Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Siebentes Kapitel

Neue Feindseligkeit

Während zwischen dem Professor und dem Doktor eine helle Frauengestalt aufstieg, wollte das Schicksal, daß zwischen beiden Nachbarhäusern eine neue Fehde entbrannte. Und das ging so zu.

Herr Hahn hatte die Abwesenheit seines Sohnes zu einer Verschönerung des Grundstücks benutzt. Sein Garten lief nach dem Park spitz zu, und er hatte viel darüber nachgedacht, wie diese Spitze zu einer guten Wirkung verwertet werden könnte. Denn die kleine Erhöhung, die er dort aufgeworfen und mit Rosen besetzt hatte, erwies sich als ungenügend. Er beschloß also, ein hübsches wasserdichtes Sommerhaus für solche Besucher des Gartens zu zimmern, welche nicht geneigt waren, bei schlechtem Wetter nach der nahen Wohnstube zurückzugehen. Alles war schon vor der Abreise des Sohnes weislich überlegt, den Tag darauf ließ er einen schlanken Holzbau errichten, mit kleinen Fenstern nach der Straße, oben statt des Daches eine Plattform mit lustigen Bänken, deren Latten über die Holzwände und den Gartenzaun kühn in die Luft der Straße vorsprangen. Die Sache sah gut aus. Als aber Herr Hahn herzlich vergnügt seine Gattin eine kleine Seitentreppe auf die Plattform hinaufführte und die wohlgerundete Frau Hahn, nichts Arges ahnend, auf der Luftbank niedersaß und von dort oben verwundert auf die Welt herunterblickte, da ergab sich, daß die Spaziergänger gerade unter ihr wegschritten, und wer längs dem Zaun ging, sah den Himmel über sich verdunkelt durch das Gefieder des großen Vogels, der auf seinem hohen Sitz der Straßenwelt den Rücken kehrte. Da klangen schon in der ersten Viertelstunde so spitze Reden herauf, daß die arglose Frau Hahn dem Weinen nahe war und ihrem Hausherrn mir ungewohnter Energie erklärte, sie werde sich nie wieder als Henne behandeln lassen und die Plattform nicht wieder besteigen. Die Familienstimmung wurde dadurch nicht besser, daß Herr Hummel während dieser Ausstellung der Frau Hahn am Zaune des Nachbargartens gestanden und über die nichtswürdigen Redensarten des Volkes recht höhnisch gelacht hatte.

Hahn aber, nach kurzem Kampfe zwischen Stolz und Rücksicht, gab der besseren Stimmung seines Innern Gehör, entfernte die Bänke und die Plattform und errichtete über dem Sommerhause ein schönes chinesisches Dach. An die Vorsprünge des Daches aber hing er kleine Glocken. Wenn sich der Wind erhob, tönten die Glocken leise. Dieser Einfall wäre eine entschiedene Verbesserung gewesen. Aber die Schlechtigkeit der Menschen gönnte dem Kunstwerk keine Ruhe. Denn die Straßenjungen machten sich ein Vergnügen daraus, einzelne Glocken durch lange Gerten in Bewegung zu erhalten. Und in einer der nächsten Nächte wurde die Nachbarschaft sogar durch ein vielstimmiges Glockenkonzert aus dem Schlummer geweckt.

Herrn Hahn deuchte im Schlafe, daß der Winter gekommen sei und eine lustige Gesellschaft Schlitten fahrend sein Haus umkreise; er horchte auf und erkannte mit Entrüstung die aufgeregte Tätigkeit seiner Glocken. Im Nachtkleide eilte er in den Garten und rief zornig in die Luft hinaus: »Wer ist hier?« Augenblicklich verstummte das Geläut, ringsum tiefes Schweigen, friedliche Stille. Er stieg zum Gartenhaus hinauf und sah die unsichern Umrisse seiner Glocken, welche noch unter dem Nachthimmel schwangen, aber rundumher war niemand zu entdecken. Er ging nach seinem Bett zurück, aber kaum hatte er sich zurechtgelegt, so fing der Lärm wieder an, hastig und rufend, als sollte eine Weihnachtsbescherung eingeläutet werden. Und es wurde auch eine eingeläutet, aber keine fröhliche. Wieder stürmte er ins Freie und wieder schwieg der Lärm, aber als er sich über das Gitter erhob und umherspähte, sah er im Garten gegenüber die breite Gestalt des Herrn Hummel am Zaun stehen und hörte eine dröhnende Stimme rufen: »Was sind das für verrückte Phantastereien?«

»Es ist unerklärlich, Herr Hummel,« rief Herr Hahn begütigend über die Straße hinüber.

»Unerklärlich ist nichts,« rief Herr Hummel, »als der Unfug, Glocken auf offener Straße in die freie Luft zu hängen.«

»Ich verbitte mir Ihre Ausfälle,« rief Herr Hahn tief verletzt, »ich habe das Recht, auf meinem Grundstück aufzuhängen, was ich will.«

Und nun begann ein Kampf der Ansichten über die Straße, schrecklich und kläglich zugleich. Dort Hummels Baß, hier Hahns scharfe Stimme, welche in hohe Tenorlagen hinüberhüpfte; beide Nachtgestalten in langen Schlafröcken, getrennt durch Straße und Verschanzungen, aber wie zwei antike Helden mit starken Worten gegeneinander fechtend. Wenn man auch nicht den wilden Anstrich erkennen konnte, den Herr Hahn durch die rote Farbe seines Schlafrockes erhielt, so ragte er doch auf der Höhe neben seinem chinesischen Tempel und seine Arme hoben sich imponierend von dem dämmerigen Horizonte ab, Herr Hummel aber stand im Finstern, überschattet von wildem Wein. »Ich werde Sie bei der Polizei belangen, weil Sie die bürgerliche Ruhe stören,« rief Herr Hummel zuletzt und fühlte in seinem Rücken die kleine Hand seiner Frau, die ihn beim Schlafrock faßte und ihn umdrehte und leise beschwor, keine Szene zu geben.

»Und ich werde vor Gericht fragen, wer Ihnen das Recht gibt, Ihre Injurien über die Straße zu werfen,« rief Herr Hahn ebenfalls auf dem Rückzuge, denn unter dem Getöse des Kampfes hatte er häufig die leisen Worte gehört: »Komm zurück, Hahn,« und seine Frau händeringend hinter sich gesehen. Er war aber nicht in der Stimmung, das Schlachtfeld zu verlassen. »Licht her und eine Leiter,« rief er, »ich will diese Schändlichkeit ermitteln.« Eilfertig erschienen Leiter und Laterne, von dem erschrockenen Dienstmädchen zugetragen. Herr Hahn stieg zu seinen Glocken hinauf und suchte lange vergeblich, endlich entdeckte er, daß jemand ein Geflecht von Pferdehaaren mit den einzelnen Glocken in Verbindung gebracht und dieselben von außen wie an einem Strange geläutet hatte.

Auf diese wilde Nacht folgte ein wüster Morgen. »Gehen Sie zu dem Manne hinüber, Gabriel,« sagte Herr Hummel, »und fragen Sie ihn um des lieben Friedens willen, ob er gutwillig sogleich die Glocken abnehmen will. Ich fordere meinen Schlaf. Und ich leide nicht, daß Nachtgesindel an mein Haus gelockt wird, um den Zaun streift, in meinem Garten die Pflaumen stiehlt und in meine Fabrik einbricht. Dieser Mann läutet die Spitzbuben aus der ganzen Umgegend zusammen.«

Gabriel versetzte: »Um des lieben Friedens willen gehe ich hinüber, aber nur wenn ich mit Höflichkeit sagen darf, was ich für gut halte.«

»Mit Höflichkeit?« wiederholte Hummel und blinzte dem Vertrauten schlau zu. »Sie verstehen Ihren Vorteil nicht. Eine so schöne Gelegenheit, deutlich zu werden, kommt Ihnen so bald nicht wieder. Und es wäre jammerschade, wenn man sich das entgehen ließe. Aber ich habe so meine Ahnungen, Gabriel, höflich oder nicht, mit dem Manne werden wir nicht fertig. Er ist boshaft und störrig und verbissen. Er ist ein Bulldogg, Gabriel, da haben Sie seinen Charakter.«

Gabriel trat bei dem armen Herrn Hahn ein, der noch leidend vor dem unberührten Frühstück saß und mißtrauisch auf den Bewohner des feindlichen Hauses blickte. »Ich komme nur zu fragen,« begann Gabriel schlau, »ob Sie vielleicht durch Ihren Herrn Sohn Nachricht von meinem Professor bekommen haben.«

»Keine,« versetzte Hahn traurig, »es gibt Zeiten, wo alles quer geht, lieber Gabriel.«

»Ja, das war heut nacht ein schlechter Schabernack,« bedauerte Gabriel.

Herr Hahn sprang auf. »Unsinnig hat er mich genannt, einen Phantasten hat er mich genannt. Darf ich mir das gefallen lassen? Als Geschäftsmann und in meinem eigenen Garten? – Wegen dem Spielwerk mögen Sie recht haben, man muß nicht zuviel Vertrauen auf die Menschen setzen. Jetzt aber ist meine Ehre gekränkt, und ich sage Ihnen, die Glocken bleiben, und sollte ich alle Nächte einen Wächter dazustellen.«

Vergebens sprach Gabriel verständige Worte. Herr Hahn blieb unerbittlich und rief dem Abgehenden noch nach: »Sagen Sie ihm, vor Gericht sehen wir uns wieder.«

In der Tat ging er zu seinem Sachverwalter und bestand auf einer Klage wegen nächtlicher Injurien.

»Gut,« sagte Hummel, als Gabriel von seiner fruchtlosen Gesandtschaft zurückkehrte. »Diese Leute zwingen mich, Sicherheitsmaßregeln für mich selbst zu treffen, ich will dafür sorgen, daß keine fremden Pferdehaare an mein Haus gebunden werden. Wenn bei denen drüben die Spitzbuben mit den Schellen läuten, so sollen bei mir die Hunde bellen. Wurst wider Wurst, Gabriel.«

Düster ging er in seine Fabrik und schnaubte wild umher. Sein Buchhalter, der das Aussehen eines gedrückten Mannes hatte, weil er neben Herrn Hummel nie recht aufkommen konnte, fühlte sich verpflichtet, zeitgemäß zu reden, und bemerkte schüchtern: »Die Einfälle von A. C. Hahn sind abgeschmackt, alle Welt hält sich darüber auf.« Aber die Rede gedieh ihm nicht. »Was kümmern Sie dieses Mannes Einfälle?« rief Hummel, »sind Sie Hausbesitzer und sind Sie Prinzipal dieses Geschäfts oder bin ich es? Wenn ich mich ärgern will, so ist das meine Sache und geht Sie gar nichts an. Sein neuer Kommis Knips trägt einen frisierten Lockenkopf und riecht nach Kölnischem Wasser. Machen Sie sich doch über den lustig, das ist Ihre Gerechtsame. Und was die übrige Welt betrifft, so ist ihr Schelten auf dieses Mannes Erfindungen gerade soviel wert, als ob ein Sperling vom Dache schreit. Wenn er alle Tage ein Schellengeläut auf seine Schultern hängt und damit in sein Kontor geht, so bleibt er für dieses Straßenvolk immer ein reputierlicher Bürger. Nur mir gegenüber ist das ein ander Ding. Ich bin sein Nachbar bei Tag und bei Nacht. Und wenn er Suppen einbrockt, so fällt auch mir der Löffel hinein. Im übrigen verbitte ich mir alle Verleumdungen auf Mitmenschen. Was gesagt werden muß, besorge ich allein, ohne Associé. Merken Sie sich das.«

An einem der nächsten Abende stand Gabriel vor der Tür, sah auf den Himmel und wartete, ob eine kleine schwarze Wolke, welche dort oben langsam dahinschiffte, das Bild des Mondes verdecken würde. Gerade als dies Ereignis eintrat und die Straße und die beiden Häuser im Dunkel lagen, fuhr ein Wagen vor das Haus und die Stimme des Hausbesitzers fragte hinter dem Leder hervor: »Alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung,« erwiderte Gabriel und knöpfte den Schurz auf. Herr Hummel stieg schwerfällig herab, hinter ihm klang ein unwilliges Knurren. »Was steckt da in der Finsternis?« fragte Gabriel neugierig und griff in den Wagen, aber er zog schnell die Hand zurück: »Das Grobzeug will beißen.«

»Ja, das hoffe ich,« versetzte Herr Hummel, »es soll beißen. Ich bringe Wachhunde mit gegen die Glockenspieler.« Er zerrte am Strick zwei undeutliche Gestalten heraus, welche auf dem Boden mit heiserem Gekläff umherfuhren, Gabriels Beine bösartig umkreisten und den Strick wie eine Schlinge um ihn zogen. »Die Menge muß es bringen,« rief Gabriel, »zwei Stück!« Der Mond hatte die Wolke überwunden und beleuchtete hell die beiden Hunde. »Das sind seltsame Tiere, Herr Hummel, es ist eine schwierige Rasse. Zwei Köter,« fuhr er abschätzend fort, »kaum von Mittelgröße, es ist dickes Format und ihr Haar ist zottig, über die Schnauze hängen die Borsten wie ein Schnurrbart. Die Mutter war eine Pudelin, der Vater ein Affenpintsch, auch ein Mops muß mit in der Verwandtschaft gewesen sein und der Urgroßvater war ein Dachshund. Ein schöner Bau, Herr Hummel, so etwas ist selten. Wie sind Sie zu diesen Mondkälbern gekommen?«

»Das war ein eigener Zufall. Im Dorfe hatte ich für heut keinen Hund erhalten; als ich durch den Wald zurückfuhr, scheuten die Pferde und wollten nicht vorwärts. Während der Kutscher mit ihnen hantierte, sah ich auf einmal neben dem Wagen einen großen schwarzen Mann stehen, wie aus dem Boden heraufgeschossen. Er hielt die zwei Hunde am Stricke und lachte höhnisch über die Schelte des Kutschers. »Was soll's?« rief ich ihn an, »wohin führt Ihr die Hunde?« »Dem, der sie haben will,« rief der Schwarze.

»Hebt sie in den Wagen,« sagte ich.

»Ich reiche nichts,« brummte der Fremde, »Ihr müßt sie auch holen.« Ich stieg ab und fragte: »Was verlangt Ihr dafür?«

»Nichts!« sagte der Mann. Die Sache wurde mir bedenklich, aber ich dachte, man kann's doch probieren, ich trug die Burschen in den Wagen, sie waren lammfromm. »Wie heißen die Hunde?« rief ich aus dem Wagen.

»Bräuhahn und Gose,« sagte der Mann und lachte wie ein Teufel.

»Das sind keine Hundenamen, Herr Hummel,« warf Gabriel kopfschüttelnd ein.

»Das sagte auch ich dem Manne, und er versetzte: ›Getauft sind sie nicht.‹ ›Aber der Strick ist Euer,‹ sagte ich, und denken Sie, Gabriel, dieser schwarze Kerl antwortete mir: ›Behaltet ihn, Ihr könnt Euch dran hängen.‹ Ich wollte ihm die Hunde wieder aus dem Wagen werfen, da war der Mann im Walde verschwunden wie ein Irrwisch.«

»Das ist eine niederträchtige Geschichte,« rief Gabriel bekümmert, »diese Hunde sind in keinem christlichen Hause gewachsen. Und wollen Sie wirklich solche Gespenster behalten?«

»Ich will's probieren,« sagte Herr Hummel. »Zuletzt ist ein Hund ein Hund.«

»Nehmen Sie sich in acht, Herr Hummel, in den Tieren steckt etwas.«

»Dummes Zeug!«

»Sie sind scheusälig,« fuhr Gabriel fort und zählte an den Fingern: »sie haben keine menschlichen Hundenamen, sie sind angeboten ohne Geld, kein Mensch weiß, was diese Bestien fressen.«

»Auf den Appetit werden Sie nicht lange zu warten haben,« versetzte der Hausherr. Gabriel zog ein Stück Semmel aus der Tasche, die Hunde schnappten danach. »In dieser Weise sind sie zuverlässig,« sagte er ein wenig beruhigt. »Aber wie soll man sie in Ihrem Hause rufen?«

»Der Bräuhahn mag bleiben, was er ist,« versetzte Herr Hummel, »aber in meiner Familie soll kein Hund Gose heißen. Ich leide dieses Getränk nicht.« Er sah feindselig auf das Nachbarhaus hinüber. »Andere Leute lassen sich das Zeug täglich über die Straße holen, das ist für mich kein Grund, ein solches Wort in meinem Haushalt zu dulden. Der Schwarze heißt von jetzt ab Bräuhahn und der Rote Speihahn. Damit abgemacht.«

»Aber, Herr Hummel, das sind lauter injuriöse Namen,« rief Gabriel, »damit wird das Übel ärger.«

»Das ist meine Sorge,« sagte Herr Hummel entschlossen. »Bei Nacht bleiben sie im Hofe, sie sollen das Haus bewachen.«

»Wenn sie nur leibhaftig aushalten,« wandte Gabriel ein, »die Art kommt und verschwindet wie sie will und nicht wie wir wollen.«

»Sie werden doch nicht des Teufels sein,« lachte Herr Hummel.

»Wer spricht vom Teufel?« versetzte Gabriel schnell. »Einen Teufel gibt es nicht, das leidet der Professor nimmer, aber von Hunden hat man Beispiele.«

Damit zog Gabriel die Tiere in den Hausflur, Herr Hummel rief in die Stube: »Guten Abend, Philippine, hier habe ich dir etwas mitgebracht.«

Frau Hummel trat mit dem Lichte in die Tür und sah erstaunt auf das Geschenk, das zu ihren Füßen winselte. Durch diese Demut wurde das stolze Herz der Hausfrau zum Wohlwollen gestimmt. »Aber sie sind häßlich,« sagte sie zweifelnd, als der Rote und der Schwarze zu ihren beiden Seiten niedersaßen, das Gesäß gesenkt, mit dem Schwanze wedelnd und unter den langen Augenhaaren zu ihr aufblickend. »Und warum zwei?«

»Sie sind nicht für die Ausstellung gearbeitet,« entgegnete Herr Hummel begütigend, »es ist Landware. Der eine ist nur Ersatzmann.«

Nach dieser Vorstellung wurden sie in einen Verschlag getragen, Gabriel prüfte noch einmal ihre Fähigkeit im Fressen und Saufen, sie erwiesen sich durchaus als regelmäßige, wenn auch nicht durch Leibesschönheit ausgezeichnete Hunde, und Gabriel stieg sorglos zu seiner Kammer hinauf.

Als die Uhr zehn schlug und das Gittertor, welches den Hof von der Straße schied, geschlossen wurde, ging Herr Hummel selbst zum Hundezwinger hinab, um die neuen Wächter in ihren Beruf einzuweihen. Aber er erstaunte sehr, als er ihnen die Tür öffnete. Denn ohne sein ermunterndes Herrenwort abzuwarten, stürzten die beiden Kreaturen zwischen seinen Füßen in den Hof hinaus. Wie von einer unsichtbaren Peitsche getrieben, fuhren sie um das Haus und die Fabrik herum, ohne Aufhören, immer nebeneinander. Und keineswegs stillschweigend. Sie waren bis dahin gedrückt und kleinlaut gewesen, jetzt wurden sie, entweder wegen guter Leibesnahrung oder weil ihre nächtliche Stunde gekommen war, so geräuschvoll, daß sogar Herr Hummel erstaunt zurücktrat; ihr heiseres, scharfes Gebell übertönte das Horn des Nachtwächters und die Rufe des Hausherrn, welcher ihnen Mäßigung anempfehlen wollte. Ohne Aufhören ging die wilde Jagd im Hofe herum und ein unendliches Gekläff begleitete den Sturmlauf. Die Fensterflügel des Hauses öffneten sich. »Das wird eine lebendige Nacht, Herr Hummel,« rief Gabriel hinunter.

»Aber Heinrich, das ist ja unerträglich,« rief die Gattin aus der Schlafstube.

»Es ist nur die erste Freude,« tröstete Herr Hummel und zog sich in das Haus zurück.

Aber diese Ansicht erwies sich als ein Irrtum. Durch die ganze Nacht klang das Gebell der Hunde aus dem Hofe. Auch in den Häusern der Nachbarschaft wurden Läden aufgerissen und laute Scheltworte nach dem Hof des Herrn Hummel geworfen. Am nächsten Morgen stand Herr Hummel unsicher auf. Selbst ihm war ein kräftiger Bürgerschlaf durch die Vorwürfe der Gattin gestört worden, welche jetzt zornig und mit Kopfschmerzen behaftet beim Frühstück saß. Und als er in den Hof trat und die Beschwerden einsammelte, welche ihm seine Leute von der Außenwelt zutrugen, da war auch er einen Augenblick schwankend, ob er die Hunde für eine Bereicherung seinem Hausstandes halten dürfe.

Das Unglück wollte, daß gerade in dieser Stunde der Markthelfer des Herrn Hahn mit herausfordernder Miene in den Hof trat und meldete: Herr Hahn müsse darauf bestehen, daß Herr Hummel das unerhörte Gekläff abschaffe, er werde sich sonst genötigt sehen, sein Recht bei der Polizei zu suchen.

Dieser Angriff des Gegners entschied den innern Kampf des Herrn Hummel. »Wenn ich das Bellen meiner Hunde ertrage, so können's andere Leute auch ertragen. Dort spielen die Glocken, hier singen die Hunde, und wenn jemand vor der Polizei meine Ansicht hören will, so soll er genug zu hören bekommen.« Er ging in das Haus zurück und trat würdig vor seine leidende Hausfrau. »Du bist meine Frau, Philippine, du bist eine kluge Frau, und ich gebe dir nach in jedem Dinge, worin du mir einen verständigen Willen zeigst.«

»Sollen zwei Hunde zwischen dich und mich treten?« fragte mit schwacher Stimme die Gattin.

»Niemals,« versetzte Hummel, »Hausfriede muß sein, und dein Kopfschmerz ist mir nicht recht. Und ich wollte dir zu Gefallen die Biester schon wieder abschaffen. Da begegnet mir dies mit diesem Phantasten. Zum zweitenmal bedrohen sie mich mit Justiz und Polizei. Jetzt steht meine Ehre auf dem Spiel und ich kann nicht mehr nachgeben. Sei mein gutes Weib, Philippine, versuch's einige Nächte mit Baumwolle in den Ohren, bis sich die Hunde an ihre Arbeit gewöhnt haben.«

»Heinrich,« versetzte die Gattin matt, »ich habe nie an deinem Herzen gezweifelt, aber dein Charakter ist rauh. Und die Hunde haben eine zu häßliche Stimme. Willst du, um deinen Willen durchzusetzen, deine Frau durch Schlaflosigkeit leiden sehen und immer kränker werden sehen, so sag's. Willst du, um deinen Charakter zu behaupten, den Frieden mit der Nachbarschaft opfern, so sag's.«

»Ich will nicht, daß du krank wirst, und ich will die Hunde nicht weggeben,« versetzte Herr Hummel, ergriff seinen Filzhut und ging mit starken Schritten nach der Fabrik.

Wenn sich aber Herr Hummel der Hoffnung hingab, den schwersten Hauskampf als Sieger beendet zu haben, so wandelte er in großem Irrtum. Noch war eine andere Macht innerhalb seiner Grenzen übrig, und diese eröffnete den Feldzug auf ihre Weise. Als Hummel in seinem kleinen Kontor an das Pult trat, sah er neben dem Tintenfaß einen Blumenstrauß. An dem rosa Seidenband hing ein kleiner Brief, gesiegelt mit der Oblate Vergißmeinnicht, überschrieben: »Meinem lieben Papa.« »Das ist mein Blitzmädel,« murmelte er, öffnete das Billett und las folgende Zeilen: »Lieber Papa, guten Morgen, die Hunde machen uns große Sorgen, sie sind gar zu häßlich, und ihr Gebell ist gräßlich. Was den Unfrieden mehrt und die Nachbarn stört, behalte nicht in Hof und Hut. Sei edel, Vater, hilfreich und gut.«

Hummel lachte kräftig, daß die Arbeit in der Fabrik stockte und jedermann über die gute Laune verwundert war. Dann bezeichnete er den Zettel mit dem Datum des Empfanges, steckte ihn in die Brieftasche und begab sich nach Durchsicht der eingelaufenen Briefe in den Garten. Er sah seine kleine Hummel mit der Gießkanne über die Beete fahren und Vaterstolz schwellte ihm das Herz. Wie behend sie sich drehte und beugte, wie ihr die dunkeln Löckchen um das blühende Antlitz hingen, wie geschäftig sie die Kanne hob und schwenkte! Und als sie ihn erblickte, das Gefäß hinsetzte und ihm mit dem Finger drohte, da wurde er vollends bezaubert. »Wieder Verse,« rief er ihr entgegen, »es ist Numro neun, die ich kriege.«

»Und du wirst mein guter Papa sein,« rief Laura, auf ihn zueilend, und streichelte sein Kinn. »Schaffe sie ab.«

»Siehst du, Kind,« sagte der Vater behaglich, »ich habe schon mit deiner Mutter darüber gesprochen, und ich habe ihr auseinandergesetzt, weshalb ich sie nicht abschaffen kann. Jetzt darf ich doch nicht dir zu Gefallen tun, was ich deiner Mutter nicht zugeben konnte. Das wäre gegen die Hausordnung. Respektiere deine Mutter, kleine Hummel.«

»Du bist hartherzig, Vater,« versetzte die Tochter schmollend. »Und sieh, du hast in dieser Sache unrecht.«

»Oho,« rief der Vater, »kommst du mir so?«

»Was tut uns das Glockenspiel drüben zuleid? Das Häuschen ist hübsch, und wenn wir abends im Garten sitzen und der Wind geht und die Glocken leise bimmeln, das hört sich gut an, es ist wie in der Zauberflöte.«

»Hier ist keine Oper,« rief Hummel ärgerlich, »sondern offene Straße. Und wenn meine Hündlein bellen, so kannst du ja auch deine Theaterideen haben und denken, daß du in der Wolfschlucht bist.«

»Nein, mein Vater,« erwiderte die Tochter eifrig. »Du hast unrecht gegen die Leute. Denn du willst ihnen einen Possen tun. Das kränkt mich in tiefstem Herzen. Und das leide ich nicht an meinem Vater.«

»Du wirst's doch leiden müssen,« entgegnete Hummel verstockt. »Denn dies ist ein Streit zwischen Männern, hier finden Paragraphen der Polizeiordnung statt, da bleibe du mit deinen Versen hübsch davon. Was die Namen angeht, so ist wohl möglich, daß andere Wörter, wie Adolar und Ingomar und Marquis Posa, euch Weibern besser klingen. Dies aber ist für mich kein Grund, meine Namen sind praktisch. In deinen Blumen und Büchern will ich dir vieles zu Gefallen tun, aber Poesie bei Hunden beachte ich nicht.« Damit kehrte er der Tochter den Rücken, bemüht, dieses Streites ledig zu werden.

Laura aber eilte in die Stube zur Mutter, und die Frauen traten in Beratung. »Der Lärm war arg,« klagte Laura, »aber schrecklicher ist der Name. Mutter, ich kann dieses Wort nicht aussprechen. und du darfst nicht leiden, daß unsere Leute die Hunde so nennen.«

»Liebes Kind,« versetzte die erfahrene Frau, »man erlebt auf Erden viel Unbilliges, aber am meisten schmerzt, was gegen die Würde der Frauen im eigenen Hause geübt wird. Ich spreche mich darüber nicht weiter aus. Was nun den Namen Bräuhahn betrifft, so hat dieser, welcher, wie ich höre, ein benachbartes Getränk ist, manches, was zu seiner Entschuldigung gesagt werden kann, und etwas müssen wir darin dem Vater nachgeben. Die andere Bezeichnung aber, darin gebe ich dir recht, wäre eine Beschimpfung der Nachbarn. Doch wenn der Vater merkt, daß wir hinter seinem Rücken den roten Hund Phöbus oder Azor nennen, so wird das Übel ärger.«

»Den bösen Namen wenigstens soll niemand in den Mund nehmen, dem an meiner Freundschaft gelegen ist,« entschied Laura und eilte in den Hof.

Gabriel benutzte seine einsame Muße, die neuen Ankömmlinge zu beobachten. Es zog ihn öfter nach dem Hundestall, dort die irdische Beschaffenheit der Fremdlinge festzustellen.

»Was ist Ihre Meinung?« fragte Laura, zu ihm tretend.

»Ich habe so meine Meinung,« antwortete der Diener, in die Tiefe des Stalles spähend. »Nämlich in den da steckt doch etwas. Haben Sie heut nacht den Gesang dieser Raben beachtet? So bellt kein richtiger Hund. Sie winseln und jammern, dazwischen krächzen sie und sprechen wie kleine Kinder. Ihr Fressen ist gewöhnlich, aber ihre Lebensart ist unmenschlich. Sehen Sie, jetzt ducken sie sich, wie aufs Maul geschlagen, weil die Sonne auf sie scheint. – Und dann, liebes Fräulein, der Name?«

Laura sah neugierig auf die Tiere. »Wir ändern den Namen in der Stille, Gabriel, dieser hier soll nur der Rote heißen.«

»Das wäre schon besser, es wäre wenigstens nicht injuriös für Herrn Hahn, sondern nur für die Kellerwohnung.«

»Wie meinen Sie das?«

»Da doch drüben der Markthelfer Rothe heißt.«

»Dann also,« entschied Laura, »wird das rote Untier von jetzt ab nur das Andere genannt, und so sollen ihn unsere Leute rufen. Sagen Sie das auch den Arbeitern in der Fabrik.«

»Andres?« versetzte Gabriel. »Der Name wird ihm schon recht sein. Dies Gesindel hat's nicht gern, wenn es mit ordentlichem Zeichen gerufen wird. Dieses Andere wird am besten wissen, woher das eine stammt, dem es zugehört. Na, die Nachbarschaft wird meinen, daß er Andreas heißt, damit geschieht ihm immer noch zu viel Ehre.«

So war billiger Sinn geschäftig, die böse Vorbedeutung der Namens abzuwenden. Vergebens. Denn, wie Laura richtig im Tagebuch bemerkte, wenn der Ball des Unheils unter die Menschen geworfen wird, so trifft er erbarmungslos die Guten wie die Bösen. Der Hund wurde mit dem unscheinbarsten Namen versehen, der gar kein Name war. Aber durch eine unbegreifliche Verbindung der Ereignisse, welche allen menschlichen Scharfsinn höhnte, geschah es, daß Herr Hahn selbst den Vornamen Andreas führte. So wurde der Doppelname des Geschöpfes eine doppelte Kränkung des Nachbarhauses, und alles schlug zu schrecklichem Unglück um, Tort und gute Meinung kochten zusammen zu einer dicken, schwarzen Suppe des Hasses.

Gleich in der Frühe, als Herr Hummel vor die Tür trat und trotzig wie Ajax die beiden Hunde mit ihren feindlichen Namen rief, vernahm Markthelfer Rothe im Kellerstock den Ruf, eilte in die Stube seines Hausherrn und meldete diese häßliche Kränkung. Frau Hahn versuchte, die Sache nicht zu glauben, und setzte durch, daß wenigstens eine Bestätigung abgewartet wurde. Aber diese Bestätigung blieb nicht aus. Denn am Nachmittag öffnete Gabriel die Tür des Zwingers und zwang die Geschöpfe, sich auf eine Viertelstunde dem Sonnenlicht des Gartens auszusetzen. Laura, welche unter ihren Blumen saß und gerade nach ihrem stillen Ideal, einem berühmten Sänger, blickte, der mit geölten schwarzen Locken und einem Feldherrnblick vorüberschritt, verzichtete als wackeres Mädchen darauf, ihrem Liebling durch das Weinlaub nachzuspähen, und wendete sich zu den Hunden. Und um den Roten an seinen neuen Namen zu gewöhnen, lockte sie ihn mit einem Stückchen Kuchen und rief ihm einigemal das ungeschickte Wort »Andres« zu. In demselben Augenblick stürzte Dorchen zu Frau Hahn: »Es ist richtig, jetzt ruft ihn gar Fräulein Laura mit dem Vornamen unseres Herrn.« Frau Hahn fuhr erschrocken an das Fenster und vernahm selbst den Namen ihres lieben Mannes. Sie trat ebenso schnell zurück, denn diese Unmenschlichkeit der Nachbarn preßte ihr Tränen aus, und sie suchte nach ihrem Taschentuch, um diese heimlich vor dem Mädchen abzuwischen. Madame Hahn war eine gute Frau, ruhig, gleichmäßig, mit einer hübschen kleinen Anlage zur Beleibtheit und einer unablässigen Neigung, den Staub der Erde mit weißen Läppchen geräuschlos zu beseitigen. Aber diese Herzlosigkeit auch der Tochter entflammte ihren Zorn. Sie holte augenblicklich ihre Mantille aus dem Schranke und ging zum Äußersten entschlossen über die Straße in den feindlichen Garten.

Erstaunt sah Laura von den garstigen Hunden auf den unerhörten Besuch, welcher mit starken Schritten gegen sie eindrang.

»Ich komme, mich bei Ihnen zu beklagen, Fräulein,« begann Frau Hahn ohne Gruß. »Was in diesem Hause meinem Manne zum Hohn getan wird, ist unerträglich. Für das Benehmen Ihres Vaters können Sie nicht, aber daß auch Sie sich auf solche Beschimpfungen einlassen, finde ich an einem jungen Mädchen doch zu schrecklich.«

»Was meinen Sie damit, Madame Hahn?« fragte Laura mit flammendem Gesicht.

»Die Beleidigung eines Menschen durch Hundenamen meine ich. Sie rufen Ihren Hund mit allen Namen meines Mannes.«

»Das habe ich niemals getan,« versetzte Laura.

»Leugnen Sie nicht,« rief Frau Hahn.

»Ich spreche keine Unwahrheiten,« sagte das Mädchen stolz.

»Mein Mann heißt Andreas Hahn, und wie Sie dieses Tier nennen, das hört die ganze Nachbarschaft aus Ihrem Munde.«

Lauras Stolz bäumte auf. »Dies ist ein Mißverständnis, und der Hund heißt gar nicht so. Was Sie mir sagen, ist ungerecht vom Anfang bis zum Ende.«

»Wieso ungerecht!« fragte Frau Hahn wieder, »am Morgen ruft der Vater, am Nachmittag die Tochter.«

Auf Lauras Herz sank eine Zentnerlast, sie fühlte sich hinabgedrückt in einen Abgrund von Unrecht und Greuel. Die Tat des Vaters lähmte ihre Kraft, auch ihr brachen die Tränen aus den Augen.

»Ich sehe, daß Sie wenigstens nicht ohne Gefühl für das Unrecht sind, das Sie begehen,« fuhr Frau Hahn ruhiger fort, »tun Sie's nicht wieder. Glauben Sie mir, es ist leicht, andere zu kränken, aber es ist ein trauriges Geschäft. Und mein armer Mann und ich haben's um Sie nicht verdient. Denn wir haben Sie aufwachsen sehen vor unsern Augen, und wenn wir auch sonst nicht mit Ihren Eltern in Verkehr stehen, wir haben uns immer über Sie gefreut, und in unserm Hause ist Ihnen niemals etwas Böses gewünscht worden. Sie wissen nicht, was Hahn für ein guter Mann ist, aber so etwas durften Sie doch nicht tun. Wir haben, seit wir hier wohnen, aus diesem Hause viele Kränkung erfahren, aber daß auch Sie die Gesinnung Ihres Vaters teilen, das tut mir am allermeisten weh.«

Laura versuchte umsonst, ihre Tränen zu trocknen. »Ich wiederhole Ihnen, daß Sie mir unrecht tun, weiter kann ich nichts zu meiner Rechtfertigung sagen, und ich will es auch nicht. Sie haben mich mehr gekränkt, als Sie wissen. Und ich muß darauf vertrauen, daß ich gegen Sie ein gutes Gewissen habe.«

Mit diesen Worten eilte sie in das Haus, Frau Hahn kehrte unsicher über den Erfolg ihres Besuches dem feindlichen Bau den Rücken.

In ihrem Dachstübchen schritt Laura auf und ab und rang die Hände. Unschuldig und doch schuldvoll, trotz gutem Willen bis aufs Blut gekränkt, hineingezogen in einen Familienhaß, dessen Jammer noch gar nicht abzusehen war, so durchflog sie die Ereignisse der letzten Tage in empörter Seele. Endlich setzte sie sich an ihren kleinen Schreibtisch, zog ihr Geheimbuch heraus und vertraute ihre Schmerzen diesem verschwiegenen Freunde in violettem Leder. Und sie suchte Trost bei den Seelen anderer, die aus ähnlichem Weh sich edel erhoben hatten, und fand endlich eine Bestätigung ihrer Erlebnisse in der schönen Stelle des Dichters: »Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage, weh dir, daß du ein Enkel bist.« Denn hatte sie nicht Verständiges und Wohltuendes gewollt, und war nicht Unsinn und Plage daraus geworden? Und hatte das Unglück nicht auch sie ohne ihr Verschulden getroffen, weil sie Kind vom Hause war? Mit diesem Satze schloß sie einen leidenschaftlichen Erguß. Um aber vor dem eigenen Gewissen nicht lieblos zu erscheinen, schrieb das arme Kind sogleich die Worte darunter: Mein lieber, guter Vater. Dann schob sie ein wenig getröstet das Buch zurück.

Doch als ärgste Demütigung empfand sie, daß sie von den fremden Leuten drüben ungerecht beurteilt wurde, und sie schlug die Arme übereinander und sann, ob ihr nicht dennoch eine Rechtfertigung möglich sei. Sie selbst konnte nichts tun. Aber da war ein ehrlicher Mann, der von allen im Hause als Vertrauter gebraucht wurde, der ihren Kanarienvogel vom Pips geheilt hatte und die kleine Büste Schillers von einem Spinnenfleck auf der Nase. Sie beschloß, nur dem treuen Gabriel von den Reden der Frau Hahn zu erzählen, ohne Not aber auch nicht der Mutter.

Es fügte sich, daß gegen Abend Gabriel und Dorchen auf der Straße in ein kleines Gespräch kamen. Dorchen begann bittere Klage über die Bosheit der Hummeln, Gabriel aber mahnte herzlich: »Lassen Sie sich durch diesen Krieg nicht fortreißen. Es muß auch solche geben, welche neutral bleiben. Seien Sie ein Engel, Dorchen, welcher den Frieden und die Kränze in das Haus trägt. Nämlich die Tochter ist unschuldig.« Darauf wurde die Namengebung noch einmal durchgesprochen und Laura ehrenvoll gerechtfertigt. Als Gabriel später im Vorbeigehen sagte: »diese Sache ist in Ordnung, und Herr Hahn hat gesagt, ihm wäre gleich unwahrscheinlich gewesen, daß Sie es so übel mit ihm meinten« da fiel ihr zwar die schwerste Last vom Herzen, und wieder klang ihr leiser Gesang durch das Haus, aber ruhig wurde sie deshalb doch nicht. Denn immer noch blieb ihr Haus gegen die Nachbarn im Unrecht, die Menschen von jenseits wurden durch den Zorn des Vaters schwer gekränkt. Ach, dies gewaltige Gemüt konnte sie nicht bändigen, aber sie mußte versuchen, in der Stille sein Unrecht zu sühnen. Darüber grübelte sie noch am späten Abend beim Auskleiden. Und als sie bereits im Bette lag und vieles gefunden und verworfen hatte, da kam ihr der rechte Einfall, und sie sprang noch einmal auf, zündete das Licht an und lief im Hemde nach dem Schreibtisch. Dort schüttelte sie ihr Beutelchen aus und überzählte die neuen Taler, die ihr der Vater zu Weihnacht und am Geburtstage geschenkt hatte. Diese Taler beschloß sie zu einer geheimen Abbitte zu verwenden. Vergnügt nahm sie den Perlenbeutel zu sich ins Bett, legte ihn unter das Kopfkissen und schlief darüber in Frieden ein, obgleich die wilde Jagd der Gespensterhunde um das Haus tobte, greulich und unaufhörlich.

Am nächsten Morgen schrieb Laura mit großen steifen Buchstaben Name und Wohnung des Herrn Hahn auf einen Briefumschlag, siegelte diesen mit einem Veilchen, welches die Umschrift trug: »ich verberge mich,« und steckte die Adresse in ihre Tasche. Als sie wegen eines Einkaufs nach der Stadt ging, machte sie auf eigene Gefahr einen Seitenweg zu einem Handelsgärtner, mit dem sie persönlich nicht bekannt war. Dort kaufte sie den dicken Busch einer Zwergorange voll von Blüten und goldenen Früchten, ein Prachtstück des Glashauses, sie fuhr den Strauch mit pochendem Herzen in geschlossener Droschke, bis sie einen Lohnträger fand, und empfahl mit einer außerordentlichen Vergütigung dem Träger, Strauch und Brief ohne Gruß und Wort im Hause des Herrn Hahn niederzusetzen.

Redlich führte der Mann den Auftrag aus. Dorchen entdeckte den Stock im Hausflur, und in der Familie Hahn begann eine kleine, sehr behagliche Aufregung, fruchtloses Sinnen, wiederholte Besichtigung, eitles Vermuten. Als Laura am Mittag durch das Weinlaub in den Garten hinüberspähte, hatte sie die Freude, den Orangenstrauch auf einem ausgezeichneten Platz vor der weißen Muse zu erblicken. Allerliebst leuchtete der Busch in Weiß und Gold über die Straße. Und Laura stand lange hinter den Ranken und faltete unwillkürlich die Hände. Das Unrecht war von ihrer Seele genommen. Dann wandte sie sich in gehobener Stimmung ab von dem feindlichen Hause.

Unterdes hing eine Polizeibeschwerde und eine gerichtliche Klage zwischen den beiden Häusern. Die letztere wurde durch Einfügung des Namens Speihahn noch an demselben Tage gefährlich verschärft.

Und der Frieden im Hause und in der Nachbarschaft blieb gestört. Zuerst hatte das Glockenspiel die allgemeine Meinung gegen Herrn Hahn aufgeregt, aber durch die Hunde wurde die Stimmung gründlich geändert, die ganze Straße zog sich nach dem Stroh hinüber, der Filz hatte alle Welt gegen sich. Herrn Hummel kümmerte das wenig. Des Abends saß er im Garten auf dem umgestürzten Kahn und sah stolz auf das Nachbarhaus, während Bräuhahn und das Andere zu seinen Füßen lagen und nach dem Mond blinzten, der in seiner gewohnten Weise boshaft herniederblickte auf Hummel, auf Hahn, auf die übrige Welt.

Es geschah aber, daß in einer der nächsten Nächte unter Hundegebell und Mondschein am chinesischen Bau des Herrn Hahn alle Glocken abgerissen und gestohlen wurden.


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