Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Fünftes Kapitel

Herr Hummel als Falsarius

In den Häusern der Parkstraße waltete Friede, Duldsamkeit, heimliche Hoffnung. Seit Ilses Ankunft schien der alte Streit abgetan, das Kriegsbeil begraben. Zwar Hummels Hund knurrte und schnappte nach Hahns Katze und wurde von ihr geohrfeigt. und der Markthelfer Rothe von A. C. Hahn schlug im Küchengarten vor dem Schließer der Fabrik von H. Hummel auf den Tisch und erklärte ihm seine Verachtung. Aber diese kleinen Vorfälle glichen unschädlichen Wasserblasen, welche an der Stätte aufstiegen, wo einst ein strudelnder Abgrund von Feindschaft gewesen war, das Leben zwischen den beiden Häusern floß dahin wie ein klarer Bach, und Vergißmeinnicht wuchs an seinem Ufer. Wenn ein menschenfreundlicher Zauber in den Boden gesteckt war zu jener Zeit, wo Frau Knips allein darauf herrschte, so schien er jetzt durch weibliche Beschwörung gänzlich beseitigt.

An einem Morgen, kurz vor der Messe, stellte der Markthelfer einer Buchhandlung einen Stoß neuer Bücher auf den Schreibtisch des Doktors. Es waren die Freiexemplare des ersten größeren Werkes, das er geschrieben. Fritz schlug die ersten Seiten auf, sah einen Augenblick in stillem Genuß auf den Titel, noch einmal flog die Hauptsache des Inhalts durch seine Seele. Dann ergriff er schnell die Feder, schrieb in das Exemplar einige herzliche Worte und trug es zu seinen Eltern hinab.

Das Buch handelte, um in der Weise Gabriels zu sprechen, von den alten Indern sowie von den alten Deutschen, es besprach das Leben unserer Vorfahren vor der Zeit, in welcher diese den verständigen Entschluß faßten, auf dem Blocksberg artige Brockensträuße zu binden und im Vater Rhein ihre Trinkhörner auszuspülen. Es war ein sehr gelehrtes Buch, und es enthüllte, soweit der Verfasser sich nicht geirrt hatte, viele geheime Tiefen der Urzeit.

Vater und Mutter, denen Fritz das Buch hinuntertrug, hatten nicht nötig, sich durch Fremde über die Bedeutung des Werkes belehren zu lassen. Die Mutter küßte dem Sohne die Stirn und konnte ihre Rührung nicht bekämpfen, als sie seinen Namen groß und schön gedruckt auf dem Titel sah; Herr Hahn aber nahm ihr das Buch aus den Händen und trug es in den Garten. Dort legte er es auf den Tisch des chinesischen Tempels, las mehreremal die Widmung und umkreiste darauf den Pavillon, immer wieder hineinsehend, um zu beobachten, wie sich der Baustil in Verbindung mit dem Buch ausnehme. Dabei begegnete auch ihm, daß er sich einmal herzhaft räusperte, um seiner freudigen Bewegung Herr zu werden.

Nicht geringer war die Freude im Arbeitszimmer des Professors. Dieser ging das Buch hastig vom Anfang bis zum Ende durch. »Es ist merkwürdig,« sagte er dann vergnügt zu Ilse, »wie kühn und fest Fritz auf die Sache losgeht. Dabei mit einer Selbstbeherrschung, die ich ihm nicht in dem Maße zugetraut hätte. Vieles darin ist mir ganz neu, mich wundert, daß er so schnell und heimlich mit der Arbeit abgeschlossen hat.«

Wie die gelehrte Welt das Buch des Doktors betrachtete, ist aus vielem gedruckten Lobe ersichtlich. Schwerer ist zu schätzen, wie es auf die Parkgasse wirkte. Herr Hummel studierte in seiner Zeitung eine ausführliche Besprechung des Werkes, nicht ohne Geräusch, er summte bei dem Worte Weda, er brummte bei dem Namen Humboldt und er pfiff durch die Zähne bei dem Lobe, welches der tiefen Gelehrsamkeit des Verfassers erteilt wurde. Als endlich am Schluß Rezensent sich nicht enthalten konnte, im Namen der Wissenschaft dem Doktor förmlich Dank zu sagen und das Werk allen Lesern angelegentlichst zu empfehlen, verstärkte sich das Gesumm in Herrn Hummels Kopf bis zur Melodie des alten Dessauers, und er warf die Zeitung auf den Tisch. »Ich denke nicht daran, es zu kaufen,« war alles, was er den Frauen über seine Empfindungen gönnte. Aber er sah im Laufe des Tages einigemal nach der feindlichen Hausecke hinüber, wo das Zimmer des Doktors lag, und dann wieder nach dem eigenen Oberstock, als wenn er die beiden Gelehrten und ihre Behausungen gegeneinander abschätzen wollte.

Als Ilse gegen Laura das Urteil des Gatten über das Buch wiederholte, errötete Laura ein wenig und erwiderte, ihr Köpfchen zurückwerfend: »Ich hoffe, es ist so gelehrt, daß wir nicht nötig haben, uns damit abzugeben.« Aber die Abneigung, sich darauf einzulassen, verhinderte sie doch nicht, einige Tage später den Professor um das Buch zu bitten, weil sie es der Mutter zeigen wolle. Bei dieser Gelegenheit wurde es in das Geheimzimmer getragen und verweilte dort längere Zeit.

Auch unter den übrigen Anwohnern der Straße wurde die Bedeutung der Familie Hahn, welche so rühmlich in die Zeitung gekommen, deren Fritz sogar im Tageblatt gepriesen war, sehr vermehrt. Die Wagschale der Volksgunst senkte sich entschieden auf Seite dieses Hauses, sogar Hummel fand zweckmäßig, sich nicht dagegen aufzulehnen, daß in seiner Familie mit kühler Anerkennung von dem Nachbarsohn gesprochen wurde. Und wenn Dorchen, wie zuweilen geschah, mit Gabriel auf der Straße zusammentraf, so wagte sie sogar für einige Augenblicke in den Hofraum der Feinde zu treten, trotz dem Geknurr des Hundes und dem düstern Blick des Hausherrn.

An einem warmen Abend des März hatte sie gerade wieder im Vorbeigehen mit Gabriel Notwendiges besprochen und trippelte zierlich über die Straße nach ihrer Haustür, während Gabriel ihr voll Bewunderung nachsah. Da trat Herr Hummel ins Freie und erhaschte den letzten Gruß und Blick Gabriels.

»Sie ist niedlich wie ein Rotschwänzchen,« sagte Gabriel zu Herrn Hummel. Dieser schüttelte menschenfreundlich den Kopf. »Ich merke wohl, Gabriel, wie dieser Hase läuft. Und ich sage nichts, denn es würde nichts nutzen. Aber eines will ich Ihnen als eine gute Lehre mitteilen. Sie verstehen das weibliche Geschlecht nicht zu behandeln, Sie sind nicht borstig gegen das Frauenzimmer. Als ich jung war, zitterten sie, wenn ich mein Taschentuch schwenkte, und liefen doch um mich her wie die Ameisen. Diese Nation will furchtsam sein, Sie verderben sich alles durch Freundlichkeit. Ich schätze Sie, Gabriel, und deshalb gebe ich Ihnen diesen Rat, wie man ihn gleichsam einem Freunde gibt. Sehen Sie, da ist Madame Hummel. Sie ist ziemlich kräftig, ich zwinge sie doch; wenn ich nicht brummig wäre, würde sie es sein. Da nun gebrummt werden muß, so ist mir immer pläsierlicher, daß ich derjenige bin.«

»Jedes Tier hat seine Manier,« versetzte Gabriel verbindlich, »ich habe kein Geschick zum Brummbär.«

»Es will gelernt sein,« sagte Herr Hummel wohlwollend. Er zog die Augenbrauen in die Höhe und machte ein schlaues Gesicht: »Dort drüben schleicht man auch schon im Garten herum, wahrscheinlich spekuliert man wieder mit einem neuen Einfall, den ich zu seiner Zeit mit dem richtigen Namen zu nennen mir unter allen Umständen vorbehalte.« Er dämpfte seine Stimme: »Es ist bereits etwas Anonymes abgeladen und in den Garten geschafft.« – Ärgerlich über seine eigene Vorsicht fuhr er fort: »Glauben Sie mir, Gabriel, durch das viele Erzeugen von Kindern wird die Welt feig, die Menschen werden so zusammengedrängt, daß die Freiheit aufhört; das Leben ist eine Sklaverei vom ersten Kasten, in den man gelegt wird, bis zum letzten. Ich stehe hierauf meinem eigenen Grund und Boden. Wenn ich an dieser Stelle ein Loch graben will bis zum Mittelpunkt der Erde, kein Mensch kann mir's verwehren. Dennoch dürfen wir beide auf einem freien Eigentum nicht einmal mit gewöhnlicher Menschenstimme eine Meinung aussprechen. Warum? Es könnte gehört werden und fremden Ohren mißfallen. Soweit sind wir. Man ist ein Knecht seiner Nachbarn. Und nun bedenken Sie, ich habe nur einen gegenüber, auf der andern Seite schützt mich das Wasser und die Fabrik, und ich muß doch die Wahrheit hinunterschlucken, die ich wenigstens zehn Fuß von meiner Grenze aussprechen will. Wer nun gar von allen Seiten mit Nachbarn umgeben ist, der führt ein erbärmliches Leben, er kann sich nicht einmal in seinem eigenen Garten den Kopf abschneiden, ohne daß die ganze Nachbarschaft ein Geschrei erhebt, weil ihr der Anblick nicht gefällt.« – Er deutete mit dem Daumen nach dem Nachbarhause und fuhr vertraulich fort: »Heut sind wir verglichen worden, die Weiber haben nicht eher geruht. Und ich versichere Sie, dort drüben fehlt die richtige Courage zum Streit. Die Sache wurde langweilig, da gab ich mich drein.«

»Es ist doch gut, daß alles wieder in Ordnung kam,« sagte Gabriel. »Wenn die Väter im Streit leben, wie sollen die Kinder einander grüßen?«

»Warum sollen sie einander nicht auch Gesichter schneiden?« rief Hummel ärgerlich. »Ich bin nicht für die ewigen Knickse.«

»Das weiß jedermann,« versetzte Gabriel. »Wenn aber Fräulein Laura bei uns mit dem Doktor zusammentrifft, was ja oft geschieht, so kann sie doch nicht gegen ihn brummen.«

»Sie treffen also oft zusammen?« wiederholte Hummel bedachtsam. »Da haben Sie wieder die Überfüllung, man kann einander nicht aus dem Wege gehen. Nun, meiner Tochter bin ich sicher, sie ist von meiner Art, Gabriel.«

»Das weiß ich doch nicht,« erwiderte Gabriel lachend.

»Ich versichere Sie, es ist ganz mein Kopf,« bestätigte Hummel mit Überzeugung. »Was aber diesen Frieden betrifft, so freuen Sie sich nicht so sehr darüber, denn verlassen Sie sich auf mich, zwischen hier und drüben hat er keine Dauer. Wenn das Eis auftaut und das Gartenvergnügen angeht, dann gibt's wieder Händel. Das ist hier immer so gewesen. Und ich sehe nicht ein, warum das nicht so bleiben soll, trotz Vergleich und trotz Ihrer neuen Herrschaft, der ich übrigens meinen Respekt nicht vorenthalten will.«

Die Unterredung, welche sich in den Garten hineingesponnen hatte, wurde durch einen schwarzen feierlichen Mann unterbrochen, welcher einen großen Brief in bunter Hülle darbot, sich vor Herrn Hummel aufstellte und demselben für seine abwesende Tochter die Aufforderung überbrachte, Patenstelle bei einem Kinde zu übernehmen, welches vor kurzem geboren war, die Welt zu verengen. Gegen die Einladung war nichts einzuwenden, die junge Mutter, Frau eines Juristen, war Lauras Freundin und eine Tochter ihrer angesehenen Pate, es war ein alter Familienzusammenhang und Hummel nahm als Vater und Bürger das Zeremoniell der Einladung mit Würde entgegen. »Für wen ist der Brief, den Sie noch in der Hand halten?« fragte er den Lohndiener.

»Für Herrn Doktor Hahn, welcher mit Fräulein Laura zusammen stehen soll.«

»So?« sagte Hummel ironisch, »das geht ja mit vier Kutschpferden. Tragen Sie Ihren Brief nur dort hinüber. – Habe ich's nicht gesagt, Gabriel?« wandte er sich zu seinem Vertrauten. »Kaum vor Gericht verglichen und auf der Stelle Gevatter, kein Mensch kann dafür stehen, daß nicht morgen der Strohmann von drüben zu mir kommt und mir Brüderschaft anbietet. Da haben Sie die Folgen der Überfüllung und des Christentums. Diesmal ist gar mein armes Kind das Opfer.«

Er trug den Brief in die Stube und warf ihn vor den heimkehrenden Frauen auf den Tisch. »Das kommt von eurem Vergleich, ihr schwachen Weiber,« rief er grollend, »hier hängen sich die Amme und die Hebamme und der Herr Gevatter an euren Hals.«

Die Frauen studierten den Brief, und Laura fand rücksichtslos, daß die Frau Pate gerade den Doktor für sie zum Partner gewählt habe.

»Es ist bequem für den Patenwagen,« höhnte Hummel aus seiner Ecke. »Er kann in einer Fahrt zwei abliefern. Jetzt läuft Herr Humboldt von drüben in weißen Glacéhandschuhen bis in dieses Zimmer, um dich zur Kirche abzuholen, und ich traue ihm obendrein die Unverschämtheit zu, daß er dir den Gevattergruß schickt.«

»Wenn er es nicht täte, so wäre es eine Beleidigung,« versetzte die Gattin, »das muß schon der Menschen wegen geschehen, sonst gibt es ein Gerede. Dagegen dürfen wir nichts sagen, er wird ihr den Blumenkorb schicken mit den Patenhandschuhen, und Laura sendet ihm dagegen das Taschentuch, wie es in unserer Bekanntschaft Brauch ist. Du weißt ja, daß Lauras Pate auf so etwas hält.«

»Seine Blumen in unserm Hause, seine Handschuhe auf unsern Fingern und unser Tuch in seiner Tasche,« zankte der Hausherr, »das wird ja recht lustige

»Ich bitte dich, Hummel,« entgegnete seine Frau unwillig, »verleide uns nicht durch dein Schelten die Artigkeiten, die bei solcher Gelegenheit nicht zu vermeiden sind, und hinter denen kein Mensch etwas sucht.«

»Ich danke für eure Artigkeiten, die man nicht vermeiden kann, und an denen niemandem etwas gelegen ist. Nichts ist mir unter den Leuten hier so unausstehlich als ihre ewigen Artigkeiten durch die Vordertür und ihr Kratzen durch die Hintertür.« Er ging aus dem Zimmer und schloß die Tür nicht leise. Die Mutter aber begann: »Im Grunde hat er nichts dagegen, er will nur sein strenges Wesen behaupten. Daß du dem Doktor etwas für seinen Gevattergruß sendest, ist nicht gerade nötig, aber du bist ihm noch eine Aufmerksamkeit von dem Schäfer her schuldig.«

Laura versöhnte sich mit dem Gedanken, Gevatterin des Doktors zu werden, und sagte: »Ich mache mir eine Zeichnung für die Zipfel des Tuches und ich sticke sie.«

Am nächsten Morgen ging sie aus, Batist zu kaufen. Aber auch Herr Hummel ging aus. Er besuchte einen Bekannten, der Kürschner war, zog ihn vertraulich beiseite und bestellte ein Paar Handschuhe ganz von weißem Katzenfell, mit fünf Fingern für eine kleine Hand. Und er forderte, daß an die Spitze jedes Fingers eine Katzenkralle befestigt werde. »Es muß aber etwas Zartes sein,« verordnete er, »von ungeborenem Kater, im Notfall auch Säugling von Kanin, und daß mir die Krallen groß und steif herausstehen.« Dann trat er in einen andern Laden, ließ sich bunt gedruckte Taschentücher von Bauwolle zeigen, wie man sie um einige Groschen kauft, und wählte ein schwarz und rotes mit einem abscheulichen Porträt, das gerade zu seiner Stimmung paßte. Diesen Erwerb senkte er in seine Tasche.

Der Morgen des Tauftags brach an, in der Wohnung des Herrn Hummel klapperte das Plätteisen, die Mutter tat noch einige letzte Nadelstiche und Laura fuhr die Treppe geschäftig auf und ab. Unterdes wandelte Hummel zwischen Haustür und Fabrik, jeden Eintretenden beobachtend, Speihahn saß auf der Schwelle und knurrte, sooft ein fremder Fuß an die Haustür rührte. »Beweise dich, Speihahn, wie du bist,« brummte Hummel vor seinen Hund tretend, »und fahre der Jungfer von drüben an den Rock; sie traut sich nicht herein, wenn du Wache hältst.« Der rote Hund antwortete, indem er seinem eigenen Herrn boshaft die Zähne wies. »So ist's recht,« sagte Hummel und setzte seinen Spaziergang fort. Endlich erschien Dorchen in ihrer Haustür und tänzelte, einen verhüllen Korb in der Hand, zur Treppe des Herrn Hummel. Speihahn erhob sich grimmig, stieß ein heiseres Gestöhn aus und seine Haare sträubten sich.

»Rufen Sie den häßlichen Hund weg, Herr Hummel,« rief Dorchen schnippisch, »ich habe einen Auftrag an Fräulein Laura.«

Hummel gab seinem Gesicht einen wohlwollenden Ausdruck und griff in die Tasche. »Die Frauen sind in Arbeit, mein hübsches Kind,« sagte er, ein schweres Geldstück herausholend, »vielleicht kann ich's bestellen.« Die Botin war über die unerwartete Menschlichkeit des Tyrannen so betroffen, daß sie einen stummen Knicks machte und das Körbchen in seine Hand gleiten ließ. »Es wird alles aufs beste besorgt werden,« versicherte Herr Hummel mit einnehmendem Lächeln.

Er trug den Korb in das Haus und rief Susanne, ihn den Frauen zu bringen, darauf trat er wieder an die Tür und streichelte den Hund.

Nicht lange, und er hörte, daß die Tür der Wohnstube aufflog und sein Name laut in den Flur gerufen wurde. Bedächtig schritt er in das Frauengemach und fand hier arge Verstörung. Ein zierlicher Korb stand auf dem Tisch, zerstreute Blumen lagen umher und zwei kleine Pelzhandschuhe mit großen Krallen an den Fingerspitzen lagen wie abgeschlagene Tatzen eines Raubtiers auf dem Boden. Laura aber saß vor ihnen und schluchzte laut.

»Holla,« rief Hummel, »gehört das auch zum Patenvergnügen?«

»Heinrich,« rief die Gattin heftig, »deinem Kinde ist eine Beleidigung widerfahren. Der Doktor hat gewagt, deiner Tochter dies zu senden.«

»Ei,« rief Hummel, »Katzenpfoten, und gar mit Krallen! Warum nicht, die werden warm halten in der Kirche, du kannst den Doktor ja damit anfassen.«

»Es soll ein Scherz sein,« rief Laura unter heißen Tränen, »weil ich ihn oben zuweilen geneckt habe. Eine solche Unzartheit hätte ich ihm niemals zugetraut.«

»Kennst du ihn so gut?« fragte Hummel. »Nun, da es ein Spaß sein soll, wie du sagst, so nimm es auch als einen Spaß. Diese Feuchtigkeit ist unnötig.«

»Was soll jetzt geschehen?« rief die Mutter, »kann sie nach dieser Beleidigung noch mit ihm Pate stehen?«

»Ich sollte meinen,« versetzte Hummel ironisch, »diese Beleidigung ist eine Kinderei gegen andere Beleidigungen, gegen Hausmauern, Glockenspiel und Hundegift. Wenn ihr das alles hinunterschlucken konntet, warum nicht auch die Katzenpfoten?«

»Sie hat ihm selbst ein Taschentuch gesäumt und gestickt,« rief die Mutter wieder, »und sie hatte sich die größte Mühe gegeben, noch fertig zu werden.«

»Das sende ich nicht hinüber,« rief Laura.

»Also sie hat es selber gesäumt und gestickt?« wiederholte Herr Hummel. »Es ist doch hübsch, wenn man mit seinen Nachbarn in Freundschaft lebt. Ihr seid ein weiches Völkchen und ihr nehmt die Sache zu ernsthaft. Das sind ja Artigkeiten, die man nicht vermeiden kann, und bei denen man nichts denken soll. So handelt doch nach euren Worten. Jetzt gerade müßt ihr das Zeug hinüberschicken, und ihr müßt euch gegen ihn und jedermann gar nichts merken lassen. Behaltet die Verachtung innerlich.«

»Der Vater hat recht,« rief Laura aufspringend, »hinweg mit dem Tuch. Und meine Rechnung mit dem Doktor sei für immer geschlossen.«

»So ist's recht,« bestätigte Hummel, »wo ist der Lappen? Fort damit.«

Das Tuch lag bereits auf einer Platte in seines blaues Papier geschlagen, ebenfalls von Frühlingsblumen umgeben. »Dies also ist das Gesäumte und Gestickte? wir schicken es sogleich hinüber.« Er nahm die Platte vom Tisch und trug sie eilig in die Fabrik, von dort ging das blaue Paket mit vielen Empfehlungen für den Herrn Gevatter in das Haus der Feinde.

Frau Hahn brachte Gruß und Gabe in das Zimmer ihres Sohnes. »Ah, das ist eine liebe Aufmerksamkeit,« rief der Doktor und betrachtete angelegentlich die Blumen.

»Es kommt ab, daß man auch den Herren etwas sendet,« sprach die Mutter behaglich, »ich hab's immer für eine hübsche Einrichtung gehalten, man sollte an so etwas nicht rütteln.« Neugierig entfaltete sie das Papier und sah sehr betroffen aus. Ein bedrucktes baumwollenes Taschentuch lag darin, lederartig, aus groben Fäden gewebt. Es konnte noch eine Attrappe sein, in dieser Hoffnung breitete sie es auseinander, aber nichts war daran zu sehen als ein grimmiger Kopf in den Teufelsfarben Rot und Schwarz. »Das ist kein hübscher Scherz!« rief die Mutter gekränkt.

Der Doktor sah vor sich nieder. »Ich habe Laura Hummel zuweilen geärgert. Dies hat wohl Bezug auf eine Neckerei, die wir gehabt haben. Bitte, Mutter, setze die Blumen in ein Glas.« Er nahm das Tuch, verbarg es in einer Schublade und beugte sich wieder über die Schrift. »Das hätte ich Laura doch nicht zugetraut,« fuhr die Mutter bekümmert fort. Da aber der Sohn weitere Klagen nicht begünstigte, stellte sie ihm die Blumen zurecht und verließ das Zimmer, die Kränkung ihres Kindes in mütterlichem Herzen umherwälzend.

Der Wagen fuhr vor und der Doktor stieg ein, die Gevatterin abzuholen. »Er kann nur gleich auf der andern Seite wieder herauskriechen,« sagte Herr Hummel am Fenster, »die Haustüren sind nahe genug.« Durch eine schwierige Wendung gelangte der Festwagen an die Treppe des Herrn Hummel, der Lohndiener öffnete den Schlag, aber bevor der Doktor die Stufen hinaufdringen konnte, erschien Susanne auf der Treppe und rief hinunter: »Bemühen Sie sich nicht erst herein, das Fräulein wird sogleich kommen.« Laura schwebte von den Stufen herab, ganz in Weiß, wie in eine Schneewolke gehüllt. Wie schön sah sie heut aus! Zwar die Wangen waren bleicher als gewöhnlich und die Augenbrauen finster zusammengezogen, aber der schwermütige Zug gab ihrem Antlitz eine bezaubernde Würde. Sie vermied, den Doktor anzusehen, bewegte ihr Haupt nur ein wenig auf seinen Gruß, und als er die Hand bot, ihr Einsteigen zu unterstützen, fuhr sie an ihm vorüber und setzte sich auf ihren Platz, als sei er gar nicht vorhanden. Mit Mühe fand er Raum an ihrer Seite, sie nickte noch einmal über ihn weg nach der Treppe, auf welcher jetzt Herr Hummel stand, der heut viel aufgeräumter aussah als sein Kind. Schwerfällig trabten die Rosse vorwärts, die bleiche Laura sah weder nach rechts noch links. Es ist ihr erstes Patenamt, dachte der Doktor, ist das feierliche Stimmung? Oder ist es Reue über das bunte Tuch? Er sah nach ihren Händen, die Handschuhe, die er ihr gesandt, waren nicht darauf zu sehen. Habe ich gegen die Mode gesündigt? dachte er wieder, oder waren sie zu groß für die kleine Hand?

Er schweigt, dachte sie, das ist sein böses Gewissen, er denkt an die Katzenkrallen, und für mein Taschentuch hat er kein Wort des Dankes. Ich habe mich doch sehr in ihm geirrt. Und die Betrachtung wurde ihr so wehmütig, daß ihr wieder eine Träne in die Augen stieg, sie aber preßte heftig die Lippen auseinander, drückte sich selbst den Daumen der rechten Hand und zählte in der Stille von eins bis zehn, ein altes Mittel, das ihr schon früher heftige Gefühle gebändigt hatte.

So kann das nicht bleiben, dachte der Doktor, ich muß sie anreden. »Sie haben die Handschuhe, die ich Ihnen zu senden wagte, nicht brauchen können,« begann er bescheiden, »ich habe gewiß recht ungeschickt gewählt.«

Das war zuviel. Laura wandte den Kopf mit heftiger Bewegung nach dem Doktor, er sah einen Augenblick in zwei rollende zornige Augen und hörte die verächtlichen Worte: »Ich bin keine Katze.« Und wieder zuckten ihre Lippen und sie drückte krampfhaft die Hand zusammen.

Fritz sann erstaunt darüber nach, ob Handschuhe, welche Falten werfen, jemals ein charakteristisches Kennzeichen unserer Haustiere gewesen sein könnten. Er fand die Beziehung unergründlich. Wie schade, daß sie Launen hat! Nach einer Weile begann er von neuem: »Ich fürchte, die Zugluft wird Ihnen lästig, soll ich das Fenster schließen?«

»Ich danke,« sagte Laura mit eisiger Kälte.

»Wissen Sie etwas über den Namen des Täuflings?« fragte der Doktor weiter.

»Er soll Fritz heißen,« erwiderte Laura, und zum zweitenmal traf ein flammender Zornesblick seine Brillengläser, dann trat wieder Profilstellung mit Ohrläppchen und Nasenspitze ein.

Ach, sie war trotz dem Gewitter, das aus ihr blitzte, in diesem Augenblick wunderschön, und der Doktor konnte sich das nicht verhehlen. Sie aber fühlte jetzt ebenfalls die Verpflichtung, etwas zu reden, und begann über die Schulter: »Ich finde den Namen sehr gewöhnlich.«

»Da es mein eigener Name ist und ich ihn jeden Tag hören muß,« versetzte der Doktor, »so darf ich Ihnen vor andern recht geben. Es ist wenigstens ein deutscher Name,« fügte er gutmütig hinzu, »es ist unrecht, daß man diese so sehr vernachlässigt.«

»Da mein Name auch aus der Fremde stammt,« entgegnen Laura wieder über die Achsel, »so habe ich ein Recht, fremde Namen für gewählter zu halten.«

Wenn sie den ganzen Tag so bleibt, dachte Fritz entmutigt, werden die nächsten Stunden peinlich sein.

Bei Tische muß ich auch neben ihm sitzen und den Hohn ertragen, dachte sie. Ach, das Leben legt Schreckliches auf.

Sie fuhren am Taufhause vor, beide froh, daß sie wieder unter Menschen kamen. Als sie in die Zimmer traten, stoben sie nach den entgegengesetzten Seiten auseinander. Aber natürlich mußten sie zuerst die junge Mutter begrüßen, und ihre Bahnen stießen hier wieder zusammen. Als Laura sich zu der Pate wandte, trat auch der Doktor von der andern Seite dazu. Und der guten Pate fiel wieder jener Tag ein, wo die beiden ebenso feierlich in ihre Sommerwohnung gekommen waren, und sie konnte sich nicht enthalten, zu rufen: »Das hat etwas zu bedeuten, da seid ihr ja wieder zusammen, ihr lieben Kinder.« Laura erhob stolz das Haupt und erwiderte: »Nur, weil Sie es durchaus so gewollt haben.«

Man fuhr zur Kirche. Der Geistliche tat alles mögliche, dem Täufling in diesem und jenem Leben gute Freundschaft zu sichern, und der kleine Fritz umkreiste auf den Armen seiner Paten widerwillig den Taufstein. Als er aber dem großen Fritz überliefert wurde, brach er in ein zorniges Geschrei aus, und Laura sah mit Verachtung, wie der Doktor beunruhigt wurde und ungeschickte Versuche machte, durch Heben und Senken der Arme den Schreihals mit seinem Anblicke zu versöhnen, bis ihm zuletzt die Hebamme – eine sehr entschlossene Frau – aus der Not half.

Je weiter die Sonne herabsank, desto unerträglicher wurde die Pflicht des Tages. Bei dem Taufessen gingen alle schwarzen Ahnungen Lauras in Erfüllung, sie saß neben dem Doktor. Es war beiden ein ausgezeichnet behagliches Mahl. Der Doktor wagte noch einige Anläufe, ihre unbegreifliche Stimmung zu durchbrechen, er hätte ebenso leicht mit einem Schwefelholz das Eis eines Gletschers aufgetaut, denn jetzt war Laura an die kalte Luft geselliger Nichtachtung gewöhnt. Sie sprach ausschließlich mit dem Taufvater, der auf ihrer andern Seite saß, und fand in der Unterhaltung mit dem heitern Manne die Schwungkraft des Geistes wieder, während Fritz immer stiller wurde und seine Nachbarin zur Linken, eine freundliche junge Frau, auffallend vernachlässigte. Es wurde noch ärger. Denn als der Braten herannahte, kam der Mitgevatter, ein Stadtrat und sonst ein Mann von Welt und Wort, hinter den Stuhl des Doktors und erklärte, daß er den Toast auf den Täufling auszubringen keineswegs gesonnen sei, weil ihm ein Kopfschmerz alle Gedanken nehme, und daß der Doktor an seiner Stelle zu reden habe. Dem Doktor aber war diese Möglichkeit gar nicht eingefallen und ihm war so unbehaglich zumute, daß er sich ebenfalls leise, aber ernsthaft gegen die Zumutung auflehnte. Laura hörte wieder mit tiefer Verachtung den Kampf der beiden Herren um eine Stilübung, die noch dazu nicht einmal schriftlich war. Auch der Hausherr wurde aufmerksam, und über die Gesellschaft kam eine gewisse peinliche Erwartung, welche in der Regel nicht die Wirkung hat, widerwilligen Tischrednern ihre Geisteskräfte zu beflügeln, sondern vielmehr zu banger Gedankenlosigkeit herabzudrücken. Eben war der Doktor im Begriff, doch seine Pflicht zu tun, als Laura ihm noch einen kalten Blick gönnte, dann aufstand und an das Glas schlug. Ein lautes Bravo begrüßte sie und sie sprach zu ihrem Erstaunen und zur Freude aller Anwesenden: »Da die Herren Paten ihrer Pflicht so wenig eingedenk sind, so bitte ich um Verzeihung, daß ich unternehme, was sie hätten tun sollen.« Darauf brachte sie tapfer ein Hoch aus. Es war ein sehr gewagtes Unternehmen, aber es war gelungen und sie wurde mit Beifall überschüttet. Auf den Doktor dagegen richteten sich jetzt die Stachelreden sämtlicher Herren. Es ist wahr, er zog sich noch erträglich heraus, denn die verzweifelte Lage gab ihm seine Kraft wieder, ja er hatte die Unverschämtheit, zu erklären, daß er absichtlich gezögert, um der Gesellschaft die Freude zu bereiten, welche allen durch die Beredsamkeit seiner Nachbarin geworden sei. Darauf hielt er einen lustigen Vortrag über alles mögliche, und als sie alle lachten und keiner mehr wußte, wo er hinaus wollte, machte er eine kühne Wendung auf die Paten und brachte die Gesundheit dieser Menschenklasse aus, und insbesondere die seiner Nachbarin. Für die Anwesenden war das gut genug, für Laura war es ein unleidlicher Hohn und Heuchelei. Und als sie mit ihm anstoßen mußte, sah sie ihn wieder so feindselig an, daß er sich schnell von ihr zurückzog.

Jetzt aber begann er ihr in seiner Weise Gleichgültigkeit zu zeigen, er sprach laut mit seiner Nachbarin, er trank mehrere Gläser Wein. Laura rückte ihren Stuhl von ihm ab und dachte, er trinkt am Ende gar zuviel, er wurde ihr unheimlich, und jetzt wurde sie stiller. Der Doktor aber achtete gar nicht mehr darauf, er schlug wieder an das Glas und hielt noch eine Rede, und die war so possierlich, daß die Anwesenden dadurch in die glücklichste Stimmung versetzt wurden. Laura aber saß starr wie ein Steinbild und sah ihn nur manchmal verstohlen von der Seite an. Darauf verließ der Doktor ganz seine Nachbarin, der Stuhl neben ihr stand leer, er hatte, um bildlich zu sprechen, das baumwollene Taschentuch darauf gelegt, sie aber die kleinen Pelzhandschuhe, daß der leere Stuhl unter seiner unsichtbaren Last recht unheimlich aussah, und der Doktor ging hinter der Tafel herum und machte kleine Besuche, und wo er anhielt, gab es Lachen und Anstoßen der Gläser. Und als er die Runde um den Tisch geendet hatte, und zu Wirt und Wirtin trat, hörte Laura, wie diese ihm für den lustigen Abend dankten und seine frohe Laune rühmten.

So kehrte er zu seinem Platz zurück. Und jetzt hatte er sogar die Unverschämtheit, sich an Laura zu wenden. Mit einem Ausdruck, in welchem Laura deutlich den Hohn erkannte, hielt er ihr unterm Tisch die Hand hin und sagte: »Machen wir Friede, böse Frau Gevatterin, reichen Sie mir Ihre Hand.« Da empörte sich Lauras ganzes Herz, sie rief: »Sogleich sollen Sie meine Hand haben.« Sie griff schnell in eine geheime Tasche, fuhr in einen Katzen-Handschuh und kratzte ihn damit auf die Rückseite seiner Hand. »Da nehmen Sie den Händedruck, den Sie verdienen.«

Der Doktor fühlte einen scharfen Schmerz, fuhr mit der Hand in die Höhe und sah diese durch einige rote Striche tätowiert. Laura aber warf ihm den Handschuh in den Schoß und setzte dazu: »Wäre ich ein Mann, ich machte Ihnen auf andere Weise fühlbar, daß Sie mich beleidigt haben.«

Der Doktor blickte um sich, seine Nachbarin zur Linken war aufgestanden, auf der andern Seite bildete der Hausherr, über den Tisch gebeugt, harmlos einen Wall gegen die Außenwelt. Dann sah er erstaunt auf den Fehdehandschuh in seinem Schoß, alles war ihm unbegreiflich, nur das eine empfand er, daß Laura trotz ihrer Leidenschaft von hinreißender Schönheit war.

Auch er fuhr mit der Hand in seine Tasche und sagte: »Glücklicherweise bin ich in der Lage, auf Ihre Risse Ihr Geschenk von heut morgen legen zu können.« Er holte das rot und schwarze Tuch hervor und mühte sich, dasselbe um die verwundete Hand zu schlingen, wobei nicht zu vermeiden war, daß die Hand ein unheimliches, mörderisches Aussehen erhielt. Als Laura die blutigen Schrammen sah, erschrak sie, aber sie wußte ihre Reue tapfer zu verbergen und warf ihm nur die kalten Worte zu: »Wenigstens wird für Ihre Hand besser sein, wenn Sie mein Tuch zum Verband nehmen, als dieses steife Leder.«

»Es ist Ihr Tuch,« versetzte der Doktor traurig.

»Das ist noch schlimmer als alles andere,« rief Laura mit bebender Stimme. »Sie haben heut eine Art, mit mir zu verkehren, die für mich entwürdigend ist, und ich frage Sie, was habe ich getan, um solche Behandlung zu verdienen?«

»Was habe denn ich getan, daß Sie mir diese Vorhaltung machen?« fragte der Doktor. »Sie haben mir heut morgen diesen Gevattergruß gesandt.«

»Ich?« rief Laura, »Sie haben mir diese Katzenpfoten gesandt, aber nicht ich dies Tuch. Mein Tuch hatte nichts von den Reizen dieses bunten Drucks, es war nur weiß.«

»Ebenso darf ich von meinen Handschuhen sagen, sie hatten nicht den Vorzug, Krallen zu besitzen, es war gewöhnliches Leder.«

Laura wandte sich zu ihm hin und starrte ihm ängstlich in das Gesicht. »Ist das wahr?«

»Es ist wahr,« versicherte der Doktor mit überzeugender Aufrichtigkeit, »von diesen Pelzhandschuhen weiß ich nichts.«

»Dann sind wir beide Opfer einer Täuschung,« rief Laura bestürzt. »Oh, verzeihen Sie mir, vergessen Sie, was geschehen ist.« Und den Zusammenhang ahnend, fuhr sie fort: »Ich bitte Sie, sprechen wir nicht mehr davon. – Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen das Tuch umbinde.« Er hielt ihr die Hand hin, sie trocknete ihm die Finger mit ihrem Tuche und schlang es hastig über die Risse. »Es ist zu klein zum Verbande,« sagte sie traurig, »wir müssen Ihr eigenes darüberlegen. Das war ein häßlicher Tag, Herr Doktor, o vergessen Sie und seien Sie mir nicht böse.«

Böse war der Doktor keineswegs, und das war auch aus der eifrigen Unterhaltung zu erkennen, in welche beide jetzt versanken. Denn beiden war das Herz leicht geworden und sie waren bemüht, einander das gegenseitig zu beweisen. Als der Wagen sie vor ihren Türen absetzte, gab es einen herzlichen Nachtgruß.

Am nächsten Morgen trat Herr Hummel in Lauras Geheimzimmer und legte ein blaues Papier auf den Tisch. »Da ist gestern ein Irrtum vorgefallen,« sagte er, »hier hast du, was dir gehört.« Laura öffnete schnell das Papier, ihr gesticktes Tuch lag darin. »Dem Doktor drüben habe ich seine Handschuhe auch zurückgeschickt und eine Empfehlung dazu, und ich habe ihm auch sagen lassen, es sei ein Versehen, und ich, der Vater Hummel, sendete ihm, was ihm gehörte.«

»Vater,« rief Laura ihm gegenübertretend, »diese neue Kränkung war nicht nötig. Mir magst du antun, was dir dein Haß gegen die Nachbarn eingibt, aber daß du nach allem, was gestern geschehen ist, aufs neue einen dritten verletzen kannst, das ist grausam von dir. Dies Tuch gehört dem Doktor. Und da ich es zurückerhalte, werde ich es ihm bei erster Gelegenheit wiedergeben.«

»Richtig,« sagte Hummel, »es ist von dir mit eigenen Händen gesäumt und gestickt. Tue jetzt, was du vor deinem Kopfe verantworten kannst. Du weißt aber, und auch er weiß, was ich von diesen Artigkeiten zwischen hier und dort halte. Willst du gegen meinen entschiedenen Willen handeln, so wage es. Auf einen Geschenkfuß mit den Hähnen möchte ich unsere Wirtschaft nicht einrichten, weder in kleinem, noch in größerem. Da du, wie ich höre, bei den Mietern mit dem Doktor oft zusammenkommst, so wird es gut sein, wenn du auch daran denkst. Dies sollte eine Erinnerung sein.« Er ging gemütlich zur Tür hinaus und ließ seine Tochter im Aufruhr gegen sein hartes Regiment zurück. Sie hatte nicht gewagt, dem Vater zu widersprechen, denn er war heut, abweichend von seinem polternden Wesen, in ruhiger Haltung und sie fühlte aus seinen Worten einen Sinn, der ihr den Mund schloß und das Blut in die Wangen trieb. Und es wurde für das geheime Tagebuch ein stürmischer Vormittag.

Herr Hummel war auf seinem Kontor mit einer Lieferung von Soldatenkäppis beschäftigt, als ihn ein Klopfen störte und zu seiner Verwunderung Fritz Hahn eintrat. Hummel blieb würdig sitzen, bis der achtungsvolle Gruß des andern vollzogen war, dann erhob er sich langsam und begann im Geschäftston: »Was steht zu Ihren Diensten, Herr Doktor? Wenn Sie einen feinen Filzhut nötig haben, wie ich annehme, so ist das Verkaufslokal eine Treppe tiefer.«

»Ich weiß es,« versetzte der Doktor artig. »Ich komme zunächst, Ihnen für das Tuch zu danken, das Ihre Güte mir ausgesucht und gestern zum Geschenk gemacht hat.«

»Nicht übel,« sagte Hummel. »Es ist der alte Blücher darauf gemalt; er ist ein Stück Landsmann von mir und ich dachte, daß Ihnen das Tuch deswegen angenehm sein würde.«

»Ganz recht,« antwortete Fritz, »ich werde es mir als Andenken sorgfältig aufheben. Ich verbinde mit meinem Dank die Bitte, daß Sie diese Handschuhe hier Fräulein Laura überreichen. Wenn gestern bei der Übergabe ein Versehen vorgefallen ist, wie Sie mir freundlich mitteilen ließen, so habe ich daran keine Schuld. Da diese Handschuhe Ihrem Fräulein Tochter bereits gehören, so bin ich natürlich außerstande, dieselben zurückzunehmen.«

»Wieder nicht übel,« sagte Hummel, »aber Sie sind im Irrtum. Die Handschuhe gehören meiner Tochter ganz und gar nicht, sie sind von Ihnen gekauft und von meiner Tochter mit keinem Auge gesehen worden. Und sie sind heut früh zum Eigentümer zurückgewandert.«

»Verzeihung,« erwiderte Fritz, »wenn ich Sie selbst als Zeugen gegen Ihre Worte in Anspruch nehme, die Handschuhe sind gestern als ein landesübliches Geschenk an Fräulein Laura geschickt worden. Sie selbst haben dem Boten die Sendung abgenommen und durch Ihre Worte die Annahme bestätigt. Die Handschuhe sind also durch Ihre eigene Mitwirkung Eigentum des Fräuleins geworden und ich habe durchaus kein Anrecht darauf.«

»Kein Advokat kann einen Fall besser ins Licht setzen,« entgegnete Herr Hummel mit Behagen. »Es ist nur ein Übelstand dabei. Diese Handschuhe waren undeutlich, denn sie lagen in Papier und Blumen versteckt, wie ein Frosch im Grase. Hätten Sie mir die Handschuhe offen mit der Bitte, sie meiner Tochter zu geben, in dies Kontor gebracht, so würde ich Ihnen schon gestern gesagt haben, was ich Ihnen jetzt sage, daß ich Sie nämlich für einen ganz wackern jungen Mann halte und daß ich nichts dawider habe, wenn Sie jeden Tag Pate stehen, daß ich aber sehr viel dawider habe, wenn Sie meiner Tochter irgend etwas von dem beweisen, was man hierzulande Artigkeit nennt. Ich bin gegen Ihr Haus nicht artig, und ich will es nicht sein. Deshalb kann ich auch nicht zugeben, daß Sie gegen meine Leute artig sind. Denn was dem einen recht ist, ist dem andern billig.«

»Ich bin wieder in der unangenehmen Lage,« antwortete der Doktor, »Sie durch Ihre eigenen Taten widerlegen zu müssen. Sie selbst haben mir gestern die Ehre einer Artigkeit erwiesen. Da Sie mir als persönliches Zeichen Ihres Wohlwollens ein Tuch geschenkt haben, worauf ich, der ich nicht Ihr Mitgevatter bin, gar keinen Anspruch hatte, so darf auch ich sagen, was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Und gerade Sie werden gar nichts einwenden dürfen, wenn ich diese Handschuhe in Ihr Haus sende.«

Hummel lachte. »Alle Hochachtung, Herr Doktor; Sie haben nur vergessen, daß Vater und Tochter nicht ganz dasselbe sind. Ich habe nichts dagegen, daß Sie mir gelegentlich ein Geschenk machen, wenn Sie diesem Triebe nicht widerstehen können. Ich werde mir dann überlegen, was ich Ihnen dagegen zuschicken kann. Wenn Sie also meinen, daß diese Handschuhe für mich passend sind, so will ich sie als eine Auszeichnung zwischen uns beiden behalten. Und wenn ich einmal mit Ihnen zusammen Pate stehen sollte, werde ich sie über meine Daumen ziehen und Ihnen vorzeigen.«

»Ich habe sie Ihnen als Eigentum Ihrer Tochter übergeben,« erwiderte Fritz mit Haltung, »wie Sie weiter damit verfahren, darüber steht mir keine Entscheidung zu, nur ein Wunsch.«

»So ist es recht, Herr Doktor,« stimmte Hummel bei, »die Sache ist zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgemacht, und wir sind miteinander zu Ende.«

»Noch nicht ganz,« versetzte der Doktor. »Was jetzt kommt, ist allerdings eine Forderung an Sie. Auch Fräulein Laura hat als meine Gevatterin mir ein Tuch bestimmt und übersandt. Das Tuch ist nicht in meine Hände gekommen, ich habe unzweifelhaft das Recht, auch dieses Tuch als mein Eigentum zu betrachten, und ich ersuche Sie ergebenst, die Zusendung zu bewirken.«

»Oho,« rief Hummel, und der Bär in ihm regte sich. »Das sieht aus wie ein Trotz, und darauf gebührt eine andere Sprache. Mit meinem Willen erhalten Sie das Tuch nicht, es ist meiner Tochter zurückgegeben, und wenn Sie es Ihnen noch einhändigt, handelt sie als ein ungehorsames Kind gegen das Gebot ihres Vaters.«

»Dann also ist meine Absicht, Sie zum Widerruf dieses Verbotes zu veranlassen,« antwortete der Doktor nachdrücklich. »Sie haben, wie ich gestern zufällig bemerkte, die übersandten Handschuhe mit anderen vertauscht, welche bei Fräulein Laura den Glauben anregen mußten, daß ich ein unverschämter und schaler Spaßmacher sei. Solche hinterlistige Kränkung eines Fremden, selbst wenn er ein Gegner wäre, ziemt keinem redlichen Mann.«

Hummels Augen wurden groß, und er trat einen Schritt zurück. »Alle Wetter,« brummte er, »ist so etwas möglich? Sind Sie der Sohn Ihres Vaters? Sind Sie Fritz Hahn, der junge Humboldt? Sie können ja grob sein wie ein Bürstenmacher.«

»Nur wo es nötig ist,« versetzte Fritz. »Ich habe mir in meinem Verhalten gegen Sie nie einen Mangel an Zartgefühl zuschulden kommen lassen, Sie aber haben gegen mich ein Unrecht begangen und Sie sind mir eine Genugtuung schuldig. Als ehrlicher Mann werden Sie mir diese geben und meine Genugtuung soll das Tuch sein.«

»Es ist hinreichend,« unterbrach ihn Hummel, die Hand erhebend, »das alles nutzt Ihnen nichts. Denn ich will Ihnen, da wir unter uns sind, geradezu sagen, ich habe das nicht, was Sie Zartgefühl nennen. Wenn Sie sich durch mich gekränkt fühlen, so wäre mir das in der Stille leid, insofern ich Sie als einen mutigen jungen Mann vor mir sehe, der auch seine Grobheit hat. Wenn ich mir aber wieder bedenke, daß Sie Fritz Hahn heißen, so kommt mir die Meinung, daß es mir ganz recht ist, wenn Sie sich durch mich gekränkt fühlen. Und damit müssen Sie sich begnügen.«

»Was Sie mir sagen,« entgegnete Fritz, »ist zwar unhöflich, aber redlich ist es nicht. Und ich gehe mit der Empfindung von Ihnen, daß Sie gegen mich etwas gutzumachen haben. Dies Gefühl ist für mich jedenfalls angenehmer, als wenn ich in Ihrer Lage wäre.«

»Ich sehe, wir verstehen uns in allen Dingen,« erwiderte Hummel, »wie zwei Geschäftsleute, die beide ihren Vorteil gehabt haben. Ihnen ist angenehm, daß ich ein Unrecht gegen Sie habe, und mir macht es keinen Kummer. So soll es bleiben, Herr Doktor. Wir sind in unserm Herzen und vor der Welt Feinde, im übrigen aber alle Hochachtung.«

Der Doktor verneigte sich und schied aus dem Kontor, Herr Hummel sah nachdenklich auf die Stelle, wo er gestanden hatte.

Er war den ganzen Tag in einer milden und menschenfreundlichen Stimmung, die er zunächst dadurch bewies, daß er mit seinem Buchhalter philosophierte. »Haben Sie auch einmal Bienenzucht getrieben?« fragte er ihn über den Kontortisch.

»Nein, Herr Hummel,« antwortete dieser, »wie sollte ich dazu kommen?«

»Es fehlt Ihnen an Unternehmungsgeist,« fuhr Hummel tadelnd fort, »warum wollen Sie sich dieses Vergnügen nicht gönnen?«

»Ich wohne ja in einer Dachstube, Herr Hummel.«

»Tut nichts, die neuen Erfindungen erlauben den Bienengenuß in einem Tabakskasten. Sie setzen den Schwarm hinein, öffnen das Fenster und schneiden von Zeit zu Zeit Ihren Honig heraus. Sie können dabei ein reicher Mann werden. Sie sagen, daß dieses Geschmeiß Ihre Hausleute und Nachbarn stechen wird, haben Sie keine Sorge, solche Rücksichten sind altfränkisch. Folgen Sie doch dem Beispiel gewisser anderer Leute, die auch ihre Bienenstöcke an die Straße setzen, um die Ausgaben für Zucker zu ersparen.«

Der Buchhalter wollte diesem Vorschlag zur Güte nicht widersprechen. »Wenn Sie meinen,« versetzte er nachgiebig.

»Den Teufel meine ich, Herr,« brach Hummel los, »lassen Sie sich nicht einfallen, mit einem Bienenschwarm in der Tasche in mein Kontor zu kommen, ich bin entschlossen, dergleichen Unfug unter keinen Umständen zu dulden. Für diese Gasse bin ich Hummel genug, und ich verbitte mir jede Art von Summen und Schwärmen um Haus und Hof.«

Als er am Nachmittag mit Frau und Tochter im Garten lustwandelte, hielt er plötzlich an. »Was war es doch, das hier durch die Luft flog?«

»Es war ein Käfer,« sagte seine Frau.

»Es war eine Biene,« sagte Herr Hummel. »Sollte dieses Gesindel schon ausfliegen? Wenn es etwas gibt, was ich nicht leiden kann, so sind es Bienen. Richtig, da ist wieder eine. Sie belästigt dich, Philippine.«

»Ich kann's nicht sagen,« antwortete diese.

Aber wenige Augenblicke darauf flog eine Biene unleugbar um Lauras Locken, und Laura mußte sich mit ihrem Sonnenschirme gegen die kleine Arbeiterin verteidigen, welche die Wangen des Mädchens mit einem Pfirsich verwechselte. »Es ist auffallend,« sagte Hummel zu den Frauen, »das war doch sonst nicht so arg. In einem hohlen Baum des Parks muß sich ein Bienenstock etabliert haben, dergleichen kommt vor. Da draußen schläft der Parkwächter auf einer Bank, froh, daß ihn selber niemand stiehlt. Du stehst ja gut mit dem Manne, mache ihn doch darauf aufmerksam. Das Ungeziefer ist unleidlich.«

Frau Hummel ließ sich zu einer Frage verleiten, der Wächter versprach aufzumerken, kam nach einer Weile wieder an den Zaun und rief leise: »Pst, Madame Hummel.«

»Der Mann ruft dich,« ermahnte Hummel.

»Sie kommen aus dem Garten des Herrn Hahn,« berichtete vorsichtig der Parkwächter, »dort steht jetzt ein Bienenstock.«

»Wirklich?« fragte Hummel, »ist es möglich, sollte Hahn diese Liebhaberei gewählt haben?« Laura sah unruhig auf den Vater. »Ich bin ein friedlicher Mann, Wächter, und ich kann meinem Nachbar nicht zutrauen, daß er uns solchen Tort antut.«

»Es ist sicher, Herr Hummel,« sagte der Parkwächter, »sehen Sie dort das gelbe Ding?«

»Richtig,« rief Hummel kopfschüttelnd, »es ist gelb.«

»Laß gut sein, Heinrich, vielleicht wird es nicht so arg,« begütigte seine Frau.

»Nicht so arg?« fragte Hummel zornig. »Soll ich zusehen, wie sich die Bienen auf deine Nasenspitze setzen, soll ich dulden, daß meine Frau den ganzen Sommer eine Kugel vor sich herträgt, so groß wie ein Apfel? Laß nur gleich eine Stube für den Chirurgus zurechtmachen, er wird doch die nächsten Monate nicht aus unserm Hause kommen.«

Laura trat an den Vater: »Ich sehe dir's an, du willst mit dem Nachbar wieder Streit anfangen; wenn du mich liebst, tu es nicht. Ich kann dir nicht sagen, Vater, wie sehr mir dieses Gezänk zuwider ist. Ich habe genug darunter gelitten.«

»Ich glaube dir's,« erwiderte Hummel gemütlich. »Aber gerade weil ich dich liebe, muß ich bei guter Zeit diesen Injurien von drüben ein Ende machen, bevor dieses beflügelte Zeug seinen Honig aus unserm Garten hinüberträgt. Ich will dich von keiner Nachbarbiene anfallen lassen, verstehst du?«

Laura wandte sich ab und sah finster in das Wasser, auf welchem abgefallene Kätzchen der Birken langsam der Stadt zuschwammen. »Tun Sie etwas Übriges, Wächter, um den Frieden zwischen Nachbarn zu erhalten,« fuhr Hummel fort, »und richten Sie Herrn Hahn meine Empfehlung und die Bitte aus, er möchte seine Bienen anbinden, damit ich nicht in die Lage komme, wieder die Polizei zu Hilfe zu rufen.«

»Ich will ihm sagen, Herr Hummel, daß die Bienen der Nachbarschaft lästig werden. Denn es ist wahr, die Gärten sind klein.«

»Sie sind ja so enge, daß man sie in einer Schachtel auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen kann,« räumte Hummel bereitwillig ein. »Tun Sie's auch aus Erbarmen mit den Bienen selbst. Unsere drei Märzbecher werden als Futter nicht lange vorhalten. Und nachher bleibt ihnen nichts übrig, als das eiserne Gitter zu benagen.« Er gab dem Wächter einige Groschen und fügte für seine Frau und Tochter hinzu: »Um des lieben Friedens willen, ihr seht, wie sehr ich den Nachbar schone.«

Die Frauen kehrten gedrückt und voll trüber Ahnung in das Haus zurück.

Da der Wächter sich nicht wieder sehen ließ, lauerte ihm Hummel am nächsten Tage auf. »Nun?« fragte er.

»Herr Hahn meinte, die Stöcke wären weit von der Straße hinter Gebüsch. Sie belästigen niemand. Und er würde sich sein Recht nicht nehmen lassen.«

»Da haben wir's,« brach Hummel los, »Sie sind mein Zeuge, daß ich das menschenmöglichste getan habe, um Streit zu vermeiden. Der Mann hat vergessen, daß es einen Paragraph 167 gibt. Es tut mir leid, Wächter, aber jetzt muß die Polizei das letzte Wort sprechen.«

Herr Hummel besprach sich vertraulich mit einem Polizeidiener. Herr Hahn aber geriet wieder einmal in Aufregung und Zorn, als er aufs Rathaus bestellt wurde; und Herr Hummel behielt gewissermaßen recht, denn die Polizei gab Herrn Hahn den Rat, einer Belästigung der Nachbarn und Vorübergehenden durch Entfernung der Körbe zuvorzukommen. Herr Hahn hatte sich so herzlich über seine Bienen gefreut, ihre Wohnungen waren mit allen neuen Erfindungen ausgestattet, auch waren es gar nicht unsere zornigen deutschen Bienen, sondern italienische, welche nur stechen, wenn sie aufs äußerste gereizt werden. Das half jetzt alles nichts, denn auch der Doktor und Frau Hahn baten, die Stöcke zu entfernen, und so wurden diese in einer dunkeln Nacht von Herrn Hahn unter bittern und niederbeugenden Empfindungen aufs Land geschafft. An der Stätte, die sie öde zurückgelassen, errichtete Herr Hahn wenigstens einige Starnester auf Stangen. Sie waren ein schwacher Trost. Die Stare hatten bereits nach dem alten Brauch ihres Stammes Boten durch das Land geschickt und ihre Sommerwohnungen gemietet, und nur Sperlinge nahmen frohlockend Besitz von den Kästen und ließen als liederliche Haushalter lange Strohhalme zu den Löchern herabhängen. Herr Hummel aber zuckte verächtlich die Achseln und nannte die neue Erfindung mit lautem Baß Spatztelegraphen.

Das Gartenvergnügen begann, schwermütige Ahnung war zur Wirklichkeit geworden, Argwohn und finstere Mienen schieden aufs neue die Nachbarhaus.


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