Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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13. Begräbnis.

Arbeit und Lektüre kürzten die Zeit, aber für jeden, der weder das eine noch das andere hatte, waren es langweilige Tage; nichts geschah, und Sergeant Genzel, wenn er seinen Heine so gut kannte wie seinen Schiller, durfte zitieren:

Nur wenn sie einen begraben,
Bekommen wir was zu sehen.

Leider kam dies »Begraben« bald öfter vor, als auch dem Zerstreuungssüchtigsten unter uns wünschenswert sein mochte. Niemand konnte wissen, wie bald die Reihe an ihn kommen würde. Erst starb ein Alter, ein bayrischer Fuhrmann. Offiziell hieß es, er habe einen »organischen Fehler« gehabt. So heißt es immer. Der zweite war ein Kürassier (auch Bayer), den man von Orleans krank hergebracht hatte. Am 22. November begruben wir ihn.

Um 9 Uhr wurd' es lebhaft. Chorknaben, vier oder sechs, mit weißen Hemden und roten fezartigen Mützen, erschienen auf dem Kasernenhofe; dann kamen drei Geistliche, schwarz und weiß, mit Mitren auf dem Haupt. Die Bayern standen schon da und formierten sich zu einer Kolonne. Acht von ihnen, in blankem Helm, trugen den Sarg herbei, der bis dahin in einem Schuppen gestanden hatte, und setzten ihn auf die Bahre. Es war eine einfache Holzkiste mit einem zugeschrägten Deckel. Das schwarze Tuch mit dem silbernen Kreuz wurde drüber geschlagen, dann setzte sich der Zug in Bewegung, zunächst auf die Stadt und die Kirche zu, die Chorknaben mit Kruzifix und roten Laternen allen übrigen vorauf. So ging es durch das Portal über die Zugbrücke. Als wir an der Kantine vorbeikamen, schwenkten einige Leidtragende ab; ihre Empfindungen nahmen plötzlich eine andere Richtung. Die Mehrzahl folgte. So erreichten wir die Kirche, die sich bald füllte; denn auch die Stadt nahm teil. Freund und Feind durcheinander, so saßen wir da.

Die acht Bayern hatten inzwischen die Bahre mit dem Sarg in das Mittelschiff gestellt, unmittelbar in Nähe des hohen Chores, der nur durch ein vergoldetes Eisengitter von uns und dem Toten geschieden war. Die geistlichen Herren nahmen innerhalb des Chores Platz; dann begannen die Litaneien. Es klang misererehaft.

Ich konnte den Worten nicht folgen und betrachtete deshalb lieber die Kirche. Sie war in gutem Stil aus gutem Materiale gebaut, dabei mit Bildern reich geschmückt. Die Altarnische wies, außer dem großen Altarbilde, noch zwölf kleinere auf. Ähnlich die ganze Kirche. Mehrere waren gut, viele mittelmäßig, keins schlecht. Man konnte hier, wie in jeder französischen Kirche, wahrnehmen, daß die Durchschnittsleistung nach dieser Seite hin besser ist als bei uns. Ich lege nicht viel Gewicht darauf, aber es ist doch immerhin etwas.

Nun waren die Litaneien vorüber. Die Geistlichen erschienen neben dem Sarg und lasen die Gebete, ein Chorknabe schwenkte den Weihkessel; dann tat der fungierende Priester dasselbe. Damit war der kirchliche Akt geschlossen, und der Zug setzte sich aufs neue in Bewegung, der Begräbnisstätte zu.

Es war noch eine hübsche Strecke. An zahlreichen Mühlen vorbei (weiße Rundtürme mit grüner oder roter Dachmütze) ging der Weg. Endlich sahen wir die weiße Mauer; das Tor stand auf, und der Zug bog ein. Die Stätte machte einen guten Eindruck, Kreuze und Denkmäler, alles in Mormor; man ehrte die Toten hier, dazu sprach aus allem eine gewisse Wohlhabenheit. Zypressenbäume und wilder Lorbeer faßten die Gänge und Steige ein; hier und dort ragte ein Ginsterstrauch, kahl wie ein Besen, mit seinen hundert Ruten in die Luft; Hagebutten standen zu Füßen der Gräber, zwischen ihren großen, roten Früchten noch mit vereinzelten blaßroten, halbverwaschnen Blüten geschmückt.

Nun hielten wir am Grabe; die tonige, graublaue Schlickerde lag uns zur Seite. Der Nordwest ging immer schärfer und mahnte zur Eile. Das Brett, auf dem der Sarg stand, wurde an die Grube getragen und dann gesenkt, so daß der Tote allmählich hinabglitt. Ein Tau, von zwei Männern gehalten, regelte das Hinabgleiten. Nun wurde die Planke zurückgezogen; noch ein kurzes Gebet, dann griffen die Mutigsten in den nassen Schlick und warfen einen Erdklotz hinunter. Damit war es getan. In drei Minuten war alles verschwunden, der Friedhof leer.

Ich konnte so nicht scheiden. Der Totengräber, ein Alter, kam und begann zu schaufeln. Ich sah ihm eine Weile zu, sprach zu ihm und gedachte derer, die, fern in der Heimat des Toten, dieser Stunde nicht gedachten. Dann, an den Hagerosen vorbei, von denen auch nicht eine auf sein Grab gelegt werden wird, trat auch ich meinen Rückweg an.

So stirbt man in der Fremde.

 


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