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15. Kapitel.
Heimatlos

Der Türmer blies ins Horn, als er die Reiter den Burgberg hinaufreiten sah; die Zugbrücke senkte sich und hinter den drei Reitern schloß sich krachend das Fallgitter des Burgthores. Peter schien durch das verursachte Getöse aus einem Traume zu erwecken und als die drei Rosse unter der Burglinde hielten, ließ er sich ruhig aus dem Sattel heben.

Es war am späten Nachmittag und die Sonne senkte ihre letzten Strahlen auf die Burglinde, deren Wipfel im leisen Spiel des Windes sich träge hin und her bewegten. Über dem Burghof lag tiefer Friede und Ottokar sowie Hilda, welche mit Irma, die ihren kleinen Pflegling im Arm hatte, unter der Burglinde saßen, empfanden den köstlichen Gottesfrieden, welcher in der Natur herrschte, mit aufrichtiger Andacht. Die Blinde hatte während des Tages oftmals an die beiden Männer gedacht, welche mit ihrer Sorgsamkeit und hoher Liebe für sie, während des Aufenthaltes auf der Burg, sich ihr so unentbehrlich gemacht, daß seit ihrem Scheiden die Burg wie verwaist erschien. Heinrich hatte mit Hilda den ganzen Tag geplaudert, Hunold aber ihr die schönsten Lieder vorgesungen. Sie gedachte des Liedes von dem Ritter, der ins gelobte Land zieht und bei seinem Abschied der geliebten Braut einen Raben schenkt, der von ihm abgerichtet, ihr oftmals seinen Namen vorplaudert. Aber die Zeit geht dahin, der Ritter scheint drüben im Morgenlande den Tod gefunden zu haben und ihr Herz wendet sich einem andern Manne zu; nun ist ihr der Rabe im Wege, der ihr stets den Namen des Kreuzritters ins Gedächtnis zurückruft. Da beschließt sie, ihn zu töten, aber das treue Tier merkt ihre Absicht und fliegt davon; doch ermüden ihm die Flügel und auf dem Meere, das es eben überfliegt, würde es sicher seinen Tod gefunden haben, wäre es nicht, schon sehr ermattet, glücklich auf das Verdeck eines Schiffes niedergefallen. In dem Frohgefühl seiner Rettung plappert es nun den Namen seines Ritters, und dieser, welcher gerade auf diesem Schiffe in die Heimat zurückkehrt, erkennt in dem Tierchen den Raben, welchen er seiner Braut, der er die Treue bewahrte, bei seinem Abschiede verehrte. Nun weiß er sicher, daß ihm seine Geliebte abtrünnig geworden. Im tiefen Schmerz hierüber geht er ins Kloster, um dort seine Lebenszeit zu verbringen und nimmt den Raben als seinen einzigen Freund mit sich. So endigt das Lied: Des Menschen Herz ist allzuvielen Wandlungen unterworfen. Die Treue des Tieres dagegen ist wahr, ohne jede Absicht und dauert über das Grab hinaus!

Auch sie wäre solch treuer Vogel gern gewesen, welche beide Männer durch die weite Welt begleitet hätte, ihnen immer voran fliegend; denn die Welt wäre doch so schön, hatte Hunold oftmals zu ihr gesagt, und wenn auch viele Menschen treulos und schlecht, so wäre Mut, Klugheit und Tapferkeit Schutz genug, um es mit ihnen aufzunehmen. Und der schlechtesten einer war Peter von Ehrenfels, vor dessen Namen sie schon ein Grauen empfand. Sie schien zu ahnen, daß er in ihrer Nähe sich befand, denn als die drei Ankömmlinge, die von ihren Pferden abgestiegen waren, sich der Linde näherten, wechselte sie die Farbe und fing an zu zittern.

Ottokar war von seinem Sitz aufgesprungen und die größte Überraschung malte sich auf seinem Antlitz, als er Peter, von Heinrich und Hunold begleitet, auf sich zuschreiten sah.

»Grüß Dich Gott, Vetter, welcher Wind führt Dich hierher? Komm, setze Dich zu mir,« rief der Burgherr.

Die Blinde und Irma erhoben sich, und Ottokar rief ihnen zu: »Das ist unser Vetter, Hilda, Herr Peter von Ehrenfels, der mir selten das Vergnügen bereitet, daß ich ihn in meinen Mauern begrüßen kann.« Die Blinde aber eilte an der Hand ihrer Führerin, der sie den kleinen Pflegling abgenommen hatte, quer über den Burghof der Halle zu.

»Unsere Hilda ist blind,« sagte Ottokar entschuldigend, »Du hörtest wohl schon davon,« und damit gab er ihm die Hand und nötigte ihn zum Sitzen. »Aber, woher kommt es,« so fügte er hinzu, zu Heinrich und Hunold sprechend, »daß Ihr mir den werten Gast bringet, wo trafet Ihr zusammen.«

In Heinrichs Gesicht kämpfte Verdruß und Verlegenheit über den Empfang des Ritters. Er blickte zu Hunold hinüber und dieser schickte sich an, dem Burgherrn Rede und Antwort zu stehen, als Ottokar zu Heinrich sagte:

»Geh, lieber Neffe, und sage der Schwester Hedwig, daß wir Besuch bekommen und einen gar seltenen Gast. Den Willkommentrunk soll sie ihm kredenzen, hier unter der Linde, wo warme Frühlingslust uns zum fröhlichen Verweilen einladet.«

Heinrich wollte dem Ohm in die Rede fallen, doch auf ein Zeichen Hunolds begab er sich stillschweigend hinweg, um dem Wunsche Ottokars zu willfahren. –

Hunold sah ihm lächelnd nach und wendete sich zu dem Burgherrn:

»Euer reines Herz, Herr Ottokar, wird es nicht in Euch aufkommen lassen, daß Euer edler Vetter Euch unfreiwillig einen Besuch abstattet, denn nicht freundliche Aufnahme, sondern ritterliche Haft sollte ihm hier werden.«

»Oho,« rief Ottokar mit dem Eigensinn des Alters, »wer seid Ihr, daß Ihr mir vorschreibt, wie ich meine Verwandten zu behandeln habe?«

Über Peters Gesicht flog ein Lächeln; hier hatte er eine Stelle gefunden, von wo aus er den Spielmann erfolgreich bekämpfen und sich aus dieser unangenehmen Lage befreien konnte.

»Nicht so, Herr Ottokar,« fuhr Hunold fort, »denn die Verwandtschaft ist von Seiten Eures Vetters gar gering geschätzt worden; wäre ich nicht zu Hilfe geeilt, Euer Neffe Heinrich hätte nimmermehr die Lingenburg betreten.«

Er erzählte, was sich zugetragen, wie er Heinrich mit Peter und seinen Knechten erblickte, und die Rettung desselben nur der Flucht der Knechte Peters zuzuschreiben sei, welche meinten, daß hinter Hunold jedenfalls noch ein Trupp Reiter erschiene, und sich deshalb eiligst davon machten. Er berichtete auch, daß sein und Heinrichs Vorhaben gewesen, dem Ehrenfels einen Besuch abzustatten, da sie Grund zur Vermutung hätten, daß der Mönch Paulus mit dem Pergament, welches das Anrecht Heinrichs auf den Besitz des Ehrenfels und seiner dazugehörigen Liegenschaften enthielt, zu Peter geflohen sei, um ihm dasselbe gegen Gold auszuliefern.

Peter frohlockte im Innern. War Heinrich des Besitztitels verlustig, so konnte er vor dem Kaiser, welchem der letzte Entscheid in dieser Angelegenheit zustand, seine Ansprüche nicht aufrecht erhalten. Wie würde sich seine Gemahlin Bertha über diese Botschaft freuen! Aber zuvor mußte er sich aus der heutigen schwierigen Lage befreien, und hierzu rief er seine ganze Verstellungskraft zu Hilfe. –

»Bei der heiligen Jungfrau,« sagte er, indem er seinen Vetter groß anschaute, »wie weit ist es mit unserer Freundschaft gekommen, daß ein Fremder mich so zu verleumden wagt! Wenn Dir mein Schwur noch etwas gilt, so bekräftige ich es durch den schwersten Eid, daß, was jener herumziehende Sänger soeben von mir erzählte, mir gänzlich neu und unbekannt ist. Zu mir kam kein Mönch, der mir etwas anzubieten hatte, es sei denn, daß ab und zu ein frommer Bruder an meinem Tisch seinen hungrigen Magen füllt und mir hierfür seinen Segen läßt. Dein Neffe Heinrich will mir nicht wohl, seit jenem Tage, wo wir so hart an einander gerieten. Er weiß seine Rache gegen mich nicht anders zu bethätigen, als daß er mit diesem Mann zusammen, welchen die Landstraße zu Dir hinaufschickte, von dem man nicht weiß, woher des Weges und wohin die Reise – Verleumdungen gegen mich ersinnt, die mir Deine Freundschaft rauben sollen. Aber, nicht wahr, Ottokar, wir stehen zusammen in Not und Gefahr, und Lug und Trug prallen an unserem treuen Sinn zu einander ab?«

Peter fuhr sich über die Augen, als wenn er hervorquellende Thränen verbergen wollte und schüttelte dann Ottokar auf das Wärmste die Hand. Der Spielmann überlegte einen Augenblick, wie er dem schlauen Ritter, welcher das Eisen schmiedete, so lange es warm, beikommen sollte; er fühlte an der Art, in der Peter eine jede Beschuldigung von sich wies, daß er Unrecht gethan, wenn er ihn des Einverständnisses mit Paulus zieh. Zwar erinnerte er sich genau, daß der Ritter Bodo damals den Befehl von seinem Herrn hatte, das Vorhaben Heinrichs genau auszukundschaften und womöglich das Pergament, das die Ansprüche desselben darlegte, durch List oder Gewalt an sich zu bringen, um es auf dem Ehrenfels zu sichern, oder es ganz zu vernichten. Hatte ihn doch Bodo selbst bewegen wollen, ihm jenes Dokument hinter Heinrichs Rücken auszuliefern, und wie Hunold gehört hatte, war Bodo beauftragt, zwischen Heinrich und der Familie Ottokars Uneinigkeit hervorzurufen, so daß dem jungen Ritter bald der Aufenthalt auf der Lingenburg verleidet würde.

Alles das fuhr Hunold durch den Kopf, aber bedächtig wie er war, hielt er es noch nicht an der Zeit, um mit diesen Anschuldigungen gegen Peter hervorzutreten. Dieser jedoch, welcher die tiefe Wirkung seiner Worte auf Ottokar bemerkte, fuhr fort sich als den unschuldigsten aller Menschen hinzustellen, der für Heinrich voll Liebe überfloß und darauf brannte, ihm seine Zuneigung zu beweisen. Arglistig setzte er hinzu, indem er den Spielmann von oben bis unten mit seinen Blicken maß:

»Leute, welche eine glatte Zunge haben, verstehen das Herz der Jugend zu bethören und den Samen des Ungehorsams in das Gemüt des unerfahrenen Jünglings zu streuen. Unser guter Neffe Heinrich, der von den Sitten und Gebräuchen Deutschlands nichts weiß, giebt auf einen Taugenichts von der Straße, dessen Umgang das gemeine Volk bildet, und der sich von den Almosen nährt, welche ihm für seinen Singsang von mitleidigen Burgleuten gewährt wird, mehr, als auf den guten Rat seiner Verwandten, die es mit ihm aufrichtig und gut meinen.«

Peter hatte sich in Rührung hineingeredet, so daß wirklich jetzt Thränen über seine Wangen liefen. Ottokar, die Arme weit ausbreitend, ging auf ihn zu und besiegelte die Umarmung mit einem schallenden Kuß, denn er war von dem arglistigen Vetter vollends gefangen.

»Wie konnte ich Dich nur so verkennen, theurer Vetter,« rief er dabei aus. »Jetzt sehe ich ein, wie ungerecht Dich Alles schalt, aber fürwahr, was in meiner Macht steht, werde ich thun, um Dir Dein Recht zu schaffen.«

Damit wandte er sich an Hunold, der mit spöttischer Miene den durchtriebenen Peter mit angehört hatte. Der Spielmann versuchte jetzt zu Wort zu kommen, aber Ottokar, den die überlegene Miene desselben zu blinder Wut anstachelte, rief ihm zu: »Ist dies der Dank, Spielmann Hunold, den Du mir für das Wohlwollen, welches ich Dir erzeigte, zollst, indem Du meine Familie mit mir verhetzest? Du dachtest Dich in unsere Herzen einzusingen, um darin als Herr schalten zu können. Doch irrst Du, denn ich beweise Dir jetzt, daß ich der Herr und Du ein fahrender Gesell bist, der so weit laufen mag, bis er einen mitleidigen Menschen findet, der ihn wieder beherbergt, um wieder Böses von ihm zu erfahren. Laß' Dir das Roß zäumen, das ich Dir gab, nimm es als Entgelt für Deine mir geleisteten Dienste – aber zieh gleich hinweg, denn in meinem Hause hat der Friedenstörer kein Obdach.«

Des Ritters Stimme schallte laut über den weiten Platz des Burghofes, seine grauen Locken flogen im Abendwinde und in seinem Gesichte malten sich Schmerz und Unwillen.

Hunold wollte sprechen, die Erregung des alten Ritters war jedoch derart, daß der Sänger es vorzog, Heinrichs Rückkehr abzuwarten. Dieser erschien mit Frau Hedwig, welche in ihrer Rechten einen goldenen Pokal trug, der den scheidenden Sonnenstrahl in seiner glänzenden Wandung auffing, und ihn nochmals dem schon im Abendschatten liegenden Burghofe mitteilte. Beide, Hedwig und Heinrich, sahen die wütenden Gebärden Ottokars von weitem und eilten hinzu, um den Grund des Zerwürfnisses zu vernehmen.

Ohne den Trunk, welchen der Pokal enthielt, dem Vetter zu kredenzen, setzte Hedwig das Gefäß auf den Tisch nieder, um ihren Bruder zu besänftigen. Heinrich überflog mit einem Blick den Ausdruck in dem Gesichte Hunolds und Peters; er begriff sofort, daß es hier zu einer Aussprache gekommen war, in der Peter obgesiegt haben mußte. Hedwig ging auf Hunold zu, um ihn zu befragen, aber auf sie fuhr der erzürnte Bruder los, indem er ihr zudonnerte:

»Sieh, auch Dich hat er bethört mit seinen glatten Reden, mit seinen süßen Liedlein. Über ihn vergissest Du Deine Hausfrauenpflicht und läßt Deinen Vetter und Gast den Willkommentrunk selbst nehmen! Ist denn alles, seitdem dieser Spielmann auf der Burg, anders geworden, als es seither bei uns Sitte war?«

Hedwig suchte ihn zu beschwichtigen, doch Ottokar fuhr fort: »Der Spielmann verläßt noch heute die Burg, für Ruhestörer und Leute, die Unfrieden säen zwischen Verwandten, ist hier keine Heimstätte.«

Heinrich gab Hunold die Hand und blickte ihm fest ins Auge. Dann ging er auf seinen Ohm zu, beugte das Knie und bat, er möge ihm den Freund lassen, der wahr und treu, tapfer und klug und wenn auch nur ein Spielmann, doch ritterlicher Tugend voll sei.

»Aus Dir spricht der Unverstand der Jugend,« herrschte ihn der Ohm an, »denn ein Hergelaufener, ein Mann der Landstraße, ein fahrender Gesell, hat wohl Anrecht auf unseren Schutz, auf unsern Beistand in der Not, aber einen Anspruch auf gleiches, volles Recht mit uns besitzt er nicht. Wir haben Vorfahren, die durch Tapferkeit und Klugheit Land und Leute erworben haben, und deren Kinder den Besitz vergrößerten und durch wehrhaften Sinn sowie durch Errichtung von Burgen und Sorge für ihre Dienstmannen sich einen Namen und Machtfülle schufen. Wenn wir nicht zusammenhalten, die wir die Tapferen und Waffengeübten sind, so werden die Herren der Landstraße und die Bürger der trotzigen Städte uns bald den Garaus machen und Du, Heinrich von Altkirch, der Du ein Anrecht auf Landbesitz und Leute hast, würdest von diesen Leuten, zu denen jener Spielmann gehört, welcher Dein Herz so gerührt hat, mit Feuer und Schwert aus Deinem Besitz vertrieben werden und gleich Hunold die Laute schlagen müssen. Jetzt liebst Du das Spiel, weil es Dir Vergnügen macht, in jenem Fall aber mußt Du lernen es auszuüben, um Dir Dein Brot zu erwerben – ein fürwahr bejammernswertes, unritterliches Dasein!«

Heinrich hatte sich erhoben und starrte wortlos den Ohm an, dessen Munde Worte entquollen, wie er sie nie von ihm für möglich gehalten. Es war ihm unfaßbar, daß Hunold, dessen Gestalt so ritterlich aus der Menge hervorleuchtete, dessen Herz nur das Gute und Edle liebte und dessen Tapferkeit unbestritten war, etwas anderes für ihn bedeuten sollte, als der Ritter Peter, der, neben Hunold gestellt, ein gar widriges Aussehen gewann. Er ging wortlos auf Hedwig zu und sein von Thränen umflorter Blick haftete auf ihren Augen mit stiller Mahnung, daß auch sie ihren Einfluß auf den Bruder geltend machen solle, um ihn zur Zurücknahme seines Befehles zu veranlassen.

Hedwig konnte dem nicht widerstehen: »Ottokar,« sagte sie, »lieber Bruder, gedenkst Du der langen Zeit, die wir zusammen leben? Kein Mißton, kein Streit, keine Klage ist während dessen zwischen uns laut geworden, sondern einträchtig und voller Liebe miteinander haben wir diese Zeit durchlebt. Wir sahen böse und gute Jahre, wir nahmen ein Kind ins Haus, an dessen Geplauder wir uns erfreuten und um dessen Schicksal, da es blind ist, wir uns härmten. Du hieltest Friede im und außerm Hause! Während andere in jener schweren Zeit, in welcher das Oberhaupt in Deutschland nichts galt und wo die Faust des Stärkeren über Recht und Tugend triumphierte, Unrecht thaten, die Schwachen befehdeten und das Gut der dahinziehenden Kaufleute mit Waffengewalt eroberten, um es wieder zu verprassen, saßest Du auf dieser Burg und ein jeder Mann preist Dich heut als einen tapferen und gerechten Herrn. In Heinrich siehst Du Deinen Nachfolger, der den Besitz erben wird, um ihn in Deinem Sinne weiter zu verwalten und – der Spielmann ist sein Freund, ja er ist unser Freund, denn sein Kommen erregte bei uns Freude, wie von einem jeden Menschen, bei dessen Nahen wir Liebe für uns empfinden.«

In ihren Augen standen Thränen und sie hatte ihre Hand in die ihres Bruders gelegt, der sich jedoch mit einer heftigen Bewegung zu Peter herumwandte und mit unverkennbarem Spott zu diesem äußerte:

»Du siehst, Peter, daß ich nicht Herr auf meinem Anwesen bin, denn mein Wort scheint seine Geltung verloren zu haben. Der Spielmann ist fürwahr ein Zauberer, daß alle ihm wohlwollen, während er sich uns, ohne daß wir es merkten, zum Herrn aufgeworfen hat. Aber, lieber Vetter, ich werde Dir beweisen, daß weder Frauenthränen, noch diejenigen eines arglosen Jünglings mich bestimmen können, von meinem Vorhaben abzugehen, und so wahr, wie wir von jetzt ab in Not und Gefahr uns vereinigen werden, so gewiß zieht der Spielmann von dannen.«

Peter war von dieser Wendung des Zwiegespräches selbst überrascht. In seinem Hirn ward es klar, daß es ein ungeheurer Vorteil für ihn wäre, die aus Trotz gegen seine Angehörigen von Ottokar gegebene Bündnißzusage möglichst sofort zu erproben. Er schlug daher mit tüchtigem Griff in die dargebotene Rechte Ottokars ein, und sein böser Blick flog triumphierend über die Anwesenden, als er das Wort des Ritters, in Not und Gefahr einander hilfreich zu sein, mit voller Stimme wiederholte. – –

Die Sonne war inzwischen vollends am Horizont verschwunden und nur ein heller Schein warf vom westlichen Himmel her das letzte Tageslicht über den Burghof. Es war empfindlich kalt geworden und Ottokar lud seinen Vetter zum Imbiß ein, indem er Hedwig mit strenger Stimme ermahnte, ein festliches Abendbrot für den Gast zu bereiten und hierbei der Sitte des Willkommentrunkes, der sie heut zum ersten Male nicht entsprochen hätte, nachzukommen. Er gab, indem er Heinrich zuwinkte, ihm zu folgen, Peter den Arm, und schickte sich eben an über den weiten Platz zu gehen, um das wohnliche Gemach zu ersteigen, als Hunold auf ihn zuging und zu ihm sprach:

»Mit Verlaub, Herr Ritter, Ihr seht in mir einen Friedenstörer, wohlan, darum gehe ich. Mein Stand entehrt Euch, sollte ich noch ferner bei Euch weilen, – das kränkt mich nicht, Herr, denn ich weiß, was ich bei mir gelte, und das ist für einen tapferen Mann genügend! Ich muß geduldig ertragen, was über mich verhängt wird, da ich ja einer von der Landstraße bin, ein Sänger, der, so lange Ihr Freude an seinem Gesange hattet, an Eurem Tische sitzen durfte, und den Ihr – seiner überdrüssig – aus dem gastlichen Heim vertreibt. Gott dank es Euch tausend Mal, was Ihr an mir Liebes gethan und lasse es Euch nicht entgelten, daß Ihr, im Zorn, mit Eurem Vetter Euch verbrüdert habt. Denn Ihr seid arglos, wie der Hahn, welcher jetzt seine Hennen zur Nachtruhe zusammenkrähet, der aber nicht den Fuchs siehet, der sich in seine Hütte geschlichen hat, um ihm bei erster Gelegenheit den Garaus zu machen –«

»Das für den Fuchs,« rief Peter, der von dem Tisch unter der Linde sein Schwert wieder ergriffen, welches der Spielmann dort hingelegt und es bei dessen letzten Worten aus der Lederscheide herausgezogen hatte. Der Streich, den er mit dem Schwerte ausführte, verfehlte sein Ziel, da Hunold plötzlich zurückgesprungen war und ehe Peter zum zweiten Male ausholen konnte, hatte ihn der Spielmann zu Boden geworfen und zwar so, daß sein Antlitz die Erde berührte, und der Ehrenfelser kein Glied rühren konnte. Dann riß Hunold seinen Dolch aus der Scheide und indem er zu den entsetzt Zuschauenden, vor deren Augen sich dieser Vorfall so schnell begab, daß keiner von ihnen einen Laut von sich gab oder auch Ottokar dem mit ihm in Not und Gefahr verbündeten Peter zu Hilfe eilen konnte, rief: »Ich werde ihn zeichnen, damit ich ihn einst wiedererkenne,« zerschnitt er ihm das Wams am Rücken, und zwei blutige Striche, die kreuzweis an der rechten Seite des Schulterblattes hervortraten, zeigten, daß der Spielmann der Drohung auch sofort die That folgen ließ. Dann sprang er auf und die Waffe wieder einsteckend, verbeugte er sich vor Ottokar, und spöttisch klangen seine Worte:

»Herr Ritter, das Blut eines Gezeichneten von Eurer Sippe, rieselt eben so rot, wie bei unser einem; ihr saht es wohl – der liebe Gott hat uns nicht anders erschaffen, wie die Ritterbürtigen. Gehabt Euch wohl, ich gehe von Euch, wie ich zu Euch gekommen bin, behaltet Euer Pferd, behaltet auch Euer Geschmeide, das Ihr mir für meine Dienste schenktet. Ich will nichts von Euch besitzen, arm, wie ich gekommen, ziehe ich wieder aus!«

Vor Hedwig beugte er seine Knie und sie vernahm, wie er leise sagte:

»Ihr seid eine deutsche Hausfrau und ein hehres Weib, Ihr nahmt mich auf wie einen Freund und mein Herz wird stets für Euch schlagen.« – Er erhob sich, um von dannen zu gehen. –

Da trat Heinrich zu ihm heran und rief:

»Ich gehe mit Dir, Hunold; wo Du weilst, da bin ich auch, denn mein Herz gehörte Dir von Anbeginn.«

Erzürnt wollte Ottokar die beiden sich Umschlingenden trennen, jedoch Heinrich trat ihm mit einem Freimut entgegen, der den Ritter verstummen machte.

»Nützlicher ist mir der Bruder als weite Ackergefilde, – so heißt es im Sprichwort und deshalb, mein Ohm, laß mich ziehen mit meinem Freunde, vielleicht wendet sich einst Dein Sinn und gedenkest Du seiner dann, so wie Du mir zugethan, dann kehre ich mit ihm in das warme Nest zurück, das mir hier bereitet ist.«

Der Spielmann zog Heinrich mit sich fort; Ottokar jedoch, welcher nicht geglaubt hatte, daß der sonst wenig eigenen Willen verratende Heinrich seinen Entschluß auch ausführen würde, lief ihm nach und erfaßte seine Hand.

»Heinrich,« beschwor er ihn – der Spielmann war indessen im Dunkel verschwunden – »Du bist der einzige Sproß der von unserer Familie übrig geblieben, Du bist mein Sohn, der mir das Alter versüßen soll. Bleibe bei mir; sieh, jener zieht in die weite Welt, er hat nicht Vater, nicht Mutter; ein jedes Dach, welches ihn die Nacht über schützt, ist ihm recht; ein jeder Tisch von dem er Speise und Trank genießt, läßt ihn verweilen. Du aber hast Geld und Gut und Pflichten auch gegen mich, denn ich bin alt, und jeder Tag kann mein letzter sein; – bleibe bei mir, mein Sohn!«

Von der Burgpforte her ertönte eine Flöte so mild, so sehnend und doch wieder so herausfordernd, daß Ottokar unwillkürlich in seiner Rede innehielt. Heinrich folgte willenlos dem Ton, auch Ottokar und Hedwig schritten dem Orte zu, von dem her die süße Musik erscholl. Es schien, als wenn sie alle einer Gewalt folgten, der sie nicht widerstreben konnten und erst als der Pfeifer sein Spiel ausgesetzt, wandte sich Heinrich nochmals um und sagte zu Hedwig:

»Der Ohm wies Hunold von sich, auf eine Verleumdung seines Vetters hin; Hunold, der mir das Leben rettete, soll in die weite Welt ziehen, ohne Freund und ohne Stütze! Das ist bei Gott mein Wille nicht, und wie es heißt: »An des Nächsten Stütze erhole Dich vom Unglück; so schickt sich's«, so bin ich ihm zur Seite, wo er meiner Hilfe bedarf.« –

Hedwig legte ihre Arme um seinen Hals und ihre Zähren benetzten sein Gesicht. »Ziehe hin,« sagte sie, »wohin Dich Dein Herz treibt, aber komme zu uns zurück, wenn Du den Freund geborgen weißt. Kehre zu uns zurück, denn mir ahnt, daß des Ohms Freundschaft mit Peter uns Unheil bringt!«

Leise ertönte, wie eine Mahnung an Heinrich, die Flöte, der Mond beschien mit vollem Licht den Burghof und den Pfad, der zur Burgpforte führte. Wortlos schüttelte der Jüngling Ottokar und Hedwig die Hände, der Burgvogt aber, welcher an dem Fallgatter stand, reichte ihm sein Barett mit weißer Hahnenfeder und die Mandoline. Seine Augen suchten nochmals das Fenster an dem Zimmer droben, wo Hilda zu verweilen pflegte, und dann stürmte er in hastigen Sätzen den Burgberg hinab, denn weit voraus war ihm der Freund, und die Pfeifentöne erstarben in der Ferne.


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