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7. Kapitel.
Tilo und Irma

Die Dienstmannen der Burg waren Kinder sehr verschiedener Länder; ein Teil derselben, welche den Dienst zu besorgen hatte, wohnte in den Wirtschaftsgebäuden, welche zwischen den äußeren und inneren Umfassungsmauern lagen. Die Verheirateten jedoch, die größtenteils freie Männer waren, hausten als Bauern in den Dörfern, welche zu dem Gebiet des Burggrafen gehörten, und nur im Fall der Not, wenn eine Fehde auszufechten war, oder die Burg selbst angegriffen wurde, waren sie zum Kriegsdienst verpflichtet.

Karl, der Kellermeister, lebte mit seinem Weibe und seinen beiden Kindern oben auf der Burg. Er war ein Schwabe und hatte in seiner Jugend unter dem Kaiser Friedrich II. in Italien gegen die aufrührerischen Städter gekämpft. Nachdem er sich Ruhm und Geld genug erworben, trat er in die Dienste Ottokars und obschon bei Jahren, führte er eine Bäuerin aus dem Burgbereiche Peters von Ehrenfels als Frau heim. Behäbig, wie er war, hatte ihm die Vorliebe für den Wein ein rundes, stets feurigrotes Gesicht verliehen, aus welchem zwei kohlschwarze Augen blickten, die oftmals bei dem Erproben eines guten Tropfens ganz klein zusammengekniffen wurden, während die Gestalt seiner stark aufgedunsenen Nase, deren Farbe schon in's bläuliche schillerte, ihm den Beinamen des Nasenkönigs, zugezogen hatte. Anfänglich schien ihm dieser schmachvoll, und sein Weib, das er nie mit ihrem vollen Namen, Judith, sondern stets mit dem Kosenamen, Jutta, nannte, war stets erbost, wenn einer der Burgmannschaft von ihrem Mann auf diese Weise ohne jede Achtung sprach. Karl und Jutta bewohnten einen Raum im Herrenhause, der ihnen und ihren zwei bildhübschen Kindern, einem Knaben, Namens Tassilo, und einem Mädchen Irmgard, welche kurz Tilo und Irma genannt wurden, als Koch-, Schlaf- und Wohnzimmer diente. Der Kellermeister war des Tags über im Keller und in der Küche beschäftigt, während Jutta der Burgherrin zur Hand ging. Die beiden Kinder, welche Zwillinge waren, erfreuten sich der besonderen Vorliebe Hilda's, und verließ sie Irma nur, wenn sie in ihr Bettchen gehen mußte, während Tilo, im Alter von sechs Jahren sich schon als ganzer Mann fühlte, und lieber sich von den Burgmannen auf das Pferd heben ließ, als den Ermahnungen Hilda's Folge gab.

Außerdem leisteten noch zwei Knappen, Söhne edler Häuser, auf der Burg Waffenträgerdienst. Udo von Zwingberg und Hermann von Hochheim waren vor Jahresfrist von dem Hofe des Erzbischofs von Mainz, an welchem sie Edelknaben waren, auf die Lingenburg gekommen, um sich für den Ritterdienst vollends auszubilden. Sie waren stets um ihren Herrn, und gehörten während ihrer Dienstzeit mit zu seiner Familie.

Wenige Tage, nachdem Hunold und Paulus auf der Burg angetroffen waren, schien die Sonne freundlich vom Himmel herab, und Hilda saß, da das Wetter überraschend warm war, in einer der überwölbten Fensternischen der Außenmauer, welche Lauben genannt wurden, und von denen aus man einen weiten Ausblick über den Fluß und das Land dahinter hatte. Die Blinde konnte natürlich denselben nie genießen, aber sie fühlte den warmen Sonnenschein, und die kleine Irma an sich pressend, sagte sie zu Heinrich, der hinter ihr stand: »Ich mache gute Fortschritte bei Eurem Freunde, dem Spielmann; aber sagt, warum ist er, wenn er um Euch ist guter Dinge, und wenn er mich unterweist, so traurig. Die Base rief ihn neulich an, während meine Finger sich abmühten, um sein Spiel nachzuahmen; sie war auf den Tod erschreckt, als sie anstatt seines frischen und lieben Gesichtes einen uralten Greis vor sich sitzen wähnte. Sie meinte, sie hätte geträumt, und im Schlaf ein trügerisches Bild gesehen, aber siehe, Vetter, die Base wußte doch genau, was meine Saiten ertönen ließen, und welche Fehler im Spiele ich dabei beging, so daß sie nicht geträumt haben konnte.

Es graute ihr vor ihm, und als sie ihn laut anrief, da wandte er das Antlitz dreimal gen Himmel und bei dem dritten Mal fuhr er mit der Hand, wie verzweifelt, über die Augen. Als Hedwig sich erholt hatte von ihrem Schrecken, war das Gaukelspiel vorüber, er sprach zu mir in seiner lieben, gütigen Weise und führte meine Finger so, daß sie der Mandoline die richtigen Töne entlockten.

Heinrich schüttelte lachend seine Locken. »Sehen doch die Frauen schon Gespenster am lichten Tage,« sagte er. »Hunold hat ein liebes Gesicht, wie alle guten Menschen, und was Wunderbares an ihm ist, das ist seine Kunst allen Leuten zu gefallen, mit seinem Saitenspiel alle Herzen zu rühren und dabei männlich, ritterlich und wahrhaft zu sein. Soweit ich auch die Welt gesehen, so sah ich nie einen treueren und edleren Genossen wie ihn.«

»Und doch,« fuhr Hilda in ihrer milden und dabei überzeugungsvollen Art fort, »muß ich der Base glauben. Ihr ist Lüge und selbst Einbildung fern, so wunderbar es auch klingt. Die Base befiel das Grauen, weil sie in jenem Gesicht eine merkwürdige Ähnlichkeit entdeckte.«

Heinrich neigte erstaunt der Blinden sein Gesicht zu und fragte: »Eine Ähnlichkeit, mit wem?«

Die Blinde schien anfangs unschlüssig, dann jedoch erhob sie sich und hieß das Kind, die Laube zu verlassen. »Weißt Du, Vetter,« so sprach sie halblaut zu ihm, »die Base besitzt ein kostbares Buch, wunderbar geschrieben und mit prachtvollen Initialen verziert. Es enthält die Leidensgeschichte unseres Herrn und es sollen gar schöne Bilder in diesem Buche enthalten sein. Eins dieser Bilder, welches besonders künstlich gemalt ist, schildert unsern Herrn Christus auf seinem Wege zur Kreuzstätte. Auf gekrümmtem Rücken schleppt er, fast der Last erliegend, das Kreuz, und während die Jünger verzweifelnd und unter Thränen ihn begleiten, schauen die römischen Kriegsknechte in ihrer Stumpfheit bewundernd auf den bejammernswerten Mann, dem der Bart und die Haare zerzaust und dessen Füße wund gelaufen sind. Nur wenig Volk steht an der Straße, aber da ist ein Mann – einen Lederriemen hält er in seiner Rechten, denn er ist ein Sandalenmacher – der in wilder Bewegung das Weite sucht. Grau sind seine spärlichen Locken, grau der fliegende, lange Bart und seine Hände streckt er, wie um Gnade flehend, zu dem dahinziehenden Jesus empor … Es ist Ahasverus, der dem Herrn einen Platz verweigert hatte auf der Bank vor seiner Werkstatt, und der erbarmungslos dahinwandert, unstät und friedlos bis ans Ende aller Dinge …

So war, wie die Base behauptet, das Antlitz des Spielmanns; – genau so, wie das gemalte in ihrer Miniature. Alt, mit verwitterten Zügen, von grauen Haaren wild umrahmt, die sich vor Schrecken sträuben, dabei in den Augen ein Etwas, das zu Thränen rührt, mit einem Wort, der Kopf des ewigen Juden wie auf jenem Bilde. –

Heinrich schwieg; während die Blinde diese Vision schilderte, stieg in ihm eine Erinnerung auf. Jene Nacht, die er auf den Alpen verbrachte, als ihm so wunderbare Hilfe ward, sah er im Geiste vor sich. Er wußte nicht, wie es ihm beifiel; als er vor wenigen Tagen Hunold unterwegs erblickte, staunte er auch über die Ähnlichkeit des Spielmanns mit der seines Retters. Er schüttelte einige Mal sein Haupt; aber unter der warmen Sonne Italiens geboren, war langes Nachdenken nicht sein Fall. Er nahm die Hand des Mädchens in die seine und indem er die kleinen Fingerchen derselben einzeln ergriff, und so der Blinden ein Lächeln abgewann, sagte er scherzend:

»Die Base sieht Gespenster bei Tage; Hunold ist ein Mensch wie ich, nur erfahrener, verständiger und gewiß auch besser wie Dein Vetter Heinrich. Sieh,« setzte er hinzu, »da kommt er eben über den Hof und sucht uns. Laß uns ihm entgegengehen und zusammen das Gemach aufsuchen, denn die Sonne ist von hier weggegangen, und im Schatten weht es kühl; es ist ja doch Januar und der Winter regiert noch.«

Die Blinde ließ sich von ihm willenlos führen, und am Eingang der Laube trafen sie auf den Spielmann, hinter dem die Kinder herliefen. Unter Kreischen und Schreien verlangten sie von ihm ein Märchen oder ein Lied. Die kleine Irma hing sich um seinen Leib, und das liebe Gesichtchen zu ihm erhebend, bat sie ihn flehentlich, doch wie gestern, von dem Engel, oder von den Blumen zu erzählen. Tilo hatte unterdessen hinter dem Rücken Hunolds den Sims erstiegen, der unter dem Rundbogenfenster der Laube eine Bank bildete; geschickt schwang er sich auf die Schultern des Spielmannes und ihn mit seinem Kinderköpfchen überragend, forderte er trotzig, nach Knaben Art, was seine Schwester, als Mädchen, bescheiden erbat. So stand der Spielmann am Eingang der Laube, als Hilda mit Heinrich ihm entgegen kam.

»Wen die Kinder so lieben,« bemerkte Heinrich, indem er ihn aufforderte, aus dem kalten Gang in das warme Frauengemach zu steigen, »der muß freundlichen Herzens und ein guter Mensch sein.«

»Sängerlust und Kindermund,« erwiderte Hunold, welcher nun auch das Mädchen zu sich emporhob und so die beiden Kinder dem vorausgehenden Paare nachtrug, »werden stets zusammen passen. Denn wehe dem Sänger, der nicht Kindesart in sich birgt; und wie das Kind sein Inneres stets ausplaudert und kein Arg und keine Klugheit kennt, die es die Lüge sagen lassen, so muß des Sängers Mund offenbaren, was das Herz ihm gebietet. Des Sängers Pflicht ist wahr, treu und liebreich sein, wie – die herzigen Kinder auf meinen Schultern! –«

Jauchzend erreichten Tilo und Irma auf ihrem hohen Sitz das Frauengemach, in welchem Hedwig mit einer Stickerei beschäftigt, ihnen entgegen lächelte. Hunold setzte seine leicht wiegende Bürde ab und sagte lächelnd zu dem Knaben:

»Du willst, daß ich Dir wieder ein Märchen erzähle; weißt Du, von wem ich Dir gestern sprach?« Tilo kreuzte seine Arme über die Brust und sein Gesicht verriet Nachdenken. Als er längere Zeit schwieg, sagte die Blinde:

»Tilo, ich bitte Dich, denke ordentlich nach, denn ohne Aufmerksamkeit wirst Du nie in Deinem Leben ein wahrhafter Rittersmann, der seine Feinde überall aufsuchen und genau wissen muß, wo er sie zu finden hat.«

Der Knabe sah, sein Köpfchen schüttelnd, bald Hunold, bald die Blinde an, während das Mädchen ihre Augen ängstlich auf den Bruder geheftet hielt. Mit einem Male eilte Tilo zu Hilda, kniete vor ihr und legte seinen Kopf in ihren Schoß; die zarte Hand des Mädchens fuhr durch das weiche Gelock des Kindes, das zaghaft seine Augen zu der Blinden erhob und mit bebender Stimme sagte:

»Ich möchte nur zuhören, was Hunold erzählt, den ganzen Tag, aber ich kann nichts wieder erzählen, und Hilda, nicht wahr, ein Ritter kann ich darum doch werden?«

Da drängte sich eifersüchtig Irma hinzu und sagte: »Wenn nun ich es aber weiß, werde ich dann ein Ritter?«

Alles lachte und die Blinde hob das herzige, kleine Mädchen zu sich empor und küßte es.

»Ein Ritter zwar nicht,« erwiderte ihr Hilda, »aber eine Schloßherrin, groß, schmuck, mit schönen Kleidern und auf stolzem Pferde reitend.« Zufrieden nickte das Kind. »Jetzt werde ich Euch berichten, wovon Hunold erzählte,« sagte sie und begann:

»Es war in der Wüste, wo die heiße Sonne Jahr aus Jahr ein, durch die langen Tage den gelben Sand bestrahlt. In der Wüste giebt es kein Wasser, und wer durch den tiefen Sand zieht, muß vor Durst verschmachten, wenn seine Zugtiere nicht Wasser mit sich schleppen. Die Zugtiere aber sind groß, zweibeinig, mit langem Hals und kleinem Kopf und man nennt sie …

»Kamele,« rief Tilo, wie aus einem Traum erwachend aus, und indem er dem Mädchen, von deren Rücken herkommend, seine Hand vor den Mund legte und sie so am Weitersprechen verhinderte, fuhr er schnell weiter fort: »Ja, man nennt sie Kamele; der Reiter, der sie führt, sitzt auf einem Höcker, und sie gehen bei sieben Tage durch die tiefen Wüsten, ohne irgend Durst zu empfinden. Aber in der Wüste hausen die wilden Tiere, deren König der Löwe ist. Er ist wie eine Katze gestaltet und hat lang wallende Haare um den Kopf, die man eine Mähne nennt. Und sein Fell ist so gelb wie der Wüstensand.«

Die Blinde, welche lächelnd dieser kindlichen Erzählung folgte, sagte: »Nun gut, Tilo, Du hast gut behalten, doch Dein Schwesterchen ist aufmerksamer wie Du, und deshalb mag sie weiter erzählen.«

Irma hörte kaum dieses Lob, so sprang sie jubelnd in die Höhe, und wie ein Bergström ergoß sich ihre Rede. Genau wie Hunold es ihr erzählt hatte, gab sie die Mär von Heinrich dem Löwen wieder, wie er, der gefürchtetste Feind des Kaisers Rotbart, eine Fahrt ins gelobte Land antrat, und in der Wüste einem Löwen, dessen Schmerz sein Mitleid erregte, einen Dorn, den sich das Tier in den Fuß getreten, auszog. Der königliche Löwe empfand für den Helden dauernde Erkenntlichkeit und folgte ihm nach seiner Residenzstadt Braunschweig, wo nur der Tod ihn von seinem Herrn scheiden konnte. –

Als das Mädchen geendet, stand es erwartungsvoll da, und die Herumstehenden waren von ihrer trefflichen Wiedergabe entzückt. Nur der kleine Bruder hatte hier und da zu mäkeln, bis auch er zuletzt nichts Tadelnswertes mehr fand, und Hand in Hand mit seiner Schwester zu dem lächelnden Hunold hineilte, um jenen zu bitten, ihnen aufs neue eine Mär zu erzählen. Willfährig nickte der Spielmann, und dem Knaben die Rechte, dem Mädchen die Linke gebend, zog er mit den Kindern von dannen, um sich einen Winkel aufzusuchen, der lauschig genug wäre für seine Märchen und frohen Lieder, mit denen er die Kinder so reich beglückte.

Die Sonne schien in diesem Jahr für die frühe Jahreszeit sehr warm, auch hatte ein während Tag und Nacht wehender Südwind dafür gesorgt, daß Schnee und Eis dahinschmolzen wie Wachs, und da die Weser durch ein Flachland strömt, das weder durch Hügel, noch dazumal durch Dämme gegen die Frühjahrsfluten geschützt war, so ergoß sich der wilde Strom über die urbar gemachten Gelände in der Umgebung der Lingenburg und auch über das Ehrenfelser Gebiet. Am Nachmittag des Tages, an welchem sich die Großen an den frischen Sinn der Kinder ergötzten, stellte sich ein Reiter, ein Dienstmanne Peters, auf der Lingenburg ein, um vom Ritter Ottokar dringende Hilfe zu fordern. Der Strom sei, so berichtete er, meilenweit über die Ufer getreten, und die Dörfer, in welchen die Dienstmannen Peters Haus und Hof besäßen, wären nicht im Stande, sich der Wassersnot zu erwehren. Das Getreide, welches in großen Scheuern geborgen und den Reichtum des Burgherrn sowohl als des freien Mannes bildete, sei bedroht von dem Wasser, das schon gierig bis zu den Thoren der Scheunen leckte. Ottokar hatte bereits Hilfe für seine eignen Dienstmannen gespendet und von dem hohen Wartturm der Burg hing des Abends ein eiserner Korb an einer Kette hernieder, der brennbaren Stoff enthielt und dessen rot erstrahlende Flamme den Umwohnern anzeigte, wohin sie bei eintretender Gefahr ihren Weg zu nehmen hätten, um Obdach und Nahrung zu finden. Die Burg füllte sich, da die Flut stieg, bis zum nächsten Tage mit Jammernden, die auf Kähnen angelandet, nur wenig Hab und Gut dem rauschenden und gierigen Wasser entreißen konnten. Greise, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet und gespart, um ihren Lebensabend in Ruhe dahin zu bringen und ihren Kindern ein Erbe zu hinterlassen, bargen das Haupt in beiden Händen, denn sie wagten nicht auszusprechen, was sie in der Tiefe des Herzens fühlten. Umsonst war ihr Bemühen gewesen, umsonst ihr Fleiß und ihre Sorge. In ihrem Heim wogten die Wasserfluten und ein Meer bedeckte die Ufer, an denen sich gestern noch wohlhabende Höfe und Niederlassungen erstreckten; sie hatten all ihr Gut verloren! – –

Da gab es viel zu thun auf der Lingenburg. Gesang und Spiel, Kinderrede und frohes Beisammensein war mit einem Male wie hinweggeweht. Die Burgherrin versah die Armen, die manchmal kaum das nackte Leben gerettet hatten, so weit wie sie konnte, mit Kleidungsstücken. Die mächtigen Truhen, in denen die Kleider seit langen Zeiten lagerten, öffneten sich und alte prächtige Gewänder, welche dem Sinne der Burgherrin nicht mehr anstanden, wurden zu Kleidungsstücken verschnitten, um die Blößen der Armen zu bedecken. Sämtliche Gebäude der Burg waren mit Flüchtlingen angefüllt, Männer, Frauen und Kinder hatte das feuchte Element aus ihrem heimatlichen Besitztum verdrängt, und alle genossen sie die Gastfreundschaft Ottokars und Hedwigs. Viel Arbeit gab es da zu verrichten, um einem jeden zu genügen, denn die Leute, des Kummers voll über das eben schrecklich Durchlebte, forderten bald, was man erst ihnen aus gutem Herzen freiwillig entgegenbrachte, und die Menge der vor dem Wasser Flüchtigen drohte die Lebensmittel, welche auf der Burg für die sonst vorhandenen Einwohner in Hülle und Fülle vorhanden waren, in größter Kürze aufzuzehren.

Da war es Hilda, die mit ihrer engelhaften Anmut auch die Herzen derer gewann, welche roh und wilden Sinnes die Güte der Burgherrschaft als Pflicht ansahen. Die Rohheit und Undankbarkeit eines großen Teiles der Geflüchteten ließ es schon nach wenigen Tagen, während Tauwind und Regen die Fluten noch immer höher steigen machten, zwischen ihnen und der Burgwache zu Zusammenstößen kommen, die jedesmal aber durch Hilda's Erscheinen abgewehrt werden konnten und unblutig verliefen. Es war etwas Eigenes in diesem Mädchen, welches auf einen jeden, der ihr näher trat, einen versöhnenden und gewinnenden Eindruck machte, der noch zunahm, wenn sie ihre leise und doch so deutliche Stimme ertönen ließ.

Sie hatte sich das Herz der Kleinen ganz zu eigen gemacht und wenn sie kam, geleitet von ihrer kleinen Freundin Irma, so sprangen ihr von allen Seiten die jubelnden und sich balgenden Kinder entgegen, und umwogt von dieser Schar nahm sie Platz in einer der Lauben, in denen sie so gern weilte. Lautlos ward es in dem Kreise, wenn sie zu sprechen anfing, und bald hallte der Raum wieder von einer frommen Weise, die allen Kindern geläufig war und sie zu einer gemeinsamen Thätigkeit veranlaßte. Ein mildes Wort genügte, um die Widerstrebenden und Trotzigen zur Friedfertigkeit zu bekehren, und wenn sie Irma eines jener Märchen vortragen hieß, das ihr Hunold am Tage vorher in seiner geheimnisvollen Weise erzählt hatte, so lauschte die Kinderschar offnen Ohres, und das kleine Mädchen wußte so genau den Ton des Spielmannes und seine Art zu treffen, daß ihre Altersgenossen noch lange stumm unter dem Eindrucke des eben Gehörten dasaßen, wenn die Geschichte längst beendet war. Die Mütter bildeten den Hintergrund der zuhörenden Kleinen, und während in den ersten Tagen Streit und Unfrieden die an Ruhe gewöhnten Burgbewohner gestört hatte, herrschte wenige Tage später voller Friede durch Hilda's wunderbares Walten und ihren Einfluß auf Jung und Alt.

Am sechsten Tage der Überschwemmung war ein zweiter Bote Peters eingetroffen, der nach dem Verbleib des ersten forschen sollte, doch dieser war auf der Burg zurückgeblieben, weil das Wasser ihm einen Durchgang zur Burg Ehrenfels nicht mehr verstattete. Der zweite Abgesandte Peters hatte den Weg zu Wasser zurückgelegt und war unten am Burgberg angelangt, denn der Fluß hatte die Straße klafterhoch überflutet, welche zwischen dem Ufer und dem Berg, auf dem sich die Lingenburg befand, dahinführte. Der Sendling bat dringend um Hilfe für seine Herrschaft, denn weit und breit waren Straßen und Wege unter Wasser gesetzt, die Dörfer ausgestorben, und auf dem Ehrenfels kein Vorrat. Ottokar war in Verlegenheit, denn seine Lebensmittel waren knapp und auch bei ihm war an ein Herbeischaffen neuer Brotvorräte aus den Dörfern nicht zu denken. Sein treuer Sinn indessen überwand die Bedenklichkeit und er ließ das Boot, das jetzt dem Ehrenfels neue Vorräte bringen sollte, bald mit Lebensmitteln versehen. Die Außenwelt blieb durch die Überschwemmung den Leuten auf der Burg versperrt und so wurde die Zeit, anstatt durch Umherstreifen in der Umgegend, durch ritterliche Künste und Kampfübungen zwischen den Dienstmannen der Lingenburg ausgefüllt. Mit Schwert und Streitaxt wurde die Geschicklichkeit versucht, zu Pferde ein Rennen gegen einander veranstaltet, und zu Fuß im ehrlichen Kampfe gerungen. In jeder Kampfübung blieb Heinrich Sieger, denn frühzeitig war ihm schon die Wehrfähigkeit beigebracht worden, und die Geschmeidigkeit seiner Glieder übertraf die seiner Widerpartner um ein Bedeutendes.

Udo von Zwingberg und Hermann von Hochheim waren vermöge ihres Ranges von der Dienstmannenschaft des Grafen ganz besonders geehrt worden, und sie galten bei derselben in ritterlichen Künsten als ganz besonders erfahren. Es verdroß sie sehr, daß der Italiener, wie sie Heinrich nannten, den Sieg über sie davon getragen hatte, und da sie ihm weder bei dem Burgherrn noch bei Hedwig Übles andichten konnten, so beratschlagten sie auf ihrer Kammer, wie dem Fremden beizukommen wäre. Das Schlafgemach des ersten Boten Peters war nur durch einen Bretterverschlag von dem ihrigen getrennt, und in der Nacht, die er auf der Lingenburg zubrachte, konnte er vernehmen, worüber die beiden Jünglinge sich unterhielten. Dabei war er wohl eingedenk, daß nicht die Wasserflut ihn auf der Lingenburg hielt, sondern der Befehl seines Herrn, der ihm als dem verschlagensten und meist ergebenen seiner Diener den Auftrag gegeben, sich Heinrich zu nähern und ihn über seine Absichten auszuforschen. Peter hatte ihm eine hohe Belohnung versprochen, wenn er den Auftrag seiner Zufriedenheit gemäß ausführte, und war der Ritter auch nicht gar wählerisch gewesen über die Mittel, die er ihm anempfahl, um zu seinem Ziele zu gelangen.

Bodo, so hieß der Vertraute des Herrn vom Ehrenfels, hatte durch Freigebigkeit und leutseliges Benehmen sich die beiden Knappen zu gewinnen gewußt und sie ganz unmerkbar in ihrer Abneigung gegen Heinrich bestärkt. Er zischelte ihnen in die Ohren, daß der Neffe Ottokars dazu bestimmt sei, den Rang einzunehmen, der ihnen mit Recht gebühre und daß die körperliche Gewandtheit und Überlegenheit Heinrichs ihnen die Achtung rauben würde, in der sie bei den Dienstmannen des Ritters ständen. In jener stillen Nacht hörte er, wie sein Gift auf die Jünglinge wirkte und er wußte wohl, daß der böse Samen, den er ihnen in das Herz gelegt, auch wenn er die Burg verließe, Früchte zeitigen würde, die ihm und seinem Herrn zu gute kämen. Zuvor aber gedachte er noch einen Meisterstreich zu thun. Er hatte bemerkt, daß Hunold und Heinrich die Laute schlugen und meinte, daß auch hier ein Freund für seine Sache zu gewinnen wäre, wenn er den Spielmann auf die Kunst des Italieners eifersüchtig machen könnte. Hunold war indessen schon gleich der Verkehr Bodo's mit den beiden Knappen aufgefallen und da ihm durch die Schloßherrin nicht fremd war, daß Peter der Ankunft Heinrichs mit banger Sorge und mit verräterischen Absichten entgegensah, so glaubte er vor dem Abgesandten des Ritters Peter von Ehrenfels auf der Hut sein zu müssen.

Mit teuflischer Gewandtheit suchte Bodo sein Ziel zu verfolgen, und da Hunold seinen Reden lauschte, ohne ein Zeichen des Mißfallens zu geben, so wurde er in seinen Mitteilungen dreister und drang in den Spielmann, da er das volle Vertrauen des Italieners besäße, die Habseligkeiten desselben zu untersuchen, um auf die Urkunde zu fahnden, die Heinrich als Erbe der Lingenburg und des Ehrenfels erweisen würde.

Der Spielmann unterdrückte eine kräftige Verwünschung, als ihm Bodo das Anerbieten machte und seine Hand faßte nach dem Griffe eines Dolches, das an seiner Seite hing, um diesem verräterischen Gaste Ottokar's seine wahre Gesinnung durch die Waffe fühlbar zu machen, doch bezwang er sich und gab eine ausweichende Antwort, die Bodo als Zustimmung deutete.

Einige Tage brachten die zwei Boten Peters noch auf der Burg zu, um das Boot mit den Nahrungsmitteln, die Ottokar ihm gewährt hatte, zu füllen. Am Morgen des Tages, an dem die Abreise von Statten gehen sollte, wurde das Fahrzeug für die Fahrt zum Ehrenfels fertig gestellt. Die Sonne leuchtete klar und hell von dem von Wolken ungetrübten, blauen Himmel hernieder und beschien in dem Flußthal eine unendliche Wasserfläche, welche durch einen leichten Wind sanft gekräuselt wurde. Ein tiefer Frieden ruhte auf der Natur, die im Zeitraume von wenigen Tagen die ganze Umgegend so verändert hatte, daß auch das Auge des Anwohners sich kaum noch zurechtfinden konnte. Allenthalben konnte man die Zerstörungen erblicken, die das empörte Element an der Menschenhände Werk bewirkt hatte, und gefahrlos war eine Fahrt auf dem Strom durchaus nicht, denn das Wasser führte entwurzelte Bäume, Überreste von Häusern, ja ganze kleine Inseln mit sich fort, welche die Gewalt des Stromes vom Ufer losgerissen hatte. Weit und breit vernahm man auf der Wasserfläche keinen Laut, nur der Fischreiher trieb, den spitzen Schnabel oftmals in die Wellen stoßend, mit langsamen Schlag seiner Flügel dicht über der Oberfläche des Wassers dahin, um einen der vielen Fische zu erbeuten, welche des Stromes Schnelle wider ihren Willen dem Meere zutrieb. Strudel hatten sich gebildet und zogen mit ihren immer enger werdenden Kreisen manches Stück toten Viehs, welches im Gehöfte oder im Stall vom Wasser erreicht worden, in das nasse Grab. Der gurgelnde Laut, den das Wasser auf Strecken hin von sich gab, zeigte die Stellen, wo Land und Strom sich ehemals schieden – für ein Fahrzeug eine ernste Klippe, denn hier warteten seiner gefährliche Untiefen.

Aber die trotz der frühen Zeit wärmende, goldige Sonne und der hellblauende Himmel gaben dem Wasser eine klare, durchsichtige Farbe, und die Ferne, in der der Horizont mit der Wasserlinie zusammen zu fließen schien, war in einen duftend, bläulichen Nebel gehüllt, dessen Durchsichtigkeit das Auge entzückte.

Bodo und sein Genosse hatten sich eben mit dem besten Danke von den Insassen der Burg verabschiedet und gingen unter dem Geleite Karls, des Kellermeisters, den steilen Burgberg hinunter, als hinter ihnen Hunold erschien, um ihnen zu sagen, daß er sie auf der Fahrt nach dem Ehrenfels begleiten würde. Bodo war dieser Entschluß des Freundes, den er an Hunold vermeintlich besaß, nicht angenehm, denn er hoffte von ihm Ersprießlicheres, wenn jener für Peter auf der Lingenburg thätig bliebe. Aber der Spielmann sah die überraschte Miene des Versuchers nicht, sondern schwenkte frohen Muts seine Mütze mit der Hahnenfeder gegen Heinrich und Ottokar, die ihm aus dem Laubenbogen ein herzliches Lebewohl zuriefen. Der Abschied von den lieben Leuten war ihm schwer geworden, da er jedoch binnen einer Woche sein Wiederkommen zusagte, so tröstete sich auch Hilda, die wegen der Unterbrechung in der musikalischen Unterweisung besorgt war und sich eingestehen mußte, daß der Spielmann einen tiefen und wohlthuenden Einfluß auf sie ausübe. Das Grauen, das sie seit der Erzählung ihrer Tante anfänglich gegen Hunold gehabt, war einer tiefen Bewunderung für seine Kunst und sein Wissen gewichen, und wenn es ihr auch ab und zu wunderlich dünkte, daß der Spielmann von Menschen berichtete und so eingehend, so genau ihr Thun und Handeln schilderte, als wenn sie noch lebten, obwohl sie schon Jahrhunderte lang von der Erde bedeckt wurden, so dachte sie über diese Wahrnehmungen nicht sonderlich nach, weil das Wissen Hunolds, und die Art und Weise seines Erzählens, sein ewig frohes Wesen und die freundlich einschmeichelnde Art in der er sich mit den Kindern unterhielt, den rührendsten und gewinnendsten Eindruck auf sie machte. Und nun erst auf die Kinder! Irma und Tilo hatten kaum gehört, daß der Spielmann sie verlassen wollte, als sie auf den Burghof eilten, unter dessen Linde eben Ottokar Hunolds Entschluß mitgeteilt hatte und sich unter Liebkosen und Wehklagen an die Arme und Beine ihres Freundes hängten. Nur wenige Tage hatten ihn zum Liebling aller werden lassen, während Paulus, der im Kloster und auf dem Wege nach der Burg Heinrich viel mitteilsamer erschienen war, seit dem ersten Abend seiner Ankunft wortkarg und für die Bewohner der Burg nur selten sichtbar, seiner Schreiberei nachging, die sich indessen auch in wenigen Tagen ihrem Ende nähern mußte. –

Von einem leichten Winde getrieben, fuhr das Schiffchen mit seinen drei Insassen auf dem zum Meere gewordenen Strome dahin; Bodo bediente das Segel, während Hunold am Steuer Platz genommen hatte, das er so umsichtig zu handhaben verstand, daß das Fahrzeug einem jeden dahintreibenden Baumstamm von weitem auswich, und sich stets in der richtigen Strömung bewegte. Einige Stunden später erblickten sie den Ehrenfels. Die Burg war klein gegen den Besitz Ottokars. Auf mächtig hohem Berge erhoben sich einige festgebaute Wohnhäuser ohne Mauer, die in ihrem unteren Teile nur die Burgpforte, sonst weder Thür noch Fenster aufwiesen, und erst etwa vom zweiten Stockwerk aus einen Umblick auf die Gegend verstatteten. Ein viereckiger, kunstlos aus Backsteinen erbauter Turm überragte die an sich schon hohen Häuser, und ein zwiefacher Graben, über welchen bewegliche Brücken führten, schützte diese nicht allzu wehrhafte Burg vor einem unvermuteten Überfall.

Auch hier war das Wasser weit über die Ufer getreten, und die Wellen beleckten gierig den steilen Burgberg. Die Strömung war an dieser Stelle, wo sich dem Wasser Buschwerk und zähes Geäste entgegenstreckte, eine sehr starke und für die Schiffer sehr gefährlich; trotzdem überwand das Schifflein mit größter Leichtigkeit ein jedes Hindernis, und kurz vor dem Vesperläuten legte sich das Fahrzeug an den Burgberg des Schlosses Ehrenfels.

Peter hatte die Ankommenden von weitem bereits wahrgenommen. Bange Zweifel waren in ihm aufgestiegen, ob der Vetter, dem er mit seinem neulichen Betragen wohl tiefes Herzeleid zugefügt hatte, ihm den benötigten Mundvorrat geben würde. Der Wahrheit gemäß war Peter jedoch auf die Gabe Ottokars nicht so angewiesen, als es bei der Dringlichkeit, die er seinem Boten aufgetragen hatte, erschien. Er hatte keinen seiner bäuerischen Dienstmannen länger als einen Tag auf der Burg behalten, und obwohl das Elend dieser Leute himmelschreiend war, so erklärte er ihnen am Morgen des zweiten Tages, daß es ihm an Vorräten gebräche, und er sie also nicht ferner ernähren könne, ohne sich selbst Preis zu geben. Eine stattliche Anzahl Gewappneter zu Fuß und zu Pferde unterstützte den Ausspruch des übermütigen Ritters, so daß die Notleidenden gezwungen waren, ein anderes Obdach aufzusuchen, während von vielen hundert Bauersleuten mancher Fluch über den hartherzigen Burgherrn zum Himmel stieg.

Der Auszug der armen Leute ging mit Hilfe der Bewaffneten schnell von Statten, aber lautes Jammergeschrei der Frauen und Kinder begrüßte Peter, als er sich an einem Fenster der Burg zeigte. Auch der harte Sinn eines Mannes, wie Peter, wurde durch die grausame Austreibung der armen Leute erweicht, und mitleidig, soweit er es nur werden konnte, gab er den Befehl, das Lagern der Armen zwischen dem ersten und zweiten Graben der Burg zu gestatten; hier waren sie wenigstens vor der drohenden Wassersgefahr geschützt. Aber Bertha, seine Frau, übertraf ihn noch an Hartherzigkeit. Gerade unter ihren Fenstern hatten sich die Männer mit ihren Frauen und Kindern, welche eben mit Hinterlassung all ihres Eigentums der Wassersnot entkommen waren, ein Zeltlager gebaut, das ihnen bei der prächtigen, warmen Sonne für den Tag Obdach gewährte. Die Art der sächsischen Männer, wie sie an der Weser saßen, war kühn und trotzig, und das Unglück konnte sie nicht leicht entmutigen. Die Burgherrin war erstaunt über die Fassung der auf den Ehrenfels Geflüchteten, als der grausame Befehl ihres Gatten, dessen Urheberin sie war, die paar hundert Menschen in die Wildnis hinaustrieb. Sie hatte auf Widerstand zu stoßen gedacht, der ihr unmenschliches Betragen vor ihr selbst rechtfertigen sollte. Als jedoch der ganze flüchtende Troß mit seinen wenigen Habseligkeiten, die er aus dem brausenden Strom gerettet, ohne Murren den Burghof verließ, und sich zwischen dem ersten und zweiten Graben vor der Burg lagerte, stieg der Ärger über Peters Nachgiebigkeit in ihr empor, und da sie vorgab, daß das Geschrei der Kinder ihren Schlummer störe, so ritten auf ihren Befehl, ohne die Unglücklichen vorher zu warnen, Bewaffnete in das Volk ein, und das Jammergeschrei der zu Boden Geworfenen und der von den Hufen der Pferde Getretenen erfüllte die Luft.

Zu dieser Zeit gerade stieß das Schiffchen gegen den Steg, welcher zu dem Burgberg führte, und Hunold, welcher bereits von weitem den ihn befremdenden Tumult vernommen, sprang an das Land. Dichte Schwärme großer Wasserratten hatten die langen Ruder der Landenden aufgeschreckt, und sich eine über die andere stürzend, liefen sie vor dem Spielmann her, der ihrer wenig achtete, da das Geschrei der Bedrohten immer dringender und näher ertönte. Jetzt hatte er den äußeren Graben erreicht, und vor ihm bot sich das ergreifende Bild der Austreibung der Notleidenden, deren Wehgeschrei er schon von weitem gehört. Schnell schaute er um sich, ob, da die Zugbrücke aufgezogen war, kein anderer Steg sich darböte, um an das andere Ufer des Grabens, der hoch mit Wasser gefüllt war, zu gelangen. Während dessen senkte sich jedoch die Brücke, um den Volkshaufen hinüber zu lassen, der von den Reitern ihm entgegen getrieben wurde. Kaum aber verband die Brücke den Burgwall mit dem Lande jenseits des Grabens, als der Spielmann bereits inmitten derselben stand, und sein Schwert ziehend den Reitern ein donnerndes Halt zurief. Die Bewaffneten stutzten anfänglich, als aber der Anführer, welcher über die Zugbrücke bis an den Spielmann herantrabte, sich nur diesem allein gegenüber sah, lachte er spöttisch, und ohne ihn eines Wortes zu würdigen, trabte er zu seinen Dienstmannen zurück, um das Austreibungswerk und damit den Befehl seines Herrn vollends auszuführen. Die geängstigten und bemitleidenswerten Dorfleute hatten einen Augenblick Atem geschöpft, aber dies war nur die Ruhe vor dem Sturm. Der Kreis der Reiter, welcher sich nach der Zugbrücke zu immer mehr verengte, schloß sie jetzt ringsum ein, und nur die Brücke gab ihnen freien Auslaß, wollten sie nicht in den tiefen Graben getrieben werden. Mit Wehgeschrei und Verwünschungen gegen den hartherzigen Herrn der Burg betraten die Vordersten den schwankenden Pfad. Hier stand Hunold noch, und als die Reiter Peters auf die Letzten, welche mit Hausrat und Wirtschaftsgeräten beladen waren, einsprengten, und diese vor den nachdrängenden Pferden nicht so schnell laufen konnten, machten sie von ihrer Waffe Gebrauch. Da scholl ihnen ein zweites Halt entgegen, das die Pferde zum Stehen brachte. Woher aber scheuten die Tiere und entsetzten sich die Reiter? War es der Laut der Stimme, die rauh und donnergleich in die Menge hineinschallte, oder war es die Gestalt des Spielmanns, die eben noch jünglingsgleich, jetzt furchtbar wie ein Riese der Vorzeit erschien. Hunold war verschwunden und ein Greis stand da, bekleidet mit einem braunen Kittel, der, bis zu den Füßen reichend, ärmellos die sehnigen Arme frei ließ, welche er wie beschwörend weit von sich streckte. Kurzes, weißes Haar starrte in wenigen Büscheln auf blankem Schädel, und das Gesicht glich dem gemeißelten Antlitz eines Marmorbildes, das Jahrhunderte lang Wind und Wetter Trotz geboten und nun verwittert und vom Regen durchfurcht der Zerstörung Beute wird. Es war jenes Gesicht, das Hilda Heinrich vor wenigen Tagen geschildert hatte, wie es Hedwig gesehen und mit Angst und Entsetzen erfüllt hatte.

Von dem Fenster des hohen Wohnhauses, dessen untere feste Mauern zugleich als wehrhafte Befestigung der Burg dienten, betrachteten Peter und Bertha die Austreibung der Unglücklichen.

Das Zurückweichen seiner Reiter erregte den Zorn des Ritters, und mit kräftigem Fluch den Rest des Humpens leerend, der auf eichenem Tische, mit süßem Weine gefüllt, hinter ihm stand, eilte er die Treppenstufen herunter. Seine Sporen klirrten und seine polternde Stimme schallte weit, als er aus der Burgpforte über den ersten Graben laufend in die Mitte seines scheu zurückweichenden reisigen Volkes trat.

»Was zaudert Ihr,« fuhr er den Anführer seiner Reiter an. »Seid Ihr denn kraftlos, daß Ihr vor einer wehrlosen Masse zurückweicht, habt Ihr nicht Schwerter? Wie sollte Euch solch Gesindel widerstehen?«

Dumpfes Murren ließ sich aus der Volksmenge hören. Die Männer, die eine stattliche Anzahl bildeten, hatten inzwischen die Frauen und Kinder hinter sich geborgen, und sich auf ihre Wanderstöcke stützend, sahen sie nicht aus, als wenn sie gutwillig das Feld räumen wollten.

Peter blieb dies nicht verborgen, aber der Wein, der ihm in den Kopf gestiegen war, hieß ihn die gereizten Unglücklichen herausfordern.

»Verlaßt meine Burg,« schrie er heiser, »sonst seid Ihr Kinder des Todes.« Ein Wink von ihm hieß die Reiter wieder gegen die Menge vorgehen.

Diese schmachvolle Behandlung ließ den Mut in den Ausgewiesenen erwachen. Gefrorene Eisschollen flogen gegen die Pferde die vor Schmerz scheuten und ihre Reiter abwarfen.

Der Würdigste der Unglücklichen, ein Greis, Hatto mit Namen, rief laut seinen Gefährten zu, sich jeder Thätlichkeit zu enthalten, und auf Peter zuschreitend, bat er ihn, die Reiter zu entfernen, worauf er sein Volk in Frieden von der Burg zurückrufen wolle.

Da erscholl von der Pforte des Burghofes Gebell. Zwei blutgierige Hunde, von einem Jagdknecht an eiserner Fessel gehalten, zogen diesen mit grimmiger Gewalt über die Brücke bis vor Peter, den sie mit wütendem Gekläff umkreisten.

»Laß sie los,« schrie der Ritter dem Knaben zu und kaum, daß der Befehl ausgeführt wurde, so stürzten die beiden Tiere auf den Greis, der, noch auf Antwort wartend, vor Peter stand.

Da erklang von der Brücke her ein zitternder, klagender Ton, so durchdringend jedoch, daß er jedem in diesem grausen Gewühl hörbar war. Die wütenden Hunde, und die von ihren Reitern angetriebenen Pferde rührten sich nicht, ein leises Zittern ging durch ihre Glieder, und unruhig wandten sie ihre Köpfe nach jener Seite, von der jetzt Hunold, wie ehedem ein junger kecker Spielmann, auf Peter zuschritt. Als der frohe Gesell vor Peter stand, lagerten sich die beiden Hunde mit eingezogenem Kopf und hängendem Schwänze zu seinen Füßen.

Peter trat einen Schritt zurück; er hatte den Spielmann, der jenseits der Brücke gewesen, nicht gesehen. Er war betreten von der eigenartigen Sicherheit, mit der Hunold daherschritt, und als der Spielmann ihm gegenüber stand, überragte ihn dieser um Haupteslänge.

»Nicht rühmlich ist es, tapferer Herr, gegen Wehrlose zu streiten, auch nicht bedroht ein Ritter Notleidende, wie Ungläubige mit dem Schwert, denn Gott der Herr ist gerecht, und will nicht, daß der Arme seiner Hilflosigkeit wegen bedrückt werde,« redete Hunold den Ritter an und zu dem Volke sagte er: »Ziehet in Frieden, Ihr Leute, und suchet Eure Wohnsitze wieder einzunehmen, denn das Wasser sinkt, und da heut Neumond ist, und das Wetter gut, so dürft Ihr auf helle Tage rechnen. Ziehet hin in Frieden, auch für Nahrung werde ich Sorge tragen.«

Wie von einem Zauberbanne erlöst, kam Leben in die Schwergeprüften zurück und langsam, die Weiber und Kinder voran, wandte sich die Menge gegen den Abstieg des Burgberges, dem Flusse zu. Noch lange tönten ihre Wallfahrtslieder, die sie frommen Herzens in die linde Luft hinaus sangen, von unten herauf, als sie bereits wieder die Landstraße erreicht hatten, die jetzt von dem tauenden Schneewasser tief aufgeweicht war und nur langsames Fortkommen ermöglichte. Die Väter beluden sich mit den Kindern, und die Frauen zogen und schoben die kleinen Karren, die mit den Habseligkeiten jener Glücklichen beladen waren, die einiges von ihrem Eigentum noch vor Eintritt der Flut bergen konnten. Schwächer, immer schwächer wurde der Gesang, und bald hörte man nur die hellen Stimmen der Frauen und Kinder, deren Klang der Wind ab und zu aus dem Thale heraufbrachte. –

Peter wußte nicht, wie ihm geschah. Die Reiter waren abgestiegen und hatten ihre Pferde in die Ställe gebracht. Die im Kampf ergrauten Männer schüttelten den Kopf, als sie sich des Mannes erinnerten, welcher soeben als Jüngling, zierlichen Schrittes über die Brücke gehend, vor Peter hingetreten war und welcher einige Sekunden vorher noch ein Greis, mit weißem, sich sträubende Haar, hoher Stirn und mit Augen war, die wie Feuerräder rollten, als er ihnen ein zorniges Halt entgegen rief. Einer fragte den andern, woher es nur gekommen, daß die Rosse nicht von der Stelle wichen, als der Fremde sein Greisenhaupt schüttelte und die feurigen Augen leuchten ließ, und ein jeder gestand es seinem Kameraden, daß auch ihm bleiche Furcht angekommen sei, als er das Antlitz, in seinem furchtbaren starren Ernst erschaute.

Peter war mit Hunold allein an dem Graben, der die Burg umzog, zurückgeblieben. Wie waren die beiden Männer, die sich hier gegenüber standen, verschieden! Der Ritter mit seiner kurzen, gedrungenen Gestalt, der Spielmann schlank, fast hager, raschen Ganges und jünglingshaften, echt ritterlichen Wesens. Das Gesicht des ersten war über und über rot vor Zorn und Weingenuß, und daß der Ritter diesem sehr ergeben war, zeigte die runde, trotzig in die Welt schauende Nase, die sich fast braunrot aus seinem Antlitz abhob. Das Gesicht des anderen trug den Stempel der Frohnatur und des angenehmen Wesens, namenlose Güte leuchtete aus den Augen, während seine schnellen Bewegungen Ruhe- und Rastlosigkeit andeuteten. Peter trug ein reiches, ritterliches Gewand, dessen gepuffte Ärmel seine Gestalt noch breiter machten, und die Füße steckten in ungeheuren Stulpstiefeln, welche den an und für sich schon kleinen Ritter noch unbedeutender erscheinen ließen. Dagegen schritt der Spielmann in seiner leichten Tracht und dem anliegenden Wams, welches nach italienischer Art gearbeitet war, so stattlich und vornehm einher, daß er schon deshalb den Neid Peters erregte, der auf alle schlecht gelaunt war, die ihn in Schatten zu stellen drohten.

Nachdem sich beide kurze Zeit mit den Augen gemessen, lüftete Hunold anmutig seine Kappe und fragte: »Ihr seid der Burgherr?«

Peter mißfiel diese herablassende Art des Fremden höchlichst.

»Und Ihr seid der Springinsfeld, der mir durch Kunststücke sonderbarster Art meine Dienstmannen rebellisch macht und sie abhält meine Befehle zu vollführen. Wißt Ihr, junger Fant, daß ich Euch jetzt ergreifen könnte, und kein Hahn nach Euch krähen würde, wenn Ihr hier ins Verließ wandertet.«

Hunold lächelte spöttisch. »Wißt Ihr, mein Ritter, der so hochtrabend einen Fremden anspricht, daß ich Euch viel eher ins Jenseits befördern könnte, als Ihr Eure Drohung wahr macht? Seht den Graben, er enthält genug Wasser, um Eure kleine Gestalt darin aufzunehmen. Bevor Euch von drüben Hilfe erscheint, führe Eure schwarze Seele bereits in die Hölle.«

»Oho,« rief Peter, »denkst Du, daß ich ein Kind bin, um mich von Dir beleidigen zu lassen. Wehre Dich, Geselle.«

Damit hatte der Ritter sein Schwert entblößt, und schon erhob er es gegen Hunold, als dieser, zur Seite springend, ihm einen derartigen Faustschlag auf den rechten Arm versetzte, daß die Waffe Peters Hand entfiel. Hunold bückte sich und hob das Schwert von dem Boden auf.

»Es ist nicht gut,« sagte er bedächtig, »wenn jähzornige Menschen Waffen führen.«

Peter hielt sich mit der Linken den geschlagenen Arm. Das Innere seines Oberarmes durchzuckte ein brennendes Feuer, und so oft er, die Zähne zusammen beißend, den Arm erheben wollte, – ließ er ihn kraftlos fallen.

Vom Fenster des Herrenhauses der Burg sah Bertha diese Begebenheit mit an. Sie hörte ihren Mann nach Beistand rufen, und flugs eilte sie mit drei Bewaffneten die Treppe hinab, über den Burghof durch die Pforte zum größeren Burggraben. Dort traf sie Peter, der den Spielmann mit Schmähungen überhäufte. Er schrie über Zauberei und nannte Hunold einen Hexenmeister, der mit Blendwerk der Hölle ihn entwaffnet, und schwur hoch und teuer, an dem Fremden Rache zu nehmen. Die Burgfrau, welche ihren Mann in Bedrängnis sah, hieß die Dienstmannen, die Speere gegen den Eindringling richten, und während sie sich um Peter sorgte, gingen die drei Krieger Hunold zu Leibe, der ihnen jedoch ein jedes Mal, wo sie gegen ihn andrangen, so geschickt auswich, daß sie bald darauf verzichteten, den gelenkigen und unermüdlichen Quälgeist zu verfolgen.

Bertha sah, daß sie es hier mit jemand zu thun hatte, an den Waffen nicht heranreichten und als Peter nicht müde wurde den Fremden zu schmähen, herrschte sie ihren Gatten an und fragte ihn, ob er denn schon nach dem Begehr des rätselhaften Eindringlings gefragt hätte. Peter verneinte, und da Hunold inzwischen in seinem vornehm lässigen Schritt wieder nahe genug herangekommen war, so drängte sie sich durch die Bewaffneten, welche zwischen ihr und Hunold als Abwehr standen. »Seid Ihr ein Abgesandter des Himmels oder der Hölle?« fragte sie den Spielmann, der wenige Schritt vor ihr stillstand. – »Weder das eine noch das andere,« erwiederte er ihr, »sondern nur ein Abgesandter der Lingenburg, ein Freund vom Hause Ottokars, Eures Verwandten. Mit Euren beiden Dienstmannen vereint, habe ich das Schiff geleitet, welches Euch Brot zuführt. Sehet hier den Aufstieg der Burg hinunter, und Ihr werdet das Fahrzeug nebst Euren beiden Freunden erblicken.« – Peter schien von seinem Schmerz völlig geheilt zu sein, denn bevor Bertha und Hunold bis zu dem Abhang des Burgberges vortreten konnten, war jener bereits dahin geeilt, und lugte nach der angegebenen Richtung scharf aus. Die beiden, welche ihm folgten, sahen wie er den Kopf anhaltend schüttelte, und als der Spielmann und die Burgherrin an seiner Seite standen, drehte er sich um und schrie zu Hunold hinüber:

»Du magst alles sein, meinetwegen der Teufel selbst, aber Du bist kein Abgesandter von der Lingenburg. Du lügst, sobald Du mit uns redest. Komm, Bertha,« so wandte er sich an sein Weib, die einen Schritt von Hunold zurückgetreten war, »fliehe diesen Zauberer, denn sonst haben wir es noch zu büßen, daß wir ihm Red' und Antwort standen.«

Damit wollte er sich eilends entfernen, aber Bertha hielt ihn zurück. »Aus Dir spricht der Böse,« rief sie ihm zu; »als Mann, der Krieg und Streit gewohnt, solltest Du nicht, gleich einem kleinen Kinde, einem Dahergelaufenen das Feld räumen. Mir scheint der Mann nun grade kein Zauberer und wenn er von der Lingenburg kommt, so wird er wohl wissen, wann unsere Abgesandten von dort hier eintreffen werden.«

Hunold jedoch schien betroffen. Die Abendsonne vergoldete eben die hohen Spitzen der Wohnhäuser auf der Burg und warf einen scheidenden Strahl auf das Wasser, dessen Strömung breite Eisblöcke mit sich führte. Um besser zu sehen, schützte er seine Augen durch die vorgehaltene Hand, aber die Stelle, an der das Boot vorhin anlandete und wo er vorhin das Land bestiegen, war leer. Jetzt schüttelte er selbst das Haupt und seine Rechte von den Augen nehmend, trat er mit einer tiefen Verbeugung vor die Burgherrin, die noch immer den widerstrebenden Peter festhielt.

»Ihr seht,« sagte er, »die Wasserfläche, wie sie gen Norden dem Meere zueilt. So gewiß wie der Strom stets seine Wasser in das Meer lenken wird, so gewiß sagte ich Euch die lautere Wahrheit;« und ohne eine Antwort der Burgfrau abzuwarten, eilte er den abschüssigen Pfad hinunter, in mächtigen, sprunghaften Sätzen.

Unten brandete die Strömung gegen das Land. Der Sonnenstrahl berührte schon nicht mehr den Wasserspiegel, sondern streifte das winterliche Geäst der vom Fluß drüben unterspülten Bäume. Ein schneidender Luftzug wehte von der Wasserfläche der Weser her, und fröstelnd sah sich der Spielmann nach allen Seiten um, ohne eine Spur von dem Schiff und seinen Gefährten zu entdecken. Der Wind strich durch die Bäume mit einem klagenden Ton, der, als er sich oftmals wiederholte, die Aufmerksamkeit Hunolds erregte. Er lauschte, woher der Klagelaut kam, und als er jetzt von neuem ertönte, ging der Spielmann dem Schall nach.

Das Schauspiel, das sich ihm darbot, als er durch das Gehölz schritt, welches sich um den Burgberg erstreckte, und das schon halb von dem Strome bewässert war, ließ ihn anfangs hell auflachen. Bodo und sein Gefährte lagen auf einander gebunden, und zwar so, daß das Gesicht des einen die Füße des anderen berührte, gerade am Rande des Waldes, wo der Fluß seine kalten Wellen ab und zu schon auf das Land sandte. Beide schrieen sie um die Wette nach Beistand; so fest waren sie gefesselt, daß keiner den anderen befreien konnte, und die geringste unvorsichtige Bewegung hätte sie unfehlbar den schlüpfrigen Abhang hinab, in den dahinschießenden Strom rollen lassen.

Hunold stand ohne sich zu rühren hinter einem Baume, so daß ihn die beiden Bemitleidenswerten nicht sehen konnten. Einige Augenblicke sah er die unfreiwilligen Bewegungen der beiden Gefesselten mit an, und mit dem Haupte wie zustimmend nickend, schritt er über den moorigen Boden auf die Armen zu, welche bei seinem Erscheinen einen freudigen Ruf ausstießen und durch den scharfen Dolch Hunolds schnell von ihren Banden befreit wurden. Beide blieben sie vorerst ausgestreckt auf dem Boden liegen, denn die Seile, mit denen sie gefesselt waren, hatten tief in das Fleisch eingeschnitten, und den Blutumlauf gehemmt. Wie ein echter Samariter beugte sich Hunold über den verräterischen Bodo, welcher am meisten mitgenommen war, und kühlte die wunden Stellen, welche ihm die Fesselung zugezogen hatte. Nach langem Bemühen waren beide soweit hergestellt, um mit dem Spielmann den Weg zur Burg anzutreten. Schweigend und ohne nach ihrem Schicksal zu fragen, führte sie ihr Retter über die Zugbrücke in den Burghof, wo Peter eben beschäftigt war, einige Reiter abzusenden, welche dem verräterischen Spielmann nachsetzen sollten, der nach seiner Meinung entflohen war.

Die Nacht war inzwischen hereingebrochen und der Mond beschien hell den Burghof. Peter war unangenehm überrascht, als der Spielmann mit seinen beiden Dienstmannen den Hof betrat, denn er haßte diesen Mann vom Anbeginn, wo er ihn zuerst gesehen hatte. Es mißfiel ihm alles an ihm; sein hoher Wuchs, seine Beweglichkeit, die stets anmutig, ihn dagegen in einem nachteiligen Lichte erscheinen ließ, und nicht zuletzt die Überlegenheit des Geistes, welche Bertha zu der Bemerkung veranlaßte, daß ihr Ehegemahl sich an den Reden des Fremden ein Beispiel nehmen möchte. Hierüber besonders war Peter erbost, denn wenn auch sein Weib auf seine Entschlüsse großen Einfluß hatte, so geschah es doch zum ersten Mal, daß sie einen anderen lobend über ihn stellte. – Bodo ging dem Ritter gebeugten Hauptes entgegen und fiel vor ihm auf die Knie.

»Wo hast Du das Gut, das Dir anvertraut?« herrschte ihn dieser mit lauter, weit hintönender Stimme an. Bodo schwieg.

Die schreiende Stimme des Gemahls hatte die Burgfrau aus ihrer Kemenate auf den Hof gelockt und sie erschien gerade dort, um zu verhindern, daß Peter in seinem Zorn gegen den unglücklichen Bodo von seiner Waffe Gebrauch machte. Als ob sie schon öfter in gleicher Lage gewesen wäre, ergriff sie ihren Gemahl bei dem Arm, so daß er die Waffe sinken ließ und sagte zu Hunold: »Ihr seht, der Ritter ist in Wut über die Untreue seiner Diener. Ihr seid klug und, wie mir scheint, wohl erfahren mit Menschen umzugehen. Geleitet Bodo hinauf zu mir und wir werden hören, wenn Ihr ihn befragt, was sich zugetragen.«

Peter schrie dazwischen: »Auch jener ist ein Betrüger; verkauft haben sie das Gut, das Ottokar mir, seinem Vetter, gesandt.«

Was er ferner sagte, hörten die draußen Weilenden nicht, denn Bertha hatte den Tobenden in die zur ebenen Erde gelegene Burghalle gezogen und mit sich auf ihr Zimmer genommen. Der Burgvogt folgte diesen beiden, indem er Hunold mit Bodo zur Kemenate der Herrin geleitete.

Das Zimmer derselben war mit dem erdenklichsten Luxus versehen. Während auf der Lingenburg die Kemenate Hedwigs einfach, aber wohnlich war, hatte hier Zufall und Gelegenheit die prachtvollsten Stoffe und Gefäße zusammengebracht, um das Gemach zu einem reichen und gastlichen zu gestalten. Blauseidene mit prachtvollen Mustern gewebte Stoffe bekleideten die Mauern, und eben solche Vorhänge zogen sich an den Fenstern entlang. Eine Lampe, welche nach römischem Muster gearbeitet, auf kunstvoll geschmiedetem Schaft stand, warf ihr flackerndes Licht über das Zimmer. Eckige Stühle, auf denen seidene Kissen lagen, umstanden einen Tisch aus lichtem Holz, der mit prachtvoller Perlmutterarbeit ausgelegt war. Die Wände entlang, die den beiden Fenstern, aus denen der Blick weit über die dahinflutende Weser reichte, gegenüber lagen, zogen sich Bänke aus Ahornholz, welche ebenso wie die Stühle, mit blauseidenem Polster belegt waren. In Manneshöhe über diese Bänke liefen geschnitzte Bretter, auf denen man prachtvolle Gefäße kunstvollster Arbeit aufgestellt. Da sah man Silberhumpen aus Nürnberg neben einem goldenen Kästchen, welches wohl in Spanien entstanden, einen kleinen Heiligenschrein, der geöffnet, die Kreuztragung Christi in Mosaik zeigte und ganz aus edlem Holze, mit Metallen verziert war. Eine Räucherlampe prunkte dort, deren hoher Schaft ein Schwan krönte; sein offener Schnabel hielt an dreifacher Kette eine Schale, auf die das Räucherpulver geschüttet wurde, welches durch eine darunter brennende Lampe in Wolken verwandelt, mit ihrem Duft das Damengemach anfüllte. –

Hunold trat mit dem hinter ihm herschleichenden Bodo in dieses Zimmer ein. Sein kunstgeübter Blick überschaute die regellos umherstehenden kostbaren Gegenstände, und ein eigenartiges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesichte, doch nur für einen Augenblick, denn schon verbeugte er sich vor der Burgherrin und Bodo vorschiebend, sagte er zu ihr: »Der Bote des Ritters Peter wird bei seinem Schwur darthun, daß ich Euch recht berichtete, wenn ich erzählte, daß die Lingenburg durch mich Euch Vorräte sandte. Auch ich bin betrübt, daß ich nichts von dem vorhanden sehe, was ich mit Sorgsamkeit hierhergeleitet. Euch aber, Herr Ritter,« so wandte er sich an Peter, der in einem Lehnstuhle sitzend, die Hände über die Stuhllehnen stützend, weithin die Beine von sich streckte, »empfehle ich erst zu prüfen, dann zu beschuldigen.« Auf einen Wink der Schloßherrin setzte er sich ihr zur Seite, und Bodo, aufgefordert, zu berichten, wohin das Fahrzeug mit den Vorräten gekommen, begann seine Erzählung.

»Wir landeten an, und Hunold, der Spielmann, stieg aus. Wir waren seiner wartend, aber er ließ sich nicht sehen, und keiner von uns beiden konnte das Schiff verlassen, denn die Strömung trieb ungeheure Eisblöcke dahin, und wir hatten genug zu thun, um die Gewalt, mit der sie gegen uns liefen, zu mindern. Von der Burg hörten wir ein Tosen, als wenn viele Menschen zusammen stritten und schrieen, und wir wußten uns das Fernbleiben unseres Genossen nicht anders zu deuten, als daß ihm ein Unglück geschehen sei. Ich war eben dabei, das Fahrzeug an einen starken Baum festzubinden, damit es der Strömung widerstehe, als sich der Pfad, welcher von der Burg führt, zu beleben anfing, und vorerst Weiber und Kinder, dann aber wehrhafte Männer in großer Anzahl zum Fluß herabstiegen, weinend, schmähend und doch wieder trotzig. Ich konnte mir den Grund nicht erklären, aber mein Bemühen, das schwer zu bewegende Seil, welches das Schiff halten sollte, an einen ungefährdeten, starken Baum anzulegen, hatte die Aufmerksamkeit der Kinder erregt, welche sich um mich sammelten. Auch die Frauen standen still und lockten die Männer heran, von denen der Älteste nach kurzer Beratung mit seinen Genossen zu mir herantrat. Ohne ein Wort zu sagen, riß er mir das Seil aus den Händen und dasselbe ergreifend, zogen hunderte von Menschen das Fahrzeug an das Ufer, so daß mein Gefährte sich, ehe er es ahnte, auf dem trockenen Lande befand. Die Männer erkannten mich vorerst nicht, bis einer sagte: ›Das ist Bodo, ein Dienstmanne des Henkers dort oben, welcher ausgesandt war, um vom Ritter Ottokar von der Lingenburg Brot und Nahrung zu holen.‹ – ›Brot,‹ schrieen die Anderen, ›ist in diesem Fahrzeug! Auf, sehen wir nach, was es enthält.‹ Aber der Greis, der vorher gesprochen, wehrte mit beiden Händen ab. ›Wenn Ihr hier,‹ so sagte er, ›ein jeder Euren Antheil nähmet, so würde bald der Ritter Peter Euch das Erworbene wieder abjagen. Er wird uns verfolgen und Eure Weiber und Kinder töten. Wie aber, so setzte er hinzu, wenn wir das Fahrzeug mit uns nehmen?‹ Ein Beifallsgemurmel erhob sich um ihn herum. Ich jedoch schrie, daß das Schiff Eigentum meines Herrn Peter sei, und ich dasselbe mit meinem Schwerte verteidigen würde! Da nahmen mich vier Mann von dem Haufen, ohne daß ich es hindern konnte, von der Erde auf und banden mir Hände und Füße, und so sehr ich mich auch wehrte, – die Mehrzahl überwand mich. Ebenso erging es meinem Genossen. Und nicht genug damit; um uns zu höhnen, band man uns an einander, und ich sah mit meinen Augen, daß etwa zwölf von den Leuten ein Segel aufsetzten, welches sie auf dem Schiffe fanden und obwohl es gegen die Flut stark ankämpfen mußte, so glitt es doch bald dahin, mich in größter Verzweiflung zurücklassend. Bevor er sich den seinigen anschloß, wandte sich jedoch der Greis noch einmal an mich und sagte:

›Aus Deinen Reden höre ich, daß Du Deinem Herrn treu dienst. Ich fürchte, daß wenn er sofort erführe, was geschehen, er uns mit seinen Reitern nachsetzen würde, und wir sind waffenlos. Deshalb, lieber Freund, verhindern wir Dein Wegeilen, und wenn Dir Gott wohl will, so wird eine mitleidige Seele Dir Deine Freiheit wiedergeben …‹«

Peters Wut kannte keine Grenzen mehr. »Die Spitzbuben,« rief er, »haben mir mein Eigentum geraubt,« und sich auf seine Beine stellend, fuhr er fort: »Bodo, es sei Dir vergeben, daß Du ein Feigling warst, denn Geißelhiebe gebührten Dir, weil Du das Eigentum Deines Herrn Dir rauben ließest. Aber nun auf, wir wollen dieser Rotte folgen, und ich will nicht Peter heißen, wenn ich ihnen nicht den Raub wieder abnehme!«

Bodo, der von der überstandenen Lebensgefahr noch an allen Gliedern zitterte, war froh, daß er so leichten Kaufs davon kam, denn er kannte die Grausamkeit und die Rachsucht seines Herrn. Trotzdem wich er nicht von der Stelle, da ihm die Wundmale am Körper schmerzten.

Peter war jedoch schon im Gehen; an der Thüre stehend, wandte er sich noch einmal um, und seinen Dienstmann mit schmerzbewegtem Gesicht noch am Tische verweilen sehend, höhnte er denselben. »Sie haben Dir wohl übel mitgespielt, mein Täubchen,« so redete er Bodo an, indem er, in das Zimmer zurück, vor ihn hintrat. »Nun aber auf, Du fauler Bursch, Dein Herr will Deine Schmach rächen.«

Bodo vermochte sich aber nicht zu rühren. Da nahm Peter seine Faust, die der Stahlhandschuh bereits umschloß und klirrend gruben sich die Glieder des Handschuhs in Bodo's Wange. Blutüberströmt hielt sich dieser am Tische fest, während der Ritter ihn beim Arm nahm und ihn durch die Thür zerren wollte.

Da hielt es Hunold nicht länger.

»Herr Ritter vom Ehrenfels«, schrie er diesem zu, »gewährt dem Manne ein Krankenlager, worauf er gehört. Nichts anderes hat er gethan, wie Ihr, denn auch Ihr habt gefühlt, daß Ihr gegen das Volk in der Minderzahl wäret, und habt es so schnell wie möglich aus der Burg geschafft. Was sollte denn dieser Einzelne gegen die hundertfache Übermacht beginnen? Laßt ihn ziehen und seine Wunden kühlen, denn so behandelt man keinen tapfern Ritter.«

Peter war aber nicht zu bändigen. »Auch Du,« rief er dem Spielmann zu, »magst solch ein Räuber sein, wie jene anderen Spitzbuben, denn ich kenne Dich nicht, und unter meinem Dache ist kein Aufenthalt für Dich.« – Hunolds Hand faßte nach dem Dolch, der in seinem Gürtel steckte, doch Frau Bertha schien diese Bewegung vorher geahnt zu haben, denn ihre Hand legte sich auf die des Spielmanns und sie sagte zu ihm: »Habet Geduld mit ihm, denn er ist ein Rasender.«

»Ich, ein Rasender,« schrie Peter voll wütenden Zorns zu Bertha hinüber. »Woher willst Du Nahrung für unsere Burgmannen nehmen, jetzt, wo das Hungervolk uns alles weggegessen. Siehst Du denn nicht, daß beide Diebe sind, welche sich beim Raube halfen, und Du wagst sie noch zu schützen?«

Hunold war, ohne ein Wort zu erwidern, auf Peter zugetreten, der sich jedoch ängstlich vor einer Berührung mit ihm zu wahren wußte. Schon stand er in der Thür, als er sich noch einmal zu Bertha wandte:

»Habt Dank, Frau Bertha, daß Ihr mich schützen wolltet und wenn ich Euch etwas wünsche, so ist es dies: Seid klug, lasset Euch nicht von wildem Zorn übermannen Unrecht zu thun, denn Ihr wißt, Unrecht schlägt den eigenen Herrn. Und Ihr, Herr Ritter Peter, mäßigt Euch in Eurem Zorn. Vermeidet, friedfertige Kaufleute auf der Landstraße aufzulauern, denn der Galgen giebt es viele, und Kaiser Rudolph knüpft raubende Ritter ebenso wie diebische Bauern auf!«

Er eilte die Treppen hinab und durch die noch offene Pforte in die Wildnis hinaus …

Voller Grimm sagte Bodo zu Bertha: »Dieser Mann, der eben wegging, war unser Bundesgenosse im Streit gegen den Vetter Heinrich, dieweil ich ihn dazu gewonnen hatte.« Da erhob sich die Burgfrau zornig und herrschte ihren Gemahl an: »Dein Gebahren bringt es zu Wege, daß uns der Fremde austreiben wird von dem Gebiet, was Du seit Jahrzehnten Dein Eigen nennst. Deine Unklugheit macht unsern Plan zu Nichte. Auf! Was stehst Du hier? Folge dem Manne, bringe ihn mit Ehrenbezeugungen wieder heim.«

Damit suchte sie ihr Schlafgemach auf, während Peter die Stiegen hinabeilte und mit einigen Bewaffneten, von denen zwei Fackeln trugen, alsbald den morastigen Weg verfolgte, den der Spielmann kurz vorher eingeschlagen haben mußte.


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