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4. Kapitel.
Unterweges

Aufmerksam hatte Paulus der Erzählung Heinrichs gelauscht und oftmals aus der Nische ein frisches Holzscheit genommen, um die Flamme zu neuem Leben zu erwecken. Jetzt, da Heinrich fortfahren wollte, legte sich seine Hand auf die Schulter des Ritters.

»Nicht doch,« sagte er, »jedes Ding will seine Weile haben, heißt es in unsrer Gegend. Du wirst müde sein und der Mond steht hoch am Himmel, die neunte Stunde ist vergangen. Unsere Brüder haben allzusammen schon ihr Lager aufgesucht und auch uns ziemt es, dasselbe zu thun. Komm mit mir, ich werde Dich ins Fremdenhaus hinüber geleiten, dort wartet Deiner ein guter Imbiß und eine weiche Lagerstätte.«

Heinrich ergriff jedoch seine Hand und den sich von seinem Sitz Erhebenden auf diesen niederziehend, sagte er herzlich: »Ich denke nicht gegen die Klosterregel mich zu vergehen, wenn ich Dein Gemach heut Nacht mit Dir teile und auch« – setzte er lächelnd hinzu – »Deine Abendmahlzeit. Ein Trunk Wasser, ein Stück Brot und ein wenig von dem vorzüglichen Käse, den Ihr in dieser Gegend so wohlmundend bereitet, genügt mir hier, wo ich einen treuen Freund bei mir habe.« – – –

Die Sterne leuchteten am Himmel, als am Morgen die Glocke zur Frühmette ertönte. Hurtig erhob sich der Pförtner und nach kurzem Gebet, das er an dem kleinen Betpult, das seiner Lagerstätte gegenüber stand, verrichtete, ergriff er mit beiden Händen das gewichtige Schlüsselbund, um das Klirren des Eisens zu verhüten, denn Heinrichs regelmäßige Atemzüge verrieten, daß er noch weiterer Ruhe bedürftig war. In der Thür stehend, kehrte der Mönch nochmals um. Seine Augen erfaßten einen Gegenstand, der am Boden lag; goldgelb schimmerte es als Paulus diesen in der Hand hielt. Es war eine kleine Kapsel, die auf der Vorderseite arabische Buchstaben trug und, an einer goldenen Kette hängend, ein Talisman schien, wie ihn die Kreuzfahrer zu vielen Tausenden aus dem Orient in ihre Heimat gebracht hatten. Paulus schien diesen orientalischen Gebrauch nicht zu kennen; verwundert wandte er die Kapsel hin und her, und mußte wohl hierbei auf eine verborgene Feder gedrückt haben, denn mit einem hellen Klange wich die obere Schale der Kapsel von der unteren, und ein vielfach zusammen gefalteter Pergamentstreifen fiel zur Erde. Der Schläfer bewegte sich, und Paulus, errötend über seine Neugier, suchte des Streifens habhaft zu werden, der von einem Windstoß, welcher aus dem Kamin fuhr, ergriffen, durch die offene Thür der Zelle weit in den Korridor hinausgeführt wurde, und den danach haschenden Mönch bis zur unteren Treppe folgen ließ. Da endlich gelang es Paulus das Pergament in die enge Behausung hinein zu schließen, und die Kapsel zu sich steckend, ging er zum äußeren Thor um seines Amtes zu walten.

Einige Stunden später führte ein dienender Bruder das mutige Pferd des Ritters auf dem Klosterhofe auf und ab. Heinrich erschien in dem rundbogigen Portal, welches zum Hofe führte, das Barett mit der Feder auf dem Haupt, den goldgestickten Mantel über die Schulter gehängt, während hinter ihm her Paulus einen Esel trieb, dem jedoch der Schnee, in welchen seine dünnen Beine tief versanken, garnicht zu behagen schien. Lachend schirrte ihn Paulus zurecht, und trotzdem sich das Grautier recht widerspenstig zeigte, saß unser geistlicher Freund überraschend schnell im Sattel. Kunstgerecht zügelte er das Tier, das unter dem wuchtigen Schenkeldruck des Mönches lammfromm wurde und so schnell dem Ausgang des offenen Klosterthores zulief, daß Heinrich auf seinem Braunen dem Eselreiter kaum folgen konnte.

Vor dem Thore erstreckte sich die Budenstadt; Gaukler, Händler und anderes fahrende Volk machten mit dem Anpreisen ihrer Schaustellungen, ihrer Waren einen wüsten Lärm, und mancher, der dem Reiterpaare nachschaute, lachte über die komische Gestalt, welche der Mönch, dessen lange Beine beinahe den schneeigen Boden berührten, auf seinem Grautier machte. Nach und nach erstarb der Lärm, und die beiden Reiter befanden sich bald auf der Hamelner Landstraße, welche sich längs dem Weserfluß dahinzog. Stumm ritten sie nebeneinander, und stumm war auch die Natur um sie her. Der Schnee knirschte unter dem Tritt der Tiere, und wohin auch das Auge schaute, nur Schnee und Eis erblickte es meilenweit in der Runde. Dazu hatte sich der Horizont mit grauem Gewölk bezogen, so daß die Schneefelder mit dem Himmel zusammenzufließen schienen. Hier und da tauchte ein Wäldchen von Nadelholz auf; die Zweige der Bäume bogen sich unter dem Gewicht der Schneelast, die auf ihnen ruhte, und nur das Gekrächz von Dohlen-Scharen, welche, auf die Schneefelder sich bald niederlassend und wieder aufsteigend, die beiden Reisenden begleiteten, war das einzig Hörbare in dieser Wüste.

Nach längerer Zeit brach Heinrich das Schweigen.

»Ich dachte nicht, daß der Winter in Deutschland das Leben also absterben läßt,« sagte er mißmutig, »da lobe ich mir, in meinem Lande Italia, mein Vaterland Sicilien; dort läßt sich der Schnee auf den Abhängen des Etna nieder, aber sobald er auf die Ebene sinkt, hat ihn die Sonne hinweg gescheucht. Und wie dort Leben ist, ist hier der Tod. – Ich würde in dieser Wüstenei verkommen, müßte ich dauernd hier leben.«

»Gemach, gemach mein junger Freund,« erwiderte Paulus, welcher die Knien bis fast an den Sattel seines Esels emporgezogen hatte, da seine Füße tief in den Schnee tauchten; auch hier zu Lande scheint die Sonne; der lange und harte Winter aber stählt und kräftigt uns, macht uns auch geduldig, denn nur in Deutschland lernst Du Geduld und Stetigkeit, auch Ausharren im Unglück; der Welsche ist rasch und darum auch schnell verzagt.«

»Verzagt bin ich nicht,« erwiderte der Jüngling, »mir ist aber ein Leid widerfahren, so daß mich die öde Natur doppelt traurig stimmt. Das Pergament, welches, in einer goldenen Kapsel aufbewahrt, mir mein Anrecht auf mein deutsches Erbe sichern sollte, ward mir entwendet. Zwar liegen meine Ansprüche auf den Besitz meines Großvaters Erwin sonnenklar, und nur Niedertracht könnte sie mir streitig machen.«

»Ist dieses die Kapsel, die Du suchst,« versetzte der Mönch, indem er dieselbe aus der Tasche zog.

Jubelnd schwenkte Heinrich das Wiedererhaltene an der Kette in die Luft.

»Ich fand sie am Boden meiner Klause als Du schliefest,« nahm der Mönch in seiner ruhigen Weise wieder das Wort, »und hielt es für gut, sie zu mir zu stecken. Denn siehe, Deine Jugend traut zu viel und zu vielen; da Du der Menschen Tücke nicht kennst, solltest Du mit solch wichtigen Pergamenten vorsichtiger sein. Denn, liegen auch Deine Ansprüche so sonnenklar wie der Himmel über Sicilien, – sind Dir keine Beweise gegeben, so hoffe nicht auf Dein Recht.«

Nachdenklich hörte der Jüngling die Rede des Mönches, und die Kapsel demselben überreichend, bat er Paulus um Aufbewahrung dieses Erbstückes, womit der Mönch zufrieden war. Langsam trotteten Pferd und Esel die verschneite Straße dahin.

»Diese Kapsel,« so hub Heinrich an, »war das einzige Gut, was meine Großmutter Marianne, die Sarazenin, in die Ehe brachte. Der großmächtige Sultan Saladin, den die Ungläubigen den Großen und Gerechten nennen, hatte ihrem Vater dieses Amulet für einen ihm erwiesenen tapferen Dienst verliehen. Marianne hatte, bevor sie sich das Leben nahm, ihrem Sohn, meinem Vater, diese Kapsel um den Hals gehängt, und einen Pergamentstreif hinein gelegt, worauf sie Erwin ein letztes Lebewohl zurief. Das Weib, so stand darauf, ist des Mannes Krone, und ich habe so gelebt, daß Dein Name, durch mich, hell wie ein Edelstein strahlt.

Mein Vater zählte einige zwanzig Jahre, als man Erwin in Palermo begrub. Der Sohn glich nicht seinem Vater, denn so gewaltig Erwin als Kriegsmann war, so ruhig und bedachtsam lebte jener dahin, im Genusse des von seinem Vater Ererbten. Er war ganz Italiener geworden, und haßte beinah die Deutschen. Am Hofe des prachtliebenden Friedrich II. war er ein gern gesehener Gast, denn wie sich dort Morgenland und Abendland trafen, um die Geistesschätze mit einander auszutauschen, so war er einer von denen, die in vielen Sprachen den Ruhm des Kaisers besangen, und welche am Hofe des großen Hohenstaufen durch Reichtum und Weltbildung eine bedeutende Stellung einnahmen.

Am Hoflager des Kaisers war indessen wenig Ruhm einzuheimsen, und so benutzte mein Vater die vielen Feldzüge, welche der Sohn Heinrichs VI. gegen die vom Papst aufgestachelten italischen Städte unternehmen mußte, um auch als Kriegsmann seine Tüchtigkeit zu zeigen. Aber bald widerte ihn dieses Leben an, und da er wegen seines Stolzes sich wenig Freunde am Hofe erworben hatte, und ferner der Glanz des kaiserlichen Hofes infolge vielfacher kriegerischer Widerwärtigkeiten erblich, so zog er sich gegen Ende der Regierungszeit Friedrichs in ein Kloster zurück, um in Beschaulichkeit seinen Wissenschaften zu leben. Da hörte er jedoch, daß sein kaiserlicher Herr dem Ansturm seiner Feinde nicht mehr standhalten könne. Am 18. Februar 1248 wurde dem sieggewohnten Herrscher von den Italienern bei der Stadt Parma eine so furchtbare Niederlage beigebracht, daß nicht nur sein gesamter Schatz, seine Lagergeräte und ein Teil der Reichskleinodien an die Lombarden verloren gingen, sondern auch sein ganzes Heer sich auflöste, und Friedrich selbst sich nur durch die Flucht mit genauer Not der Gefangenschaft entziehen konnte. In diesem Augenblick der Not fühlte mein Vater, daß er eines deutschen Vaters Sohn sei. Die Treue, eine dem Italiener fremde Tugend, hieß ihn, seinem Herrn in der Bedrängnis beizustehen, und trotz seines Grauens vor dem Kriegshandwerk schloß er sich dem Sohne Friedrichs II., dem ritterlichen Enzio an, der mit einem schnell geworbenen Heere den siegenden Italiern herzhaften Widerstand leistete. Aber das Glück schien den großen Kaiser verlassen zu haben; im Mai 1249 fiel Enzio in einem Treffen bei Fossalta in die Gewalt der Bolognesen, und mein Vater, der den Kaisersohn nicht verlassen wollte, teilte mit ihm das Gefängnis und wie es schien ewige Kerkerhaft.

Drei Jahre verweilte mein Vater bei dem unglücklichen Gefangenen; im ersten Jahr seiner Gefangenschaft war auch sein edler Kaiser Friedrich, im Unglück stets groß, besiegt, aber nicht gebeugt, von einer plötzlichen Krankheit dahin gerafft worden. Als mein Vater aus seiner Haft entlassen wurde, war ihm die Welt fremd, der Hof des großen Staufers zerstreut, und der mannhafte Sohn Friedrichs, Manfred, ein Prätendent, der seine Rechte auf den Thron seines Vaters mit dem Schwert in der Hand erst erkämpfen mußte. Bis dahin hatte mein Vater seine Ehelosigkeit nicht empfunden, doch die Einsamkeit auf seinen italischen Schlössern war ihm nun fürchterlich. Jetzt erinnerte er sich seiner großen Güter in Deutschland, und nachdem er sein Haus auf Sicilien bestellt, ging er über die Alpen und gelangte bis hier in diese Gegend. Er übertrug die Besitztümer, die ihm von Erwin zugefallen waren, als Lehen an seinen Vetter Ottokar von Lingenburg, den ich Onkel nenne, und an eine Base, die sich später mit dem Ritter Peter von Ehrenfels verheiratete, indem er sich jedoch Verfügung über sein Eigentum jederzeit vorbehielt.«

»Somit bist Du der Herr des vermeintlichen Eigentums jener,« warf hier Paulus ein, der bis dahin aufmerksam zugehört hatte.

»Jawohl,« erwiderte Heinrich, »mein sind die Burgen und die Güter beider. – Hier, an dem Weserfluß, war es, wo mein Vater diejenige kennen lernte, die meine Mutter wurde. Im Winter des Jahres 1258, – mein Vater näherte sich bereits dem Alter, – befand er sich auf der Eberjagd, vielleicht sogar in diesem Revier. Er hob seinen Jagdspieß gegen ein wild auf ihn anstürmendes Wildschwein, um es jagdgerecht abzufangen, aber ein Baumstamm machte den Ritter straucheln, und der Spieß entfiel ihm.

Das gereizte Tier ließ sich auf den Wehrlosen nieder, um ihm durch die Hauer seine Wut fühlbar zu machen, als eine Maid, groß und blond, wie hier die Leute in Eurer Gegend sind, zufällig erschien und den Speer ergreifend, denselben mit Todesverachtung in den Kopf des Wildschweines versenkte. Der dankbare Mann wählte dies Mädchen zu seiner Gemahlin.

Die Sippe meines Vaters durfte die ungleiche Heirat desselben nach den Ansichten deutschen Herkommens nicht billigen, aber der gereifte Mann, welcher sich auf seinen weiten Besitzungen in Italien so einsam fühlte, und gern ein Wesen um sich haben mochte, dem er vollends vertrauen konnte, ließ sich durch das Abmahnen seiner Verwandten nicht beirren. König Manfred, welcher in Palermo, im August 1258 zum König von Italien gekrönt worden war, erhob meine Mutter, welche bäurischen, aber freien Herkommens war, in den Adelstand, mein Vater heiratete Elsbeth noch in demselben Jahre, und um's Jahr 1260 wurde ich geboren.

Ich kannte indessen meine Mutter kaum, denn ein Fieber, wie es in Italien für Menschen aus dem Norden fast immer tödlich ist, raffte sie drei Jahre später hinweg. Mein Vater war, obgleich ein Siebziger, jung an Leib und Seele geblieben. Das Jahr darauf führte er eine Griechin als seine Frau und für mich als Mutter ins Haus. Auf mich war indessen von dem Tage meiner Geburt an deutsches Wesen übergegangen, und meine Stiefmutter Irene war nicht die Frau, um mein Herz zu gewinnen. Sie unterwies mich auf griechische Art, und sie machte aus einem Wildfang, der ich war, einen gesitteten, lernbegierigen und wohlerzogenen Knaben. –

Anfangs 1266 erlag König Manfred bei Benevent dem andrängenden Franzosenheere unter Karl von Anjou. Wenige Wochen darauf brach das Blutgericht über die Anhänger Manfred's los; der Sieger Karl wütete gegen die ghibellinische Partei Die dem deutschen Kaiser ergebene Partei, im Gegensatz zu Guelfen, den päpstlichen Anhängern. auf das Schrecklichste. Mein Vater starb, im Leben ein wenig ritterlicher Mann, im Tode aber ein Held, als ein überzeugter Anhänger der Hohenstaufen, auf dem Blutgerüst. Sein Weib behielt jedoch die Güter, und, indem sie alles Deutsche haßte, empfand sie auch für mich gar wenig Zuneigung. Sie lebte als eine reiche, vornehme Dame auf dem Schloß am Meere, welches mir durch seine Erinnerungen so teuer geworden, und da sie vor nicht langer Zeit Willens war eine neue Ehe einzugehen, so suchte sie sich meiner zu entledigen, indem sie mir diese Kapsel, welche die Dokumente über meinen deutschen Besitz enthält, als Vermächtnis meines Vaters übergab, und mich aufforderte gen Deutschland zu ziehen, um mein Erbe in Besitz zu nehmen. So bin ich, begleitet von zwei Dienern, hinausgeritten vom sonnigen Italien, über die schneeigen Alpen in vielfacher Lebensgefahr, aber stets beschirmt durch die Gnade Gottes und durch die Fröhlichkeit der Jugend, die mich durchströmt.« –

Während dieser Erzählung hatte sich der Himmel in ein tiefes Grau gehüllt und dichte Schneeflocken rieselten hernieder. Der Mönch schwieg und schien in tiefes Nachdenken versunken; Heinrich, der von Seiten seines Begleiters eine Ansprache erwartete, sah sich hierin getäuscht und fröstelnd zog er den während des Sprechens heruntergesunkenen Mantel hoch über die Schulter.

Da spitzte das Grautier plötzlich seine Ohren, und kein Zureden seines Reiters vermochte es zum Weitergehen zu bewegen. Heinrich, der nicht darauf achtete, daß Paulus zurückblieb, wendete, einige zwanzig Schritt bereits von ihm entfernt, erstaunt sein Pferd, als mit einem Male ein mächtiger Keiler, welcher aus dem dicht verschneiten Walde, durch den der Weg soeben führte, hervorschoß, seinen Weg durch die Beine des Esels nahm, und zwischen den Bäumen verschwindend, das entsetzte Tier mit seinem Reiter zu Fall brachte. Flugs war Heinrich aus dem Sattel, um seinem Freund auf die Füße zu helfen, doch war dieser, welcher ernst lächelnd sich von der Überraschung erholte, schon wieder auf seinen Beinen und machte sich eben daran den Esel wieder aufzurichten. Dieser jedoch war, da er wohl eine Tracht Prügel befürchtete, von selbst sich erhebend, mit lautem Geschrei in den tiefen Schnee des Waldes geflüchtet und bald den Blicken des Mönches entschwunden. Ratlos stand dieser da, dem Flüchtling nachschauend, während Heinrich, dem dieses Vorkommnis höchst belustigend erschien, herzlich zu lachen anfing.

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»Laß ihn nur fliehen,« meinte er, »der Hunger wird ihm schon den richtigen Weg zum Stall wieder weisen. Nun aber besteige Du mein Pferd, das Dir eher geziemt wie mir, denn ehedem mußt Du ein prächtiger Kriegsmann gewesen sein.«

Der Mönch strich ernst seinen Bart: »Was ehedem war, das wollen wir begraben sein lassen; heut bin ich dienender Bruder, der Demut gelobt hat. Besteige Du das Roß, und ich werde Dich auf die Lingenburg führen. Der Weg ist nicht mehr weit, und wir kommen noch zu guter Tageszeit dorthin.

Einen Widerspruch gab es nicht, und Heinrich fügte sich der Vorschrift des Mönches, obwohl es ihm großes Unbehagen bereitete, daß der ältere Mann ihn gehend geleiten sollte.

Da ertönte ein heller Pfiff. Beider Augen wandten sich der Richtung zu, nach welcher der Esel Reißaus genommen hatte, und sie erblickten einen Jäger, welcher den willig folgenden Esel am Leitseil führte. Die Gestalt erregte ihre ganze Aufmerksamkeit. Der Mönch meinte einen Dreißiger vor sich zu sehen, der ohne sichtliche Mühe den tiefen Schnee durchwatete, während Heinrich den Frohsinn und die Keckheit bewunderte, die sich in dem Gesicht des Nahenden wiederspiegelte. Der Ankömmling trug ein dicht anliegendes Wams, wie es Jägerart war, und die Mütze, welche seinen Kopf bedeckte, ward durch eine Hahnenfeder geziert, die den Eindruck des Zuversichtlichen und des Selbstvertrauens noch verstärkte. In der Hand trug er einen Spieß, dessen er sich ab und zu bediente, um mit seiner Hilfe sich über tiefe Schneegründe hinwegzuheben, so daß das Grautier ihm nur zur Seite bleiben konnte, wenn es hurtig nebenher trottete.

»Gott Grüß Euch, ehrwürdiger Vater«, tönte sein wohllautender Gruß dem Mönch entgegen, »und auch Euch gilt mein Gruß, junger Herr, der Ihr wohl nicht gewohnt seid in der Januarkälte umher zu jagen, denn gar frostig und mürrisch schaut ihr darein.«

Heinrich klang es wie Spott und unwillig hob er sich im Sattel. Da erblickte er ein Saitenspiel, welches der Jäger über dem Rücken trug.

Dieser jedoch schien den Ärger des Jünglings zu übersehen, und den Esel nach sich ziehend sagte er:

»Ehrwürdiger Vater, fast geht es mir umgekehrt, wie dem Sohne des Kisch. Denn Saul wurde ausgeschickt um seines Vaters Esel zu suchen und fand eine Königskrone. Ich zog aus um der Jagd zu pflegen, und fange einen Esel, der wohl Euch entlaufen ist.«

Der Mönch ergriff das Leitseil seines Grautieres und sagte scherzhaft:

»Wohl scheint Ihr eher die heilige Geschichte studiert zu haben, als die Geschicklichkeit den Spieß zu handhaben.« Heinrich aber setzte hinzu: »Also Ihr wäret es, der das Wildschwein auf uns hetzte, und unseren ehrwürdigen Paulus zu Falle brachte.«

Der Angeredete nickte wohlgelaunt dem Jüngling zu. »Sonst,« sagte er, indem er Paulus in den Sattel half, »entgeht meinem Spieß so leicht kein Tier des Waldes, doch heute preise ich mein Glück, daß ich das Wildschwein fehlte, sonst wäre ich nicht des Vorzuges teilhaftig geworden euch zu treffen.«

Die höfliche Rede des Jägers verfehlte ihre Wirkung nicht. Paulus, der zum Dank für das Einfangen des Esels dem Ankömmling mehrere Male die Hand geschüttelt hatte, fragte ihn nach seinem Ziele, und Heinrich, dem das ungezwungene Wesen des Mannes mit der Hahnenfeder sehr zusagte, mochte gern wissen, welcher Herkunft er sei. Da er aber seine Neugier nicht verraten wollte, so lud er den Ankömmling ein, indem er selbst vom Pferde stieg, den Weg weiter mit ihnen fortzusetzen, hoffend, daß bei fernerem Zusammensein er ihn näher kennen lernen würde. Der Jäger indessen schien den Gedanken des Jünglings zu erraten. »Ich danke Euch, edler Jüngling und Euch ehrwürdiger Vater, daß Ihr mit Eurem Gespräch meinen Weg verkürzen wollt; wohl habe ich sonst eine Begleiterin, die stets mich wohl zu unterhalten weiß. Es ist die Frau Musika, der ich diene, denn ich bin ein Sänger; ich gehöre, wie die Großen der Welt es nennen, zum fahrenden Volke. Ich liebe Klöster, ich liebe die edlen Mönche,« so wandte er sich zu Paulus, indem er seine Hand auf den Kopf des vorsichtig ausschreitenden Tieres legte, »denn das Haus Gottes giebt mir Obdach und Nahrung, und die Bewohner lehrten mich das Saitenspiel und edle Weisen. Wenn ich auf die Burg vornehmer Ritter komme, so, junger Herr, ist der Frauen Ohr mir wohlgeneigt. Ich bringe ihnen Neuigkeiten, ich lehre ihnen den Tanz, und beim heiteren Mahle und namentlich bei fröhlichem Hochzeitsschmaus werde ich hochgeehrt. Hier im Norden sind zwar die Männer ein gar stolzes und unzugängliches Geschlecht; am weinreichen Rhein und auf dem Wege, der ins Alpenland führt, sind die Menschen frohgemuter, offener und für die Künste zugänglicher. Aber den holden Frauen komme ich überall gelegen, und wo ich mein Saitenspiel ertönen lasse, oder wo meine Pfeife lustige Weisen zum Tanz erschallen läßt, sind die Herzen mein.«

»Oho,« sagte Paulus, »mein Herr Sänger, Bescheidenheit scheint Eure starke Seite nicht zu sein.« Heinrich aber gefiel diese Selbstschätzung des Sängers, und indem er seine Hand über das Saitenspiel desselben, fahren ließ, und ihm einen tönenden Accord entlockte, sagte er: »Wenn Euer Spiel gleich Euren Worten tönt, so mag ich Euch Meister nennen. Wie ist Euer Name?«

»Hunold,« erwiderte der Gefragte, indem seine Hand nach einem Beutel griff, der ihm zur rechten Seite hing. Eine unscheinbare, schwarze Pfeife zog er daraus hervor, und dieselbe an die Lippen setzend, wußte er ihr so wundersame Töne zu entlocken, daß, ohne es zu bemerken, der Mönch sowohl wie auch Heinrich ihre Tiere anhielten und dem fahrenden Sänger zuhörten. Dieser jedoch schritt ihnen vorauf und bald nahmen seine Füße einen tanzenden Gang an, sein Körper wiegte sich hin und her und die Töne, welche er seinem Instrument zu entlocken wußte, wurden so unwiderstehlich süß, daß die Tiere ihm willenlos zu folgen schienen, und auch Heinrich sich darein ergab, indem er von seinem Pferde mit fortgerissen wurde. So waren sie eine Zeit lang weiter gezogen, der Himmel dunkelte bereits, der Schnee wirbelte in großen Flocken hernieder und der Weg wurde immer schwieriger. Da brach Hunold mit einem Male sein Flötenspiel ab; der Wald hatte sich gelichtet und vor ihnen breitete sich, zu Eis erstarrt, der Weserstrom aus, welcher hier eine Biegung nach Norden macht. Am andern Ufer, auf hohem Fels, lag die Lingenburg.

Wie aus einem Schlafe rüttelten sich Paulus und Heinrich gemeinsam auf. Der Jüngling sah bewundernd zu Hunold auf, der mit fragender Miene vor dem Mönch stehen blieb, indem er die Pfeife in den Leinewandbeutel steckte.

»Hunold, Ihr seid ein Zauberer, denn Ihr habt es vermocht, daß ich wachend träumte und durch den Ton Eurer Pfeife gemahnt, früherer Zeiten gedachte,« sagte Paulus freundlich zu dem fahrenden Mann.

»Auch mir ging es so«, fiel Heinrich ein, »und wunderbar, wenn ich Euch betrachte, so erinnert Ihr mich an einen Retter in der Not, der mich und meine beiden treuen Diener mit Hilfe von zwei mächtigen Hunden einst dem Verderben entriß. Es war,« so setzte er zu Paulus gewendet hinzu, »vor wenigen Wochen, als ich von Italien kommend, mit meinen zwei Dienern die Alpen überstieg. Wir waren im Thal gewarnt worden, vor des Winters Tücke auf den Bergen, aber die Unbedachtsamkeit der Jugend, die oftmals weisen Rat verschmäht, ließ uns den Übergang wagen. Unwegsam war der Steg; Schnee und Eis stellten sich uns entgegen, ohne uns jedoch abzuschrecken, und unser Mut wuchs mit der Gefahr. Aber wir sollten hart bestraft werden für unseren Übermut, denn die Nacht überraschte uns; unbekannt mit dem Wege, waren wir von dem richtigen Pfade abgewichen, und der heulende Sturm drohte uns in die Abgründe hinabzuwehen. Dazu gesellte sich ein Schneetreiben, wie wir es noch nie erlebt, und ohne Obdach, von der Kälte gelähmt und vom Hunger geplagt, ergaben wir uns in unser Geschick, und dachten unser letztes Stündlein wäre gekommen. Da nahte sich unserer die Rettung in der Gestalt eines Hundes, der tief im Schnee sich bewegend, an einem Halsbande eine Glocke trug, und dem ein zweiter folgte, dessen wiederholtes Gebell einen Mann herbeilockte, der an einem Stabe dahin schreitend, einen grauen Mantel trug, so daß ich seine Kleidung nicht erkennen konnte. Es war unterdessen Nacht geworden und der runde bleiche Mond glänzte hoch am gestirnten Firmaments, und die Felsengrate erhoben ihre scharfen Zacken gegen den tiefblauen Himmel. Das Gesicht des Bergbewohners, erschien mir älter, als dasjenige von Hunold, aber ähnlich, meine ich, waren sie sich und je mehr ich unseren fahrenden Sänger betrachte, so glaube ich, ihn als den wieder zu erkennen, welcher uns des Nachts in eine schützende Hütte geleitete, und uns bei grauendem Morgen den richtigen Weg wies.«

Paulus sah mit festem Blick in Hunolds Auge; dieser jedoch wich dieser Prüfung aus, und sagte, indem er sich gegen Heinrich wandte: »Ihr werdet noch manchen treffen, der mir gleicht, und wer auch Euer Retter gewesen sein mag, ihm seid Ihr keinen Dank schuldig. Gottes Gnade hat Euer Ende für ein ander Mal aufgespart, Ihr solltet nicht im Schnee sterben; jedenfalls ist Euch dereinst ein seligeres Ende bestimmt.«

Heinrich sah ihn fragend an, doch seine Aufmerksamkeit mußte er jetzt dem Überschreiten des Flusses zuwenden, der, bevor er ganz erstarrte, große Eismassen mit sich geführt hatte und diese bei seinem vollständigen Einfrieren gefangen hielt. Ungeheure Klippen machten deshalb den Übergang zu einer nicht unbedeutenden Gefahr, und nur mit Mühe erreichten die Reisenden mit ihren Tieren das Schloß Lingenburg.


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