Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Alles gestört

Der Frühling flog lustig durch das Land. Die Blütensträucher und die Beete der Gärten prangten stolz in den Farben ihrer Verbindung, in diesem Jahre sangen wirklich Stare in den Kästen des Herrn Hahn, und auf der Waldwiese vor dem Garten des Herrn Hummel freuten sich Hahnenfuß und wilder Lauch der feuchten Wärme. Den akademischen Bürgern wurde es eine behagliche Zeit, die Händel des Winters waren abgetan, die Pedelle zogen um zehn Uhr das Nachtkamisol an, und die Vorlesungen der Herren Professoren liefen gemütlich nebeneinander hin wie Mühlräder bei hohem Stande des Wassers.

Auch der Rektor genoß die Ruhe, und sie war ihm zu gönnen, denn Ilse sah besorgt, daß seine Wange hagrer war als sonst, und daß am Abend zuweilen eine Ermüdung über ihn kam, die er früher nie gekannt. »Er solle auf einige Monate sein Arbeitszimmer verlassen,« riet der Arzt, »das würde ihm wieder für Jahre die Spannung geben, jedem Gelehrten tue zwei, dreimal im Leben solche Erfrischung not, eine Reise wäre die beste Kur.«

Felix lachte dazu, aber die Hausfrau bewahrte den Rat in treuem Gemüt und suchte unterdes den Gatten so oft als möglich von seinen Büchern in das Freie zu entführen. Auch heut zog sie ihn am Arm durch Wald und grüne Wiesen. Sie wies ihm Schmetterlinge, die über den Feldblumen flatterten, und Vögelschwärme, welche in der warmen Luft dahinzogen. »Jetzt ist die Zeit deiner Unruhe, von der du mir einst erzählt hast, fühlst du nichts davon?«

»Ja,« sagte der Professor, »und wenn du mit mir ziehen willst, so machen wir wenigstens in Gedanken eine gemeinsame Reise in die Ferne.«

»Du willst mich mitnehmen?« rief Ilse erfreut. »Ich bin wie ein Murmeltier, ich kenne nur die Höhle, aus welcher mein Herr mich geholt, und den Deckel des Kastens, in dem er mich füttert. Darf ich wünschen, so fordere ich mir Eisberge, welche hoch über die Wolken ragen, und Abgründe, die steil ins Unermeßliche fallen. Aber aus den Bergen steige ich hinab zum Ölbaum und Orange, seit Jahren habe ich von den Menschen gehört, welche dort gelebt haben, euch allen lacht das Herz, sooft ihr von dem blauen Meer und der Herrlichkeit alter Städte redet. Das möchte ich sehen, deine Worte dazu hören und die Freude fühlen, die du beim Wiedersehen von allem hast, was dir dort liebgeworden ist.«

»Gut,« versetzte der Professor, »also die Alpen, dann bis Neapel. Ich habe nur zuerst einige Wochen in Florenz für den Tacitus zu arbeiten.«

Hui, dachte Ilse, da ist der Kodex wieder!

Sie saßen unter der großen Eiche nieder, einem Riesen des Mittelalters, der das neue Baumgeschlecht im Stadtwald überragte wie die Kuppel Sankt Peters die Dächer und Türme der heiligen Stadt. Und unter dem hohen Laubgewölbe, zu dem Ilse gern die Schritte lenkte, machten sie lustige Reisepläne zu Pinien und Kaktushecken.

Als sie aus dem Gehölz in die nahe Lichtung traten, sahen sie unter den Wiesenblumen die Livree eines Lakaien, sie erkannten den Prinzen mit seinem Begleiter, neben ihnen einen Wirt aus dem nächsten Dorfe. Die Herren traten grüßend heran. »Hier wird ein Anschlag gegen einige Stunden ihrer Muße gemacht,« rief der Kammerherr dem Professor zu, und der Prinz begann: »Ich habe den Wunsch, einige Herren und Damen von der Universität ins Freie zu bitten, da ich hier doch nicht die Freude haben kann, sie in eigenem Hause zu sehen. Es soll keine große Gesellschaft sein, und so ländlich als möglich. Wir haben an diesen Platz gedacht, weil die gnädige Frau ihn öfter gerühmt hat. Und ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir noch mit gutem Rat aushelfen wollen, wie die Sache am besten einzurichten ist.«

»Wenn Ew. Hoheit den Frauen eine Freude machen will, so laden Sie auch die Kinder ein. Ist es zugleich ein Kinderfest, so sind Hoheit sicher, daß es allen eine gute Erinnerung hinterläßt.«

Das wurde angenommen. Es erschienen zierliche Einladungen, durch welche Rektor und Dekane und die Herren Professoren, mit denen der Prinz persönlich bekannt war, nebst ihren Familien für ein Fest im Freien geworben wurden. Der Gedanke fand bei Großen und Kleinen Beifall, und unter den Bekannten der Frau Professorin regte sich frohe Erwartung.

Auch Laura hatte eine Einladung erhalten, und ihre Freude war groß. Als sich aber am Abend ergab, daß der Doktor nicht eingeladen war, wurde sie unwillig.

»Mir fällt nicht ein, seinen Anwalt zu machen,« sagte sie zu Ilse, »doch er ist genau in meiner Lage; wenn man mich um deinetwillen eingeladen hat, so mußte man deines Mannes wegen auch ihn auffordern. Daß man dies versäumt hat, ist eine Taktlosigkeit oder etwas Schlimmeres. Und da er nicht gebeten ist, bin ich entschlossen, auch nicht zu gehen. Denn Fritz Hahn mag sonst sein wie er will, eine Nichtachtung hat er von diesen vornehmen Leuten nicht verdient.«

Vergebens suchte Ilse ihr auseinanderzusetzen, daß der Doktor dem Prinzen, von dem doch die Einladung ausgehe, keinen Besuch gemacht. Laura blieb eigensinnig und versetzte: »Du bist ein beredter Verteidiger deines Prinzen und in den Gebräuchen vornehmer Leute besser bewandert, als ich dir zugetraut hätte. Ich aber werde zum Feste schulkrank, darauf verlaß dich. Wenn nicht anging, den drüben zu laden, so geht es bei mir auch nicht an. Sag aber dem Doktor nichts davon, damit Fritzchen sich nicht etwa einbildet, ich täte es ihm zuliebe, es ist nicht Freundschaft für ihn, sondern Bosheit gegen die Hofherren.«

An einem Sonntag fuhr zuerst ein großer Vorratswagen mit Krüger und einem Koch in die Nähe der großen Eichen, Kutschen des Prinzen holten die Herren und Damen, ein Omnibus, mit Laubgewinden und Kränzen verziert, lud die Kinder der Familien zusammen. Auf der Wiese war ein Zelt errichtet, seitwärts durch Gebüsch verdeckt eine Bretterhütte mit aufgestelltem Kochherd; eine Musikbande saß versteckt im Walde und empfing die ankommenden Familien. Der Prinz und sein Kammerherr begrüßten an der Waldecke und geleiteten zum Mittelpunkt des grünen Festraumes, wo ein ungeheures Werkstück höchster Bäckerkunst den Leuchtturm bildete, in dessen Nähe man sich vor Anker legte. Bald verriet Geklirr der Tassen, daß man sich der unvermeidlichen Vorbereitung zu gemütvoller deutscher Fröhlichkeit hingab. Im Anfang waren die Geladenen feierlich, das Ungewöhnliche des Festes verursachte Erwägung. Als aber Raschke seine Rockschöße faßte und sich im Grase lagerte, als die andern Herren ihm folgten und dargebotene Zigarren anzündeten, bekam die Wiese ein theokritisches Aussehen. Da saß der Rektor auf dem Rasen, die Beine wie ein Türke zusammengeschlagen, daneben der Konsistorialrat auf einem Stuhle und etwas entfernt auf einem abgeschlagenen Baumstamm der immer noch feindliche Struvelius, mit seinem starrenden Haar und der schweigsamen Weise dem kummervollen Geist der alten Weide ähnlich. Abseits von ihnen aber thronte auf einem alten Ameisenhaufen, über den er sein Taschentuch gebreitet hatte, Magister Knips, er hielt seinen runden Hut ehrerbietig unter dem Arm, und stand auf, sooft der Prinz in seine Nähe trat. Unterdes war der Prinz bemüht, die Damen zu unterhalten, seit den letzten Vorfällen des Winters war er ohnedies Liebling der Frauen, heut eroberte er vollends durch verlegene Anmut die Herzen der Mütter und Töchter. Er sprach verbindlich mit jeder einzelnen, winkte den Lakaien, wo es fehlte, war um alles besorgt und lachte über sich selbst, wenn er nicht Bescheid wußte. Ilse und er arbeiteten im stillen Einverständnis einander in die Hände, der Frauenwelt Liebenswürdiges zu erweisen, Ilse, gehoben von dem Gedanken, daß ihr Prinz den Leuten so gut gefalle, und der Prinz im Herzen so selig über die kleine gemeinsame Arbeit, die er mit der Frau Rektorin besorgte.

Noch nie hatte er sich ihr so vertraulich nahe gefühlt als heut. Er sah nur sie, er dachte nur an sie. Im Geschwirr der Redenden, unter den Klängen der Musik lauschte er auf jedes Wort aus ihrem Munde. Sooft er zu ihr trat, empfand er das warme Leben der schönen Frau wie einen wonnigen Zauber. Sie faßte nach einem Baumblatt, ihr Spitzenärmel streifte sein Gesicht, und von der Berührung des feinen Gewebes rötete sich ihm die Wange. Ihre Hand ruhte einen Augenblick auf der seinen, als sie ihm einen bunten Käfer darbot, und er fühlte den flüchtigen Druck wie einen Schlag im Herzen. »Der Käfer weiß Ew. Hoheit Zukunft. Sie dürfen ihn fragen: Liebes Marienvögelein, wie lange werd' ich lustig sein? ein Jahr, zwei Jahr und so fort, bis er entfliegt.« Der Prinz begann den Spruch, aber war noch nicht bis zum ersten Jahr gekommen, als der Käfer davonflog. »Das gilt nicht Ihnen,« tröstete Ilse lachend, »der Kleine war noch böse auf mich.« »Lieber will ich das Unglück tragen,« versetzte leiser der Prinz, »als daß es Ihnen naht.« Da nun Ilse, betroffen durch den innigen Klang seiner Worte, sich zu den Frauen wendete, hob er verstohlen das Tuch auf, welches ihr von der Schulter geglitten war, und drückte es hinter dem Baum an seine Lippen.

Lauter wurde die junge Welt, als aus der Hütte hinter dem Busch zwei Männer hervortraten mit rotem Rock und Trommel und die Jugend zu einem Vogelschießen einluden. Der Kammerherr nahm die Aufsicht über die Knaben, Ilse über die Mädchen, Jäger und Lakai halfen bei den Armbrüsten, die Bolzen knallten ohne Aufhören gegen den Leib der aufgerichteten Vögel, denn das Treffen war bequem gemacht, und wer gerade nicht schoß, konnte Preise bewundern, welche auf zwei Tischen aufgestellt waren. Es ging alles schnell, wie bei einem Hoffest schicklich ist, die Lakaien durchwanderten unaufhörlich die Gesellschaft mit jeder denkbaren Erfrischung, die Splitter der Vögel fielen wie Hagel, und der Prinz verteilte die Preise an die Kinder, die ihn umdrängten. Berta Raschke wurde Schützenkönigin, ein kleiner Konsistorialrat ihr Mitregent. Jauchzend zogen die Kinder mit ihren Geschenken hinter den Trommlern bis zu einer langen Tafel, wo ihnen eine Mahlzeit bereitet war. Sie mußten niedersitzen, in der Mitte König und Königin. Jäger und Lakaien trugen die Gänge eines feinen Soupers auf. Der Kammerherr hätte nichts Besseres erfinden können, die Eltern zu verbinden, auch die Väter traten hinter die Stühle und freuten sich innig, wie die Kleinen aus den Kristallgläsern unschädlichen Wein tranken und selig aus rosigen Gesichtern die gemalten Teller und silbernen Aufsätze der Tafel anstaunten. Bald wurden sie lustig, zuletzt erhob sich sogar der kleine Konsistorialrat und brachte die Gesundheit des Prinzen aus, alle Kinder schrien hoch, die Trommler trommelten, die Musik fiel ein und die Eltern umstanden dankend den Festgeber. Ilse brachte eine Schärpe getragen, welche die Frauen von Feldblumen geflochten hatten, und bat den Prinzen um die Erlaubnis, ihm die Schärpe anzulegen. Er stand unter den frohen Menschen selbst gehoben durch die harmlose Freude, welche die andern erfüllte, und durch die achtungsvolle Neigung, welche ihn aus allen Augen ansah. Mit stummem Dank blickte er zu Ilse herüber und ohne Veranlassung wurden ihm die Augen feucht. Und wieder schrien die Kinder ihr Hoch und die Trommler wirbelten.

Da sprengte ein Reiter in fremder Dienertracht aus dem Walde heran, der Kammerherr trat bestürzt zu dem Prinzen und überreichte ihm einen Brief mit schwarzem Siegel. Der Prinz eilte in das Zelt, der Kammerherr folgte ihm.

Der junge Herr hatte bei Feldblumen kein Glück. Die Festfreude war dahin, die Gesellschaft stand teilnehmend und unsicher in Gruppen um das Zelt. Endlich trat der Kammerherr heraus; während er sich an den Rektor wandte und die Anwesenden ihn umdrängten, sah Ilse den Prinzen an ihrer Seite, tiefe Trauer im Angesicht. »Ich bitte Sie, mich bei den Damen zu entschuldigen, wenn ich mich sogleich entferne. Der Gemahl meiner Schwester ist nach kurzer Krankheit gestorben, und meine arme Schwester ist sehr unglücklich geworden.« Der Schmerz zuckte in seinem Gesicht, als er fortfuhr: »Ich selbst habe meinen Schwager wenig gekannt, aber er war gegen meine Schwester sehr gut, und sie fühlte sich bei ihm glücklicher als je in ihrem Leben. Sie schreibt mir in Verzweiflung, und das Unglück ist für sie ganz unsäglich. Wie die Verhältnisse sind, wird sie an ihrem jetzigen Wohnort nicht bleiben dürfen, ich sehe voraus, daß sie wieder zu uns zurückkehren muß. Das ist unser bitteres Schicksal, nirgends ruhig zu bleiben, immer wieder gewaltsam herausgerissen zu werden. Und ich weiß, mich wird ein ähnliches Unglück treffen. Ich fühle mich jetzt hier wohl, Ihnen darf ich das gestehen, auch mir macht dieser Todesfall vieles unsicher, ich ahne, er wird auch mich von hier fortziehen. Ich reise morgen auf einige Tage zu meiner Schwester, denken Sie mit Teilnahme meiner.« Er verneigte sich und trat in das Zelt zurück, in den nächsten Minuten rollte sein Wagen der Stadt zu.

Ilse eilte zu ihrem Gatten, dem vom Kammerherrn die Bitte ausgesprochen war, bei der Gesellschaft seine Stelle zu vertreten. Man beschloß sogleich aufzubrechen. Die Kinder wurden in die Wagen gesetzt, die Erwachsenen kehrten in ernstem Gespräch zur Stadt zurück.

Unterdes saß die schulkranke Laura in ihrem Stübchen und stöberte unter den alten Liederdrucken. Nach jener Begegnung im Dorfgarten war sie mit Schrecken zu der Erkenntnis gekommen, daß die Tage ängstlicher Sorge um den Doktor ihren Schatz sehr vermindert hatten, wohl ein Dutzend – und nicht der schlechtesten – war leidenschaftlich hinübergeschleudert, die Schnüre, an welchen sie das Sammlerherz drüben festhielt, drohten dünn zu werden. Deshalb war das Trinklied für längere Zeit die letzte Spende geblieben. Heut aber, wo Fritz eine Behandlung erfahren hatte, welche ihr mehr Kummer machte als ihm selbst, mußte sie auf einen kleinen Trost für ihn denken.

Ein schwerer Tritt auf der Treppe störte die Wahl. Laura hatte kaum Zeit, ihren Schatz in die geheime Schublade zu werfen, als schon die schwere Hand des Herrn Hummel auf die Klinke drückte. Das war ein seltener Besuch, und Laura empfing ihn mit der Ahnung, daß er auch heut nicht ohne ernste Veranlassung erfolge. Herr Hummel trat dicht vor seine Tochter und betrachtete sie sorgfältig, als wäre sie eine neue Pariser Erfindung. »Du hast also Kopfschmerz und konntest die Einladung nicht annehmen? Das bin ich an meiner Tochter nicht gewöhnt. Bei deiner Mutter kann ich nicht verhindern, daß ihr Gefühl zuweilen in das Gehirn steigt, von deinem Kopf fordere ich, daß er unter allen Umständen frei bleibe. Weshalb bist du also der Einladung nicht gefolgt?«

»Es wäre mir ein unerträglicher Zwang gewesen,« sagte Laura.

»Ich verstehe,« versetzte Herr Hummel. »Ich bin nicht sehr für Fürsten, ich bin auch nicht gegen sie. Ich kann nicht finden, daß sie einen größeren Kopf haben als andere Leute, und ich bin deshalb veranlaßt, sie als einfache Kunden der bürgerlichen Gesellschaft zu betrachten, welche nicht immer Numero eins weder sind noch tragen. Jedoch, wenn dich ein Prinz mit anderen anständigen Personen zu einem ehrbaren Sommervergnügen einladet, und du dich weigerst, so frage ich als Vater nach dem Grund, und zwischen dir und mir soll jetzt von Kopfschmerz keine Rede sein.«

Laura erkannte an dem unwirschen Blick des Vaters, daß er noch anderes im Schilde führe. »Wenn du die Wahrheit wissen willst, ich mache dir kein Geheimnis daraus. Ich bin nicht meiner selbst wegen eingeladen, denn was liegt den Leuten an mir, sondern als Tischzugabe unserer Hausgenossen.«

»Das wußtest du doch auch, als die Einladung ankam, und damals fuhrst du vor Freude in die Höhe.«

»Mir ist der Gedanke erst nachher gekommen.«

»Als du erfuhrst, daß der Doktor von drüben nicht geladen war,« sagte Hummel. »Deine Mutter ist eine sehr brave Frau, vor der ich alle Hochachtung habe, aber ihr begegnet zuweilen, daß man ihr ein Geheimnis abschrauben kann. Wenn du also etwas spintisierst, was weder die Welt noch dein Vater erfahren soll, so wird es klug sein, das niemandem anzuvertrauen, weder in unserm Hause, noch in einem andern.«

»Gut also,« rief Laura entschlossen, »wenn du es gemerkt hast, so höre es noch einmal von mir. Ich bin ein Bürgerkind wie Fritz Hahn drüben, er ist öfter als ich mit den Herren vom Hofe zusammengetroffen; daß man auf ihn keine Rücksicht nahm, hat mir klar gemacht, daß man meinesgleichen als eine überflüssige Beigabe betrachtet.«

»Also der drüben ist deinesgleichen?« fragte Herr Hummel, »das gerade war es, was ich dir ausreden wollte. Ich möchte nicht, daß du deine Gefühle nach den Wettergläsern von dort drüben einrichtest. Ich möchte nicht, daß Hahn junior auf den Gedanken käme, einmal einen Schwibbogen über die Gasse zu bauen und in Schlafschuhen von einem Haus in das andere zu wandeln. Der Gedanke gefällt mir nicht. Ich will dir nur einen Grund anführen, der mit meinem alten Zorn gar nichts zu tun hat. Er ist seines Vaters Sohn, und er hat keine rechte Courage für das Leben. Wer aushalten kann, Jahr für Jahr in dem Strohnest zu sitzen und Bücher aufzuklappen, der wäre, wenn ich mich als Mädchen betrachte, nicht mein Mann. Es ist möglich, daß er sehr gelehrt ist und gerade die Dinge weiß, um die sich andere Menschen wenig kümmern, ich habe aber noch nicht gehört, daß er sich dadurch etwas Ordentliches verdient hat. Deshalb, wenn geschehen könnte, was nicht geschehen wird, solange das Grundstück drüben ein Hühnerhof ist, wenn ich, Heinrich Hummel, zugeben wollte, daß mein einziges Kind vor der weißen Muse Strümpfe strickte, so wäre dies für mein Kind selbst ein Unglück. Denn du bist meine Tochter. Du bist innerlich ebensosehr ein Dickkopf wie ich von außen, und wenn du unter solche schwachherzige Menschen gerätst, wirst du sie jämmerlich unterbuttern, und du selbst wirst darüber unglücklich werden. Deshalb also bin ich der Meinung, daß dein Kopfschmerz eine Narrheit war, und ich wünsche nie wieder von Leiden dieser Art zu hören. Guten Tag, Fräulein Hummel.« Er schritt zur Tür hinaus und brummte auf der Treppe: »Blühe, liebes Veilchen, das ich selbst erzog.«

Laura saß am Schreibtisch und stützte das schwere Haupt mit beiden Händen. Das war ein fürchterlicher Auftritt, die Reden des gewaltigen Vaters rissen ihr die Seele wund. Aber in seiner höhnenden Betrachtung des Nachbarsohnes war doch eine Wahrheit, die ihr selbst schon wie eine feindliche Spinne über die bunten Blätter ihrer Teilnahme gekrochen war. Er mußte hinaus in die Welt. Unten die Freunde dachten daran, in die Ferne zu ziehen, ach, sie selbst war ein armer Vogel, der vergebens aufflatterte, weil die Fessel am Fuß zurückhielt. Er aber konnte sich lösen. Sie verlor ihn aus der Nähe, sie verlor ihn vielleicht für immer, aber das durfte sie nicht hindern, ihm die Wahrheit zu sagen. Hastig fuhr sie unter die alten Druckblätter, mit Mühe fand sie ein Reiselied, welches allerdings nicht recht auf den Doktor paßte, insofern es die Gefühle eines recht liederlichen Landstreichers aussprach. Das Lied war schlimm, aber es gab nichts Besseres, unsre Vorfahren fanden, sofern sie sich nicht gerade der Wegelagerei befleißigten, geringes Vergnügen auf der Landstraße. Der Brief mußte das Beste tun. Sie schrieb also: »Die Sommervögel fliegen, auch die sehnsüchtigen Träume der Menschen suchen die Ferne. Zürnen Sie nicht, wenn der Absender Sie bittet, etwas von der Stimmung dieses losen Liedes in Ihr eigenes Leben aufzunehmen. Für Sie ist die Heimat zu enge, Ihr Wert wird hier nicht erkannt, wie Sie verdienen. Sie selbst entbehren in dem stillen Hause der Eltern die Erfahrungen, welche der Mann gewinnt, wenn er sich durch eigene Tüchtigkeit ein neues Leben formt. Wohl weiß ich, daß Ihre höchste Aufgabe immer sein wird, durch Schriftwerke Ihre Wissenschaft zu fördern. Das vermögen Sie überall zu tun. Aber Sie sollten doch nicht verschmähen, auch im persönlichen Verkehr auf Jüngere belehrend zu wirken und sich selbst an den Kämpfen Ihrer Zeit tätig zu beteiligen. Auf, Herr Doktor, auch Ihnen singt hier der unbekannte Vogel sein Wanderlied. Mit Schmerz werden die Zurückbleibenden Sie missen.«

Zu derselben Stunde saß Gabriel in seiner Kammer und bürstete die letzten Stäubchen von dem Festgewand, das er über den Stuhl gebreitet hatte, zu seinen Füßen leckte sich der rote Hund die Pfote und ließ zuweilen leises Geknurr hören, das fast wie ein Seufzer klang. Gabriel betrachtete unzufrieden den Hund. »Schöner bist du im letzten Winter nicht geworden und besser auch nicht. Dein tückisches Dasein ist nur auf deine Schüssel und die Beine der Vorübergehenden gerichtet. Ich wüßte nicht, daß einmal ein Hund der Menschheit so verhaßt gewesen wäre wie du, und kein Hund hat diesen Haß so verdient. Deine einzige Freude ist, zu verachten, was wohlanständig ist. Denn was ist dir der liebste Festtag? wenn es geregnet hat und die Pfützen auf dem Wege stehen und ein Sonnenblick die Leute verführt, in den Wald zu spazieren: dann lauerst du auf der Steintreppe, und kommt ein junges Mädchen vor deine Augen in recht hellem Sommerkleide, so springst du mit einem Satz vor ihr in die Pfütze wie ein Frosch, daß ihr Kleid bis an den Hals bespritzt wird und ich eine Droschke holen muß, worin die Person nach Hause fährt. Was hat dir gestern der fliegende Zigarrenhändler getan? Sein Kasten stand auf einer Bank am Garten des Herrn Hummel, und das Geschäft versprach gut zu werden wegen der Mücken im Tale, aber da wurdest du Bösewicht hämisch. Der Zigarrenmann tritt zwei Schritte von seinem Kasten zu einem Bekannten, du springst gegen das Butterbrot, das auf dem Kasten liegt, dabei mit allen vier Beinen auf das Glas; die Glasscheiben brechen, die Splitter mischen sich mit den Zigarren, du trampelst Glas und Stinkadores zu einem Brei, und fährst in das Haus zurück. Du hast es durchgesetzt, Scheusal, dein Herr hat den Zigarrenmann angefahren, als dieser gegen dich klagte, und der Mann hat seinen Kram aufgepackt und ist mit einem Fluch von unserm Hause weggezogen. Auf welchen Nachtwegen bist du seitdem dahingefahren? Kein Auge hat dich gesehen.« Er beugte sich zu dem Hunde nieder. »Also diesmal ist dir's wirklich ins Fleisch gegangen, es ist mir lieb zu merken, daß du nicht nur andern schaden kannst, sondern auch dir selbst.« Gabriel sah nach der Pfote und zog einen Glassplitter heraus. Der Hund blickte ihn winselnd an.

»Wenn ich nur wüßte«, fuhr Gabriel kopfschüttelnd fort, »was der Hund an mir findet. Sind es die Knöchel oder weiß er einen schlechten Streich von mir, der ihm Spaß macht? Er haßt alle Welt, knurrt auch gegen seinen Hauswirt, nur zu mir kommt er auf Besuch und benimmt sich wie ein guter Kamerad. Und noch verrückter ist er zu meinem Rektor. Ich glaube nicht, daß Magnifizenz viel von dem Leben Speihahns weiß. So oft dieser Unhold aber meinen Professor sieht, guckt er ihn aus seinem Haargebüsch schlau an und tut sein Äußerstes, er wedelt mit der Quaste. Und wenn der Herr nach der Universität geht, läuft er hinter ihm her wie ein Lamm hinter seiner Mutter. Wie kommt er dazu, seine schwarze Seele gerade auf meine Gelehrten zu richten? Was will er von unserer Wissenschaft? Sie glauben doch nicht an dich, Junker Speiteufel.« Er sah sich mißtrauisch um und fuhr schnell in seinen Rock. Im Sonntagsstaat trat er vor die Haustür. Bei Hahns war niemand zu Hause, denn Dorchens Gesicht sah aus dem Fenster der Putzstube. Sie lächelte und nickte, Gabriel faßte ein Herz und schritt in den feindlichen Hausflur. Die Zimmertür öffnete sich, Dorchen knickste auf der Schwelle und Gabriel begann, die Tür in der Hand, feierlich: »Wenn ich an diesem schönen Tag das Vergnügen haben könnte, mit Ihnen auszugehen, so würde er mir noch angenehmer.«

Dorchen erwiderte, an der Schürze zupfend: »Ich muß als Hausunke hier sitzen, aber das darf Sie ja nicht hindern.«

»Es fehlt mir dann die Heiterkeit,« versetzte Gabriel mit einer Verbeugung, »denn ich muß doch immer an Sie denken, und da ich Sie jetzt selbst vor mir habe, ist mir das viel lieber als das bloße Denken im Freien. Wenn Sie mich also ein wenig hier dulden wollen –«

»Treten Sie doch näher, Herr Gabriel.«

»Nur auf die Türschwelle,« sagte Gabriel eintretend und hielt die offene Tür in der Hand. »Ich wollte Ihnen nur bei dieser Gelegenheit sagen, daß ich die Nummer, von welcher Sie neulich geträumt haben, bei keinem Kollekteur finden konnte, ich habe jedoch eine andere genommen, und ich habe sie von einem kleinen Betteljungen ziehen lassen, weil das Glück bringt. Es würde mich erfreuen, wenn Sie diese Nummer mit mir zusammen spielen wollten. Es ist viel, denn es ist ein ganzes Achtel.«

»Aber das wird ja keine gute Vorbedeutung, Gabriel,« entgegnete Dorchen in artiger Verlegenheit.

»Warum nicht, Fräulein? es war ein richtiger Betteljunge.«

»Nein, ich meine, wenn zwei zusammen spielen, die einander lieb haben.«

»Liebes Dorchen,« rief Gabriel nähertretend und faßte nach ihrer Hand.

Ein dumpfes Gegurgel unterbrach das Gespräch. Dorchen fuhr erschrocken von ihm fort. »Das war wie ein Geist,« rief sie.

»Dies ist unmöglich,« tröstete Gabriel, »erstens bei Tage, zweitens in einem neuen Hause und drittens ist es mit Geistern überhaupt soso. Es war nur auf der Straße.«

»Mir ist ein rechter Trost, daß Sie hier sind,« versicherte das furchtsame Dorchen. »Allein sein in einem großen Hause ist immer schreckhaft

»Und zu zweien in einem kleinen ist immer lustig,« ergänzte Gabriel unternehmend, »ach, Dorchen, wenn wir daran denken dürften.«

Wieder hörte man leises Gekrächz. »Es ist doch etwas hier,« schrie Dorchen, »ich fürchte mich.« Sie sprang von ihm weg in die Mitte der Stube. Gabriel ergriff eine Elle und suchte unter den Möbeln. »Also du bist's wieder,« rief er zornig und fuhr mit der Elle unter das Sofa. In einem Satze und Schrei sprang Speihahn hervor und auf den nächsten Stuhl, vom Stuhle auf den Pfeilertisch, worauf die Stutzuhr stand, er schleuderte die Uhr herunter, stürzte mit einem unförmigen Sprunge nach und fuhr durch den Türritz ins Freie.

Es war die Stutzuhr, es war das Hochzeitsgeschenk, Herr Hahn zog sie jeden Abend auf, bevor er zu Bett ging; sie hatte zwei Alabastersäulen mit vergoldeten Krönchen, das Gehäuse war von amerikanischem Holz und stellte einen Triumphbogen vor. Jetzt lag das Kleinod in Trümmern, die Säulen gebrochen, das Holz zerborsten, das Zifferblatt zersplittert, in dem offenen Werke wirbelte ein einziges Rad mit fürchterlicher Schnelligkeit, alles übrige war regungslos und tot. Dorchen stand vor den Scherben und rang die Hände. »Das Scheusal,« seufzte Gabriel, bemühte sich vergebens um das verwüstete Kunstwerk und suchte mit nicht besserem Erfolg sein armes Mädchen zu trösten, welches vor den Schrecken der nächsten Stunde zitterte.

»Mir hat geahnt, daß heut etwas passieren würde,« rief Herr Hahn nach der Heimkehr, »ich hatte gestern zum erstenmal vergessen, die Uhr aufzuziehen. Aber jetzt ist meine Geduld zu Ende und es soll ein Krieg mit dem drüben werden auf Leben und Tod.« Drohend trat er auf das schluchzende Mädchen zu. »Bezeuge die Wahrheit,« gebot er, »das Gericht wird dein Zeugnis fordern, suche deine Rettung nicht in Heuchelei und Lüge. War er es, oder warst du es?« Dorchen berichtete noch einmal dramatisch die ganze Missetat Speihahns, sie rückte an dem Sofa, als könnte sie den Hund leibhaftig hervorholen, sie gab die geöffnete Tür weinend zu und erklärte Gabriels Anwesenheit aus einer Anfrage, die er getan. »Unglückliche,« drohte der zürnende Hausherr, »ich sehe deine Verlegenheit, du warst es selbst, dein Gewissen peinigt dich. Wie kannst du beweisen, daß er unter dem Sofa war? Von deiner Seele fordere ich handgreiflichen Beweis.«

»Hier ist er,« rief Dorchen immer noch schluchzend und wies in tragischer Stellung mit der Hand auf den Boden.

Und ein Beweis war unter dem Sofa unverkennbar, obgleich nicht gut handgreiflich, der Hund hatte zurückgelassen, was seinen Namen so sicher bestätigte, als hätte er sein Petschaft auf den Boden gedrückt.

Jetzt gab auch Frau Hahn zornig den Befehl, welcher einer Hausfrau vor solchem Greuel ziemte.

»Untersteht euch nicht,« rief Herr Hahn wieder, »hinweg mit Lappen und Tüchern, dies bleibt.«

»Aber Andreas,« klagte seine Frau.

»Dies bleibt, sage ich, es muß rekognosziert und vidimiert werden. Holt sogleich Rothe und seine Frau und wen ihr von sicheren Zeugen auf der Straße findet.«

Die Zeugen kamen und umstanden empört die Stätte des Verbrechens. Herr Hahn aber eilte au seinen Schreibtisch und schrieb einen kräftigen Brief an Herrn Hummel, worin er die Untat berichtete, die Zeugen nannte und drohend Schadenersatz forderte. Diesen Brief trug Rothe mit einem Brett, worauf die Trümmer der Uhr lagen, zu Herrn Hummel hinüber.

Hummel las bedächtig den Brief und warf ihn auf den Tisch. »Ich lasse Ihrem Herrn zu dem neuen Sommervergnügen gratulieren,« sagte er kalt. »Tragen Sie diesen Präsentierteller sogleich wieder zurück, ich habe auf solchen Unsinn keine Antwort. Man mag tun, was man nicht lassen kann.«

Am nächsten Tage erhob wieder eine gerichtliche Klage ihr Medusenhaupt zwischen den beiden Häusern. Diesmal war auch Frau Hahn tief empört, und als sie am nächsten Tage Laura auf der Straße begegnete, wandte sie ihr gutmütiges Gesicht zur Seite, die Tochter der Feinde nicht zu grüßen.

Laura aber erhielt die Antwort des Doktors auf ihren Brief. Ein hübsches Gedicht rühmte das Glück des Elternhauses und als beste Freude des Nachbars Töchterlein, welcher der Dichter im Garten unter ihren Blumen sah, sooft er über den hohen Zaun blickte. Dann las sie die folgenden Worte: »Die Mahnung, welche so herzlich aus Ihren Zeilen spricht, hat auch in mir geklungen. Ich weiß, was meinem Leben fehlt. Meine Wissenschaft macht mir überhaupt unmöglich, in größeren Kreisen Anerkennung zu finden, welche die Freunde eines Gelehrten ihm zuweilen eifriger fordern als er selbst; sie erschwert mir auch eine akademische Laufbahn, für welche ich jetzt auf einen zufälligen Ruf aus der Fremde angewiesen bin. Mit diesen Erwägungen bin ich leicht fertig. Aber die Beschaffenheit meiner Arbeiten nimmt mir auch alle Hoffnung, daß jemals äußere Erfolge das Hindernis bewältigen werden, welches sich gegen die geheimen Wünsche meiner Seele aufgetürmt hat. Ich habe Stunden, wo selbst der große Gedanke seine Heilkraft verliert, daß Entbehren und Entsagen eine unerläßliche Bedingung für das Priesteramt ist, welches ich zu verwalten habe.«

»Armer Fritz!« rief Laura, »ärmer noch ich selbst. Sein Priesteramt! – Weshalb muß er entbehren, weil er Sanskrit treibt? Nicht Mut fehlt diesem Gelehrten, wie der Vater schmäht, aber die Leidenschaft. Sie sind selbst staublos und blutlos wie die alten Götter, von denen sie schreiben. Das knistert einmal in ihrem Leben und gibt einen Funken und man hofft auf eine mächtige Feuerflamme, aber sogleich ist wieder alles gedämpft und durch kluge Erkenntnis zerdrückt.« Sie sprang auf. »Ha, könnte ich den Fritz beim Haar packen und hineinwerfen in das wildeste Getümmel, wo er sich blutig durchschlägt, dem Vater trotzt und etwas Großes aufs Spiel setzt, um zu gewinnen, was er, wie er leise klagt, für sich begehrt. Fluch dieser stillen, klaren, gelehrten Luft, sie macht langweilig, die in ihr atmen! Ihre stärkste Neigung ist ein schmerzliches Achselzucken über uns andere Sterbliche oder über sich selbst.« So zürnte die leidenschaftliche Laura in ihrer Dachstube, und wieder wurde ihr Papier von bittern Tränen befeuchtet, als sie in dem heroischen Vers Beruhigung suchte und die fremden Götter des Doktors in folgenden Zeilen ermahnte, gegen die Tücke Speihahns zu Felde zu ziehen.

Leuchtender Indra und ihr, glanzvolle Gewalten des Äthers,
    Welche dem Erdengeschlecht jemals segnend genaht,
Eilt zur Rettung herbei, denn arg umdrängt uns das Unheil,
    Schwarze Gestalten der Nacht füllen den friedlichen Hof,
Scheiden vom Kinde den Vater; und breit auf der Schwelle gelagert,
    Knurret betörenden Fluch tückisch der greuliche Mops.

Der Friede blieb gestört, nicht nur den Nachbarn der Parkstraße, auch dem jungen Herrn, an dessen Fest die Verwirrung eingekrochen war. Der Prinz wurde einige Wochen in der Fremde aufgehalten, nach seiner Rückkehr lebte er in der stillen Zurückgezogenheit, welche ihm durch die Trauer auferlegt war. Die Vorträge auf seinem Zimmer wurden wieder aufgenommen, aber sein Platz an Ilses Teetisch blieb leer.

Am Tage der akademischen Preisverteilung brachte die Studentenschaft ihrem Rektor einen großen Fackelzug. Durch die alten Straßen wogte der flammende Schein, die Fanfare tönte, kräftiger Männergesang brauste dahin, Giebel und Erker leuchteten in buntem Glanz, die Präsiden schwenkten lustig ihre Waffen, die Fackelträger spritzten die Funken gegen das andrängende Volk der Straßen. Der Zug wand sich in die Gasse am Tal, er hielt vor dem Hause des Herrn Hummel, wieder Musik und Gesang, eine Deputation betrat feierlich die Hausschwelle. Hummel sah stolz auf den langen Strom roten Lichtes, welcher heranflutete und sich an der Masse seines Baues brach. Die ganze Ehre galt nur seinem Hause, wenn er auch nicht verhindern konnte, daß Dampf und Lohe sich gleich verteilten und das feindliche Dachgesims verklärten.

Oben beim Rektor waren einige der nächsten Freunde versammelt, er empfing in seinem Zimmer die Führer der Studentenschaft zu Rede und Gegenrede. Während die Anwesenden nahetraten, die feierlichen Worte anzuhören, öffnete sich leise die Tür von Ilses Zimmer; der Prinz trat ein. Ilse eilte ihm entgegen, er aber begann ohne Gruß: »Ich komme heut, Ihnen Lebewohl zu sagen. Was ich ahnte, ist eingetroffen, ich habe den Befehl erhalten, zu meinem Vater zurückzukehren. Morgen werde ich mit meinem Begleiter von dem Herrn Rektor und Ihnen förmlichen Abschied nehmen, ich wollte Sie vorher auf einen Augenblick sehen. Und jetzt, da ich vor Ihnen stehe, habe ich keine Worte für das, was mich hertrieb. Ich danke Ihnen für alle Freundlichkeit. Ich bitte Sie, mich nicht zu vergessen. Sie sind es, die mir diese Stadt liebgemacht hat. Sie machen mir schwer, von hier zu scheiden.« Er sprach die Worte so leise, daß sie nur wie ein Hauch in Ilses Ohr drangen, und er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern verließ das Zimmer so schnell wie er eingetreten war.

Draußen auf dem freien Platze an der Parkwiese warfen die Studenten ihre Fackeln zu einem großen Haufen, hoch fuhr die rote Lohe in die Luft, der Dampf ballte sich bleigrau um die Wipfel der Bäume, er rollte an den Häusern entlang, drang durch die geöffneten Fenster und beengte den Atem. Niedriger wurde die Flamme, aus den verkohlten Bränden stieg dünner Rauch. Es war ein schnelles, lustiges Rot, ein flüchtiges Feuer, verglommen, zerweht, nur Rauch und Asche blieben zurück. Aber Ilse stand noch immer am Fenster und sah traurig auf die leere Stelle.


 << zurück weiter >>