Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Drittes Kapitel

Zwei neue Gäste

Der Professor stand mit dem Kammerherrn im Arbeitszimmer des Fürsten. Dieser hielt in der Hand die Denkschrift, welche Werner über das Antikenkabinett verfaßt hatte. »Erst hierdurch erhalte ich ein Urteil über den Umfang des Kataloges, welchen Sie für nötig halten. Ich bin bereit, auf Ihre Vorschläge einzugehen, wenn Sie sich verpflichten wollen, die oberste Leitung der neuen Ausstellung und des Kataloges zu übernehmen. Können Sie uns diesen Dienst nicht erweisen, so bleibt alles wie bisher, denn nur das große Vertrauen, welches ich zu Ihnen habe, und der Wunsch, Sie in meiner Nähe zu behalten, würde mich veranlassen, die nötigen Opfer zu bringen. Sie sehen, ich mache das Unternehmen von dem Grade der Zuneigung abhängig, welchen Sie selbst für diese Arbeit hegen.«

Der Professor entgegnete, daß seine Anwesenheit für die erste Einrichtung wünschenswert sein möge und daß er bereit sei, einige Wochen darauf zu verwenden. Später werde genügen, wenn er ab und zu die Fortschritte der Arbeiten prüfe.

»Damit bin ich vorläufig zufrieden,« sagte der Fürst mit kurzem Bedacht, »unser Vertrag ist also geschlossen. Ferner aber sehe ich, daß es darauf ankommt, einen Arbeiter zu gewinnen, welcher unter Ihrer Leitung die Aufnahme der Kunstgegenstände bewältigt. Der Konservator ist dafür nicht brauchbar?«

Der Professor verneinte dies.

»Und können Sie mir einen solchen Gehilfen vorschlagen?«

Der Professor musterte in Gedanken die älteren Mitglieder seines Kränzchens.

Diesmal fiel dem Kammerherrn sogleich der geeignete Mann ein. »Würde nicht Magister Knips für diese Arbeit passen?«

»In der Tat,« sagte der Professor, »Fleiß, Kenntnisse, seine ganze Persönlichkeit machen ihn vortrefflich geeignet. Ich glaube, daß er auf der Stelle zu haben wäre. Auch für seine Zuverlässigkeit gegenüber den Wertstücken könnte ich bürgen. Aber ich darf diese Verantwortung doch nicht übernehmen, ohne Ew. Hoheit mitzuteilen, daß er einmal in seinem Leben durch Mangel an Vorsicht in einen widerwärtigen Handel verwickelt wurde, der nicht mir, aber mehreren seiner Bekannten das Vertrauen zu ihm verringert hat.«

Darauf erzählte der Professor schonend für alle Beteiligten die Geschichte von dem gefälschten Pergamentblatt des Tacitus.

Der Fürst hörte aufmerksam zu und erwog. »Über den Bestand der Sammlungen erlauben die alten Verzeichnisse augenblickliche Nachrechnung. Sie halten den Magister für unschuldig an jenem Betruge?«

»Ich halte ihn dafür,« sagte der Gelehrte.

»Dann ersuche ich Sie, dem Mann zu schreiben.«

Wenige Tage darauf betrat Magister Knips die Residenz. Er trug Reisetasche und Hutschachtel in eine anspruchslose Herberge, hüllte seinen Leib auf der Stelle in die Gewänder, welche er selbst gegen seine Mutter Lohndienertracht nannte, und suchte den Pavillon des Professors auf. Gabriel sah die Gestalt von weitem durch blühendes Gesträuch heranziehen, den Kopf auf der Schulter, den Hut in der Hand. Denn Knips erachtete für anständig, im Bann des fürstlichen Schlosses das Haupt entblößt zu tragen, und durchschritt wie eine wandelnde Verbeugung den vornehmen Gesichtskreis. Auch der Professor konnte ein Lächeln nicht bergen, als er den höfisch zugerichteten Magister, glatt und duftend, mit zwei tiefen Verbeugungen vor sich sah. »Der Kammerherr hat Sie für diese Tätigkeit vorgeschlagen, ich habe nicht widersprochen. Denn unter der Voraussetzung, daß sie Ihnen in entsprechender Weise vergütet wird, bietet sie Gelegenheit zu einer großen Anstrengung, welche Sie vielleicht für immer aus kleiner Tagesarbeit heraushebt, und welche bei pflichtgetreuer Ausführung nicht nur einzelne von uns, sondern die ganze Wissenschaft zu lebhaftem Dank verpflichten wird. Ihre Leistung hier mag deshalb für Ihr späteres Leben entscheidend sein. Denken Sie jede Stunde daran, Herr Magister, daß Sie Gewissenhaftigkeit und Treue nicht nur der Wissenschaft, auch dem Eigentum des Fürsten zu beweisen haben, welcher Sie vertrauend hierherrief.«

»Hochwohlgeborner und hochverehrter Herr Professor,« erwiderte Knips, »als ich Dero Brief durchgelesen hatte, war mir nicht zweifelhaft, daß Dero gütiges Wohlwollen mir Gelegenheit geben wollte, einen neuen Menschen anzuziehen. Deshalb, an die Pforte eines unbekannten Lebens tretend, flehe ich tiefbewegt vor anderem um die Fortdauer von Dero guter Meinung, welche ich in treustem Gehorsam verdienen zu können vertraue.«

»Gut also,« schloß der Professor, »melden Sie sich bei dem Kammerherrn.«

Schon am Tage darauf saß Knips vor einer Reihe antiker Lampen, den Frack durch Überziehärmel geschützt, die Feder am Ohr, von Büchern der fürstlichen Bibliothek umgeben. Er schlug nach, verglich, schrieb auf und war rüstig in seiner Arbeit, als wenn er sein Lebtag Kommis in einem Nippesgeschäft des alten Roms gewesen wäre. Der Kammerherr meldete vor der Tafel heiter dem Prinzen: »Magister Knips ist da,« und der Prinz wiederholte der Schwester: »Der weise Knips ist da.« »Ah, der Magister,« sagte der Fürst ebenfalls mit Laune.

In derselben Woche wurde der Fürst von dem Kammerherrn in die Sammlungen begleitet, damit Knips gelegentlich unter die Augen des Herrn gestellt werde. Der Fürst sah neugierig auf den tiefgekrümmten Mann, dem der Angstschweiß ausbrach, und der jetzt völlig einer Maus glich, welche durch starke Bezauberung verhindert wird, in ihrem Loche zu verschwinden. Der Fürst erkannte sogleich, was er subalterne Natur nannte, und das bleiche breitgedrückte Antlitz, das zurückgezogene Kinn und die wehmütige Miene schienen ihn zu ergötzen. Im Begriff, weiterzugehen, wies er auf den Bücherwall, aus welchem Knips emporgeschossen war: »Sie haben sich schnell heimisch gemacht, ich hoffe, daß Sie bei uns fanden, was Ihnen an Büchern unentbehrlich ist.«

»Maßlosen Wünschen entsagend,« jammerte Knips in hohem Ton, »habe ich aus Allerhöchstdero Bibliothek vieles Brauchbare zu entleihen mir in tiefster Untertänigkeit gestattet, Fehlendes aber mit Beihilfe verehrter Gönner aus den Büchersammlungen meiner Vaterstadt herbeizuschaffen gewagt.«

Der Fürst ging mit kurzem Kopfnicken weiter, Magister Knips blieb in der Stellung demütiger Hingabe stehen, bis der Fürst das Zimmer verlassen hatte, dann sank er auf den Stuhl zurück und schrieb, ohne links und rechts zu sehen, an dem angefangenen Worte weiter. Sooft der Fürst das Zimmer betrat und verließ, schnellte er auf und fiel zurück, durch Ehrfurcht in einen Automaten verwandelt.

»Sind Sie mit ihm zufrieden?« fragte der Fürst den Professor.

»Noch über Erwarten,« antwortete dieser.

Der Kammerherr, froh seiner Empfehlung, erinnerte den Fürsten, daß derselbe Magister sich auch als trefflicher Wappenmaler erwiesen habe und merkwürdige Kenntnisse in Brauch und Festordnung der alten Höfe besitze. Als der Fürst den Saal verließ, streifte sein Auge vornehm über das gesenkte Haupt des Kleinen, aber Knips konnte mit dem Erfolge dieser Vorstellung zufrieden sein, er war sehr ehrerbietig und sehr bequem für fernere Verwendung befunden.

Ihm wurde sogleich Gelegenheit, seine Brauchbarkeit in einem außerordentlichen Fall zu beweisen. Die Ordnung des Hofes war in allen Stücken musterhaft, nicht am wenigsten, wenn der Fürst eine Aufmerksamkeit zu erweisen hatte. Ein vertrauter Kabinettsrat zog vor jedem Geburtstag, bei welchem der Fürst durch sein Herz zu einem Geschenk verpflichtet war, nicht weniger vor Volksfesten, welche die Stiftung eines silbernen Bechers oder andern Beweis fürstlicher Teilnahme notwendig machten, den Tag des Festes nebst der für das Geschenk ausgesetzten Summe aus seinem Verzeichnis und sandte die Anzeige dem Kammerherrn. Denn dieser war mit dem ehrenvollen, aber schwierigen Amte bekleidet, etwas Passendes zu wählen und anzukaufen. Bei Geburtstagen der fürstlichen Familie hatte der Kammerherr aber nur Vorschläge zu machen, der Fürst entschied selbst über die Geschenke und Preise. Jetzt nahte der Geburtstag der Prinzessin. Der Kavalier machte deshalb ihrer Kammerfrau einen Besuch und erkundigte sich unter der Hand, was die Prinzessin sich wohl wünsche. Auf diesem nicht ungewöhnlichen Wege wurde allerlei festgestellt, der Kammerherr fügte aus eigenem Antriebe modische Kleinigkeiten bei, darunter Vorlegeblätter zu bunten Anfangsbuchstaben, welche gerade damals in Album und Briefbogen gemalt wurden, denn er wußte, daß die Prinzessin dergleichen gewünscht hatte. Der Fürst wählte aus der Liste und blieb zuletzt an den Vorlegeblättern hängen.

»Diese Pariser Fabrikzeichnungen werden der Prinzessin schwerlich gefallen. Können Sie nicht gemalte Buchstaben alter Pergamente von einem Zeichner nachbilden lassen? Wer hat mir doch Ihren Magister Knips gerühmt? Er soll kleine Handzeichnungen recht zierlich anfertigen.«

Der Kammerherr freute sich ehrerbietig des hohen Einfalls und suchte den Magister auf; Knips versprach, alle Buchstaben des Alphabetes nach alten Handschriften zu malen, der Kammerherr besorgte unterdes die Kapsel. Als die Arbeit des Magisters dem Fürsten vorgelegt wurde, war dieser in der Tat überrascht. »Das sind ja schöne alte Miniaturen,« rief er, »wie kommen Sie dazu?« Jeder Buchstabe stand auf altem Pergament so gemalt, daß, wer flüchtig zusah, nicht erkennen mochte, ob die Arbeit alt oder neu war. Lange sah der Fürst auf die Blätter. »Dies ist ein staunenswertes Talent; sorgen Sie dafür, daß der Mann nach dem Wert seiner Leistung entschädigt wird.« Knips geriet in ehrfurchtsvolles Entzücken, als ihm der Kammerherr die Zufriedenheit des Fürsten in glänzendem Gepräge zu erkennen gab. Dabei aber blieb es nicht. Denn kurz darauf besuchte der Fürst das Antikenkabinett in einer Stunde, wo Knips darin arbeitete. Der Fürst hielt wieder vor dem Magister an. »Ich habe mich über die Bilder gefreut,« sagte er, »Sie besitzen eine seltene Meisterschaft, Auge und Urteil durch den Schein des Altertums zu täuschen.«

»Allerhöchste Gnade möge verzeihen, wenn die Nachahmung wegen Kürze der Zeit nur unvollkommen ausfiel,« erwiderte der gebeugte Knips.

»Ich bin sehr damit zufrieden,« entgegnete der Fürst und musterte scharf Antlitz und Haltung des kleinen Mannes. Er fing an, dem Magister Anteil zu gönnen. »Es kann Ihnen nicht an Gelegenheit gefehlt haben, diese Kunst in lohnender Weise auszuüben.«

»Allerhöchster fürstlicher Huld blieb vorbehalten, meine geringe Fertigkeit für mich wertvoll zu machen,« versetzte Knips, »bis jetzt habe ich solche Nachbildung nur zu meinem eigenen Vergnügen geübt, oder hier und da als Scherz, um einmal andere zu necken.«

Der Fürst lächelte und entfernte sich mit einer wohlwollenden Bewegung des Hauptes. Magister Knips war sehr brauchbar befunden.

Die Prinzessin saß an ihrem Schreibtisch, die Feder flog in der kleinen Hand, sie blickte zuweilen in ein Buch von gelehrtem Aussehen und schrieb Stellen ab, welche ihr durch Striche bezeichnet waren. Tritte im Vorzimmer störten die Arbeit, der Erbprinz trat ein, neben ihm ein Offizier in fremder Uniform. »Setzt euch, Kinder,« rief die Prinzeß. »Lege deinen Sarras ab, Viktor, und komm zu mir. Du bist ein hübscher Junge geworden, man sieht dir's an, daß du dich unter fremden Leuten behauptet hast.«

»Man schlägt sich durch,« erwiderte Viktor achselzuckend und stellte den Säbel vorsichtig in die Nähe, daß er ihn mit der Hand erreichen konnte.

»Sei ruhig,« tröstete die Prinzeß, »wir sind jetzt sicher, er hat Geschäfte.«

»Wenn er das gesagt hat, wollen wir uns nicht darauf verlassen,« versetzte Viktor. »Du bist ernster geworden, Siddy, auch das Zimmer ist verändert, Bücher und wieder Bücher,« er schlug einen Titel auf. »Archäologie der Kunst. Sprich, was tust du mit dem Zeug?«

»Man schlägt sich durch,« wiederholte Siddy achselzuckend.

»Siddy beschützt die Wissenschaft,« erklärte der Erbprinz. »Wir haben jetzt gelehrte Teeabende, sie läßt Stücke lesen mit verteilten Rollen. Nimm dich in acht, du wirst auch daran müssen.«

»Ich lese nur Bösewichte,« entschied Viktor, »und allenfalls Bediente.«

»Das Beiwerk ist mein Teil,« sagte der Erbprinz, »das Beste, was an mich kommt, ist ein gutmütiger Vater, der zuletzt seinen Segen gibt.«

»Er hat keinen andern Ton in seiner Kehle,« entschuldigte die Prinzeß, »als ruhigen Biedersinn, er wehrt sich, wenn er mehr als vier Verse hintereinander vortragen soll, dabei entsteht noch jedesmal eine Pause, in der er sich die Lorgnette zurechtrückt.«

»Sein eigentlicher Beruf ist Pastor,« spottete Viktor, »er würde seiner Gemeinde den Genuß kurzer Predigten und eines tugendhaften Wandels verschaffen.«

»Höre, wenn er darin besser sein sollte als du, so wäre das noch kein Verdienst. Viktor, du stehst bei uns in dem Ruf, immer noch sehr unartige Streiche zu machen, und uns wird die Bekanntschaft mit deinen Torheiten nicht erlassen.«

»Verleumdung,« rief Viktor. »Ich bin bei meinem Regiment übel angesehen wegen allzu schroffer Grundsätze.«

»Dann bewahre uns der Himmel vor einem Einbruch deiner Kameraden. Mir ist recht, daß du deinen Urlaub in dieser Galeere zubringen willst, aber ich wundere mich darüber. Du bist frei, dir steht die Welt offen.«

»Ja, frei wie eine Dohle, die aus dem Nest geworfen ist,« versetzte Viktor, »man hat doch Stunden, wo einem einfällt, daß die Garnison nicht alle Reize einer Heimat hat.«

»Und die suchst du bei uns?« fragte die Prinzessin. »Armer Vetter! – Aber du warst unterdes im Feldzug, ich wünsche Glück. Wir hören, du hast dich brav gehalten.«

»Ich hatte ein gutes Pferd,« lachte Viktor.

»Und du hast die große Rundreise bei den Verwandten gemacht?«

»Ich habe die Mysterien dreier Höfe durchgelesen,« versetzte Viktor. »Zuerst bei der Kusine, unschuldiger Schäferhof und reizendes Stilleben. Der Hofmarschall trägt eine Stickerei in der Tasche, an der er unter den Damen arbeitet. Die Hofdame kommt mit ihrem Bologneser zum Diner und läßt ihn von der Küche füttern. Jede Woche werden zweimal Leute aus der Stadt auf Tee und Backwerk geladen. Wenn die Familie den Tee allein nimmt, wird um Haselnüsse gespielt. Ich glaube, sie werden im Herbst vom ganzen Hofe gesammelt. Dann ging's zum Großonkel an den Hof der sechsfüßigen Grenadiere, ich war der kleinste unter der Gesellschaft, den einen Tag waren alle als Generale gekleidet, den Tag darauf alle als Nimrode in Jagdröcken und Gamaschen; heut wird exerziert, morgen gejagt, Pulver ist der größte Verbrauch des Hofes; auch das Ballett trägt, wie man sagt, unter dem Flor Uniformen. Endlich kam der große Hof der Tante Luise. Alle in weißen Köpfen mit Puder, hat jemand jüngeres Haar, so sucht er es so schnell als möglich loszuwerden. Abends tugendhafte Familienunterhaltung, wer medisiert, erhält am nächsten Morgen von der Fürstin eine Aufforderung zu Beiträgen für milde Stiftungen. Prinzeß Minna fragte mich, ob ich auch fleißig zur Kirche gehe, und als ich ihr sagte, daß ich wenigstens mit unserm Feldprediger regelmäßig Whist spiele, fiel ich in Verachtung; sie tanzte den ersten Kontertanz mit ihrem Bruder, ich bekam erst den zweiten. Die Abendgesellschaft genau nach ihren Würden aus den vier Schachteln geholt, jede in gesonderter Aufstellung. Saal der wirklichen Geheimen, der Kammerherren, des Kleinviehes vom Hofe und außerdem eine Vorhölle für unvermeidliches Bürgervolk, worin Bankiers und Künstler der höchsten Beachtung harren.«

»Dies steife Wesen macht uns vor aller Welt lächerlich,« rief der Erbprinz.

Die Prinzeß und Viktor lachten über den plötzlichen Eifer. »Seit wann ist Benno rot?« fragte Viktor.

»Ich höre dies von ihm zum ersten Male,« sagte die Prinzeß.

»Ein Fürst soll nur Gentlemen in seine Gesellschaft laden, wer darin ist, steht dem andern gleich,« belehrte der Erbprinz.

Wieder lachten die andern. »Wir danken für den weisen Spruch, Professor Bonbon,« rief Siddy.

»In diesem Zimmer war's, wo wir dich als Eule anzogen, Bonbon, und wo du seufzend unter Siddys Mantel saßest, als der Fürst uns überraschte.«

»Und wo du Strafe erhieltest,« versetzte Benno, »weil du mich armen Kerl so verunstaltet.«

»Mach's ihm noch einmal,« bat Siddy.

»Wie du befiehlst.« Viktor nahm ein buntes Seidentuch, formte zwei Zipfel durch Knoten zu Ohrbüscheln und verhüllte den Kopf des Erbprinzen, der sich das Manöver ruhig gefallen ließ. Sein ernsthaftes Gesicht mit den dunkeln Augenbrauen blickte abenteuerlich aus der Hülle heraus. »Jetzt fehlt der Federrock,« rief Siddy, »den denken wir uns dazu. Ich bin die Wachtel und Viktor macht den Hahn. Ich kenne noch die Melodie, die wir uns als Kinder gedacht haben.«

Sie flog zum Flügel und fuhr über die Tasten, der Erbprinz drehte den Theaterzettel, welchen er in der Tasche trug, zu einer spitzen Tüte und stöhnte hinein: »Uhü, uhü, Frau Wachtel, ich fresse Sie.«

Die Wachtel sang: »Pikwerwit, alter Uhu, 's macht sich nit.« Und der Hahn krähte: »Kikeriki, allerliebste Wachtel, ich liebe Sie.«

»Das ist nie wahr gewesen, Viktor,« sagte die Prinzessin unter dem Spiele.

»Wer weiß,« entgegnete er, »Kikeriki.«

Das Konzert war im besten Gange, Viktor sprang auf den Teppich, schlug mit den Händen und krähte, der Erbprinz blies auf seinem Stuhle unermüdlich die Klagelaute des Uhu, Siddy bewegte ihr Köpfchen nach dem Takte, sang ihr Pikwerwit und rief dazwischen: »Ihr seid lächerliche kleine Jungen.« Da klopfte es leise, schnell fuhren alle auf, der Säbel flog an seinen Riemen, die Wachtel war im Nu in eine vornehme Dame verwandelt.

»Des Fürsten Hoheit läßt ersuchen, Höchstdenselben allein zu erwarten,« meldete der eintretende Kammerdiener.

»Ich wußte, daß er uns stören würde,« brummte Viktor aufbrechend.

»Hinweg ihr Kinder,« rief Prinzeß Sidonie. »Noch einmal, mich freut's, Vetter, daß du wieder da bist, wir drei wollen zusammenhalten. Benno ist brav und mein einziger Trost. Vermeide, sooft der Fürst zugegen ist, dich mit mir zu beschäftigen, ich nehme dir nicht übel, wenn du dich gar nicht um mich kümmerst. Der Spion, welcher mir gesetzt wurde, ist jetzt mein Fräulein, die Lossau, jedes Wort, das du in ihrer Gegenwart sprichst, wird zugetragen. Die Herren kennst du, lustiger sind sie nicht geworden.«

»Da ist Bennos Kammerherr heraufgekommen,« forschte Viktor, »der Fürst sprach heute lange mit ihm.«

»Er ist gutmütig, aber schwach,« bemerkte der Erbprinz, »und hängt ganz von seiner Stelle ab. Verlaß ist nicht auf ihn.«

»Sei diesmal hübsch artig, Viktor,« fuhr die Prinzessin fort, »sei ein guter Chinese, trage deinen Zopf regelrecht, und benimm dich genau nach den Privilegien des Knopfes, den du auf deiner Mütze führst. Jetzt macht fort, dort hinaus, die Treppe meiner Kammerfrau hinab.«

Prinzeß Sidonie eilte dem Fürsten an die Tür des Empfangzimmers entgegen. Der Fürst durchschritt die Räume bis in ihre Arbeitsstube. Er warf einen Blick in das aufgeschlagene Buch. »Wer hat diese Zeichen gemacht?«

»Herr Werner hat mir die wichtigsten Stellen angestrichen,« versetzte die Prinzessin.

»Es ist mir lieb, daß du diese Gelegenheit benutzest, dich durch einen ausgezeichneten Gelehrten fördern zu lassen. Er ist, wenn man von dem doktrinären Wesen absieht, welches an diesen Meistern der Bücher hängt, ein bedeutender Mensch. Ich habe den Wunsch, ihm für seine opfervolle Tätigkeit den Aufenthalt so angenehm zu machen als die Verhältnisse erlauben, und ich ersuche, daß du dabei das Deine tust.«

Die Prinzeß verneigte sich stumm, die Finger ihrer Hand schlossen sich krankhaft zusammen.

»Da es unmöglich ist, ihn und seine Frau dem Hofe näher zu stellen, so wünsche ich, daß du die Fremden einmal zu deinen kleinen Teeabenden einladest.«

»Mein gnädigster Vater wollen mir verzeihen, wenn ich nicht sehe, wie dies geschehen kann. Die Abendgesellschaft hat bis jetzt immer nur aus meinen Damen und den ersten Mitgliedern des Hofes bestanden.«

»So ändere das,« sagte der Fürst kalt, »es bleibt dir unbenommen, noch einen oder den andern von unsern Beamten mit ihren Frauen herbeizuziehen.«

»Verzeihung, mein Vater, da dies bis jetzt niemals geschah, würde jedermann bemerken, daß die Änderung nur durch die beiden Fremden veranlaßt ist. Es muß üble Nachrede verursachen, wenn ein zufälliger Besuch umzuwerfen vermag, was an diesem Hofe bis zu diesem Tage für erlaubt gehalten wurde.«

»Die Rücksicht auf unartiges Geschwätz soll dich nicht abhalten,« antwortete der Fürst gereizt.

»Mein gnädigster Vater möge huldvoll die Rücksichten würdigen, welche mich verhindern, etwas dergleichen zu tun. Es würde doch mir, der Frau, nicht ziemen, mich über Sitte und Brauch wegzusetzen, welche mein Fürst und Vater für sich selbst bindend erachtet. Du hast geruht, Herrn Werner bei kleiner Hoftafel den Zutritt zu gestatten, ihn würde auch ich, ohne ungewöhnlichen Anstoß zu erregen, an meinem Teetisch sehen dürfen. Die Frau dagegen ist von meinem gnädigsten Vater niemals mit dem Hofe in Verbindung gebracht. Es würde der Tochter schlecht anstehen, zu wagen, was der Vater selbst nicht getan.«

»Dieser Grund ist ein schlechter Deckmantel für bösen Willen,« erwiderte der Fürst, »dich hindert nichts, den Hof ganz wegzulassen.«

»Ich kann keine Abendgesellschaft, und sei sie noch so klein, ohne meine Hofdamen laden,« entgegnete die Prinzessin hartnäckig, »ich darf von meinen Damen nicht fordern, an so rücksichtslos zusammengeladener Gesellschaft teilzunehmen.«

»Ich werde dafür sorgen, daß Fräulein von Lossau erscheint,« entschied der Fürst in bitterem Tone, »ich bestehe darauf, daß du im übrigen nach meinem Willen tust.«

»Verzeihung, mein gnädigster Vater,« versetzte die Prinzessin in großer Aufregung, »wenn ich in diesem Fall nicht gehorche.«

»Du wagst mir zu trotzen?« rief der Fürst in einem plötzlichen Ausbruch von Zorn und kam der Prinzessin näher, die Prinzessin erblich und trat wie zur Abwehr hinter einen Stuhl.

»Ich bin hier die einzige Dame unseres Hauses,« sagte sie entschlossen, »und ich habe in dieser hohen Stellung Rücksichten zu nehmen, von denen mich nicht der Herr dieses Hofes, nicht mein eigener Vater entbinden kann. Führen Ew. Hoheit eine neue Hofordnung ein, ich werde mich willig fügen, was aber Ew. Hoheit heut von mir verlangen, ist keine neue Ordnung, es ist Unordnung, demütigend für mich und uns alle.«

»Freche, übermütige Törin,« rief der Fürst, seiner nicht mehr mächtig, »meinst du meinen Befehlen entwachsen zu sein, weil ich dich einmal aus meiner Hand ließ? Ich habe dich wieder hergezogen, um dich festzuhalten, du bist in meiner Gewalt, keine Sklavin ist es mehr. In diesen Mauern gilt kein Wille, als der meine, und wenn du dich nicht beugst, ich weiß verstockten Sinn zu brechen.« Er trat drohend auf sie zu. Die Prinzeß wich an die Wand ihres Zimmers zurück. »Ich weiß, daß ich eine Gefangene bin,« rief auch sie mit flammenden Blicken, »ich wußte, seit ich hierher zurückkehrte, daß ich in meinen Kerker trat, ich weiß, daß kein Schrei der Angst aus diesen Mauern dringt und daß eine Sklavin mehr Schutz findet unter den Menschen, als das Kind eines Fürsten gegen den eigenen Vater. Aber in diesem Zimmer habe ich eine Helferin, zu der ich oft flehend aufsehe, und wenn Ew. Hoheit mir jede Möglichkeit nehmen, bei Lebenden Hilfe zu suchen, ich rufe mir zum Schutz gegen Sie die Toten.« Sie riß die Schnur eines Vorhanges, das lebensgroße Bild einer Dame wurde sichtbar, in dem sanften Antlitz ein rührender Zug von Trauer. Die Prinzessin wies auf das Bild und sah nach dem Fürsten: »Wagen Ew. Hoheit die Tochter vor den Augen ihrer Mutter zu beschimpfen.«

Der Fürst fuhr zurück, ein rauher Ton drang aus seiner Brust, er wandte sich ab und winkte mit der Hand. »Verhülle das Bild,« sprach er tonlos. – »Rege dich und mich nicht unnötig auf,« begann er mit verändertem Ton, »willst du meinen Wunsch nicht erfüllen, es sei, ich bestehe nicht darauf.« Er nahm seinen Hut vom Tisch und fuhr in sanfter Stimme fort: »Du bist bei der Bürgerschaft beliebt, das Wetter ist sommerwarm und verspricht Dauer. Ich werde an deinem Geburtstage den Beamten und der Stadt ein Tageskonzert im Park veranstalten; die Liste der Einladungen werde ich dir durch den Obersthofmeister zuschicken. Am Abend ist Galatafel und Festoper.« Der Fürst schritt durch die Tür ohne die Tochter anzusehen, die Prinzessin folgte ihm bis an das Vorzimmer, wo die Dienerschaft stand. Die Prinzessin machte bei der Tür eine tiefe Verbeugung, der Fürst winkte ihr freundlich mit der Hand. Dann flog die Prinzessin in ihr Zimmer zurück, warf sich vor dem Bild auf den Boden und rang die Hände.

Die Prinzen gingen durch den Park, die Spaziergänger grüßten und sahen ihnen nach. Ehrbar und altbärtig rückte der Erbprinz seinen großen Hut, Viktor fuhr leicht an die Husarenmütze und nickte zuweilen einem hübschen Gesichte vertraulich zu. »Alles alte Bekannte,« begann er, »es freut einen doch, daß man hier zu Hause ist.«

»Du bist immer ein Liebling der Leute gewesen,« sagte der Erbprinz.

»Ich habe sie ergötzt und geärgert,« versetzte Viktor lachend. »Ich fühle wie Herkules den mütterlichen Boden unter mir und bin zu jeder Missetat aufgelegt. Benno, sieh nicht so gelangweilt aus, das leide ich nicht.«

»Wenn du nur alle Tage zu derselben Stunde mit mir spazieren gingest, würdest du auch so aussehen,« erwiderte Benno und blieb vor einem leeren Wasserbassin stehen, worin vier kleine Bären saßen und nach dem Publikum schauten, das ihnen Brot hinabwarf. Der Erbprinz nahm aus den Händen des Wärters, der mit abgezogener Mütze zu ihm trat, einige Brotstücke und warf sie gleichgültig den Bären zu. »Und wenn du auf höchsten Befehl dich alle Tage als populärer Freund des Volkes zeigen und die dummen Bären füttern müßtest, so würdest du die Bären auch langweilig finden.«

»Bah,« rief Viktor, »es steht ja nur bei dir, diese Mondkälber unterhaltend zu machen.« Er sprang mit einem Satz in den gemauerten Raum unter die Tiere, packte den ersten Bären wie einen Hammel, der zur Wollschur getragen wird, und warf ihn auf den zweiten, ebenso den dritten auf den vierten. Ein greuliches Gebrumm und Ohrfeigen der Bären begann, sie balgten heftig miteinander, das Publikum jauchzte vor Vergnügen. »Ihre Hand, Kamerad,« rief der Prinz einem Zuschauer, welcher mit lauten Äußerungen des Beifalls dem Unfug zusah. »Helfen Sie heraus.«

Der Angerufene, es war Freund Gabriel, hielt beide Hände herunter. »Hier, Exzellenz, schnell, daß die Biester nicht in die Uniformhose beißen.« Er zog den Prinzen, der sich mit seinen Füßen an die Mauer stemmte, kräftig herauf, Viktor sprang leichtfüßig auf den Mauerrand und gab seinem Beistand einen Schlag auf die Schulter. »Dank, Kamerad, wenn Sie einmal im Loch sitzen, halte ich Ihnen auch die Hand entgegen.« Das Volk schrie Bravo, es gab ein ehrerbietiges Gelächter, während unten das Fauchen, Kratzen und Beißen nicht aufhörte.

»Man muß Leben in die Verhältnisse bringen,« sagte Viktor, »wenn mich dein Vater nicht wegjagt, soll es in acht Tagen an eurem Hofe zugehen wie hier in der Bärengrube.«

»Und ich hab's unterdes weggekriegt,« versetzte Benno bekümmert, »einer sagte zum andern, wenn der doch auch so viel Courage hätte, und damit meinte er mich.«

»Sei ruhig, du bist der Weise; vor einsichtsvollen Leuten setze ich deine Tugend ins helle Licht. Zunächst erbitte ich dein Vertrauen. Welcher Dame vom Theater gönnst du deine Aufmerksamkeit, damit ich dir nicht in den Weg komme? Ich wünsche nicht, meine Aussichten bei dir zu verderben.«

»Man will an mir dergleichen durchaus nicht leiden,« versetzte Benno.

»Nicht leiden?« fragte Viktor erstaunt. »Was ist das wieder für eine Tyrannei? Ist hier guter Ton geworden, tugendhaft zu sein? Dann gönne mir wenigstens eine Mitteilung, welche andere Dame aus politischen Gründen von mir nur aus der Ferne bewundert werden darf.«

»Ich glaube, daß du freie Wahl hast,« entgegnete Prinz Benno gedrückt.

»Heil mir, daß ich nicht Erbprinz bin. Was aber hat den Fürsten veranlaßt, mich so gnädig hierher einzuladen?«

»Wir wissen es nicht, auch Siddy war überrascht.«

»Und ich Narr glaubte, sie hätte die Hand im Spiele gehabt.«

»Hätte sie etwas dafür versucht, so wäre dir sicher keine Einladung geworden.«

»Daß er mich nicht gern sieht, ist klar, es war ein kühler Empfang.«

»Vielleicht will er dich verheiraten.«

»Mit wem?« fragte Viktor schnell.

»Er hat dich doch veranlaßt, bei den Verwandten herumzureisen,« erwiderte der Prinz vorsichtig.

»Er? Durchaus nicht. Ich wurde aus einer Hand in die andere spediert und überall wie ein netter Junge behandelt. Das Ganze war offenbar eine Verabredung.«

»Vielleicht steckt eine unserer größten Ehestifterinnen dahinter,« sagte der Erbprinz.

»Bei mir nicht, verlaß dich darauf. Ich bin bei sämtlichen geheimen Müttern unseres Vaterlandes, welche die allerhöchsten Familiengefühle unter Aussicht genommen haben, sehr schlecht angeschrieben, die rühren meinetwegen keinen Finger.«

»Wenn's also der Vater nicht war und niemand anders, so hat's der Obersthofmeister getan.«

»Sei gesegnet für diesen Verdacht,« rief Viktor. »Wenn er mich hierher haben wollte, dann steht alles gut.«

»Hast du ihn gesprochen?«

»Ich war bei ihm, er ließ sich sogleich vom Feldzug erzählen und sprach in seiner Art freundlich, nicht mehr als sonst.«

»Dann war er es, verlaß dich darauf.«

»Aber warum?« fragte Viktor, »was soll ich hier?«

»Das mußt du mich nicht fragen, um mich kümmert er sich wenig.«

»Warum lenkst du bei jedem Seitenweg vom Pavillon ab,« fragte Viktor, »habt ihr dort Fußangeln aufgestellt? Wetter, welch prachtvolles Gesicht! Sieh, du Duckmäuser. Also ihr seid tugendhaft geworden?«

Der Erbprinz errötete vor Zorn. »Die Dame dort oben hat Anspruch auf die rücksichtsvollste Behandlung,« sagte er finster.

»Das ist also die schöne Fremde,« rief Viktor. »Sie liest. Wenn sie nur einen Blick herunterwerfen wollte, damit man mehr als das Profil sähe. Wir gehn hinauf, du führst mich ein.«

»In keinem Fall,« versetzte der Erbprinz, »wenigstens jetzt nicht.«

Viktor sah ihn verwundert an. »Du weigerst dich, mich dieser Dame vorzustellen? Ich brauche dich nicht.« Er machte sich von ihm los.

»Du bist toll,« rief der Erbprinz, ihn zurückhaltend.

»Ich war nie mehr bei Sinnen,« entgegnete Viktor. Er eilte einem Baum zu, der seine niedrigen Äste in der Nähe des Fensters emporstreckte, und kletterte mit der Behendigkeit einer Katze in die Höhe. Ilse sah auf, erkannte den Erbprinzen und einen aufsteigenden Offizier und trat vom Fenster zurück. Viktor brach eine Gerte ab und berührte die Scheiben. Man hörte im Hause schellen, das Fenster wurde geöffnet, Gabriel sah heraus. »Immer in der Luft, Exzellenz?« rief er, »was befehlen Dieselben?«

»Richten Sie Ihrer Herrin meine ehrerbietige Bitte aus, sie in einer dringenden Angelegenheit nur einen Augenblick zu sprechen.«

Ilse erschien mit ernstem Gesicht am Fenster, hinter ihr der Diener; der junge Herr hielt sich mit einer Hand fest und griff mit der andern grüßend an seine Mütze. »Ich erbitte Ihre Vergebung, gnädige Frau, daß ich diesen ungewöhnlichen Weg wähle, mich Ihnen vorzustellen, mein Vetter dort unten hat mich wider meinen Willen hier heraufgeschickt.«

»Wenn Sie hinunterfallen, mein Herr, nehmen Sie die Überzeugung auf den Erdboden mit, daß das Klettern unnütz war, die Tür des Hauses steht offen.«

Ilse trat zurück, Viktor verneigte sich wieder. »Die Dame ist ganz meiner Meinung,« rief er strafend dem Erbprinzen zu, »daß du sehr unrecht getan hast, mich von der Tür abzusperren.«

»Es gibt nach dieser Etourderie keinen Ausweg, als daß wir sogleich hinaufgehen und um Entschuldigung bitten,« entschied der Erbprinz zornig.

»Das war ja gerade, was ich wollte,« rief Viktor, »man muß den Menschen nur verständig zureden.«

Der Erbprinz trat mit seinem Vetter ein, Ilse empfing die Prinzen mit stummer Verbeugung.

»Dies ist derselbe Mann,« begann der Erbprinz, »von dem ich Ihnen, gnädige Frau, bereits erzählt habe, er hieß schon als Knabe bei denen, welche sein Wesen kannten, Junker Eulenspiegel.«

»Ew. Hoheit hätte es doch nicht tun sollen,« versetzte Ilse traurig, »ich bin hier fremd und einer Mißdeutung mehr ausgesetzt als andere.« Sie wandte sich an den Erbprinzen. »Es ist das erstemal, daß ich Ew. Hoheit seit Ihrer Genesung sehe.«

»Ich bin in Gefahr, wieder aus Ihrer Nähe verbannt zu werden,« entgegnete der Erbprinz, »und Sie haben das gewollt.«

Ilse sah ihn befremdet an.

»Sie haben meinem Vater den Inhalt einer Unterredung mitgeteilt, die ich einst mit Ihnen hatte,« fuhr der Erbprinz bekümmert fort. »Sie haben dadurch den Fürsten veranlaßt, zu beschließen, daß ich von hier auf das Land versetzt werde.«

»Ich möchte um alles nicht, daß Ew. Hoheit von mir glaubten, ich habe ein Vertrauen verraten. Waren die harmlosen Worte, die ich zu Ihrem Herrn Vater gesprochen, gegen Ew. Hoheit Wunsch, so kann ich zu meiner Entschuldigung nur sagen, daß sie aus der wärmsten Empfindung für Ew. Hoheit hervorgegangen sind.«

Der Erbprinz verneigte sich schweigend.

»Dies Terzett ist nur aus Dissonanzen zusammengesetzt,« rief Viktor. »Alle drei sind wir gekränkt, jeder durch die beiden andern; am tiefsten ich, denn mich hat mein ungefälliger Vetter in die Gefahr gesetzt, gänzlich aus Ihrer Gnade zu fallen, bevor ich sie zu gewinnen Gelegenheit hatte. Dennoch bitte ich um die Erlaubnis, mich Ihnen wieder vorzustellen in besserer Beleuchtung, als mir das Baumlaub dort draußen zukommen ließ.«

Die Prinzen empfahlen sich, im Freien sagte Viktor: »Ich wollte nur wissen, was die Frau Professorin zu bedeuten hat, ich merke jetzt, daß es für mich in keinem Fall ratsam ist, meine Ehrerbietung geräuschvoll zu Füßen zu legen. Sei mir nicht böse, Benno, ich bin kein Spielverderber, kannst du mich brauchen, so befiehl über mich.«

Der Erbprinz blieb stehen und sah seinen Vetter so schmerzlich an, daß dieser auch ernsthaft wurde. »Willst du mir einen Dienst erweisen, für den ich dir dankbar sein werde, weil ich lebe, so hilf dazu, daß die Bewohner jenes Hauses unsere Gegend so schnell als möglich verlassen. Es bringt kein Glück, uns nahe zu sein.«

»Sag's ihnen doch geradeheraus, dir werden sie mehr glauben als mir.«

»Welchen Grund soll ich angeben?« fragte der Erbprinz. »Es gibt nur einen, und ich bin der letzte, der ihn aussprechen darf.«

»Die Frau sieht wenigstens aus, als wüßte sie recht gut sich selbst zu beraten,« tröstete Viktor. »Größere Sorge habe ich um dich, ich sehe, du bist in Gefahr, diesmal mit dem Fürsten zu sehr einer Meinung zu sein. Wirst du nicht wenigstens Einwürfe wagen, wenn er dich fortschicken will?«

»Mit welchem Recht?« fragte der Erbprinz. »Er ist mein Vater, Viktor, und mein Herr. Ich bin der erste seiner Untertanen, mir ziemt es, der Gehorsamste zu sein. So lange er mir nichts befiehlt, was gegen mein Gewissen ist, bin ich verbunden, ihm auf der Stelle zu gehorchen. Das ist die Richtschnur, die ich für mein Tun gezogen habe. Aus innerer Überzeugung.«

»Gesetzt aber,« warf Viktor entgegen, »ein Vater wollte seinen Sohn entfernen, um andern Unheil zu brauen, denen der Sohn Anteil gönnt?«

»Ich meine, der Sohn müßte doch gehen,« versetzte der Erbprinz, »wie schwer es ihm auch wird; denn ihm ziemt nicht einmal, einen Verdacht gegen den Vater in seiner Seele zu dulden.«

»Mehr Sohn als Prinz,« rief Viktor, »und wir sind am Ende, tugendhafter Benno. Ah, Bergau, wohin?«

Der angeredete Hofmarschall erwiderte bedrängt: »Nach dem Pavillon, mein Prinz.«

»Haben Sie Näheres über den Schrecken gehört?« fragte Viktor geheimnisvoll, »den man im Schlosse des Großonkels gehabt hat? über eine Frau oder vielmehr Erscheinung, die in Wirklichkeit ein Geist war, der als Gespenst auftrat, mit einem Getöse, welches als Gepolter anfing und mit einem Trauermarsch endete, wobei die Türen zitterten und die Kronleuchter klirrten wie ein Schellengeläut? Nichts gehört?«

»Nicht das geringste; welche Erscheinung? wann? und wie?«

»Ich weiß durchaus nichts,« antwortete Viktor. »Kommt Ihnen etwas zu Ohren, so bitte ich um Nachricht.« Das versprach der Hofmarschall und eilte vorwärts.

Der Hofmarschall war in seinem Dienst untadelhaft, er kannte alle Tafelgedecke und Gläser persönlich, überflog gewissenhaft die Rechnungen, sorgte für einen guten Weinkeller und verstand gründlich die Repräsentation seines Amtes. Außerdem war er ein wackerer Edelmann, fromm, mit reichem Kindersegen beglückt, aber er war nicht, was man einen großen Geist nennt. Diese letzte Eigenschaft machte ihn bisweilen zu einem wertvollen Kämpfer des Hoflagers, denn er verfocht mit der Sicherheit eines Fanatikers den geheiligten Brauch seines Hofes gegen unberechtigte Ansprüche fremder Gäste und wurde vom Fürsten wohl einmal als Sturmbock benutzt, um eine Mauer anzurennen, welche ein anderer vorsichtig umging. Heut trat der Hofmarschall bei Ilse ein, im Herzen unwillig über den Auftrag, den er geschickt auszuführen befehligt war. Er traf die Frau Professorin in ungünstiger Stimmung. Die Dreistigkeit Viktors, der geheime Vorwurf in den Worten des Erbprinzen hatten sie unzufrieden mit sich selbst gemacht und mißtrauisch gegen die unklaren Verhältnisse, von welchen sie umgeben war. Der Hofmarschall rührte lange die Bowle um, aus welcher er einzuschenken hatte, er drehte die Unterhaltung auf Ilses Heimat und ihren Vater, den er nach seiner Annahme einmal bei einer Tierschau gesehen hatte. »Ein schönes Gut, wie man hört, höchst achtenswerter Charakter.« Ilse, über jedes Lob ihrer Lieben erfreut, ging arglos auf dies Gespräch ein und erzählte von Gütern und Nachbarn in ihrer Gegend. Endlich begann der Hofmarschall: »Herr Bauer ist jeder Auszeichnung würdig; verzeihen Sie mir deshalb eine Frage: Hat Ihr Vater denn niemals den Wunsch gehabt, geadelt zu werden?«

»Nein,« versetzte Ilse und sah den Hofmarschall groß an, »wie sollte er zu diesem Wunsch kommen?«

»Ich enthalte mich aller Bemerkungen über die günstigen Folgen, welche eine solche Erhebung für die Zukunft Ihrer Geschwister haben würde, sie liegen auf der Hand. Es ist leicht zu begreifen, daß bescheidenes Selbstgefühl einen Mann verhindern kann, sich um diesen Vorzug zu bewerben. Ich bin aber überzeugt, daß des Fürsten Hoheit auch im eigenen Interesse eine solche Verleihung gern sehen würde. Denn die Stellung Ihres Herrn Vaters zu meinem gnädigsten Herrn würde dadurch viel günstiger.«

»Es ist eine recht günstige Stellung,« sagte Ilse.

»Ich darf wohl bei den persönlichen Beziehungen, in welche Sie zu unsern hohen Herrschaften getreten sind, darüber offener sprechen,« fuhr der Hofmarschall sicherer fort. »Für des Fürsten Hoheit und für uns alle würde wertvoll sein, wenn Höchstderselbe bei gelegentlicher Anwesenheit in jener Gegend ein Haus finde, in welchem eine gastliche Aufnahme möglich wäre.«

Erstaunt unterbrach Ilse: »Ich bitte, Herr von Bergau, mir das näher auseinanderzusetzen, ich verstehe von diesen Dingen gar nichts. Der Fürst hat doch schon einigemal unser Haus mit seiner Anwesenheit beehrt.«

Der Hofmarschall zuckte die Achseln. »Man hat in der Not das freundliche Anerbieten Ihres Herrn Vaters angenommen, es mußte immer ein kurzes, wie gelegentliches Absteigen bleiben, denn wenn auch Ihr Vater selbst in seiner amtlichen Stellung für diese Ehre nicht ganz ungeeignet war, so fehlte doch die Hausfrau, welche die Honneurs des Hauses machen konnte.«

»Ich vertrat diese Stelle, so gut ich vermochte,« sagte Ilse.

Der Hofmarschall verneigte sich. »Es hat Erwägungen gekostet, wie das Frühstück einzurichten wäre, ohne die Frauen des Hauses zu beleidigen, und es war sehr willkommen, daß Herr Bauer ganz davon absah, für die Frauen eine Teilnahme daran zu verlangen. Gestatten Sie mir endlich noch die Bemerkung, eine Standeserhöhung Ihres Vaters würde sogar für Sie sehr wertvoll sein. Denn Ihr Herr Gemahl ist als Gelehrter von ausgezeichneten Verdiensten ebenfalls in der Lage, daß ein angedeuteter Wunsch desselben ihm Rang und Stand verschaffen könnte, welche ihn bei Hofe etablieren. Unter diesen Voraussetzungen aber würde sich auch für Sie ein Zutritt bei Hofe, wenn auch mit Beschränkungen, durchsetzen lassen. Dem Fürsten und der Prinzessin wäre durch unsere Hofordnung Gelegenheit gegeben, Ihnen bisweilen im Schlosse bei Gegenwart der Chargen Zutritt zu gestatten, zu größerem Hofball und Hofkonzert wären Einladungen möglich.«

Ilse stand auf. »Es ist genug, Herr Hofmarschall, jetzt verstehe ich. Was mein Vater tut, wenn ihm angeboten wird, wovon Sie sprechen, glaube ich zu wissen; er wird lachen und das Angebotene zurückweisen, und er wird sagen, wenn unser bürgerliches Haus unserm Landesherrn nicht gut genug ist, darin einzukehren, so verzichten wir auf diese Ehre. Ich aber habe im Zurückweisen nicht die Ruhe, welche ich meinem Vater zutraue, und ich sage Ihnen, mein Herr, wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, daß ich als Frau der hiesigen Gesellschaft nicht für vollberechtigt gelte, ich würde keinen Fuß hierher gesetzt haben.«

Mit Mühe bezwang Ilse den Zorn, welcher in ihr arbeitete. Der Hofmarschall war bestürzt und versuchte sich in zudeckender Rede, aber mit Frau Ilse war nicht mehr zu verhandeln, sie blieb stehen und zwang ihn dadurch zum Aufbruch.

Der Professor fand seine Frau im dunkeln Zimmer vor sich hinbrütend. »Willst du einen Adelsbrief haben?« rief sie aufspringend, »er wird auf der Stelle für dich ausgefertigt und für den Vater auch, damit wir alle den Vorzug erhalten, volle Menschen zu werden, mit denen die Leute im Schloß verkehren können, ohne sich gedemütigt zu fühlen. Es wird ihnen unbequem, daß sie uns nur wie gelegentlich sehen können. Ich weiß jetzt, weshalb ich allein speise und weshalb der Fürst in Bielstein nicht unsere Wohnstube betrat. Uns tut ein neuer Name not, damit wir die Bildung und den Anstand erhalten, welche uns würdig machen, zu Hofe zu gehen. Uns noch nicht einmal, vielleicht unsere Kinder. Kannst du das anhören, ohne vor Scham zu erröten, daß wir hier sind? Sie füttern uns wie fremde Tiere, die sie aus Neugierde anschaffen und wohl wieder aus dem Pferch hinausjagen.«

»Holla, Ilse,« rief Felix, »du verwendest mehr Pathos, als nötig ist. Was kümmern uns die Vorurteile der Menschen hier? Wir sind hergekommen, weil sie etwas von uns begehrten, wir etwas bei ihnen suchten. Hat der Fürst nicht alles getan, uns den Aufenthalt in der Weise angenehm zu machen, wie wir sie gewohnt sind? Wenn die Leute hier durch den Brauch, in dem sie erzogen sind, und durch die Sitte ihres Kreises veranlaßt werden, den Verkehr mit uns durch bestimmte Formen abzugrenzen, was kümmert uns das? Wollen wir ihre Vertrauten werden und mit ihnen zusammen leben wie mit unsern Freunden daheim? Solches Aufschließen unserer Seelen haben sie sich doch noch nicht verdient. Als wir herkamen, traten wir in ein einfaches Kontraktverhältnis, wir übernahmen auch die Verpflichtung, uns in ihre Lebensordnung zu fügen.«

»Und wir behielten die Freiheit, von hier zu gehen, sobald uns diese Ordnung nicht mehr gefällt.«

»Ganz recht,« versetzte der Professor, »sobald wir einen ausreichenden Grund haben, sie unerträglich zu finden. Ich meine, das ist nicht der Fall. Man verlangt von uns nichts Entwürdigendes, ja man zeigt uns beflissene Aufmerksamkeit, was kümmert uns der Teil ihres Lebens, den sie uns nicht geben und den wir zu begehren weder Recht noch Veranlassung haben.«

»Täusche uns beide nicht,« rief Ilse. »Wenn in unserer Stadt jemand zu dir sagte, du darfst nur meine Schuhe ansehen, aber den Blick nicht bis zu meinem Gesicht erheben, du darfst nur im Freien mit mir zusammenkommen, aber nicht in meinem Hause, ich kann nur stehend bei dir essen, aber an deinem Tisch niederzusitzen verbietet mir meine Würde, was wirst du, der du so stolz in deinem Kreise stehst, einem solchen Toren antworten?«

»Ich werde nach dem Grund seiner Befangenheit fragen, vielleicht ihn bedauern, vielleicht mich von ihm wegwenden.«

»So tu's hier,« rief Ilse. »Denn wir sind geladene Gäste, vor denen die Hausleute die Tür zusperren.«

»Ich wiederhole dir, wir sind nicht die Gäste, welche geladen wurden, mit den Menschen hier gesellig zu verkehren. Ich bin zur Arbeit hergerufen, und ich habe diesen Ruf angenommen, weil ich für meine Wissenschaft so Großes suche, daß ich weit andere Übelstände ertragen müßte als etwa unbequeme Gewohnheiten des Hofes. Dies wichtige Interesse darf ich nicht aufs Spiel setzen durch ein Auflehnen gegen gesellige Ansprüche, die mir nicht gefallen. Gerade weil ich ohne besondere Ehrfurcht auf diese Ordnung sehe, stört sie mir nicht die Laune.«

»Es tut aber weh und macht zornig, daß Menschen, an deren Leben man Anteil nimmt, an so greulich veraltetem Trödel hängen,« rief Ilse immer noch erbittert.

»Das also ist es?« fragte Felix. »Wir sorgen auch um das Seelenheil der Anspruchsvollen selbst? Das läßt sich eher hören. Nun, an jedem Privilegium hängt ein alter Fluch, der die meisten trifft, welche daran teilhaben. Das mag auch von den Vorrechten des Hofes gelten. Das Leben unserer Fürsten ist in den Bann bestimmter Kreise eingeschlossen, Anschauung und Vorurteil einer Umgebung, die sie sich nicht frei wählen dürfen, umgibt sie vom ersten Tage ihres Lebens bis zum letzten. Daß sie nicht stärker und freier sind, rührt zum großen Teil von der engen Atmosphäre, in welche sie durch die Etikette gebannt sind. Das ist ein Unglück nicht nur für sie selbst, ist für uns alle ein Leiden, daß unsere Fürsten so häufig die bürgerliche Gesellschaft mit den Augen eines Kammerjunkers betrachten. Diesen Übelstand mag man als Mitlebender schmerzlich fühlen. Und ich meine allerdings, der Kampf, welcher in unserm Vaterlande auf verschiedenen Gebieten entbrannt ist, wird nicht eher mit einem guten Frieden enden, als bis die Gefahren beseitigt sind, welche die alte Hofordnung der Erziehung unserer Fürsten bereitet. Auch scheint mir in der Tat, daß diese starke Ordnung schon an vielen Stellen durchlöchert ist, die Zeit mag kommen, wo das Unverständige darin ein Stoff für gute Laune und Satire wird. Denn die Etikette der Höfe ist zuletzt ein Überrest aus vergangener Zeit, wie unsere Zunftverfassung und ähnlicher veralteter Brauch. Darin hast du recht. Wer sich aber persönlich so reizen läßt, wie du in dieser Stunde, der setzt sich dem Argwohn aus, daß er nur deshalb zürnt, weil er sich selbst den Zutritt zu abgeschlossenen Kreisen begehrt.«

Ilse sah schweigend vor sich nieder. »Dir und mir,« fuhr der Professor fort, »geziemt bei zufälliger persönlicher Berührung mit solchen Anschauungen nur eines: kühle Nichtachtung. Wir wünschen zum Vorteil unserer Fürsten die Schranken beseitigt, welche ihnen den Verkehr mit ihrem Volke einengen, aber wir haben durchaus nicht Wunsch und Drang, uns an die Stelle derer zu setzen, auf welche die Gebieter unseres Landes jetzt ausschließlich angewiesen sind. Denn im Vertrauen, wir alle, deren Leben in angestrengter, geschäftlicher Tätigkeit verläuft, wir würden in der Regel schlechte Gesellschafter der Fürsten sein, uns fehlt nicht nur die zierliche Sicherheit der Form, die sich eher gewinnen ließe, auch die wohltuende Gefügigkeit im Tagesverkehr, die Stärkeren werden leicht durch Unabhängigkeit verletzen, die Schwachen durch haltlose Unterwürfigkeit verächtlich werden. Nur die Freiheit der Wahl fordern wir für die Regierenden. Ein Gefühl dürfen wir aber ohne Überhebung bewahren, daß alle, die sich gesellig von unsern Kreisen scheiden, mehr verlieren als wir. Was die Herzen erwärmt, den Geist erhellt, muß man aus dem Volke holen. Wer sich das schwer macht, der entbehrt.«

Ilse trat zu ihm und legte ihre Hand in die seine.

»Deshalb, Frau Ilse,« fuhr der Gatte heiter fort, »laß dir ruhig für diese wenigen Wochen gefallen, was um dich vorgeht. Käme dir einmal die Aufforderung, in Wirklichkeit Gast für die Geselligkeit eines Hofes zu werden, dann magst du vorher über deine Ansprüche in Verhandlung treten, und wenn du in solchem Falle ablehnst, dann tust du's mit Lachen.«

»Sprichst du so aus sicherer Ruhe deiner Seele?« fragte Ilse und sah den Gatten forschend an, »oder weil dir jetzt sehr viel daran liegt, hierzubleiben?«

»Mir liegt alles an meiner Handschrift,« versetzte der Professor, »im übrigen entbehre ich der Ruhe weniger als du. Denn du hast in deiner Jugend und vollends im letzten Jahr mit warmer Empfindung um Personen dieses Fürstenschlosses gesorgt, du hast dich in einzelnen Stunden ihnen vertraulich nahe gefühlt, und deshalb bist du jetzt mehr verletzt, als nötig wäre.«

Ilse nickte bestätigend mit dem Haupt.

»Halt aus, Ilse,« mahnte der Gatte herzlich, »denke daran, daß du frei bist und jeden Tag davonfliegen kannst. Aber mir wäre lieb, wenn du mich nicht allein ließest.«

»Ist dir das lieb, Felix?« fragte Ilse weich.

»Ungläubige,« rief der Professor. »Heut lassen wir das Theater und nehmen unsere Leseabende auf. Ich habe mitgebracht, was dir die Grillen vertreiben soll.« Er trug die Lampe auf den Tisch, schlug ein kleines Buch auf und begann: »Es war an einem Pfingstentag, Nobel, der König von allen Tieren, hielt Hof« und so fort.

Frau Ilse saß, die Arbeit in der Hand, neben dem Gatten, wie sonst fiel das Licht der Lampe auf das Antlitz des Geliebten, sie suchte spähend darin zu lesen, ob er noch gegen sie fühle, wie ehemals; bis endlich die Freveltaten des Fuchses auch ihre Lippen zum Lächeln zogen und sie ihm das Buch aus der Hand nahm, um weiterzulesen mit ruhigem Atem, behaglich, wie in der Heimat. –

»Wie geht es der kranken Frau von Bergau?« fragte am andern Morgen die Prinzeß ihr Hoffräulein, die kleine Gotlinde Thurn.

»Schlecht, Hoheit, sie hat sich sehr aufgeregt über die plötzliche Abreise ihres Gatten, und ihre Entbindung wird jede Stunde erwartet.«

»Bergau ist verreist? warum jetzt?« fragte die Prinzeß erstaunt.

»Der Fürst hat ihm den Einkauf von Porzellan in einer fremden Stadt befohlen.«

Die Prinzessin sah bedeutsam auf die Vertraute. »Verzeihen Hoheit, daß ich es auszusprechen wage,« fuhr das Hoffräulein fort, »wir alle sind empört. Bergau hat gestern, wie man vernimmt, einen Auftritt mit der fremden Dame im Pavillon gehabt, heut früh hat er von des Fürsten Hoheit den Befehl erhalten unter Ausdrücken, welche jede Einwendung unmöglich machten.«

»Was hat's denn im Pavillon gegeben?« fragte die Prinzessin.

»Das weiß man nicht,« erwiderte das erzürnte Fräulein. »Aus den Andeutungen Bergaus muß man schließen, daß die Fremde Ansprüche erhoben hat, Zutritt bei Hofe gefordert und mit ihrer Abreise gedroht. – Die Anmaßung der Fremden ist unleidlich, wir alle bitten, daß Hoheit die Gnade haben, unsere Rechte zu vertreten.«

»Gute Linda, ich bin für euch ein gefährlicher Bundesgenosse,« versetzte die Prinzessin traurig.

 

Der Geburtstag der Prinzessin wurde von Hof und Stadt gefeiert. Viele Leute trugen Festkleider, lange Züge Glückwünschender bewegten sich nach dem Vorzimmer des Fürstenkindes, zwei Diener hatten vollauf zu tun, Listen und Federn darzubieten, damit die Ankommenden ihre Namen einzeichneten. Die Prinzeß empfing am Morgen den Hofstaat; sie erschien zum erstenmal in hellen Farben und sah schöner aus als je. In dem geöffneten Seitenzimmer standen die Tische, welche mit Geschenken bedeckt waren, viel wurde von den Damen das prachtvolle Kleid bewundert, welches der Fürst seiner Tochter verschrieben hatte, und von den Weisen des Hofes kaum weniger die schöne Arbeit an den Miniaturen des Magisters.

Um drei Uhr begann das Konzert im Schloßgarten, Herren und Frauen des Adels, der Beamten und Bürgerschaft traten in den gedeckten Raum, die Damen der Prinzessin begrüßten und ordneten die Frauenwelt durch leise Winke zu einem großen Kreis, hinter welchen die Herren als dunkle Einfassung traten, auf der einen Seite die Familien des Hofes, auf der andern die Stadt. Die Gäste fügten sich mit Behendigkeit dem Zwange der mathematischen Linie, nur auf der Stadtseite gab's kleine Unordnung. Der neue Stadtrat Gottlieb, ein ansehnlicher Fleischermeister, schob Frau und Tochter nach hinten und stellte sich breitbeinig in die Vorderreihe, und es bedurfte einer Aufforderung des Hoffräuleins, um die Zurückgestellten hervorzuziehen. »Ich zahle die Steuern,« sagte der gebändigte Gottlieb mit verlegenem Trotz zu seiner Umgebung, aber er begegnete auch bei seinen Nachbarn einem verurteilenden Lächeln.

Als Ilse neben dem Gatten in die fremde Gesellschaft trat, fühlte sie sich durch die kalten, neugierigen Blicke erschreckt, welche von allen Seiten gegen sie stachen. Der Kammerherr führte sie zu der ersten Hofdame, und die Baroneß machte nach kühler Begrüßung eine gehaltene Handbewegung, durch welche Ilse an das Ende der Hofseite gegenüber dem Eingange gestellt wurde. Pünktlich erschienen unter Vortritt der Marschälle die Herrschaften, am Arme des Fürsten strahlend und lächelnd die Prinzeß, hinter ihr die Prinzen. Die Kleider der Damen rauschten wie Wellen bei dem ehrfürchtigen Niedertauchen, hinter ihnen beugte auch der Männerkreis seine Häupter in feierlichem Schwunge. Die Prinzeß machte die tiefe Cercleverneigung, ein Meisterstück höchster Hoftechnik, und begann ihren Rundgang. Frau Sonne schien warm wie im Sommer, alles freute sich des schönen Tages und des frohen Geburtstagskindes; die Prinzeß war wieder von bezaubernder Liebenswürdigkeit und erwies heute ihre Begabung, sich edel darzustellen, in der gehobenen Stimmung, welche, wie man sagt, von der Ausübung schöner Kunst unzertrennlich ist. Vor ihr bewegte sich die Hofdame, zog einzelne noch durch einen Wink zur Vorderreihe und nannte die Namen, welche der Prinzeß etwa fremd waren. Die Prinzessin hatte für jeden ein herzliches Wort oder doch ein Kopfnicken und süßes Lächeln, welche das Gefühl gaben. daß man wohl beachtet sei. Der Fürst aber stand heut unter seinen Bürgern mit aller Behäbigkeit eines guten Hausvaters.

»Eine große Zahl alter Freunde und Nachbarn,« sagte er dem Oberbürgermeister. »Ich wußte, daß dies ganz nach dem Herzen meines Kindes sein würde. Denn es ist für sie nach schwerer Prüfungszeit wieder das erstemal, daß sie mit vielen zusammentrifft, welche freundlichen Anteil an ihrem Leben nehmen.«

Aber keine von allen geladenen Frauen sah mit solcher Spannung auf den Cercle der Prinzessin, als Ilse. Sie vergaß ihren Zorn über die Standesvorurteile, sie vergaß auch das Mißbehagen, welches ihr die eigene Einsamkeit unter den fremden Frauen bereitete, und blickte unverwandt auf die junge Fürstin. Etwas von dem Reiz, den die Huld der vornehmen Dame für die Anwesenden hatte, empfand doch auch Ilse. Diese Leichtigkeit, in wenig Minuten so vielen etwas Wohltuendes von dem eigenen Wesen zu geben, war ihr ganz neu. Unruhig schaute sie nach ihrem Felix zurück, auch er beobachtete mit Freude die anmutsvollen Bewegungen der Prinzessin. Sie kam näher, Ilse vernahm ihre Fragen und die Antworten der Glücklichen, denen sie nähere Beachtung zuteil werden ließ. Ilse sah auch, daß das Auge der Prinzessin flüchtig bis zu ihr hinabstreifte, und daß sein Ausdruck ernster wurde. Die Prinzeß hatte sich bei einem alten Fräulein, das vor Ilse stand, verweilt und angelegentlich nach dem Befinden der kranken Mutter erkundigt, jetzt schritt sie langsam an Ilse vorüber, neigte fast unmerklich das Haupt und sagte leise: »Ich höre, Sie wollen uns verlassen.«

Die unerwartete Frage und Kälte in Ton und Angesicht regten den Stolz der Professorin auf, unter dem Strahl ihrer großen Augen hob sich auch die Gestalt der Prinzessin, beide wechselten einen feindseligen Blick, als Ilse antwortete: »Ich bitte Ew. Hoheit um Verzeihung, wenn ich bei meinem Gatten bleibe.« Die Prinzeß sah auf den Professor, wieder flog ein fröhliches Lachen über ihr Gesicht, sie setzte ihre Wanderung fort. Auch Ilse wandte sich schnell zu ihrem Mann, er schaute durchaus harmlos und vergnügt in die Welt, er hatte von dem kleinen Auftritt gar nichts gemerkt.

Wohl aber der Fürst. Denn er schritt quer durch den Raum auf Ilse zu und begann: »Unter alten Bekannten begrüßen wir auch die neuen. Doch für mich und den Erbprinzen paßt der Ausdruck nicht. Denn wir sind der Gastlichkeit Ihres Hauses oft zu Dank verpflichtet gewesen, und es ist uns besonders wertvoll, daß wir Ihnen heut den Kreis zeigen, in welchem wir heimisch sind. Ich bedaure, daß Ihr Herr Vater nicht unter uns ist, ich hege warme Achtung vor seiner gediegenen Tüchtigkeit und ich weiß seine Verdienste um die Landschaft sehr wohl zu schätzen. Er hat bei der landwirtschaftlichen Ausstellung einen Preis erhalten, richten Sie ihm meine Glückwünsche aus. Ich hoffe, sein Beispiel wird für mein Land nicht verloren sein.«

Der Fürst verstand gutzumachen, was sein Hof an Ilse versah. Eine Professorfrau hat starke Bedenken gegen Hofbrauch und vornehme Ansprüche. Aber wenn denen, die sie liebt, in feierlicher Versammlung ein wohlverdientes Lob aus erlauchtem Munde zuteil wird, das freut sie doch trotz alledem. Nach der verletzenden Frage der Tochter war die glänzende Auszeichnung durch den Vater eine schöne Genugtuung. Ilse sah den Fürsten mit einem Blick inniger Dankbarkeit an und dieser wandte sich jetzt freundlich zu ihrem Felix und blieb lange vor ihm stehen. Als er endlich zu andern trat, hatte die ungewöhnliche Beachtung, welche er den Fremden vor seinem versammelten Volke gönnte, die landesüblichen Folgen; auch die Herren des Hofes schoben sich heran und erwiesen Ilse und dem Professor von der Seite ihre Aufmerksamkeit. Ilse sah jetzt ruhiger in den Kreis und bemerkte, wie der Erbprinz langsam durch die Reihen ging und Herren und Damen nach einer geheimen, wohlgeordneten Reihenfolge aussuchte, dabei mitunter auf dem Wege anhielt und sein Augenglas bewegte, als ob er etwas überlege; während Prinz Viktor als Komet eine durchaus unregelmäßige Bahn wandelte, deren Punkte sich nur bestimmen ließen, wenn man die hübschesten Gesichter heraussuchte. Er hatte lange mit der Tochter des Stadtrat Gottlieb gesprochen und das Fräulein zu einem Lachen gebracht, über das sie selbst so erschrak, daß sie rot wurde und ihr Taschentuch vor den Mund hielt; als er plötzlich neben Ilse stand. »Eine solche Blumenausstellung ist lustig,« begann er nachlässig wie zu einem guten Kameraden. »Man muß freilich auch manchen stachligen Kaktus in Kauf nehmen.«

»Für die Herrschaften, welche mit so vielen zu sprechen haben, mag sie doch ermüdend sein,« sagte Ilse.

»Glauben Sie das ja nicht,« versetzte Viktor. »Es ist süß, soviel Leute vor sich zu sehen, welche nicht mucksen dürfen, wenn man's ihnen nicht erlaubt; für diesen Genuß erträgt fürstliches Blut noch größere Strapazen. Kennen Sie das Spiel: Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht um? Dies hier ist eine Abart, welche zum Vergnügen hoher Herrschaften eingerichtet wurde. Nur daß die Klapse nicht auf den Rücken, sondern vorn verabreicht werden.«

Der Kreis geriet in Bewegung, der Fürst bot der Prinzessin den Arm und führte sie in ein großes buntverziertes Zelt, die Gäste folgten, eine Schar Lakaien bot Erfrischungen. Darauf nahmen die Damen hinter den hohen Herrschaften Platz, die Herren standen in der Runde. Das Konzert begann mit majestätischem Paukenschlag und ging nach kurzem Verlauf, unter rasenden Einfällen sämtlicher Geigen, zu Ende. Jetzt aber begrüßte die Prinzessin auch die Herren, diese allerdings mit minderer Regelmäßigkeit. Ilse ward von Fräulein von Lossau in ein Gespräch verflochten, die Prinzeß aber trat zu Felix Werner und tat eifrige Fragen, der Professor wurde warm und erklärte, die Prinzeß fragte immer mehr, lachte und antwortete. Der diensttuende Obermarschall blickte verstohlen nach der Uhr, es war höchste Zeit für die Damen des Hofes, sich zum Diner umzukleiden, der Fürst aber winkte ihm zu, sah zufrieden nach der Prinzessin und sagte in bester Laune zu seinem Sohn: »Heut regiert sie, wir warten gern.«

»Meine liebe Hoheit vergißt uns alle über den Fremden,« flüsterte Fräulein von Thurn bekümmert dem Prinzen Viktor zu.

»Beruhigen Sie deshalb Ihr treues Herz, Dame Gotlinde,« tröstete der Prinz. »Unsre Herrin Bradamante hat ihre siegreichen Waffen ein langes Jahr nicht gebraucht; sie würde heut ihre Kraft versuchen und wenn sie einen Kohlkopf vor sich hätte.«

Am nächsten Morgen saß die Prinzessin unter ihren Hofdamen, der vergangene Tag wurde besprochen wie Brauch ist, die Prinzessin bewundert, über Abwesende ein wenig geurteilt und über Kleidung und Haltung einiger Stadtmütter Erstaunen ausgedrückt.

»Aber mit der Stadtkämmerin haben Hoheit nicht gesprochen,« rief Gotlinde Thurn, »die arme Frau hat das als Zurücksetzung empfunden und nach dem Konzert geweint.«

»Wo stand sie?« fragte die Prinzeß.

»Nahe bei der Fremden,« antwortete die Thurn.

»Ah deshalb,« rief die Prinzeß. »Wie sieht sie denn aus?«

»Ein rundes Frauchen mit braunen Augen und roten Backen. Mein Bruder wohnt in ihrem Hause, daher kenne ich sie. Sie versteht ausgezeichnete Obstkuchen zu backen.«

»Mach's gut, Linda,« sagte die Prinzeß, »sage ihr etwas Freundliches von mir.«

»Darf ich ihr erzählen, daß Hoheit von ihrem guten Kirschsafte gehört haben und gern einige Flaschen davon erhalten würden? Das macht sie überglücklich.«

Die Prinzessin nickte. »Die Tochter des Stadtrat Gottlieb wird eine Schönheit,« lobte die Baronin Hallstein.

»Prinz Viktor hat alle andern über sie vergessen,« rief die Lossau gekränkt.

»Wünschen Sie sich Glück, liebe Betty,« versetzte die Prinzessin scharf, »wenn Sie von meinem Vetter vergessen werden. Die Aufmerksamkeiten des Prinzen sind in der Regel beunruhigend für die Damen, denen er sie zuteil werden läßt.«

»Aber dankbar sind wir alle,« rief die Hallstein, eine Dame von Mut und Charakter, »daß Ew. Hoheit gegenüber der Frau vom Pavillon den Hof vertreten haben. Die kühle Abfertigung hat allgemein gefreut.«

»Meinst du, Wally?« sagte die Prinzeß nachdenkend. »Die Frau ist stolz und hat mir getrotzt. Aber ich hatte sie zuerst verletzt und an einem Tage, wo ich im Vorteil war.«


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