Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Sechstes Kapitel

Vor dem Drama

»Er war ein Tyrann,« sagte Laura, »und sie hatte recht, ihm nicht zu gehorchen.«

»Er tat in harter Weise seine Pflicht und sie ebenso die ihrige,« versetzte Ilse.

»Er war ein querköpfiger, engherziger Bursch, der zuletzt gedemütigt wurde, sie aber eine edle Heldin, die alles wegwarf, was ihr auf Erden lieb war, um mit großem Herzen die höchste Pflicht zu üben,« rief Laura.

»Er hat gehandelt in dem Zwange seines Charakters, wie sie nach dem ihren. Sie war stärker als er und ging siegreich in den Tod, ihn zerbrach das Gewicht seines Tuns, da er lebte,« entgegnete Ilse.

Die Charaktere, über welche die Frauen sprachen, waren Antigone und Kreon.

Der Professor hatte an einem Herbstabend die Tragödien des Sophokles auf den Tisch seiner Frau gelegt. »Es ist Zeit, daß du die schönste Dichterkraft des Altertums in ihren Werken verstehen lernst.« Er las vor und erklärte. In dem stillen Frieden des deutschen Hauses schwebten die hohen Gebilde der attischen Bühne. Ilse hörte Fluch und herzerschütternde Klagen um sich her, sie sah ein dunkles Verhängnis einbrechen über Menschen von höchstem Adel der Empfindung und ehernem Willen, sie fühlte den Sturm der Leidenschaft durch gewaltige Seelen toben und hörte zwischen dem Schrei der Rache und Verzweiflung weich die Akkorde rührenden Gefühls in unwiderstehlichem Zauber ertönen.

Wohl war für Ilse die Zeit gekommen, wo sie Gestalt und Schicksal fremder Menschen mit gutem Verständnis in sich aufzunehmen vermochte.

Nicht immer liegt das Sonnenlicht auf dem Pfade des Menschen, in täuschender Nebelnacht sucht er seine Richtung nicht mit dem Auge allein, er lauscht dann auch auf geheime Stimmen in seiner Brust. Aus dem Kampf entgegengesetzter Pflichten, aus dem Drange der Leidenschaft rettet den Menschen nicht zumeist der kluge Gedanke, nicht würdiges Lehrwort, ihn befreit oder wirft in die Tiefe ein kurzer Entschluß, der wie eine Naturnotwendigkeit aus dem Innern bricht und doch hervorgebracht wird durch den Zwang des ganzen früheren Lebens, durch alles, was der Mensch weiß und glaubt, gedacht, gelitten und getan hat. Was in der finstern Stunde treibt zum guten Ziel oder in das Verderben, das nennen die Leute Charakter, und wie der Wanderer den Weg sucht durch Hindernisse und Schrecken, das nennt der Zuschauer vor der Bühne dramatische Bewegung.

Nur wer einmal unter den gaukelnden Bildern der Nacht dahingegangen ist und ernsthaft auf die geheime Mahnung seines Innern gelauscht hat, nur der versteht völlig, wie andern zumute war, die in ähnlicher Lage den Ausweg aus beengendem Irrsal suchten und sich Heil oder Verderben fanden.

Auch um Ilses Haupt waren in einzelnen Stunden flüchtige Schreckbilder dahingefahren, auch sie hatte gebangt, ob sie auf rechtem Wege war.

Die siebente Tragödie des Griechen war gelesen, die kühnste Darstellung herber Leidenschaft und blutiger Rache. Ilse saß noch stumm und erschrocken über den fürchterlichen Ausbruch des Hasses aus dem Herzen der Elektra. Da begann der Gatte, um ihr befreiende Gedanken herbeizurufen: »Jetzt hast du alles gehört, was uns von Kunst und Gewalt eines wundervollen Dichtergeistes geblieben ist. Du aber sollst mir berichten, welcher unter seinen Charakteren dich am meisten gefesselt hat.«

»Meinst du, wo mich die Gewalt seiner Poesie am meisten ergriffen hat, so ist mir immer die neueste Gestalt die größte gewesen, und heut ist es das ungeheure Bild der Elektra. Fragst du aber, welche Gestalt mir am meisten wohlgetan hat –«

»Die sanfte Ismene,« unterbrach lächelnd der Professor. Ilse schüttelte das Haupt. »Nein, der mir am meisten gefällt, ist der wackere Sohn des Achill. Erst will er dem listigen Anschlag des Genossen nachgeben und einem Unglücklichen Gewalt antun, aber nach längerem Kampf siegt die edle Natur. Er erkennt, daß er ein Unrecht begehen will und ermannt sich.«

Der Professor machte das Buch zu und sah seine Frau erstaunt an. »Denn sieh,« fuhr Ilse fort, »gerade in den größten Gestalten deines Griechen ist eine Starrheit, die mich erschreckt. Allen fehlt etwas, um Menschen zu sein wie wir, sie zweifeln nicht wie wir, sie ringen nicht, ob sie recht tun, ihre Größe ist, unverrückt etwas Fürchterliches zu wollen oder den harten Nacken gegen ein furchtbares Schicksal zu stemmen. Wir aber fordern von dem starken Menschen, daß er zwar gewaltig tut, was er nach seinem Wesen tun muß, Gutes oder Arges, aber unsern vollen menschlichen Anteil gewinnt er doch nur dann, wenn wir die Sicherheit haben, daß es in seinem Innern gerade so arbeitet, wie in uns selbst.«

»Wie vielleicht in uns selbst?« fragte der Professor ernst und legte das Buch weg. »Woher kommt dir diese Erkenntnis? Ilse, hast du ein Geheimnis vor deinem Manne?«

Ilse erhob sich und sah betroffen nach ihm hinüber.

Doch der Professor fuhr heiter fort: »Ich will dir erst sagen, weshalb ich frage und was ich von dir wissen möchte. Als ich dich heimführte aus Hof und Flur, da warst du trotz deinem innigen deutschen Empfinden nach meiner Rücksicht eine Gestalt, wie wir uns Nausikaa und Frau Penelope behaglich in ihrer Umgebung ausmalen. Unbefangen nahmst du die Bilder der Welt in dich auf, du standest sicher und stark in festumgrenztem Kreis von Rechten und Pflichten; mit kindlichem Vertrauen holtest du von der Sitte deines Kreises und aus heiligen Sprüchen die Richtschnur für Urteil und Handeln. Deine Liebe zu mir, die Berührung mit anders geformten Seelen, der Einblick in ein neues Gebiet des Wissens erweckten in deinem Innern leidenschaftliche Klänge, die Unsicherheit kam und der Zweifel, neue Gedanken arbeiteten heftig gegen alte Vorstellungen, die Forderungen deines gegenwärtigen Lebens gegen den Inhalt deiner Mädchenjahre. Du warst durch Monate unglücklicher als ich wußte. Jetzt aber bist du in einer Zeit, wo ich mich deiner fröhlichen Ruhe und deines Gedeihens freute, zu einem Verständnis des Menschen vorgedrungen, das mich überrascht. Oft habe ich in den letzten Abenden mit heimlicher Freude gesehen, wie warm deine Teilnahme und wie mild dein Urteil die Charaktere des Dramas begriff. Ich hatte erwartet, daß das Herbe und Ungeheure ihres Schicksals dich zuweilen abstoßen würde, und daß du behend sein würdest in Zuneigung und Abneigung, du aber hast dein Mitgefühl den dunkeln Gestalten gegönnt wie den hellen, als wenn deine Seele selbst unter der Ahnung gezuckt hätte, daß sich im eigenen Leben Gutes in Böses verkehren kann und Segen in Fluch, und als wenn du in dir selbst erfahren hättest, daß der Mensch nicht nur dem äußeren Sittengesetze zu folgen hat, wie erhaben sein Ursprung sei, sondern daß in Stunden der Not noch ein anderes Gebot dazukommen müsse, welches aus der Tiefe der Menschenbrust heraufgeholt wird. Solche Einsicht aber wird dem Menschen wohl nur in Stunden der eigenen Gefahr. Es ist unwahrscheinlich, daß du dazugekommen bist ohne Erfahrungen, die mir fremd geblieben sind. Ich dränge mich nicht in dein Vertrauen, aber ist dir's recht, so gib mir Auskunft, wie ist dir die feine Empfindung für die geheimen Kämpfe solcher Menschen aufgegangen, welche ein tragisches Schicksal fortreißt?«

Ilse faßte ihn an der Hand und zog ihn in ihr Zimmer. »Auf dieser Stelle war's,« rief sie. »Ein Fremder fragte mich, ob er sich tödlicher Gefahr aussetzen solle um seiner Ehre willen oder ob er einen andern der Gefahr preisgeben dürfe. Ich hatte ihm ein Recht zu solcher Frage gegeben, denn ich hatte schon früher zu ihm mit größerer Offenheit über sein Leben gesprochen, als für eine vorsichtige Frau klug war. Ich stand und rang gegen die Frage, die er mir stellte, aber ich konnte die Antwort nicht verweigern und, Felix, alles gesagt, ich wollte auch nicht. Ich gab einen Rat, der ihm ein blutiges Ende hätte bereiten können, ich gab den Rat heimlich und ich war verstrickt in ein Verhängnis, aus dem ich mich nicht zu lösen wußte. Ich sah mich um nach dir, ich durfte dir nichts sagen, du wärest entweder untreu gegen deine Amtspflicht geworden oder du hättest das Ehrgefühl eines andern für immer schädigen müssen; ich fragte unsere heilige Lehre, sie rief mir nur zu, daß mein Rat sündhaft sei. Ich war unglücklich, Felix, daß ich in diese Lage gekommen war, noch unglücklicher, daß du mir versagen mußtest und unsere Lehre mich nicht heraushob. Aber ich habe in dieser Sache geraten, wie mir ums Herz war. Es ist nicht mein Verdienst, daß alles besser geworden ist, als ich ängstlich gesorgt. Seitdem weiß ich, Felix, was Gewissenskampf ist. Und du kennst das einzige Geheimnis, das ich vor dir hatte. Tat ich ein Unrecht gegen dich, so urteile mild, denn, bei allem, was mir heilig ist, ich konnte nicht anders.«

»Und der Prinz – fragte der Gatte leise.

»Er ist ein gutes, freundliches Herz, ein unerzogener Mann, ich aber bin dein Weib. Ihm gegenüber war kein Zweifel.«

»Ich weiß genug, du ernsthaftes, ehrbares Weib,« sagte der Professor, »ich kann jetzt dir gegenüber meine Bücher zusammenpacken. Wenig gilt die Lehre, und sei sie noch so gut, gegen das Leben. Ein törichtes Studentenduell, in dem du unsichtbarer Beirat warst, hat für dein Inneres vielleicht mehr getan, als meine klugen Worte in Jahren durchgesetzt hätten. Sei gutes Muts, Frau Ilse von Bielstein, wie uns auch das Schicksal noch zausen mag, ich weiß jetzt, mit inneren Kämpfen wirst du fertig, und darum brauchen wir um die Gefahren, die von außen kommen, nicht zu sorgen. Denn was auch uns Menschen auf Erden störe, wer sein eigenes Wesen einmal soweit kennengelernt hat, daß er auch die Geheimschrift anderer Seelen zu lesen vermag, der hat eine gute Schutzwehr gegen die Versuchungen der Welt.«

Was der deutsche Gelehrte sagte, der jetzt sein Weib so sicher in die Arme schloß, war nicht übel, nur schade, daß wir deshalb noch keine Sicherheit haben, die Geheimnisse anderer Seelen zu durchschauen, weil wir etwas von der Arbeit unserer eigenen belauscht haben; und schade, daß die größte Kenntnis fremder Seelenschrift nicht Schutzwehr wird gegen den Sturm der eigenen Leidenschaften.

 

Der Kammerherr, welcher als Hofmarschall des Erbprinzen fungierte, hatte beim Fürsten Vortrag über Angelegenheiten des Dienstes. Es galt unter anderem, den Kammerlakai Krüger von der Buttermaschine in die Ehren und, was nicht weniger wichtig war, in das volle Gehalt eines erbprinzlichen Kammerdieners zu befördern. Wider Erwarten war der Fürst bereit, auf die Vorschläge einzugehen, und der Kammerherr wollte bereits, der gnädigen Laune des Herrn froh, seinen Rückzug nehmen, als der Fürst ihm den Abgang durch die gütige Bemerkung hemmte: »Ihre Schwester Malwine sah leidend aus; sie tanzt doch nicht zuviel? Hüten Sie ihre zarte Gesundheit, nichts ist für solche Konstitution schädlicher als eine frühe Heirat. Ich wünsche ihr freundliches Gesicht noch lange am Hofe zu sehen.«

Nun war aber Fräulein Malwine mit einem Offizier des Fürsten in der Stille verlobt, der Hof und die Stadt wußten es, die Verlobten aber waren arm und zu ihrer Verbindung eine Erlaubnis des Fürsten nötig. Um diese zu erhalten, wurde eine günstige Stunde abgewartet. Deshalb erschrak der Kammerherr über die Worte seines Herrn, er fand darin eine geheime Drohung, und während er für die huldvolle Teilnahme dankte, war auf seinem Gesicht deutlich die Betroffenheit zu lesen.

Nachdem der Fürst durch diesen kurzen Ruck am Wirbel sein Instrument gestimmt hatte, fuhr er gleichgültig fort: »Haben Sie eine Viertelstunde Zeit, so begleiten Sie mich in das Antikenkabinett.« Der Kammerherr verneigte sich.

Durch Korridor und Säle ging es in einen entfernten Teil des Schlosses, wo im obersten Stock eine große Sammlung von alten Münzen, geschnittenen Steinen und andern kleinen Überresten aus griechischer und römischer Zeit aufgestellt war. Mehrere Generationen regierender Herren hatten dazu beigetragen, den größten Teil hatte der Fürst selbst von seinen Reisen heimgebracht, er selbst hatte in früheren Jahren an Aufstellung der Sachen Anteil genommen und große Summen auf Ankauf verwandt. Allmählich war diese Liebhaberei geschwunden, seit Jahren hatte die Federbürste des Konservators den Staub nur für einzelne Fremde abgewehrt, welche in die fast unbekannte Sammlung gerieten.

Deshalb folgte heute der Kammerherr seinem Herrn mit der Empfindung, daß dieser ungewöhnliche Einfall irgend etwas bedeute, und obgleich er den sonnigen Höhen des Erdenlebens nahestand, neigte er sich doch zu der trüben Auffassung. daß das Bevorstehende nichts Gutes sein werde. Der Fürst nickte der tiefen Verbeugung des vernachlässigten Aufsehers zu, durchschritt prüfend die lange Zimmerreihe, ließ sich einzelne Behältnisse aufschließen, nahm das geschriebene Verzeichnis zur Hand und betrachtete angelegentlich die Goldmünzen Alexanders des Großen und seiner Nachfolger und eine Sammlung alter Glasgefäße und angeschliffener Glasscherben, an denen die kunstvolle Arbeit der alten Glaser auffallend war. Endlich fragte er nach dem Fremdenbuch, in welches die Besucher ihre Namen einzeichneten. Nachdem er den Mann durch einen Auftrag entfernt hatte, begann er zu seinem Begleiter: »Die Sammlung wird weniger gesehen als sie verdient, ich habe längst daran gedacht, sie durch eine bessere Aufstellung und einen guten Katalog bekannt und für die Gelehrten nützlich zu machen. Sie ist eine von den kleinen Freuden meines Lebens gewesen, ich habe manches dabei gelernt und Widriges auf Stunden vergessen. Wissen Sie jemand, der geeignet wäre, die Leitung dieser dankenswerten Arbeit zu übernehmen?«

Der Kammerherr besann sich, aber ihm fiel niemand bei.

»Am liebsten ein Fremder,« fuhr der Fürst fort. »Das gibt ein vorübergehendes und ungezwungenes Verhältnis, er müßte natürlich als Gelehrter und als Mensch die besten Bürgschaften geben.«

Der Kammerherr nannte einen und den andern Sachverständigen aus andern Residenzen; der Fürst sah ihn mit scharfem Blick an und schüttelte das Haupt. »Denken Sie darüber nach,« ermahnte er, »vielleicht fällt Ihnen doch jemand ein.«

Die Besichtigung ging fort, bei einem antiken Gefäß erinnerte sich der Fürst mit Interesse, wie er dazu gekommen war. Eine Römerin, eine schöne, große Gestalt, war plötzlich an ihn getreten und hatte ihm das Stück angeboten, mit so vornehmer Haltung, daß er, wie er lächelnd äußerte, von der ungewöhnlichen Weise der Frau und ihrer klangvollen Stimme überrascht, mehr gezahlt hatte als sie forderte. Dem Kammerherrn fiel noch niemand ein.

Auf dem Rückwege nach seinen Zimmern blieb der Fürst in einem der einsamen Säle stehen und fragte den Kammerherrn: »Ist Ihnen nicht aufgefallen, daß die Scarletti schlechte Toilette macht?« Der Kammerherr verneinte, denn die Tänzerin galt dafür, in Gunst zu stehen.

»Sie trug gestern abend an der Brust einen unförmlichen Blumenstrauß. Wem von unserer Jugend galt diese ungeschickte Aufmerksamkeit?«

Wieder erschrak der Kammerherr, jetzt wußte er, daß ein Hagelwetter gegen seine Saaten zog. »Da Sie heut in der Stimmung sind, nichts zu wissen,« fuhr der Fürst in scharfem Tone fort, »so bemerke ich Ihnen, daß ich ungern sehe, wenn der Erbprinz mit den Damen vom Theater irgendwelche Verbindung unterhält. Er ist nicht alt genug, um solche Verhältnisse mit dem nötigen Rückhalt durchzumachen, und die Eitelkeit der Erwählten trägt jede Gunst prahlend zur Schau.«

Der Kammerherr beteuerte bei seiner Ehre, daß er von dieser Artigkeit des Erbprinzen nichts gewußt und daß, auch wenn die Annahme seines gnädigen Herrn begründet sei, nichts als ein flüchtiger Einfall des Prinzen diese Szene veranlaßt habe. »Ew. Hoheit werden überzeugt sein, daß ich zu so etwas nicht die Hand biete.«

»Ich will aber auch nicht, daß Sie die Augen schließen,« fuhr der Fürst bitter fort, »Sie haben in der Loge hinter dem Erbprinzen gestanden und Sie müssen die kokette Huldigung gesehen haben, welche ihm die Person darbrachte. Die Sendung ist wahrscheinlich durch den neuen Kammerdiener befördert. Machen Sie diesem bemerkbar, daß man in meinem Dienst nicht auf zwei Schultern trägt. Von Ihnen aber verlange ich,« fügte er ruhiger hinzu, »daß Sie Ihre Aufmerksamkeit verdoppeln. Die Gesundheit des Erbprinzen verlangt immer noch Schonung. Ich will nicht, daß er sich durch solche Verhältnisse körperlich zugrunde richte. Er ist müßig und weich. Was beschäftigt ihn wohl jetzt?«

»Er besucht regelmäßig die kleinen Abende der Frau Prinzessin.«

»Und am Tage?« setzte der Fürst das Examen fort.

»Wie Ew. Hoheit bekannt, liebt er Musik, er spielt mit dem Konzertmeister zu vier Händen.«

»Was liest er?«

Der Kammerherr nannte einige französische Bücher. »Darf ich mir einen untertänigen Vorschlag erlauben? Es würde Sr. Hoheit gewiß nach jeder Richtung nützlich sein, wenn derselbe die Freude hätte, etwas zu schaffen und einzurichten, vielleicht durch eine Parkanlage oder einen Bau. Ich wage anzuführen, daß sich eine ähnliche Tätigkeit junger Herren an andern Höfen als vorteilhaft bewährt hat. Vielleicht würde eines von Ew. Hoheit Schlössern für solche Beschäftigung geeignet sein.«

»Und der Erbprinz und Herr von Weidegg würden eigenen Hofhalt einrichten und mehrere Monate des Jahres fern vom Hofe ihre Villegiatura halten,« erwiderte der Fürst.

»Ich beteure, daß ich dabei nicht an mich gedacht habe,« antwortete der Kammerherr gekränkt.

»Ich verdenke es Ihnen nicht,« versetzte der Fürst mit zermalmender Leutseligkeit. »Die Rücksicht auf meine Kasse verbietet mir, Ihrem Vorschlag beizustimmen, aber ich will für die Zukunft daran denken. Daß der Prinz aus seinem Universitätsjahr kein Interesse mitgebracht hat, ist mir unlieb. Hat ihm denn diese Zeit auch kein persönliches Verhältnis zurückgelassen, das eine Bereicherung seines Lebens wäre?«

»Im Kreise des Professor Werner hat er sich sehr wohlgefühlt,« bemerkte zögernd der gute Kammerherr.

»Ich hoffe, er bewahrt dem Lehrer eine dankbare Erinnerung.

»Er spricht mit großer Teilnahme von ihm und seinem Hause,« entgegnete der Kammerherr.

»Es ist gut,« schloß der Fürst. »Die Beschäftigung durch einen Bau werde ich mir überlegen, und Sie vergessen nicht, ein wenig für meine Sammlungen zu sorgen.«

Diese neue Aufforderung brach die Kraft des Kammerherrn, noch schwieg er einige Augenblicke im inneren Kampf, während der Fürst weiterschritt, das Haupt auf ihn zugeneigt wie jemand, der etwas Entscheidendes hören will.

»Für die Antiken wüßte ich keinen bessern vorzuschlagen als Professor Werner selbst,« sprach endlich der Kammerherr.

Der Fürst blieb wieder stehen. »Sie halten ihn für geeignet?«

»Über seine wissenschaftliche Befähigung steht mir natürlich kein Urteil zu,« versetzte der Kammerherr vorsichtig.

Geärgert durch diesen feigen Versuch des Rückzuges fragte der Fürst nachdrücklich: »Würde er einen solchen Austrag annehmen?«

»Er hat dort eine gute Stellung und ist glücklich verheiratet, er würde sicher seine Häuslichkeit nicht für längere Zeit verlassen.«

»Vielleicht ließe sich das einrichten,« entgegnete der Fürst. »Also Werner? Er hat mir bei flüchtiger Begegnung einen guten Eindruck gemacht. Erinnern Sie mich doch heut abend daran, daß wegen Bielstein etwas im Archiv nachzusehen ist.«

So bemühte sich ein Vater für das Gedeihen seines Sohnes.

Der Kammerherr erinnerte am Abend, daß wegen Bielstein etwas im Archiv nachzusehen sei, und der Fürst war dankbar dafür. Am nächsten Morgen wurde durch das Kabinett dem Archiv und einzelnen Zweigen der Hof- und Staatsverwaltung Befehl, alle auf Schloß Bielstein und Kloster Rossau bezüglichen Akten von einem gewissen Alter hervorzusuchen und einzusenden. Dieser Befehl veranlaßte ein starkes Aufrühren von Staub, fünf große Ledersäcke wurden mit Urkunden und alten Papieren angefüllt. Das Gesammelte wurde an den Professor gesandt; in einem Briefe sprach der Fürst seinen Dank für die Aufmerksamkeit aus, welche der Professor dem Erbprinzen erwiesen. Einer früheren Unterredung gedenkend, übersende er ihm zur Einsicht, was bei oberflächlichem Suchen über die Vergangenheit eines Ortes aufzufinden gewesen, an dem er Interesse nehme.

Diese Sendung bewegte zwei Forschern das Haupt zu schwerem Sinnen. Schon damals, als unser Student die unsichere Nachricht über eine erhaltene Kiste in den Frieden des Hauses geschleudert hatte, waren die Freunde wieder zu der Aufzeichnung des seligen Bachhuber zurückgekehrt und hatten jedes Wort derselben noch einmal sorgfältig erwogen: – »An einer hohlen und trockenen Stelle, Tloco cavo et sicco.« – Das Wort Stelle, locus, gab viel zu denken, es war darüber durchaus zu keiner Klarheit zu kommen. – »Des Hauses Bielstein, domus Bielsteyn!« – Hier war der Ausdruck Haus, domus, sehr merkwürdig. Bedeutete er, daß der Kodex in dem Wohnhause selbst versteckt lag, oder war das Wort Haus in der veralteten Bedeutung Rittersitz, Gut, gebraucht? Der Doktor verfocht das Wohnhaus, der Professor den Rittersitz. Darauf aber kam sehr viel an. Denn wenn domus nur das Gut bedeutete, so konnte die Handschrift auch an irgendeiner andern Stelle auf dem Gutsgrund verborgen sein. – »Habe ich das alles niedergelegt, haec omnia deposui!« – Sehr tröstlich war das Wort alles, omnia, denn es gab Sicherheit, daß der selige Bachhuber den Kodex nicht zurückgelassen hatte. Aber das Niederlegen war um so zweifelhafter. Bezeichnete das Wort, daß der Kodex nur in Bielstein deponiert, also den Bewohnern gewissermaßen anvertraut war, oder hatte Schreiber den Ausdruck gewählt, weil er das Einsenken, In-die-Tiefe-Bergen andeuten wollte? Uns Laien im lateinischen Stil liegt freilich die Auffassung nahe, daß Bachhuber überhaupt froh war, eine lateinische Vokabel zu besitzen, durch welche er das Verstecken seines Schatzes andeuten konnte. Dagegen aber sträubte sich die Empfindung der Gelehrten.

Zuletzt vereinigten sich die Freunde in der Ansicht, daß die Hausmauern trotz jener Nachricht einer fortgesetzten Beachtung wert seien. Die hohlen Stellen, welche der Doktor verzeichnet hatte, wurden gemustert, der Wandschrank in Ilses Schlafstube schien eine nicht verächtliche Möglichkeit darzubieten. Der Professor beschloß, in den nächsten Ferien wenigstens darüber Sicherheit zu erhalten. Zwar gestatteten die Geschäfte des Rektorats auch diesmal nur einen kurzen Besuch auf dem Gute, indes vertraute der Professor auf seine gesellschaftliche Stellung, welche ihm Ilses Zimmer und den Wandschrank öffnete.

Es war ein schöner Augusttag, der Vater ritt auf den Feldern umher, Ilse saß mit Klara in häuslicher Beratung, als sich in der Küche ein Aufstand erhob und die Mamsell außer sich in das Wohnzimmer stürzte: »Es spukt wieder!« Und in der Tat erschütterte ein lautes Pochen und Schlagen das Haus, die Mägde liefen im Flur zusammen, der Lärm kam aus dem menschenleeren Oberstock. Ilse eilte hinauf und traf, als sie die Tür ihres Zimmers aufriß, ihren Gatten in Hemdsärmeln, wie er mit allerhand Werkzeug des Gutsböttchers im Wandschrank arbeitete. Lachend empfing er sie und rief zur Beruhigung hinab, daß er die Bretter am Wandschrank festschlage. Das war richtig, aber er hatte sie vorher ausgebrochen. Die Handschrift lag nicht dahinter, nichts war zu sehen als ein mäßiger, leerer Raum mit einigen Kalkbrocken. Nur ein Unerklärliches hatte sich gefunden, das doch gewissermaßen an den Kodex erinnerte, ein kleiner blauer Tuchlappen. Wie der in die Mauer gekommen, war rätselhaft. Spätere Prüfung ergab, daß er nicht mit Indigo gefärbt, also wahrscheinlich schon vor Einführung dieser Farbe entstanden war. Ob ihn eine Maus in hausmütterlicher Sorge dort niedergelegt und deponiert hatte, zum Schmuck ihres Wochenbettes und zugleich als eßbaren Vorrat für verzweifelte Fälle, konnte nicht ermittelt werden, da gegenwärtig diesem Gesindel jede Überlieferung aus der Vergangenheit zu fehlen scheint, und die Täterin selbst wahrscheinlich schon vor vielen Jahren von einer Ahnfrau unserer Katzen gefressen war.

Diese Entdeckung hätte eigentlich den Freunden die Zuversicht steigern sollen. Denn es gab jetzt bereits zwei Stellen, an welchen der Schatz zuverlässig nicht war. Aber in der Natur des Menschen ist vieles Unlogisches. Auch der Doktor neigte sich jetzt der Auffassung zu, daß die Handschrift gar nicht in dem Hause selbst stecke, ja daß sie gar schon einmal aus ihrem Lager entfernt sei.

So stand die Angelegenheit, als die Sendung des Fürsten eintraf. Die Freunde saßen viele Stunden vor den Koffern und prüften sorglich die Akten. Für die Geschichte der Landschaft fand sich viel Wertvolles darin, lange nichts, was zum Kodex verhelfen konnte. Endlich hob der Professor vom Boden eines Koffers ein dickes Bündel gehefteter Berichte, welche durch Beamte von Bielstein der fürstlichen Regierung übersandt waren. Darunter war das Schreiben eines Amtsverwalters aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts, worin dieser anzeigte, daß er bei schwebenden gefährlichen Zeitläufen sich beeile, Hohem Befehl gemäß, die an noch in seinem Verschluß befindlichen Truhen mit Jagdgerät und alten Büchern nach dem fürstlichen Lustschloß Solitude abzuliefern.

Zufällig hatte der Schreiber des Briefes nicht geahnt, welche Aufregung seine verblichene Schnörkelschrift unter späten Enkeln hervorbringen würde.

»Hier ist die Kiste des Studenten,« rief der Professor mit geröteten Wangen und hielt dem Freunde das Aktenstück hin.

»Merkwürdig,« sagte der Doktor, »es ist unmöglich, daß dies Zusammentreffen zufällig ist.«

»Die Kiste des Studenten war kein Nebelbild,« rief der Professor seiner Frau in ihr Nebenzimmer. »Hier ist die Bestätigung.«

»Wo steht die Kiste?« fragte Ilse neugierig.

»Das gerade ist es, was wir noch nicht wissen,« versetzte der Professor lachend. »Hier ist eine neue Fährte, undeutlich, von der alten Richtung weit abspringend, aber sie kann auf kurzem Wege zu dem verschwundenen Pergament leiten.« Die Freunde eilten in Weidmannseifer zu dem Aktenbündel zurück. »Alte Bücher,« rief der Doktor. »Das Haus war ein Jagdschloß, das Gut kam erst ein Menschenalter vor Abfassung dieses Briefes in den Besitz dieses Fürstengeschlechtes, es ist nicht wahrscheinlich, daß sie selbst bei ihren kurzen Jagdbesuchen dort Bücher aufgesammelt haben.«

»Alte Bücher,« rief auch der Professor. »Es können auch Jagdjournale und Rechnungen gemeint sein, aber unmöglich ist nicht, daß die Truhen wenigstens einzelnes von dem alten Klostergut enthielten. Ilse, wo liegt das Schloß deines Landesherrn, welches Solitude heißt?« Ilse wußte nichts von einem solchen Schlosse.

»Es trifft sich gut, daß der Fürst selbst uns eine Veranlassung gibt, darüber Näheres zu erkunden.«

»Ach ihr armen Männer,« klagte Ilse in der Tür, »jetzt seid ihr viel schlechter daran als früher; solange der Schatz noch in unserm Hause lag, hielt wenigstens der Vater gute Wache, jetzt ist er in einem Kasten in die weite Welt gefahren, und sogar von dem Hause, in welches er getragen sein könnte, weiß man nichts mehr zu erzählen.«

Die Freunde lachten wieder. »Das Haus des Vaters bleibt deshalb doch verdächtig,« tröstete der Gatte.

Der Professor sandte Koffer und Inhalt an das fürstliche Kabinett zurück, sprach in einem Briefe an den Fürsten seinen warmen Dank aus und erwähnte, daß eine unsichere Spur ihm den Wunsch nahelege, die Erlaubnis zu persönlichen Nachforschungen zu erhalten.

Dieser Brief hatte für beide Teile die ersehnte Folge. Der Fürst erhielt die Genugtuung, welche für irdische Hoheit wertvoll ist, daß er eine Gunst zu gewähren schien, während er selbst eine suchte.

Der Professor aber war freudig überrascht, als umgehend ein Kabinettschreiben des Fürsten eintraf, in welchem dem Professor jede Förderung bei seinen Untersuchungen verheißen und daran ein Vorschlag geknüpft wurde. Der Fürst wünsche die Prüfung seines Antikenkabinetts durch eine wissenschaftliche Größe, und der Fürst würde niemand lieber diese Tätigkeit anvertrauen als dem Professor. Er wisse wohl, wie wertvoll für andere die Tätigkeit des Gelehrten sei, er hoffe aber, die Sammlung würde auch ihm wichtig genug erscheinen, um einige Wochen darauf zu wenden.

Zugleich schrieb der Kammerherr im Auftrage seines gnädigsten Herrn. Der Fürst werde sich freuen, den Professor für die Zeit seines Besuches in der Residenz gastlich aufzunehmen. Ein Gartenpavillon, der im ersten Frühjahr wohl bewohnbar sei, werde ihm zur Verfügung gestellt. Das Quartier sei geräumig genug, um außerdem noch seine Familie aufzunehmen, und es sei ihm befohlen, hervorzuheben, daß der Professor mit Gemahlin und Dienerschaft darin vollkommen Raum finde, da der Fürst nicht wünsche, daß der Gelehrte seine bequeme Häuslichkeit unterdes ganz entbehre. Die ersten Wochen des Frühjahres dürften für beide Teile die bequemste Zeit sein. Er, der Kammerherr, freue sich darauf, seiner Landsmännin in der Hauptstadt die Honneurs zu machen.

Der Professor eilte mit beflügeltem Schritt zu seiner Frau und legte den Brief in ihren Schoß. »Hier lies, was unsere Reise in die Ferne gefährdet, es beansprucht einen Teil der besten Reisezeit. Aber ich muß diese Einladung annehmen, denn jede Aussicht, auch die entfernteste, der Handschrift habhaft zu werden, zwingt mich, alles einzusetzen, was der Mensch einer großen Hoffnung nur opfern darf. Willst du mit mir auf die Jagd ausziehen? Du siehst, die artigen Leute haben für alles gesorgt.«

»Ich ein Gast unseres Landesherrn!« rief Ilse, in den Brief sehend, »nie hätte ich mir solche Ehre träumen lassen. Was wird der Vater dazu sagen! – Das ist für dich eine sehr ehrenvolle Einladung,« fuhr sie ernst fort, »und du mußt sie in jedem Fall annehmen. Für mich, wenn ich mir's recht überlege, ist es doch am besten, ich bleibe hier.«

»Wozu dich auf Wochen trennen? Es wäre das erstemal.«

»So schicke mich unterdes zum Vater,« sagte Ilse.

»Ist das nicht dasselbe?« fragte der Professor.

»Was soll ich unter fremden Menschen?« fuhr Ilse ängstlich fort.

»Torheit!« rief der Professor, »hast du einen Grund, nicht mitzugehen?« und er sah ihr unruhig in das Angesicht.

»Nicht daß ich einen sagen könnte,« erwiderte Ilse.

»Dann also entschließ' dich kurz und komm mit. Wir würden uns freier fühlen, wenn wir dort nach eigenem Gefallen leben könnten, aber im Gasthof einer fremden Stadt sehe ich dich zu wochenlangem Aufenthalt auch nicht gern, und nach anderer Rücksicht befreit diese Aufnahme beide Teile vor Anbieten und Zurückweisen einer Entschädigung. Wir bleiben dort, solange ich nötig bin, und dann geht's doch nach dem Süden, soweit wir kommen. Es ist zuletzt nur Aufschub der Reise von wenigen Wochen.«

Als die zustimmende Antwort des Professors eintraf, berichtete der Kammerherr in Gegenwart des Hofmarschalls dem Fürsten. »Sorgen Sie dafür, daß der Pavillon so bequem als möglich eingerichtet wird. Zur Tafel aufgetragen wird im Pavillon zu der Stunde, welche der Herr Professor angibt.«

»Und wie befehlen Ew. Hoheit, daß die Fremden zum Hofe gestellt werden?« fragte der Hofmarschall.

»Das ist selbstverständlich,« versetzte der Fürst, »er hat das Vorrecht Fremder und wird gelegentlich zu kleiner Hoftafel eingeladen.«

»Aber die Frau Professorin?« fragte der Hofmarschall.

»Ah,« sagte der Fürst, »die Frau, es ist wahr, sie kommt mit.«

»Also,« fuhr der Hofmarschall fort, »zwei Gedecke im Pavillon, zwei Logenplätze, ein Lakai ohne Livree.«

»Das genügt,« entschied der Fürst, »das weitere wird sich finden. Wenn die Frau Professorin unsern Damen einen Besuch macht, so werden diese, wie ich annehme, die Artigkeit erwidern. Im übrigen wollen wir der Prinzessin nicht vorgreifen.«

»Was soll das mit der Fremden?« fragte der Hofmarschall vor dem Palais den Kammerherrn. »Sie kennen ja die Leute.«

»Wie man sich in fremder Stadt kennenlernt,« versetzte der Kammerherr. »Sie haben doch ihre Herkunft vermittelt?«

»Ich habe nur nach dem Befehl des Fürsten geschrieben. Der Professor ist ein Gelehrter von Ruf und durchaus Gentleman.«

»Aber was soll die Frau hier?«

Der Kammerherr zuckte die Achseln. »Er war wohl nicht ohne die Frau zu haben,« erwiderte er vorsichtig.

»Und doch lag dem Fürsten an ihr.«

»Ist Ihnen das aufgefallen?« fragte der Kammerherr, »ich habe nichts davon bemerkt.«

»Er tat, als ob sie ihm sehr gleichgültig sei. Und sie ist gewissermaßen ein Landeskind.«

»Sie wissen, daß der Fürst der letzte wäre, welcher die Rechte des Hofes aus den Augen läßt. Es ist kein Grund zur Sorge.«

»In jedem Fall muß die Prinzessin sogleich ihre Stellung nehmen. Diese Frau Professorin gilt für eine Schönheit.«

»Ich glaube, sie ist ebenfalls eine Frau von Charakter,« entgegnete der Kammerherr.

Der Professor erhielt den erbetenen Urlaub. Ilse traf die Vorbereitungen zur Reise mit einem feierlichen Ernst, der ihrer ganzen Umgebung auffiel. Sie sollte jetzt mit ihrem Gatten in die Nähe des Fürsten kommen, den sie aus der Ferne mit scheuer Ehrfurcht betrachtete. Ihr fiel schwer auf das Herz, daß der Sohn nie von dem Vater gesprochen hatte, und daß sie von dem erlauchten Herrn nichts weiter kannte, als Antlitz und Gebärde. Sie suchte alle Erinnerungen und alle Anekdoten zusammen, aber sein Wesen blieb ihr undeutlich, und sie fragte sich ängstlich: wie wird er sein gegen Felix und mich? Ist er ein Kreon oder ein Odysseus oder Agamemnon der Völkergebieter? Und sie setzte sich aus diesen Gestalten ein Bild zusammen, das ihr kein Vertrauen einflößte.

Während Felix die Bücher und Aufzeichnungen, welche ihm für die Reise unentbehrlich waren, zusammensuchte, stand der Doktor kummervoll im Zimmer des Freundes. Er war innig überzeugt, daß der Professor sich der Pflicht nicht entziehen durfte, die Handschrift zu suchen, und doch war ihm diese Einladung des Hofes nicht recht. Der schnelle Aufbruch aus wohlbefestigtem Leben ängstigte ihn und er sah zuweilen prüfend auf Frau Ilse.

Laura saß am letzten Abend neben Ilse und lehnte sich weinend an ihre Schulter. »Mir ist, als stünde mir Großes bevor,« sagte Ilse, »und ich gehe mit Furcht. Dich aber verlasse ich ohne Sorge um deine Zukunst, obgleich dein kleiner Trotzkopf mich zuweilen geängstigt hat. Denn ein anderer wird dir immer der beste Berater bleiben, auch wenn ihr euch wenig seht.«

»Ich verliere ihn zugleich mit dir,« rief Laura unter Tränen, »alles entschwindet, was meinem Leben Freude gewesen war. In dem Garten, den ich mir in der Stille angelegt habe, sind die Blüten mit der Wurzel ausgerissen, auch für mich kommt die bittere Zeit der Entsagung, und der arme Fritz, der ohnedies mit stiller Resignation umherläuft, wird ganz in seiner Einsiedelei verkommen.«

Sogar Gabriel, der die Reisenden nach der Hauptstadt begleiten und ihre Heimkehr aus der Ferne auf dem Gut des Vaters erwarten sollte, war in diesen Tagen aufgeregt und verschwand öfter während der Dunkelstunde im Hause des Herrn Hahn. Am letzten Tage brachte er vom Markt ein schönes Kunstblatt nach Hause, worauf ein Vogel von ungewöhnlichem Aussehen durch aufgeklebte bunte Federn gebildet war, mit der Unterschrift: Prachthahn aus Madagaskar. Gabriel schrieb dazu mit sauberer steifer Handschrift die freundlichen Worte: »Getreu bis an den Tod« und trug gegen Abend den Hahn in den Hausflur der Gegner. Man konnte dort ein Geflüster hören und ein Taschentuch sehen, welches über zwei betrübte Augen gewischt wurde.

»Es soll keine Anspielung sein auf den Namen dieses Hauses,« sagte Gabriel und hielt den Vogel noch einmal gegen den Mond, welcher durch das Treppenfenster seine Strahlen auf zwei traurige Gesichter herniederwarf, »aber es gefiel mir als Erinnerung. Denken Sie dabei an mich und die Worte, die ich darauf geschrieben habe. Denn Scheiden muß sein, aber es ist schwer.« Der ehrliche Junge fuhr nach seinem Tuche.

Dorchen nahm ihm das Taschentuch weg – sie hatte das ihre vergessen – und weinte sehr hinein. »Es ist nicht auf lange,« sagte Gabriel in seinem Schmerze tröstend. »Kleben Sie den Vogel in den Deckel Ihrer Truhe, und wenn Sie die Truhe öffnen und ein gutes Kleid herausholen, denken Sie an mich.«

»Immer,« rief Dorchen weinend, »ich brauche das nicht.«

»Wenn ich wiederkomme, Dorchen, sprechen wir weiter, wie es mit uns werden soll, und ich hoffe, es soll gut werden. Das Tuch, in das Sie geweint haben, soll mein Andenken sein.«

»Lassen Sie mir's,« bat Dorchen schluchzend. »Ich will's Ihnen nur sagen, ich habe Wolle gekauft und ich sticke eine Brieftasche. Die sollen Sie tragen, und wenn ich Ihnen schreibe, tun Sie meine Briefe hinein.« – Gabriel sah trotz seinem Kummer sehr glücklich aus, und der Mond blickte spöttisch herab auf die Küsse und Gelübde, welche gewechselt wurden.


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