Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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2. Der letzte Sonntag.

Noch am Sonnabend abend war mir mitgeteilt worden, daß der Dienstag als Abreisetag genehmigt worden sei; gleichzeitig erfuhr ich, daß, bei Ausstellung meiner Liberationsorder, Gambetta lediglich dem Andringen Cremieux' (des Justizministers) nachgegeben habe. Ich erkannte in dem allen leicht die Zusammenhänge mit der Heimat und wußte genau, wohin ich den eigentlichsten Dank für meine Befreiung zu richten hatte. Heitern Sinnes erwacht' ich am andern Morgen. In Traum und Gedanken übersprang ich die Meilen und die Schwierigkeiten, die noch zwischen Le Chateau d'Oléron und der Königgrätzer Straße lagen.

Es war der letzte Sonntag. Der Himmel blau, die Luft weich und warm (wir waren doch südlich, trotz Rasumofsky), so trat ich wieder auf den Rempart hinaus und begann, im Auf- und Abschreiten, die weißen Steinchen, die mir, wie der Leser sich erinnert, als Merk- und Rechenpfennige dienten, in meine Tasche sinken zu lassen, als die gewöhnliche Sonntagsmorgenmusik mich in meinem Spaziergang und meinen Betrachtungen störte. Ich hätte sie heute weggewünscht, und wenn mich an den Sonntagen vorher die Cachucha, die George Brown-Arie aus der Weißen Dame und einige Piecen aus dem Trovatore, die gerade während der Kirchzeit gespielt wurden, nur etwas sonderbar berührt hatten, so berührten sie mich heute unangenehm. Die große Trommel, der Triangel und das Zusammenschlagen der Becken, das den Kastagnettenschlag ersetzen sollte, wollten mir heut nicht passen. Sonntag früh 9 Uhr, wo wir gewohnt sind, die Glocken zu hören! Meine Stimmung kam hinzu.

Die Franzosen denken anders darüber, über dies wie über manches andere.

Ich kehrte bald in mein Zimmer zurück, kramte, arrangierte und überlegte, als es klopfte und gleich darauf ein kleiner Herr eintrat, der mich anfangs im Zweifel darüber ließ, ob ich ihn für einen kleinstädtischen Doktor oder einen großstädtischen Küster nehmen sollte. Er entpuppte sich aber bald als Monsieur le prédicateur Masson, reformierter Geistlicher zu Saint-Pierre auf der Insel Oléron. Ich kann wohl sagen, daß mir diese Begegnung, nachdem ich so viele Wochen lang immer im Verkehr mit katholischen Geistlichen gewesen war, ein besonderes Interesse einflößte. Parallelen mußten sich mir aufdrängen. Ich bat ihn, Platz zu nehmen. Er tat es, aber sehr unvollkommen.

Den Predigerton habe ich niemals so in Blüte gesehen als bei diesem kleinen Manne. Er war unfähig, ein Wort einfach und natürlich zu sprechen. Alles war Rede, feierliche Ansprache, wie wenn die Bürgermeister an den Wagenschlag eines reisenden Prinzen treten. Dieser Eindruck wuchs dadurch, daß er sich, so oft die Reihe des Sprechens an ihn kam, von seinem Stuhl erhob, um stehend und mit berufsmäßigen Handbewegungen seine Rede zu halten. Man kann sagen, er taufte und traute beständig.

Seine erste Ansprache, nach erfolgter Vorstellung, ging dahin, daß sein Freund und Amtsbruder »Monsieur Delmas, Pasteur et Président du Consistoire« ihm eine historische Studie »L'Église Réformée de la Rochelle« übersandt habe, zugleich mit der Bitte, dieselbe einem »historien prussien«, der sich zurzeit als Kriegsgefangener auf Oléron befinde, überreichen zu wollen. Nach sorglicher Durchforschung aller tausend Gefangenen war, unter Anwendung des Indizien- oder Wahrscheinlichkeitsbeweises, der Verdacht des »Historikers« an mir, als an einem schon früher literarisch Betroffenen, haften geblieben, und da stand ich denn nun, den einen Geistlichen vor mir, den andern (seinem besseren Teile nach) in Händen haltend, und fühlte zugleich, nicht ohne eine gewisse Verwirrung, den Schatten eines Lorbeers auf meiner Stirn. In Besançon zum »officier supérieur«, in Oléron zum »historien prussien« kreiert, gewann ich erst Fassung wieder in dem Gedanken, daß die Fremde ihren Mann erkennt und der Heimat (die nie recht 'ran will) die großen Fingerzeige gibt.

Ich tat einen Blick auf den Titel des ziemlich umfangreichen Buches, versicherte Mr. Masson in aller Wahrheit, daß ich ein Interesse nähme an der Geschichte des Hugenottentums in der Vendée, und bat ihn, seinem Amtsbruder in La Rochelle meinen besten Dank für die mir erwiesene Ehre auszusprechen. Wir gingen dann zu einem Gespräch über die Insel Oléron über, über die kirchlichen Zustände, über das Verhältnis von Katholiken und Protestanten, der Zahl wie der gegenseitigen Stimmung nach. Er gab mir über alles Aufschluß, aber doch in einer gewissen aufgeregten Zerstreutheit, wie man sie bei Personen zu beobachten pflegt, die zwischen Braten und Kompott eine Tischrede zu halten haben. Sie memorieren beständig, werden durch die harmloseste Frage ihres Nachbars wie auf einer gedanklichen Untat ertappt und geben oft Antworten, darin sich Worte aus der zu haltenden Rede rätselvoll eingesprenkelt finden. Dies war auch die Situation von Mr. Masson. Er brach denn auch schließlich durch die immer drückender werdende Zwangsunterhaltung hindurch, erhob sich, trat, seinen Zylinderhut in der Hand, drei Schritte zurück und begann mit gesteigerter Feierlichkeit:

»Monsieur, il n'est pas vraisemblable, que nous nous reverrons ici, que nous nous reverrons dans ce monde. Mais nous avons une patrie, grande et éternelle, où n'existe pas de guerre, où la haine, l'animosité ont cessé, où les peuples demeurent en paix par notre Sauveur Jésus Christ, par lui, qui est la lumière, l'amour, et la grâce. Voilà où nous nous reverrons . . . Monsieur, je vous demande pardon . . . Monsieur, je suis fâché de vous avoir dérangé . . . Monsieur, j'ai l'honneur . . .« Während dieser Sätze hatte er seinen Rückzug angetreten, ohne sich umzudrehen, immer Auge in Auge. Unter beständigen Verbeugungen begleitete ich ihn bis an die Treppe; hier schieden wir.

Es fiel mir wie eine Last von der Brust. Die letzten Minuten hatten mich einen schweren Kampf gekostet. Bis zu den Worten: »voilà, où nous nous reverrons« war ich ihm ernsthaft und aufmerksam gefolgt, als mir aber plötzlich klar wurde: er predigt, er zitiert vielleicht, erfaßte mich das Komische der Situation mit solcher Gewalt, daß ich, nur noch mit Niederkämpfung meines Krampfes beschäftigt, von allem weiteren nichts anders als einzelne Worte hörte. Niemals hab' ich das Mißliche der pastoralen Redeweise so empfunden wie hier.

Man spricht davon, daß unser modernes Empfinden den Katholizismus überwunden habe, er sei durchaus mittelalterlich. Es mag sein. Aber, was unser modernes Empfinden gewiß auch überwunden hat, das sind solche öden Redensarten. Jeder kann sie machen, wie jeder einen Baum zeichnen oder ein Sonett zusammenstellen kann. Man lockt damit keinen Hund mehr vom Ofen. Man muß diese Dinge schärfer anzufassen wissen.

Wir sind wenigstens auf dem Wege dazu; was ich aber in Frankreich vom Protestantismus gesehen habe, machte einen unendlich tristen Eindruck auf mich. In Lyon gab mir der gardien-chef(Protestant) ein Gebetbuch in die Hand, ich glaube in Genf und Toulouse ediert, das Gebete auf ein paar hundert Tage und Situationen enthielt, jedes eine halbe bis anderthalb Seiten lang, also an und für sich nicht zu lang und in dieser Beziehung hinnehmbar. Ich las zehn oder zwölf, und ich darf sagen, ich habe nie dürreres Reisig in Händen gehabt.

Keine Spur wahren Lebens, alles fromme Phrase. Die fromme Phrase aber ist die schlimmste.

 


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