Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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Siga Sanke

Sahel

Siga Sanke wohnte in dem Dorfe Söina in Kaarta. Er lebte zur Zeit des Königs Njagaleng Gara, eines stolzen Massassi, der damals über Kaarta herrschte. Zuerst war er mit dem König sehr befreundet. Er reiste im Lande umher, besuchte die einzelnen Dugutigis und kam dann gewöhnlich mit der Nachricht zurück: »Der und der ist gar kein treuer Untertan, gib mir Soldaten, ich will ihn in deinem Namen züchtigen.« Anfangs dachte der König nichts Schlimmes dabei und freute sich über den treuen Sinn Siga Sankes, aber dann fand er, daß jener ein schlimmer und gefährlicher Schmeichler sei, und darauf zog er seine Gnade von ihm.

Siga Sanke zog sich darauf eiligst in sein Dorf Söina zurück und begann ein ruhmrediges und prahlerisches Wesen anzunehmen. Seine Stadt war sehr fest. Vor einem der Tore hatte er unter vier Bäumen eine Galla (eine Plattform) errichten lassen, auf der standen am Abend zwölf Männer mit Trommeln und schlugen den Takt, während unten das Volk tanzte. Siga Sanke hatte Freundschaft geschlossen mit einem Schmied Numuka Boji, mit dem trank er, während draußen die Trommeln den Takt rührten, Honigbier, und dazu sangen ihm zwei Frauen. Die eine war Siga Sankes Frau, die sang: »Siga Sanke de firina mogo je« (Siga Sanke schlägt sich mit vielen). Darauf antwortete die zweite, das war seine Schwester: »Siga Sanke mogo Bammana ndo nde« (kein Bammana gleicht Siga Sanke). Sie sangen mit Gitarrebegleitung.

Siga Sanke trank viel. Er nahm einmal eine Kalebasse, die frisch gefüllt war. Er setzte sie an und trank sie aus. Er beugte sich so weit zurück, daß seine Mütze herunterfiel. Er sagte zu Numuke Boji: »Wenn du nichts Schlechtes tust, wirst du nie bekannt werden.« – So lebte er in ständiger Betrunkenheit. Einmal hörte er, daß der Sohn des Königs Njagaleng Gara im Lande umherreiste. Da rief er seine Leute und sagte ihnen: »Geht dahin, wo der Königssohn ist und schlagt ihn tot!« Die Leute gingen hin und taten es.

 

Söina war ein großes Dorf mit sieben Toren. Es war ein Ort, der sehr schwer einzunehmen war. Siga Sanke kam sehr selten heraus, nämlich nur zweimal im Jahr; einmal, wenn die Äcker neu bestellt wurden zu Anfang der Regenzeit, um die Bestellung zu besichtigen. Und einmal, wenn die Ernte reif, um die Frucht zu besichtigen. Als er nun den Königssohn hatte erschlagen lassen, ließ er eines Tages zwölf Dialli kommen und ließ sie auch auf der Galla Platz nehmen, damit sie die Trommler ablösten. Dann stellte er eines Tages, nachdem der Königssohn ermordet war, und die zwölf Dialli neben den Trommlern spielten, vier große, mit Gold gefüllte Tabaksbüchsen auf den Boden in der Mitte des Platzes.

Siga Sanke trank.

Er drehte sich um und sagte: »Wer ist da?« Ein Sklave antwortete: »Ich bin da.« Siga Sanke sagte: »Komm!« Der Sklave kam heran. Siga Sanke nahm eine der Tabaksbüchsen voll Gold und sagte: »Nimm dies Gold, bringe es zum König von Segu und sage dem König Daga, daß mich der König Njagaleng Gara von Kaarta in einem Monat angreifen will und daß er sich schon zum Kriege vorbereitet. Sage ihm, daß, wenn er in einem Monat kommt und mir im Krieg beisteht, daß ich ihm dann in Zukunft Tribut zahlen will.« Der Bote ging mit dem Gold von dannen.

Siga Sanke trank. Er drehte sich um und sagte: »Wer ist da?« Der Sklave sagte: »Ich bin da.« Siga Sanke sagte: »Komm!« Der Sklave kam heran. Siga Sanke nahm eine mit Gold gefüllte Tabaksbüchse, gab sie dem Boten und sagte: »Nimm das und bringe das zum König Njagaleng Gara. Sage ihm, ich hätte ihm zwar schweres Unheil zugefügt. Aber es täte mir sehr leid. Er solle mir vergeben. Sagt ihm ferner: In einem Monat wolle der König von Segu gegen meine Stadt zu Felde ziehen, um mich zu unterwerfen. Da ich nun früher befreundet gewesen sei mit dem König von Kaarta, sei es doch richtiger, ich zahle an ihn Tribut. Er solle also eine Kolonne entsenden, die dem Heerhaufen von Segu Trotz bieten könne.« Der Bote nahm die Tabaksbüchse voll Gold und ging von dannen.

Siga Sanke trank. Er wandte sich um. Er sagte: »Wer ist da?« Ein Sklave sagte: »Ich bin da.« Siga Sanke gab ihm die dritte der mit Gold gefüllten Tabaksbüchsen und sagte: »Nimm das und bringe es zum König Amadu-Amadu von Massina. Sage ihm, im folgenden Monat wollten mich die Leute von Scharo angreifen und meine Stadt erobern. Da wäre es mir lieber, dem König Amadu-Amadu von Massina Abgaben zu zahlen. Er solle also im kommenden Monat mit einem starken Heerhaufen hierherkommen, um mich zu schützen.« Der Bote nahm die Tabaksbüchse mit Gold und ging von dannen.

Siga Sanke trank. Er wandte sich um. Er sagte: »Wer ist hier?« Der Sklave sagte: »Ich bin da.« Siga Sanke sagte: »Komm!« Der Sklave kam heran. Siga Sanke nahm die vierte Tabaksbüchse voll Gold, gab sie ihm und sagte: »Nimm dieses, bringe es zum König von Scharo. Sage dem König Bina Salogo Traore, daß der König von Massina eine starke Mannschaft vorbereite, die meine Stadt angreifen und überwinden soll. Sage ihm, daß er einen starken Heerhaufen rüsten möchte, um ihn im nächsten Monat mir zu Hilfe zu senden. Denn ich zöge es vor, dem König Bina Salogo Traore von Scharo eine Abgabe zu zahlen, statt ein Vasall des Königs von Massina zu werden.« Der Bote nahm seine Tabaksbüchse voll Gold und ging von dannen.

Am anderen Tage rief Siga Sanke alle seine Mannen zusammen und forderte sie auf, die Mauer zu verstärken und höher zu machen. Er ließ die Frauen zusammenrufen und ihnen sagen, sie sollten für den nächsten Monat viel Hirsebier bereiten.

 

Als der nächste Monat gekommen war, stieg er abends mit den zwölf Dialli und den beiden Frauen auf das Dach eines Hauses und begann ein fröhliches Zechgelage. Er ließ die sieben Tore der Stadt schließen und nahm die Schlüssel an sich. Die Dialli spielten. Die Frauen sangen. Siga Sanke trank.

In dieser Nacht kamen die Ton-jong (Auxiliartruppen) von Segu an und schrien ihr: »Daga! Daga!« Dann trafen die Heerhaufen von Kaarta ein und riefen ihr: »Dese! Laba! Dunkoro! Mussira!« (Das waren die alten Hauptleute in Kaarta.) Sie fielen übereinander her, und die Mannschaften aus Segu und die aus Kaarta begannen in dieser Nacht ein mörderisches Gefecht.

In derselben Nacht kamen die Truppen des Königs von Massina vor den Toren der Stadt Söina an. Es trafen aber auch die Mannschaften aus Scharo ein. die der König Bina Salogo Traore gesandt hatte, und als sie das »Amadu-Amadu« der Massinaleute hörten, da fielen sie über jene her, und auch hier hob in dunkler Nacht ein Streiten und Kämpfen an, bei dem kein Leben geschont wurde.

Als aber der andere Tag nahte und die Sonne aufging, da waren auf beiden Seiten alle Tapferen gefallen, und rings um die Stadt lagen die Leichen von Pferden und Kriegern. Als die Sonne aufging, sagte Siga Sanke zu den Trommlern: »Nun hört auf!« Er sagte zu den Dialli: »Nun hört auf!« Er stieg auf das Dach des höchsten Hauses, sah über all die Toten hin und rief: »Ihr vier Scharen von Kämpfern! Ich habe euch alle vier kommen lassen, ihr seid alle vier gekommen. Ihr habt diese Nacht hindurch kräftig gekämpft. Ihr habt eure besten Männer verloren. Wißt ihr, weshalb ich das tat? Ich tat das, um meine Felder zu düngen. Und meine Felder sind jetzt von gutem Blute und mit den Leichen Tapferer gedüngt. Meine Ernte wird gut werden.« Dann rief er den Schmied Boji und sagte: »Schlage gegen die Mauern, daß man am Klang höre, ob sie gut oder schlecht sind.« Der Schmied Boji schlug dagegen und sagte: »Sie sind gut!« Siga Sanke rief den Kämpfern zu: »Ihr habt den Klang gehört. Die Mauern sind gut. Das kommt davon, daß meine Männer alte Hosen anzogen, daß meine Frauen alte Stoffe umhängten, als sie die Mauern bauten. Sie arbeiteten nicht mit neuen Kleidern, sondern in alten, und da griffen sie gut zu. Ich selbst gehe ja jedes Jahr nur zweimal aus der Stadt, ihr könnt aber selbst die Männer für die ausgezeichnete Arbeit beim Mauerbau bezahlen.«

Alle zogen ab. Sira Bo, der Bruder des Königs von Kaarta und Heerführer der vom König Njagaleng Gara gesandten Mannschaft, war der letzte vor den Toren Söinas. Siga Sanke rief seinen Leuten zu: »Verhöhnt ihn!« – Darauf schrien alle Leute Siga Sankes: »Ho, Sira Bo! Ho, Sira Bo! Ho, Sira Bo!« Sie schrien es dreimal. Sira Bo rief: »Heute lachst du mich aus, Siga Sanke! Aber eines Tages werde ich es sehen, daß du Zähne spuckst.« Dann sandte Sira Bo an Siga Sanke eine Botschaft und ließ sagen: »Geh in ein anderes Land und verlaß Söina! Früher hat meine Mutter dort ihren Garten gehabt. Dies Land gehört den Massassi!« Dann zog auch er von dannen.

 

Als die nächste Regenzeit begann, beschloß Siga Sanke einen großen Acker zwischen Söina und der Stadt des Königs Njagaleng Gara anzulegen. Er ließ das Gebüsch und die Bäume an jenem Ort schlagen und beschloß dann selbst hinzureiten, die Arbeit und den Platz zu besichtigen, denn er hatte ja die Gewohnheit, zweimal im Jahr die Tore Söinas zu verlassen. Sira Bo hatte aber zwei Ritter ausgesandt und ihnen gesagt: »Geht nach Söina und achtet darauf, wann Siga Sanke Söina verläßt. Sobald ihr es erfahrt, kommt schleunigst und sagt es mir!« Die beiden Aufpasser hörten nun, daß Siga Sanke beabsichtige, das Feld zwischen Söina und der Stadt des Königs zu besichtigen, und sie jagten eilig zu Sira Bo und sagten: »Morgen wird Siga Sanke sein Feld besichtigen. Siga Sanke hat dies Feld Kulanieni oder Bolanieni (er sucht Bo) genannt.« Sogleich machte sich Sira Bo auf den Weg und umstellte das Land im weiten Umkreis.

Siga Sanke bestieg am anderen Morgen sein Pferd und ritt mit einigen Leuten nach dem Feld Bolanieni. Dort stieg er ab und ging umher. Kaum sah das der versteckte Sira Bo, so rief er seinen Leuten zu: »Schließt den Kreis, aber tut dem Siga Sanke nichts. Ich will ihn vor mir hertreiben.« Siga Sanke hörte das. Er sah die Gefahr. Er stürzte auf sein Pferd zu, um aufzuspringen und zu fliehen. Sein Pferd hatte sich im Schreck aber auch losgerissen und lief fort. Siga Sanke packte noch ein Bein des Pferdes, aber der Fuß des schlagenden Tieres traf ihn auf den Mund, so daß ihm oben und unten je zwei Zähne abbrachen. Er spie sie aus und lief wieder hinter dem Pferd her. Er erreichte es, wollte im Laufen aufspringen, stürzte aber auf der anderen Seite herab. Er fiel mit dem Kopf gegen einen Steinhaufen und schlug sich wiederum oben und unten je zwei Zähne aus, die er ausspie. Da rief Sira Bo: »Habe ich dir nicht gesagt, daß ich dich eines Tages Zähne speien lassen würde?«

Siga Sanke gelang es aber doch noch, auf sein Pferd zu springen, und er jagte nun von dannen. Es gelang ihm auch, dem Kreis zu entschlüpfen, aber Sira Bo war ihm dicht auf den Fersen und stieß ihn mit dem Flintenkolben in die Seite. Siga Sanke schrie: »Hëig!« und heulte. Er rief: »Töte mich nicht.« Dreimal wiederholte sich das. Dann hatte er die Tore von Söina erreicht.

Sira Bo rief: »Du weinst?! Da kannst du sehen, daß du ein Njamogode (ein Unedler) bist. Ich aber bin ein Njerre Ulu (reinen Blutes). Ich bin ein Massassi. Du hast geweint!« Dann kehrte Sira Bo heim. Siga Sanke war gerettet. Als er in der Stadt angekommen war, fragte er seine Leute: »Wo ist die Trommel?« Die Leute antworteten: »Du hast sie draußen auf dem Bolanieni zurückgelassen.«

Siga Sanke hatte nun mit allen Leuten Streit angefangen. Eines Tages sagte auch der König der Surakka: »Wir wollen den Siga Sanke angreifen.« Er machte sich mit allen seinen Leuten auf und kam vor Söina an. Seine Leute umkreisten Söina. Siga Sanke hatte die Tore rechtzeitig geschlossen, aber er hatte doch Furcht, es möchte diesmal ein böses Ende nehmen. Er rief seinen Sohn und seinen Bruder und sagte: »Geht zu König Njagaleng Gara von Kaarta und sagt, ich hätte ihm unrecht getan und ihn geschädigt. Aber ich bäte ihn auch um Entschuldigung. In Zukunft will ich sein Höriger sein. Jetzt soll er mir aber gegen die Surakka helfen.« Die beiden machten sich auf den Weg und kamen an den Hof des Königs von Kaarta. Sie richteten ihren Auftrag aus. König Njagaleng Gara und sein Volk riefen: »Jetzt haben wir zwei aus dieser Gesellschaft. Schlagt sie tot.« Damals war aber ein Numu der Richter. Der sagte: »Laßt das, tötet diese Leute nicht. Der König soll mit einem Heerhaufen hinziehen!« Darauf gaben der König und das Volk den Gedanken auf. Er sandte die beiden Boten zurück und ließ sagen: »In drei Tagen kommen meine Leute.«

Der König Njagaleng Gara war mit seinem Heerhaufen unterwegs. Da sandte ihm auch der König der Surakka eine Botschaft und ließ ihm sagen: »Überlaß mir diesen Siga Sanke. Ich will ihm den Kopf abschlagen und will ihn mit Gold aufwiegen. Das Gold soll dein sein.« Der König von Kaarta war einverstanden. Er wollte nun Siga Sanke in eine Falle locken – denn es war nicht möglich, die Mauern zu zerstören. Siga Sanke kam heraus und verhandelte mit den Boten König Njagaleng Garas. Er entdeckte aber die Absicht, ließ sein Pferd zurück und entkam in die Stadt.

Man sagt, Njagaleng Gara habe nachher doch noch den Siga Sanke getötet.


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