Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

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2 Die Töchter des Agellid – Gesellenübung

Der Bursche war sehr schön und stark und klug. Jeder Mann wollte ihn gern in seinen Diensten haben. Er kam in das Land eines Agellid, der überall bekannt war als weiser Richter. Der Bursche war bei dem Agellid einige Tage, als dieser zu ihm sagte: »Ich muß oft hierhin und dorthin, um Streitigkeiten zu regeln. Dann habe ich niemand, der mich hier vertritt. Deshalb frage ich dich, ob du bei mir bleiben und solche Vertretung in meinem Hause übernehmen willst, denn du bist der erste, den ich für klug genug halte, solches Amt zu übernehmen. Überlege es dir bis morgen.« Nachdem der Agellid dies gesagt hatte, ging er weg, und der Bursche blieb im Gehöft zurück.

Er ging im Hof auf und ab und überdachte das, was der Agellid ihm gesagt hatte. Er sagte vor sich hin: »Soll ich bleiben, oder soll ich nicht bleiben?« Zwei Stimmen sagten hinter ihm: »Wenn du nicht ein Tor bist, bleibst du.« Der Bursche wandte sich um. Er sah zwei sehr schöne erwachsene Mädchen. Die Mädchen gingen in das Haus. Es waren die Töchter des Agellid. Im Haus lachten sie. Der Bursche sagte bei sich: »Das ist eine schöne Doppelspeise für einen Klugen.« Abends kam der Agellid zurück. Der Bursche sagte: »Ich will es mir nicht lange überlegen. Ich habe mich entschlossen, deinen Vorschlag anzunehmen und als dein Stellvertreter hierzubleiben.«

Am anderen Morgen verreiste der Agellid schon. Kaum war er weggeritten, so kamen die beiden schönen Töchter des Agellid zum Burschen, lachten und sagten: »Bursche, willst du mit uns wetten? Du bist ein so schöner und starker Mann, daß es für Frauen eine Freude ist, mit dir in Händel zu geraten. Sag also, ob du mit uns wetten willst!« Der Bursche sagte: »Ich bin einverstanden. Sagt mir die Wette.« Die beiden schönen Mädchen lachten und sagten: »Wir wollen dir fünfzig Goldstücke geben, wenn du uns zwanzigmal hintereinander schwächen kannst. Du gibst uns fünfzig Goldstücke, wenn du es nicht kannst.« Der schöne Bursche lachte und sagte: »Wir wollen keine Zeit verlieren und anfangen.« Der Bursche beschlief die beiden Mädchen zwanzigmal. Er schwächte sie auch zwanzigmal. Beim letztenmal versagte aber seine Kraft. Die beiden schönen Mädchen sagten: »Du bist ein schöner und starker Mann, aber die fünfzig Goldstücke bekommst du nicht. Die fünfzig Goldstücke mußt du uns zahlen. Du hast uns allerdings zwanzigmal geschwächt, aber du selbst bist das zwanzigstemal schwach geworden.« Der Bursche sagte: »Das ist eine schwierige Sache, die nur ein Richter entscheiden kann. Ich schlage euch vor, daß wir dem Agellid, eurem Vater, die Sache zur Entscheidung vorlegen.«

Die beiden schönen Mädchen schrien auf. Sie sagten: »Wo denkst du hin! Unser Vater tötet uns ja, wenn er hört, daß wir so etwas taten. Er zerschlägt uns ja in kleine Stücke, wenn er hört, daß wir dir diese Wette vorgeschlagen haben. Du darfst auf keinen Fall mit unserem Vater darüber sprechen. Lieber schenken wir dir die fünfzig Goldstücke.« Der Bursche sagte: »Ihr braucht euch nicht zu ängstigen. Ich habe nicht vor, eurem Vater zu erzählen, daß wir miteinander diese Sache vorhatten. Ich will überhaupt von solchen Dingen mit ihm nicht sprechen. Aber da hier ein Streit vorliegt und ich mit dem Amte des Richtens in diesem Hause beauftragt bin, so muß ich seine Entscheidung hören.«

Die beiden schönen Mädchen ängstigten sich so, daß, als der Vater kam, sie sich im Viehstall neben der Wohnkammer versteckten. Der Agellid war noch nicht lange angekommen, da trat auch schon der Bursche ein, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und sagte: »Es waren gestern zwei Leute bei mir, die hatten miteinander eine Wette gemacht und stritten sich nun darum, wer von ihnen sie gewonnen habe. Der eine war der Besitzer eines starken Pferdes. Der hatte fünfzig Goldstücke gewettet, daß sein Pferd zwanzig Bündel Korn zu sich nehmen könne. Der andere war ein Kornhändler, der hatte fünfzig Goldstücke gewettet, daß das Pferd die zwanzig Bündel Korn nicht zu sich nehmen könne. Dann waren sie an die Ausführung gegangen. Das Pferd fraß neunzehn Maß Korn hintereinander. Das zwanzigste Bündel nahm es in sein Maul. Es zermalmte das Korn im Maul und ließ es dann wieder herausfallen. Der Kornhändler sagte nun, das Pferd habe die zwanzig Maß Korn nicht zu sich genommen und verlangte vom Pferdebesitzer fünfzig Goldstücke. Der Pferdebesitzer sagte, das Pferd habe alle zwanzig Bündel Korn zu sich genommen und damit die Aufgabe erfüllt. Wenn das Pferd nachher das zwanzigste Bündel wieder heraustat, so war das seine Sache. Der Pferdebesitzer verlangte deswegen vom Kornhändler fünfzig Goldstücke.« Der Agellid sagte: »Welcher Meinung bist du selbst?« Der Bursche sagte: »Ich meine, der Pferdehändler hat die Wette gewonnen. Denn sein Pferd hat die zwanzig Bündel tatsächlich zu sich genommen. Somit hat der Kornhändler die fünfzig Goldstücke dem Pferdebesitzer zu zahlen.« Der Agellid sagte: »Ich hätte gerade so entschieden wie du. Ich sehe, du hast die gleiche Auffassung von Recht und Unrecht wie ich, und du hast ein scharfes Urteil. Ich freue mich, daß du so weise bist, und werde meine nächste Reise um so ruhiger antreten.«

Am Abend kamen die beiden schönen Mädchen in die Kammer des Burschen und gaben die fünfzig Goldstücke ab. Sie lachten ganz leise und sagten ganz leise: »Wir danken dir. Der Verlust der fünfzig Goldstücke schmerzt uns nicht, da du uns reichlich gegeben hast. Wir wollen aber, sobald der Vater wieder verreist, eine andere Wette mit dir versuchen, die wir gewinnen wollen.«

Einige Tage später verreiste der Agellid abermals. Sobald er fortgeritten war, kamen die beiden schönen Töchter des Agellid zu ihm und sagten: »Bursche, du bist so klug, so schön und so stark, daß wir dich bitten müssen, dich nochmals in Händel mit uns einzulassen. Willst du noch einmal mit uns eine Wette eingehen?« Der Bursche sagte: »Ja, ich bin dazu bereit. Was wünscht ihr?« Die beiden schönen Mädchen lachten und sagten: »Wir beide wollen uns ganz nackt ausziehen. Du sollst dann vom Abend bis Mitternacht hinter uns herlaufen, uns fangen und uns auf unser Lager werfen. Wenn es dir gelingt, dieses Spiel von Abend bis Mitternacht mit uns zu treiben, ohne auf uns zu fallen und uns zu schwächen, so wollen wir dir fünfzig Goldstücke auszahlen. Wenn du aber dabei auf uns fällst und dich nicht enthalten kannst, uns zu schwächen, dann sollst du uns fünfzig Goldstücke auszahlen.« Der Bursche sagte: »Ich gehe darauf ein. Ich sage euch aber vorher, daß ihr eure fünfzig Goldstücke verlieren werdet.« Die beiden Mädchen lachten und sagten: »Das verschmerzen wir, wenn du nur nach Mitternacht noch bei uns bleibst und dann bei uns schlafen willst.«

Als es Abend war, zogen die beiden schönen Mädchen sich nackt aus. Der Bursche ging aber in seine Kammer und band sich das Glied am Bein mit einem Tuch fest. Nach einiger Zeit kamen die nackten Mädchen und zupften den Burschen. Der Bursche sprang auf, lief hinter ihnen her, fing sie, trug sie zu ihrem Lager und warf sie auf ihr Lager hin. Er drückte sie nieder, stand dann, ohne ihnen sonst etwas anzutun, auf und ließ auch sie aufspringen. Die Mädchen liefen fort, ließen sich wieder fangen und hinwerfen und niederdrücken. Das ging eine lange Zeit so, und die Mädchen erreichten das, was sie beabsichtigten, nicht. Einmal, nicht lange vor Mitternacht, fühlten aber die Mädchen, daß der Bursche sich das Glied festgebunden hatte. Da knoteten sie, während er sie auf das Lager rollte, ihm das Tuch ab. Als nun das Glied des Burschen frei war, mäßigte er sich nicht mehr, sondern er fiel auf sie und begann sie alle beide, noch ehe es Mitternacht war, zu schwächen.

Die Mädchen lachten und sagten: »Wir sind sehr zufrieden. Fahre so fort. Denn nun haben wir das, was wir wünschen, und die fünfzig Goldstücke mußt du uns auch zahlen.« Der Bursche sagte: »Ihr seht, ich bin euch gerne zu Willen, denn ihr seid ein paar schöne Mädchen. Die fünfzig Goldstücke habt ihr mir aber zu zahlen, denn ihr habt mir mein Tuch abgebunden, und deshalb habe ich das Recht auf meiner Seite. Wenn ihr mir nicht zustimmen könnt und die fünfzig Goldstücke nicht gutwillig zahlen wollt, werde ich, wie das vorige Mal, den Agellid um seine Meinung befragen.« Die Mädchen lachten und sagten: »Nein, wir wollen dir die fünfzig Goldstücke nicht zahlen, wir verlangen vielmehr von dir die fünfzig Goldstücke. Wenn du es so geschickt anfängst, sind wir damit einverstanden, daß du den Agellid, unseren Vater, um die Entscheidung angehst, und wir werden uns, wie das vorige Mal, seinem Richterspruch fügen. Jetzt bleibe aber noch bei uns.«

Am anderen Morgen kam der Agellid von seiner Reise zurück. Die beiden Mädchen versteckten sich im Viehstall, und der Agellid kam alsbald in seine Kammer. Der Bursche suchte den Agellid in seiner Kammer auf und sagte: »Während deiner Abwesenheit waren der Pferdebesitzer und der Kornhändler wieder hier und haben in einer schwierigen Streitfrage eine Entscheidung verlangt. Sie hatten wieder miteinander gewettet.

Der Pferdehändler sollte sein Pferd an eine bestimmte Stelle stellen, und der Kornhändler wollte zwei Kübel voll Korn, einen zur Rechten und einen zur Linken des Pferdekopfes hinstellen. Das Pferd sollte so vom Morgen bis zum Mittag stehen. Der Pferdebesitzer verpflichtete sich, dem Kornhändler fünfzig Goldstücke zu zahlen, wenn das Pferd das Korn in den beiden Kübeln vor Mittag anrühre. Der Kornhändler verpflichtete sich, dem Pferdebesitzer fünfzig Goldstücke zu zahlen, wenn das Pferd, nachdem es einmal hingestellt war, bis zum Mittag das Korn nicht fresse. Die Wette sagte beiden zu. Der Pferdebesitzer band das Pferd mit einem Strick an der bezeichneten Stelle fest. Der Kornhändler stellte rechts und links von dem Kopfe des Pferdes je einen Kübel mit Korn hin. Das Pferd stand lange so da und rührte das Korn nicht an. Als es nahe bis Mittag war, schlich der Kornhändler aber hin und schnitt heimlich den Strick, an dem das Pferd angebunden war, durch. Das Pferd lief nun frei umher. Es sprang auf den einen Kübel mit Korn und fraß ihn leer, und es sprang auf den anderen Kübel und fraß ihn leer, gerade, als es Mittag war. Nun verlangte der Kornhändler fünfzig Goldstücke, weil das Pferd das Korn nicht nur berührt, sondern auch aufgefressen hatte, und der Pferdebesitzer verlangte fünfzig Goldstücke, weil der Kornhändler den Strick heimlich durchgeschnitten und so die Sache verwirrt hatte.« Der Agellid sagte: »Sage mir, wie du die Sache als mein Stellvertreter entschieden hast!« Der Bursche sagte: »Ich habe gesagt, der Kornhändler hatte nicht das Recht, noch kurz vor Mittag, nachdem das Pferd so lange, ohne das Korn zu berühren, dagestanden hatte, die Schnur durchzuschneiden. Denn der Pferdebesitzer hatte sein Tier gelehrt, derart still zu verharren, solange es am Kopfe angebunden war. Indem der Kornhändler die Schnur durchschnitt, raubte er dem Pferdehändler den Einfluß auf sein Pferd und nahm dem Pferd den Verstand. Deshalb hat der Kornhändler dem Pferdebesitzer die fünfzig Goldstücke zu zahlen.« Der Agellid sagte: »Du hast sehr klug entschieden. Ich hätte nicht besser entscheiden können. Ich freue mich darüber, daß du mich während meiner Abwesenheit so gut vertrittst.«

Als es Abend war, kamen die beiden schönen Töchter des Agellid in die Kammer des Burschen, lachten leise und sagten leise: »Hier sind die fünfzig Goldstücke. Wir danken dir. Wir wollen noch etwas bei dir bleiben.«

Nach einiger Zeit waren die beiden schönen Mädchen des Agellid schwanger. Trotzdem hörten sie nicht auf, den Burschen zu besuchen. Der Bursche sagte eines Tages bei sich: »Diese Übung will ich nun beenden. Sie nimmt mir zuviel Kraft. Die Speise ist sehr gut für einen Klugen, aber ehrlich ist sie nicht. An dieser Sache habe ich gelernt, daß die besten Sachen zwar für die Klugen sind, daß sie aber auf die Zeit doch nur bekommen, wenn sie zu einem rechtlichen Genuß führen. Ich habe nicht vor, mir hier den Magen zu verderben.«

Der Bursche packte eines Nachts, nachdem die beiden schönen Mädchen des Agellid ihn über die Gebühr lang in Anspruch genommen hatten, seine Sachen und ging, ohne Abschied zu nehmen, von dannen.


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