Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Drittes Buch

Erstes Kapitel

Die Buttermaschine

Im großen Saale der Universität war ein gewähltes Publikum versammelt, Würdenträger der Regierung und Stadt, Männer der Wissenschaft, hinter ihnen die Studenten, welche ab- und zuströmend die Tür des großen Portals in Bewegung erhielten. Oben aber auf der Galerie saßen die Frauen der Professoren, in der Mitte der ersten Reihe Ilse mit Laura auf dem Ehrenplatz. Heut war für Ilse ein großer Tag, denn der Glanz der höchsten akademischen Würde sank auf das Haupt ihres Gatten. Felix Werner war zum Rector magnificus gewählt und sollte hier sein Amt antreten.

In langem Zuge schritten die Lehrer der Universität in den Saal, vor ihnen die Pedelle in altertümlicher Amtstracht, große Zepter in der Hand; die Herren selbst nach den Fakultäten geordnet. Die Theologie begann den Zug und die Philosophie schloß den Reigen, diese an Zahl der Männer und Bedeutung die stärkste Abteilung, alle zusammen aber bildeten eine stattliche Genossenschaft, neben einzelnen Nullen gingen hochberühmte Herren, auf welche das Land stolz sein durfte, und es war eine Freude für jedermann, soviel gelehrtes Wissen körperlich versammelt zu sehen. Nur die würdige Darstellung im Zuge gelang den großen Geistern nicht, sie hielten schlecht Reihe, mancher sah aus, als ob er mehr an seine Bücher denke als an den Eindruck, welchen seine Gestalt dem Publikum machen sollte, einer hatte sich gar verspätet – er hieß Raschke – und kam sorglos und vertraulich grüßend hinter dem jüngsten Privatdozenten hergelaufen. Den Zug empfing ein lateinischer Gesang des akademischen Sängerchors, nicht verständlich, aber festlich. Die Professoren ordneten sich auf ihren Sitzen, der bisherige Rektor betrat ein hohes, mit Blumen verziertes Katheder, hielt zuerst eine gelehrte Rede über den Nutzen, welchen vor längerer Zeit das unruhige Volk der Araber der medizinischen Wissenschaft gebracht hat, und berichtete dann über die akademischen Ereignisse des letzten Jahres. Der Vortrag war schön und alles sehr feierlich, die Ehrengäste der Stadt und Regierung saßen unbeweglich, die Professoren hörten ergeben zu, die Studenten knarrten nur wenig an der Tür, und wenn von dem gemalten Plafond der Aula zuweilen die Langeweile ihre großen Fledermausflügel gegen die Augen der Zuhörer herabbewegte, wie bei akademischen Schaustellungen unvermeidlich ist: – Ilse merkte heute nichts davon. Als Magnifikus den Vortrag beendet hatte, bat er mit einer zierlichen Handbewegung und den verbindlichsten Worten seinen Nachfolger, zu ihm auf die Erhöhung zu steigen. Ilse errötete, als ihr Felix das Katheder betrat. Der Rektor nahm sein Barett ab, die goldene Kette und den Mantel, der wie ein alter Fürstenmantel aussah, und alles setzte und hing er um seinen Nachfolger mit warmen Wünschen und Äußerungen der Hochachtung. Laura flüsterte ihrer Nachbarin zu: »Wenn unser Herr Professor ein Schwert an der Seite trüge, wäre er ganz wie ein Kurfürst auf den Bildern draußen;« und Ilse nickte freudig, es war genau ihre Ansicht. Jetzt aber trat Werner in Purpurmantel und Kette vor. Die Pedelle kreuzten ihre Zepter zu beiden Seiten des Katheders und der neue Rektor hielt majestätisch eine Ansprache an Professoren und Studenten, worin er Günstiges erbat und gutes Regiment verhieß. Wieder begann der akademische Chor ein lateinisches Triumphlied, und der Zug der Universitätslehrer bewegte sich in das Nebenzimmer zurück, wo die Professoren ihren Rektor händeschüttelnd umstanden und die Pedelle Purpurmantel und Kette in Kästen packten, zur Schonung für spätere Zeiten. Auch Ilse empfing die Glückwünsche der Frauen und des Teetisches, welcher sich an der Galerietreppe aufstellte und sie lustig mit »Magnifizenz« begrüßte.

Zu Hause fiel Ilse dem Gatten um den Hals und sagte ihm, wie stattlich er in seinem Ornate ausgesehen habe. »Was die Zigeunerin sprach,« rief sie, »heut ist es erfüllt, heut trug der Mann, den ich liebe, den Fürstenhut, sei gegrüßt du mein Fürst und Herr.«

Für den Nachmittag dieses großen Tages war der Besuch des Erbprinzen angemeldet, Ilse sah noch einmal in die Winkel der blanken Wohnung, damit sie als Hausfrau keine Unehre erlebe, und ließ sich von dem Gatten über die Form unterrichten, in der man mit vornehmen Herren spricht. »Damit ich Bescheid weiß, wenn er sich auch um mich kümmert. Ich bin unruhig, Felix, denn es ist doch etwas Großes, den künftigen Herrn der Heimat kennenzulernen.«

Mit dem Stundenschlag fuhr der Wagen vor, Gabriel in seinem besten Frack führte die Herren an das Zimmer des Rektors. Unterdes ging Ilse erwartungsvoll in ihrer Stube auf und ab. Nicht lange, und ihre Tür wurde geöffnet, zwei Herren traten, von dem Gatten geleitet, ihr entgegen. Da war der Prinz, eine zarte Gestalt unter Mittelgröße, schwarzes Haar, ein kleines Gesicht mit weichen Zügen, über den feinen Lippen ein dunkler Streif, welcher den beginnenden Bart andeutete, die Haltung etwas schlottrig und verlegen, so machte er den Eindruck eines zarten und schwächlichen Menschenkindes. Befangen trat er auf Ilse zu und sagte ihr so leise, daß sie kaum die Worte verstand, wie sehr er sich freue, in ihr eine Landsmännin zu begrüßen.

Ilse erhielt durch sein schüchternes Wesen ihren Mut zurück, und da sie in dem Anblick ihres jungen Prinzen ein wenig bewegt war, so begegnete ihr, daß sie ihm eine kleine Rede hielt: »Wir aus unserm Lande hängen an der Heimat, und da ich jetzt Ew. Hoheit so nahe vor mir sehe, wage ich auch zu sagen, daß ich Ew. Hoheit sehr gut wiedererkenne. Sie waren noch ein ganz junger Herr und ich war ein halbwüchsiges Mädchen, da sah ich Sie zuerst neben Ihrem Herrn Vater in der Residenz. Ew. Hoheit saßen auf einem sehr kleinen Pferde; während mein Vater und ich grüßten, stand das Pferd still und wollte nicht weitergehen, Sie sahen mich freundlich an, ganz mit denselben Augen wie jetzt. Ich hielt ein paar Rosen in der Hand, und weil Sie unser junger Prinz waren, bot ich Ihnen die Rosen an. Aber Sie schüttelten den Kopf und Sie konnten auch nichts nehmen, weil Sie den Zügel halten mußten, und ich glaube, Sie waren etwas ängstlich auf dem Pferde. Nur das Pferd fuhr mit seinem Kopfe nach den Blumen. Da kam ein Großer in Uniform herangeritten, faßte das Pferd, und wir traten zurück. Sie sehen, ich weiß noch alles, denn für ein Mädchen vom Lande ist so etwas eine wichtige Erinnerung. – Aber erweisen Ew. Hoheit mir doch die Ehre, Platz zu nehmen.«

Der Begleiter des Prinzen, Kammerherr von Weidegg, begrüßte Ilse verbindlich; er war ein Mann in mittlern Jahren, groß, von guter Haltung und keinem übeln Gesicht. Er übernahm die Leitung der Wechselreden, und ein kleines Gespräch lustwandelte über die Berge und Wälder des Heimatlandes. Es blieb ein anständiger Austausch von Worten, welcher sich ungewöhnlicher Gedanken gänzlich enthielt. Der Prinz war schweigsam, spielte mit dem Augenglase und sah befremdet und vorsichtig auf die stattliche Professorsfrau, welche ihm gegenüber saß. Zuletzt fragte der Kammerherr nach den Stunden, wo dies Zimmer sich Fremden öffne, und drückte den Wunsch aus, dem Prinzen und ihm möge gestattet sein, zuweilen einzutreten. »Von den wenigen Beziehungen, welche die fremde Stadt bietet, ist uns dies Haus besonders wertvoll, in welchem mein durchlauchtigster Prinz das Recht beanspruchen darf, nicht ganz als Fremder behandelt zu werden.« Das alles war recht sauber und verbindlich, und als der Professor die Fremden bis an die Entreetüre geleitet hatte, sagte er zu seiner Frau: »Nun, sie sehen ja menschlich genug aus.«

»Ich habe mir Prinzen ganz anders gedacht, Felix, keck und übermütig, dieser hatte nicht einmal einen Stern auf der Brust.«

»Der war nur in die Tasche gesteckt,« tröstete der Professor.

»Aber er sieht aus wie ein guter Junge,« schloß Ilse, »und da er mein Landsmann ist, soll er auch gut behandelt werden.«

»So ist es recht,« versetzte der Professor lachend.

Es machte sich in den nächsten Wochen allmählich, daß der Erbprinz und sein Kammerherr die gute Behandlung behaglich fanden. Der Kammerherr bewährte sich als angenehmer Mann, er hatte größere Reisen gemacht, hatte einiges erlebt, vieles gesehen und allerlei gelesen, auch was nicht gerade am Wege liegt; er sammelte Autographen und war dem menschlichen Geschlecht durch kein Laster und keine üble Gewohnheit lästig. Während einem längeren Aufenthalte in Rom hatte er mit alten Bekannten des Professors in Verbindung gestanden, er war durch die Ruinen Pompejis gewandelt und zeigte ein wohltuendes Interesse an der Einrichtung altrömischer Häuser. Außerdem verstand er gut zu hören und zu fragen und erzählte zuweilen mit anständiger Medisance Anekdoten von vielgenannten Personen. So geschah es, daß der Professor gern mit ihm verkehrte, und daß er am Teetisch Ilses den Wirten willkommen, den Gästen nicht unbequem war. Auch ihm selbst schien der Verkehr mit den gelehrten Herren Freude zu machen, er besuchte den Doktor und betrachtete bei diesem alte Holzschnitte, er behandelte den Professor Raschke mit rücksichtsvoller Artigkeit und begleitete nebst dem Prinzen den Philosophen an einem klaren Winterabend bis zu der entlegenen Wohnung, während Raschke sehr interessante Beobachtungen über den Schlaf der Pflanzen mitteilte.

Daß der Erbprinz sich ebenso gut unter den Professoren zurechtfand, konnte man nicht behaupten; er hörte dem Gespräch der Männer leidend zu, wie einem akademischen Hörer ziemte, und sprach durchaus und zu rechter Zeit das Schickliche. Nur zuweilen deutete er durch leises Knipsen seiner Lorgnette an, sein Gemüt werde wohl eine andere Art von Unterhaltung nicht ungern ertragen.

Ilse war unzufrieden, wenn er mit der Lorgnette knackte, und wenn sie zu ihm hinübersah, hörte das Knipsen auf.

Denn Ilse wollte, daß er sich unter den andern Männern recht stattlich hervortun sollte, und ihr war, als könnten die Herren ihr selbst einen Vorwurf daraus machen, daß ihr Prinz für Männergeschäfte kein rechtes Herz erwies. Sie war deshalb als Hausfrau mit zarter Aufmerksamkeit um ihn bemüht; sie wagte den Rat, daß er den Tee nicht zu stark trinken möchte, und bereitete ihm selbst die Mischung. Der Prinz ließ sich das gern gefallen, er saß am liebsten auf dem Stuhl neben ihr und sah ihr freundlich zu, wie sie um den Tisch wirtschaftete. Nur ihr gegenüber ging er ein wenig aus seiner vorsichtigen Zurückhaltung heraus, er erzählte ihr, was er von Merkwürdigkeiten der Stadt gesehen, und wenn er gerade nichts zu sprechen hatte, machte er wenigstens ihr Amt leicht, er stellte den Sahnentopf vor sie hin und hatte ein scharfes Auge auf die Zuckerbüchse, wenn er meinte, daß Ilse für sich davon Gebrauch machen könne.

Einst, als er wieder schweigsam neben ihr saß und die Herren gerade zornig über die Bibliothekverwaltung des Vatikans zu Gericht saßen, machte Ilse den Vorschlag, ein Werk anzusehen, das ihr der Gatte gekauft hatte, gutgestochene Bildnisse berühmter Gelehrter und Künstler. Sie gingen zu der Lampe des Nebenzimmers, der Prinz betrachtete mit matter Teilnahme die Köpfe. »Von manchem weiß ich nichts,« begann Ilse, »als einige Worte, die mir mein Mann über sie erzählt hat. Ihre Bücher habe ich nicht gelesen und von den schönen Werken, die sie gemalt und komponiert haben, kenne ich auch gar wenig.«

»Mir geht es gerade so,« versetzte der Prinz ehrlich, »nur die Musiker kenne ich etwas.«

»Und doch ist es eine Freude, die Gesichter anzusehen,« fuhr Ilse fort, »man denkt bei jedem, wie der Charakter und die Vorzüge dieses Mannes sein möchten, und wenn man jemand fragt, der mehr weiß, ergibt sich manchmal eine Bestätigung und manchmal ein Irrtum. Das hilft einem die Männer lieb und vertraulich zu machen und man sucht Gelegenheit, auch mit ihrer Kunst und Weisheit bekannt zu werden. Ich mühe mich jetzt, von einem nach dem andern mehr zu erfahren. Wenn man aber etwas von einem großen Manne gelesen hat und sein Bild nach einiger Zeit wieder ansieht, dann ist es, als schaute man in das Gesicht eines guten Freundes.«

»Lesen Sie gern?« fragte der Prinz aufblickend.

»Langsam,« erwiderte Ilse, »denn von ernsten Dingen geht nicht viel auf einmal in den ungelehrten Kopf, besonders wenn es schwere Gedanken erregt.«

»Ich lese nicht gern,« versetzte der Prinz, »am wenigsten, was einem so vorgelegt wird. Und mir ist es langweilig, denn ich habe nichts Ordentliches gelernt und ich weiß nirgends recht Bescheid.«

Das sagte er mit Bitterkeit. Ilse erschrak über das Geständnis. »Dem werden Ew. Hoheit jetzt abhelfen, es ist ja hier so schöne Gelegenheit.«

»Ja,« versetzte der Prinz, »vom Morgen bis zum Abend, und alles durcheinander, ich bin jedesmal froh, wenn die Stunden zu Ende sind.«

Ilse betrachtete den jungen Herrn mit großer Betrübnis. »Das ist ja für Ew. Hoheit ein rechtes Unglück. Haben Sie denn nichts, was Ihnen zu besitzen oder zu wissen recht lieb ist? Eine Sammlung von Steinen oder Schmetterlingen oder von seltenen Büchern oder Kupferstichen wie der Doktor drüben? Dabei hat man das ganze Jahr sein Vergnügen und man lernt auch allerlei, wenn man sich diese werten Sachen zusammenträgt.«

»Wenn ich dergleichen haben will, kann ich alles in Haufen gesammelt haben,« versetzte der Prinz. »Aber wozu? es steht schon soviel Zeug um mich herum. Wenn ich heut Steine suchen wollte, gerieten alle Leute um mich in Aufregung, und es würde mir entweder verwehrt oder eine ganze Sammlung ins Haus getragen.«

»Das hilft freilich nichts,« bedauerte Ilse, »man muß selbst um das einzelne sorgen, dann kommt die Freude. Ein Mensch kann nicht alles wissen, aber etwas muß jeder haben, was er ordentlich versteht. Wenn ich mein kleines Leben vergleichen dürfte mit dem großen. das Ew. Hoheit erwartet, so könnte ich Ihnen wohl etwas erzählen. Als meine gute Mutter sich zu ihrer letzten Krankheit einlegte, war ich ein ganz junges Ding, aber ich wollte durchaus an ihrer Stelle die Wirtschaft führen. Da fand sich, daß ich mir nicht Rat wußte. Ich verstand nicht einmal, ob die Leute fleißig oder träge waren, ich kannte auch nicht die Handgriffe, und wenn jemand etwas schlecht machte, konnte ich's nicht lehren. Deshalb saß ich an einem Abend mutlos und ärgerlich über mich selbst, und ich glaube, ich weinte. Da sagte mein guter Vater: du durftest nicht soviel auf einmal übernehmen, du sollst erst etwas genau lernen. Und er wies mich in die Molkerei. Wissen Ew. Hoheit, was das ist?«

»Nicht so recht,« versetzte der Prinz.

»Das ist ja die Milchwirtschaft des Gutes, ich will Ew. Hoheit sagen, was dabei zu tun ist.«

Sie erzählte ihm die ganze Tagesarbeit des Milchkellers. »Und jetzt machte sich's so. Ich griff selbst mit an, wurde fest in der Arbeit und bekam ein Urteil über die Mägde. Ich lernte jede Kuh genau kennen und lernte auch, welche Art für uns am besten war und warum. Denn nicht jede Rasse paßt überallhin. Bald bekam ich den Ehrgeiz, Butter und Käse recht fein zu machen. Ich erkundigte mich bei den Klugen und las auch zuweilen in einem Buch darüber. Dann besprach ich mit dem Vater Verbesserungen. Und gerade als ich wegkam, war die Rede davon, statt unseres großen Butterfasses von Holz eine neue Maschine anzuschaffen. Sie ist jetzt aufgestellt, soll sehr gut sein und schöne Butter machen, ich habe sie aber noch nicht gesehen. Denn Ew. Hoheit kennen doch das Buttern?«

»Nein,« versetzte der Prinz.

Ilse beschrieb es ihm ein wenig. »Wenn aber der Vater um Johanni die große Rechnung machte, da war mein Stolz, daß die Kuhwirtschaft in jedem Jahr höhern Ertrag gab. Mich ärgerte nur, daß der Vater über meinen kleinen Gewinn lachte, denn der eigentliche Wert der Kühe lag für ihn in ganz andern Dingen.« Auch darüber machte Ilse eine leise Andeutung. »Und sehen Hoheit,« fuhr sie fort, »erst von dieser Zeit ab fühlte ich mich in der Welt recht zu Hause. Noch jetzt, wenn ich einmal in eine Fabrik gehe, ertappe ich mich darüber, daß ich sie wie eine andere Art Molkerei ansehe, und wenn von Staatseinnahmen und Regierung die Rede ist, vergleiche ich sie noch heut mit unserer Wirtschaft. Aber es ist wohl töricht, daß ich Ew. Hoheit von Butter und Käse unterhalte.«

Der Prinz sah ihr treuherzig in die Augen. »Ach, gnädige Frau,« sagte er, »Sie sind glücklich daran gewesen, mir aber ist es nie so gut geworden, daß ich bei dem, was mir lieb war, recht ruhig beharren konnte. Vom Morgen bis zum Abend bin ich erzogen worden und von einem zum andern geschleppt. Wenn ich als Kind in den Garten ging, war immer die Gouvernante dabei oder der Erzieher, und wenn ich im Grase sprang, wurde darauf gehalten, daß meine kleinen Sprünge auch für andere Leute gut aussahen, niederkauern durfte ich nicht; und als ich mich einmal auf den Kopf stellen wollte, wie ich bei andern Knaben gesehen hatte, gab es Entsetzen wegen der Unschicklichkeit und Arrest. Jeden Augenblick hieß es, das paßt nicht für einen Prinzen, oder das ist jetzt nicht an der Zeit. Sooft ich aus der Stube kam, starrten mich die fremden Leute an, auch ich mußte immer auf sie sehen und grüßen; mir wurde gesagt, wem ich die Hand geben durfte und wem nicht, wen ich anreden durfte und wen nicht. So ging es alle Tage. Immer waren es leere Redensarten, in drei Sprachen, und jeden Tag war der Gedanke obenan, daß man sich nur gut präsentiere. Einmal wollte ich mir mit der Schwester einen kleinen Garten anlegen, sogleich wurde der Hofgärtner gerufen, der uns graben und pflanzen mußte. Da war's uns vom ersten Tage verleidet. Dann wollten wir Theater spielen und hatten uns schon selbst ein Stück ausgedacht, wieder wurde uns gesagt, das sei dummes Zeug, und wir mußten ein Spiel auswendig lernen mit französischen Redensarten, wo die Kinder immer riefen, wie lieb sie Papa und Mama hätten, und wir hatten gar keine Mutter. Über diesem Zurichten für den Schein ist meine Kinderzeit vergangen. Ich versichere Sie, ich weiß nichts gründlich, und wenn ich jetzt hier in dem ewigen Lernen bleibe, so habe ich das Gefühl, daß es mir gar nichts helfen wird, und ich komme mir sehr unnütz vor in der Welt.«

»Ach, das ist traurig,« rief Ilse in tiefem Mitgefühl. »Aber ich flehe Ew. Hoheit an, verlieren Sie nur nicht den Mut. Es ist unmöglich, daß das Leben unter so vielen tüchtigen und gescheiten Männern, die Sie hier finden, ohne Segen für Sie sein sollte.«

Der Prinz schüttelte den Kopf.

»Denken doch Ew. Hoheit an Ihre Zukunft,« fuhr Ilse leise fort. »Ach, Sie haben alle Ursache, zuversichtlich und tapfer zu sein. Ihr Amt ist doch das höchste auf Erden. Wir andern arbeiten und sind glücklich, wenn wir ein einzelnes Menschenleben vor dem Untergange bewahren, und wenn es noch so klein und elend ist, Ihnen aber wird einmal Wohlsein und Leben von vielen Tausenden in die Hand gegeben. Was Sie für Schule und Bildung tun durch gute oder schlechte Lehrer der Seelen, und ob Sie für Krieg oder Frieden stimmen, das kann ein ganzes Land glücklich machen oder verderben. Wenn ich an diesen erhabenen Beruf denke, kommt mir die Ehrfurcht vor Ihnen, und ich möchte Sie auf meinen Knien anflehen, daß Sie tun, was möglich ist, um sich zu einem tüchtigen Fürsten zu machen. Dafür ist jetzt der beste Rat, daß Sie guten Willen zeigen, auch das zu lernen, was Ihnen langweilig ist. Und im übrigen vertrauen Sie der Zukunft, auch Ihnen wird die Freude am Leben und das Gefühl der Tüchtigkeit kommen.«

Der Prinz schwieg, denn die Erwähnung seines künftigen Fürstennamens gehörte zu den Anspielungen, welche bei Hofe verpönt sind und die im stillen Geiste zu verfolgen einem Thronerben noch weniger als andern erlaubt ist.

»Gelehrte Vorlesungen höre ich genug,« sagte endlich der Prinz, »ich wollte aber lieber, ich wäre bei einem Landwirt in der Lehre gewesen, wie Sie.«

Sie kehrten zu den Herren zurück, und der Prinz nahm den Rest des Abends aufmerksam an der Unterhaltung teil. Als er sich entfernt hatte, sagte Ilse zu ihrem Gatten: »Da geht er hin, er hat, was Tausende froh machen würde, und doch ist er unglücklich, denn sie haben ihm sein ehrliches Herz in Leder eingenäht, wie einer Gliederpuppe. Oh, sei gütig gegen ihn, Felix, und gönne ihm manchmal etwas von deiner Seele, damit ein Teil deiner Sicherheit und Kraft auf ihn übergehe.«

Der Gatte küßte sie auf das Haupt und sagte: »Dir wird das leichter möglich sein als mir. Aber er selbst hat sich das Rechte gesagt, drei Jahre bei deinem Vater in der Wirtschaft wären für ihn und sein Land die beste Hilfe.«

Beim Frühstück des nächsten Morgens nahm der Kammerherr die Zeitungen aus der Hand des Lakaien, der Prinz saß schweigend am Tisch, spielte mit dem Kaffeelöffel und beobachtete eine Fliege, welche vom Rande des Sahnentopfes unehrerbietige Versuche machte, in die fürstliche Milch zu sinken. Da die schriftliche Instruktion dem Kammerherrn die Pflicht auferlegte, den Prinzen vor jeder gefährlichen Lektüre zu behüten – es waren damit unzufriedene Zeitungen und schmutzige Romane gemeint –, so bot er seinem Herrn zuerst das unter allen Umständen gefahrlose Tageblatt, während er selbst eine wohlgesinnte Zeitung ergriff, um dort die Hofnachrichten, Beförderungen und Ordensverleihungen zu mustern. Er war längst mit seiner Lektüre zu Ende, der Prinz aber studierte noch immer über den frischen Schellfischen und Austern. Betrübt sah der Kammerherr, wie die junge Hoheit wieder einmal für den Lauf der Welt so geringe Teilnahme zeigte. Ein Bekannter des Kammerherrn war zum Rittmeister ernannt, ein anderer kündigte seine Verlobung an, er verfehlte nicht, den Prinzen aufmerksam zu machen, dieser aber lächelte nur in seiner zerstreuten Weise.

Der Kammerherr ging also zu seiner nächsten Pflicht über, er überlegte das Programm des Tages. Und da ihm oblag, den Prinzen mit den Neuigkeiten der Kunst, Literatur und der Stadt in geziemender Auswahl bekannt zu machen, so wartete er ungeduldig auf die Befreiung des Tageblattes, um sich aus diesem Rat zu holen. Endlich unterbrach der Prinz diese Erwägungen durch die Frage: »Hier finde ich eine permanente Ausstellung landwirtschaftlicher Geräte, was ist in solcher Ausstellung zu sehen?«

Der Kammerherr versuchte, das zu erklären und knüpfte vergnügt den Vorschlag an, auch einmal diese Ausstellung zu besuchen. Der Prinz gab durch ein schwaches Kopfnicken seine Einwilligung zu erkennen, sah nach der Uhr und ging auf sein Zimmer, den dreistündigen Morgenkursus durchzumachen, eine Stunde Staatswissenschaft, eine Stunde Mythologie und Ästhetik und eine Stunde Taktik und Strategie. Dann trat er mit seinem Begleiter den Weg nach der Ausstellung an.

Selbst dem Kammerherrn wurde langweilig zumute, als er hinter seinem jungen Herrn die großen Räume betrat, in denen unverständliche Maschinen zahlreich durcheinander standen. Der Geschäftsführer des Fabrikanten begann die Erklärung, der Kammerherr tat die Fragen, welche eine geziemende Wißbegier andeuten sollten, der Prinz ging geduldig von einem rätselhaften Körper zum andern und hörte etwas von Pflug, Exstirpator und Walze. Endlich veranlaßte die große Dreschmaschine den Erklärer, einen Arbeiter mit einer Treppenleiter zu Hilfe zu rufen. Der Prinz überließ dem Kammerherrn die Mühe hinaufzusteigen und die innere Einrichtung zu bewundern, er spielte unterdes mit seiner Lorgnette und fragte den Geschäftsführer in dem leisen Ton, in dem er zu sprechen gewöhnt war: »Haben Sie nicht auch eine Buttermaschine?«

»Jawohl,« war die Antwort, »mehrere von verschiedener Konstruktion.« Der Prinz gab sich wieder ruhig der Betrachtung des großen Dreschmechanismus hin und lernte die schöne Vorrichtung schätzen, welche das ausgedroschene Stroh, das er sich zu denken aufgefordert wurde, auf einen unsichtbaren Futterboden hinaufbeförderte. Endlich kamen die Geräte an die Reihe, welche ihm am Herzen lagen, moderne Nachfolger des alten ehrlichen Butterfasses. Da standen sie nebeneinander, das kleine Handgefäß, durch welches, wenn der Versicherung des Führers zu trauen war, jede Hausfrau in unglaublich kurzer Zeit ihre Butter selbst bereiten konnte, und die gewaltige Erfindung, welche den Bedürfnissen der größten Milchwirtschaft spielend genügte. Der Prinz ließ sich beschreiben, wie der Rahm hineingegossen, in eine gewisse kreisende Bewegung gesetzt und durch diese Aufregung gezwungen wird, sich mit sich selbst zu entzweien. Das alles hatte er schon viel schöner gehört, aber es machte ihm Spaß, die Vorzüge des modernen Baues anzusehen, und er wurde innig von seiner Vortrefflichkeit überzeugt. Er tat zum Erstaunen seines Begleiters Fragen, ergriff die Kurbel und versuchte ein wenig zu drehen, zog aber mit verlegenem Lächeln die Hand wieder zurück. Zuletzt fragte er sogar nach dem Preise. Der Kammerherr freute sich über die anständige Wißbegierde, welche sein junger Herr bewies, aber er wurde wieder gedemütigt, als der Prinz sich zu ihm wandte und Französisch sagte: »Was meinen Sie? Ich habe Lust, die kleine Maschine zu kaufen.« Des Drehens wegen, dachte der Kammerherr mit innerm Achselzucken. »Wie kommt es, daß Hoheit sich gerade dafür interessieren?« »Sie gefällt mir,« erwiderte der Prinz, »und man möchte dem Mann doch etwas abkaufen.«

Die niedliche Erfindung wurde erstanden, in das Quartier des Prinzen getragen und in seiner Arbeitsstube aufgestellt. Gegen Abend, während der Prinz seine Musikstunde am Flügel verlebte, mußte die Maschine sogar in dem Rapport erscheinen, welchen der Kammerherr für den regierenden Herrn verfaßte. Rühmend hob der Berichterstatter das Interesse hervor, welches sein Prinz den nützlichen Werkzeugen deutscher Bodenkultur erwiesen hatte. Allein selten war dem armen Kammerherrn so schwer geworden, die Pflicht eines getreuen Hofmanns zu üben, welchem ziemt, persönliches Empfinden zurückzudrängen und Peinliches mit Anmut zu umziehen. Denn in Wahrheit fühlte er tiefe Scham über die unnütze Spielerei seines Prinzen. Aber man lernt bei Hofe nie aus, wie sehr man auch den Faltenwurf eines fürstlichen Gemütes studierte, selbst dem weisesten Hofmarschall bleiben einzelne Tiefen unerforschlich.

Der Erbprinz aber bedeckte die Buttermaschine mit einem seidenen Tuch, und wenn er allein war, trat er vorsichtig heran, drehte die Kurbel und beobachtete den Mechanismus.

Einige Tage darauf hatte der Kammerlakai den Prinzen ausgekleidet. die Schlafschuhe zurechtgestellt und seine Nachtverbeugung gemacht, da blieb der kleine ausgehülste Prinz gegen Gewohnheit auf dem Stuhle sitzen und hemmte den Abschied des Dieners durch die Anrede: »Krüger, Sie müssen mir einen Gefallen tun.« – »Hoheit haben zu befehlen.« – »Besorgen Sie mir morgen früh, ohne daß es jemand sieht, einen großen Topf Milch, aber Sie setzen die Milch nicht auf Rechnung.« – »Befehlen Hoheit gekochte oder ungekochte?«

Das war eine schwierige Frage. Der Prinz drehte schweigend am Schnurrbart und sah seinen Krüger hilflos an. »Ich weiß nicht,« brach er endlich heraus, »ich möchte gern einmal buttern.«

Krüger begriff scharfsinnig, daß dieser Wunsch mit der neuen Maschine zusammenhing, und längst gewöhnt, an vornehmen Herren nichts erstaunlich zu finden, erwiderte er: »Dann muß aber die Maschine erst ausgebrüht werden, sonst schmeckt die Butter schlecht, und den Rahm dazu muß ich bestellen. So möchten Ew. Hoheit sich noch einen Tag gedulden.«

»Ich überlasse Ihnen alles,« sagte der Prinz vergnügt, »nehmen Sie die Maschine und sorgen Sie, daß niemand etwas erfährt.«

Als Krüger am Morgen des zweiten Tages beim Prinzen eintrat, fand er den jungen Herrn bereits angekleidet und meldete, stolz auf seine vertraute Stellung: »Der Herr Kammerherr schläft noch, es ist alles bereit.«

Der Prinz eilte auf den Zehen in die Stube, ein großer Topf Rahm wurde in den Leib der Maschine gegossen, erwartungsvoll setzte sich der Prinz an den Tisch und sagte: »Ich will selbst drehen.« Er drehte und Krüger sah zu. »Aber gleichmäßig, Hoheit,« ermahnte Krüger. Der Prinz konnte sich nicht versagen, den Deckel zu öffnen und hineinzublicken. »Es will noch nicht werden, Krüger,« sagte er kleinlaut. – »Nur immer munter, Hoheit,« rief Krüger, »bitte um gnädigste Erlaubnis, weiterzudrehen.« Darauf drehte Krüger und der Prinz sah zu. »Es wird,« rief der Prinz vergnügt, als er hineingesehen.

»Ja, es ist geworden,« antwortete Krüger. »Jetzt aber kommt die andere Arbeit. Die Butter muß herausgenommen und ausgewaschen werden. Befehlen Ew. Hoheit?«

»Nein,« sagte der Prinz mißtrauisch, »das geht nicht. Aber die Maschine ist gut. Bringen Sie mir einen Löffel und das Weißbrot, ich fische heraus, was ich finde, man muß sich zu helfen wissen.« Der Prinz fuhr mit dem Löffel in das Getümmel, holte in der Bildung begriffene Butter heraus und strich sie mit einem Gefühl von Behagen, das ihm ganz neu war, auf sein Weißbrot. »Sie schmeckt säuerlich, Krüger,« sagte er. »Das kann nicht anders sein,« versetzte Krüger belehrend, »es ist ja noch die Buttermilch drin.« – »Das tut nichts,« tröstete sich der Prinz. »Krüger, ich hätte nicht gedacht, daß beim Buttern soviel zu beobachten ist.« – »Ja, aller Anfang ist schwer,« ermutigte Krüger. – »Es ist gut,« schloß der Prinz gnädig, »nehmen Sie die Maschine heraus, und daß sie mir recht rein wird.«

Seitdem stand die Buttermaschine friedlich unter seidenem Tuche, der Prinz stellte sich in einsamen Stunden zuweilen davor und überlegte, wie er sie in die Hände liefern könne, denen er sie heimlich bestimmt hatte.

Die Sterne selbst schienen das zu begünstigen. Denn der rollende Erdball wälzte sich dem letzten Himmelszeichen zu, welches die Seelen unseres Volkes mit magischer Gewalt auf das schönste Fest des Jahres richtet. Weihnachten war nahe, und die Frauenwelt der Parkstraße fuhr in geheimnisvoller Tätigkeit einher. Der Verkehr mit guten Bekannten wurde unterbrochen, angefangene Bücher lagen im Winkel, Theater und Konzertsaal wiesen leere Plätze, die Akkorde des Flügels und die neuen Bravourarien klangen selten in die rasselnden Wagen der Straße, innere Kämpfe wurden beschwichtigt und böser Nachbarn wenig gedacht. Was eine Hausfrau oder Tochter zu leisten vermochte, das wurde auch in diesem Jahr auffällig. Vom Morgen bis zum Abend flogen kleine Finger zwischen Perlen, Wolle, Seide, Pinsel und Palette umher, der Tag wurde zu achtundvierzig Stunden ausgeweitet, selbst in den Minuten eines unruhigen Morgenschlummers arbeiteten dienstfertige Heimchen und andere unsichtbare Geister im Solde der Frauen. Je näher das Fest rückte, desto zahlreicher wurden die Geheimnisse, in jedem Schrank steckten Dinge, die niemand sehen sollte, von allen Seiten wurden Pakete in das Haus getragen, deren Berührung verpönt war. Aber während die Hausgenossen geheimnisvoll aneinander vorüberschlüpften, ist die Hausfrau stille Herrscherin in dem unsichtbaren Reich der Geschenke, Vertraute und kluge Ratgeberin aller. Sie kennt in dieser Zeit keine Ermüdung, sie denkt und sorgt für jedermann, die Welt ist ihr ein großer Schrank geworden mit zahllosen Fächern, aus denen sie unablässig herausholt, in die sie Verhülltes nach weisem Plane einstaut. Wenn am Weihnachtsabend der Flitterstern blitzt, der Wachsstock träufelt und die goldene Kugel am Christbaum schimmert, da feiert die Phantasie der Kinder ihre große Stunde, aber die Poesie der Hausfrauen und Töchter füllt schon Monate vorher die Zimmer mit fröhlichem Glanz.

Wenn man das Urteil des Herrn Hummel als gemeingültig betrachten darf, ist leider auch den Männern, welche die Ehre eines Hauses zu vertreten haben, die Begeisterung dieser Wochen nicht vollständig entwickelt. »Glauben Sie mir, Gabriel,« sagte Herr Hummel an einem Dezemberabend, während er einem Jungen nachblickte, der mit Brummteufeln umging, »in dieser Zeit verliert der Mann seine Bedeutung; er ist nichts als Geldspind, in dem sich der Schlüsselbart vom Morgen bis zum Abend dreht. Die beste Frau wird unverschämt und phantastisch, alles Familienvertrauen schwindet, eines geht scheu an dem andern vorüber, die Hausordnung wird mit Füßen getreten, die Nachtruhe gewissenlos ruiniert; wenn gegessen werden soll, läuft die Frau auf den Markt, wenn die Lampe ausgelöscht werden soll, fängt die Tochter eine neue Stickerei an. Und ist die lange Not ausgestanden, dann soll man sich gar noch freuen über neue Schlafschuhe, welche einen Zoll zu klein sind, und bei denen man später die grobe Schusterrechnung zu bezahlen hat, und über eine Zigarrentasche von Perlen, die platt und hart ist wie eine gedörrte Flunder. Endlich zu allerletzt, nachdem man goldene Funken gespuckt hat wie eine Rakete, fordern die Fragen noch, daß man auch ihnen selbst durch eine Schenkung sein Gemüt erweist. Nun, die meinigen habe ich mir gezogen.«

»Ich habe doch auch Sie selbst gesehen,« wandte Gabriel ein, »mit Paket und Schachtel unter dem Arm.«

»Dies ist wahr,« versetzte Herr Hummel, »eine Schachtel ist unvermeidlich. Aber, Gabriel, das Denken habe ich mir abgeschafft. Denn das war das Niederträchtige bei der Geschichte. Ich gehe jedes Jahr zu derselben Putzmacherin und sage: ›eine Haube für Madame Hummel.‹ Und die Person sagt: ›zu dienen, Herr Hummel,‹ und die Architektur steht reisefertig vor mir. Ich gehe ferner jedes Jahr zu demselben Kaufmann und sage: ›ein Kleid für meine Tochter Laura, so und so teuer, ein Taler Spielraum nach oben und unten,‹ und das Kleid liegt preiswürdig vor mir. Im Vertrauen, ich habe den Verdacht, daß die Frauen hinter meine Schliche gekommen sind und sich die Sachen vorher selbst aussuchen, denn es ist immer alles sehr nach ihrem Geschmack, während in früheren Jahren Widersetzlichkeit stattfand. Jetzt haben sie die Mühe, den Plunder auszuwählen, und am Abend müssen sie noch heucheln wie die Katzen, auseinanderfalten und anprobieren, sich erstaunt stellen und mein ausgezeichnetes Geschick loben. Das ist meine einzige Genugtuung bei dem ganzen Kindervergnügen. Aber sie ist dürftig, Gabriel.«

So knarrte mißtönend die Prosa des Hausherrn, doch die Parkstraße achtete wenig darauf, und sie wird solchen Sinn immer mit gebührender Mißachtung betrachten, solange süßer ist für andere sorgen als für sich selbst und Freude zu machen seliger als Freudiges zu empfangen.

Auch für Ilse wurde in diesem Jahr das Fest eine große Angelegenheit, sie trug wie eine Biene zusammen, und nicht nur für die Lieben in der Heimat. Denn auch in der Stadt hatten sich viele große und kleine Kinder an ihr Herz genestelt, von den fünf unmündigen Raschkes bis zu den kleinen Barfüßlern mit dem Suppentopf. Auch bei ihr wurden die Sofawinkel unheimlich für den Gatten, für Laura und den Doktor, wenn diese einmal unerwartet eintraten.

Als der Kammerherr einige Zeit vor dem Feste einen Besuch seines Prinzen bei dem neuen Rektor schicklich erachtete, fanden die Herren Ilse und Laura in eifriger Arbeit und den Salon der Frau Rektorin in eine große Marktbude verwandelt. Auf langem Tisch standen Weihnachtsbäumchen, und gefüllte Säcke lehnten ihren schweren Leib an die Tischbeine, die Frauen aber arbeiteten mit Elle und Schere, zerteilten große Wollzöpfe und wickelten Linnenstücke auseinander, wie Kaufleute. Als Ilse den Herren entgegentrat und ihre Umgebung entschuldigte, bat der Kammerherr dringend, sich nicht stören zu lassen. »Wir dürfen nur hierbleiben, wenn wir das Recht erhalten, uns nützlich zu machen.« Auch der Prinz sagte: »Ich bitte um die Erlaubnis zu helfen, wenn Sie etwas für uns zu tun haben.«

»Das ist freundlich,« versetzte Ilse, »denn bis zum Abend ist noch vieles zu verteilen. Erlauben Ew. Hoheit, daß ich Sie anstelle. Nehmen Sie den Sack mit Nüssen, Sie, Herr Kammerherr, haben Sie die Güte, die Äpfel unter Ihre Obhut zu nehmen, du, Felix, erhältst den Pfefferkuchen. Und ich bitte die Herren, kleine Häufchen zu machen, zu jedem zwanzig Nüsse, sechs Äpfel, ein Paket Kuchen.«

Die Herren gingen mit Feuer an die Arbeit. Der Prinz zählte gewissenhaft die Nüsse und ärgerte sich, daß sie immer wieder untereinanderfuhren, machte aber die Erfindung, durch zusammengefaltete Papierstreifen die Portionen beisammenzuhalten; die Herren lachten und erzählten, wie sie sich einst in fremdem Lande die deutsche Festfreude verschafft hatten. Der Duft der Fichtennadeln und Äpfel erfüllte die Stube und zog wie eine Festahnung in die Seelen aller Anwesenden.

»Dürfen wir die gnädige Frau fragen, wem unsere angestrengte Tätigkeit zugute kommt?« sagte der Kammerherr, »ich halte hier einen ungewöhnlich großen Apfel, durch den ich gern einen Ihrer Lieblinge bevorzugen möchte. Jedenfalls tun wir, was armen Kindern Freude machen soll.«

»Zuletzt wohl,« versetzte Ilse, »aber das geht uns nichts an, wir geben schon heut ihren Müttern. Denn die größte Freude einer Mutter ist doch ihren Kindern selbst einzubescheren, das Christbäumchen zu putzen und zu arbeiten, was die Kleinen gerade bedürfen. Diese Freude soll man ihr nicht nehmen, und deshalb wird ihnen der Stoff unverarbeitet geschenkt. Auch die Weihnachtsbäumchen kaufen sie am liebsten allein, jede nach ihrem Geschmack; die hier stehen, sind nur für solche Kinder, denen die Mutter fehlt. Und diese Bäumchen werden auch von uns ausgeputzt. Heut zum Feierabend wird alles aus dem Haus getragen, damit die Leutchen zu guter Zeit das Ihre erhalten und sich danach einrichten.«

Der Prinz sah auf den Kammerherrn. »Würden Sie uns erlauben,« begann er zögernd, »auch etwas für die Bescherung zu kaufen?«

»Sehr gern,« erwiderte Ilse freudig. »Wenn Hoheit befehlen, kann unser Diener das sogleich besorgen. Er weiß Bescheid und ist zuverlässig.«

»Ich möchte selbst mit ihm gehen,« sagte der Prinz. Der Kammerherr hörte verwundert auf diesen Einfall seines jungen Herrn, da der Einfall aber löblich und nicht gegen die Instruktion war, so lächelte er respektvoll. Gabriel wurde gerufen. Der Prinz ergriff freudig seinen Hut. »Was sollen wir kaufen?« fragte er aufbrechend.

»Kleine Wachsstöcke fehlen noch,« versetzte Ilse, »dann von Spielzeug Puppen, für die Knaben Bleisoldaten und für die Mädchen ein Kochgeschirr, aber alles hübsch handfest und sparsam.« Gabriel verließ mit einem großen Korbe hinter dem Prinzen das Haus.

»Sie haben gehört, was die gnädige Frau befohlen hat,« sagte der Prinz auf der Straße zu Gabriel. »Zuerst die Wachsstöcke, Sie suchen aus und ich bezahle, wir sollen sparsam einkaufen, geben Sie Achtung, daß wir nicht betrogen werden.«

»Das haben wir nicht zu fürchten, Ew. Hoheit,« versetzte Gabriel tröstend. »Und wenn wir ja einmal einige Pfennige zuviel bezahlen, das kommt wieder andern Kindern zugute.«

Nach einer Stunde kehrte der Prinz zurück, Gabriel mit hochbeladenem Korb, auch der Prinz trug unter beiden Armen Puppen und große Tüten mit Naschwerk. Als der junge Herr so belastet eintrat, mit geröteten Wangen, selbst glücklich wie ein Kind, sah er so gut und liebenswert aus, daß sich alle über ihn freuten. Emsig packte er seine Schätze vor der Frau Professorin aus und schüttete zuletzt die Zuckertüten auf den Tisch.

Seine Befangenheit war verschwunden, er spielte in kindlichem Behagen mit den hübschen Dingen, wies den andern die kunstvolle Arbeit an Marzipanpflaumen, bat Laura, einen Tempelherrn aus Zucker für sich zu behalten und wirtschafte ziemlich und behend um den Tisch, bis die andern ihm bewundernd zusahen und in seine Kinderscherze einstimmten. Als die Frauen den Ausputz der Fichtenbäumchen begannen, erklärte der Prinz, auch er werde dabei helfen. Er setzte sich vor die Untertasse mit Eiweiß, ließ sich die Handgriffe zeigen und wälzte die bestrichenen Früchte in Gold- und Silberblättchen. Ilse setzte als Preis für den Herrn, der am meisten und besten arbeiten würde, eine große Dame von Pfefferkuchen mit Reifrock und Glasaugen, und es entstand ein löblicher Wetteifer unter den Herren, die besten Stücke zu liefern. Der Professor und der Kammerherr wußten alte Kunstfertigkeit zu verwenden, der Prinz aber arbeitete als Neuling etwas liederlich, es blieben einzelne leere Stellen, und an andern bauschte das Schaumgold. Er war mit sich unzufrieden, aber Ilse ermunterte ihn: »Nur müssen Ew. Hoheit sparsamer mit dem Golde sein, sonst reichen wir nicht.« Zuletzt erhielt der Kammerherr die Dame im Reifrock und der Prinz als außerordentliche Belohnung für seine Strebsamkeit ein Wickelkind, das aber auch durch zwei Glaskorallen in die Welt starrte.

Draußen auf dem Weihnachtsmarkt standen die kleinen Kinder um die Tannenbäumchen und Weihnachtsbuden und schauten ahnungsvoll und begehrlich auf die Schätze, und in Ilses Zimmer saßen die großen Kinder am Tische, spielend und glücklich; auch hier kam ein kluges Wort zutage, und der Prinz malte zuletzt mit Eiweiß die Umrisse eines Gesichtes auf die Handfläche und vergoldete sie mit den Metallblättchen.

Als der Erbprinz aufbrach, fragte der Professor: »Darf ich fragen, wo Ew. Hoheit den Weihnachtsabend verbringen?«

»Wir bleiben hier,« versetzte der Prinz.

»Da seltene Musikaufführungen in Aussicht stehen,« fügte der Kammerherr hinzu, »hat des Fürsten Hoheit auf die Freude verzichtet, den Prinzen zum Fest in seiner Nähe zu haben, wir werden also stille Weihnacht im Quartier halten.«

»Wir wagen nicht einzuladen,« fuhr der Professor fort, »falls aber Ew. Hoheit an diesem Abend nicht in anderer Gesellschaft verweilen, würde uns große Freude sein, wenn die Herren bei uns vorliebnähmen.«

Ilse sah dankbar auf den Gatten, und der Prinz überließ diesmal nicht dem Kammerherrn die Antwort, sondern nahm mit Wärme die Einladung an. Als er mit seinem Begleiter durch die gefüllten Straßen schritt, begann er vorsichtig: »Irgend etwas werden wir doch auch zu dem Weihnachtstisch beisteuern.«

»Ich habe soeben daran gedacht,« versetzte der Kammerherr, »wenn Ew. Hoheit den wackern Leuten die Ehre erweisen und den Abend bei ihnen zubringen, so bin ich nicht sicher, wie der Fürst eine Beisteuer meines gnädigsten Prinzen zu diesem Weihnachtsbaum auffassen wird.«

»Nur nichts von Broschen oder Ohrringen aus dem langweiligen Kasten des Hofjuweliers,« rief der Prinz mit ungewohnter Energie, »es darf nur eine Kleinigkeit sein, am liebsten ein Scherz.«

»Das ist auch meine Ansicht,« bestätigte der Kammerherr. »Aber es ist doch ratsam, den Entscheid darüber dem durchlauchtigsten Herrn anheimzugeben.«

»Dann bleibe ich lieber zu Hause,« versetzte der Prinz erbittert, »ich will nicht mit einem dummen Cadeau in der Hand eintreten. Läßt sich nicht machen, daß der Besuch ganz zwanglos erscheint, wie auch die Einladung war?«

Der Kammerherr zuckte die Achseln. »Wenige Tage nach dem Fest wird der ganzen Stadt bekannt sein, daß Ew. Hoheit dem Professor Werner diese ungewöhnliche Ehre erwiesen haben. Ohne Zweifel wird das Ereignis von irgendeinem Unberufenen nach der Residenz geschrieben. Hoheit wissen besser als ich, wie der Fürst eine solche Nachricht aufnehmen mag, die ihm zuerst von Fremden kommt.«

Dem Prinzen war die Freude verdorben. »So schreiben Sie meinem Vater,« rief er zornig, »aber stellen Sie die Einladung dar, wie sie vorgebracht wurde, und sprechen Sie sich gegen jedes gnädige Geschenk aus. Es würde diese Familie nur verletzen.«

Der Kammerherr freute sich über den Takt seines jungen Herrn und versprach, den Brief nach Wunsch einzurichten. Das versöhnte den Prinzen, und er begann nach einer Weile: »Ich habe mir ausgedacht, Weidegg, was wir geben dürfen. Frau Professorin ist vom Lande, ihr schenke ich als Attrappe die Maschine, die ich neulich gekauft habe, und ich lege hübsche Bonbons oder so etwas hinein.«

Jetzt will er die unnütze Spielerei wieder loswerden, dachte der Kammerherr. »Das geht unmöglich,« erwiderte er laut. »Ew. Hoheit sind gar nicht sicher, daß Frau Professorin den Scherz so auffassen wird, wie er gemeint war. Und verzeihen Ew. Hoheit die Bemerkung: es ist sehr mißlich, in solche Geschenke etwas zu legen, was Mißdeutungen unterliegen kann. Ew. Hoheit vollends dürfen dergleichen niemals wagen. Wenn auch die liebenswürdige Frau selbst nichts darin findet, in ihrem Kreise wird viel besprochen werden, daß ein solcher Scherz von Ew. Hoheit gemacht ist, und man würde darin leicht eine ironische Anspielung auf ein gewisses ländliches Benehmen finden, welches der Dame unleugbar recht gut steht, aber doch hier und da Veranlassung zu leisem Lächeln sein kann.«

Dem Prinzen fror das Herz, er war wütend auf den Kammerherrn und erschrak auch wieder bei dem Gedanken, daß er Frau Ilse verletzen könnte; die Poesie des Festes war ihm gründlich verdorben, er ging stumm in sein Quartier.

Auf den Brief des Kammerherrn kam die Antwort, daß der Fürst gegen einen gelegentlichen Besuch des Erbprinzen trotz der naheliegenden Inkonvenienz nichts einwenden wolle, und daß, wenn eine Aufmerksamkeit überhaupt unvermeidlich sei, dieselbe von einem Gärtner und Konditor beschafft werden müsse. Es wurde also eine Menge von Blumen und Konfitüren durch den Kammerherrn eingekauft und vor dem Prinzen aufgesetzt. Dieser aber sah kalt und schweigend über den fröhlichen Farbenglanz. Zwei Lakaien trugen die Sachen gegen Abend zum Rektor mit einem kleinen Billett des Kammerherrn, welcher im Namen seines durchlauchtigsten Prinzen bat, die Sendung zum Ausputz des Weihnachtstisches zu verwenden. Unterdes stand der Prinz finster vor dem landwirtschaftlichen Mechanismus und haderte bitter mit seiner fürstlichen Würde.

Als er zur geziemenden Stunde bei Werner eintraf, war die Bescherung vorüber, der Christbaum ausgelöscht. Ilse hatte das so gewollt, »es ist nicht nötig, daß die fremden Herrschaften sehen, wie wir uns über die Geschenke freuen.« Der Prinz empfing den Dank Ilses über den prächtigen Schmuck ihres Tisches mit Zurückhaltung und saß schweigend und zerstreut vor dem Teekessel. Ilse dachte: Ihm tut weh, daß er keinen frohen Weihnachtsabend hat, das ärmste Kind ist lustig vor seinem Fichtenbäumchen, und er sitzt wie ausgeschlossen vor den Freuden der Christenheit. Sie winkte Laura und sagte dem Prinzen: »Wollen Ew. Hoheit nicht unsern Christbaum ansehen? Die Lichter mußten gelöscht werden, sonst brannten sie auf einmal herunter. Ist's aber Ew. Hoheit recht, so zünden wir die ganze Herrlichkeit noch einmal an, und es wäre sehr gütig, wenn Hoheit uns dabei helfen wollten.«

Das war dem Prinzen doch willkommen, und er ging mit den Frauen in das Weihnachtszimmer. Dort erbot er sich, den Stock zu nehmen, an dessen Spitze ein Wachsstockende befestigt war, um die höchsten Lichter des mächtigen Baumes zu erreichen. Während er geschäftig an dem Baum arbeitete, wurde ihm das Herz etwas leichter, und er sah mit Anteil auf die Geschenke, welche unter dem Baume lagen. »Jetzt aber haben Ew. Hoheit die Güte, hinauszugehen,« sagte Ilse, »wenn ich klingle, so gilt es Ihnen und Herrn von Weidegg, das kann Ew. Hoheit nicht erspart werden.« Der Prinz eilte hinaus, die Schelle tönte. Als die Herren eintraten, fanden sie zwei kleine Tische gedeckt, darauf angezündete Bäumchen und unter jedem eine große Schüssel mit Backwerk, das man nur in der Landschaft zu backen verstand, welcher sie angehörten. »Das soll eine Erinnerung an unsere Heimat sein,« sagte Ilse, »und auf den Bäumchen sind die Äpfel und Nüsse, welche die Herren selbst vergoldet haben; die mit den roten Flecken sind Ew. Hoheit Arbeit. Und dies ist eine respektvolle Sendung aus der Wirtschaft meines lieben Vaters. Ich bitte die Herren, die geräucherte Gänsebrust mit gutem Appetit zu verzehren; wir sind ein wenig stolz auf diese Leistung. Hier aber, mein gnädigster Prinz, ist zur Erinnerung an mich ein kleines Modell von unserm Butterfaß, denn dabei habe ich als Kind vom Lande meine hohe Schule durchgemacht, wie ich neulich Ew. Hoheit erzählte.« Und auf dem Platze des Prinzen stand wohlhäbig dies nützliche Werkzeug aus Marzipan gefertigt. »Unten auf dem Boden habe ich Ew. Hoheit mein Sprüchel von damals aufgeschrieben. Und so nehmen die Herrschaften mit dem guten Willen vorlieb.«

Sie sagte das mit so inniger Fröhlichkeit und bot dem Kammerherrn dabei so gutherzig die Hand, daß diesem seine Anstandsbedenken schwanden und er ihr recht wacker die Rechte schüttelte. Der Prinz aber stand vor seinem Fäßchen und dachte: Jetzt ist der Augenblick, oder er kommt nie. Er las unten die anspruchslosen Worte: »Hat man sich mit einem rechte Müh' gegeben, so bleibt es Segen für das ganze Leben. Da bat er ohne alle Rücksicht auf die dräuenden Folgen seines Wagnisses: »Darf ich Ihnen einen Tausch vorschlagen? Ich habe auch eine kleine Buttermaschine gekauft, sie ist mit einem Rade und einer Scheibe zum Drehen, und man kann sich darin jeden Morgen seinen Bedarf selbst machen. Es wäre mir große Freude, wenn auch Sie diese annehmen wollten.«

Ilse verneigte sich dankend, der Prinz bat, den Diener sogleich in sein Quartier zu senden. Während der Kammerherr noch erstaunt den Zusammenhang überdachte, wurde der Mechanismus in das Zimmer getragen, der Prinz setzte ihn mit eigenen Händen auf eine Ecke des Tisches, erklärte der Gesellschaft die innere Einrichtung und war sehr erfreut, als Ilse sagte, daß sie Zutrauen zu der Erfindung habe. Wieder wurde er das fröhliche Kind von neulich, trank lustig sein Glas Wein und brachte mit gefälligem Anstand die Gesundheit des Hausherrn und der Hausfrau aus, so daß der Kammerherr seinen Telemach gar nicht wiedererkannte. Und beim Abschiede packte er sich selbst den Marzipan ein und trug ihn in der Tasche nach Hause.


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