Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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3. Der letzte Abend.

So kam der letzte Abend heran. Er hatte eine besonders festliche Erscheinung. Bei Verteilung meiner Wirtschaftsgegenstände hatte sich nämlich ein ungeahnter Reichtum an Stearinlichten ergeben, und da Rasumofsky, dem natürlich alles zufiel, hochherzig erklärte, zugunsten einer Illumination auf diesen Erbschaftsteil verzichten zu wollen, so hatte sich, unter Heranschleppung aller möglichen Blaker und Leuchter, die überhaupt aufzutreiben waren, eine feenhafte Beleuchtung bei mir vorbereitet. Selbst in der anstoßenden Kammer, in zwei Sandhaufen gestellt, brannten zwei Lichter. Es sah aus wie Weihnachten. Der Christbaum fehlte, aber sein festlicher Glanz war ausgegossen.

Licht gibt Heiterkeit. Ich ordnete meine paar Habseligkeiten, die mich in die Heimat zurückbegleiten sollten, setzte mich an den Schreibtisch, um ein paar Abschiedsbriefe zu kuvertieren, und sprang dann wieder auf, um in meiner Lichterallee spazieren zu gehen. Ich bin ein schlechter Sänger und Pfeifer; aber ich glaube, ich versuchte mich als beides.

Meine gute Laune hatte noch einen besonderen Grund; es war nämlich unmöglich, auf Rasumofsky zu blicken, ohne von jenem Empfindungskontrast berührt zu werden, der vielleicht die Wurzel alles Humors ist. Von den drei Kardinaleigenschaften meines Burschen, um derentwillen ich ihn überhaupt engagiert hatte, hatte ich bisher nur zwei kennen gelernt, den Polen und den schwarzen Husaren; heute, zum Abschied, hatte er, mir zur Liebe, auch die dritte seiner Qualitäten hervorgesucht: den Schneider. Das rechte Bein über dem linken Knie, so saß er da, von Lichtern umstrahlt, vom Kaminfeuer beschienen, und nähte mir, aus blauem Futterkattun, einen Reisesack. Er tat es gern, weil er das Bedürfnis hatte, mir seine Liebe zu bezeigen; aber es war ein Opfer, das er mir brachte. Alle Augenblick kam Besuch; man lächelte, und ich sah, wie er sich ärgerte. Endlich half er sich auf die beste Weise. Er stülpte seine Mütze mit dem Totenkopf keck auf die linke Seite und sah jeden Eintretenden so herausfordernd an, daß der Spott verschwand, noch eh dieser Zeit gehabt hatte, sich zu entwickeln. Mir persönlich gönnte er das herzlichste Lachen und stimmte selber mit ein.

Diese Heiterkeit indes, die in so vielem um mich her ihre Nahrung fand, sollte noch auf eine harte Probe gestellt werden; ja es wurde zehn Minuten lang so dunkel vor meinen Augen, als ob die Lichter um mich her mit ziemlich langer Schnuppe gebrannt hätten. Der Leser urteile selbst.

Unter den vielen, die kamen und gingen, befand sich auch unser Kölner Freund mit dem Klapphut und der 25er Achselklappe. Er kam abermals »dienstlich«, und zwar diesmal, um mir im Auftrage des Kommandanten meinen »Reisepaß« zu überreichen. Ich dankte, soweit das meine große Überraschung zuließ.

Ich hatte nämlich geglaubt, auf dieselbe Weise, wie ich gekommen war, nun auch meine Rückreise antreten zu können, und mußte mich jetzt von der alten Wahrheit überzeugen, daß Freiheit teuer ist und ein beständiges Daransetzen von Gut und Blut erwartet. Nicht in Gendarmenbegleitung (langweilig, aber sicher) sollte ich mich auf den Rückweg machen, sondern in völliger Freiheit, mir selber überlassen. Das klang sehr gut, war aber in Wahrheit eine heillose Sache, die dadurch nicht besser wurde, daß mir ein Umweg, der die Meilenzahl gerade verdoppelte, als Reiseroute vorgeschrieben war. Hier saß ich am Atlantischen Ozean; bis zum Mittelländischen Meer (Cette) mußte ich hinunter, um dann wieder, an der Rhône hin, bis Lyon und Genf aufwärts zu steigen! Dieser Umweg war nicht angenehm; aber er kam nicht in Betracht neben der andern Erwägung, daß ich diese Reise durch bis zum Fanatismus aufgestachelte Provinzen antreten mußte, allein, mit keinem anderen Schutz als einem feuille de route in der Tasche. Alle Städte, die ich zu passieren hatte, hingen nur lose noch am Faden der Ordnung; was konnte einem rotrepublikanischen Arbeiterhaufen, wie sie in Bordeaux, Toulouse, Lyon an der Tagesordnung waren, was konnte ihnen mein mit Kritzelhand undeutlich geschriebener Reisepaß bedeuten? »A la lanterne!« Ich hatte das Gefühl, durch meine Befreiungsorder auf einen Vulkan gestellt zu sein. Dies Gefühl war so stark, daß ich einen Augenblick die große Cortez-Arie »ich bleibe hier« sehr ernsthaft in Erwägung zog. Dann schämt' ich mich wieder dieses Kleinmuts. Rasumofsky, an den ich appellierte, faßte sein Endurteil in die Worte zusammen: »I, sie werden ja wohl nich.« Er meinte die Franzosen.

Manchem mögen diese Bedenken, wie ich sie hier ausgesprochen habe, als Zeichen einer besonderen Ängstlichkeit erscheinen. Ich darf aber versichern, die Situation war wirklich heikel. Nur wer als Gefangener durch Frankreich geschleppt worden war, hat ein Urteil darüber. Scham und Hoffnung gaben endlich den Ausschlag. Zudem trug mein Paß den Namen Gambettas. Dies war etwas. Der einzige Name, der selbst der roten Populace einigermaßen imponierte. Wenigstens damals noch.

Es liegt in meiner Natur, angesichts aller Dinge, über die ich ausnahmsweise nicht gleich hinweg kann, sorglich zu balancieren und nur zögernd zu einem Entschluß zu kommen; ist dieser Entschluß aber einmal gefaßt, so spring' ich auch sofort wieder mit beiden Füßen in die alte Sorglosigkeit hinein und vertraue lachend und heiter meinem guten Stern.

So tat ich auch hier. Es wurde mir erleichtert durch einen Besuch, der mit der Entscheidung, die ich faßte, fast zusammentraf.

Die Lichter waren schon halb niedergebrannt; Rasumofsky tat seine letzten Stiche und schickte sich eben an, eine Zuckerhutstrippe (als Schnure) durch den Reisesack zu ziehen, als es abermals klopfte. Herein trat ein großer, schöner Mann in der Uniform eines Zuaven-Tambour-Majors. Langer blauer Rock, blanke Knöpfe, mächtige rote Epauletten, auf der Brust drei Orden, der schwarze Vollbart sappeurartig herniederhängend und auf seiner Oberfläche in zwei Strähnen geflochten, die, nicht viel dicker wie eine Uhrschnur, auf dem mächtigen dunklen Bartuntergrunde lagen. Es war der Kantinier. Man denke sich mein Erstaunen. Die Schönheit dieses wirklich pompösen Mannes wurde nur noch von dem Komischen seiner Erscheinung übertroffen.

Er blieb drei Schritte vor mir stehn, verbeugte sich, legte seine linke Hand auf die Brust und begann feierlich: »Mein Herr! Die Verhältnisse haben es mir versagt, auf mehrere Schreiben, die ich die Ehre hatte von Ihnen zu empfangen, schriftlich zu erwidern. Es ist mir Bedürfnis, persönlich Ihre Nachsicht dafür zu erbitten. Zugleich spreche ich Ihnen in meinem und meiner Dame Namen mein aufrichtiges Bedauern darüber aus, Sie so früh aus unserer Mitte scheiden zu sehn. Sie werden anders darüber empfinden, aber genehmigen Sie die Versicherung, daß Sie ein Gegenstand unsres besonderen Respektes waren.«

Hier schwieg er, verneigte sich wieder und wartete ersichtlich auf meine Antwort. Ich ging also auch los. »Monsieur le Cantinier, es gereicht mir zu einer ganz besonderen Ehre, daß ich noch Gelegenheit finde, Sie in dieser prächtigen Erscheinung vor mir zu sehen. Sie sind ein schöner Mann; verzeihen Sie die Unumwundenheit meiner Ausdrucksweise (er verneigte sich); aber wenn es etwas gibt, das imstande ist, Ihrer Persönlichkeit Vorschub zu leisten, so ist es diese Uniform. Ich sehe zu meiner besonderen Freude, Sie sind dekoriert. Darf ich fragen . . .«

Er wartete das Weitere nicht ab, sondern interpretierte jetzt mit immer lebhafter werdender Stimme: »C'est pour la Crimée, – c'est pour le Mexique, – et la troisième, celle-ci, est une ›décoration spéciale‹ pour mes productions sur le cornet à piston.«

Ich drückte ihm nochmals meine Freude aus, einen alten Soldaten zu sehn, der wahrscheinlich in drei Weltteilen gefochten habe (er nickte zustimmend), und glaubte nun, nach so vielen Auseinandersetzungen, das Ende der Feierlichkeit gekommen, als er plötzlich einen Schritt näher an mich herantrat und mit bewegter Stimme sagte: »Monsieur, je ne crains pas de vous offenser, si je vous prie . . .«

Ich warf unwillkürlich den Oberkörper zurück.

»Monsieur,« fuhr er fort, »permettez, que je vous embrasse.«

In solchen Momenten ist ein mutiges Hinein ins Unvermeidliche immer das Beste. Nur Initiative kann vor größerem Unheil bewahren. Ich warf mich also auf ihn, drückte die drei Medaillen an meine Brust und schob erst meine linke, dann meine rechte Backe an den beiden Flanken seines mächtigen Hauptes vorbei.

Dann ließ ich los. »Rasumofsky, Licht!« Dieser packte den nächsten Leuchter, riß die Tür auf und beschleunigte dadurch den Rückzug.

Als er heraus war, sagt' ich mir: Mr. Masson, encore une fois! Nur unterm Vergrößerungsglas und – mit roten Epauletten!

 


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