein, es kann nicht Aini gewesen sein.« Der Bursche dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agellid begann mehr und mehr zurückzugewinnen. Der Bursche dachte nur noch: »War das Aini, oder war das nicht Aini?« Er dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agellid gewann alles Seine zurück. Er begann dem Burschen das abzugewinnen, was diesem gehörte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel, er dachte nur: »War das Aini, oder war das nicht Aini?« Der Bursche verlor alles, was ihm gehörte. Es blieb ihm nichts mehr, und der Agellid hatte nun nicht nur das Seine gerettet, sondern das Vermögen des Burschen dazugewonnen. Der Bursche ging. Der Bursche lief aus dem Dorfe nach Hause. Der Bursche besah die Schlösser an den sieben Türen. Sie waren alle gut verschlossen. Der Bursche betrat das Haus. Er sah Aini, die auf ihrem Lager ausgestreckt war. Er schlug sich vor die Stirn und sagte: »Du Narr, du Narr, du Narr!«

Aini fragte: »Was hast du? Hast du das Vermögen des Agellid zurückgewonnen?« Der Bursche sagte: »Nein, ich habe es nicht zurückgewonnen. Ich bildete mir ein, dich im Hause des Agellid zu sehen, und ich dachte nur noch, ob du dort sein könntest oder nicht, und so verlor ich nicht nur das, was ich dem Agellid schon wieder abgenommen hatte, sondern ich verlor noch mein ganzes Vermögen dazu.« Aini sagte: »So besitzt der Agellid nun dein und sein Vermögen?« Der Bursche sagte: »So ist es.« Aini sagte: »Du hast verspielt.«

Am anderen Tage ging der Bursche zur Jagd. Kaum war er fortgegangen und hatte die Türen abgeschlossen, so kam der Agellid durch den Gang zu Aini. Aini sagte: »Du hast nun meinem Mann alles abgewonnen und bist nun wohlhabender als früher?« Der Agellid sagte: »So ist es.« Der Agellid sagte zu Aini: »Komm mit mir. Dein Mann hat nun nichts mehr. Komm als meine Frau mit zu mir.« Aini ging mit dem Agellid. Der Agellid brachte Aini in sein Haus.

Der Bursche kam am Abend von der Jagd zurück. Er öffnete die Türen und rief: »Aini!« Aini antwortete nicht. Er rief nochmals und nochmals. Der Bursche suchte Aini im ganzen Hause. Er fand Aini nicht. Er setzte sich auf Ainis Lager und sagte: »Das hat der Agellid getan. Aini ist zu ihm gegangen.« Der Bursche dachte nach. Der Bursche sagte: »Ich habe ihr zwanzig Jahre meines Lebens gegeben. Ich werde sie ihr wieder nehmen.«

Der Bursche schloß sich ein. Er blieb vierzig Tage eingeschlossen. Während vierzig Tagen kam er nicht aus seinem Hause. Vierzig Tage lang sah er nicht die Sonne. Vierzig Tage lang aß er nichts und trank er nichts. Nach diesen vierzig Tagen erkannte niemand ihn wieder. Er war ganz mager. Die Augen waren leer. Er ging gebückt. Er sah aus wie ein Toter. Er sah nicht mehr aus wie ein Lebender. Nach vierzig Tagen kam der Bursche aber aus dem Hause. Er öffnete die sieben Türen, trat vor sein Haus und sagte: »Ich werde mir die zwanzig Jahre wiedergeben lassen, und es soll kein Jahr vergehen, ohne daß ich mich nicht sattgegessen hätte an den besten Gerichten, die Gott der Erde gegeben hat. Es scheint so, daß Gott seine besten Gerichte nicht dem Ehrlichen gibt, sondern den Klugen. Da mich Gott aber nicht dumm gemacht hat, sondern klug, so darf ich meinen Löffel so gut in die besten Gerichte stecken wie andere.«

Der Bursche sah so elend aus, daß niemand ihn wiedererkannte. Der Bursche kam zu dem Agellid. Der Agellid erkannte ihn auch nicht wieder. Der Bursche sagte: »Darf ich bei dir arbeiten?« Der Agellid sagte: »Du wirst zu schwach sein zur Arbeit.« Der Bursche sagte: »Ich war nur kank. Laß mich nur einige Zeit arbeiten und mich sattessen, dann wird mein Zustand sich ändern.« Der Agellid stellte den Burschen an. Der Bursche arbeitete und nährte sich. Nach einiger Zeit sah er schon besser aus.

Der Bursche arbeitete einen Monat lang bei dem Agellid. Da sah er frischer und stärker und schöner aus als früher. Alle Frauen und Mädchen sahen ihm nach. Er arbeitete dann noch einen Monat und sättigte sich und ward so schön und stark, daß niemals vorher ein so schöner und starker junger Mann auf der Erde gewesen war.

Die Mutter des Agellid kam zu dem Burschen auf den Acker und sagte: »Mein Bursche, besuche mich heute nacht auf meinem Lager!« Der Bursche sagte: »Ich will das schon ganz gerne tun. Ich fürchte mich nur vor dem Agellid! Dein Sohn wird es merken, und er wird mich töten. Ja, wenn dein Sohn tot wäre, dann könnte ich dich ja überhaupt heiraten.« Die Mutter des Agellid sagte: »Dann hätte ich dich für immer.« Der Bursche sagte: »Ja, dann hättest du mich für immer.« Die Mutter des Agellid sagte: »Ich werde dann meinen Sohn gleich heute abend mit dem Abendessen vergiften. Iß du also von dem Brei nicht!«

Abends saß der Bursche beim Agellid. Das Essen wurde hereingebracht. Der Agellid nahm seinen Löffel und schöpfte aus dem Brei. Der Agellid wollte den Löffel zum Munde führen. Der Bursche hielt seinen Arm fest und sagte: »Warte, iß dies noch nicht. Rufe erst deinen Hund und gib diesen Brocken deinem Hunde.« Der Agellid tat es. Der Hund fraß und starb auf der Stelle. Der Agellid erschrak und sagte: »Wie ist das denkbar? Meine Mutter macht doch selbst meine Speisen!« Der Bursche sagte: »Warte, ich habe zuerst gelernt, jetzt lerne du zu zweit. Weißt du, wer ich bin?« Der Agellid sagte: »Was soll das? Du bist mein Arbeiter.« – Der Bursche schüttelte den Kopf.

Der Bursche sagte: »Du irrst dich. Ich bin nicht dein Arbeiter, sondern ich bin dein Lehrer, und außerdem bin ich der Mann der Aini.« Der Agellid wollte aufspringen und seine Waffen holen. Der Bursche sagte: »Laß das. Hätte ich mich an dir für den Raub der Aini rächen wollen, so hätte ich dich doch nur die vergiftete Speise, die deine Mutter bereitet hat, um dich zu töten und mich nachher heiraten zu können, essen zu lassen brauchen. Ich habe das aber nicht getan. Ich will mich nicht rächen. Ich will auch deine Mutter nicht heiraten. Ich will nur die Jahre zurückerstattet haben, die ich Aini geschenkt habe. Ich verlange Aini von dir. Ich will dich aber nicht töten. Du hast nun das gleiche erlebt mit deiner Mutter, was ich mit Aini erlebt habe. Gib mir beide Frauen. Ich will sie verbrennen.«

Der Agellid gab dem Burschen Aini. Er gab ihm seine Mutter. Der Bursche entzündete ein großes Feuer. Der Bursche sagte zu Aini: »Ich habe dir, als du gestorben warst, die Hälfte meines Lebens, ich habe dir zwanzig Jahre gegeben. Als Dank dafür bist du von mir gelaufen und zu dem gegangen, der reich und Agellid war, während ich noch ein armer Jäger war. Du hast die zwanzig Jahre, die ich dir geschenkt habe, nicht so verwendet, wie wir beide es uns seinerzeit zugeschworen haben. Deshalb verlange ich von dir jetzt die zwanzig Jahre zurück. Das ist alles.« Der Bursche verbrannte Aini und die Mutter des Agellid.

Dann ging der Bursche in ein anderes Land.


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