Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Zweites Kapitel

Aus drei Kabinetten

Das Jahr des Rektorats hatte auch Ilses Haushalt und den Kreis ihrer Gedanken so umgeformt, daß sie dem Gatten erstaunt sagte: »Ich bin jetzt wie aus der Schule in das Getümmel der Welt versetzt.« Die Tage ihres Felix waren mit zerstreuenden Geschäften belastet, schwierige Verhandlungen der Universität mit der Regierung, ärgerliche Vorfälle in der Studentenschaft nahmen einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch.

Auch die Abende verliefen nicht wie im ersten Jahr, wo Ilse der stillen Arbeit des Gatten zusah oder den Worten der Männer lauschte; denn viele Abende waren dem Professor durch Sitzungen des Senats in Anspruch genommen und viele durch größere Gesellschaften, denen er als Rektor sich nicht entziehen wollte. Wenn die Freunde zum Teetisch kamen, fehlte zuweilen der Hausherr.

Ilse hatte die Lehre des Vaters beherzigt. Sie lebte frisch darauflos und mied verwirrende Gedanken. Der Gatte selbst war ängstlich bemüht, alles von ihr fernzuhalten, was ihre Ruhe stören konnte, und die geistige Diät, welche ihr zuteil wurde, tat ihr sehr wohl. Wenn er sie in Gesellschaft sich gegenüber sah, wieder in voller Kraft und Gesundheit, die Wange leicht gerötet, um Augen und Lippen heiteres Leben, da war ihm, als sei seine Pflicht, diese Seele für immer zu behüten vor dem übermächtigen Einbruch kämpfender Gewalten, und ihm war ganz recht, daß sie auch durch häufigen Verkehr mit verschiedenartigen Manschen und durch die leichten Bande einer reichen Geselligkeit heimisch wurde in seinem Kreise. Freudig sah er, daß ihre unbefangene Art Anerkennung fand, und daß sie nicht nur von den Männern mit Auszeichnung behandelt wurde, auch den Frauen gefiel.

Doch das Privatissimum, wie Ilse nach Universitätsbrauch die Stunde nannte, wo sie die lehrenden Worte des Gatten vernahm, wurde unter allen Störungen fortgesetzt: darauf hielt die Hausfrau mit eiserner Strenge, und wenn ein Tag versäumt war, mußte das Verlorene am nächsten eingebracht werden. Aber auch in diese Stunden war ein anderer Inhalt gekommen. Der Professor las jetzt mit ihr kleine Stücke alter Schriftsteller, welche in Vers und Prosa die graziöse Schönheit des antiken Lebens abspiegelten. Die unschuldige Seele der Frau fand sich in der heitern Sinnlichkeit dieser fremden Welt arglos zurecht, und die Eindrücke, welche sie erhielt, stimmten vortrefflich zu der Weise, in der sie sich jetzt das eigene Leben zurechtlegte. Der Professor erklärte ihr einzelne Gedichte der griechischen Anthologie und des Theokrit, weniges aus der Lyrik der Römer, dazwischen aber zum Vergleich Gedichte des großen Deutschen, der in einziger Weise griechische Schönheit mit deutscher Empfindung zu vermählen gewußt. Wieder klangen in das Tagesleben der jungen Frau leise die Melodien des hellenischen Saitenspiels und der Rohrpfeife, wenn Laura über ihren toten Kanarienvogel trauerte, oder wenn Ilse selbst mit Frau Günther traulich schwatzend nach dem städtischen Museum ging, dem syrakusischen Weibe gleich, welches die Nachbarin abholt, um die reiche Ausstellung der Königin auf der Burg zu betrachten. Und als der Gatte sich einmal in später Stunde über ihr Antlitz beugte, um zu sehen, ob sie entschlummert war, da schlug sie die Augen zu ihm auf und fragte ihn, ob er etwa auf ihrer Schulter seine Versfüße abzählen wollte, und sie wand ihm ihr langes Haar um den Hals und lachte, als er darüber seine große Abhandlung von den Gladiatoren im Stich ließ, über welcher er in der Stille arbeitete.

Auch die Würde der Magnifizenz erwies Ilse in großer Abendgesellschaft, alle Zimmer waren geöffnet, die schmucke Wohnung strahlte im Kerzenglanz, die Häupter der Universität und Stadt mit ihren Frauen waren zahlreich erschienen, der Prinz und sein Kammerherr fehlten nicht. Laura half anmutig die Honneurs machen und in der Stille die fremden Diener anweisen; Küche und Wein taten geschmackvoll ihre Pflicht, die Gäste gebärdeten sich artig und schieden fröhlich angeregt. Jetzt war der große Abend glücklich vergangen, auch der Doktor und Laura hatten sich entfernt; Ilse gab die letzten Aufträge an Gabriel und schritt noch einmal durch die Zimmer in dem frohen Gefühl, daß sie ihrem Felix und sich Ehre eingelegt hatte. Im Ankleidezimmer warf sie einen Blick in den Spiegel. »Du hast nicht nötig, dich prüfend zu betrachten,« sagte der Gatte, »es war alles sehr schön, aber das Schönste war die Frau Rektorin.«

»Damon, mein Schäfer,« versetzte Ilse, »wie bist du verblendet. Doch sagst du's auch nicht zum erstenmal, ich höre solche Worte sehr gern, du kannst dasselbe mir noch recht oft erzählen. Aber Felix,« fuhr sie fort, indem sie ihr Haar auflöste, »es ist immer etwas Festliches selbst bei solcher Gesellschaft, wo die Menschen nichts tun als sich unterhalten. Man trägt von keinem viel davon, und doch ist's ein hübsches Vergnügen, unter ihnen umherzutreiben, alle wollen artig sein und suchen sich aufs beste zu erweisen, und jeder ist bemüht, sich den andern ein wenig anzupassen.«

»Nicht jedem gelingt bei solcher Gelegenheit, seinen Inhalt gut darzustellen, am wenigsten uns Büchermenschen,« antwortete Felix. »Aber es ist wahr, diese Gesellschaften geben solchen, die in ähnlichen Lebenskreisen stehen, eine gewisse Gemeinsamkeit der Sprache und Haltung, zuletzt auch der Ideen. Und das ist sehr nötig, denn im Grunde sind auch die, welche nahe aneinander leben, in einem weiten Gebiet ihres Empfindens und Denkens oft so verschieden, als ob sie aus verschiedenen Jahrhunderten stammten. Wie hat dir der Kammerherr gefallen?«

Ilse schüttelte den Kopf. »Er ist der Artigste und Aufgeweckteste von allen und weiß jedem etwas Verbindliches zu sagen; aber man möchte ihm doch nicht trauen, denn man hat wie bei einem Aal gar keinen Anhalt und keinen Augenblick, wo man in sein Herz sieht. Da war mir unser Prinz mit seinem steifen Wesen lieber. Er hat mir heut von seiner Schwester erzählt, die muß sehr gescheit und liebenswürdig sein. Aus welchem deiner Jahrhunderte stammt denn er?«

»Aus der Mitte des vorigen,« erklärte der Gatte lachend, »er ist gute hundert Jahre älter als wir, aus der Zeit, wo die Menschheit in zwei Klassen zerfiel, in Hoffähige und in Sklaven. Aber wenn du dich in unserer Nähe umsehen willst, kannst du größere Unterschiede erkennen. Da ist unser Gabriel, eine Menschenseele, die in ihren Vorurteilen und ihrer Poesie um dreihundert Jahre hinter der Gegenwart zurückgeblieben ist. Seine Weise zu empfinden erinnert an die Zeit, in welcher die großen Reformatoren unser Volk zuerst zum Denken heranzogen. Dagegen die feindlichen Nachbarn sind in mancher Hinsicht Repräsentanten von zwei entgegengesetzten Richtungen, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts nebeneinander liefen, in unserm Hause eigensinniger Rationalismus, bei den Alten drüben eine weiche Gefühlsseligkeit.«

»Und welcher Zeit gehöre ich an?« fragte Ilse, sich vor den Gatten stellend.

»Du bist mein liebes Weib,« rief er und wollte sie an sich ziehen.

»Ich will dir's sagen,« fuhr Ilse zurückweichend fort, »nach eurer Meinung bin ich auch aus einer vergangenen Zeit, und das hat mich mehr geängstigt, als ich jetzt aussprechen will. Aber ich mache mir nichts mehr daraus. Denn wenn ich dich zwingen kann, meine Hand zu küssen, so oft ich dir's befehle« – der Professor war sehr willig dazu –; »wenn ich sehe, wie es dich auch keine Überwindung kostet, mich einmal auf den Mund zu küssen – es ist nicht nötig, daß du es jetzt versuchst, ich glaube dir; ferner, wenn ich merke, daß der gelehrte Herr nicht abgeneigt ist, mir die Schlafschuhe zu reichen und vielleicht gar mein Nachtkleid – gut, ich will nicht, daß du dich weiter bemühst. Hier häkele mir die Ohrringe auf und mache das Kästchen hübsch zu; und wenn ich außerdem merke, daß dir viel daran gelegen ist, mir zu gefallen, daß du auf meinen Wunsch die Konsistorialrätin zu Tische geführt hast, die du gar nicht leiden kannst, und daß du mir dies prächtige Kleid gekauft hast, obgleich du vom Kaufen gar nichts verstehst; wenn ich ferner sehe, daß Magnifizenz ganz in meiner Botmäßigkeit sind, daß ich die Schlüssel zum Brote habe und sogar deine Geldrechnung führe, und wenn ich mir endlich in das Gedächtnis zurückrufe, daß du guter, lieber Büchermann neben deinen Griechen und Römern auch Frau Ilse kleiner Abhandlungen würdigst und daß dir eine Freude ist, wenn ich ein wenig von deiner gelehrten Schreiberei verstehe, so kommt mir die Meinung, daß du ganz mir angehörst, du und deine Zeit, und daß es mir ganz gleichgültig ist, aus welcher Periode der Weltgeschichte meine Gemütsart stammt. Denn wenn ich zurückgebliebenes Kind aus entlegener Zeit dich in das Ohrläppchen zwicke, wie ich jetzt tue, so wird mir der große Herr der Gegenwart und Zukunft und sein Philosophieren über verschiedene Menschen nur lächerlich. Nachdem ich dir diesen Vortrag gehalten habe, kannst du ruhig einschlafen.«

»Das wird schwer halten,« versetzte der Professor, »wenn die gelehrte Frau um das Lager herumwandelt und im Nachtkleide Reden hält, die langstieliger sind als die eines römischen Philosophen. Und wenn sie darauf mit den Schranktüren klappert und in dem Zimmer umherfährt.«

»Mein Tyrann fordert morgen früh seinen Kaffee, der muß heut herausgegeben werden, und ich kann nicht einschlafen, wenn ich nicht alle Schlüssel neben mir habe.«

»Da hilft nichts,« sagte der Professor, »als ernsthafte Beschwörung,« und einen Vers des Theokrit parodierend, rief er: »Drehhals, wende dich um und ziehe das Weib in die Kammer.«

»Ich muß nachsehen, ob noch irgendein Licht brennt,« rief Ilse hinein. – Aber gleich darauf kniete sie an seinem Lager nieder und umschlang ihn mit ihren Armen. »Es ist so schön auf der Welt, Felix,« rief sie, »bitten wir demütig, daß unser Glück dauere.«

Ja du bist glücklich, Frau Ilse, aber wie dein Vater gesagt hat, du verdankst dein Glück der Vorsicht, nicht der Tapferkeit.

 

Als Ilse ihrem Vater schrieb, wie die große Abendgesellschaft verlaufen war, vergaß sie nicht beizufügen, daß auch ihr künftiger Landesherr wieder unter den Gästen gewesen war, und daß sie sich mit ihm recht verständig unterhalten habe. Der Vater schien ihr die letzte Mitteilung nicht recht zu würdigen, denn er antwortete ärgerlich: »Wenn du so einflußreiche Ratgeberin geworden bist, sorge lieber dafür, daß wir einen Anschluß an die große Chaussee erhalten; die Sache wird seit zehn Jahren von den Behörden hingezogen, es ist eine Schande, daß wir von aller Welt so abgeschnitten sind. Der Schimmel hat das Bein gebrochen. Unser Gut wäre an die zehntausend Taler mehr wert, wenn die Regierung nicht so saumselig wäre.«

Ilse las den Brief ihrem Gatten vor und fügte hinzu: »Das mit der Chaussee wollen wir dem Prinzen sagen, der kann es bei seinem Vater durchsetzen.« Der Gatte lachte. »Ich übernehme diesen Auftrag nicht, der Prinz sieht mir nicht aus, als ob er großen Einfluß auf die Regierung hätte.«

»Das wollen wir doch sehen,« versetzte Ilse fröhlich, »bei nächster Gelegenheit spreche ich ihn darauf an.«

Diese Gelegenheit blieb nicht aus. Der Konsistorialrat, welcher jetzt theologischer Dekan war, lud zu einem Tee. Es war eine vornehme und ehrwürdige Gesellschaft, für Ilse gar nicht behaglich, die Frömmigkeit des Dekans war ihr längst verdächtig, aus dem Frack des süßlichen Herrn sah sie oben deutlich einen eingeknöpften Fuchsschwanz herausragen, in den Reden der Frau Dekanin war eine unbequeme Mischung von Honig und Galle, die Räume waren eng und heiß und die Gäste gelangweilt. Aber der Erbprinz mit seinem Kammerherrn hatte zugesagt. Als er eintrat, strebten der Hausherr und einige Gäste, welche den Brauch der Höfe kannten, nach einer Aufstellung mit Front, aber der Erfolg wurde durch die Unachtsamkeit oder aufsässiges Wesen der Mehrzahl vereitelt. Der Prinz mußte sich, vom Hausherrn geleitet, durch die Gruppen bis zur Frau Dekanin vorkämpfen. Sein Blick prallte von ihren scharfen Zügen ab und irrte in ihrer Nähe umher, wo Ilse stand, wie aus einem andern Planeten herabgestiegen. Sie war heut so majestätisch, der kleine Bandschmuck saß wie ein Krönchen auf den lockigen Haaren, deren Fülle ihr Haupt mächtig umgab. Der Prinz sah scheu auf sie und konnte kaum Worte finden, welche er ihr gönnen mußte. Als er sich nach kurzem Gruß wieder zur Gesellschaft wandte, war Ilse unzufrieden, sie hatte als gute Bekannte artigere Behandlung erwartet. Sie überlegte nicht, daß seine Aufgabe in der Gesellschaft nicht die eines Privatmannes war, und daß er fürstliche Pflichten zu erfüllen hatte, bevor er als Mensch unter den andern umherlaufen konnte. Während er aber mit innerem Unwillen tat, was seine Stellung erheischte, zuerst langsam umherging, zu Ilses Gatten, dann zu den übrigen Würdenträgern, darauf feste Stellung nahm, sich einzelne vorstellen ließ und Fragen tat, wie sie für solche Fälle überlegt waren, wartete auch er ungeduldig auf den Zeitpunkt, wo ihm das Schicksal gestatten würde, mit der Landsmännin ein wenig zu reden. Er hielt aber wacker stand; der Professor der Geschichte sprach ihm seine Freude aus, daß jetzt ältere Chroniken seiner Landschaft herausgegeben würden, und suchte halb erzählend, halb belehrend die Bedeutung derselben klarzumachen. Unterdes bedachte der Prinz, daß die Frau Rektorin wenigstens zu seiner linken Seite sitzen werde, denn der Kammerherr hatte ihn aufmerksam gemacht, daß die Dekanin seine rechte Seite erhalten müsse.

Die Sache war zweifelhaft. Denn die Dekanin war zwar Wirtin, aber der Abend hatte einen gewissermaßen offiziellen Universitätsanstrich, und Ilse war ohne Widerrede unter den gelehrten Damen die vornehmste. Jedoch dieser Zweifel wurde deshalb unwesentlich, weil der Dekan für zahlreiche Zusendung theologischer Werke und bewundernde Huldigungsbriefe von dem Fürsten bereits das Komturkreuz seines Ordens erhalten hatte. Daß er bis zu diesem emporgeklettert, glich, wie der Kammerherr auseinandersetzte, den Würdenunterschied zwischen Magnifikus und Dekan so vollständig aus, daß die Dekanin doch schließlich das beste Recht hatte. Nun war allerdings, wie der Kammerherr zugab, im Grunde gleichgültig, wie man hier durcheinander saß, denn von einem Recht auf Rang konnte in dieser Gesellschaft überhaupt nicht die Rede sein. Doch war es angemessen, wenn der Prinz nicht ganz versäumte, zu distinguieren.

Also an seiner linken Seite wenigstens hoffte der Prinz Frau Ilse zu finden. Allein auch diese Erwartung wurde durch die Tücke der Dekanin vereitelt. Denn in der Gesellschaft erschien die Frau eines Obersten, Mann und Frau von alter Familie, erst an den Ort versetzt. Beflissen führte die Dekanin den Kammerherrn der eintretenden Frau Oberst zu, und bei der Begrüßung ergab sich zum Überfluß, daß beide gemeinsame Verwandte hatten. Dadurch wurde die Rangordnung des Soupers zerrüttet. Die Dame forderte ihr Recht der Vorstellung. Der Kammerherr führte sie dem Prinzen entgegen, der Prinz aber kam artig zuvor und sprach seinen Wunsch aus, der Dame genannt zu werden. »Sie läßt sich einem Studenten vorstellen,« sagte erstaunt die kleine Günther. – »Das ist eine Beeinträchtigung der sozialen Vorrechte, welche die Frau dem Mann gegenüber zu behaupten hat,« versetzte unwillig die Struvelius.

»Sie macht es doch recht hübsch,« erwiderte Ilse, »und wie sie sich mit ihm unterhält, gefällt mir.« Die Frauen wußten nicht, daß der Gegenstand ihrer Bemerkungen in diesem Augenblick scheinbarer Erniedrigung den Triumph einer höheren Stellung freudig empfand. Der Prinz, die Frau Oberst und der Kammerherr bildeten für kurze Zeit eine Gruppe, von welcher das Licht des Abends ausstrahlte, alle drei in dem Bewußtsein, daß sie unter Fremden zusammengehörten.

Die Folge dieser Vorstellung war, daß die Frau Oberst an der linken Seite des Prinzen zu sitzen kam, und Ilse, von zwei Dekanen eingefaßt, ihm gegenüber. Für den Prinzen wurde die Bewahrung fürstlicher Würde dadurch nicht leichter, daß er die Augen und das Lockenhaar seiner Landsmännin vor sich erblickte, sooft er die Augen erhob. Langsam schlich ihm die Abendstunde dahin, erst kurz vor dem Aufbruch fand er Gelegenheit, ungezwungen mit Frau Ilse zusammenzutreffen. Warte, dachte Ilse, die Chaussee soll dir nicht geschenkt sein.

»Haben Sie Nachricht von Ihrem Herrn Vater und dem Gut?« begann der Prinz mit einer Frage, welche die Unterhaltung schon öfter eingeleitet hatte. – »Es ist keine gute Nachricht,« entgegnete Ilse, »denken Ew. Hoheit, eines unserer Arbeitspferde hat den Fuß gebrochen. Es war ein Schimmel, den wir selbst gezogen, ein gutes, frommes Tier, ich bin manchmal auf ihm geritten, obgleich der Vater das nicht gern sah. Denn sehen Ew. Hoheit, der Weg bei uns bis zu der größeren Marktstadt, wohin der Vater jedes Jahr das Getreide abliefern muß, ist unverantwortlich schlecht, es geschieht durch die Regierung gar nichts dafür. Seit zehn Jahren hängt die Sache, aber es kommt zu nichts. Wenn Ew. Hoheit etwas dazu tun könnten, daß uns eine Chaussee gebaut wird, so bitte ich sehr, Sie helfen der ganzen Gegend auf.« Der Prinz sah ihr treuherzig in die Augen und sagte verlegen: »Das ist Sache der Regierung, ich glaube, mein Vater weiß davon nichts.«

»Das glaube ich auch,« versetzte Ilse siegreich, »die Herren von der Regierung haben immer Gründe, nichts zu tun; Schwierigkeiten machen und kein Geld haben, das verstehen sie am besten.« Der Kammerherr trat in die Nähe, und da die Unterhaltung einen unheimlichen politischen Anstrich erhalten, nahm der Prinz schnell seinen Rückzug mit den Worten: »Hoffen wir das Beste,« lächelnd und sich verbeugend. Ilse flüsterte beim Herausgehen ihrem Manne zu: »Felix, ich hab's ihm gesagt; er ist ein gutes Kind, aber in Gesellschaft hat er nichts als Redensarten.«

Der Zufall wollte, daß einige Wochen darauf der fürstliche Rat, welcher die oberste Verwaltung von Rossau hatte, nach der Universitätsstadt kam, den Kammerherrn besuchte und von diesem zum Prinzen geführt ward. Er wurde zum Mittagessen geladen, der Prinz zeigte ungewöhnlichen Anteil an den Verhältnissen der abgelegenen Gegend, erkundigte sich nach den Gütern und deren Besitzern und sagte endlich beim Kaffee, als er allein mit dem Rat am Fenster stand: »Wie kommt es, daß noch keine Chaussee in der Gegend ist? Könnten Sie nicht etwas dafür tun?« Der Beamte setzte die Schwierigkeiten gebührend auseinander. Der Prinz erwiderte endlich: »Ja, ich weiß, an Gründen fehlt es nicht, Sie würden mich aber verbinden, wenn Sie sich Mühe geben wollten, die Sache doch durchzusetzen.«

Mit diesen Worten im Herzen reiste der Beamte nach Hause, höchlich aufgeregt durch diese Lebensäußerung seines zukünftigen Herrn. Er wälzte die Worte drei Tage lang im bekümmerten Gemüt, ihre Bedeutung wurde ihm immer größer, seine eigene Zukunft mochte davon abhängen. Endlich kam er zu der Ansicht, daß dies ein Fall sei, der einen außerordentlichen Entschluß nötig mache, er setzte sich auf, fuhr nach der Residenz und legte die ganze Unterredung und ein dickes verstäubtes Aktenbündel, Chausseeangelegenheiten, vor seinem Minister nieder. Der Minister dankte ihm für die Nachricht und kam wieder zu der Ansicht, daß hier ein Inzidentpunkt vorliege, bei dem es klug sei, Serenissimo Mitteilung zu machen. Am Ende eines Vortrags über Staatsangelegenheiten erwähnte er, daß im Distrikt von Rossau die Klagen über die schlechten Wege und das Verlangen nach einer Chaussee lebhaft würden, und erzählte, bei welcher Gelegenheit der Erbprinz selbst seinen Anteil an dem Bau ausgesprochen habe. Der Fürst erhob sich schnell von seinem Sessel. »Der Erbprinz? Was bedeutet das? – Es ist mir lieb, daß mein Sohn Teilnahme für Landesangelegenheiten beweist,« fügte er hinzu, »ich werde mir die Sache überlegen.« Denselben Tag ging ein eigenhändiger Brief des Fürsten an den Kammerherrn ab: »Woher kommt das Wohlwollen des Erbprinzen für den Chausseebau bei Rossau? Ich fordere genauen Bericht.« – Der Kammerherr geriet in Verlegenheit, auch er fühlte seine Stellung durch ein Geheimnis gefährdet. Endlich wählte er, zwischen Vater und Sohn gestellt, den Weg offener Entfaltung vor der künftigen Sonne und teilte dem Prinzen die Frage des Fürsten mit.

»Sie sehen, welche Wichtigkeit der Herr auf die Sache legt, es wird unvermeidlich sein, ihm Näheres mitzuteilen.«

Der Prinz war ebenfalls betroffen. »Es war ja nichts als ein hingeworfenes Wort,« entgegnete er zögernd.

»Um so besser,« sagte der Kammerherr, »es kommt nur darauf an, zu sagen, wie in Ew. Hoheit der Wunsch entstand. Dem Fürsten könnte auffallend sein, wenn sich Untertanen oder Behörden an Ew. Hoheit, statt an ihn selbst gewandt hätten. Das war, soviel ich weiß, nicht der Fall.«

»Nein,« versetzte der Prinz, »ich habe bei dem Rector magnificus davon gehört, ich habe ja nichts getan, als den Rat, als er hier war, deshalb gefragt. Ich wollte doch eine Antwort geben können,« fügte er klug hinzu.

Beruhigt setzte sich der Kammerherr hin, rühmte in seinem Bericht den Professor und Ilse, welche ein angenehmes Haus machten, und verfehlte nicht, zu bemerken, daß der Erbprinz gern dort sei. Er war erfreut, als wenige Tage darauf einer geschäftlichen Mitteilung des Kabinettssekretärs eine eigenhändige Nachschrift seines Gebieters zugefügt war, in welcher dieser seine besondere Zufriedenheit mit dem Erbprinzen und dem Kammerherrn aussprach.

Nicht weniger erfreut war Ilse, als ihr der Vater schrieb: »Ilse, kannst du hexen? Es ist Befehl gegeben, die Chaussee sofort in Angriff zu nehmen, der Wegebaumeister ist bereits hier, die Straße abzustecken.« Ilse brachte am Mittag den Brief vergnügt aus ihrer Rocktasche. »Lies, ungläubiger Mann, und sieh, was unser kleiner Prinz durchzusetzen vermag, wir haben dem guten Herrn doch unrecht getan. Mein armer Schimmel hat ihn gedauert, und er hat seinem lieben Vater alles geschrieben.«

Als der Erbprinz wieder einmal in größerer Gesellschaft an Ilse trat, begann sie nach der ersten Begrüßung leise: »Meine Heimat ist Ew. Hoheit zu warmem Dank verpflichtet, Hoheit haben die Güte gehabt, sich für die Chaussee zu verwenden.«

»Wird sie gebaut?« fragte der Prinz überrascht.

»Und das wissen Ew. Hoheit nicht? Ihre Verwendung hat es doch bei Ihrem durchlauchtigsten Herrn Vater durchgesetzt.«

»Das würde wenig genutzt haben,« fuhr der Prinz heraus, »nein, nein,« setzte er eifrig ablehnend hinzu. »Ich habe deshalb meinem Vater nicht geschrieben. Es ist ganz sein eigener Entschluß.«

Ilse schwieg, ihr war unbegreiflich, was den Sohn eines Fürsten verhindern könne, dem Vater offen eine geschäftliche Bitte vorzutragen, deren Erfüllung wohltätig für viele war. Und daß er jeden Anteil ablehnte, den er doch offenbar hatte, dünkte ihr eine sehr ungeschickte Bescheidenheit.

Der Kammerherr aber hatte in dem letzen Kabinettsschreiben eine Bestätigung seiner Ansicht gefunden, daß der Fürst den Verkehr des Erbprinzen im Hause des Rektors nicht ungern sehe. Er dachte zuweilen über den Grund dieser hohen Teilnahme an Menschen nach, welche so sehr außerhalb des Gesichtskreises fürstlicher Beachtung standen. Er kam darüber nicht recht aufs reine. In jedem Fall war seine eigene Aufgabe, den Prinzen von diesem Hause nicht zurückzuhalten und sich selbst dem Rektor und seiner Hausfrau angenehm zu erweisen. Dies letztere tat er gern und ehrlich, nicht nur, weil der Rektor ein angesehenes Haus machte. Er fand sich zuweilen ohne den Prinzen bei dem Professor ein, ließ sich von ihm Bücher empfehlen, achtete sehr auf sein Urteil über Menschen, wählte, soweit ihn die Anweisung des Fürsten band, auch die Lehrer des Prinzen nach seinem Rat. Die energische Wucht und das stolze, wahrhafte Wesen des Gelehrten zogen den Hofherrn an und Werner wurde ihm bald eine wertvolle Bekanntschaft. Auch Frau Ilse war er aufrichtig zugetan und auch sie erlebte einige Augenblicke, wo etwas von dem Herzen des Kammerherrn zu sehen war.

Aber obgleich der Kammerherr alle Fügsamkeit eines Hofmanns hatte und wußte, daß dem Fürsten und seinem jungen Herrn die Besuche im Hause des Rektors willkommen waren, bewies er doch an seinem Prinzen wenig Zuvorkommenheit gegen höchste Wünsche. Ja, er war geneigt, Schwierigkeiten aufzufinden, wenn einmal, was freilich selten geschah, sein Prinz eine Teestunde bei Werners vorschlug. Er kam in schicklichen Zwischenräumen mit dem Prinzen an, aber er vermied seit der Chausseeangelegenheit für den Erbprinzen größere Annäherung. Dagegen suchte der Kammerherr den Prinzen in geeigneter Weise unter den Studenten einzubürgern. Von den Genossenschaften, welche sich durch Farben, Bräuche und Statuten unterschieden, war damals das Korps der Markomannen vor andern ansehnlich. Es war die aristokratische Verbindung, enthielt viele Söhne alter Familien, einige der besten Schläger, seine Mitglieder trugen die bunte Mütze am stolzesten, sie waren vielbesprochen, nicht gerade beliebt. Der Kammerherr fand in diesem Korps einen Verwandten und unter den Häuptern das wünschenswerte Verständnis für die soziale Stellung des jungen Herrn.

So machte sich's, daß der Prinz mit dieser Verbindung näher bekannt wurde, er lud die Studenten in sein Quartier, besuchte zuweilen ihre kleinen Trinkabende und wurde von ihnen in die Gewohnheiten des akademischen Lebens behaglich eingeführt. Er nahm Fechtstunde, erwies darin trotz seinem zarten und wenig gestählten Körper einiges Geschick, und die sausende Klinge des Rapiers gefährdete in seiner Wohnung alltäglich Spiegel und Kronleuchter.

Ilse aber sprach gegen den Gatten ihre Verwunderung aus, daß der Prinz sich zuerst so schnell und rückhaltlos aufgeschlossen hatte und sich seit dem großen Erfolg in Chausseesachen so vorsichtig zurückhielt. »Bin ich ihm zu anmaßend erschienen?« fragte sie bekümmert, »es war doch nur in guter Meinung gesagt. Aber ich merke, Felix, bei diesen Herrschaften ist es nicht wie bei unsereinem. Wo wir einmal ein gutes Zutrauen haben, da richten wir uns häuslich ein, sie aber sind wie die Vögel, sie singen dicht beim Ohr ihr Lied, und husch, fliegen sie auf und suchen in der Ferne einen andern Ruheplatz.«

»Im nächsten Jahr kommen sie vielleicht wieder,« erwiderte der Gatte, »wer sie sich ans Haus zähmen will, hat das Nachsehen. Wenn ihr lustiger Pfad sie in die Nähe führt, mag man sich ihrer freuen, aber um die Sorglosen soll man sich nicht das Herz beschweren.«

Und Ilse nickte und versetzte: »Honig erfülle dir, Thyrsis, den Mund, ich höre und lerne.«

Aber in der Stille ärgerte sich Ilse doch über die Untreue ihres kleinen Singvogels.

 

»Heut treibt mich mein Pflichtgefühl zu Ihnen,« begann der eintretende Kammerherr zum Professor. »Unter den Vorträgen, welche für den Erbprinzen gewünscht werden, ist auch einer über Heraldik. Ich bitte Magnifizenz, mir einen Lehrer dafür nachzuweisen, der wenigstens einige Stunden zu geben vermöchte. In der Residenz war keine geeignete Persönlichkeit, und ich gestehe ohne Erröten, daß meine eigenen Kenntnisse viel zu dürftig sind, als daß ich dem Prinzen davon etwas ablassen könnte.«

Der Professor dachte nach. »Unter meinen Kollegen weiß ich niemand, den ich dafür empfehlen konnte. Es ist möglich, daß Magister Knips auch darin Bescheid weiß. Er ist auf allen diesen Seitenpfaden der Wissenschaft gut bewandert, er ist aber in engen Verhältnissen aufgewachsen und die Formen seiner Ergebenheit sind ein wenig altfränkisch.«

Dem Kammerherrn erschien altfränkische Ergebenheit nicht als Hindernis, und da er selbst die Gelegenheit benutzen wollte, über die Bedeutung einer rätselhaften Figur in seinem Wappen klar zu werden, welche einer Ofengabel sehr ähnlich sah, eigentlich aber ein keltischer Druidenstab war, so versetzte er: »Es würden doch nur wenige Stunden werden, und ich könnte selbst dabei anwesend sein.«

Magister Knips wurde gerufen, fand sich, wie immer, auf der Stelle ein und wurde dem Kammerherrn vorgestellt. Diesem erschien die groteske Gestalt allerdings in anderer Weise komisch, als mancher von den Herren Professoren, aber keineswegs ungeeignet. Die Bescheidenheit war unverkennbar, die Devotion konnte nicht größer sein, und wenn man seine Gestalt in einen erträglichen Frack einband, so durfte sie für den Notfall neben dem Erbprinzen und dem Kammerherrn am Tische sitzend gedacht werden. Der Kammerherr fragte also, ob Herr Knips imstande sei, einige Vorträge über Heraldik zu halten.

»Falls Ew. Hoch- und Wohlgeboren gnädigst vorliebnehmen wollten mit deutschem und französischem Blason, so glaube ich, Denenselben mein allerdings ungenügendes Wissen anbieten zu dürfen. In den englischen Wappen und Figuren dagegen ist meine Kenntnis wegen mangelnder Gelegenheit nicht ausreichend. Dagegen würde ich Denenselben über die neueren Untersuchungen wegen der Ehrenstücke Auskunft zu geben mich befleißigen.«

»Das wird nicht einmal nötig sein,« versetzte der Kammerherr, und zum Professor gewandt bat er: »Würden Magnifizenz mir erlauben, mit dem Herrn Magister das Nähere zu besprechen?«

Der Professor überließ die beiden der geschäftlichen Verhandlung, und der Kammerherr fuhr freier fort: »Ich will im Vertrauen auf die Empfehlung des Herrn Rektor einen Versuch machen, ob des Erbprinzen Hoheit Ihre Vorträge benutzen kann.«

Knips wurde zusehends kleiner und schwand fast ganz in den Erdboden. Nur sein Haupt neigte sich von der Schulter andächtig nach dem Auge des Kammerherrn. Dieser bestimmte freigebig den Preis der Stunden, Knips lächelte und drückte die Augen zusammen. »Dagegen muß ich die Forderung stellen, Herr Magister, daß auch Sie nicht verschmähen, sich in Ihrem Äußeren ein wenig den beabsichtigten Vorträgen anzupassen. Schwarzer Frack und ebensolche Beinkleider.«

»Sie sind vorhanden,« erwiderte Knips in seinen höchsten Tönen.

»Weiße Weste und weiße Krawatte,« fuhr der Kammerherr fort.

»Ebenfalls vorhanden,« flötete Knips wieder.

Der Kammerherr hielt doch für wünschenswert, sich von dieser Befähigung des Kandidaten durch eigene Anschauung zu überzeugen. »Ich ersuche Sie also, sich auf geeignete Weise in der Wohnung des Erbprinzen einzufinden. Dort besprechen wir das Nähere.«

Knips erschien am nächsten Morgen in seinem Staatskleid, das Haar durch starke Bürstenstriche geglättet, mit Handschuhen und rundem Hut; und der Kammerherr fand, daß der Mann gar nicht so übel aussah. Er machte ihn also noch aufmerksam, daß es hier nicht auf wissenschaftliche Erörterung, sondern vielmehr auf einen schnellen Überblick ankomme, und übergab, um Knipsens Luftschicht zu weihen, beim Abschiede noch eine Flasche wohlriechendes Wasser für ein weißes Taschentuch.

Knips bereitet sich für seine ersten Stunden vor, indem er zuerst seinen Farbkasten, dann einige Briefsteller und alte Komplimentierbücher hervorzog. Mit Hilfe des Farbekastens malte er einige Wappen, aus den Büchern schrieb er die ehrfurchtsvollen Redewendungen ab, welche unsere demütige Kanzleisprache im Verkehr mit den Großen eingeführt hat, und lernte alle auswendig. Zur Stunde stellte er sich dem Kammerherrn vor, glatt und duftend, einer Blume gleich, welcher durch den Strahl hoher Sonne die Kraft des Stengels genommen ist. So wurde er vor die Augen des Prinzen geführt, welkte auch vor diesem eine Weile dahin, bis er durch einen Stuhl Halt erhielt, und begann seinen Vortrag, indem er das fürstliche Hauswappen und das Wappen des Kammerherrn aus einer kleinen Mappe zog, in tiefster Ehrfurcht zu Füßen legte und daran die ersten Erklärungen knüpfte.

Sein Vortrag war nach den eigenen Worten des Kammerherrn ganz magnifique, seine untertänigen Arabesken drehten sich zwar wunderlich und weitschweifig, aber durchaus nicht unangenehm, sie waren possierlich und sie paßten sehr zu dem schnörkelhaften Inhalt seiner Vorträge. Er brachte häufig kleine Zeichnungen, Wappenbücher und Kupferwerke von der Bibliothek zum Ansehen und erwies sich gründlicher unterrichtet als vielleicht notwendig gewesen wäre. Wenn er sich ja einmal auf geschichtliche Erörterungen einließ, die ihm anmutiger waren als seinen Zuhörern, so hob der Kammerherr nur den Finger und Knips flatterte ehrerbietig auf die Fahrstraße zurück. Die Herren fanden mehr Gefallen an seinem Vortrage als an manchem andern, den des Magisters hohe Gönner hielten. Die Stunden wurden über das ganze Halbjahr ausgedehnt, denn zufällig fand sich, daß Knips auch in Turnieren, Ringelrennen, Faquins und anderen ritterlichen Ergötzlichkeiten Bescheid wußte. Er erzählte dem Prinzen von alten Schaufesten des eigenen hohen Hauses, beschrieb genau das Zeremoniell und wußte sogar die Namen der mitwirkenden Kavaliere anzugeben. Den Zuhörern erschien dies Wissen staunenswert, ihn kostete wenig Mühe, die Notizen aus Büchern zusammenzutragen. Und als er am Ende reichlich belohnt von dannen schied, war seinen Hörern leid, daß die lustige Gestalt nicht mehr ihre altfränkische und verkrauste Weisheit vortragen sollte.

»Mutter, sieh her,« rief Knips, in seine Stube tretend, und holte eine kleine Geldrolle aus der Tasche, »das ist die größte Summe, die ich je bei einem Geschäft verdient«. Die Mutter schlug mit den Händen auf die Schürze. »Da lobe ich mir die vornehmen Leute, die wissen meinen Sohn doch zu schätzen.«

»Zu schätzen?« versetzte Knips verächtlich, »die wissen gar nichts von mir und von dem, was ich verstehe. Und je weniger man ihnen beibringt, desto lieber ist es ihnen. Es macht ihnen Mühe, das nur aufzuschlagen, was schon für die Welt zugerichtet ist, und was in hundert Folianten steht, war ihnen noch neu. Ich habe sie behandelt wie kleine Jungen, und sie haben es nicht gemerkt. Nein, Mutter, sie verstehen noch schlechter, mich zu benutzen als hier das Professorenvolk. Mich ehren nach meinem Wissen tut niemand.«

»Einer weiß es,« murmelte er vor sich hin, »aber der ist hochmutiger als der Kammerherr. Der Kammerherr tut, als wollte er über die alten Karussells und Maskeraden sich selbst unterrichten. Ich will ihm den kleinen Rohr zum Andenken schenken. Es steht gerade so wenig darin, daß es für ihn gut genug ist. Ich habe das Buch um vier Groschen gekauft, das Schweinsleder ist noch ziemlich weiß, ich wasche es mit Salmiak und klebe sein Wappen hinein. Wer weiß, wozu es nützen kann.«

Er wusch ab und fuhr mit dem Pinsel in seinen Muscheln umher. »Die Welt ist voll Schwindel, Mutter. Wer hätte gedacht, daß ich mit dem alten schlottrigen Unsinn dieser Wappenzeichen ein Kapital verdienen würde?« Und er zeichnete und tuschte über dem Wappen: »Ich habe selten Gold in das Haus getragen, und dann war es immer für schlechtes Zeug, das mir keine Ehre gemacht hat.« – Hier brach er ab. »Noch einmal ziehe ich meine Lohndienerkleidung an, wenn ich ihnen das Buch überreiche, dann schaff' sie mir aus den Augen.«

In der Gegend von Rossau steckten Wegebauer Meßstangen auf und in der Universitätsstadt legte Magister Knips den weißen Schweinslederband in die Hände seines hochgeneigten Gönners. Ilse freute sich, daß der Weg zum Gut ihres Vaters für jedermann leicht fahrbar sein würde, und der Professor hörte mit Anteil, daß der Mann, den er empfohlen, sich gut anschickte, und er lächelte wohlwollend über die Danksagungen des Magisters. Aber für den Kunstbau der neuen Straße und für die erprobte Kunstfertigkeit des kleinen Mannes sollte den beiden Glücklichen, welche die Empfehlung an die rechte Stelle gebracht, noch Dank werden, den sie sich nicht begehrten.


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