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2. Kapitel.
Im Klosterfrieden

Der Klosterhof lag einsam und öde da, nur die Schneedecke, die den sonst wenig ebenen Sandplatz so ausgefüllt hatte, daß er gleichmäßig aufgeworfen erschien, erzählte durch ihre Spuren von Sohleneindrücken und Pferdehufen, die zu dem Hauptthore hinausführten, daß soeben hier eine Reitergesellschaft den Hof verlassen haben mußte. Nun war der Hof wieder verwaist, nur von außen her erschallte der Lärm, den die Verkäufer mit den Anpreisungen ihrer Waren machten; mancher Schrei wurde vernommen, den mutwillige Burschen ausstießen, wenn ihnen ein besonders schlechter Streich geglückt war und auch öfters mochte wohl ein Wehegeheul ertönen, von denen, die beim Diebstahl ertappt wurden und die, bevor die Stadtwache sie schützen konnte, der Wut der Menge zum Opfer fielen. Denn vor den Thoren des Klosters breitete sich ein großer Markt aus; die Feier des Neujahrtages hatte viele Händler herbeigezogen, die ihre Waren, welche sie schon oft von einem Markt zum andern geschleppt hatten, hier los werden wollten. Von den Ufern des Rheins waren die Cölner Kaufleute mit Tuchen gekommen; aus Regensburg und Speier, besonders aber aus Augsburg hatten sich die Händler eingefunden, die zierliche Gerätschaften aus edlem Metall feil boten, kostbare Spezereien und orientalische Waffen und Zeuge, denn die Kreuzzüge hatten die Erzeugnisse des Morgenlandes den Abendländern in großen Mengen zugewandt, und schöne gewirkte Teppiche, kostbar geschmückte Trinkhörner, deren Zierrat den fremdartigsten Geschmack offenbarte, waren schon in Deutschland über ein Jahrhundert bekannt. In den Königspfalzen, sowie auf den Burgen der Ritter, denen ein gütiges Geschick die Rückkehr aus dem Morgenlande in die Heimat verstattete, waren die Erzeugnisse orientalischen Gewerbefleißes sehr geschätzt; zu jener Zeit noch um so mehr, als wohl der größte Teil aus selbstgemachter Beute bestand, die unter unsäglicher Mühe, unter steter Lebensgefahr, aber mit deutscher Zähigkeit von den Gestaden der Levante bis in die norddeutsche Ebene geschleppt worden war.

Von dem Turm der Klosterkirche ertönte das Mittagsleuten. In einzelnen Gruppen eilten die Mönche, die Kapuze der Kutte tief ins Gesicht gezogen, über den Hof, um durch den offenen Kreuzgang rechtzeitig in den Speisesaal zu kommen, denn Pünktlichkeit war gefordert, und wer nicht rechtzeitig dem Gebote der Mittagsglocke folgte, hatte, war er nicht durch dienstliche Pflichten behindert oder entschuldigt, Strafe zu erwarten, die sogar auf die Entziehung der Mahlzeit ausgedehnt werden konnte.

Lächelnd sah Paulus, der eben aus dem Kreuzgang in den Hof trat, den Vorübereilenden nach; ihm, dem ruhigen und in sich abgeschlossenen Mann schien eine jede Eile Verwunderung zu erregen. Um seinen Gürtel schlang sich ein Riemen, an dem eine lederne Tasche hing, in die er, mitten auf dem Klosterhofe stehend, tief hinein griff, und – als ob sie auf ihn gewartet hätte, stürmte eine buntgefiederte Schar von den Dächern der umliegenden Klostergebäude auf ihn ein und im Nu ruhten auf seinem Rücken, auf den Schultern und den Armen Tauben aller Art, die von ihm ihre tägliche Nahrung mit ungestümen Flügelschlag und anhaltendem Gurren verlangten. Mit heiterem Blick schüttete er den Inhalt seiner Tasche vor sich auf den Boden. Im Umsehen war er von seinen Freunden befreit, die sich gierig auf das Futter stürzten, um es im Verein mit diebischen Sperlingen, deren Gezwitscher fortdauernd noch Kameraden herbeirief, zu verzehren. Nur ein zierliches kohlschwarzes Ding hielt sich noch auf der Schulter des Mönches; mit klugem Auge musterte es die Scene, die sich vor ihm aufthat und schien seine Freude an dem Streit der Tiere zu haben, der sich bei den letzten Brosamen entspann. Ein Star war es, dem man damals menschliche Vernunft andichtete und auf dessen Abrichtung viel Zeit und Mühe verwandt wurde.

Von einem der Kreuzgangbogen sah Heinrich dieser Scene mit innigem Wohlgefallen zu, und lautlos über den Schnee gehend, stand er hinter Paulus, ohne daß dieser seine Nähe bemerkte. Er konnte eben noch die Unterhaltung hören, die der Mönch mit seinem so klug dareinblickenden Freunde pflog, und die sofort aufhörte, als Paulus den Ritter hinter sich bemerkte. Er wandte sich unwillig um und fragte Heinrich stirnrunzelnd, was sein Begehr sei.

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»Ich suchte Euch, ehrwürdiger Paulus, in dem Speisesaal; verzeiht, wenn ich Euch in der Fütterung Eurer Schutzbefohlenen störe. Wünscht Ihr, daß ich gehe,« setzte er zögernd hinzu, als er sah, daß der Mönch ein wenig Futter in den Mund nahm, von dessen Lippen es der Star vorsichtig wegpickte.

Paulus machte eine verneinende Bewegung.

»Ich folgte Euch, weil ich Euren Namen allein in diesem Kloster kenne und weil ich Euch verehre, denn aus Euren Mienen spricht Demut, Kraft und Entschlossenheit, und Euer Wesen sagt mir, daß Euch das Ritterhandwerk nicht fremd sei. Ich bin jung, aber viel über mein Alter erfahren und darum weiß ich, daß Menschen, die Barmherzigkeit gegen Tiere ausüben, gut und vertrauenswürdig sind.«

»Die Fütterung der Tiere ist meine Pflicht,« entgegnete der Mönch trocken.

»Aber das wissen die Tiere nicht; die Geschöpfe Gottes fühlen sehr wohl, daß Ihr Euch jener Pflicht mit innerer Freudigkeit hingebt, und wer, so wie Ihr, sich mit den Tieren der Wälder verständigen kann, der spricht eine Sprache, die auch über die ganze Welt von allen guten Leuten gesprochen wird, die Sprache des Herzens.« –

Der Mönch stülpte sich seine Kapuze über den Kopf und zog sie soweit herab, daß fast die Augen verdeckt wurden; der Star aber nahm auf seinem Kopfe Platz und schrie von dort hintereinander dem Ritter: »Paulus, Paulus,« zu.

»Ich biete Euch, ehrwürdiger Vater, meine Freundschaft an; ich bitte um Euren Rat, denn ich bin mit Euren Sitten hier zu Lande nicht vertraut und gebrauche eines weisen Führers, dem ich mein Herz ausschütten, und den ich um Rat angehen kann. Seid Ihr es mir,« bat er den Mönch eindringlich, indem er seine Arme wie beschwörend erhob, »denn ich fühle Freundschaft und Vertrauen zu Euch.«

»Nicht hier, nicht hier,« erwiderte wie abwehrend der Mönch, »kommt nach dem Vespergeläut in meine Zelle, dort werde ich Eurer warten.« –

Die Dunkelheit war hereingebrochen und der Mond glänzte in voller Scheibe vom tiefblauen, gestirnten Winterhimmel, eine kalte Nacht verheißend. Von der hell erleuchteten Kirche her war eben noch der fromme Gesang des Vespergottesdienstes durch die nur matt beleuchteten Klostergänge erklungen und der Lärm, welcher während des Tages über die Umfassungsmauern von der Straße her erscholl, war verstummt. Eine heilige Ruhe war über die ganze Klosterstadt gebreitet und die Natur selbst schien an diesem Frieden Wohlgefallen zu finden, denn der scharfe, kalte Wind, welcher des Tages über wehte, hatte sich gelegt und war dafür einer ruhigen, aber desto fühlbareren Kälte gewichen.

Paulus schritt, mit einer Kienfackel den Weg vor sich erleuchtend, über den Hof; er trug an dem Strick, der sich um die Kutte schlang, ein Bund großer Schlüssel, und mit dem größten daraus hatte er soeben die äußere Klosterpforte für die Nacht gegen ungebetene Gäste wohl verwahrt. Der lange, mit Steinen gepflasterte Gang, an dessen Ende seine Zelle lag, hallte wieder von dem schweren Tritt des Mönches, dessen Füße mit wuchtigen Holzpantoffeln bekleidet waren, und als er, vor seiner Zelle angekommen, die glimmende Fackel durch Abstoßen der verbrannten Kohle wieder zu neuem Leuchten erweckte, beschien sie ein Gesicht, das einen erwartungsvollen, freudigen Ausdruck trug. Das Antlitz, dessen Züge sonst für die Freuden und für die Leiden dieser Welt unbeweglich schienen, zeigte ein sanftes Lächeln, das die abgezehrten Wangen voller erscheinen ließ und dem Riesen etwas Kindliches gab, das ihm jedes Herz gewinnen mußte.

Hastig öffnete er die Thür; in einem Schlot, der die eine Ecke des kleinen Raumes einnahm, ward ein dicker Eichenstamm von roten Flammen verzehrt, deren Glut, außer einem hölzernen Schreibtisch, einer Lagerstatt und einem kleinen Betpult mit Kruzifix, auch den jungen Ritter bestrahlte, der sich bei dem Eintritt des Mönches von einem hochlehnigen Bretterstuhl erhob.

»Vergebt, Paulus, daß ich Euren Wohnraum vor Eurem Kommen betrat; aber ich bin die Kälte nicht gewohnt, die draußen in den Fluren herrscht. Seht, nicht einmal dieser Mantel schützte mich vor dem Frost, der meinen Körper noch jetzt durchschüttelt;« und damit wies er auf einen Mantel, der über der Stuhllehne liegend, in dem Lichte, das die Fackel des eintretenden Paulus dem Raume spendete, die prachtvollsten Gold- und Silberstickereien aufwies.

»Recht thatet Ihr, mein junger Ritter,« antwortete der Mönch, in dessen Gesicht wieder jene Unbeweglichkeit der Züge eingetreten war, die ihm etwas Abstoßendes verlieh, »denn der Winter ist rauh, und wessen Körper nicht gegen den eisigen Nord gewappnet ist, der bei uns den Schnee unter den Füßen erknirschen macht, sollte nicht in unser unwirtliches Land kommen.« – Bei diesen Worten erlosch die Fackel, und den glimmenden Überrest warf Paulus in die rote Glut des Ofens.

Heinrich wußte nicht, wie er die Rede des Mönches deuten sollte. Er schwieg, und da der Pförtner, dessen glänzende Augen das Aufflackern des Feuers verfolgte, die Unterhaltung nicht aufnahm, so fühlte er sich gekränkt. Er wollte eben seinen Mantel zusammenraffen, um die Zelle des Mönches zu verlassen, als er dessen Hand auf seiner Schulter fühlte.

»Nicht so ungestüm, mein guter Freund,« sagte Paulus, »es fließt Euch zu viel südländisches Blut in den Adern, das rollt zu rasch; wir sind hier zu Lande bedächtiger und geben nicht einer jeden augenblicklichen Aufwallung Raum. – Kommt, setzt Euch, umhüllt Euch mit jenem königlichen Mantel, denn das Feuer wird bald verlöschen und der öde Raum ist dann gar bald kalt. Der kahle Raum einer Mönchszelle ist nicht ein üppig ausgestattetes Gemach, wie es deren nur in den sicilianischen Schlössern geben soll.«

Indem er dem Jüngling, welcher bewegungslos in seinem Stuhle saß, sorgsam den kostbaren Mantel, über Brust und Beine legte, fuhr er fort.

»Ich fühle, Euch behagt meine Art nicht; Ihr seid klangvolle Worte gewohnt, dem Ohr lieblich klingende Sprache.«

»Nein, nein,« rief es von dem rotflammenden Ofen her, »nein, mein Vater, nicht kalte Worte, die wie der Hauch im Winde vergehen, will ich hören, und mögen sie süß wie italische Laute klingen, nein, – ein Herz will ich haben, dem ich vertrauen kann, dem gegenüber ich ein Jüngling sein darf, unverschlossen, aufrichtig, nicht die Worte wägend. Denn mir war es nicht beschieden ein Elternpaar zu besitzen, das mich bis heut behütet; einsam und kalt war es stets um mich her und meine Freunde, die ich mir in meiner Unerfahrenheit erkor – sie wurden mir zu Neidern, Hassern, Feinden. Darum flehe ich, ehrwürdiger Paulus, um ein reiches Almosen – gieb mir ein Stücklein Deines Herzens, gieb mir Dein Vertrauen, Deine Freundschaft.« – Hierbei hatte sich der Jüngling, den ihn deckenden Mantel weit von sich werfend, erhoben und war vor dem Mönch in die Knie gesunken. –

Eine lange Pause entstand. Der Wind jagte in schrillen Tönen durch den Schlot und fachte die Glut zu neuer Flamme an. Sie beschien den aufrecht stehenden Paulus, dessen Augen, durch das Fenster gerichtet, in die weite Ferne hinausirrten und den schluchzenden Jüngling, der sein thränendes Antlitz in die dargereichten Hände seines geistlichen Freundes vergrub.

»Fasse Dich mein Sohn, steh auf, denn nicht geziemt es einem Ritter anders zu knien, als vor seinen Oberen und vor Gott. Komm zu mir, denn ich will Dir wohl; sage mir alles, was Dein Herz bedrückt, vielleicht erleuchtet mich der Herr und ich kann Dir Rats erteilen. Ich will Dir Linderung schaffen, denn heiß sind Deine Wangen und Stirn.« Damit öffnete er das Fenster und die kalte Luft eines nordischen Januarabends zog in die Zelle.

Heinrich erhob sich und eilte an das Fenster. Vor ihm lag der Klosterhof, umgrenzt von dem Gotteshause und den Klausurgebäuden; dort hinüber, dem Ausgange zu, umfaßte sein Blick die weltlichen Räume des Klosters, das Gebäude mit den Wohnräumen des Priors und der hohen fremden Gäste, die das Kloster mit ihrem Besuche beehrten. Dann schweifte sein Auge über die Umfassungsmauern hinweg und verfolgte die letzten Gassen der Stadt Hameln, wie sie gegen die Weser hin ausliefen; es haftete an jedem Lichtlein, dessen Schein hier und da durch die schon morsch gewordenen Fensterläden sich hindurchstahl und begleitete seine Gedanken, die über die Weserbrücke zu eilen schienen, um zu ergründen, was hinter den sanftgeschwungenen Hügeln lag, die die ungeheure Schneelandschaft gegen den dunkelblauen Nachthimmel abschlossen. –

»O, bitter kalt ist es,« sagte er nach einiger Zeit, und das Fenster zuschlagend, trat er auf Paulus zu, der inzwischen das Feuer weidlich schürend, neues Holz in den Kamin geworfen hatte, und die Hand des Pförtners ergreifend, sagte der junge Mann feierlich:

»Du bist mein Genosse, ich der Deine, kein Arg und Falsch sei zwischen uns, treu bis in den Tod wollen wir uns bleiben.«

Der Mönch drückte ihm die Hand und setzte sich auf einen Schemel, während er Heinrich auf den Stuhl, den einzigen in der Zelle, herniederzog.

»Nun, mein Sohn, beichte und erzähle mir Deinen Lebensgang.« Er beugte sich über ihn und Heinrich umschlang ihn mit seiner Linken.


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