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20. Kapitel.
Die Zerstörung der Ehrenfelsburg

Peter von Ehrenfels ahnte, daß ihm Gefahr drohe. Zu verschiedenen Malen hatte er von der Stadt die Herausgabe seines Unterhändlers Bodo gefordert, aber stets abschlägige Antworten erhalten. Indessen war er guten Muts, denn über Erwarten gelang ihm die Entfernung Heinrichs von der Lingenburg, und mit äußerster Klugheit wußte er den Ritter Ottokar so völlig mit sich auszusöhnen, daß dieser ihm, als er von der Lingenburg den Heimweg antrat, nach dem Ehrenfels das Geleite gab. Hedwig hatte zwar alles daran gesetzt, um ihren Bruder aus den Händen der Ehrenfelser Sippe zu befreien, aber Ottokar war von einer Halsstarrigkeit, welche sie nicht besiegen konnte, und sie mußte daher von jeder Einwirkung auf den Bruder abstehen, welcher seit Heinrichs Scheiden von diesem durchaus nichts mehr hören wollte, sondern sich ganz dem Einflusse Peters hingab. Mit Trauer sah die Schwester ihn in der Begleitung des neuen Bundesgenossen von der Burg reiten, und als sein Pferd auf der Zugbrücke einen Seitensprung machte, der den Ritter beinahe aus dem Sattel gleiten ließ, war sie versucht ihm nachzueilen, um ihn auf der Lingenburg zurückzuhalten.

Die Base Bertha empfing den Vetter Ottokar, der sich von ihr seit Jahren entfernt gehalten, mit gleisnerischer Freude; schnell hatte Peter sie verständigt, daß er über Heinrich und Hunold einen vollständigen Sieg davon getragen und in dem Herrn von der Lingenburg von jetzt ab einen unwandelbaren Freund und Verbündeten besäße. Verdrießlich war es ihm wohl, daß seine rechte Hand, der Ritter Bodo, im Kerker der Stadt Hameln schmachtete, aber mit Ottokar im Bündnis konnte er den Stadtleuten, sollten sie wirklich etwas Ernstliches gegen ihn unternehmen, erfolgreich widerstehen. Um Bodo selbst empfand er keinen Kummer, mochte dieser sehen wie er los käme; denn trotz seiner mehrfachen Aufforderungen an die Städte, ihm den Boten auszuliefern, dachte er keinen Augenblick, sich wegen dieses Mannes mit den Hamelnern einzulassen. Seit der Aussöhnung mit Ottokar empfand er diejenige Sicherheit in seiner Lage, die ihn schon seit langer Zeit nicht beglückte, und diese ließ ihn den ganzen Übermut eines Ritters überkommen, der kein Recht und kein Gesetz über sich achtete. Jedoch hütete er sich vor Ottokar davon etwas laut werden zu lassen, da er sehr wohl wußte, daß dieser auf seinen ehrlichen Namen stolz war und ihm nie gegen einen Feind zur Seite stehen würde, den er durch Raub und Hinterhalt zum Kriege gereizt hatte.

Froh in dem Gedanken, daß er mit Peter und Frau Bertha nach jahrelangem Fernbleiben sich wieder ausgesöhnt, kehrte Ottokar am nächsten Tage zur Lingenburg zurück. Am Fuße des Burgberges bemerkte er Hilda, welche, von ihrer Führerin Irma begleitet, aus einem der umliegenden Höfe zurückkam, wo sie eine kranke Bäuerin pflegte; einem Engel gleich erschien sie den Armen und Kranken der umliegenden Ortschaften, sie unterwies die Kinder, tröstete die Alten und pflegte die Kranken, und seitdem Irma der Mutter, welche oftmals kränkelte, zur Seite stehen mußte, hatte sich die Blinde gewöhnt, dem zahmen Wolf, der ihr an einem Leitseil zur Seite ging, zu folgen. Das Tier war ihr so treu und anhänglich und verrichtete die Führerdienste bei seiner Herrin mit einer so großen Klugheit, daß Irma, welche im Gefühl ihrer übergroßen Liebe für die Blinde sich für diese unentbehrlich hielt, auf den vierbeinigen Stellvertreter geradezu eifersüchtig wurde und dem Tier manchen Schlag hinterrücks erteilte, welcher es ihre Unzufriedenheit empfinden ließ. Aber die Blinde hatte ein feines Gehör, und merkte sie die Mißhandlung ihres Beschützers, so strafte sie das Mädchen, indem sie es heimschickte und mit der Begleitung des Tieres fürlieb nahm.

Wie eine Heilige ward Hilda in den Hütten der Armen verehrt, und wenn sie ihre Rundgänge in die Höfe antrat, so trug Irma in einem Henkelkorb Lebensmittel und heilsame Getränke, von welchen Hedwig stets Vorrat hatte. Wo sie erschien, herrschte froher Willkomm. Ihr Kommen ward den Bedürftigen und Siechen zu einem Fest, denn die Güte auf ihrem Antlitz, die Ruhe und Sanftmut, welche ihr Wesen atmete, verbreiteten einen hellen, sonnigen Schein überall, wo sie weilte. Dankbar ergriffen die Kranken ihre Hände, und mit Segenswünschen für das Burgfräulein entschlummerte mancher, dessen Dasein sie durch Nahrung und Pflege verschönert hatte, zu einem besseren Leben. –

Schon von fern hörte Hilda den Hufschlag des Pferdes, welches ihren Ohm trug. Der Wolf, welcher für heute seiner Führerdienste enthoben war, sprang dem Ankommenden entgegen und umkreiste das scheuende Pferd mit heiserem Bellen; die beiden Mädchen riefen ihm ein fröhliches Willkommen zu.

»Du kommst allein, Ohm! – Hast Du Heinrich nicht bei Dir?« fragte die Blinde mit trauriger Miene, zu Ottokar empor. »Die Muhme sagte mir, sicher käme er mit Dir zurück.«

»Heinrich ist ein Trotzkopf und hat sich zu meinen Feinden geschlagen,« erwiderte Ottokar erregt. »Er ging mit jenem Thunichtgut in die Stadt, der uns unsere Freundlichkeit und unser Obdach so schnöde lohnte.«

»Du thust mir weh, Ohm, wenn Du von dem Spielmann so schlecht redest,« erwiderte die Blinde eifrig. »Dein Herz ist es sicher nicht, welches ihn verdammt, und gebe Gott, daß er uns Heinrich und den Frieden zurückbringe. O, mein Ohm, was thatest Du, daß Du beide Freunde heimatlos machtest, und sie in die weite Welt gehen hießest. Möchten sie doch zurückkehren, denn mein Herz ist voller Traurigkeit, wenn ich denke, daß dem Vetter Heinrich Übles begegnen möchte.« …

Ihre Hand fuhr nach den geschlossenen Augen, aus denen helle Schmerzensthränen hervordrangen.

Ottokar zuckte nur die Achseln. Eben noch von der Freude über den freundschaftlichen Ausgleich mit Peter durchdrungen, traf ihn dieser Aufschrei Hilda's, die er über alles liebte, um so unvorbereiteter, als er während des frohen Beisammenseins auf dem Ehrenfels des vorangegangenen Zwistes nicht mehr gedacht hatte. Ärgerlich gab er seinem Roß die Sporen und jagte, ohne daß er sich nach seiner Pflegetochter umschaute, den Burgberg hinan. –

Mehre Tage waren vergangen, Ostern war eben vorüber, als spät in der Nacht ein Reiter vor der Burgpforte hielt und von dem Turmwächter dringend Einlaß begehrte. Er überbrachte die Nachricht an Ottokar, daß ein ansehnlicher Heerhaufe der Hamelner sich unter dem Ehrenfels gelagert habe und seinen Vetter und Bundesgenossen Peter mit ihrer Überzahl überrascht hatte. Das Stadtvolk, welches auch Belagerungswerkzeuge mit sich führe, schiene es auf eine ernstliche Berennung der Burg abgesehen zu haben, und so ließ er Peter, gedenkend des Bündnisses mit Ottokar, schleunigst um Hilfe ersuchen. Auch Ottokar war von dem Überfall der Städter überrascht; ihm war wohl bekannt, daß sie Bodo in der Stadt als Gefangenen zurückbehalten, aber Peter zieh die Städter der Treulosigkeit und der Gewinnsucht, denn nur um einen besseren Preis für das ihm schon überlieferte Getreide zu erzwingen, hielten sie den Ritter in Haft. So wenigstens hatte es Ottokar von ihm auf dem Ehrenfels vernommen, doch gab es ihm zu denken, daß die Bürger einen Streit anfingen, der nur nach reiflicher Erwägung ins Werk gesetzt sein konnte; war es ihm doch wohl bekannt, daß es den Bürgern von Hameln zu einer Rüstung an Geld mangelte! Wie feindlich mußte sich Peter ihnen gegenüber bewiesen haben, daß sie trotz der großen Schwierigkeit den Fehdezug begannen! Er hatte sich jedoch nun einmal in diesen Handel mit dem Vetter eingelassen und mußte jetzt die Folgen seiner Zusage tragen. Der Bote kehrte sofort nach dem Ehrenfels zurück, mit der Nachricht, daß binnen eines Tages ein Fähnlein Gewappneter zu Peter stoßen würde. Als er jedoch auf flüchtigem Pferde in der Morgendämmerung den Ehrenfels von ferne erblickte, leuchteten ihm die Flammen entgegen, in welche die stolze Veste schon während der Nacht aufgegangen war. – –

Herr Cornelius, welcher die Berennung des Raubnestes leitete, hatte den Ritter Peter zu dreien Malen aufgefordert, ihm die Burg für die Stadt Hameln zu übergeben, wogegen er dem Ritter, seiner Frau Bertha und allen Burgmannen freien Abzug und freies Geleit versprach. Bei der hereinbrechenden Gefahr erwachte in Peter jedoch der wilde Kriegsmut, der ihn im Frieden oftmals zu einem ungebärdigen Gesellen machte. Von dem hohen Turm herab rief er dem Abgesandten der Städter höhnende Worte zu, und ein Pfeil, welcher das Pferd des Unterhändlers streifte, zeigte Herrn Cornelius, daß ein jedes gute Wort nutzlos war, und daß der Ritter sich auf einen ernstlichen Kampf vorbereitet hatte.

»Den soll er auch haben,« hatte Herr Cornelius gesagt, und nachdem er die Burg von allen Seiten mit Reitern umstellt, die auf jeden fahndeten, welcher von der Burg zu entweichen suchte, hatte er vier Wurfmaschinen aufgerichtet, welche brennende Pfeile in das Raubnest warfen. Diese Geschosse waren mit Werg umwickelt und in Pech getaucht; angezündet wurden sie auf die Wurfmaschinen gelegt, welche sie vermittelst einer kräftigen Sehne auf das Dach der belagerten Burg schleuderten. In der Dunkelheit sahen die Ehrenfelser Krieger diese verderblichen Waffen in weitem Bogen durch die Luft fliegen, und es überkam sie eine Ahnung, daß den trefflich bewaffneten Städtern gegenüber ein Waffentanz ein gefährlicheres Unternehmen wäre, als der Überfall eines von wenigen Knechten geführten Wagenzuges. Wohl wehrten sich die Belagerten, und ganze Wolken von Pfeilen und ungeheuren Steinen wurden von oben auf die Städter herabgesandt, aber die trefflich bedienten Belagerungsgeräte führten Ritter Peter bald den ganzen Ernst seiner Lage vor Augen, und Verzagtheit ergriff ihn, als dichte Rauchwolken und das Freudengeschrei der Belagerer verkündeten, daß die höchsten Gebäude der Burg in Flammen ständen. An einen Versuch, die Flammen durch Wasser zu dämpfen, war nicht zu denken, denn seit Wochen hatte es nicht geregnet, und die Cisterne, welche der Burg das Wasser lieferte, war so weit ausgetrocknet, daß ihr Vorrat höchstens für einige Tage ausreichen mochte. Indessen wußte Peter sicher, daß, faßten ihn die Städter, ihm eine langjährige Kerkerhaft oder gar der Galgen gewiß war, denn er hatte zuviel auf dem Kerbholz. Jetzt entschloß er sich zu unterhandeln. Vor wenigen Tagen hatte er noch einen Zug reisender Kaufleute überfallen, und vier derselben, die das Lösegeld nicht zahlen konnten, lagen in Ketten in dem Burgverließ. Zwei von ihnen sandte er zu dem Herrn Cornelius, und versprach durch ihren Mund, Urfehde zu schwören wenn sie seiner schonten und von der Belagerung abständen.

Herr Cornelius aber empfing lachend diese Vorschläge Peters.

»Seid froh,« sagte er zu den Unterhändlern, »daß Ihr diesem Geier entkommen seid, – er fühlt sein Stündlein gekommen und möchte uns gern entrinnen. Aber dieses Mal haben wir ihn gefaßt, und halten ihn auch fest.«

Als die beiden Leute, welche er in das Lager der Städter gesandt hatte, nicht zurückkamen und die Belagerer, mit Sturmleitern bewaffnet, sich anschickten den Burgberg zu erklettern, ergriff Peter, im Gefühl seiner Ohnmacht, eine namenlose Wut. Er hieß die beiden Geiseln, welche ihm noch verblieben, aus dem Gefängnisse holen und auf den Wartturm schleppen. Den Unglücklichen waren die Hände gebunden und als sie oben auf den Zinnen des Turmes bebend standen, rief er ihnen von unten zu:

»Was zittert Ihr? Lachet doch und freut Euch; sende ich Euch doch zu Euren Freunden, den Städtern! Grüßet sie von mir, den Herrn Cornelius zu allermeist, berichtet ihm, daß der wilde Ehrenfelser sich nur schwer einfangen lassen wird. Eure Kameraden, denen ich die Freiheit gab, werden Euch draußen gut empfangen; so sagt ihnen, daß ich ihnen und Euch wohlwollte, denn Euch allen schenke ich das Lösegeld!«

Bei diesen Worten ließ er die beiden Opfer in die Tiefe hinabstoßen. Ein zwiefacher Aufschrei erschallte aus dem Lager vor der Burg und von dem Turme; die Greuelthat war geschehen.

Doch das Rachegefühl in dem Lager der Hamelner Bürger trieb die Belagerer zu verschärfter Thätigkeit an. Die Nacht war herabgesunken und der Feuerschein, welcher den Belagerern trefflich zu statten kam, machte den Himmel weithin rotglühen. Die Dienstmannen Peters konnten vor Rauch und Aschenregen kaum mehr atmen; die Flammen brachen bereits aus den Fenstern des Stockwerkes, welches Bertha bewohnte, die mutig und unverzagt mit ihren Frauen einen großen Teil der Kostbarkeiten, welche ihre Zimmer schmückten, vorher noch geborgen hatte. Sie zeigte sich als ein tapferes Weib, und mit Worten, welche den Mut der Krieger anfeuerten, teilte sie Nahrung und Wasser unter diesen aus. Jedoch unheimlicher und grauenhafter zuckte und züngelte die Flamme; der Hof ward zeitweilig mit Aschenregen überschüttet, und die Hitze in der Nähe der brennenden Gebäude war nicht zu ertragen. Peter tröstete sich damit, daß die Flammen von selbst aufhören würden, sobald die oberen Stockwerke nieder gebrannt waren, denn der Unterbau der Häuser bestand vollständig aus Steinen. Er täuschte sich jedoch in dieser Hoffnung, – eine gewaltige Feuergarbe schlug gen Himmel auf, und bis weit über die Weser war das Land, ein jeder Baum und jede Bodenerhöhung zu erkennen. Bei dieser Helle bemerkte Peter, daß die Burg von allen Seiten umstellt war und ein Entrinnen kaum möglich erschien. Er sah sich nach seinem Weibe um, um sich mit ihr zu beraten, was zu thun sei. Da züngelte noch einmal die Flamme so hoch, als wollte sie den Himmel berühren und ihre Lohe färbte die Wolken purpurrot; um Peter krachte und barst es; glühende Steine, brennende, auch verkohlte Holzstücke und heiße Asche fielen auf den Burghof nieder, und bei diesem Getöse ergriff ihn eine namenlose Furcht, so daß er zusammensank. Im nächsten Augenblick war er jedoch wieder auf den Beinen und entsetzt schaute er um sich. Das stolze, hohe Haus, von dessen Fenstern der Blick weithin über das Land flog – es war in sich zusammengesunken, und qualmende, rauchende Balken starrten verglühend zum Himmel. Die eichene Treppe mit dem massiven Gelände ragte allein noch hoch in die Luft, aber auch sie schwälte bereits und bläuliche Flämmchen hüpften auf den höchsten Stufen auf und nieder – ein Windstoß fachte die Glut zu hellem Feuer an und eine spitze Flamme züngelte zum Nachthimmel empor, von den Belagerern mit lautem Jubel begrüßt.

Peter betrachtete fast teilnamlos die Verwüstung um sich herum … Endlich kamen ihm wieder klare Gedanken … Die Burg war verloren, aber auch er, wenn er in die Gewalt der Städter fiele! Wo aber war Bertha, sein Weib, sein einziger Bundesgenosse, da ihn Ottokar ohne Hilfe seinen Feinden überließ? Es stieg ein Gefühl in ihm auf, wie er es nie gekannt, als wollte er weinen, seine Brust war wie zusammengeschnürt und ein lauter Angstschrei entrang sich ihm, als er dachte, daß Bertha unter dem Hause begraben sein könnte. Ihm schwindelte, denn er war nichts ohne sein Weib; jetzt erst, obschon er ihren Verlust nur ahnte, empfand er, was sie ihm in Stunden der Gefahr gewesen …

»Hinweg mit diesen Gedanken,« dachte er, indem er aus seinen Sinnen sich aufrichtete, denn die Gefahr war drohend. Ein Teil der Städter war schon vor dem ersten Burggraben angelangt und versuchte denselben zu überspringen. Peter eilte mit seinen Leuten dorthin, und wohlgezielte Pfeilwolken vertrieben die Waghalsigen. Während indessen die Aufmerksamkeit der Belagerten jetzt auf diesen Punkt hingelenkt war, hatte ein anderer Trupp Bretter und Balken heraufgeschafft und ging daran, die beiden Gräben zu überbrücken. Jetzt entsank den Verteidigern der Burg der Mut – eine Abwehr war nutzlos, und die sonst so verwegenen Streiter forderten von Peter die sofortige Übergabe des Ehrenfels an die Belagerer. Peter wußte, was seiner wartete; er dachte nur daran sich zu retten, denn auf Gnade hatte er nicht mehr zu rechnen, nachdem er den beiden gefangenen Kaufleuten ein so schmähliches Ende bereitet. Die aufgezäumten Pferde waren an der Burgpforte zusammengetrieben, und Peter heischte, indem er zum Schein sich bereit erklärte, mit den Feinden zu unterhandeln, daß man ihm das seinige brachte. Von zwei seiner Spießgesellen begleitet, welche den Herrn Cornelius und die Städter ebenso zu fürchten hatten, wie er, sprengte er durch die geöffnete Ausfallpforte und mit mächtigen Sätzen übersprang sein Roß die beiden Gräben, welche sich um die Burg herum zogen. Wie ein Dämon erschien er den Hamelner Kriegsknechten, welche seine Flucht aufhalten wollten; aber der schräg abfallende Berg beflügelte den Lauf des Rosses so, daß er es nicht zu zügeln vermochte und willenlos auf ihm in die Ebene hinabflog. Das treue Tier, scheu gemacht von dem Feuerschein, den Sporen des Ritters und dem abschüssigen Wege, den es hinabglitt, führte ihn wie eine Windsbraut dahin. Erschreckt hielten sich die Stadtknechte bei Seite; Pferd und Reiter schienen zusammengewachsen, und Feuer glaubten sie aus den Nüstern des dahinrasenden Tieres sprühen zu sehen.

Unten angelangt nahm ihn der Wald auf; der Morgen dämmerte, und das treue Pferd war auf das Äußerste erschöpft. Peter mußte ihm einige Ruhe gönnen, denn er gebrauchte seiner noch weiter. Er stieg ab, und wie das Pferd jetzt vor ihm stand, Schenkel und Brust in Schweiß gebadet, vor dem Maule weißen Schaum, dessen Flocken sogar die Flanken bedeckten, die Weichen voller blutender Risse, welche ihm die Sporen zugefügt, da regte sich in seiner Brust ein Fünkchen von Erbarmen; er pflückte ein Geißblatt und fuhr ihm damit über den ganzen Körper. Einen Augenblick schien er sich zu erinnern, daß er der Schnelligkeit des Pferdes sein Leben verdankte, und wie liebkosend griff seine Hand über den schlanken Hals des Rosses, der voller Schweißtropfen stand. Als ob er sich jedoch auf einer Ungehörigkeit entdeckt hätte, schüttelte er gleich darauf unwillig seinen Kopf; zuerst mußte er sich in Sicherheit wissen, dann konnte er anderer gedenken. Das Tier durstete, es fraß das Gras um sich herum, und als er es wieder besteigen wollte, erzitterte es und wandte den Kopf ihm zu, als bäte es ihn, ihm noch Ruhe zu gönnen. Aber die Gefahr spornte zu weiterer Flucht an, und er stieg wieder in den Sattel, – das Tier war jedoch nicht von der Stelle zu bewegen. Er redete ihm zu, streichelte es, schlug es dann wieder und bearbeitete es mit den Sporen. Umsonst jedoch, es drehte sich um sich selbst, und als die Sporen des wütenden Ritters sich nochmals tief in die Weichen des Tieres eingruben, stieg es kerzengerade in die Luft und schleuderte ihn weit hin, auf den weichen Waldboden. Peter lag eine kurze Zeit im hohen Waldgrase, er erinnerte sich der Jagd im Winter, als er zweimal denselben Weg durch die Luft nahm; knirschend vor Zorn stand er auf und sein Schwert fuhr dem edlen Tiere tief in den Hals. Ein dumpfes Stöhnen entfuhr dem Pferde und es lag entseelt am Boden.

Wohl fühlte er Reue über seine That, nicht etwa, weil er seinem Lebensretter so schlecht gedankt, sondern es überkam ihn jetzt das Gefühl seiner gefährlichen Lage. Die Städter, so sagte er sich selbst, haben inzwischen erfahren, daß er das Weite gesucht, und zweifellos würden sie suchen sich seiner zu bemächtigen! Er fühlte Hunger und Durst, doch die Angst trieb ihn vorwärts. Die Rüstung drückte ihn; im Walde unter den Bäumen ging kein Lüftchen und der anbrechende Morgen verbreitete Schwüle. Der Tau hatte den Grasboden benetzt, und die Eisenschuhe ließen ihn darauf hin und her gleiten; die Sporen faßten hier und da in das Gesträuch, und mehrere Male war er schon rücklings auf den Boden geschlagen. Der Gesang der Vögel war ihm widerlich, und das Rauschen des nahe liegenden Stromes konnte die Verfolger ihm ungehört nahe bringen. Verzweifelnd sah er sich um; er setzte sich auf eine Baumwurzel nieder und kurz entschlossen warf er alles ab, was ihm zur Flucht hinderlich war. Die Beinschienen, den Harnisch, den Helm, alles legte er neben sich auf den Wiesenboden hin, und die eisernen Schuhe nebst den Sporen warf er mit Ingrimm in das Gesträuch. Nur das Schwert behielt er bei sich und steckte es, bevor er es in die Lederscheide zurückdrängte, in den weichen Waldboden, um es zu reinigen. Das Blut seines treuen Rosses klebte noch daran.

Doch horch, Huftritt erschallt; er kommt näher und näher! Peter flüchtet ins Gebüsch, dessen Dornen ihm das Gesicht und die nackten Füße zerreißen. Er verbeißt den Schmerz, denn die Städter sind es, die ihm auf den Fersen sind, und der Tod am Galgen ist unritterlich und schmerzhaft. Sterben ist auch gar nicht seine Sache; ja, im Hin und Her des Kampfes, Schläge austeilen und empfangen, und wenn es gut ging, reiche Beute einzuheimsen, oder bei Gefahr Fersengeld zu geben – das hatte er gemocht und in dieser Wildheit war sein Leben verflossen. Er verwünschte seinen Vetter Ottokar; nur ihm gab er die Schuld, daß alles verloren; hätte der ihm zur Zeit Hilfe gestellt, so würden die Städter mit blutigen Köpfen heimgeschickt worden sein. Ob sein Weib Bertha wohl tot war? Einen Augenblick sann er darüber nach, und er fuhr mit der Hand über die Augen, als wollte er vor sich die Thränen verbergen. Aber damit war auch sein Empfinden erschöpft und er wußte sich zu trösten. »Sie lebt!« sprach er laut vor sich hin, und doch war er innerlich überzeugt, daß sie für ihn zeitlebens verloren war.

Jetzt hörte er ein Roß wiehern. Die Todesqualen, welche er empfand, indem er jeden Augenblick fürchtete seinen Feinden in die Hände zu fallen, waren nur eine kleine Strafe für seine vielfachen Missetaten. Eine Zeit lang lag er am Boden ausgestreckt, und das dichte Gebüsch bedeckte ihn, so daß ihn die Verfolger nicht erblicken konnten. Endlich wagte er aufzuschauen. Doch kaum traute er seinen Augen! Dicht vor ihm, auf dem Pfade, welcher den Wald durchkreuzte, trabte sein Bote daher, der von der Lingenburg zurückkehrte. Alle Todesfurcht war mit einem Male verschwunden, hurtig wie der Blitz erhob er sich, stürzte aus dem Gebüsch und fiel dem dahineilenden Pferde in die Zügel. Der Reiter glaubte einem Räuber zu begegnen und zog schon sein Schwert, als ihm Peter entgegendonnerte: »Elender, kennst Du Deinen Herrn nicht.«

Der Dienstmann ließ entsetzt sein Schwert fallen, denn erst die Stimme ließ ihn den Ritter erkennen. Mit zerrissenen Kleidern und mit gramdurchfurchten Gesichtszügen stand jener hohläugig vor ihm, den er als trotzigen Herrn einer festen Burg inmitten treuer und zahlreicher Dienstmannen verlassen!

Der Diener sprang vom Pferde und Peter stieg flugs in den Sattel. Mit einem kräftigen Schlag auf die Flanke drehte er das Tier der Richtung zu, woher es eben gekommen, und wie der Blitz waren Roß und Reiter im dichten Walde verschwunden.


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