Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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Mussas Dankbarkeit

Kordofan

Ein Mann namens Mussa war außerordentlich wohlhabend und genoß wegen seines Reichtums einen Namen, der war weithin über das Land bekannt. Es gab weit umher niemand, der so viele Herden und Sklaven und so großen Einfluß im Lande besaß wie dieser Mussa. Dieser Mussa war zudem über alle Maßen stark. Wenn er in die Wüste zur Jagd ritt und einer Hyäne, einem Löwen oder sonst einem wilden Tier begegnete, pflegte er vom Pferd zu springen und das Tier mit den Händen anzugreifen. Er überwand dann das Tier, band es und brachte es mit nach Hause. Daheim aber ließ er es in seiner Seriba in einem Verschlag frei und gab ihm zu fressen. Zuletzt hatte er so viele Tiere der Wüste in seinem Hause, daß die Leute des Ortes, in dem er wohnte, sich vor ihm zu fürchten begannen, und daß sie zu guter Letzt zu ihm kamen und sagten: »Unser Freund Mussa, du bist zwar sehr reich und stark, du bist zwar reicher und stärker als wir alle, du hast aber nun so viele wilde Tiere in deiner Seriba, daß wir uns vor dir fürchten und dich bitten, einen andern Platz aufzusuchen und an einem andern Platz deine Seriba mit den wilden Tieren aufzuschlagen.« Darauf machte sich Mussa auf, bepackte seine Kamele, Ochsen und Pferde und zog an einen fernen Ort in der Wüste. Mussa hatte aber sieben Söhne, die liebte er sehr, und diese halfen ihm bei dem Zug in die Wüste.

Als Mussa seine Seriba aufgeschlagen hatte, ließ er eines Tages sein Pferd satteln, ergriff seine Lanze und sagte: »Meine sieben Söhne, ich ziehe fort zur Jagd. Bewacht ihr die Seriba.« Dann ritt er fort. Als er aber noch nicht lange fortgeritten war, kamen Räuber, schlichen sich an die Seriba, drangen hinein, schlugen die sieben Söhne Mussas tot und trieben alles Vieh von dannen, so daß nichts mehr davon dort blieb und daß, als Mussa endlich von der Jagd heimkam, das Lager schweigend dalag. Mussa war über die Stille sehr erstaunt und sagte: »Ich höre kein Pferd, keinen Esel, kein Kamel, kein Rindvieh, keine Schafe, keine Ziegen und keinen meiner Söhne.« Mussa band sein Pferd draußen an einen Pfahl und ging in seine Seriba. Mussa ging in die Seriba und fand alle Viehhürden leer. Mussa traf auf die Leichen seiner Söhne. Mussa war in großer Wut. Er rief den Namen seiner ersten Frau. Seine erste Frau, die gerade schwanger war, hatte sich aber in ihrer Hütte versteckt und kauerte da am Boden. Sie wagte nicht zu antworten. Mussa rief wieder den Namen seiner ersten Frau, und als sie nicht antwortete, stieß er in noch wachsender Wut seine Lanze durch die Wand.

Das Weib schrie innen auf. Die Lanze hatte ihren Leib getroffen und das Kind in ihrem Leib getötet. Die Frau und das Kind starben in dem Moment, als Mussa hereintrat. In ihrer Todesangst schleuderte die Frau aber ein Holzscheit nach dem Eintretenden, denn sie erkannte Mussa nicht mehr. Das Holzscheit traf Mussa am Kopfe und zerstörte ihm ein Auge. Mussa trat zurück und ging zu dem Hause seiner zweiten Frau. Er traf sie; er rief sie. Er wollte mit seiner zweiten Frau den Platz verlassen und ging zum Eingang der Seriba, an dem er sein Pferd draußen angebunden hatte.

Inzwischen hatte sich aber ein Löwe, angelockt durch den Blutgeruch der getöteten Söhne, an die Seriba herangeschlichen. Er kam zu dem Pferd. Er sprang auf das Pferd und tötete es. Mussa kam gerade in diesem Augenblick. Mussa rannte mit seiner Frau so schnell er konnte von dannen. Er stieg mit seiner Frau auf einen Baum. Der Löwe packte aber die Frau am Bein, riß sie herab und tötete sie. Dann fraß der Löwe unten die Frau, während Mussa oben in den Zweigen hockte. Die ganze Nacht blieb der Löwe unter dem Baum, und erst am andern Morgen konnte Mussa herabsteigen und weiterwandern. Als Mussa weiterging, besaß er nichts mehr als die zerrissenen Kleider, die er auf dem Leibe hatte.

Mussa ging weiter. Er kam an eine Elefantenfallgrube. Da sie mit Zweigen bedeckt war, auf die er trat, stürzte er hinab. Nachdem Mussa einige Zeit auf dem Boden der Elefantenfallgrube gelegen hatte, kamen Elefanten des Weges, und ein Elefant stürzte herab und fiel so auf Mussa, daß Mussa nicht mehr imstande war, sich zu bewegen. So lag Mussa die ganze Nacht. Am andern Morgen kamen aber die Leute, die die Fallgrube angelegt hatten, und sahen den Elefanten unten liegen. Darauf stiegen sie hinab, schnitten den Elefanten auf und nahmen die Fleischstücke heraus. Als sie aber das letzte hinauftrugen, fanden sie einen Mann. Sie zogen den Mann unter dem Fell des Elefanten hervor und brachten ihn nach oben aus der Grube. Als sie nun im Lichte der Sonne den Mann, den sie in seinen Lumpen und von oben bis unten beschmutzt, zerstoßen und zerfetzt durch Wurzeln und Steine, mit einem ausgeschlagenen Auge und verwundeten Gliedern vor sich stehen sahen, riefen sie: »Ist das nicht Mussa? Ist das nicht der reiche und starke, der glückliche Mussa?« Einige Leute sagten: »Seht, wie elend er geworden ist!« Ein Mann sagte: »Dieser Mussa hat mir einmal einen Verwandten getötet. Damals war Mussa reich, und ich konnte ihm nichts anhaben. Jetzt aber, wo er arm und elend ist, will ich ihn wieder töten. Ihr andern! Gebt mir den Mussa als Gefangenen!« Die andern Männer aber wandten sich ab und sagten: »Nimm deinen Gefangenen! Wir werden dich in keiner Weise hindern.«

So ward Mussa zum Sklaven.

Der Mann nahm Mussa mit sich heim. Daheim legte er ihm Ketten an und fesselte einen seiner Füße mit Eisenringen an den Fuß eines andern Gefangenen. Der Mann sagte zu Mussa: »Heute sollst du noch als Kettensklave leben; morgen werde ich dich aber töten.« Als es Nacht war, sagte der andere Gefangene zu Mussa: »Komm und flieh mit mir!« Mussa sagte: »Nein, ich bin noch nie geflohen. Ich fliehe nicht!« Der andere Gefangene sagte: »Ich kann, da ich mit dem Fuß an dich gefesselt bin, nicht fliehen. Also flieh mit mir!« Mussa sagte: »Nein, ich fliehe nicht. Was soll mir daran liegen zu leben, nachdem ich geflohen bin?« Da sagte der andere Gefangene nichts mehr. Als Mussa aber eingeschlafen war, fiel der andere Gefangene nachts über ihn her, band ihm die Hände zusammen und verstopfte ihm den Mund, damit er nicht schreien könnte. Mussa war so schwach geworden durch Blutverlust, Hunger und Durst, daß er sich nicht zu wehren vermochte. Dann nahm der andere Gefangene Mussa auf und hinkte mit ihm von dannen. Sie waren ein gut Stück so weiter gekommen, als eine Löwin mit ihren Jungen durch den Busch kam und auf die aneinander gefesselten Gefangenen zusprang. Sie waren in der Nähe eines Baumes. Der andere Gefangene konnte aber nicht anders hinaufkommen, als indem er Mussa auf die unteren Zweige schob und gleichzeitig mit hinaufklomm. Die Löwin packte aber den andern Gefangenen und begann Arme und Kopf und Teile vom Körper zu reißen. Zuletzt hatte Mussa nur noch den Fuß des Mitgefangenen fest an sein eigenes Bein geschmiedet neben sich. Die Löwin lief dann aber mit den Jungen fort. Jeder von ihnen trug ein Stück des andern Gefangenen.

Als Mussa sah, daß er allein war, begann er die Stricke, mit denen der andere Gefangene ihn an den Händen gefesselt hatte, am Baume durchzuschaben. Sobald er aber die Hände befreit hatte, nahm er den Knebel aus dem Mund, stieg von den Baumzweigen, auf die er gedrängt war, hinab und ging mit dem festgeschmiedeten Fußstumpf des zerrissenen Gefährten von dannen, so weit, bis er zu einem Orte kam, dem ein wohlhabender und angesehener Araber vorstand.

Nun hatte Mussa nichts mehr. Sein ganzes Besitztum war verloren, alle Glieder seiner Familie waren tot. Sein Name war verdorben, und am Fuße hatte er noch den eisernen Ring der Gefangenschaft. Mussa ging zu dem Araber und sagte: »Ich bitte, nimm mich als Wächter und Diener deiner Herden auf. Ich will treu wachen und dir unermüdlich dienen.« Der Araber sah Mussa. Er kannte Mussa nicht, aber er nahm ihn auf und vertraute ihm seine Herden an. Der Araber sah, daß Mussa seine Pflicht treu und redlich erfüllte und seine Herden sorgsam hütete. Als der Araber das aber sah, rief er Mussa eines Tages zu sich und sprach zu ihm: »Mussa, ich sehe, daß du deiner Arbeit so gut vorstehst, als habest du früher selbst einmal große Herden besessen.« Der Araber schwieg. Mussa schwieg aber auch und sagte nichts. Der Araber fuhr fort: »Ich habe zwei mir teure Menschen; der eine ist mein Sohn, der in die Ferne gezogen ist; der andere ist meine Schwester. Ich will dir meine Schwester zur Frau geben, daß du mit ihr Kinder zeugst.« Der Araber gab also Mussa seine Schwester zur Frau, und Mussa nahm sie zu sich und schlief bei ihr, so daß sie bald schwanger war.

Wenige Tage aber, nachdem Mussa mit der Schwester des Arabers verheiratet worden war, kehrte in einer dunklen Nacht der Sohn des Arabers aus der Ferne nach dem Orte zurück, an dem sein Vater wohnte. Im Dunkel der Nacht richtete er sich nach dem Geräusch, das draußen im Busch das Vieh verursachte, und er kam bis nahe zu dem Vieh. Da merkte aber Mussa, der Wächter, der den Sohn des Arabers nicht kennen konnte, daß ein fremder Mann auf die Hürden zukam. Mussa hielt den fremden Mann aber für einen Viehräuber, und deshalb warf er mit der Lanze nach ihm. Der Sohn des Arabers rannte mit der schweren Wunde noch ein Stück weit, dann stürzte er hin und starb.

Am andern Morgen fanden die Bewohner des Ortes den toten Araber. Sie hoben ihn auf und trugen ihn in das Haus des Vaters. Sie sagten zu dem Araber: »Wir bringen dir hier deinen Sohn, wir haben ihn draußen tot gefunden.« Der Araber sagte aber zu den Bewohnern des Ortes: »Das ist nicht wahr! Ihr habt meinen Sohn nicht tot gefunden, sondern ihr habt ihn totgeschlagen!« Die Bewohner des Ortes sagten: »Nein, wir haben nichts Derartiges getan. Es muß irgendein anderer getan haben.« Die Bewohner des Ortes stritten gegen den Araber. Der Araber wollte zwei Leute aus dem Ort töten. Die Bewohner des Ortes sagten aber: »Töte niemand! Wenn wir auch am Tode deines Sohnes unschuldig sind, so wollen wir doch lieber Sühne zahlen, als daß es zu einem Streit komme. Sage nur, was du verlangst!« Der Araber sagte: »Zahlt mir hundert Kühe!« Die Leute sagten: »Wir wollen dir hundert Kühe zahlen, damit Frieden bleibe!« Der Araber war einverstanden. Die Leute zahlten die hundert Kühe, und der Araber rief Mussa. Mussa kam. Der Araber sagte: »Du Mann meiner Schwester und du Freund! Nimm dein Weib, nimm diese hundert Stück Rindvieh und alles, was ich dir sonst geben kann. Ziehe mit allem andern dann fort von hier, schlage eine eigene Seriba auf und sieh zu, was sonst wird.«

Darauf packte Mussa alles zusammen, was er der Freundlichkeit des Arabers verdankte, und zog mit seinem Weibe, das die Schwester des Arabers war, und allem Rindvieh von dannen und baute eine eigene Seriba. Nach einiger Zeit aber gebar seine Frau einen Knaben. Das Vieh Mussas war aber auch fruchtbar, und so vermehrte sich sein Besitz von Tag zu Tag und von Monat zu Monat. Der kleine Sohn, den Mussa von seiner Frau, der Schwester des Arabers, hatte, wuchs heran und wurde ein schöner und starker Jüngling.

Mussa achtete aber darauf, wie groß sein Sohn sei und wie alt. Als er so groß und so alt war, wie der Sohn des Arabers, den er, Mussa, eines Nachts erschlagen hatte, schrieb Mussa einen Brief, in dem stand: »Versehentlich habe ich eines Nachts Deinen Sohn erschlagen, als er groß und stark war, wie der Bursche, der Dir diesen Brief bringt. Damals hatte ich schon Deine Schwester von Dir zur Frau erhalten, daß ich Kinder mit ihr zeuge. Sie hat mir dann den Sohn geboren, der so groß und stark ist wie Deiner war. Somit schicke ich Dir denn den Sohn hiermit zu und bitte Dich, daß Du meinen Sohn tötest, so wie ich einst Deinen Sohn getötet habe.« Diesen Brief schrieb Mussa. Dann rief er seinen eigenen Sohn und sagte zu ihm: »Mache dich auf, bringe diesen Brief dem Araber, der der Bruder deiner Mutter ist.« Der Bursche nahm den Brief und brachte ihn seinem Onkel.

Der Araber begrüßte den Burschen, nahm den Brief und las ihn. Dann rief er alle Leute des Ortes zusammen und sagte: »Hört diesen Brief!« Danach las er den Brief Mussas vor und sagte: »Diesen Brief schrieb mir Mussa, dem ich vorher meine Schwester zur Frau gab. Ich weiß also nunmehr, wer damals meinen Sohn, wenn auch versehentlich, getötet hat. Sagt ihr mir nun aber, was ich tun soll. Soll ich den Sohn meines Schwagers Mussa töten oder nicht?« Die Leute des Ortes antworteten aber: »Höre, Hammad Abu Kallam! Diese ganze Sache ist deine Sache, so wie der Wille der Entscheidung dein Wille ist. Bedenke nur, daß, wenn du diesen Burschen tötest, der das Kind deiner Schwester ist, du gewissermaßen dein eigenes Kind tötest.« Der Araber Hammad Abu Kallam hörte das an, erwog es und sagte: »Ich denke, wie ihr denkt. Anstatt den Sohn meiner Schwester und Mussas zu töten, will ich ihm meine eigene Tochter zur Frau geben.«

Dann ließ der Araber ein Schaf schlachten, rief den Sohn Mussas und empfing ihn mit freundlichen Worten. Er gab dem Sohne Mussas seine Tochter zur Frau, schenkte ihm Geld und Schafe und sagte: »Kehre mit all diesem als dem Deinen zu deinem Vater zurück. Grüße deinen Vater und grüße deine Mutter, meine Schwester, und sage, ich würde bald selbst hinterherkommen und mich an ihrem Wohlergehen einige Tage erfreuen.« So kehrte denn Mussas Sohn reich beschenkt mit Weib und Besitz, statt mit dem Tode heim. Und wenige Tage später kam der Araber Hammad Abu Kallam hinter ihm her und schlug sein Lager bei Mussa auf. Er begrüßte Mussa, und als es Nacht wurde, legte er sich vor der Seriba neben seinem Pferd auf die Erde.

Hammad Abu Kallam spielte erst noch ein weniges auf der Rababa. Dann legte er das Instrument zur Seite und schlief ein. Derweilen schlichen sich zwei Diebe heran. Einer derselben stellte sich mit dem Speer über den Kopf des Arabers hin und sagte: »Wenn er sich rührt, werde ich ihn töten.« Der Araber wachte auf. Er sah alles, was vorging. Der Araber sagte: »Ich will nicht schreien. Ich will nur die Rababa spielen.« Während der zweite Dieb nun die Fußgurte des Pferdes löste und der erste den Speer über den Kopf des Arabers hielt, spielte der Araber auf der Rababa: »Meine Schwester Scherifia! Meine Schwester Scherifia! Ein Dieb steht an meinem Kopfe und hält den Speer über mich, um mich zu töten, und ein anderer Dieb ist zu meinen Füßen damit beschäftigt, die Gurte meines Pferdes abzukoppeln und es zu stehlen! Höre das, meine Schwester Scherifia!«

Die Diebe erkannten nicht den Sinn des Gesanges und Spieles auf der Rababa. Scherifia, die Schwester Hammad Abu Kallams, die Frau Mussas, verstand aber den Gesang. Sie weckte Mussa, ihren Mann, und sagte: »Mussa mein Gatte, wache auf! Draußen ist ein Dieb, der will das Pferd meines Bruders rauben, während ein zweiter seine Lanze über seinem Haupte hält, um ihn zu töten, wenn er sich rührt.« Mussa erhob sich. Er nahm den Speer. Er ging zum Seribaeingang. Er warf seine Lanze. Er tötete den, der das Pferd rauben wollte, so daß der tot hinsank, der andere aber, der den Hammad Abu Kallam mit dem Speer bedrohte, erschreckt von dannen lief.

Als das geschehen war, sagte Mussa: »Wie kamen diese Leute hierher? Niemals waren hier Diebe in der Gegend. Das ist etwas, was hier nie vorher geschehen ist.« Hammad Abu Kallam sagte: »Es waren Pferdediebe. Die Pferdediebe ziehen über das ganze Land hin.« Mussa sagte: »Es ist gut, daß einer getötet ist.« Hammad Abu Kallam sagte: »Ja, es ist ein Glück für mich. Du hast mir das Leben erhalten, das diese Hunde hinwegtragen wollten. Ich werde dich aber morgen wieder verlassen.«

Am andern Morgen nahm Hammad Abu Kallam von seiner Schwester und seiner Tochter, von Mussa und dessen Sohn Abschied, um sich wieder zurückzubegeben an seinen Ort.

Als der Araber aber fortgeritten war, sagte Mussa bei sich: »Ich war ganz verarmt und tief elend; da hat dieser Hammad Abu Kallam mich wohlhabend gemacht und hat mir seine Schwester zur Frau gegeben. Als er mich so wieder zu einem angesehenen und glücklichen Manne gemacht hatte, tötete ich seinen Sohn. Er aber ließ mich das nicht entgelten, sondern beschenkte mich nochmals reich, so daß ich wieder Herr meines eigenen Ortes werden konnte. Mein eigener Sohn wuchs heran, und ich sandte den an Hammad Abu Kallam, damit er ihn töte, wie ich seinen Sohn getötet habe. Er hat dies aber nicht getan, sondern er gab mir reiche Geschenke, er gab ihm die eigene Tochter zur Frau und entließ ihn wie ein eigenes Kind. Ich tat ihm Schlechtes, er aber hat es wieder und immer wieder mit Gutem erwidert. Ich weiß nicht mehr, was ich tun kann. Ich kann ihn nicht mehr leben lassen. Ich muß ihm folgen; ich muß ihn töten.«

Mussa bestieg sein Pferd. Mussa nahm seine Lanze. Mussa ritt hinter Hammad Abu Kallam her. Mussa erreichte Hammad Abu Kallam. Mussa rief ihn an und sagte: »Höre mich! Warte auf mich! Du hast mir immer wieder so viel Gutes getan, daß ich dich nicht leben lassen kann. Ich muß dich töten!« Hammad Abu Kallam sagte: »Weshalb willst du mich töten, wo ich dir doch nichts Böses getan habe?« Mussa sagte: »Nein, du hast mir nichts Böses getan! Du hast mir immer nur Gutes getan; du hast mir aber so viel Gutes getan, daß ich es dir nicht vergelten könnte, wenn ich mein ganzes Leben lang als dein Diener arbeiten würde. Deshalb kann ich dich nicht mehr sehen. Deshalb muß ich dich töten.« Und Mussa nahm den Speer auf und warf ihn nach Hammad Abu Kallam. Der bog sich aber zur Seite, und der Speer Mussas flog über ihn weg in den nächsten Busch. Hammad Abu Kallam zog den Speer heraus. Er reichte ihn Mussa zurück und sagte: »Nimm ihn wieder, aber töte mich nicht; denn ich habe dir nichts Böses getan, und ich will dir nichts Böses tun.« Mussa sagte: »Ich kann dich nun nicht mehr leben lassen, denn du hast mir schon zuviel Gutes getan!« Als Hammad Abu Kallam das hörte, warf er sein Pferd herum, floh, und er entrann Mussas Speer.

Hammad Abu Kallam kam an seinen Ort. Er rief die Dorfleute zusammen und sagte: »Jener Mussa, der meinen Sohn getötet hat und an dessen Sohn ich trotzdem meine Tochter gegeben habe, wollte mich heute töten, weil er mich nicht mehr leben sehen kann. Ich aber bin ihm entflohen.« Als die Dorfleute das hörten, sagten sie zu dem Araber: »Dann wollen wir alle unsere Waffen nehmen. Dann wollen wir alle hingehen und diesen Mussa fangen.« Die Dorfleute gingen fort; jeder nahm seinen Speer. Sie kamen alle zusammen und machten sich auf den Weg zu Mussas Seriba. Sie kamen in der Nacht an. Sie umzingelten die Seriba. Sie drangen hinein. Sie fingen Mussa und banden ihn an den Händen und an den Füßen. Dann brachten sie ihn derart gefangen zu Hammad Abu Kallam. Die Frau Mussas folgte dem Zuge mit dem Gefangenen.

Als Mussa so vor Hammad Abu Kallam gebracht wurde, sagte der: »So muß ich dich nun wiedersehen. Habe ich dir nicht dies und das und jenes und alles, was möglich ist, an Gutem angetan? Und muß ich nun das erleben?« Mussa sagte: »Du hast mir so viel, zu viel Gutes erwiesen, daß ich es nicht ertragen kann. Wenn du mich nicht tötest, muß ich dich töten.« Hammad Abu Kallam sagte: »Ich weiß das jetzt auch, und deshalb werde ich dich diese Nacht in diesem Raume gefangen halten, morgen aber dich töten.« Mussa sagte: »Das ist gut!« Als Hammad Abu Kallam nun hinausging, folgte ihm Scherifia, seine Schwester, Mussas Gattin. Sie warf sich draußen vor ihrem Bruder nieder, weinte und sagte: »Mein Bruder, ich bitte dich! Laß meinen Mann am Leben!« Hammad Abu Kallam sagte: »Nein, meine Schwester Scherifia! Ich habe deinem Manne zuviel Gutes getan. Soll ich nun deshalb sterben, weil ich dessen zuviel tat?« Scherifia weinte aber noch heftiger und sagte: »Nein, mein Bruder, so meinte ich es nicht! Du sollst nicht sterben. Mein Mann aber auch nicht, denn er ist der Vater meines Kindes.« Darauf hob Hammad Abu Kallam seine Schwester auf und sagte: »Meine Schwester, weine nicht. Aber ohne einen Toten werden wir nicht weiterleben können. Es ist besser, es sterbe nun einer, als daß zwei und mehr zugrunde gehen. Deshalb muß ich deinen Mann töten, wenn du es nicht anders willst.« Dann verhüllte Hammad Abu Kallam sein Haupt und ging in sein Haus. Er setzte sich auf das Angareb.

Scherifia ging in die Wüste hinaus und weinte und weinte. Als es Nacht ward, kam sie aber in die Seriba zurück und ging in den Raum, in dem ihr Gatte gefesselt lag. Scherifia schnitt alle Fesseln durch, mit denen Mussa an den Füßen und an den Händen gebunden war. Dann sagte sie zu ihm: »Nun komm schnell, Mussa, und flieh mit mir!« Mussa sagte jedoch: »Meine Frau, ich bin noch niemals geflohen. Ich kann nicht fliehen, ob die Löwen an meinem Kettengenossen fressen oder ob die Lanzen deines Bruders mich durchbohren müssen! Ich kann nicht fliehen, und ich kann nicht weggehen von hier, ehe ich nicht deinen Bruder getötet habe; denn er hat mir so viel Gutes getan, daß ich ihn nicht mehr am Leben lassen kann.«

Scherifia warf sich wieder auf die Erde und weinte und bat und bat: »Mussa, du starker Mann! Mussa, du Löwentöter! Mussa, du Vater meines Kindes! Mussa, mein Mussa! Ich bitte dich! Ich bitte dich! Laß meinen Bruder am Leben! Ich bitte dich, komm mit mir fort von hier. Es ist keine Flucht! Sieh, es sind viele am Ort, und du bist nur einer! Mussa, dränge dich nicht in den Tod. Denn meine Kinder sind es, die nach deinem Tode weinen werden! Dein Hengst und deine Stute, deine Hunde und alle deine Tiere werden schreien. Die Löwen werden über die Seriba springen und die Kälber schlagen. Deine Hütten und dein Haus werden verfallen. Deine Kinder werden keinen Vater und kein Land haben, weil du, mein Mussa, mein Mann, zu früh hier sterben willst!«

Mussa sagte: »Scherifia steh auf. Wenn dein Bruder tot ist, wird niemand den Streit fortführen. Und wenn ich sterben muß und all das Meine verfällt, dann ist deines Bruders Güte und die Sitte daran schuld, nicht aber meine Bosheit. Stehe also auf!« Scherifia stand auf. Scherifia sagte: »So warte denn hier. Ich will meinen Bruder rufen. Tragt denn eure Sache aus!« Scherifia ging. Sie ging in das Haus, in dem Hammad Abu Kallam auf dem Angareb saß. Sie sagte: »Mein Bruder, ich bitte dich, komm für einige Worte heraus. Mussa möchte mit dir sprechen.« Hammad Abu Kallam erhob sich. Er seufzte und kam heraus. Hammad Abu Kallam sagte: »Was für ein Wort ist es?« Scherifia sagte: »Ich weiß es nicht!« Hammad Abu Kallam sagte: »Jetzt lügst du, meine Schwester!« Dann ging Hammad Abu Kallam zum Hause hinüber. Scherifia warf sich auf die Erde nieder und weinte. Als Hammad Abu Kallam in das Haus eintreten wollte, stieß Mussa ihm den Speer in die Brust.

Am andern Tag kamen die Dorfleute und schlugen Mussa tot.

Sie nahmen alle Herden und alles andere, was Mussa und Hammad Abu Kallam besessen hatten. Die Kinder Mussas wurden verkauft. Scherifia hüllte sich aber in Lumpen und wanderte von dem Tage an als Bettlerin von einem Ort zum andern, bis an ihr Lebensende.


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