Leo Frobenius
Das schwarze Dekameron
Leo Frobenius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sidi Baba

Sahel

Sidis Vater war Baba. Babas Dorf war Tonna. Baba hatte eine Frau geheiratet, die hieß Schokolo. Er kümmerte sich nie um die Familie seiner Frau. Als Baba mit Schokolo drei Jahre verheiratet war, sagte sie: »Du hast nie meinen Vater und meine Mutter besucht.« Baba sagte: »Wenn du das wünschest, so kann das sehr schnell geschehen. Ich werde mich alsbald aufmachen.« Er rüstete eine Kriegerschar und machte sich auf den Weg.

Baba kam in das Dorf der Eltern seiner Frau. Er rüstete schnell zum Angriff. Er griff an. Er brannte das Dorf nieder. Er nahm den Vater und die Mutter seiner Frau gefangen. Er tötete sie, er schnitt ihnen die Köpfe ab, er steckte die Köpfe in einen Sack und nahm den Sack mit. Als Baba wieder daheim angekommen war, sagte er: »Ich war, wie du es gewünscht hast, im Dorfe deines Vaters und deiner Mutter. Ich habe beide sehr herzlich umarmt und bringe dir von ihnen hübsche Neuigkeiten mit. Hier ist ein Sack. Schau hinein.« Die Frau öffnete den Sack. Sie zog einen Kopf heraus. Baba fragte: »Was ist das?« Die Frau sagte: »Das ist der Kopf meines Vaters.« Sie zog noch einen Kopf heraus. Baba fragte: »Was ist das?« Schokolo sagte: »Das ist der Kopf meiner Mutter.« Baba sagte: »Nimm die beiden Köpfe und lege sie als Unterlage unter deine Kochtöpfe. Bereite mir das Essen darauf.«

Die Frau Schokolo sagte kein Wort. Sie nahm die Köpfe, sie legte Feuer an. Sie stellte die Kochtöpfe darauf. Sie bereitete das Essen für ihren Mann darauf, aber sie sagte kein Wort. Die beiden Köpfe verkohlten und verbrannten, aber die Frau sagte kein Wort.

Nachdem genug Zeit vergangen war, daß Baba das alles vergaß und vergessen hatte, ging Frau Schokolo zu einem Schmied und ließ sich ein sehr scharfes Messer geben. Mit diesem Messer ging sie dann in aller Frühe in das Haus, in dem ihre Schwiegermutter, die Mutter ihres Mannes Baba, lebte. Sie sagte der Frau nicht guten Tag, sondern schnitt ihr die Kehle durch. Alsdann schnitt sie den Leib der Frau auf und trennte alles gute Fett, das darin enthalten war, heraus. Die Leiche ließ sie liegen und ging mit dem Fett nach Hause. Sie bereitete mit dem Fett ein Gericht. Sie stellte eine Speise her, die war über alle Maßen schmackhaft.

Inzwischen war es Morgen geworden, und die angesehenen Leute versammelten sich auf dem Platz, wo sie miteinander plauderten. Die Frau Babas nahm das Gericht, das sie bereitet hatte, und trug es auf den Platz hinaus. Sie kniete vor ihrem Mann (nach alter Sitte) nieder und überreichte die Schüssel. – Die Männer begannen zu essen. Einer sagte: »Ach, das ist ausgezeichnet.« Ein anderer sagte: »Ach, das ist ganz besonders gut zubereitet.« Baba selbst sagte: »Ja, das ist das wohlschmeckendste Gericht, das ich je in meinem Leben genossen habe.«

Baba hatte die Gewohnheit, jeden Morgen zu seiner Mutter einen Boten zu senden und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er rief auch heute einen Haussklaven und sagte zu ihm: »Geh zu meiner Mutter und frage sie, wie es ihr geht.« Der Haussklave ging. Er kam in das Haus. Er sah die Leiche in ihrem Blut und mit aufgetrenntem Leib. Er kam zu Baba zurück. Baba fragte: »Wie geht es meiner Mutter?« Der Haussklave sagte: »Ich kann dir das nicht berichten.« Baba sagte: »Sofort sage es mir, oder ich töte dich.«

Der Haussklave sagte: »Töte mich, aber ich kann dir doch nicht wiederholen, was ich gesehen habe.« Darauf ließ Baba den Sklaven töten.

Baba sagte zu einem anderen Haussklaven: »Geh hin und frage meine Mutter, wie es ihr geht.« Der Haussklave ging. Er sah die blutige Leiche, kam zurück und sagte: »Ich kann nicht wiederholen, was ich gesehen habe.« Baba ließ auch diesen totschlagen. Er rief einen dritten Haussklaven und sagte zu ihm: »Geh hin und frage, wie es meiner Mutter geht.« Der Haussklave ging. Er sah die blutige Leiche, kam zurück und sagte: »Ich kann nicht wiederholen, was ich gesehen habe.« Baba ließ auch diesen totschlagen.

Es war da ein Spielmann, der sagte: »Baba, du solltest doch deine Leute nicht so hinschlachten, wie die Ochsen und Schafe.«

Baba sagte: »Gut. Wenn dir das nicht zusagt, so geh du in das Haus meiner Mutter und frage sie, wie es ihr geht.« Der Spielmann ging hin. Er sah die blutige Leiche, kehrte zurück und sagte: »Baba, was deine Sklaven gesagt haben, ist wahr. Man kann es nicht wiederholen.« König Baba sagte: »Sage es jetzt, oder ich lasse dich auch totschlagen.«

Der Spielmann sagte: »Baba, deine Mutter ist tot. Das übrige sieh selbst.« Baba ging hin. Er sah die blutige Leiche mit dem aufgeschnittenen Leib. Darüber wurde der König über alle Maßen zornig. Er ließ sofort eine Botschaft in die Runde gehen, die lautete: »Alle Familienvorstände sollen allsogleich sich danach umtun, festzustellen, wer meine Mutter getötet hat. Wenn es nicht bis heute abend klar festgestellt ist, werde ich tausend Menschen töten.« Darauf machte sich alle Welt daran und suchte und spürte. Aber niemand vermochte eine Spur zu finden. Es kam nicht heraus, wer die Mutter Babas getötet hatte.

Als nun alle Leute vergebens gesucht hatten, und der König Baba mit den Spielleuten und Alten beratend auf dem Platze saß, kam Schokolo, Babas Frau. Sie ließ sich (der alten Sitte entsprechend) vor Baba auf die Knie nieder und fragte: »Habe ich dir nicht heute morgen ein Gericht bereitet und es hier auf den Platz gebracht?« Baba sagte: »Das ist richtig. Es hat allen sehr gut geschmeckt, und ich selbst habe dir gesagt, daß ich nie in meinem Leben eine so ausgezeichnete Speise genossen habe.« Schokolo sagte: »Diese Speise habe ich mit dem Leibfett deiner Mutter bereitet. Ich habe deine Mutter getötet. Nun tue mit mir, was du willst.«

Der eine von den Umsitzenden sagte: »Man soll diese Frau totschlagen.« Der zweite sagte: »Man soll sie totschießen.« Der dritte sagte: »Man soll ihr auch den Leib aufschneiden.« Der vierte sagte: »Man soll sie verbrennen.« Es war da aber ein alter Mann, der war sehr angesehen im Rat, der sagte: »Ich denke, man soll sie leben lassen. Man soll gar nichts tun. Man soll warten. Von schlechtem Vater und von schlechter Mutter kommen schlechte Kinder.« Er stand auf und ging.

Man tat nichts.

Zwei Jahre nachher wurde von der Frau ein Knabe geboren, der ward Sidi Baba genannt, weil Baba sein Vater war. Der Knabe wuchs heran. Als er zehn Jahre alt war, war seine Hauptbeschäftigung, Fallen zu legen und Tauben zu fangen. Eines Tages hatte sich in einer seiner Fallen ein Eichhörnchen gefangen. Als Sidi Baba näher kam, riß das Tier in seiner Angst im letzten Augenblick seine Schnur durch und rannte von dannen. Es gelang ihm, in sein Loch zu entschlüpfen. Sidi Baba sah das gerade noch.

Sidi machte sich sogleich daran, die Erde abzusuchen und das Eichhörnchen auszugraben. Er grub und grub. Sidi Baba grub einen Tag und eine Nacht, ohne an etwas anderes zu denken. Als eine Nacht vergangen war, ohne daß der Knabe heimgekehrt war, sandte Baba Boten aus, die seinen Sohn suchen sollten. Ein Bote traf Sidi. Er sagte zu Sidi Baba: »Dein Vater hat Boten ausgesandt, dich suchen zu lassen.« Sidi sagte: »Sage meinem Vater, daß in meiner Falle ein Eichhörnchen gefangen war, daß dieses aber im letzten Augenblick entwichen ist und in sein Loch schlüpfte, so daß ich jetzt seine Höhle aufgraben muß.« Der Bote kehrte heim und berichtete Baba.

Sidi grub weiter, und nach langer Zeit ergatterte er sein Eichhörnchen und tötete es. Dann begab er sich auf den Heimweg.

Ehe er aber noch wieder heimkam, war sein Vater gestorben, und man hatte das Königreich dem Vaterbruder übergeben. Man hatte ein großes Fest veranstaltet, hatte viel Besu getrunken und den neuen König herrlich gefeiert. Als Sidi heimkam, sagte man ihm: »Dein Vater ist gestorben. Dein Onkel ist zum König gemacht worden.« Sidi Baba fragte sogleich: »Zeige mir, wo mein Vater begraben worden ist.« Man zeigte es Sidi. Sidi sagte: »Öffnet das Grab.« Man tat es. Es war da der Sklave, dessen Amt es immer gewesen war, Peitschenhiebe zu verabfolgen. Sidi Baba sagte: »Gib diesem Baba fünfzig Hiebe mit dem Knotenstock, denn der Mann ist hinter meinem Rücken gestorben. Darum wird es jetzt Streit geben.«

Darauf sandte Sidi Baba an seinen Onkel eine Botschaft und ließ ihm sagen: »Wem kommt nach dem Tode meines Vaters das Königtum zu?« Als der Onkel diese Nachricht empfing, bekam er Angst und sagte: »Ich bin ja gar nicht König. Ich trinke nur ein wenig und freue mich meines Lebens.« Sidi Baba sagte: »Du kannst alle Weiber meines Vaters nehmen, meinetwegen auch meine Mutter. Aber sonst bekommst du nichts.« – Drauf wurde Sidi Baba selbst König.

Nachdem Sidi Baba sich derart zum König gemacht und er seinen Onkel beiseite geschoben hatte, sagte er: »Wartet, ihr Alten, seid ihr so? Wollt ihr mich so loswerden?« Sidi Baba hatte fünf große Hallen. Er ließ im Lande verkünden: »Alle Alten sollen zusammenkommen, die Ritter, die Bauern, die Spielleute, die Schmiede. Alle sollen in dem Gehöft des Sidi Baba zusammenkommen.« Sie kamen von allen Seiten und versammelten sich in großer Menge in dem Hof, und manche dachten, sie würden nun ganz besonders geehrt werden. – Als aber alle beisammen waren, ließ Sidi Baba rund im Lande verkünden: »Heute macht jeder Alte seinem Sohne Platz. Das Alter will, daß die Jugend daran komme. Keiner von den Alten wolle aber dem Nachkommen hinter seinem Rücken fortsterben, damit niemand eine Schwierigkeit in seiner Rechtsübernahme habe, und somit teilt Sidi Baba mit, daß die Alten heute beiseite rücken.«

Sidi Baba ließ alle Alten erschlagen. Dann rief er die jungen Spielleute und sagte: »Nehmt ihr jetzt den Bari (Kalebassenpiano)! Singt zum Bari. Die Alten haben den Bari nicht mehr nötig.« Er gab den jungen Landleuten die Äcker der Alten. Er gab den jungen Rittern die Herrschaft der Väter. Er gab den jungen Schmieden die Werkstätten der Alten.

In der Gegend war ein Land namens Garrio, das ist nicht weit vom Lande Fara-Maka. Im Ort Garrio war jeden Tag Spiel und Tanz. Das ärgerte den König Sidi Baba. Er hörte das jeden Tag herüberschallen, und er war so ärgerlich, daß er eines Tages sagte: »Der König von Garrio vagabundiert zu sehr. Ich werde ihm etwas Ruhe schaffen.« Zwischen Tonna, seinem Dorf, und Garrio war eine Wildnis, die hieß Nampala. Die Wildnis Nampala ist weit bekannt. In allen Ländern hat man von der Wildnis Nampala gehört. Um die buschige Wildnis Nampala zu durchqueren, braucht man zwei bis drei Tage. Es ist kein Wasser da zu finden. Sidi Baba machte sich mit seinen Kriegern auf, um gegen Garrio zu ziehen. Als er am ersten Abend in der Wildnis Nampala lagerte, sagte er zu seinen Leuten: »Hier ist kein Wasser. Morgen früh will ich erwachend Wasser finden. Grabt einen Brunnen. Wenn ihr morgen früh den Brunnen nicht fertig habt, so werde ich euch allen die Köpfe abschlagen lassen.« Danach legte sich Sidi Baba zu Bett. Seine Kriegsmannschaft arbeitete die ganze Nacht, und am anderen Morgen, als Sidi Baba erwachte, war der Brunnen vollendet. Es war ein Brunnen von weit über 100 Metern Tiefe. Man zeigt ihn noch heute. Er hat lange, lange Zeit bestanden, aber im Laufe der Zeit ist er verschüttet.

Sidi Baba kam nach Garrio und nahm es ein.

Als Sidi Baba von Tonna aufbrach, hatte er 10 000 lange starke Stricke mitgenommen. Die ließ er nun aneinanderbinden und begann damit, daß er in den ersten einen Gefangenen binden ließ. Einer ward hinter den anderen gebunden. Wie eine Kette von Schafen nahm sich das aus. Er unterwarf 100 Dörfer und band die Unterworfenen jeden in die Schleife eines der 10 000 Stricke. Die Leute sagten zu ihm: »Herr, du hast schon soviel getan, kehre doch heim!« Er sah an der Reihe der Gekoppelten entlang an das Ende und fragte: »Ist noch freie Schnur da?« Die Leute sagten: »Ja, es ist noch etwas Schnur da.« Sidi Baba sagte: »Dann sind wir noch nicht fertig, dann können wir noch nicht heimgehen.«

Er unterwarf das Land bis nach Barbe und Fentala im Kunarigebiet. Dann war fast die ganze Schnur aufgebraucht. Als er wieder zu dem Busch Nampala kam, sah er aber, daß doch noch 200 Schnüre ungenützt herunterhingen. Darauf sagte er: »Wir haben gerade 200 Djongwalde (Sklavenaufseher, ursprünglich wohl Distrikts- resp. Haufenführer). Wir haben gerade 200 Stricke übrig. Mit den 200 Stricken wollen wir den 200 Djongwalde die Hände auf dem Rücken zusammenbinden lassen. Dann will ich die 200 Djongwalde verkaufen. Sollten deren Kinder und Weiber aber schreien, so laß ich alle 200 Djongwalde einfach totschlagen.« So wurden die 200 Anführer verkauft, und dafür kaufte sich Sidi Baba Getränke. Sidi Baba starb, nachdem er 30 Jahre regiert hatte. Er hat in seinem Leben 620 Dörfer eingenommen. Seinem Stamme nach war Sidi Baba Kulloballi. Seine Nachkommen leben noch heute zwischen Gumbu und Sokolo. Es sind Bammana.


 << zurück weiter >>