Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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Frei.

1. Unverhofft kommt oft.

»Es ist gar nicht zu sagen, wie schnell ein Ereignis da ist, wenn man es nicht erwartet hat! Hat man es erwartet, so dauert es viel länger, und manchmal kommt es gar nicht.« Mit diesen Worten etwa beginnt eine liebenswürdige Roquettesche Novelle. Die Wahrheit, die sich darin ausspricht, sollte sich auch an mir erfüllen. »Unverhofft kommt oft.«

Es war Sonnabend, den 26. November. Die erste Hälfte des Tages mit Spaziergang und Arbeit lag hinter mir; das Mittagsbeefsteak war verzehrt, »in seinem zähen Widerstand gebrochen«, und die Kaffeestunde umblühte mich bereits. Duft und Wärme füllten das Zimmer. Rasumofsky war bei mir. Wie die beiden wilden Männer im preußischen Wappen standen wir am Kamin, er rechts, ich links, während zwischen uns das Feuer glühte und die mehrerwähnte bauchige Blechkanne, mitten in die Kohlen hineingestellt, eben mit ihrem Deckel zu klappern begann. Es war das Wasser für den zweiten oder Rasumofsky-Aufguß; den ersten hielt ich bereits in Händen und nippte mit der Bedächtigkeit eines »Connaisseurs«.

Rasumofsky hatte seinen sentimentalen Tag und sagte: »Jott, Herr Leutnant, wann werden wir wieder den ersten preußischen Kaffee trinken? Mit Weihnachten wird es nichts.«

»Nein, Rasumofsky, auf Ostern müssen wir uns gefaßt machen. Vielleicht sehn wir hier noch den Flieder blühn.«

»Ach, Herr Leutnant, hier blüht ja gar kein Flieder nich.«

»Aber, Rasumofsky, Sie werden doch diesen Gegenden, die dicht an der Grenze des Mandelbaumes und der Goldorange liegen, nicht den landesüblichen blauen Flieder absprechen wollen?«

»Ich glaube hier gar nichts mehr. Die Franzosen lügen alle. Wer weiß, wo wir hier sind? Sie können sich gar nicht denken, Herr Leutnant, was die armen Kerls drüben frieren. Ich glaube, wir sind hier gar nicht südlich.«

»Na, Rasumofsky, da können Sie sich nun auf mich verlassen. Fünfzehn Meilen von Bordeaux. Da hilft alles nichts; Geographie und Karten, damit wissen wir Bescheid.«

Er nickte zustimmend.

»Und am Ende,« so fuhr ich fort, »Ostern oder nicht, ich kann es so schlimm hier nicht finden. Rasumofsky, ich sage Ihnen: alle Dinge haben zwei Seiten.«

Er nickte wieder.

»Sehen Sie, es ist jetzt halb zwei; vor einer Viertelstunde erst hab' ich mein Beefsteak gegessen, und schon halt' ich hier ein Glas guten Javakaffee in Händen. Glauben Sie, Rasumofsky, daß man das haben kann, wenn man frei ist? Gott bewahre. So 'was hat man nur in Gefangenschaft.«

Er griente.

»Sie sind ein vernünftiger Mensch, Rasumofsky, und kennen die Welt. Es wird wohl in Posen auch so sein wie anderswo. Der Hausherr, sehen Sie, das ist eine ganz sonderbare Stellung. Es wird ihm zwei- bis dreimal des Tages vorerzählt, er sei ein Tyrann, ein wahrer Pascha, und an dieser Ehrenerklärung muß er saugen wie an einem Stück Zucker. Nun sollen die Paschas viel Kaffee trinken. Aber ich sage Ihnen, Rasumofsky, die Berliner Tyrannen, die um halb zwei eine Tasse Kaffee kriegen können, die sind zu zählen. Es ist entweder Wäsche, oder das Wasser kocht nicht, oder die Schornsteinfeger sind angemeldet. Sehen Sie, man könnte beinahe sagen: nur der Gefangene ist frei.«

Hier hielt er sich nicht länger und brach in die Worte aus: »Ach, Herr Leutnant, das is ja, als ob ich meinen Rittmeister reden hörte. Grade so war es in Posen. Es ist zu merkwürdig.«

Seine Betrachtungen über dies wunderbare Zusammentreffen wurden durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. »Entrez!« Ein preußischer Infanterist mit einer 25 auf der Achselklappe und einem Klapphut auf dem Kopf, die ganze Erscheinung der typische Rheinländer, trat ein, um mich wissen zu lassen: »Monsieur le Commandant (der Auxiliar-Kommandant) wünschten mich zu sprechen.« »Zu Befehl.« Ich folgte unverzüglich.

Der Vizekommandant, über den ich in einem früheren Kapitel bereits berichtet, hatte während der letzten Tage unmittelbar unter mir, in dem mit roten Teufelchen garnierten Zimmer, ein Bureau etabliert, in dem einige französische Marinesoldaten, unter Assistenz jenes 25ers (eines Kölners, der brillant Französisch sprach), das ganze Schreiber- und Verwaltungswesen leiteten. Die Federn flogen hin und her; in der Mitte des Zimmers stand Baron de la Flotte. Ich verneigte mich vor »König Blaubart«. Mit schätzenswerter Raschheit sprang er in medias res und erklärte mir: »Monsieur le Ministre de la Guerre a ordonné votre libération; – Monsieur F., vous êtes libre.« Ich verneigte mich. »Im übrigen,« fuhr er fort, »muß ich Sie bitten, ein Papier zu unterzeichnen, in dem Sie sich verpflichten, einerseits, nach dem Maße Ihrer Kraft, auf die Befreiung eines französischen Oberoffiziers hinzuwirken, andererseits gegen Frankreich weder irgend etwas sagen, noch schreiben, noch tun zu wollen.«

Ich stutzte einen Augenblick, wiederholte überlegend die Worte: »ni dire, ni écrire, ni faire quelque chose contre la France« und fragte dann: ob bei dieser Erklärung aller Akzent auf das Wort »contre« gelegt würde? Ich nehme dies vorläufig an; hätt' ich darin recht, so würd' es mir leicht, die geforderte Verpflichtung einzugehen, da in meinem Herzen nichts lebe, was als eine Empfindung »contre la France« gedeutet werden könne. Kommandant Blaubart lächelte und machte eine gefällige, halb zustimmende, halb ablehnende, also, wenn der Ausdruck gestattet ist, eine neutrale Handbewegung, die etwa ausdrücken sollte: »Dies ist eine heikle Frage; die Entscheidung steht bei Ihnen,« und entließ mich dann mit jenen Formen, die er beherrschte, und die ihn so wohl kleideten.

Rasumofsky erwartete mich oben. Dies Abgerufenwerden zum Kommandanten war natürlich ein »Ereignis«, und nach nichts, selbst den Tabak nicht ausgeschlossen, sehnte sich alle Welt so sehr wie nach Neuigkeiten. Ein wegen »unerlaubter Schiffszwiebacksaneignung« zu drei Tagen Gefängnis verurteilter Mecklenburger machte sechs Tage von sich reden; man mag sich also vorstellen, welche Neugiersunruhe in Rasumofskys Seele seit meiner Abberufung zum Kommandanten gestürmt hatte.

»Rasumofsky, ich bin frei!«

Der erste Effekt dieser Worte war alles andere eher als heiter. Der Angeredete, ohne sich Rechenschaft davon zu geben, fühlte klar, daß seine guten Tage nunmehr gezählt seien, und statt in Kaminfeuer und Kaffeegrund starrte er wieder in grundlose Langeweile. Er erholte sich aber schnell und sagte herzlich: »Na, das is schön; da wird sich die Frau Leutnant freuen. Himmelwetter, wenn unsereins doch mitkönnte!«

»Rasumofsky, Sie wissen, »la paix est prochaine«. (So schloß jede Unterhaltung, die ich mit Franzosen führte.) Sie werden mich in Berlin besuchen. Tag oder Nacht, alles ganz egal. Sie sollen Kaffee haben. Dafür bin ich Hausherr.«

»Ach, Herr Leutnant, Sie sind zu gut.«

»Ja, Rasumofsky, das war immer mein Fehler. Aber was will man machen. Hier, alte Seele, haben Sie einen Befreiungsfranken. Und nun seien Sie fünf Minuten ruhig; ich muß an den Kommandanten schreiben.«

Dies geschah. Ich hatte angefragt, ob meiner Abreise am Dienstag nichts entgegenstehen würde.

Rasumofsky sprang die Treppe hinunter, überreichte meinen Brief unten im Bureau und flog dann in die Kaserne hinüber, um als erster die Siegesnachricht zu bringen: mein Leutnant ist frei.

Es ist fraglich, ob die Kapitulation von Paris eine ähnliche Sensation hervorgerufen haben würde.

 


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