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19. Kapitel.
Vor Bürgermeister und Rat

»Demnach seid Ihr der Spielmann, von dem mir so viel berichtet ist, obwohl Ihr wenige Tage nur in der Stadt verweilet?«

Hunold nickte leicht mit dem Haupt, als der Bürgermeister diese Worte an ihn richtete.

»Allzuviel Ehre thun mir die an,« versetzte er mit leichtem Spott, »die von mir sprechen, denn ich bin nur ein einfacher Mann, aber stets froh, wenn mich die Leute loben, denn Lob und Dank gereichen dem Sänger zu hoher Freude, es ermutigt und stärkt ihn in seinem edlen Beginnen. Wer aber, gestrenger Herr Bürgermeister, kennt mich an diesem Ort, daß er meiner lobend gedächte.«

Herr Allardi sah auf den kecken Mann mit Wohlgefallen hernieder und mußte sich sagen, daß dieser und sein junger Freund, welcher in stummer Ehrfurcht zu ihm heraufblickte, ihm weit eher gefiel, als jener hochmütige Mönch, der ihre Austreibung im Namen des Klosters forderte. Aber der Stadtsäckel war leer, und er gebrauchte das dargebotene Geld des Klosters, da er ohne Geld an einen Kriegszug nicht denken konnte. Das Urteil war mithin den beiden Freunden schon gesprochen, die vor dem Rat erschienen, um für einige Wochen freien Aufenthalt in der Stadt zu erbitten.

Die Zunftmeister begrüßten die beiden Freunde als alte Bekannte. Sie eilten herbei, sprachen mit ihnen und schüttelten ihnen die Hände, während der Bürgermeister mit den Ratsherren sich angelegentlichst beriet. Tiefe Stille herrschte, als der Rat der Stadt Hameln sich nach geraumer Zeit erhob und der Bürgermeister zu Hunold sprach:

»Zu viel sind der Hergelaufenen in den letzten Jahren und fahrendes Volk haben wir genug in unsern Mauern, so daß wir uns seiner kaum erwehren können. Wir kennen Dich nicht, und müssen Deinem Freunde mißtrauen, der ein Verwandter unseres Feindes ist. Woher Du kommst, hast Du uns nicht gesagt, und wohin Du gehst wirst Du uns nicht berichten, wie es Art bei Leuten Deines Standes ist, denen Luft und augenblickliche Laune einzige Pflicht erscheint, die sie im Leben zu erfüllen haben. Verlebet noch Ostern in unserer Mitte und ziehet dann in Frieden.«

Ein tiefes Murren begleitete die Rede des Bürgermeisters, deren Ausgang den Zunftmeistern überraschend kam.

Da fuhr Heinrich auf, und vor den Bürgermeister hintretend, rief er diesem zu:

»Wenn Ihr meiner entbehren wollt, so ist der Schein eines Rechtes auf Eurer Seite, aber was hat Euch jener dort gethan? Hat er Euch Güter weggenommen, Eure Landstraßen unsicher gemacht, hat er Euch geschmäht, daß er Euch beleidigte? Sagt an, weshalb vertreibt Ihr einen Mann, der Euch nur zur Zierde gereichen kann?«

Hunold hielt den Jüngling zurück.

»Beruhige Dich, o Heinrich, nicht ziemt es Dir in unmännliche Klagen auszubrechen; sie haben die Macht und darum eben sind sie im Recht!« Er nahm die Hand des Jünglings und verbeugte sich mit der unnachahmlichen Anmut, die ihm eigen, vor dem Bürgermeister, dem Rat und darauf nochmals vor den Zunftmeistern; dann legte er seine Rechte um Heinrichs Schulter und ging mit ihm dem Ausgange zu. Aller Augen folgten bewundernd diesen edlen Jünglingsgestalten.

Auf der Schwelle wandte Hunold sich nochmals um und seine Stimme erfüllte den Saal:

»Habt Dank, Ihr Herren, daß Ihr mir den Aufenthalt bis Ostern bewilligt, und wenn ich sogleich von hier aufbreche, so denket nicht, daß in mir Zorn gegen Euch wohnt. – Wie Ihr, stoßen mich die Menschen allüberall hinaus ins Leben – darum laßt Euch nicht gereuen, was Ihr mir anthut, denn das ist mein Geschick.«

Die Thür schloß sich hinter beiden und bittere Vorwürfe ergossen sich über den Rat und den Bürgermeister. Beiden ward vorgeworfen, daß sie den Spielmann und seinen Gefährten gegen das leidige Geld, welches das Kloster geboten, verschachert hätten, und Herr Allardi konnte sich von diesem Vorwurf nicht reinigen. Unbemerkt war Herr Rathgen den beiden Jünglingen nachgeeill, und unten im Hofe berichtete er ihnen von dem Anerbieten des Mönches. Oben aber im Saale tobte der Lärm und nur die krähende Stimme des Gerbers vermochte sich in dieser Wirrnis Gehör zu verschaffen. Herr Klopfer schrie dem Bürgermeister zu: »Ihr treibt den aus, der uns von der Rattenpest befreien wollte!«

»Holt sie zurück, daß sie bleiben,« erklang es aus der Versammlung heraus, so gebieterisch, so laut und unaufhaltsam, daß Herr Allardi, nachdem er endlich Ruhe erlangt, folgendermaßen sprach: »Zwar ist das Geld uns durchaus nötig, und ich befürchte, daß unser Frieden mit dem Kloster gestört ist, da wir ihm nicht zu Willen sind. Aber ich unterwerfe mich Eurem Andrängen. Holt den Spielmann zurück; er vermaß sich, uns von den Ratten zu befreien, und Ihr werdet bald sehen, ob wir es nicht mit einem Betrüger zu thun haben, vor dem uns das Kloster nur schützen wollte.«

Unten im Hofe hatte Hunold von Rathgen alles erfahren, was ihm und seinem Freunde von Paulus Seiten drohte. »Habt Dank,« sagte er zu dem biederen Zunftmeister, »es ist gut, wenn wir die Gefahr kennen, die uns von unseren Feinden zugedacht ist; jetzt können wir uns vor denselben hüten.« Er schüttelte Rathgen zum Abschied die Hand und wollte eben Arm in Arm mit Heinrich das Rathaus verlassen, als die Zunftmeister, welche nach den letzten Worten des Bürgermeisters hinauseilten, um die beiden Fremden aufzusuchen, sie mit Freudengeschrei umringten, sie auf ihre Schultern hoben und im Triumph vor den Bürgermeister schleppten.

Weder Hunold noch Heinrich wußten, was dieser Umschlag in der Meinung derer, welche sie soeben aus ihrer Stadt vertreiben wollten, zu bedeuten hatte. Der Bürgermeister stellte die Ruhe in der aufgeregten Versammlung wieder her und seine Worte schienen jetzt von mehr Wohlwollen durchdrungen zu sein wie zuvor, als er zu Hunold sprach:

»Wir haben uns bedacht und sind Eurem Wunsche, hier zu verweilen, freundlicher gesinnt als vorher; jedoch nur für Euch, Herr Spielmann, denn Eurem Freunde, der ein Verwandter unserer größten Peinigers ist, bietet unsere Stadt keine Heimstätte.«

»Mit Verlaub, Herr Bürgermeister, wir sind Freunde, und was man einem von uns abschlägt, verlangt der andere auch nicht. Für Eure Gnade danke ich, bleibt hiermit Gott befohlen.«

Der Spielmann wollte sich eben dem Ausgange zuwenden, als Heinrich ihm um den Hals fiel und ihm zuflüsterte:

»Laß mich ziehen, o Freund, und ich kehre wieder heim zur Lingenburg, denn dort kann ich nützlich sein, aber was soll ich Dir hier? Verbleibe Du in Hameln und fahnde hier auf den Mönch – wir sehen uns auf der Lingenburg wieder.« Ehe der Spielmann zu Worte kommen konnte, sagte Heinrich mit tönender Stimme zu dem Bürgermeister: »Ihr irrt Euch, werter Herr, da Ihr meint, ich nehme meinen Verwandten in Schutz, wenn er Missetaten begeht. Nein und tausendmal nein! Wohl bin ich ein Ritter, aber nicht um den Kaufmann auf der Landstraße zu schädigen, sondern ich führe mein gutes Schwert nur für unsern Herrn und Kaiser, gegen die Feinde des Landes und die Ungläubigen.«

Damit drückte er Hunold die Hand, verbeugte sich gegen die Anwesenden und eilte aus dem Saale, von dem lauten Beifall der Zunftmeister begleitet, die von dem Jüngling eine derartig entschiedene Sprache nicht erwartet hatten. Hunold rief ihm nach, und wäre dem Freunde aus dem Saale gefolgt, hätte nicht der Bürgermeister seiner begehrt, so daß er, an der Thür verweilend, sich an diesen wandte:

»Habt Ihr mir noch etwas zu sagen,« herrschte er den Bürgermeister an, und der Ton seiner Rede ließ genug erkennen, daß er nur ungern dessen Rufe folgte.

Der Bürgermeister hüstelte; er war verlegen, auf welche Weise er sein Verlangen bei dem Spielmann anbringen sollte. Er schwieg und alle anderen Bürger mit ihm.

»Ich wüßte nicht,« fuhr Hunold fort, als er keinen Bescheid erhielt, »worauf ich Euch noch Red' und Antwort zu stehen hätte,« und trotzig kreuzte er seine Arme über seine Brust. Da erhob sich der Gerber; er ging auf Hunold zu und versuchte, so klein wie er war, seine Rechte auf die Schulter des Spielmanns zu legen:

»Gestern,« kreischte seine scharfe Stimme, – »es war beim Weine, und es mochte wohl sein, daß auch Ihr des Guten zuviel gethan, – vermaßet Ihr Euch die Stadt von dem Ungeziefer ledig zu machen und« …

»Ihr Herren, dies soll wohl einen Handel bedeuten?« rief Hunold zornig. »Ihr gestattet mir den Aufenthalt und ich soll mich Euch dankbar erzeigen! Ich indessen verzichte auf Eure Gnade, noch heute wende ich Hameln den Rücken und Ihr schaut mich nimmer wieder. Den Armen und Niedrigen sollst Du nie bedrücken, heißt es in dem Buch der Bücher, lernet erst danach handeln, lernet Gastfreundschaft üben gegen jedermann und sei er auch ein heimatloser Spielmann!«

Spöttisch lächelnd sah der Bürgermeister um sich. Ihm war es offenbar, daß er es mit einem jener fahrenden Gesellen zu thun hatte, die den Mund erst voll nehmen und auf die Leichtgläubigkeit der Menge bauen, um sie zu betrügen und dann mit dem erbeuteten goldnen Lohn spurlos ihrer Wege ziehen. Hunold hatte indessen den bösen Blick des Herrn Allardi aufgefangen und flugs war sein Entschluß gefaßt.

»Wenn Ihr meint, Herr Klopfer,« wandte er sich an den Gerber, »daß ich im Rausche etwas verspreche, um es nicht zu halten, so irrt Ihr. Wohl bin ich im Stande Euch von den Ratten zu befreien, wohl vermag ich Eure Scheuern und Tennen von dem Ungeziefer zu reinigen; aber ebenso wie Ihr mir den Aufenthalt in Eurer Stadt nicht verstattet, ebenso verweigere ich Euch hierbei nunmehr meine Hilfe.«

»So wahr Gott lebt,« erscholl es von allen Seiten, »Du mußt uns helfen!«

»Wer will mich zwingen?« rief Hunold. Er stützte sich auf sein Schwert, als wollte er sich vergewissern, daß es in der Not ihm zur Hand sei, und mit zornsprühenden Augen maß er die Versammlung, deren Mitglieder sich jetzt um ihn herum gestellt hatten und durch Schreien, Bitten und Drohen ihn einzuschüchtern und zu bestimmen suchten. Der Bürgermeister fürchtete einen Zusammenstoß und ließ die Stadtwache herbeiholen, um ihn zu verhüten und auch um Hunold durch ihren Anblick gefügiger zu machen. Die Reisigen betraten festen Schrittes den Saal, und die von ihrem Erscheinen überraschten Beisitzer des Rates und die Zunftmeister begaben sich eilends auf ihre Plätze, denn die Trabanten gingen mit vorgestreckten Lanzen auf Hunold und die um ihn Stehenden zu, und da galt es um nicht zu Schaden zu kommen, sich schnell zu retten. Nur der Spielmann wich nicht von seinem Platze und als er sich von drei Bewaffneten bedroht sah, ergriff er mit kühner Hand die Lanze des Vordersten und schleuderte den Wehrlosen gegen seine Kameraden, daß alle drei den Boden bedeckten. Herr Allardi erzitterte, als der Spielmann leichten Schrittes, als wäre nichts geschehen, vor seine Schranke trat und spöttischen Tones sagte:

»Habt Ihr, Herr Bürgermeister, jemals vernommen, daß ein Spielmann sich sein Lied erzwingen läßt? Denkt Ihr, daß Eure Trabanten mich in Schrecken setzen, und ich von meiner Weigerung abgehe. O nein Herr, meinen Willen könnt Ihr nicht zwingen, weder durch Eure Rede, noch durch Eure Macht. Aber einen Handel galt es vorhin, und auch ein Spielmann versteht seinen Vorteil zu wahren, Ihr Herren. Wie ist es, wenn ich den Handel aufnehme, und ich die Bedingungen stelle, da Ihr viel mehr von mir verlangt, als Ihr mir geben wollt.«

Der Rat und die Zunftmeister horchten hoch auf. Die Trabanten hatten sich auf einen Wink des Bürgermeisters entfernt, und alle Zuhörer unterlagen dem Eindrucke der eben geäußerten Worte des Spielmannes, der den Zunftmeistern heut ein ganz anderer schien, als gestern. Fragend sah Herr Allardi zu Hunold hinüber, der sich nach einem Sessel umsah, und da sie sämtlich von den Zunftmeistern eingenommen waren, sich auf die oberste Stufe des Podiums niedersetzte, auf dem der Bürgermeister nebst dem Rate sich befanden.

»Es ist wohl nicht üblich, daß wir mit Spielleuten handeln, aber die Not ist groß und der Helfer hat Anspruch auf Dank und Anerkennung,« redete Herr Allardi die Versammlung an.

»Auf Dank und Anerkennung,« meinte Hunold, »das wäre wenig! Ein Spielmann ist auch des Silbers bedürftig, denn wenn er keinen Deut in der Tasche hat, Ihr Herren, gelingen ihm die frohen Lieder nimmer so gut, als wenn die Tasche gefüllt und der Kopf sorgenleer. Mein Wort darauf, ich helfe Euch, aber nur gegen den festbedungenen Lohn von vierhundert Mark Silbers.«

»Vierhundert Mark Silbers, Spielmann; sahet Ihr denn schon solch' eine Summe beisammen?« lachte der Bürgermeister und im ganzen Saal wiedertönte es: »Zum Besten will uns der Spielmann haben.«

Hunold blieb jedoch ruhig bei seinem Verlangen. »Ihr verlangt, daß ich Euch aus tiefer Not erlöse, und ich sagte Euch zu, daß nicht eine Ratte in dem Umkreise Eurer Stadt zurückbleiben wird, wenn ich das Werk beende. Ich schwöre Euch aber, daß ich nichts in die Hand nehme, es sei denn, daß ich am Tage nach dem Werk vierhundert Mark, richtig gewogen, von Euch erhalte. Auch andere Bedingungen hätte ich noch zu stellen, die Ihr zu halten verpflichtet seid. Ein Neumond läßt mich das Werk am besten verrichten, und von Sonnen-Untergang an sei es dann einem jeden verboten, durch die Straßen zu gehen, oder auf die Straßen zu schauen. Licht darf in den Häusern nicht brennen und kein unberufenes Auge nach mir sehen.«

»Diese Bedingungen,« so ließ sich Herr Allardi vernehmen »sind eher einzuhalten, und die Stadt wird sie tragen, aber die vierhundert Mark Silber können wir nicht erschwingen, denn unsere Mittel sind erschöpft; fordert von uns alles andere eher, als Geld!«

Hunold lüftete das Barett und sagte, indem er sich erhob und sich an die Versammlung wandte:

»Nichts für ungut, werte Herren, Ihr seid Kaufleute und wißt Ware zu schätzen; ich bin nur ein Spielmann und fordere, bei Gott, einen gar geringen Lohn, denn ich will Euch nicht überteuern. Ist doch mancher unter Euch so vermögend, daß es nur ein Weniges von einem jeden bedarf, um die Summe zusammen zu bringen. Überdies dient Euch das Kloster gern, wie ich vernahm! Demnach kann ich von meinem Preise nichts ablassen. Seid Ihr einig, so laßt es mich in der Herberge wissen, und wenn Ihr das Maß Eurer Güte füllen wollet, so befreiet den Ritter Bodo aus seinem Kerker; that er Euch doch nichts zu leide. Nun gehabt Euch wohl, Ihr Herren, bis morgen verweile ich noch in Euren Mauern, und damit Gott befohlen.«

Eine edle Verbeugung folgte dem Schlusse seiner Rede, und mit stolzen Schritten durchmaß er den Saal und verschwand hinter der in das Schloß fallenden Thür.


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