Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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Jäger und Schlangenfrau I

Yoruba

Ein Jäger ging mit seinem Burschen alle Tage in die Farm. Wenn der Vater essen wollte, sandte er den Jungen fort, Feuer zu holen. Es zweigten sich drei Wege ab. Der eine Weg war gut instand gehalten, auf dem wohnte eine Feindin des Jägers. Der zweite Weg war mit Gras bewachsen. An dem wohnte ein Mann mit vielen Wunden. Der dritte Weg war mit Busch bewachsen, an dem war das Feuer. Der Jäger sagte jedesmal zu seinem Jungen: »Geh, und hole von dem bewachsenen Weg das Feuer! Gehe aber ja nicht den Weg, der gut gereinigt ist!«

Eines Tages regnete es. Der Jäger sagte zu dem Jungen: »Geh und hole mir Feuer. Geh aber nicht den gereinigten Weg, sondern den bewachsenen.« Der Junge sagte: »So will ich tun!« Der Junge ging. Es regnete. Der Bursche sagte bei sich: »Weshalb soll ich immer den schlechten Buschweg gehen. Ich werde lieber den guten Weg gehen, da wird es sicher auch Feuer geben.« Der Junge ging den guten Weg. Er kam an das Haus der Frau. Er trat herein. Er sah die Frau. Es war eine sehr schöne Frau. Die Frau kochte gerade Kerne im Wasser. Die Frau sagte: »Was willst du?« Der Bursche sagte: »Mein Vater sendet mich, daß ich Feuer hole!« Die Frau sagte: »Dein Vater hat dich zu mir gesandt?« Der Bursche sagte: »Nein, der Vater sandte mich den andern Weg, aber es regnete so arg und der andere Weg ist so verwachsen.« Die Frau sagte: »Hier hast du Feuer. Sage deinem Vater aber nicht, daß du das Feuer bei mir geholt hast.« Der Junge sagte: »Ich will meinem Vater nicht sagen, wo ich das Feuer erhalten habe!« Der Junge nahm den Feuerbrand und ging.

Der Junge ging mit dem Feuerbrand ein gutes Stück, dann sagte er bei sich: »Diese Frau war sehr schön. Ich muß sie noch einmal sehen!« Der Junge löschte den Feuerbrand aus und kehrte zurück. Er trat wieder in das Haus der Frau. Die Frau fragte: »Was willst du?« Der Junge sagte: »Das Feuer ist verlöscht. Gib mir einen andern Brand.« Die schöne Frau gab ihm einen neuen Feuerbrand und sagte: »Hier hast du anderes Feuer. Sage deinem Vater aber nicht, daß du das Feuer bei mir geholt hast.« Der Junge sagte: »Ich will meinem Vater nicht sagen, wo ich das Feuer erhalten habe.« Der Junge nahm den Feuerbrand und ging wieder.

Der Junge ging mit dem Feuerbrand ein gutes Stück, dann sagte er bei sich: »Diese Frau war sehr schön. Ich muß sie noch einmal sehen!« Der Junge löschte den Feuerbrand aus und kehrte zurück. Er trat in das Haus der Frau. Die Frau fragte: »Was willst du?« Der Junge sagte: »Das Feuer ist wieder verlöscht. Gib mir einen andern Brand.« Die schöne Frau gab ihm einen andern Feuerbrand und sagte: »Hier hast du anderes Feuer. Sage deinem Vater aber nicht, daß du das Feuer bei mir geholt hast.« Der Junge sagte: »Ich will meinem Vater nicht sagen, wo ich das Feuer erhalten habe.« Der Junge nahm den Feuerbrand und ging wieder.

Der Junge ging mit dem Feuerbrand ein gutes Stück, dann sagte er: »Diese Frau war sehr schön. Ich muß sie noch einmal sehen!« Der Junge löschte das Feuer aus und kehrte zurück. Er trat in das Haus der Frau. Die Frau fragte: »Was willst du?« Der Junge sagte: »Das Feuer ist verlöscht. Gib mir einen andern Brand.« Die schöne Frau sagte: »Ich werde deinem Vater selbst das Feuer bringen. Sage ihm aber nicht, auf welchem Wege du mich getroffen hast.« Der Bursche sagte: »Nein, das will ich nicht sagen.« Die Frau nahm einen Feuerbrand und ging mit dem Jungen zu der Farm des Jägers.

Der Junge kam mit der Frau auf die Farm des Jägers. Die Frau trug das Feuer. Der Vater sah sie. Der Vater sah, daß die Frau sehr schön war. Der Vater sagte zu dem Jungen: »Wo hast du diese Frau getroffen?« Der Junge sagte: »Ich traf sie an dem verwachsenen Weg.« Die Frau sagte: »Schilt den Jungen nicht! Er hat mich getroffen. Hier ist das Feuer.« Der Vater nahm das Feuer. Der Vater sah die Frau. Die Frau war sehr schön. Der Vater wußte nicht, daß die schöne Frau die große Schlange Irri war, weil er nicht wußte, daß sie von dem guten Wege kam. Die schöne Frau sagte: »Ich will mit dir nach Hause gehen und mit dir schlafen.« Der Vater sagte: »Es ist mir recht. Komm mit mir in mein Haus und schlafe mit mir.«

Der Jäger ging mit der schönen Frau nach Hause. Der Jäger nahm sie mit in sein Zimmer und schlief mit ihr. Der Jäger beschlief die schöne Frau. Nachher sagte die Frau: »Ich will gehen. Begleite mich durch den Busch.« Der Jäger sagte: »Das will ich tun.« Der Jäger wollte seine Flinte nehmen. Die Frau sagte: »Nimm nicht deine Flinte mit dir, sonst fürchte ich mich vor dir.« Der Jäger hatte drei Hunde. Er wollte sie mitnehmen. Die Frau sagte: »Laß die drei Hunde zu Hause. Schließ sie ein. Ich fürchte mich sonst vor ihnen.« Der Jäger schloß die drei Hunde ein. Er ging ohne Hund und Gewehr mit der schönen Frau.

Die schöne Frau ging mit dem Jäger durch den Busch. Nach einiger Zeit sagte er: »Nun will ich heimkehren.« Die schöne Frau sagte: »Bleibe noch. Begleite mich noch ein Stück.« Darauf begleitete er die Frau noch ein gutes Stück. Nach einiger Zeit sagte er dann: »Nun will ich heimkehren.« Die schöne Frau sagte: »Bleibe noch. Begleite mich noch ein Stück.« Nach einiger Zeit sagte er dann: »Nun will ich heimkehren.« Die schöne Frau sagte: »Bleibe noch. Begleite mich noch ein Stück.« Darauf begleitete er die Frau noch ein gutes Stück. Nach einiger Zeit sagte die schöne Frau: »Sieh die Früchte auf jenem Baum! Wirf mir doch von den Früchten herab. Steige hinauf und pflücke mir von den Früchten!« Der Baum war sehr hoch. Der Jäger stieg aber hinauf. Der Jäger stieg bis oben hin und warf der Frau von oben her Früchte zu. Er warf viele Früchte herab. Der Mann stieg immer höher. Als er ganz oben war, rief die schöne Frau von unten herauf: »Wenn du nach oben zum Himmel hin fort willst, so versuche es! Wenn du nach unten hin zur Erde herab fliehen willst, so versuche es! Wo du auch hinwillst, ich werde dich heute noch fressen.« Der Jäger sah hinunter. Er sah, wie die schöne Frau sich in eine gewaltige Irri (Schlangenart) verwandelt hatte, die sich um den Fuß des Baumes geschlungen hatte.

Der Jäger sah das. Er schrie! Er schrie die Namen seiner Hunde. Die drei Hunde hießen: Oke Makeren (das war der Abschneider), Osoquako Gwenini (der Zuschnappende) und Ogballe Gbarawes (der Reiniger des Platzes). Als der Jäger schrie, waren die drei Hunde daheim eingeschlossen. Als der Jäger schrie, begann Oke Makeren die Tür des Hauses aufzuschneiden. Alle drei Hunde liefen eiligst durch den Busch. Sie kamen unter dem Baum an, auf dem der Jäger saß. Osoquako Gwenini stürzte sogleich auf die Irri zu, biß ihr den Kopf ab und verschluckte ihn. Die Schlange war tot. Darauf begann Oke Makeren die Schlange in Stücke zu zerschneiden und Ogballe Gbarawe schichtete das Fleisch auf. Dann reinigte er den Platz vom Blut.

Der Jäger kam von seinem Baum herab. Er ging erst zu den Hunden und dankte ihnen. Dann betrachtete der Jäger das Fleisch und sagte: »Soviel Fleisch! Wer wird mir das nach Hause tragen können!« Die drei Hunde sagten: »Versprich uns, daß du nichts darüber sprechen willst, so wollen wir dir das Fleisch nach Hause tragen. Du darfst aber auch deiner Frau nichts davon sagen!« Der Jäger sagte: »Ich verspreche euch, daß ich niemandem, auch meiner Frau nicht, etwas sagen will.« Darauf gingen die drei Hunde in den Busch und holten sich Palmblätter. Sie machten aus dem Fleisch drei Pakete. Sie nahmen die Pakete auf und richteten sich empor. Sie waren nun drei Männer. Als Menschen trugen sie das Fleisch nach Hause und zum Agballa (Hinterhaus) des Jägers. Sie gingen von hinten hinein, während der Jäger von vorn kam. Die drei Männer legten hinten das Fleisch nieder, dann verwandelten sie sich wieder in Hunde. Der Jäger kam von vorn herein. Er begegnete beim Eintritt seiner Frau und sagte zu ihr: »Sieh das Fleisch, das ich dir in das Agballa geschickt habe!« Die Frau sagte: »Du hast mir ins Agballa Fleisch geschickt? Wen hast du mit dem Fleisch geschickt? Wer hat das Fleisch gebracht?« Der Jäger sagte: »Die Leute sind schon wieder fortgegangen. Ich traf sie unterwegs. Ich kannte sie gar nicht. Es waren wohl Fremde.« Die Frau ging in das Haus und sah das viele Fleisch. Die Frau sagte: »Das müssen drei starke Männer gewesen sein!« Am andern Tag ging die Frau zu einem Babalawo und fragte den: »Was waren das für Leute, durch die mein Mann gestern das Fleisch hat heimschicken lassen?« Der Babalawo sagte: »Kaufe Emu (echten Palmwein) und Ogoro (Wein von der Bambuspalme), mache gutes Essen. Setze das deinem Mann vor, dann kannst du es erfahren.« Die Frau des Jägers ging nach Hause. Die Frau kaufte Emu und Ogoro. Sie bereitete gute Speise. Sie setzte dem Mann die gute Speise vor. Als er gegessen hatte, gab sie ihm den Emu und Ogoro. Der Mann trank beides. Der Mann wurde betrunken. Die Frau fragte den Mann: »So sage mir doch, wer neulich das Fleisch heimgetragen hat!« Der Jäger sagte: »Eigentlich kann ich es nicht sagen. Du bist meine Frau. Du wirst nichts darüber sprechen. Ich kann es dir schon sagen. Das Fleisch haben mir meine Hunde heimgetragen. Die drei Hunde verwandelten sich in Menschen. Aber behalte es bei dir.« Die Frau sagte: »Ich will es bei mir behalten.«

Die Hunde lagen jeden Morgen vor dem Zimmer des Jägers. Am andern Morgen wollte die Frau dort auffegen. Sie jagte die Hunde, die dort lagen, fort und sagte: »Macht, daß ihr fortkommt, die ihr weder richtige Hunde, noch richtige Männer seid!« Als die Hunde das hörten, sagten sie zueinander: »Der Jäger hat das seiner Frau aufgeschwatzt.« Darauf liefen die Hunde fort in den Busch.

Die Frau des Jägers war damals schwanger gewesen. Drei Monate später gebar sie ein Kind. Das Kind konnte nicht hören, das Kind konnte nicht sprechen. Der Jäger wandte sich an alle Orisas, an alle Ada-Uschis. Kein Mensch konnte dem Kinde zur Sprache verhelfen. Das Kind blieb stumm. Der Jäger gab viel Geld dafür aus. Kein Mensch konnte helfen. Eines Tages aber kam Akuko (der Haushahn) und sagte: »Sollte ich nicht eurem Kinde das Sprechen lehren können!« Die Mutter sagte: »Wir würden dir viel Geld geben.« Der Jäger sagte: »Wir würden dir viel Geld geben.« Akuko sagte: »Der Vater des Kindes, der Jäger soll mir hundert Peitschen bringen. Bringt die hundert Peitschen in den Busch! Bringt das Kind in den Busch!« Man brachte die hundert Peitschen und das Kind in den Busch. Akuko sagte zu dem Jungen: »Warte, ich werde dir Honig bringen!« Er ging weg und stellte eine leere Kalebasse neben den Jungen. Er sagte: »Laß das! Ich bringe gleich mehr.« Er ging. Akuko kam zurück. Er blickte in die Kalebasse und schrie den Jungen an: »Warum hast du allen Honig aufgegessen?!« Damit fing er an, mit den hundert Peitschen auf das Kind zu schlagen. Als es mit siebenundneunzig Peitschen geschlagen war, stieß es tönende Schreie aus. Als es mit hundert Peitschen geschlagen war, sagte es: »Du lügst ja.« Der Hahn aber sagte: »Siehst du, nun kannst du sprechen.« Von da an konnte der Junge sprechen. Der Hahn brachte ihn nach Hause. Die Mutter gab alles, was sie hatte, dem Hahn. Der Vater gab alles, was er hatte, dem Hahn. – Deshalb spricht der Hahn von allen Hühnern zuerst und trägt außerdem ein großes Ade auf dem Kopfe.


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